EUR-Lex Access to European Union law

Back to EUR-Lex homepage

This document is an excerpt from the EUR-Lex website

Document 62015CJ0589

Urteil des Gerichtshofs (Große Kammer) vom 12. September 2017.
Alexios Anagnostakis gegen Europäische Kommission.
Rechtsmittel – Institutionelles Recht – Bürgerinitiative, in der die Europäische Kommission aufgefordert wird, einen Legislativvorschlag zur Streichung von Staatsschulden für Mitgliedstaaten in einer Notlage zu unterbreiten – Anmeldung – Ablehnung durch die Kommission – Offenkundiges Fehlen von Befugnissen der Kommission – Verordnung (EU) Nr. 211/2011 – Art. 4 Abs. 2 Buchst. b – Begründungspflicht – Art. 122 AEUV – Art. 136 AEUV – Verstoß.
Rechtssache C-589/15 P.

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2017:663

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

12. September 2017 ( *1 )

„Rechtsmittel – Institutionelles Recht – Bürgerinitiative, in der die Europäische Kommission aufgefordert wird, einen Legislativvorschlag zur Streichung von Staatsschulden für Mitgliedstaaten in einer Notlage zu unterbreiten – Anmeldung – Ablehnung durch die Kommission – Offenkundiges Fehlen von Befugnissen der Kommission – Verordnung (EU) Nr. 211/2011 – Art. 4 Abs. 2 Buchst. b – Begründungspflicht – Art. 122 AEUV – Art. 136 AEUV – Verstoß“

In der Rechtssache C‑589/15 P

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 13. November 2015,

Alexios Anagnostakis, wohnhaft in Athen (Griechenland), Prozessbevollmächtigte: A. Anagnostakis, dikigoros, und F. Moyse, avocat,

Rechtsmittelführer,

andere Partei des Verfahrens:

Europäische Kommission, vertreten durch M. Konstantinidis und H. Krämer als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Beklagte im ersten Rechtszug,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, des Vizepräsidenten A. Tizzano, der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta, der Kammerpräsidenten M. Ilešič, L. Bay Larsen und E. Juhász, der Kammerpräsidentinnen M. Berger und A. Prechal sowie der Richter A. Rosas, J. Malenovský, D. Šváby, S. Rodin (Berichterstatter) und C. Lycourgos,

Generalanwalt: P. Mengozzi,

Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 13. Dezember 2016,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 7. März 2017

folgendes

Urteil

1

Mit seinem Rechtsmittel begehrt Herr Alexios Anagnostakis die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 30. September 2015, Anagnostakis/Kommission (T‑450/12, im Folgenden: angefochtenes Urteil, EU:T:2015:739), mit dem dieses seine Klage auf Nichtigerklärung des Beschlusses C(2012) 6289 final der Kommission vom 6. September 2012 über die ihr am 13. Juli 2012 vorgelegte Anmeldung der europäischen Bürgerinitiative „Eine Million Unterschriften für ein Europa der Solidarität“ (im Folgenden: streitiger Beschluss) abgewiesen hat.

Rechtlicher Rahmen

2

Die Erwägungsgründe 1, 2, 4 und 10 der Verordnung (EU) Nr. 211/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Februar 2011 über die Bürgerinitiative (ABl. 2011, L 65, S. 1, und Berichtigung ABl. 2012, L 94, S. 49) lauten:

„(1)

Der Vertrag über die Europäische Union (EUV) stärkt die Unionsbürgerschaft und führt zu einer weiteren Verbesserung der demokratischen Funktionsweise der Union, indem unter anderem festgelegt wird, dass jeder Bürger das Recht hat, sich über eine europäische Bürgerinitiative am demokratischen Leben der Union zu beteiligen. Ähnlich wie das Recht, das dem Europäischen Parlament gemäß Artikel 225 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) und dem Rat gemäß Artikel 241 AEUV eingeräumt wird, bietet dieses Verfahren den Bürgern die Möglichkeit, sich direkt mit der Aufforderung an die Europäische Kommission zu wenden, einen Vorschlag für einen Rechtsakt der Union zur Umsetzung der Verträge zu unterbreiten.

(2)

Die für die Bürgerinitiative erforderlichen Verfahren und Bedingungen sollten klar, einfach, benutzerfreundlich und dem Wesen der Bürgerinitiative angemessen sein, um die Bürger zur Teilnahme zu ermutigen und die Union zugänglicher zu machen. Sie sollten einen vernünftigen Ausgleich zwischen Rechten und Pflichten schaffen.

(4)

Die Kommission sollte den Bürgern auf Antrag Informationen und informelle Beratung zu Bürgerinitiativen bereitstellen, insbesondere was die Kriterien der Registrierung betrifft.

(10)

Um bei geplanten Bürgerinitiativen Kohärenz und Transparenz zu gewährleisten und eine Situation zu vermeiden, in der Unterschriften für eine geplante Bürgerinitiative gesammelt werden, die nicht den in dieser Verordnung festgelegten Bedingungen entspricht, sollte es verpflichtend sein, diese Initiativen auf einer von der Kommission zur Verfügung gestellten Website vor Sammlung der notwendigen Unterstützungsbekundungen von Bürgern zu registrieren. Alle geplanten Bürgerinitiativen, die den in dieser Verordnung festgelegten Bedingungen entsprechen, sollten von der Kommission registriert werden. Die Kommission sollte die Registrierung gemäß den allgemeinen Grundsätzen guter Verwaltungspraxis vornehmen.“

3

Art. 1 der Verordnung Nr. 211/2011 bestimmt:

„Diese Verordnung legt die Verfahren und Bedingungen für eine Bürgerinitiative gemäß Artikel 11 EUV und Artikel 24 AEUV fest.“

4

In Art. 2 dieser Verordnung heißt es:

„Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck

1.

‚Bürgerinitiative‘ eine Initiative, die der Kommission gemäß dieser Verordnung vorgelegt wird und in der die Kommission aufgefordert wird, im Rahmen ihrer Befugnisse geeignete Vorschläge zu Themen zu unterbreiten, zu denen es nach Ansicht von Bürgern eines Rechtsakts der Union bedarf, um die Verträge umzusetzen, und die die Unterstützung von mindestens einer Million teilnahmeberechtigten Unterzeichnern aus mindestens einem Viertel aller Mitgliedstaaten erhalten hat;

3.

‚Organisatoren‘ natürliche Personen, die einen Bürgerausschuss bilden, der für die Vorbereitung einer Bürgerinitiative sowie ihre Einreichung bei der Kommission verantwortlich ist.“

5

Art. 4 Abs. 1 bis 3 der Verordnung sieht vor:

„(1)   Bevor sie mit der Sammlung von Unterstützungsbekundungen bei Unterzeichnern für eine geplante Bürgerinitiative beginnen, sind die Organisatoren verpflichtet, sie bei der Kommission anzumelden, wobei sie die in Anhang II genannten Informationen, insbesondere zum Gegenstand und zu den Zielen der geplanten Bürgerinitiative, bereitstellen.

Diese Informationen sind in einer der Amtssprachen der Union in einem zu diesem Zweck von der Kommission zur Verfügung gestellten Online-Register (nachstehend ‚Register‘ genannt) bereitzustellen.

Die Organisatoren stellen für das Register und – soweit zweckmäßig – auf ihrer Website regelmäßig aktualisierte Informationen über die Quellen der Unterstützung und Finanzierung für die geplante Bürgerinitiative bereit.

Nach Bestätigung der Registrierung gemäß Absatz 2 können die Organisatoren die geplante Bürgerinitiative zur Aufnahme in das Register in anderen Amtssprachen der Union bereitstellen. Die Übersetzung der geplanten Bürgerinitiative in andere Amtssprachen der Union fällt in die Verantwortung der Organisatoren.

