EUROPÄISCHE KOMMISSION
Brüssel, den 30.6.2020
COM(2020) 272 final
BERICHT DER KOMMISSION
JAHRESBERICHT 2019
ÜBER DIE ANWENDUNG DER GRUNDSÄTZE DER SUBSIDIARITÄT UND DER VERHÄLTNISMÄẞIGKEIT UND DIE BEZIEHUNGEN ZU DEN NATIONALEN PARLAMENTEN
JAHRESBERICHT 2019
ÜBER DIE ANWENDUNG DER GRUNDSÄTZE DER SUBSIDIARITÄT UND DER VERHÄLTNISMÄẞIGKEIT UND DIE BEZIEHUNGEN ZU DEN NATIONALEN PARLAMENTEN
1. Einführung
Dies ist der 27. Bericht über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit, vorgelegt gemäß Artikel 9 des Protokolls Nr. 2 zum Vertrag über die Europäische Union und zum Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Wie im 26. Bericht werden auch die Beziehungen der Kommission zu den nationalen Parlamenten behandelt, die bei der Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit eine wichtige Rolle spielen.
Im Jahr 2019 traf die Kommission eine Reihe von Maßnahmen, um den Empfehlungen der Taskforce für Subsidiarität, Verhältnismäßigkeit und „Weniger, aber effizienteres Handeln“ nachzukommen. Das Jahr 2019 war ein Jahr des Übergangs zwischen zwei Kommissions-Amtszeiten, weshalb weniger Initiativen und Legislativvorschläge vorgelegt wurden als in den Vorjahren. Infolgedessen nahm das Arbeitsvolumen der nationalen Parlamente im Zusammenhang mit dem Subsidiaritätskontrollmechanismus und dem politischen Dialog mit der Kommission vorübergehend ab. Bei der Kommission gingen 159 Stellungnahmen ein, unter denen keine begründete Stellungnahmen waren. In zwei im Jahr 2019 ergangenen Urteilen präzisierte der Gerichtshof der Europäischen Union die Anwendung des Grundsatzes der Subsidiarität.
2.
Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit durch die EU-Organe
2.1.
Die Kommission
Folgemaßnahmen zu den Empfehlungen der Taskforce für Subsidiarität, Verhältnismäßigkeit und „Weniger, aber effizienteres Handeln“
2019 begann die Kommission mit der Umsetzung der Maßnahmen, die sie in ihrer Mitteilung vom Oktober 2018 mit dem Titel „Die Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit: Stärkung ihrer Rolle bei der Politikgestaltung der EU“, um den Empfehlungen der Taskforce für Subsidiarität, Verhältnismäßigkeit und „Weniger, aber effizienteres Handeln“ nachzukommen.
Am 7. März 2019 schlug Präsident Juncker in einem Schreiben an die Präsidenten des Europäischen Parlaments und des Rates vor, bei der Festlegung der achtwöchigen Frist für die Übermittlung begründeter Stellungnahmen durch die nationalen Parlamente den Zeitraum vom 20. Dezember bis zum 10. Januar auszuschließen und diese Maßnahme ab Dezember 2019 umzusetzen. Das Europäische Parlament hat am 27. Mai 2019 und der Rat am 4. Juli 2019 bestätigt, dass sie diese Regelung zur Kenntnis genommen haben. In der Folge setzte die Kommission die Regelung erstmals während der Weihnachts-/Neujahrsferien 2019-2020 um.
Darüber hinaus schloss die Kommission ihre Vorbereitungen für die Abgabe aggregierter Antworten auf zu einem Gesetzgebungsvorschlag der Kommission eingereichte begründete Stellungnahmen nationaler Parlamente ab, die im Rahmen des Subsidiaritätskontrollmechanismus sieben oder mehr Stimmen repräsentieren, deren Anzahl jedoch unter dem für die Auslösung einer „gelben Karte“ erforderlichen Schwellenwert liegt. Sie erhielt jedoch 2019 keine begründeten Stellungnahmen.
Die Kommission führte im Zuge ihrer Arbeit im Bereich bessere Rechtsetzung und Bestandsaufnahme weitere Folgemaßnahmen durch (siehe unten).
Agenda für bessere Rechtssetzung und Bestandsaufnahme
Im Jahr 2019 setzte die Kommission die Anwendung ihrer verstärkten Agenda für bessere Rechtsetzung und die Integration der Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit in allen Phasen ihrer Politikgestaltung fort. Das Webportal „Ihre Meinung zählt“ erwies sich für Bürger und interessierte Parteien als nützlicher zentraler Zugang zur Teilnahme an der Politikgestaltung der Kommission. Die Kommission hat außerdem die Evaluierung bestehender Rechtsvorschriften und politischer Rahmenwerke fortgesetzt und Vorschläge zu deren Überarbeitung übermittelt. Im Rahmen dieser Evaluierungen wird u. a. bewertet, ob die bestehenden Politikmaßnahmen noch zweckmäßig sind und inwieweit sie in Anbetracht der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit zurückgezogen oder überarbeitet werden sollten.
Über die Plattform zur Gewährleistung der Effizienz und Leistungsfähigkeit der Rechtsetzung (Regulatory Fitness and Performance – REFIT) haben die Öffentlichkeit und Interessenträger die Möglichkeit, sich mit der Kommission über etwaige übermäßige Belastungen oder Ineffizienzen bestehender EU-Rechtsvorschriften auszutauschen. 2019 gingen über die REFIT-Plattform 16 Stellungnahmen mit Empfehlungen an die Kommission zur Vereinfachung geltender Rechtsvorschriften der EU und zur Verringerung der mit ihnen einhergehenden bürokratischen Belastungen ein. Die Kommission reagiert insbesondere im Rahmen der Umsetzung ihrer Arbeitsprogramme, zu denen auch REFIT-Initiativen zählen, auf diese Empfehlungen. Das Mandat der REFIT-Plattform endete 2019 und 2020 wird eine neue Plattform an ihre Stelle treten. Seite ihrer Einrichtung im Jahr 2015 hat die REFIT-Plattform 105 Empfehlungen herausgegeben.
Im April 2019 schloss die Kommission ihre Arbeiten zur Bestandsaufnahme ihrer Politik der besseren Rechtsetzung ab. Teil dieser Arbeit waren eingehende Konsultationen mit Interessenträgern, anderen Organen und Einrichtungen der EU und mit der Öffentlichkeit. Ihre Ergebnisse wurden in der Mitteilung „Bessere Rechtssetzung: Wir ziehen Bilanz und erneuern unser Engagement“ und einer begleitenden Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen zusammengefasst. Der Erste Vizepräsident Timmermans stellte diese Ergebnisse auf einer Konferenz am 29. April vor und erörterte sie mit den Interessenträgern.
Die folgenden Schlussfolgerungen sind für die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit relevant:
·Das Nachfolgeprogramm der REFIT-Plattform sollte neben dem derzeitigen Schwerpunkt der Vereinfachung stärker auf die Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit sowie auf die legislative Dichte ausgerichtet werden. Daher ist es wichtig, das Fachwissen des Ausschusses zu erweitern und die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften, die für die Umsetzung eines großen Teils der EU-Rechtsvorschriften zuständig sind, stärker einzubeziehen.
·Die Kommission hat sich verpflichtet, zur Verbesserung ihrer Bewertungen der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit das von der Taskforce vorgeschlagene gemeinsame „Raster“ in ihre Leitlinien für eine bessere Rechtsetzung aufzunehmen und es für die Bewertung der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit in Folgenabschätzungen und Begründungen zu Vorschlägen zu verwenden.
Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsprüfung
Die Leitlinien für eine bessere Rechtsetzung und das zugehörige Instrumentarium („Toolbox“) schreiben vor, dass die Kommission bei der Bewertung der fortdauernden Bedeutung und des europäischen Mehrwerts von bestehenden Maßnahmen und bei Plänen für neue Initiativen in Bereichen, die nicht in die alleinige Zuständigkeit der EU fallen, eine Subsidiaritätsprüfung durchführen muss. Die Kommission nimmt sowohl bei legislativen als auch bei nicht legislativen Initiativen eine Subsidiaritätsprüfung vor.
Die Prüfung dient zwei Zwecken:
1. zu bewerten, ob sich das verfolgte Ziel allein durch Tätigwerden auf nationaler, regionaler oder lokaler Ebene erreichen ließe und
2. zu bewerten, ob Maßnahmen auf EU-Ebene im Vergleich zu Maßnahmen auf nationaler Ebene einen Mehrwert erbringen würden.
Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dürfen die Maßnahmen der EU inhaltlich wie formal nicht über das zur Erreichung der verfolgten Ziele erforderliche Maß hinausgehen. Die Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit bedeutet, dass sichergestellt werden muss, dass der gewählte Ansatz und die Intensität der Regulierungsmaßnahmen zur Erreichung ihrer erforderlich sind. Bei allen Folgenabschätzungen, Bewertungen und Eignungsprüfungen sind solche Prüfungen durchzuführen.
Folgenabschätzungen
In allen für politische Vorschläge erstellten Folgenabschätzungen prüft die Kommission die Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit. Um ihre Qualität zu gewährleisten, unterliegen diese Bewertungen einer unabhängigen Qualitätskontrolle durch den Ausschuss für Regulierungskontrolle.
Im letzten Jahr ihrer Amtszeit konzentrierte sich die Juncker-Kommission darauf, sicherzustellen, dass die Vorschläge, die sie bereits unterbreitet hatte, den Mitgesetzgebern zur Annahme vorgelegt wurden, und nahm nur wenige neue Legislativvorschläge an. Im Jahr 2019 gab der Ausschuss daher eine Stellungnahme zu einer einzigen Folgenabschätzung ab, die die Neugestaltung des Europäischen Innovations- und Technologieinstituts und die Aufstellung einer strategischen Innovationsagenda für das Institut betraf. Diese Folgenabschätzung kam zu dem Schluss, dass das Institut im Vergleich zu nationalen und regionalen Initiativen und Lösungen einen eindeutigen EU-Mehrwert in Bezug auf Größenvorteile, Umfang und Geschwindigkeit von Investitionen in Forschung und Innovation bietet.
Evaluierungen und Eignungsprüfungen
Die Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit sind wesentliche Gesichtspunkte der Evaluierungen und Eignungsprüfungen, mit denen bewertet wird, ob durch die Maßnahmen der EU tatsächlich die erwarteten Ergebnisse in Bezug auf Effizienz, Wirksamkeit, Kohärenz, Relevanz und europäischen Mehrwert erzielt worden sind. Im Jahr 2019 schloss die Kommission etwa 70 Bewertungen ab, darunter vier Eignungsprüfungen (Bewertungen weiter gefasster Politikbereiche) in Bezug auf die Wasserrahmenrichtlinie und die Hochwasserrichtlinie, die Luftqualität, die aufsichtliche Berichterstattung und die öffentliche Berichterstattung durch Unternehmen.
Im Jahr 2019 bewertete der Ausschuss für Regulierungskontrolle 18 wichtige Evaluierungen und Eignungsprüfungen. Diese Bewertungen erstreckten sich auf viele Aspekte, von denen einige im Hinblick auf Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit von besonderer Bedeutung waren:
·Evaluierung der Richtlinie über die Behandlung kommunaler Abwässer
Im Einklang mit dem Subsidiaritätsprinzip ist es Aufgabe der Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass die Bürger und Bürgerinnen gegebenenfalls Zugang zum Abwassersammelsystem haben. Allerdings sind Maßnahmen auf EU-Ebene erforderlich, da sich auf 60 % des Gebiets der EU grenzüberschreitende Flusseinzugsgebiete befinden. Da es keine EU-Abwasserrichtlinie gibt, die allen Mitgliedstaaten einen ähnlichen Rhythmus bei der Einrichtung von Infrastrukturen für die Abwassersammlung und -behandlung vorschreibt, hätte jede Untätigkeit der Mitgliedstaaten am Oberlauf eines grenzüberschreitenden Flusses die Maßnahmen der flussabwärts gelegenen Mitgliedstaaten beeinträchtigen können.
·Eignungsprüfung der Wasserrahmenrichtlinie und der Hochwasserrichtlinie
Mit den beiden Richtlinien wurde ein flexibler Rahmen geschaffen, der einen integrierten Ansatz für den Umgang mit den von verschiedenen Politikbereichen ausgehenden Belastungen des Wassers fördert. Dies lässt den Mitgliedstaaten einen erheblichen Ermessensspielraum bei der Festlegung standortspezifischer Ziele, Methoden und Maßnahmen, sorgt aber gleichzeitig für Harmonisierung und gleiche Rahmenbedingungen. Bei der Evaluierung wurde ein Nachteil für diesen Ansatz festgestellt, nämlich dass es bei bestimmten Fragen erhebliche Unterschiede bei der Umsetzung der Richtlinien durch die Mitgliedstaaten gab, während ein einheitlicherer Ansatz wünschenswert gewesen wäre. So gibt es beispielsweise keine klare Rechtfertigung für sehr unterschiedliche Normen für flussgebietsspezifische Schadstoffe in Mitgliedstaaten mit gemeinsamen Flusseinzugsgebieten. Diese Abweichungen lassen sich in einigen Fällen auf lokale Unterschiede zurückführen, können aber in vielen Fällen nur durch andere Faktoren erklärt werden, wie beispielsweise den politischen Willen (bezüglich der Kostendeckung), den Widerstand gegen Veränderungen oder den Mangel an technischen Kapazitäten (bezüglich der Überwachung).
2.2. Das Europäische Parlament
Im Jahr 2019 gingen beim Europäischen Parlament offiziell 62 Dokumente der nationalen Parlamente nach Protokoll Nr. 2 über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit ein. Bei keiner dieser Stellungnahmen handelte es sich um begründete Stellungnahmen im Sinne des Protokolls, in denen Fragen im Zusammenhang mit der Einhaltung des Subsidiaritätsgrundsatzes aufgeworfen wurden. 2018 wurden dem Europäischen Parlament dagegen 46 begründete Stellungnahmen und 427 Beiträge offiziell übermittelt. Diese Zahlen deuten darauf hin, dass die nationalen Parlamente die Subsidiaritätskontrolle nicht als Mittel betrachten, um den Gesetzgebungsprozess der Europäischen Union zum Stillstand zu bringen, sondern vielmehr als Mittel, um ihre Ansichten und Anliegen zum Ausdruck zu bringen. Alle von nationalen Parlamenten übermittelten Dokumente werden in „Connect“, der Datenbank des Europäischen Parlaments für Dokumente der nationalen Parlamente, zugänglich gemacht.
Nach Anlage VI der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments trägt der Rechtsausschuss (JURI) die horizontale Verantwortung für die Einhaltung des Grundsatzes der Subsidiarität. Alle sechs Monate wird ein Mitglied des JURI-Ausschusses auf der Grundlage eines Rotationssystems der Fraktionen zum ständigen Berichterstatter für Subsidiaritätsfragen ernannt. MEP Angel Dzhambazki (Europäische Konservative und Reformisten) war im ersten Halbjahr 2019 ständiger Berichterstatter, gefolgt von MEP Nacho Sanchez Amor (Sozialdemokraten) in der zweiten Jahreshälfte.
Der JURI-Ausschuss leistet u. a. Beiträge zu den Halbjahresberichten der Konferenz der Ausschüsse für Unionsangelegenheiten der Parlamente der Europäischen Union (COSAC), die die Subsidiarität und die Verhältnismäßigkeit betreffen.