Die Kommission richtet eine Kontaktstelle ein, die Informationen und Hilfe anbietet.

(2)   Binnen zwei Monaten nach Eingang der in Anhang II genannten Informationen registriert die Kommission eine geplante Bürgerinitiative unter einer eindeutigen Identifikationsnummer und sendet eine entsprechende Bestätigung an die Organisatoren, sofern die folgenden Bedingungen erfüllt sind:

b)

die geplante Bürgerinitiative liegt nicht offenkundig außerhalb des Rahmens, in dem die Kommission befugt ist, einen Vorschlag für einen Rechtsakt der Union vorzulegen, um die Verträge umzusetzen;

(3)   Die Kommission verweigert die Registrierung, wenn die in Absatz 2 festgelegten Bedingungen nicht erfüllt sind.

Wenn die Kommission es ablehnt, eine geplante Bürgerinitiative zu registrieren, unterrichtet sie die Organisatoren über die Gründe der Ablehnung und alle möglichen gerichtlichen und außergerichtlichen Rechtsbehelfe, die ihnen zur Verfügung stehen.“

Vorgeschichte des Rechtsstreits und streitiger Beschluss

6

Die Vorgeschichte des Rechtsstreits, wie sie sich aus dem angefochtenen Urteil ergibt, lässt sich wie folgt zusammenfassen.

7

Am 13. Juli 2012 übermittelte Herr Anagnostakis der Kommission eine geplante europäische Bürgerinitiative (EBI) mit dem Titel „Eine Million Unterschriften für ein Europa der Solidarität“.

8

Gegenstand der geplanten EBI war die unionsrechtliche Festschreibung des „Prinzips der Notlage“, wonach dann, wenn „die finanzielle und politische Existenz eines Staates in Gefahr gerät, weil dieser versucht, einer verabscheuungswürdigen Schuld nachzukommen …, … die Zurückweisung der Zahlung notwendig und gerechtfertigt [wird]“.

9

Als Rechtsgrundlage für die Einführung dieses Prinzips wurde in der geplanten EBI die „Wirtschafts- und Währungspolitik (Art. 119 bis 144 AEUV)“ benannt.

10

Mit dem streitigen Beschluss lehnte die Kommission unter Hinweis auf den Wortlaut von Art. 4 Abs. 2 der Verordnung Nr. 211/2011 sowie auf die von ihr vorgenommene Prüfung der in der geplanten EBI geltend gemachten Bestimmungen des AEU-Vertrags, insbesondere des Art. 136 Abs. 1 AEUV, sowie „aller anderen denkbaren Rechtsgrundlagen“ die Registrierung der EBI mit der Begründung ab, dass diese offenkundig außerhalb des Rahmens liege, in dem die Kommission befugt sei, einen Vorschlag für einen Rechtsakt der Union vorzulegen, um die Verträge umzusetzen.

Verfahren vor dem Gericht und angefochtenes Urteil

11

Mit am 11. Oktober 2012 bei der Kanzlei des Gerichts eingereichter Klageschrift erhob Herr Anagnostakis Klage auf Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses.

12

Er stützte seine Klage auf einen einzigen, in mehrere Teile gegliederten Grund, mit dem er rügte, der Kommission seien Rechtsfehler unterlaufen, als sie die Registrierung der geplanten EBI auf der Grundlage von Art. 4 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 211/2011 abgelehnt habe. Insoweit machte er im Wesentlichen geltend, die Kommission könne der geplanten EBI Folge leisten, indem sie den Erlass eines Rechtsakts auf der Grundlage von Art. 122 Abs. 1 und 2 und Art. 136 Abs. 1 Buchst. b AEUV sowie der Regeln des Völkerrechts vorschlage.

13

Mit dem angefochtenen Urteil befand das Gericht, das von Amts wegen den Gesichtspunkt einer fehlenden oder unzureichenden Begründung prüfte, dass die Kommission bei dem Erlass des streitigen Beschlusses die Begründungspflicht beachtet habe. Ferner war es der Ansicht, die Kommission habe rechtsfehlerfrei angenommen, dass die geplante EBI offenkundig außerhalb der Befugnisse liege, aufgrund deren sie einen entsprechenden Rechtsakt vorschlagen könne. Demzufolge hat es die Klage als unbegründet abgewiesen.

Anträge der Parteien

14

Mit seinem Rechtsmittel beantragt Herr Anagnostakis,

das angefochtene Urteil aufzuheben;

den streitigen Beschluss für nichtig zu erklären;

der Kommission aufzugeben, die geplante EBI zu registrieren sowie jede andere rechtlich erforderliche Maßnahme zu veranlassen, und

der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

15

Die Kommission beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen und Herrn Anagnostakis die Kosten aufzuerlegen.

Zum Rechtsmittel

16

Der Rechtsmittelführer führt für sein Rechtsmittel vier Gründe an. Mit dem ersten Rechtsmittelgrund rügt er einen Rechtsfehler insoweit, als das Gericht befunden habe, dass die Kommission beim Erlass des streitigen Beschlusses der Begründungspflicht genügt habe. Die Rechtsmittelgründe zwei bis vier beziehen sich auf die Kontrolle der Rechtmäßigkeit dieses Beschlusses und werden auf eine fehlerhafte Auslegung des Art. 122 AEUV, des Art. 136 Abs. 1 AEUV und der Regeln des Völkerrechts gestützt.

Zum ersten Rechtsmittelgrund: Rechtsfehler, was die Frage der ausreichenden Begründung des streitigen Beschlusses betrifft

Vorbringen der Parteien

17

Mit seinem ersten Rechtsmittelgrund macht der Rechtsmittelführer geltend, das Gericht habe einen Rechtsfehler begangen, indem es in den Rn. 28 bis 32 und 34 des angefochtenen Urteils befunden habe, dass der streitige Beschluss den Anforderungen genüge, die sich aus der Begründungspflicht, wie sie in Art. 296 AEUV verankert sei, ergäben.

18

Zunächst irre das Gericht mit seiner Annahme in Rn. 28 des angefochtenen Urteils, wonach die schlichte Bezugnahme in dem streitigen Beschluss auf Art. 4 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 211/2011 durch die Kommission im Hinblick auf die Rechtsprechung zur Begründungspflicht eine ausreichende Begründung darstelle. Eine solche Bezugnahme sei nämlich keine ausführliche und klare Begründung dafür, dass das Fehlen einer Befugnis der Kommission „offenkundig“ im Sinne der genannten Bestimmung sei.

19

Hierfür genüge sodann auch nicht die Feststellung des Gerichts in Rn. 27 des angefochtenen Urteils, dass die Kommission eine „eingehende … Prüfung der in [der geplanten Bürgerinitiative] genannten Vertragsbestimmungen (Art. 119 [AEUV] bis 144 AEUV) und aller anderen denkbaren Rechtsgrundlagen“ vorgenommen habe.

20

Das Gleiche gelte auch für die Bezugnahme auf Art. 136 Abs. 1 AEUV in dem streitigen Beschluss.

21

Schließlich habe das Gericht einen Rechtsfehler begangen, indem es in den Rn. 30 und 31 des angefochtenen Urteils die Ansicht vertreten habe, dass die Begründung des streitigen Beschlusses im Hinblick auf dessen Art und den Kontext, in dem er erlassen worden sei, ausreichend sei. Diese Argumentation des Gerichts stehe zum einen in keinem Zusammenhang mit der Offenkundigkeit des Fehlens einer Befugnis der Kommission. Zum anderen stelle sie fälschlicherweise zwischen dem in Rn. 30 des angefochtenen Urteils angesprochenen angeblichen Fehlen an „Klarheit und Genauigkeit hinsichtlich der behaupteten Rechtsgrundlage für die Befugnis der Kommission, einen Vorschlag für einen Rechtsakt … vorzulegen“, und der Verpflichtung zur Angabe der dem streitigen Beschluss zugrunde liegenden Gründe eine kausale Verknüpfung her.

22

Die Kommission pflichtet der mit dem ersten Rechtsmittelgrund beanstandeten Begründung des Gerichts bei und vertritt die Auffassung, dass dieser Rechtsmittelgrund als unbegründet zurückzuweisen sei.

Würdigung durch den Gerichtshof

23

Eingangs ist daran zu erinnern, dass der durch den Vertrag von Lissabon eingeführte Art. 11 Abs. 4 EUV den Unionsbürgerinnen und Unionsbürgern das Recht zuerkennt, unter bestimmten Voraussetzungen die Initiative zu ergreifen und die Kommission aufzufordern, im Rahmen ihrer Befugnisse geeignete Vorschläge zu Themen zu unterbreiten, zu denen es nach Ansicht jener Bürgerinnen und Bürger eines Rechtsakts der Union bedarf, um die Verträge umzusetzen.

24

Das Recht, eine EBI zu ergreifen, ist – wie insbesondere auch das Petitionsrecht beim Parlament – ein Instrument bezüglich des in Art. 10 Abs. 3 EUV vorgesehenen Rechts der Bürgerinnen und Bürger, am demokratischen Leben der Union teilzunehmen, indem es ihnen erlaubt, sich unmittelbar mit einer Eingabe an die Kommission zu wenden, in der diese aufgefordert wird, einen Vorschlag für einen Rechtsakt der Union zu unterbreiten, um die Verträge umzusetzen.

25

Die für eine EBI geltenden Verfahren und Bedingungen sind gemäß Art. 24 Abs. 1 AEUV in der Verordnung Nr. 211/2011 näher geregelt worden. Art. 4 dieser Verordnung legt die Bedingungen für die Registrierung einer geplanten EBI durch die Kommission fest.

26

Als eine dieser Bedingungen sieht Art. 4 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 211/2011 vor, dass eine geplante EBI von der Kommission registriert wird, sofern sie „nicht offenkundig außerhalb des Rahmens [liegt], in dem die Kommission befugt ist, einen Vorschlag für einen Rechtsakt der Union vorzulegen, um die Verträge umzusetzen“.

27

In Anwendung dieser Bestimmung lehnte die Kommission mit dem streitigen Beschluss die Registrierung der ihr vom Rechtsmittelführer vorgelegten geplanten EBI ab.

28

Insoweit ist, da der Rechtsmittelführer mit seinem ersten Rechtsmittelgrund geltend macht, dass das Gericht einen Rechtsfehler begangen habe, indem es der Ansicht gewesen sei, dass der streitige Beschluss mit einer ausreichenden Begründung versehen sei, hervorzuheben, dass die Verpflichtung zur Unterrichtung der Organisatoren über die Gründe für die Ablehnung der Registrierung ihrer geplanten EBI, wie sie in Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 211/2011 vorgesehen ist, die spezifische Ausprägung der in Art. 296 AEUV verankerten Pflicht zur Begründung von Rechtsakten in Bezug auf die EBI darstellt. Nach ständiger Rechtsprechung zu diesem Artikel muss die Begründung der Natur des betreffenden Rechtsakts angepasst sein und die Überlegungen des Organs, das den Rechtsakt erlassen hat, so klar und eindeutig zum Ausdruck bringen, dass die Betroffenen ihr die Gründe für die erlassene Maßnahme entnehmen können und das zuständige Gericht seine Kontrollaufgabe wahrnehmen kann (vgl. u. a. Urteil vom 6. März 2003, Interporc/Kommission, C‑41/00 P, EU:C:2003:125, Rn. 55).

29

Ebenfalls nach ständiger Rechtsprechung ist das Begründungserfordernis nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen. In der Begründung brauchen nicht alle tatsächlich oder rechtlich einschlägigen Gesichtspunkte genannt zu werden, da die Frage, ob die Begründung eines Rechtsakts den Erfordernissen des Art. 296 AEUV genügt, nicht nur anhand seines Wortlauts zu beurteilen ist, sondern auch anhand seines Kontexts sowie sämtlicher Rechtsvorschriften auf dem betreffenden Gebiet (Urteile vom 29. September 2011, Elf Aquitaine/Kommission, C‑521/09 P, EU:C:2011:620, Rn. 150, und vom 21. Dezember 2016, Club Hotel Loutraki u. a./Kommission, C‑131/15 P, EU:C:2016:989, Rn. 47).

30

Diese in den Rn. 22 bis 24 des angefochtenen Urteils zutreffend in Erinnerung gerufenen Grundsätze sind der Maßstab für die Prüfung, ob das Gericht einen Rechtsfehler begangen hat, indem es der Ansicht war, dass die Kommission bei dem Erlass des streitigen Beschlusses die Begründungspflicht beachtet habe.

31

Im vorliegenden Fall steht, wie vom Gericht in Rn. 28 des angefochtenen Urteils ausgeführt, fest, dass ausweislich des streitigen Beschlusses die Nichterfüllung der in Art. 4 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 211/2011 vorgesehenen Bedingung der Grund für die Ablehnung der Registrierung der geplanten EBI war. Dazu hieß es in dem streitigen Beschluss, dass sich die Kommission weder durch die in der geplanten EBI angeführten Bestimmungen über die Wirtschafts- und Währungspolitik der Union, nämlich die Art. 119 bis 144 AEUV, noch durch irgendeine andere Rechtsgrundlage ermächtigt gesehen habe, einen Vorschlag in dem mit der geplanten EBI begehrten Sinne für einen Rechtsakt der Union vorzulegen, um die Verträge umzusetzen. In diesem Zusammenhang äußerte sich die Kommission insbesondere zu Art. 136 Abs. 1 AEUV und legte die Gründe dar, weshalb ihrer Auffassung nach diese Bestimmung insoweit keine geeignete Rechtsgrundlage darstellen konnte.

32

Anders als der Rechtsmittelführer offenbar meint, war das Gericht nicht der Ansicht, dass jeder dieser Punkte des streitigen Beschlusses für sich genommen eine Begründung darstelle, die ausreiche, um den Anforderungen der Rechtsprechung in Bezug auf die Begründungspflicht zu genügen. Es war in den Rn. 30 und 31 des angefochtenen Urteils auch nicht der Ansicht, dass sich eine derartige Begründung als solche aus der Art des in Rede stehenden Rechtsakts und dem Kontext, in dem er erlassen worden sei, ergebe.

33

Das Gericht hat vielmehr im Einklang mit der oben in den Rn. 28 und 29 angeführten einschlägigen Rechtsprechung des Gerichtshofs geprüft, ob die Begründung des streitigen Beschlusses unter Berücksichtigung aller darin enthaltenen Anhaltspunkte und in Anbetracht der Fallumstände, insbesondere der Art dieses Beschlusses und des Kontexts, in dem er erlassen wurde, den Anforderungen des Art. 296 AEUV genügte.

34

Insoweit hat es in den Rn. 25 und 26 des angefochtenen Urteils im Wesentlichen hervorgehoben, dass die Kommission in Anbetracht der Natur des Rechts auf eine EBI und der Auswirkungen, die ein Beschluss über die Ablehnung der Registrierung einer geplanten EBI auf das demokratische Leben der Union haben könne, einen Beschluss, mit dem sie die Registrierung einer geplanten EBI ablehne, so zu begründen habe, dass daraus die Gründe, die diese Ablehnung rechtfertigten, klar hervorgingen. Somit muss in dieser Begründung, wenn die besagte Ablehnung wie im vorliegenden Fall auf Art. 4 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 211/2011 gestützt wird, ausgeführt werden, weshalb die Kommission der Ansicht ist, dass die geplante EBI offenkundig außerhalb des Rahmens liegt, in dem sie befugt ist, einen Vorschlag für einen Rechtsakt der Union vorzulegen, um die Verträge umzusetzen.