Das Europäische Parlament wurde durch seinen Wissenschaftlichen Dienst weiter dabei unterstützt, bei seiner Tätigkeit die Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit zu beachten:
·durch systematische Kontrolle der Einhaltung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit bei den Folgenabschätzungen der Kommission und durch Hinweise auf Bedenken, die diesbezüglich insbesondere von den nationalen Parlamenten und dem Ausschuss der Regionen vorgetragen wurden;
·indem sichergestellt wurde, dass diese Grundsätze bei der eigenen Tätigkeit des Europäischen Parlaments uneingeschränkt eingehalten werden, beispielsweise bei Folgenabschätzungen eigener wesentlicher Abänderungen oder Prüfungen des Mehrwerts der vom Parlament auf der Grundlage von Artikel 225 AEUV eingebrachten Vorschläge für neue Rechtsvorschriften sowie der durch Unterlassen von Handeln auf europäischer Ebene verursachten Kosten;
·durch Kontrolle der Einhaltung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit bei der Erarbeitung von Entwürfen für Folgenabschätzungen, wobei der Schwerpunkt auf dem Mehrwert der Europäischen Union liegt.
2.3. Der Rat
Der Rat hat am 1. Juli 2019 die von der Kommission dem Rat und dem Europäischen Parlament vorgeschlagene neue Regelung zur Kenntnis genommen, nach der der Zeitraum zwischen dem 20. Dezember und dem 10. Januar außer in begründeten dringenden Fällen bei der Festlegung der in Protokoll Nr. 2 zu den Verträgen festgelegten Achtwochenfrist nicht berücksichtigt wird. Am 4. Juli hat der Rat dies der Kommission über den Vorsitz des Ausschusses der Ständigen Vertreter mitgeteilt. In diesem Schreiben betrachtet der Rat die neue Regelung als eine Möglichkeit, den nationalen Parlamenten die Prüfung von Entwürfen von Gesetzgebungsakten im Hinblick auf die Einhaltung des Grundsatzes der Subsidiarität im Einklang mit dem Protokoll Nr. 2 zu den Verträgen zu erleichtern.
Nach Artikel 4 des Protokolls Nr. 2 ist es Aufgabe des Rates, die von einer Gruppe von Mitgliedstaaten, vom Gerichtshof, von der Europäischen Zentralbank und von der Europäischen Investitionsbank vorgelegten Entwürfe von Gesetzgebungsakten den nationalen Parlamenten zuzuleiten. Im März 2019 übermittelte der Rat den nationalen Parlamenten einen Antrag der Europäischen Investitionsbank an den Rat, die Satzung der Europäischen Investitionsbank gemäß dem besonderen Gesetzgebungsverfahren nach Artikel 308 AEUV zu ändern.
Zusätzlich zu seinen Verpflichtungen aus dem Vertrag hält der Rat die Mitgliedstaaten auch über die Stellungnahmen der nationalen Parlamente zu Gesetzgebungsvorschlägen der Kommission auf dem Laufenden. Im Jahr 2019 leitete das Generalsekretariat des Rates den Delegationen 26 Stellungnahmen, die im Rahmen des politischen Dialogs abgegeben worden waren, zu. Der Rat erhielt 2019 keine begründeten Stellungnahmen gemäß Protokoll Nr. 2.
2.4. Der Ausschuss der Regionen
Im Laufe des Jahres 2019 setzte der Ausschuss der Regionen (im Folgenden „Ausschuss“) seine Arbeit fort, mit der sichergestellt werden soll, dass sich die Empfehlungen der Taskforce für Subsidiarität, Verhältnismäßigkeit und „Weniger, aber effizienteres Handeln“ etablieren und „aktive Subsidiarität“ Wirklichkeit wird. Er organisierte auf dem 8. Europäischen Gipfeltreffen der Regionen und Städte am 14.und 15. März 2019 in Bukarest eine hochrangige Debatte über die aktive Subsidiarität, mit der das Pilotprojekt des Ausschusses zur Einrichtung regionaler Zentren (Hubs) zur Überprüfung der Umsetzung der EU-Politik auf regionaler und lokaler Ebene (RegHub) eingeleitet wurde. Im Jahr 2019 wurden im Rahmen des RegHub-Pilotprojekts zwei Konsultationen durchgeführt, eine zum öffentlichen Auftragswesen und die andere zur Luftqualität, deren Ergebnis jeweils ein ausführlicher Umsetzungsbericht war.
Als direkte Antwort auf die Mitteilung der Kommission mit dem Titel „Bessere Rechtsetzung: Bestandsaufnahme und Festigung unseres Engagements“ verabschiedete der Ausschuss im Oktober 2019 eine Stellungnahme (Berichterstatter: Olgierd Geblewicz (Europäische Volkspartei), in der die Standpunkte des Ausschusses zur besseren Rechtsetzung und zur Rolle der „aktiven Subsidiarität“ in der Politikgestaltung der EU dargelegt werden. In ihr wird die Unterstützung des Ausschusses für eine bessere Rechtsetzung bekräftigt und betont, dass es sich dabei um eine gemeinsame Anstrengung handeln muss.
Die 9. Subsidiaritätskonferenz des Ausschusses war eine wichtige Veranstaltung, um die Debatte über die „aktive Subsidiarität“ und ihre Rolle in den Diskussionen über die Zukunft Europas voranzubringen. Auf der Konferenz fanden sich Vertreter aller Regierungs- und Verwaltungsebenen zusammen, um darüber zu diskutieren, wie man die „aktive Subsidiarität“ in der gesamten EU am besten umsetzt und wie man diesen Ansatz dazu nutzen kann, die EU ihren Bürgerinnen und Bürgern wieder näherzubringen. Auf der Konferenz wurde in Zusammenarbeit mit der Konferenz der Regionalparlamente mit Gesetzgebungsbefugnis der Europäischen Union (CALRE) ein neues Pilotprojekt über Beiträge aus politischen Debatten in regionalen Parlamenten eingeleitet. Ziel des Projekts ist es, eine regionale Perspektive für das Jahresarbeitsprogramm der Kommission zu schaffen, indem Regionalparlamenten mit Gesetzgebungsbefugnis bei der Ausarbeitung des Arbeitsprogramms ein Mitspracherecht eingeräumt wird.
Im Jahr 2019 setzte der Ausschuss erneut sein Arbeitsprogramm „Subsidiarität“ als praktisches Mittel zur Kontrolle des Grundsatzes der Subsidiarität um. Da es sich bei den im Arbeitsprogramm der Europäischen Kommission für 2019 aufgeführten Initiativen hauptsächlich um nicht legislative Initiativen handelte, wurden für das Arbeitsprogramm „Subsidiarität“ nur drei vorrangige Initiativen ermittelt: „Eine nachhaltige Zukunft für Europa“, „Ein fairer und zukunftsfähiger Binnenmarkt“ und „Vollendung des digitalen Binnenmarkts“.
Außerdem bewertete der Ausschuss der Regionen bei den Gesetzgebungsvorschlägen, zu denen er Stellungnahmen abgegeben hat, die Einhaltung der Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit. Im Jahr 2019 verabschiedete er 49 Stellungnahmen, von denen sich nur fünf auf Gesetzgebungsvorschläge bezogen.
Alle fünf Stellungnahmen zu Legislativvorschlägen enthielten entweder eine direkte Bewertung der Einhaltung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit oder spezifische Empfehlungen zur besseren Einhaltung dieser Grundsätze. So gelangte der Ausschuss beispielsweise in der Stellungnahme zur Straßenverkehrssicherheit und automatisierten Mobilität zu folgendem Schluss: „In die Ausweitung des Anwendungsbereichs der Richtlinie müssen unbedingt die regionalen und lokalen Akteure einbezogen werden, insbesondere bei der Festlegung der von den Vorschriften betroffenen Straßen“. Ferner wurden mit dem Ziel der besseren Wahrung der Subsidiarität Änderungen am Vorschlag der Kommission formuliert.