35

In diesem Rahmen ist die Kommission, wenn die Organisatoren der EBI gemäß Anhang II der Verordnung Nr. 211/2011 im Anhang der von ihnen geplanten EBI genauere Informationen zu deren Gegenstand, Zielen und Hintergrund zur Verfügung stellen, gehalten, diese Informationen sorgfältig und unparteiisch zu prüfen.

36

Das Gericht hat jedoch in den Rn. 30 und 31 des angefochtenen Urteils auch deutlich herausgestellt, dass die geplante EBI insoweit sehr knapp gehalten gewesen sei und es ihr an Klarheit gefehlt habe, als darin hinsichtlich der Frage nach der Rechtsgrundlage für den Erlass des mit ihr angestrebten Rechtsakts der Union im Wesentlichen nur pauschal auf die Art. 119 bis 144 AEUV über die Wirtschafts- und Währungspolitik der Union verwiesen worden sei, ohne im Geringsten den Zusammenhang zwischen dem Inhalt dieser geplanten Initiative und den 26 Artikeln des AEU-Vertrags, auf die darin Bezug genommen worden sei, zu erläutern oder deutlich zu machen.

37

Insoweit ist zu betonen, dass die Organisatoren, auch wenn die Website der Kommission nur eine pauschale Auswahl der Rubrik „Wirtschaft und Währung Artikel 119-144 AEUV“ zuließ, nach Anhang II der Verordnung Nr. 211/2011 doch in einem Anhang genauere Informationen zur Einschlägigkeit dieser Artikel im Hinblick auf den Inhalt der geplanten EBI zur Verfügung hätten stellen können. Sie tragen nicht vor, dass sie dies getan hätten.

38

Unter diesen Umständen kann dem Gericht aber nicht vorgeworfen werden, es habe die oben in den Rn. 28 und 29 angeführte Rechtsprechung missachtet, indem es in Rn. 31 des angefochtenen Urteils befunden habe, dass sich die Kommission berechtigterweise nur zu derjenigen der in der geplanten EBI pauschal geltend gemachten Bestimmungen geäußert habe, die ihr am ehesten relevant erschienen sei, also Art. 136 Abs. 1 AEUV, ohne dass sie eine spezifische Begründung im Hinblick auf jede einzelne der genannten Bestimmungen oder gar Gründe für die mangelnde Einschlägigkeit jeder anderen Bestimmung des AEU-Vertrags hätte anführen müssen.

39

Unter diesen Voraussetzungen konnte das Gericht in Rn. 32 des angefochtenen Urteils zu Recht feststellen, dass der streitige Beschluss in Anbetracht des Kontexts, in dem er erlassen worden sei, hinreichende Angaben enthalte, aus denen der Rechtsmittelführer die Gründe für die Ablehnung der Registrierung der geplanten EBI ersehen könne und die es dem Unionsrichter ermöglichten, seine Kontrolle auszuüben.

40

In letzterer Hinsicht ergibt sich aus dem angefochtenen Urteil klar, dass das Gericht seine Kontrolle in Bezug auf den streitigen Beschluss tatsächlich ausüben konnte, was auch hinsichtlich der Frage gilt, ob Art. 122 AEUV, obwohl in der geplanten EBI auf ihn nicht spezifisch abgestellt worden war, eine Rechtsgrundlage für die Maßnahme, die Gegenstand der geplanten EBI war, darstellen konnte.

41

Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass das Gericht keinen Rechtsfehler begangen hat, indem es in Rn. 34 des angefochtenen Urteils befunden hat, dass die Kommission unter den gegebenen Umständen bei dem Erlass des streitigen Beschlusses die ihr obliegende Begründungspflicht eingehalten habe.

42

Der Rechtsmittelführer wendet sich außerdem insoweit gegen die Begründung des streitigen Beschlusses, als die geplante EBI nicht offenkundig außerhalb der Befugnisse liege, die die Kommission nach den in diesem Beschluss genannten Bestimmungen habe. Dieses Vorbringen betrifft jedoch nicht die Begründungspflicht als wesentliches Formerfordernis, sondern die davon zu unterscheidende Frage der Stichhaltigkeit der Begründung, die eine Frage der materiellen Rechtmäßigkeit des streitigen Beschlusses ist (Urteil vom 29. September 2011, Elf Aquitaine/Kommission, C‑521/09 P, EU:C:2011:620, Rn. 146 und die dort angeführte Rechtsprechung). Das besagte Vorbringen ist daher im Rahmen des Eingehens auf die Rechtsmittelgründe zwei bis vier zu prüfen.

43

Nach alledem ist der erste Rechtsmittelgrund als unbegründet zurückzuweisen.

Zu den Rechtsmittelgründen zwei bis vier: Rechtsfehler bei der Kontrolle der Begründetheit des streitigen Beschlusses

Vorbemerkungen

44

Mit seinen Rechtsmittelgründen zwei bis vier beanstandet der Rechtsmittelführer, das Gericht habe aufgrund einer fehlerhaften Auslegung von Art. 122 AEUV und Art. 136 Abs. 1 AEUV sowie der Regeln des Völkerrechts angenommen, dass die in Art. 4 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 211/2011 aufgestellte Bedingung im vorliegenden Fall nicht erfüllt sei.

45

Eingangs ist, was erstens das Verfahren der Registrierung einer geplanten EBI betrifft, darauf hinzuweisen, dass die Kommission nach Art. 4 der Verordnung Nr. 211/2011 zu prüfen hat, ob eine geplante EBI die Bedingungen für die Registrierung erfüllt, die u. a. in Abs. 2 Buchst. b dieses Artikels genannt werden. Dabei sind nach den Abs. 1 und 2 des besagten Artikels die Informationen zum Gegenstand und zu den Zielen der geplanten EBI zu berücksichtigen, die von deren Organisatoren gemäß Anhang II der Verordnung Nr. 211/2011 entweder obligatorisch oder fakultativ bereitgestellt werden.

46

Dazu ist festzuhalten, dass die Kommission, wie sich aus dem vierten Erwägungsgrund und aus Art. 4 Abs. 1 letzter Unterabsatz der Verordnung Nr. 211/2011 ergibt, im Rahmen dieses Registrierungsverfahrens gehalten ist, den Organisatoren einer EBI, insbesondere was die Kriterien der Registrierung betrifft, ihre Hilfe und Beratung anzubieten.

47

Sodann ist hervorzuheben, dass entsprechend dem Hinweis im zehnten Erwägungsgrund dieser Verordnung der Beschluss über die Registrierung einer geplanten EBI im Sinne des Art. 4 dieser Verordnung gemäß dem Grundsatz guter Verwaltungspraxis zu ergehen hat, der insbesondere die Verpflichtung des zuständigen Organs zu einer sorgfältigen und unparteiischen Untersuchung umfasst, die außerdem alle relevanten Gesichtspunkte des Einzelfalls berücksichtigt.

48

Diese sich aus dem Grundsatz der ordnungsgemäßen Verwaltung ergebenden Anforderungen gelten generell für das Handeln der Unionsverwaltung in ihren Beziehungen zur Öffentlichkeit (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. April 2017, Bürgerbeauftragter/Staelen, C‑337/15 P, EU:C:2017:256, Rn. 34) und somit auch im Kontext des Rechts, eine EBI als Instrument der Teilnahme der Bürgerinnen und Bürger am demokratischen Leben der Union zu unterbreiten.

49

Außerdem muss im Einklang mit den mit diesem Instrument verfolgten Zielen, wie sie in den Erwägungsgründen 1 und 2 der Verordnung Nr. 211/2011 angeführt werden und die insbesondere darin bestehen, die Bürger zur Teilnahme zu ermutigen und die Union zugänglicher zu machen, die in Art. 4 Abs. 2 Buchst. b dieser Verordnung vorgesehene Bedingung für die Registrierung von der Kommission, an die eine geplante EBI herangetragen wird, so ausgelegt und angewandt werden, dass eine leichte Zugänglichkeit der EBI sichergestellt ist.

50

Demzufolge darf die Kommission die Registrierung einer geplanten EBI nach Art. 4 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 211/2011 nur dann ablehnen, wenn die geplante EBI in Anbetracht ihres Gegenstands und ihrer Ziele, wie sie aus den obligatorischen und gegebenenfalls den zusätzlichen Informationen hervorgehen, die von den Organisatoren gemäß Anhang II dieser Verordnung bereitgestellt worden sind, offenkundig außerhalb des Rahmens liegt, in dem die Kommission befugt ist, einen Vorschlag für einen Rechtsakt der Union vorzulegen, um die Verträge umzusetzen.

51

Nach dieser Klarstellung sind zweitens die Grenzen der Kontrolle abzustecken, zu deren Ausübung der Gerichtshof im Rahmen des vorliegenden Rechtsmittels befugt ist.

52

Wie nämlich der Generalanwalt insbesondere in den Nrn. 7, 31 und 40 seiner Schlussanträge festgestellt hat, hat der Rechtsmittelführer im vorliegenden Verfahren vor dem Gerichtshof seine Ausführungen zum Gegenstand der geplanten EBI und zu der insoweit geeigneten Rechtsgrundlage erheblich weiterentwickelt und geltend gemacht, das Gericht habe im angefochtenen Urteil mehrfach Feststellungen zu diesem Thema getroffen, die entweder unzutreffend oder unvollständig seien.

53

Als Erstes ist, wie es der Generalanwalt namentlich in Nr. 30 seiner Schlussanträge getan hat, hervorzuheben, dass die Stichhaltigkeit der Ausführungen, die das Gericht im angefochtenen Urteil im Rahmen seiner Kontrolle der Begründetheit des streitigen Beschlusses gemacht hat, nur anhand der Angaben beurteilt werden kann, die von den Organisatoren der geplanten EBI anlässlich der Anmeldung der EBI bei der Kommission bereitgestellt worden waren, und nicht im Licht der Klarstellungen, die vom Rechtsmittelführer erst im Rahmen des vorliegenden Rechtsmittels vorgetragen worden sind.

54

Wie das Gericht in Rn. 3 des angefochtenen Urteils und spezifischer auch andernorts im angefochtenen Urteil festgestellt hat, beschränkten sich diese Angaben darauf, den Gegenstand der geplanten EBI dahin zu beschreiben, dass in den Rechtsvorschriften der Union das „Prinzip der Notlage“ festgeschrieben werden solle, wonach dann, wenn „die finanzielle und politische Existenz eines Staates in Gefahr gerät, weil dieser versucht, einer verabscheuungswürdigen Schuld nachzukommen …, … die Zurückweisung der Zahlung notwendig und gerechtfertigt [wird]“, und pauschal auf die Art. 119 bis 144 AEUV als Rechtsgrundlage für die Verankerung dieses Prinzips zu verweisen.

55

Als Zweites ist es auch ständige Rechtsprechung, dass der Gerichtshof im Rechtsmittelverfahren grundsätzlich nur dazu befugt ist, die rechtliche Entscheidung über die im ersten Rechtszug erörterten Klage- und Verteidigungsgründe zu beurteilen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 30. April 2014, FLSmidth/Kommission, C‑238/12 P, EU:C:2014:284, Rn. 42, und vom 22. Mai 2014, ASPLA/Kommission, C‑35/12 P, EU:C:2014:348, Rn. 39).

56

Im vorliegenden Fall stützte der Rechtsmittelführer aber, wie oben in Rn. 12 ausgeführt, den einzigen Klagegrund, den er vor dem Gericht geltend machte, auf Art. 122 Abs. 1 und 2 AEUV, Art. 136 Abs. 1 AEUV sowie die Regeln des Völkerrechts.

57

Demzufolge hat sich der Gerichtshof bei der Prüfung des Vorbringens, mit dem dargetan werden soll, dass die Annahme des Gerichts falsch ist, wonach es im Unionsrecht für die Einführung des Prinzips, auf das die geplante EBI abstelle, keine geeignete Rechtsgrundlage gebe, auf das Vorbringen zu beschränken, das zeigen soll, dass das Gericht Art. 122 und Art. 136 Abs. 1 AEUV sowie die Regeln des Völkerrechts falsch ausgelegt hat.

Zum zweiten Rechtsmittelgrund: Rechtsfehler bei der Auslegung von Art. 122 AEUV

– Vorbringen der Parteien

58

Mit seinem zweiten Rechtsmittelgrund, der vier Teile umfasst, beanstandet der Rechtsmittelführer, das Gericht habe in den Rn. 41 bis 43 und 47 bis 50 des angefochtenen Urteils Art. 122 Abs. 1 und 2 AEUV falsch ausgelegt, indem es unter Verkennung des Art. 4 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 211/2011 befunden habe, dass die betreffenden Bestimmungen offenkundig keine Rechtsgrundlage für die Verankerung des Prinzips, das Gegenstand der geplanten EBI sei, in den Rechtsvorschriften der Union darstellten.

59

Erstens habe das Gericht, indem es Art. 122 AEUV einzeln und losgelöst vom Kontext der Art. 119 bis 126 AEUV ausgelegt habe, dem Geist von Kapitel 1 („Wirtschaftspolitik“) des Titels VIII des dritten Teils des AEU-Vertrags nicht Rechnung getragen, dessen Grundprinzip es sei, dass die Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten in die Zuständigkeit der nationalen Regierungen falle und konzertiert werden müsse.

60

Unter anderem ergebe sich aus Art. 122 Abs. 1 und 2 AEUV, dass die Maßnahmen, deren Erlass auf der Grundlage dieses Artikels die Kommission dem Rat vorschlagen könne, Korrektur- oder Präventivmaßnahmen sein könnten und zum Ziel hätten, gravierenden Schwierigkeiten oder dem ernstlichen Drohen solcher Schwierigkeiten, die die Ziele der Union zu gefährden drohten, entgegenzuwirken. Indem aber das Gericht diesen Artikel aus seinem Kontext gelöst habe, habe es einen Rechtsfehler begangen.

61

Zweitens verleihe Art. 122 Abs. 1 AEUV, der im Übrigen den Grundsatz der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten aufstelle, der Kommission ein weites Ermessen, um den Erlass von angemessenen Maßnahmen vorzuschlagen, damit gravierenden Schwierigkeiten eines Mitgliedstaats begegnet werden könne. Die Aufnahme des Prinzips der Notlage in einen Text der Union sei eine solche angemessene Maßnahme. Indem das Gericht dennoch angenommen habe, dass die geplante EBI offenkundig außerhalb des Rahmens der Befugnisse der Kommission liege, habe es Art. 122 AEUV falsch ausgelegt.

62

Drittens wendet sich der Rechtsmittelführer zunächst gegen die auf das Urteil vom 27. November 2012, Pringle (C‑370/12, EU:C:2012:756), gestützte Argumentation des Gerichts in Rn. 41 des angefochtenen Urteils. Das Gericht habe einen Rechtsfehler begangen, indem es die Maßnahme, die mit der geplanten EBI vorgeschlagen werde, und den Europäischen Stabilitätsmechanismus (im Folgenden: ESM), um den es in dem genannten Urteil konkret gehe und der sich grundlegend von dieser Maßnahme unterscheide, verglichen habe. Die geplante EBI habe lediglich die unionsrechtliche Festschreibung des Prinzips der Notlage im Licht der gravierenden Schwierigkeiten der Hellenischen Republik aufgrund ihrer Schulden zum Gegenstand und nicht die Schaffung eines Finanzierungsmechanismus wie des ESM.