Obwohl es sich bei den meisten Initiativen um nicht legislative Initiativen handelte, hielt der Ausschuss an seinem Engagement für die Umsetzung des Konzepts der „aktiven Subsidiarität“ im Jahr 2019 fest, da viele Stellungnahmen zu nicht legislativen Vorschlägen sowohl eine Bewertung der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit in dem betreffenden Politikbereich als auch konstruktive Empfehlungen zur Behandlung potenzieller Reibungspunkte enthielten. Ein Beispiel hierfür ist die Stellungnahme zum Umsetzungsbericht über die Vergabe öffentlicher Aufträge. Auf der Grundlage der ersten Konsultation des Netzes regionaler Zentren des Ausschusses bietet die Stellungnahme einen detaillierten Überblick über die wichtigsten Herausforderungen, mit denen die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften bei der Umsetzung der Vergaberichtlinien von 2014 konfrontiert sind, sowie über die häufigsten Ursachen für deren fehlerhafte Anwendung. Auf der Grundlage empirischer Daten der regionalen und lokalen Ebene werden in der Stellungnahme auch wesentliche Fragen hervorgehoben, beispielsweise in der Erwägung, dass die grenzüberschreitende Auftragsvergabe keinen Mehrwert für die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften gebracht hat. Obwohl regelmäßig EU-weite Vergabeverfahren durchgeführt werden, die viel Zeit und Geld kosten, werden nur wenige, grenzüberschreitende Aufträge vergeben, wenn überhaupt. Die Stellungnahme enthält politische Empfehlungen zur Lösung dieser Probleme.
Die Expertengruppe Subsidiarität führte 2019 zwei Konsultationen durch.
Die erste bezieht sich auf eine vorrangige Initiative im Arbeitsprogramm Subsidiarität. Im Rahmen der vorrangigen Initiative „Vollendung des digitalen Binnenmarkts“ wurde zur Unterstützung des für die Stellungnahme zum Aktionsplan gegen Desinformation zuständigen Berichterstatters des Ausschusses die Expertengruppe Subsidiarität konsultiert, Auf wesentliche Probleme hinsichtlich der Subsidiarität oder der Verhältnismäßigkeit wurde nicht hingewiesen, denn die im Aktionsplan skizzierten Maßnahmen beruhen auf der Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Regierungs- und Verwaltungsebenen. Die Prüfung ergab, dass es, von Fragen der Subsidiarität oder der Verhältnismäßigkeit einmal abgesehen, für den Aktionsplan zur Bekämpfung von Desinformation sinnvoll wäre, den im Vertrag verankerten Grundsatz der „loyalen Zusammenarbeit“ oder des Regierens auf mehreren Ebenen (Multilevel-Governance) zu fördern.
Ziel der zweiten Konsultation der Expertengruppe Subsidiarität war die Unterstützung des Berichterstatters für die Stellungnahme „Das Europäische Semester und die Kohäsionspolitik: Abstimmung der Strukturreformen auf langfristige Investitionen“, zu der drei Experten Beiträge einreichten. Im Einklang mit dem Konzept der „aktiven Subsidiarität“ legten die Experten Vorschläge vor, wie man mit Problemen bei der Einhaltung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit umgehen könnte. Sie erklärten, dass der Ausschuss „... betont, dass die beste Möglichkeit, Verstöße gegen den Subsidiaritätsgrundsatz zu vermeiden und eine wirksame Koordinierung der Politik sicherzustellen, darin besteht, die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften auf strukturierte Weise und im Einklang mit den Grundsätzen der Partnerschaft und des Regierens auf mehreren Ebene umfassend in das Europäische Semester einzubinden“.
Die Zusammensetzung des Netzes für Subsidiaritätskontrolle änderte sich 2019 nicht (156 Partner). REGPEX, das dem Netz für Subsidiaritätskontrolle untergeordnete Subnetzwerk, das den regionalen Parlamenten und Regierungen mit Gesetzgebungsbefugnissen offen steht, beobachtete einen starken Rückgang der Arbeitsbelastung, der auf den Mangel an Legislativvorschlägen im Jahr 2019 zurückzuführen war. Im Jahr 2019 gab es nur zwei Beiträge ab, gegenüber 95 im Jahr 2018.
2.5.
Der Gerichtshof der Europäischen Union
Im Jahr 2019 entschied der Gerichtshof der Europäischen Union (im Folgenden „Gerichtshof“) in einer Rechtssache über die Vereinbarkeit von EU-Rechtsvorschriften mit dem Grundsatz der Subsidiarität. In seinem Urteil vom 6. Juni 2019 in der Rechtssache C-264/18 vertrat der Gerichtshof die Auffassung, dass der EU-Gesetzgeber durch den Ausschluss juristischer Dienstleistungen von der Richtlinie 2014/24/EU über die Vergabe öffentlicher Aufträge nicht gegen das Subsidiaritätsprinzip verstoßen habe‚ da er dabei der Auffassung gewesen sei, dass es Sache der nationalen Gesetzgeber sei, zu entscheiden, ob solche Dienstleistungen den Vorschriften für die Vergabe öffentlicher Aufträge unterliegen sollten.
Der Gerichtshof stellte auch die Anwendung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit in zwei Fällen klar, in denen ein Mitgliedstaat einen vom Europäischen Parlament und vom Rat erlassenen Gesetzgebungsakt angefochten hatte.
In Bezug auf den Maßstab der Kontrolle der Einhaltung dieses Grundsatzes erinnerte der Gerichtshof daran, dass dem Unionsgesetzgeber in Bereichen, in denen sein Handeln politische, wirtschaftliche und soziale Entscheidungen erfordert und in denen er komplexe Beurteilungen und Bewertungen vornehmen muss, ein weiter Ermessensspielraum einzuräumen ist. Für den Gerichtshof kommt es daher nicht darauf an, ob eine in einem solchen Bereich erlassene Maßnahme die einzige oder die bestmögliche war, da die Rechtmäßigkeit der Maßnahme nur dann beeinträchtigt werden kann, wenn sie zur Erreichung des verfolgten Ziels offensichtlich ungeeignet ist.
Dementsprechend war der Gerichtshof der Auffassung, dass nicht nachgewiesen wurde, dass der Unionsgesetzgeber beim Erlass der Richtlinie (EU) 2016/2284 über die Reduktion der nationalen Emissionen bestimmter Luftschadstoffe einen offensichtlichen Fehler begangen hat. In diesem Zusammenhang stellte der Gerichtshof klar, dass der Unionsgesetzgeber nicht verpflichtet ist, die besondere Lage eines Mitgliedstaats zu berücksichtigen, wenn die betreffende Unionsmaßnahme Auswirkungen in allen Mitgliedstaaten hat und eine Abwägung zwischen den verschiedenen betroffenen Interessen unter Berücksichtigung der Ziele dieser Maßnahme erfordert. Daher kann der Versuch, dieses Gleichgewicht nicht unter Berücksichtigung der besonderen Situation eines einzelnen Mitgliedstaats, sondern der Lage aller EU-Mitgliedstaaten zu erreichen, nicht als Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit angesehen werden.
In dem zweiten Urteil bestätigte der Gerichtshof die Gültigkeit einiger Bestimmungen der Richtlinie (EU) 2017/853, mit der das Europäische Parlament und der Rat die Richtlinie 91/477/EWG des Rates über die Kontrolle des Erwerbs und des Besitzes von Waffen geändert haben, im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. In seinem Urteil stellte der Gerichtshof fest, dass der weite Ermessensspielraum des Unionsgesetzgebers nicht nur für die Art und die Tragweite der angefochtenen Maßnahme gilt, sondern in gewissem Umfang auch für die Feststellung der Grunddaten. Selbst wenn der Unionsgesetzgeber über einen weiten Ermessensspielraum verfügt, muss er seine Entscheidung auf objektive Kriterien stützen und prüfen, ob die mit der gewählten Maßnahme verfolgten Ziele geeignet sind, sogar erhebliche negative wirtschaftliche Folgen für bestimmte Wirtschaftsteilnehmer zu rechtfertigen. Der Gerichtshof war der Auffassung, dass die Organe der EU, die den fraglichen Rechtsakt erlassen haben, in der Lage sein müssen, vor dem Gerichtshof darzutun, dass sie beim Erlass des Rechtsakts ein Ermessen ausgeübt haben. Dies setzt voraus, dass sie alle Faktoren und Umstände von Relevanz für die Situation, die mit der Maßnahme geregelt werden sollte, berücksichtigt haben. Daher müssen die EU-Organe zumindest in der Lage sein müssen, die Grunddaten, die zur Begründung der angefochtenen Maßnahmen dieses Rechtsakts zu berücksichtigen waren und von denen die Ausübung ihres Ermessens abhing, beizubringen und klar und eindeutig darzulegen. Im vorliegenden Fall wies der Gerichtshof den Klagegrund zurück, dass der Unionsgesetzgeber nicht über ausreichende Informationen über die möglichen Auswirkungen der angefochtenen Richtlinie verfüge, um die Einhaltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit beurteilen zu können. Der Gerichtshof war der Auffassung, dass die Unionsorgane im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens die verfügbaren wissenschaftlichen Daten und sonstigen Erkenntnisse berücksichtigt hatten. Hierzu zählten Daten und Erkenntnisse aus der von der Kommission durchgeführten REFIT-Evaluierung, verschiedene Studien, eine öffentliche Konsultation, Konsultationen mit den Mitgliedstaaten und Interessenträgern sowie von den Mitgliedstaaten vorgelegte Folgenabschätzungen.
3.
Anwendung des Subsidiaritätskontrollmechanismus durch die nationalen Parlamente
2019 war das erste Jahr seit der Einführung des Subsidiaritätskontrollmechanismus, in dem die Kommission keine begründete Stellungnahme der nationalen Parlamente erhielt. Dies war vor allem auf den drastischen Rückgang der Gesetzgebungstätigkeit der Kommission im Übergangsjahr zwischen zwei Kommissionen zurückzuführen. Im Jahr 2019 übermittelte die Kommission den Mitgesetzgebern und den nationalen Parlamenten 28 Legislativvorschläge, die der Subsidiaritätskontrolle unterlagen, gegenüber 139 im Jahr 2018. Zu diesen 28 Vorschlägen verabschiedeten die nationalen Parlamente 39 Stellungnahmen. Dies bestätigt den im vorangegangenen Jahresbericht festgestellten Trend: der Anteil der begründeten Stellungnahmen sinkt sowohl im Vergleich zur Gesamtzahl der Stellungnahmen (10,5 % 2016; 9 % 2017; 6,5 % 2018; keine 2019) als auch im Vergleich zur Zahl der Stellungnahmen zu Kommissionsvorschlägen, die dem Subsidiaritätskontrollmechanismus unterliegen (17,6 % 2016; 16 % 2017; 10,5% 2018; keine 2019).
Dies könnte darauf zurückzuführen sein, dass die Kommission eine gestärkte und verbesserte Agenda für eine bessere Rechtsetzung verfolgt und sich verpflichtet hat, die Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit in alle Phasen der politischen Willensbildung zu integrieren, bestehende politische Rahmenwerke vor der Vorlage von Gesetzesrevisionen zu evaluieren und Maßnahmen auf europäischer Ebene nur dann einzuleiten, wenn ihr Mehrwert eindeutig ist.
4.
Politischer Dialog mit den nationalen Parlamenten
Allgemeine Bemerkungen zu den schriftlichen Stellungnahmen
Im Jahr 2019 richteten die nationalen Parlamente 159 Stellungnahmen an die Kommission. Dies ist viel weniger als in den Vorjahren (576 im Jahr 2017 und 569 im Jahr 2018) und sogar weniger als im vorhergehenden Übergangsjahr 2015 (350). Es ist die niedrigste Zahl seit Beginn des politischen Dialogs im Jahr 2007.
Nur 39 (25 %) dieser 159 Stellungnahmen betrafen Kommissionsvorschläge, die dem Subsidiaritätskontrollmechanismus unterliegen. Die übrigen 120 Stellungnahmen (75 %) betrafen entweder nicht legislative Initiativen wie Mitteilungen oder waren Initiativstellungnahmen. Dieser außergewöhnlich hohe Anteil spiegelt den vorübergehenden Rückgang der Zahl der von der Kommission vorgelegten Legislativvorschläge wider, zeigt aber auch das Interesse der nationalen Parlamente, ihre Standpunkte der Kommission in einem frühen Stadium des Beschlussfassungsprozesses bekannt zu machen.
Beteiligung und Schwerpunkte
Wie in den Vorjahren war die Zahl der Stellungnahmen, die an die Kommission übermittelt wurden, sehr ungleich auf die nationalen Parlamente verteilt. Die zehn aktivsten Kammern gaben 116 Stellungnahmen ab, d. h. 73 % der Gesamtzahl; damit erreichten sie einen geringeren Anteil als 2018 (83 %), dieser war aber vergleichbar mit den Vorjahren (74 % im Jahr 2017, 73 % 2016 und 72 % 2015). 17 Kammer (2018 zehn) gaben keinerlei Stellungnahmen ab.
Die Kammer, die 2019 die meisten Stellungnahmen abgab, war der tschechische Senát (21 Stellungnahmen). Die anderen zehn nationalen Parlamente oder Kammern, die 2019 die meisten Stellungnahmen abgegeben haben, waren die rumänische Camera Deputaților (15 Stellungnahmen) die portugiesische Assembleia da República (14 Stellungnahmen), die tschechische Poslanecká sněmovna (13 Stellungnahmen), der französische Sénat (12 Stellungnahmen), der deutsche Bundesrat (11 Stellungnahmen), die spanischen Cortes Generales (8 Stellungnahmen), das House of Lords des Vereinigten Königreichs (8 Stellungnahmen), der italienische Senato della Repubblica (7 Stellungnahmen) und der schwedische Riksdag (7 Stellungnahmen). Diese Kammern waren auch im Jahr 2018 die aktivsten Kammern (allerdings in einer anderen Reihenfolge).
Obwohl die meisten Kammern einen starken Rückgang der Zahl der eingereichten Stellungnahmen verzeichneten, reichten zwei im Jahr 2019 mehr Stellungnahmen ein als im Jahr 2018: Die ungarischen Országgyűlés (5 Stellungnahmen im Jahr 2019, 3 im Jahr 2018) und die niederländische Eerste Kamer (6 Stellungnahmen im Jahr 2019, 2 im Jahr 2018).
In Anhang 1 wird die Zahl der von den einzelnen Kammern übermittelten Stellungnahmen aufgeführt.
Hauptthemen der Stellungnahmen im Rahmen des politischen Dialogs
Wie in den Vorjahren bezogen sich die Stellungnahmen der nationalen Parlamente im Jahr 2019 auf verschiedene Themen. Die folgenden fünf Dossiers, zu denen jeweils fünf bis neun Stellungnahmen eingingen‚stießen bei den nationalen Parlamenten auf die größte Aufmerksamkeit:
1.Ausweitung der Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit – 9 Stellungnahmen;
2.Subsidiarität und bessere Rechtsetzung – 8 Stellungnahmen;
3.Stärkung der Rechtsstaatlichkeit – 6 Stellungnahmen;
4.Auf dem Weg zu einem nachhaltigen Europa – 5 Stellungnahmen;
5.Bekämpfung von Desinformation im Internet – 5 Stellungnahmen.
·Ausweitung der Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit
Die Kommission hatte sich verpflichtet zu prüfen, wie die Beschlussfassung effizienter gestaltet werden kann, indem Bereiche ermittelt werden, in denen man stärker von Abstimmungen mit qualifizierter Mehrheit Gebrauch machen kann. Zu diesem Zweck hat sie vier Mitteilungen zu vier zentralen Politikbereichen angenommen: Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, am 12. September 2018; Besteuerung, am 15. Januar 2019; Energie und Klima, am 9. April 2019; und Sozialpolitik, am 16. April 2019.
Diese Mitteilungen lösten neun Stellungnahmen von sechs nationalen Parlamenten aus. Diese Stellungnahmen sprachen sich im Allgemeinen gegen eine Ausweitung der Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit aus, da sie es für erforderlich hielten, zum Schutz der nationale Souveränität und der nationalen Interessen die einstimmige Beschlussfassung in diesen Bereichen beizubehalten. Einige Kammern waren auch der Ansicht, dass eine einstimmige Beschlussfassung in diesen Bereichen korrekt funktioniert habe und kein Hindernis für Fortschritte auf EU-Ebene darstelle.