63

Sodann macht der Rechtsmittelführer geltend, die vom Gericht in Rn. 42 des angefochtenen Urteils vorgenommene Würdigung, wonach Art. 122 Abs. 1 AEUV impliziere, dass die darin genannten Maßnahmen „auf dem Beistand zwischen den Mitgliedstaaten beruhen“, sei rechtlich falsch. Die Lektüre dieses Artikels ergebe, dass der darin angesprochene Geist der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten entgegen der Annahme des Gerichts nicht gleichbedeutend mit einem finanziell verstandenen Beistand zwischen den Mitgliedstaaten sei.

64

Viertens habe das Gericht Rechtsfehler begangen, als es in den Rn. 47 bis 49 des angefochtenen Urteils erneut das Urteil vom 27. November 2012, Pringle (C‑370/12, EU:C:2012:756), herangezogen habe, um zu dem Ergebnis zu gelangen, dass die Zielsetzung der geplanten EBI von Art. 122 Abs. 2 AEUV offenkundig nicht erfasst werde.

65

Zunächst sei die unionsrechtliche Festschreibung des Prinzips der Notlage in mehrerlei Hinsicht nicht mit dem ESM vergleichbar. Sodann sei das Gericht zu Unrecht der Ansicht gewesen, dass das Verfahren im Zusammenhang mit der Erklärung einer Notlage von den Mitgliedstaaten und nicht der Union initiiert werde. In der geplanten EBI werde nämlich angegeben, dass es die Union sei, die eine solche Erklärung im Geist der Solidarität billige. Schließlich habe das Gericht in Rn. 49 des angefochtenen Urteils zu Unrecht festgestellt, dass die Verankerung des Prinzips der Notlage nicht nur für die Schulden eines Mitgliedstaats gegenüber der Union gelten würde, sondern auch für die Schulden, die dieser Staat bei anderen juristischen oder natürlichen, öffentlich-rechtlichen oder privaten Personen habe. Tatsächlich würden von der Einführung dieses Prinzips nur die Schulden eines Mitgliedstaats gegenüber der Union erfasst. Jedenfalls hätte die Kommission der geplanten EBI teilweise nachkommen können, indem sie deren Gegenstand allein auf diese Schulden beschränkt hätte, die offenkundig in den Anwendungsbereich von Art. 122 Abs. 2 AEUV fielen.

66

Nach Ansicht der Kommission ist der zweite Rechtsmittelgrund als unzulässig – soweit er neues Vorbringen enthält – oder jedenfalls als unbegründet zurückzuweisen.

– Würdigung durch den Gerichtshof

67

Einleitend ist daran zu erinnern, dass sich nach ständiger Rechtsprechung die Wahl der Rechtsgrundlage eines Unionsrechtsakts auf objektive, gerichtlich nachprüfbare Umstände gründen muss, zu denen insbesondere Ziel und Inhalt des Rechtsakts gehören (Urteile vom 29. April 2004,Kommission/Rat, C‑338/01, EU:C:2004:253, Rn. 54, vom 19. Juli 2012, Parlament/Rat, C‑130/10, EU:C:2012:472, Rn. 42, und vom 18. Dezember 2014, Vereinigtes Königreich/Rat, C‑81/13, EU:C:2014:2449, Rn. 35).

68

Als Erstes ist, soweit der Rechtsmittelführer mit seinem zweiten Rechtsmittelgrund, dessen Teile gemeinsam zu prüfen sind, beanstandet, das Gericht habe in den Rn. 40 bis 43 des angefochtenen Urteils Rechtsfehler begangen, indem es befunden habe, dass Art. 122 Abs. 1 AEUV keine geeignete Rechtsgrundlage für den Erlass einer Maßnahme, wie sie mit der geplanten EBI ins Auge gefasst werde, darstelle, darauf hinzuweisen, dass der Rat nach dieser Bestimmung auf Vorschlag der Kommission im Geist der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten über die der Wirtschaftslage angemessenen Maßnahmen beschließen kann, insbesondere falls gravierende Schwierigkeiten in der Versorgung mit bestimmten Waren, vor allem im Energiebereich, auftreten.

69

Insoweit hat erstens, wie vom Gericht in Rn. 41 des angefochtenen Urteils zu Recht festgestellt, der Gerichtshof in Rn. 116 des Urteils vom 27. November 2012, Pringle (C‑370/12, EU:C:2012:756), befunden, dass Art. 122 Abs. 1 AEUV keine geeignete Rechtsgrundlage für einen etwaigen finanziellen Beistand der Union für Mitgliedstaaten darstellt, die schwerwiegende Finanzierungsprobleme haben oder denen solche Probleme drohen.

70

Der Rechtsmittelführer macht zwar geltend, der ESM, der Gegenstand der Rechtssache, in der jenes Urteil ergangen sei, gewesen sei, unterscheide sich in mehrerlei Hinsicht von der Maßnahme, die mit der geplanten EBI ins Auge gefasst werde, doch ergibt sich aus dem besagten Urteil gleichwohl, dass von Art. 122 Abs. 1 AEUV Maßnahmen nicht erfasst werden, die im Wesentlichen bezwecken, die Schwere der Finanzierungsschwierigkeiten eines Mitgliedstaats zu mildern.

71

Zweitens ist festzustellen, dass das Gericht auch keinen Rechtsfehler begangen hat, indem es in den Rn. 42 und 43 des angefochtenen Urteils angenommen hat, dass Art. 122 Abs. 1 AEUV in Anbetracht namentlich des Geistes der Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten, von dem gemäß dem Wortlaut dieser Bestimmung der Beschluss von der Wirtschaftslage angemessenen Maßnahmen im Sinne ebendieser Bestimmung geleitet sein müsse, nicht als Grundlage für die Verabschiedung einer Maßnahme oder eines Prinzips dienen könne, durch das im Wesentlichen ein Mitgliedstaat ermächtigt würde, einseitig zu beschließen, dass er alle oder einen Teil seiner Schulden nicht zurückzahle.

72

Soweit der Rechtsmittelführer genauer die Feststellung des Gerichts in Rn. 43 des angefochtenen Urteils beanstandet, wonach mit der geplanten EBI ein mit schwerwiegenden Finanzierungsschwierigkeiten konfrontierter Mitgliedstaat ermächtigt würde, „einseitig zu beschließen“, dass er alle oder einen Teil seiner Schulden nicht zurückzahle, ist festzustellen, dass der Rechtsmittelführer erst im Rahmen des vorliegenden Rechtsmittels vorgebracht hat, dass die Möglichkeit für einen solchen Mitgliedstaat, die Notlage auszurufen, an Bedingungen geknüpft werden könne, die von der Kommission festgelegt würden. Wie aber oben in Rn. 53 betont, kann ein solches Vorbringen bei der Beurteilung der Stichhaltigkeit der Würdigung, die das Gericht in Rn. 43 des angefochtenen Urteils vorgenommen hat, keine Berücksichtigung finden.

73

Daraus folgt, dass das Gericht in den Rn. 40 bis 43 des angefochtenen Urteils rechtsfehlerfrei befunden hat, dass Art. 122 Abs. 1 AEUV keine geeignete Rechtsgrundlage für den Erlass einer Maßnahme darstelle, wie sie mit der geplanten EBI ins Auge gefasst werde.