Die Kommission antwortete, dass die Einstimmigkeitsregel in der Außen- und Sicherheitspolitik bei bestimmten Gelegenheiten das Tempo und die Fähigkeit der EU beeinträchtigt habe, in globalen Angelegenheiten tätig zu werden, und dass die EU, um ihre Zukunft weiter gestalten zu können, ihre Beschlussfassung verbessern sollte, indem sie die gesamte Bandbreite der in den Verträgen vorgesehenen Optionen nutzt. Hinsichtlich der Besteuerung betont die Kommission, dass ein koordiniertes Handeln der EU von wesentlicher Bedeutung sei, um die Einnahmen der Mitgliedstaaten zu schützen und ein faires Steuerumfeld und ein reibungsloses Funktionieren des Binnenmarkts zu gewährleisten.
Obgleich durch die Globalisierung und Digitalisierung gemeinsame Herausforderungen in der Steuerpolitik entstanden sind, die gemeinsame Lösungen erfordern, war die EU aufgrund der Einschränkungen der Einstimmigkeitsregel nicht in der Lage, rasch zu handeln oder zu reagieren. Bei einer Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit könnten die Mitgliedstaaten schnellere und wirksamere Lösungen in Steuerfragen finden. Das ordentliche Gesetzgebungsverfahren würde darüber hinaus sicherstellen, dass das Europäische Parlament einen Beitrag zu steuerpolitischen Beschlüssen leisten könnte, wodurch die Ansichten der Bürger vertreten und die Rechenschaftspflicht erhöht würde. Bezüglich der Energie- und Klimapolitik stellte die Kommission fest, dass das derzeitige Energiesteuersystem aufgrund unterschiedlicher Steuersätze und Steuerbemessungsgrundlagen für konkurrierende Kraftstoffe Verzerrungen im Binnenmarkt verursache. Daher sei die Gleichbehandlung aller Energiequellen entsprechend ihrem Beitrag zu den Zielen der Energieunion (z. B. Förderung nachhaltiger Energie und Vermeidung eines verschwenderischen Energieverbrauchs) ein Aspekt, der bei einer künftigen Reform der Energiebesteuerung berücksichtigt werden müsse. Hierfür sei es von entscheidender Bedeutung, dass Kompromisslösungen gefunden werden können, die den Interessen und den spezifischen wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen in den Mitgliedstaaten Rechnung tragen.
Schließlich erklärte die Kommission in Bezug auf die Sozialpolitik, dass sie bei der Anwendung von Überleitungsklauseln einen zielgerichteten Ansatz verfolgt habe. Sie schlug vor, diese Klauseln nur für Fragen der Nichtdiskriminierung und für die Annahme von Empfehlungen zur sozialen Sicherheit und zum sozialen Schutz der Arbeitnehmer zu verwenden, da eine Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit den Mitgliedstaaten die rasche Bewältigung gemeinsamer Herausforderungen erleichtern würde.
·Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit
In der am 23. Oktober 2018 angenommenen Mitteilung mit dem Titel „Die Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit: Stärkung ihrer Rolle bei der Politikgestaltung der EU“, im Jahresbericht 2017 über Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit und im Bericht über die Beziehungen zu den nationalen Parlamenten legt die Kommission ihre Folgemaßnahmen zu den Empfehlungen der Taskforce für Subsidiarität, Verhältnismäßigkeit und „Weniger, aber effizienteres Handeln“ dar.
Im Jahr 2019 löste dieses Paket sechs Stellungnahmen von sechs nationalen Parlamenten und eine Stellungnahme eines regionalen Parlaments aus. Alle Kammern begrüßten im Allgemeinen die Arbeit der Taskforce, unterstützten das Konzept der „aktiven Subsidiarität“ und billigten die von der Kommission bereits getroffenen Folgemaßnahmen.
Einige Kammern unterbreiteten Vorschläge, wie die Kommission bei der Ausarbeitung ihrer Vorschläge ihre Interaktion mit ihnen verbessern könnte, indem sie die Planung ihrer Initiativen so optimiert, dass die nationalen Parlamente ihre Subsidiaritätsprüfungen genauer planen können, und/oder indem sie die Qualität der Folgenabschätzungen verbessert und mehr Informationen darüber in allen Amtssprachen bereitstellt. Weitere Vorschläge zur Verbesserung der Kontrolle durch die nationalen Parlamente während der Gesetzgebungsphase beinhalteten die Organisation von Debatten mit Vertretern der nationalen Parlamente und des Europäischen Parlaments, wenn ein Vorschlag eine Reihe begründeter Stellungnahmen auslöst, oder die Erörterung der Bemerkungen nationaler Parlamente in Arbeitsgruppen des Rates. Einige Parlamente schlugen auch Maßnahmen vor, die Vertragsänderungen erfordern würden; hierzu zählten die Verlängerung der Frist für die Abgabe begründeter Stellungnahmen auf zwölf Wochen, die Verringerung der Zahl der für die Auslösung einer „gelben Karte“ erforderlichen begründeten Stellungnahmen, die Ermöglichung begründeter Stellungnahmen auf der Grundlage der Verhältnismäßigkeit, die Festlegung einer formellen Frist für Antworten der Kommission und die Ermächtigung des Europäischen Parlaments zur Einleitung von Gesetzgebungsinitiativen.
In ihren Antworten begrüßte die Kommission die Unterstützung der nationalen Parlamente für die in der Mitteilung angekündigten Initiativen und bestätigte, dass sie ihre Umsetzung vorbereitet. Sie stimmte zu, dass Informationen darüber, wie die Vorschläge den Grundsätzen der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit entsprechen, bereitgestellt werden müssen und betonte, dass Zusammenfassungen der Folgenabschätzungen tatsächlich in allen EU-Sprachen veröffentlicht werden. Sie hob ihre Arbeit zur Verbesserung der Detailgenauigkeit und Verlässlichkeit der Informationen über die in seinem Arbeitsprogramm angekündigten Initiativen hervor und nahm mit Interesse die Vorschläge zur Kenntnis, Debatten über die Vorschläge zu organisieren. Sie nahm die Vorschläge, die eine Vertragsänderung erfordern, zur Kenntnis und wies darauf hin, dass eine solche Änderung in naher Zukunft nicht geplant sei.
·Rechtsstaatlichkeit
Am 3. April 2019 nahm die Kommission eine Mitteilung mit dem Titel „Die weitere Stärkung der Rechtsstaatlichkeit in der Union – Aktuelle Lage und mögliche nächste Schritte“ an. Die diente dem Ziel, einen Überblick über das derzeitige Instrumentarium zur Bewältigung der Herausforderungen für die Rechtsstaatlichkeit in der EU zu geben und eine Debatte darüber anzustoßen, wie diese gestärkt werden kann. Im Nachgang dazu nahm die Kommission am 17. Juli 2019 eine Mitteilung über „Die Stärkung der Rechtsstaatlichkeit in der Union – Ein Konzept für das weitere Vorgehen“ an, in der gezielte Maßnahmen in diesem Bereich dargelegt werden.
Diese Mitteilungen lösten sechs Stellungnahmen von fünf nationalen Parlamenten aus. Sie begrüßten generell die Arbeit der Kommission zur Förderung und Verteidigung der Rechtsstaatlichkeit in der EU und stimmten zu, dass es notwendig sei, die verfügbaren Instrumente zum Schutz der Grundwerte der EU zu verbessern und zu stärken. Einige Kammern betonten auch, dass ein ständiger Dialog mit den Mitgliedstaaten über Rechtsstaatlichkeit wichtig sei.