74

Als Zweites ist, soweit der Rechtsmittelführer mit seinem zweiten Rechtsmittelgrund rügt, das Gericht habe Rechtsfehler begangen, indem es in den Rn. 47 bis 50 des angefochtenen Urteils angenommen habe, dass Art. 122 Abs. 2 AEUV keine geeignete Rechtsgrundlage für den Erlass einer solchen Maßnahme darstelle, darauf hinzuweisen, dass der Rat nach dieser Bestimmung auf Vorschlag der Kommission beschließen kann, einem Mitgliedstaat, der aufgrund von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Ereignissen, die sich seiner Kontrolle entziehen, von Schwierigkeiten betroffen oder von gravierenden Schwierigkeiten ernstlich bedroht ist, unter bestimmten Bedingungen einen finanziellen Beistand der Union zu gewähren.

75

Insoweit ist zunächst festzustellen, dass das Gericht in Rn. 48 des angefochtenen Urteils zu Recht darauf hingewiesen hat, dass der Gerichtshof in den Rn. 65, 104 und 131 des Urteils vom 27. November 2012, Pringle (C‑370/12, EU:C:2012:756), bereits befunden habe, dass Art. 122 Abs. 2 AEUV der Union die Befugnis verleihe, einem Mitgliedstaat, der sich in der beschriebenen Situation befinde, einen punktuellen finanziellen Beistand zu gewähren, diese Bestimmung aber die legislative Einrichtung eines auf das Prinzip der Notlage gestützten Mechanismus der Nichtrückzahlung der Schulden in Anbetracht insbesondere des einem solchen Mechanismus innewohnenden allgemeinen und ständigen Charakters nicht rechtfertigen könne.

76

Was sodann die Rechtsfehler betrifft, die das Gericht nach Ansicht des Rechtsmittelführers in Rn. 49 des angefochtenen Urteils in Bezug auf die Natur des finanziellen Beistands im Sinne des Art. 122 Abs. 2 AEUV begangen haben soll, ist, wie es das Gericht in jener Randnummer des angefochtenen Urteils getan hat, darauf hinzuweisen, dass sich aus Rn. 118 des Urteils vom 27. November 2012, Pringle (C‑370/12, EU:C:2012:756), ergibt, dass diese Bestimmung nur einen von der Union und nicht von den Mitgliedstaaten gewährten finanziellen Beistand zum Gegenstand hat.

77

Demzufolge konnte das Gericht in Rn. 49 des angefochtenen Urteils berechtigterweise davon ausgehen, dass die Verankerung des Prinzips der Notlage, das Gegenstand der geplanten EBI sei, nicht unter den Begriff des Beistands fallen könne, den die Union im Sinne der genannten Bestimmung gewähre, da ein solches Prinzip nicht nur für die Schulden eines Mitgliedstaats gegenüber der Union gelten würde, sondern auch für die Schulden gegenüber anderen öffentlich-rechtlichen oder privaten Personen und damit auch gegenüber Mitgliedstaaten.

78

Soweit der Rechtsmittelführer in diesem Zusammenhang die Feststellung des Gerichts in Frage stellen möchte, dass die Verankerung des Prinzips der Notlage, wie es mit der geplanten EBI ins Auge gefasst werde, nicht nur für die Schulden eines Mitgliedstaats gegenüber der Union gelten würde, ist darauf hinzuweisen, dass er vor dem vorliegenden Rechtsmittelverfahren nie vorgebracht hatte, dass sich die geplante EBI allein auf die Schulden des betroffenen Mitgliedstaats gegenüber der Union beschränke. Außerdem wird dem durch anderes Rechtsmittelvorbringen widersprochen, wonach die geplante EBI darauf abziele, Mitgliedstaaten, die sich in einer Notlage befänden, den Aufschub oder die Streichung eines Teils ihrer Schulden nicht nur gegenüber der Union, sondern auch gegenüber den anderen Mitgliedstaaten zu ermöglichen. Folglich kann dieses Vorbringen keinen Erfolg haben.

79

Schließlich ist das Vorbringen, die Kommission hätte der geplanten EBI teilweise Folge leisten können, da es erstmals im Rechtsmittelstadium geltend gemacht wurde, nach der oben in Rn. 55 angeführten ständigen Rechtsprechung als unzulässig zurückzuweisen.

80

Das Gericht hat also in Rn. 50 des angefochtenen Urteils rechtsfehlerfrei befunden, dass eine Maßnahme, wie sie mit der geplanten EBI ins Auge gefasst werde, offensichtlich nicht zu den Maßnahmen des finanziellen Beistands zähle, die der Rat auf Vorschlag der Kommission auf der Grundlage von Art. 122 Abs. 2 AEUV zu erlassen ermächtigt sei.

81

Nach alledem ist der zweite Rechtsmittelgrund zurückzuweisen.

Zum dritten Rechtsmittelgrund: Rechtsfehler bei der Auslegung von Art. 136 Abs. 1 AEUV

– Vorbringen der Parteien

82

Mit seinem dritten Rechtsmittelgrund beanstandet der Rechtsmittelführer, das Gericht habe in den Rn. 57 bis 60 des angefochtenen Urteils Art. 136 Abs. 1 AEUV falsch ausgelegt. Anders als vom Gericht angenommen, könne die Verankerung des Prinzips der Notlage in den Rechtsvorschriften der Union auf Art. 136 AEUV gestützt werden, der insbesondere das „reibungslose Funktionieren der Wirtschafts- und Währungsunion“ bezwecke.

83

Der Rechtsmittelführer macht insoweit geltend, die Aussage in Rn. 58 des angefochtenen Urteils, dass die Verankerung des Prinzips der Notlage darauf hinausliefe, den freien Willen der Vertragsparteien durch einen gesetzlichen Mechanismus für den einseitigen Erlass von Staatsschulden zu ersetzen, was Art. 136 Abs. 1 AEUV offenkundig nicht gestatte, sei rechtlich falsch. Die Einführung dieses Prinzips erlaube nämlich einem mit gravierenden Schwierigkeiten konfrontierten Mitgliedstaat, die Zahlung aller seiner Schulden vorübergehend aufzuschieben, um seine Wirtschaftspolitik auf Wachstum auszurichten, indem damit wachstumsbegünstigende wirtschaftliche Investitionen gefördert würden, was unstreitig zum reibungslosen Funktionieren der Wirtschafts- und Währungsunion im Sinne von Art. 136 Abs. 1 AEUV beitrage. Der Rechtsmittelführer verweist in diesem Kontext illustrativ auf den Beschluss des Europäischen Rates vom 21. Juli 2011, aus dem hervorgehe, dass der Beschluss über die Streichung von Staatsschulden eines Mitgliedstaats seine Grundlage im Unionsrecht finden könne.

84

Außerdem ermächtige Art. 136 Abs. 1 AEUV den Rat ausdrücklich dazu, Maßnahmen zu ergreifen, um Grundzüge der Wirtschaftspolitik festzulegen. Folglich sei auch die Kommission befugt, dem Rat die Annahme solcher Maßnahmen vorzuschlagen.

85

Daraus folge, dass die geplante EBI nicht offenkundig außerhalb der Befugnisse der Kommission im Sinne des Art. 4 Abs. 2 Buchst. b der Verordnung Nr. 211/2011 liege und dass das Gericht in Rn. 59 des angefochtenen Urteils zu Unrecht angenommen habe, dass die Einführung eines Prinzips der Notlage offenkundig nicht unter Art. 136 Abs. 1 AEUV falle.

86

Zudem könne ein Stabilitäts- und Finanzhilfemechanismus, wie er nach Art. 136 Abs. 3 AEUV zulässig sei, wenn sich die Mitgliedstaaten darauf verständigten, bei einer Notlage eines von ihnen die Aussetzung des Schuldendienstes dieses Mitgliedstaats einschließen. Jedenfalls ermächtige Art. 352 AEUV die Kommission zum Vorschlag einer Maßnahme wie der mit der geplanten EBI bezweckten, die erforderlich sei, um eines der Ziele der Verträge zu verwirklichen, wie die Stabilität des Euro-Währungsgebiets.