In ihren Antworten betonte die Kommission, dass, wie in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs klargestellt wurde, die Achtung der Rechtsstaatlichkeit sowohl eine nationale als auch eine EU-Angelegenheit sei und dass es in der Verantwortung der EU-Organe liege, diese Fragen im institutionellen Rahmen anzugehen. Sie hob hervor, dass die nationalen Parlamente eine wichtige Rolle bei der Gewährleistung der Rechtsstaatlichkeit in den Mitgliedstaaten spielen, und zwar sowohl in ihrer gesetzgeberischen Funktion als auch als Kontrollinstanz der Exekutive. Sie erklärte ferner, dass der vorgeschlagene „Zyklus zur Überprüfung der Rechtsstaatlichkeit“ ein präventives Instrument sein sollte, mit dem Probleme erkannt und Raum für den Dialog geschaffen wird. Die Kommission wird den Prozess in enger Zusammenarbeit mit den nationalen Behörden überwachen.
·Auf dem Weg zu einem nachhaltigen Europa
Am 30. Januar 2019 nahm die Kommission zur Lenkung der Diskussion über die Frage, wie die EU die nachhaltigen Entwicklungsziele der Vereinten Nationen für 2030 am besten erreichen kann, ein Reflexionspapier mit dem Titel „Auf dem Weg zu einem nachhaltigen Europa bis 2030“ an.
Dieses Papier löste fünf Stellungnahmen von vier nationalen Parlamenten aus, in denen eine Reihe von Fragen angesprochen wurde. Sie umfassen die regionalen und sozialen Aspekte des Übergangs zur Nachhaltigkeit, die Notwendigkeit, alle Interessenträger in diesen Übergang einzubeziehen, die Vereinbarkeit von Wachstum und Entwicklung des Welthandels einerseits und Nachhaltigkeit andererseits und die Notwendigkeit, die Bildung sowohl in der EU als auch in den Entwicklungsländern zu unterstützen.
In ihren Antworten stimmte die Kommission zu, dass die Verwirklichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung eine wirksame Zusammenarbeit auf globaler, EU-weiter, nationaler, regionaler und lokaler Ebene unter Wahrung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit erfordere. Sie merkte an, dass sich die nationalen Parlamente in einer Schlüsselposition befänden, da der Fortschritt weitgehend von den Maßnahmen der Mitgliedstaaten auf allen Ebenen abhänge. Sie betonte ferner, dass Maßnahmen wie die Initiative für kohle- und kohlenstoffintensive Übergangsregionen eingeleitet worden seien, um sicherzustellen, dass der Übergang zur Klimaneutralität fair und solidarisch ist und keine Regionen oder Bürger abgehängt werden.
·Bekämpfung von Desinformation im Internet
Am 26. April 2018 nahm die Kommission eine Mitteilung mit dem Titel „Bekämpfung von Desinformation im Internet: ein europäisches Konzept“ an. Am 2. Dezember 2018 folgte im Nachgang hierzu ein Bericht über die Umsetzung dieser Mitteilung, dem ein Aktionsplan gegen Desinformation beigefügt war.
Diese Initiativen lösten im Jahr 2019 fünf Stellungnahmen von vier nationalen Parlamenten aus. In ihnen wurde um die Klärung von Fragen wie der Definition von Desinformation, der Abgrenzung zwischen der Bekämpfung von Desinformation und Zensur, der Rolle und Unabhängigkeit von Faktenprüfern und der Bekämpfung von Desinformation aus Russland gebeten.
In ihren Antworten stimmte die Kommission zu, dass die in der Mitteilung verwendeten Begriffe wie „Desinformation“ sowie die angekündigten Maßnahmen nicht für Zensur verwendet werden sollten, und betonte, dass in der Mitteilung ausdrücklich vermieden werde, Meinungsäußerungen zu kriminalisieren oder neue Kategorien illegaler Inhalte zu schaffen. Sie erläuterte, dass ein dichtes Netz starker, unabhängiger Faktenprüfer eine wesentliche Voraussetzung für ein gesundes digitales Ökosystem sei und sie daher die Vernetzung zwischen europäischen Organisationen unabhängiger Faktenprüfer erleichtert habe, indem sie die Infrastruktur für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit bereitgestellt habe, ohne finanzielle Unterstützung zu leisten oder ihre redaktionelle Ausrichtung in irgendeiner Weise zu steuern. Was externe Quellen der Desinformation betrifft, so stellte die Kommission fest, dass es stichhaltige Beweise für Desinformation aus Russland gebe und dass, obwohl auch andere nicht der EU angehörende Länder Desinformationsstrategien anwenden, die Maßnahmen Russlands systematisch und finanziell gut ausgestattet seien und in größerem Umfang als die Maßnahmen anderer Länder durchgeführt würden.
Gemeinsame Initiativstellungnahmen
Im Jahr 2019 erhielt die Kommission zwei gemeinsame Initiativstellungnahmen von nationalen Parlamenten. Beide waren von den sechs Kammern der Länder der Visegrád-Gruppe („V4“) unterzeichnet worden. Eine betraf die Erweiterung der Europäischen Union und setzte sich für die Erweiterung um die westlichen Balkanstaaten ein. In der anderen gemeinsamen Stellungnahme ging es um den mehrjährigen Finanzrahmen, für den die nationalen Parlamente der V4 die gleiche Mittelausstattung für die gemeinsame Agrarpolitik und die Kohäsionspolitik wie im vorherigen Finanzrahmen forderten.
5.
Kontakte, Besuche, Zusammenkünfte und Konferenzen
Besuche der Kommission bei/Zusammenkünfte der Kommission mit nationalen Parlamenten
Im Jahr 2019 unternahmen die Mitglieder der Kommission insgesamt 55 Besuche bei den nationalen Parlamenten oder kamen mit den Delegationen der nationalen Parlamente zusammen (siehe nachstehende Karte); dies war weniger als in den Vorjahren (140 im Jahr 2018) und darauf zurückzuführen, dass 2019 ein Übergangsjahr zwischen zwei Kommissionen war. Insgesamt wurden während des Mandats der Juncker-Kommission 915 Besuche durchgeführt. Diese enge Zusammenarbeit mit den nationalen Parlamenten soll fortgesetzt werden, da Präsidentin von der Leyen darum gebeten hat, dass jedes Kommissionsmitglied innerhalb der ersten beiden Jahre seiner Amtszeit sämtliche Mitgliedstaaten besucht und regelmäßig mit den nationalen Parlamenten zusammenkommt.
Der Chefunterhändler der EU für den Brexit, Michel Barnier, traf 2019 sowohl im Rahmen seiner Besuche in den Hauptstädten der EU-27 als auch während seines Treffens in Brüssel mit 13 nationalen Parlamenten zusammen, um sie über die Verhandlungen mit dem Vereinigten Königreich zu informieren. Diese Kontakte werden im Rahmen der laufenden Verhandlungen über die künftigen Beziehungen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich fortgesetzt und intensiviert werden.
Im Verlauf des Jahres 2019 nahmen – meist hochrangige – Beamte der Kommission an über 40 Sitzungen von Ausschüssen der nationalen Parlamente teil, um auf einer fachlicheren Ebene über Legislativvorschläge zu diskutieren. Außerdem hielten Kommissionsbeamte vor Vertretern der nationalen Parlamente in Brüssel insgesamt 13 Vorträge zu Themen wie bessere Rechtsetzung, effizientere Gesetzgebungsverfahren im Bereich Steuern und Sozialpolitik, Rechtsvorschriften zur Vorbereitung auf den Brexit und das Handelsabkommen zwischen der EU und dem Mercosur. Darüber hinaus hielten die Vertretungen der Kommission in den Mitgliedstaaten ihre häufigen Kontakte mit den nationalen Parlamenten aufrecht, etwa um sich über das Europäische Semester und andere Wirtschaftsfragen auszutauschen.
Besuche bei und Zusammenkünfte mit nationalen Parlamenten unter Beteiligung von Mitgliedern der Kommission im Jahr 2019 (Gesamtzahl für alle Mitgliedstaaten: 55)
Interparlamentarische Zusammenkünfte und Konferenzen
Im Jahr 2019 fanden mehrere wichtige interparlamentarische Zusammenkünfte und Konferenzen statt, unter anderem:
ØKonferenz der Ausschüsse für Unionsangelegenheiten der Parlamente der Europäischen Union (COSAC);
ØKonferenz der Präsidenten der Parlamente der Europäischen Union;
ØEuropäische Parlamentarische Woche;
ØInterparlamentarische Konferenz über Stabilität, wirtschaftliche Koordinierung und Steuerung;
ØInterparlamentarische Konferenzen zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und zur Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik und
ØGemeinsamer parlamentarischer Kontrollausschuss zu Europol.
Die beiden Sitzungen der COSAC-Vorsitzenden 2019 fanden vom 20. bis 21. Januar in Bukarest und von 21. bis 22. Juli in Helsinki statt. An die Sitzung in Bukarest nahm Kommissarin Crețu teil. Inhaltlich prüften die Delegierten die Prioritäten des rumänischen und des finnischen Ratsvorsitzes, Kohäsion und Konvergenz (in Bukarest) und den EU-Haushalt (in Helsinki).
Auf der LXI. Plenarsitzung der COSAC, die vom 23. bis 25. Juni in Bukarest stattfand, wurden die Leistungen des rumänischen Ratsvorsitzes, die internationalen Handelsbeziehungen im Zusammenhang mit dem Brexit, der Europäische Bildungsraum als treibende Kraft für die Neugestaltung und Stärkung des Binnenmarkts sowie eine innovations- und technologiebasierte Wirtschaft erörtert.
An der LXII. Plenarsitzung der COSAC, die vom 1. bis 3 Dezember in Helsinki stattfand, nahmen Vizepräsident Šefčovič und der Chefunterhändler der EU, Barnier, teil, die mit den Delegierten den Aufbau und die politische Agenda der neuen Kommission, ihre Beziehungen zu den nationalen Parlamenten und den Brexit erörterten. Die Delegierten erörterten ferner die potenzielle Rolle der nationalen Parlamente auf der Konferenz über die Zukunft Europas, die Arbeitsergebnisse des finnischen Ratsvorsitzes, die Förderung der Rechtsstaatlichkeit in der EU, die Charta der Grundrechte der Europäischen Union und die Klimastrategie für Europa.
Die Kommission antwortete schriftlich auf die Beiträge, die von der COSAC auf ihren beiden Plenarsitzungen verabschiedet worden waren.
6.
Die Rolle der regionalen Parlamente
Die regionalen Parlamente haben indirekten Einfluss auf die Beziehungen der Kommission zu den nationalen Parlamenten. Nach Protokoll Nr. 2 zu den Verträgen konsultieren die nationalen Parlamente bei der Durchführung der Subsidiaritätsprüfung von EU-Gesetzgebungsakten mit Blick auf die Abgabe von begründeten Stellungnahmen gegebenenfalls die regionalen Parlamente mit Gesetzgebungsbefugnissen.
Auch Mitglieder der regionalen Parlamente sind im Ausschuss der Regionen vertreten, der über das Netz für Subsidiaritätskontrolle und dessen Internetplattform REGPEX, mit der die Mitwirkung der regionalen Parlamente mit Gesetzgebungsbefugnissen am Frühwarnsystem zur Überwachung von Subsidiarität gefördert werden soll, Überwachungsarbeiten ausführt.
Obgleich die Verträge keine ausdrückliche Bestimmung für eine direkte Interaktion zwischen der Kommission und den Regionalparlamenten enthalten, legten einige Regionalparlamente, insbesondere aus Deutschland, der Kommission direkt Entschließungen vor, in denen sie sich zur Subsidiarität (Bayerischer Landtag)‚ zur Zukunft Europas (Landtag von Baden-Württemberg) und zu politischen Aspekten mehrerer Kommissionsvorschläge äußern. Regionalparlamente haben also ihr Interesse unterstrichen, ihren Beitrag zur europäischen Politikgestaltung direkt zu bekunden. Im Jahr 2019 legte der Parlamentarische Regionalrat der Großregion seine Empfehlungen zur Kohäsionspolitik, zur Entwicklung der Wasserstraße Mosel, zu grenzüberschreitenden Beschäftigungsfragen, zur Kreislaufwirtschaft, zum Schienenverkehr, zur Förderung der Mehrsprachigkeit und zum digitalen Zivilgericht vor. Die Kommission antwortete im Wesentlichen auf alle Entschließungen, die von Regionalparlamenten oder Organisationen regionaler Parlamente eingingen.
Das flämische Parlament wiederum übermittelte der Kommission über das belgische Bundesparlament eine Stellungnahme zur Strategie der EU für die Zeit nach dem Brexit.
Kommissarin Crețu und EU-Chefunterhändler Barnier nahmen am 8. Europäischen Gipfeltreffen der Regionen und Städte teil, das der Europäische Ausschuss der Regionen am 14. und 15. März 2019 in Bukarest veranstaltete. Sie führten mit der Präsidentin der Konferenz der europäischen regionalen gesetzgebenden Versammlungen (CALRE), Donatella Porzi, einen Meinungsaustausch über regionalpolitische Fragen und die Auswirkungen des Brexit.
Präsident Juncker hielt im Jahr 2019 Reden vor den Regionalparlamenten Baden-Württemberg, Saarland und Thüringen (Deutschland). Er nahm auch an der Europäischen Konferenz der deutschsprachigen Regionalparlamente teil, die gemeinsam mit den österreichischen und italienischen Parlamenten Südtirols und dem Parlament der belgischen deutschsprachigen Gemeinschaft organisiert wurde.
7.
Schlussfolgerung
2019 war das erste Jahr seit dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon, in dem die nationalen Parlamente der Kommission keine begründete Stellungnahme übermittelten. Bei den anderen Arten von Stellungnahmen der nationalen Parlamente betrafen 75 % nicht legislative Initiativen der Kommission oder es handelte sich um Initiativstellungnahmen. Dies zeigt deutlich, dass die nationalen Parlamente ein Interesse daran haben, zur Arbeit der Kommission in einem frühen Stadium des Beschlussfassungsprozesses einen zukunftsorientierten politischen Beitrag zu leisten.
Die Kommission unternahm erhebliche Anstrengungen, um den Empfehlungen der Taskforce für Subsidiarität, Verhältnismäßigkeit und „Weniger, aber effizienteres Handeln“ nachzukommen, insbesondere im Rahmen ihrer Arbeit im Bereich der besseren Rechtsetzung, deren Ziel es ist, EU-Rechtsvorschriften besser vorzubereiten und zu begründen und dafür zu sorgen, dass sie den Grundsätzen der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit entsprechen. Sie trug auch dazu bei, dass die nationalen Parlamente ihrer Rolle besser gerecht werden konnten, indem sie bei der Berechnung der achtwöchigen Frist für die Einreichung begründeter Stellungnahmen die Weihnachts- und Neujahrszeit ausklammerte und indem sie dann, wenn eine beträchtliche Zahl nationaler Parlamente in Bezug auf ein bestimmtes Dossier Subsidiaritätsbedenken äußerte, aggregierte Antworten übermittelte.
Im Jahr 2019 führten die Mitglieder der Kommission weiterhin regelmäßige Debatten mit den nationalen Parlamenten, die eine entscheidende Rolle zu spielen haben, wenn es darum geht, die EU ihren Bürgerinnen und Bürgern näherzubringen.
Die neue Kommission unter dem Vorsitz von Ursula von der Leyen trat am 1. Dezember 2019 ihr Amt an. Sie wird die enge Zusammenarbeit der Kommission mit den nationalen Parlamenten durch Besuche und Austausch verstärken, da Präsidentin von Leyen darum gebeten hat, dass jedes Kommissionsmitglied innerhalb der ersten beiden Jahre seiner Amtszeit alle Mitgliedstaaten besucht und regelmäßig mit den nationalen Parlamenten zusammenkommt. Die von der Leyen-Kommission wird ferner bei ihrer politischen und gesetzgeberischen Arbeit den Grundsätzen der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit besondere Aufmerksamkeit widmen.