87

Nach Ansicht der Kommission ist der dritte Rechtsmittelgrund als teilweise unzulässig und im Übrigen unbegründet zu verwerfen.

– Würdigung durch den Gerichtshof

88

Nach Art. 136 Abs. 1 AEUV kann der Rat im Hinblick auf das reibungslose Funktionieren der Wirtschafts- und Währungsunion für die Mitgliedstaaten, deren Währung der Euro ist, Maßnahmen nach den einschlägigen Bestimmungen der Verträge erlassen, um zum einen, so Buchst. a dieser Bestimmung, die Koordinierung und Überwachung ihrer Haushaltsdisziplin zu verstärken, und zum anderen, so Buchst. b dieser Bestimmung, für diese Staaten Grundzüge der Wirtschaftspolitik auszuarbeiten, wobei darauf zu achten ist, dass diese mit den für die gesamte Union angenommenen Grundzügen der Wirtschaftspolitik vereinbar sind, und ihre Einhaltung zu überwachen.

89

Das Gericht hat keinen Rechtsfehler begangen, indem es in den Rn. 57 und 58 des angefochtenen Urteils entschieden hat, dass die Verankerung des Prinzips der Notlage, wie es mit der geplanten EBI ins Auge gefasst werde, offenkundig nicht unter die Maßnahmen falle, die in der vorstehenden Randnummer beschrieben worden sind.

90

Das Gericht hat nämlich in Rn. 57 des angefochtenen Urteils zu Recht befunden, dass nichts darauf hindeute und der Rechtsmittelführer auch keineswegs nachgewiesen habe, dass der Erlass der mit der geplanten EBI bezweckten Maßnahme die Verstärkung der Koordinierung der Haushaltsdisziplin zum Gegenstand hätte oder zu den Grundzügen der Wirtschaftspolitik gehörte, die der Rat zum Zweck des reibungslosen Funktionierens der Wirtschafts- und Währungsunion ausarbeiten dürfe.

91

Ebenfalls zu Recht hat das Gericht in Rn. 58 des angefochtenen Urteils zum einen darauf hingewiesen, dass sich aus den Rn. 51 und 64 des Urteils vom 27. November 2012, Pringle (C‑370/12, EU:C:2012:756), ergebe, dass die Rolle der Union im Bereich der Wirtschaftspolitik auf den Erlass von Koordinierungsmaßnahmen beschränkt sei, und zum anderen befunden, dass der Erlass einer Maßnahme wie derjenigen, die mit der geplanten EBI ins Auge gefasst werde, sich eindeutig nicht unter den Begriff eines Grundzugs der Wirtschaftspolitik im Sinne des Art. 136 Abs. 1 Buchst. b AEUV fassen ließe, sondern in Wirklichkeit darauf hinausliefe, den freien Willen der Vertragsparteien durch einen gesetzlichen Mechanismus für den einseitigen Erlass von Staatsschulden zu ersetzen, was diese Bestimmung offenkundig nicht gestatte.

92

Daraus folgt, dass das Gericht in Rn. 59 des angefochtenen Urteils berechtigterweise das Ergebnis der Kommission bestätigen konnte, wonach der Vorschlag, das Prinzip der Notlage, wie es sich der Rechtsmittelführer vorstelle, rechtlich festzuschreiben, offenkundig nicht unter Art. 136 Abs. 1 AEUV falle.

93

Soweit der Rechtsmittelführer im Übrigen im Rahmen des dritten Rechtsmittelgrundes nahelegt, dass das Prinzip der Notlage, das mit der geplanten EBI ins Auge gefasst wird, im Unionsrecht auf der Grundlage von Art. 136 Abs. 3 AEUV – gegebenenfalls in Verbindung mit Art. 352 AEUV – eingeführt werden könnte, genügt die Feststellung, dass dieses Vorbringen erst im Stadium des vorliegenden Rechtsmittels geltend gemacht worden ist und daher gemäß der oben in Rn. 55 angeführten ständigen Rechtsprechung hier vom Gerichtshof nicht geprüft werden kann.

94

Demnach ist der dritte Rechtsmittelgrund zurückzuweisen.

Zum vierten Rechtsmittelgrund: Rechtsfehler bei der Auslegung der Regeln des Völkerrechts

– Vorbringen der Parteien

95

Mit dem vierten Rechtsmittelgrund rügt der Rechtsmittelführer, das Gericht habe die Regeln des Völkerrechts falsch ausgelegt, indem es in Rn. 65 des angefochtenen Urteils angenommen habe, dass das Bestehen eines völkerrechtlichen Grundsatzes – wie im vorliegenden Fall des Prinzips der Notlage – jedenfalls nicht als Grundlage für einen Gesetzgebungsvorschlag der Kommission ausreiche. Außerdem habe das Gericht die Begründetheit des Vorbringens zum Bestehen des besagten Prinzips im Völkerrecht nicht geprüft.

96

Nach Ansicht der Kommission ist dieser Rechtsmittelgrund als unbegründet zurückzuweisen, da das Rechtsmittel nichts enthalte, was die vom Gericht vorgenommene Würdigung in Frage stellen könnte, wonach die Verträge und nicht eine Regel des Völkerrechts der Kommission die erforderliche Befugnis zuweisen müssten.

– Würdigung durch den Gerichtshof

97

Nach dem in Art. 5 Abs. 1 und 2 EUV verankerten Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung wird die Union nur innerhalb der Grenzen der Zuständigkeiten tätig, die die Mitgliedstaaten ihr in den Verträgen zur Verwirklichung der darin niedergelegten Ziele übertragen haben.

98

Was genauer die Unionsorgane betrifft, so handelt gemäß Art. 13 Abs. 2 EUV jedes von ihnen nach Maßgabe der ihm in den Verträgen zugewiesenen Befugnisse nach den Verfahren, Bedingungen und Zielen, die in den Verträgen festgelegt sind.

99

Folglich kann die Kommission den Erlass eines Rechtsakts der Union nur vorschlagen, wenn hierfür in den Verträgen eine Befugnis zugewiesen ist.

100

Somit hat das Gericht in Rn. 65 des angefochtenen Urteils rechtsfehlerfrei befunden, dass das alleinige Bestehen eines völkerrechtlichen Grundsatzes wie des vom Rechtsmittelführer geltend gemachten Prinzips der Notlage, selbst wenn man es als erwiesen unterstelle, jedenfalls nicht als Grundlage für einen Gesetzgebungsvorschlag der Kommission ausreichen würde.

101

Unter diesen Umständen kann dem Gericht auch nicht zum Vorwurf gemacht werden, dass es die Begründetheit des Vorbringens zum Bestehen dieses Prinzips im Völkerrecht nicht geprüft habe.

102

Demnach ist der vierte Rechtsmittelgrund als unbegründet zurückzuweisen.

103

Da keiner der Gründe des Rechtsmittelführers durchgreift, ist das Rechtsmittel insgesamt zurückzuweisen.

Kosten

104

Nach Art. 184 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs entscheidet dieser über die Kosten, wenn das Rechtsmittel unbegründet ist.

105

Nach Art. 138 Abs. 1 dieser Verfahrensordnung, der nach deren Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da der Rechtsmittelführer mit seinen Rechtsmittelgründen unterlegen ist und die Kommission beantragt hat, ihn zur Tragung der Kosten zu verurteilen, sind ihm die Kosten des vorliegenden Rechtsmittelverfahrens aufzuerlegen.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

 

1.

Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.

 

2.

Herr Alexios Anagnostakis trägt die Kosten.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Griechisch.

Top