EUR-Lex Access to European Union law

Back to EUR-Lex homepage

This document is an excerpt from the EUR-Lex website

Document 62013CV0001

Gutachten des Gerichtshofs (Große Kammer) vom 14. Oktober 2014.
Gutachten nach Art. 218 Abs. 11 AEUV.
Gutachten nach Art. 218 Abs. 11 AEUV - Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung - Beitritt von Drittstaaten - Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 - Ausschließliche Außenkompetenz der Europäischen Union - Gefahr einer Beeinträchtigung der einheitlichen und kohärenten Anwendung der Unionsregeln und des reibungslosen Funktionierens des durch sie geschaffenen Systems.
Gutachten 1/13.

Court reports – general

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2014:2303

GUTACHTEN 1/13 DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

14. Oktober 2014

„Gutachten nach Art. 218 Abs. 11 AEUV — Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung — Beitritt von Drittstaaten — Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 — Ausschließliche Außenkompetenz der Europäischen Union — Gefahr einer Beeinträchtigung der einheitlichen und kohärenten Anwendung der Unionsregeln und des reibungslosen Funktionierens des durch sie geschaffenen Systems“

In dem Gutachtenverfahren 1/13,

betreffend einen Antrag auf Gutachten nach Art. 218 Abs. 11 AEUV, eingereicht am 21. Juni 2013 von der Europäischen Kommission,

erstattet

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris, des Vizepräsidenten K. Lenaerts, des Kammerpräsidenten A. Tizzano, der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta, der Kammerpräsidenten M. Ilešič und J.‑C. Bonichot, der Richter A. Rosas, J. Malenovský (Berichterstatter), A. Arabadjiev, M. Safjan und D. Šváby sowie der Richterinnen M. Berger und A. Prechal,

Generalanwalt: N. Jääskinen,

Kanzler: M.‑A. Gaudissart, Referatsleiter,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 1. April 2014,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der Europäischen Kommission, vertreten durch F. Castillo de la Torre und A.‑M. Rouchaud-Joët als Bevollmächtigte,

der belgischen Regierung, vertreten durch C. Pochet, J.‑C. Halleux und T. Materne als Bevollmächtigte,

der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek und E. Ruffer als Bevollmächtigte,

der dänischen Regierung, vertreten durch C. Thorning als Bevollmächtigten,

der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und J. Kemper als Bevollmächtigte,

der estnischen Regierung, vertreten durch K. Kraavi-Käerdi als Bevollmächtigte,

der irischen Regierung, vertreten durch T. Joyce und E. McPhillips als Bevollmächtigte,

der hellenischen Regierung, vertreten durch T. Papadopoulou als Bevollmächtigte,

der spanischen Regierung, vertreten durch M. Sampol Pucurull und N. Díaz Abad als Bevollmächtigte,

der französischen Regierung, vertreten durch E. Belliard, N. Rouam, G. de Bergues und D. Colas als Bevollmächtigte,

der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von M. Fiorilli und P. Garofoli, avvocati dello Stato,

der zyprischen Regierung, vertreten durch I. Neophytou und D. Kalli als Bevollmächtigte,

der lettischen Regierung, vertreten durch I. Kalniņš und D. Pelše als Bevollmächtigte,

der litauischen Regierung, vertreten durch K. Dieninis und A. Svinkūnaitè als Bevollmächtigte,

der österreichischen Regierung, vertreten durch C. Pesendorfer als Bevollmächtigte,

der polnischen Regierung, vertreten durch M. Arciszewski, B. Majczyna und A. Miłkowska als Bevollmächtigte,

der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Fernandes und S. Nunes de Almeida als Bevollmächtigte,

der rumänischen Regierung, vertreten durch R.‑H. Radu, A.‑G. Vacaru und A. Voicu als Bevollmächtigte,

der slowakischen Regierung, vertreten durch B. Ricziová als Bevollmächtigte,

der finnischen Regierung, vertreten durch J. Heliskoski als Bevollmächtigten,

der schwedischen Regierung, vertreten durch A. Falk und U. Persson als Bevollmächtigte,

der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch M. Holt als Bevollmächtigten im Beistand von J. Holmes und R. Palmer, Barristers,

des Europäischen Parlaments, vertreten durch A. Caiola und A. Pospíšilová Padowska als Bevollmächtigte,

des Rates der Europäischen Union, vertreten durch J. Monteiro und A. De Elera als Bevollmächtigte,

nach Anhörung des Generalanwalts

folgendes

Gutachten

1.

Der Gerichtshof wird von der Europäischen Kommission um ein Gutachten zu folgender Frage ersucht:

„Fällt das Einverständnis zum Beitritt eines Drittstaats [zu dem am 25. Oktober 1980 in Den Haag geschlossenen Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (im Folgenden: Haager Übereinkommen von 1980)] in die ausschließliche Zuständigkeit der [Europäischen] Union?“

Rechtlicher Rahmen

Völkerrecht

2.

Alle Mitgliedstaaten sind Vertragsparteien des Haager Übereinkommens von 1980. Die Union ist nicht Vertragspartei des Übereinkommens.

3.

Art. 1 des Übereinkommens lautet:

„Ziel dieses Übereinkommens ist es,

a)

die sofortige Rückgabe widerrechtlich in einen Vertragsstaat verbrachter oder dort zurückgehaltener Kinder sicherzustellen und

b)

zu gewährleisten, dass das in einem Vertragsstaat bestehende Sorgerecht und Recht zum persönlichen Umgang in den anderen Vertragsstaaten tatsächlich beachtet wird.“

4.

In Art. 3 des Abkommens heißt es:

„Das Verbringen oder Zurückhalten eines Kindes gilt als widerrechtlich, wenn

a)

dadurch das Sorgerecht verletzt wird, das einer Person, Behörde oder sonstigen Stelle allein oder gemeinsam nach dem Recht des Staates zusteht, in dem das Kind unmittelbar vor dem Verbringen oder Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, und

b)

dieses Recht im Zeitpunkt des Verbringens oder Zurückhaltens allein oder gemeinsam tatsächlich ausgeübt wurde oder ausgeübt worden wäre, falls das Verbringen oder Zurückhalten nicht stattgefunden hätte.

…“

5.

Kapitel II des Haager Übereinkommens von 1980 betrifft die zentralen Behörden. Nach Art. 6 des Übereinkommens, der zu Kapitel II gehört, bestimmt jeder Vertragsstaat des Übereinkommens (im Folgenden: Vertragsstaat) eine zentrale Behörde, welche die ihr durch das Übereinkommen übertragenen Aufgaben wahrnimmt. Nach Art. 7 sind die zentralen Behörden verpflichtet, zusammenzuarbeiten und die Zusammenarbeit der zuständigen Behörden ihrer Staaten zu fördern. Insbesondere treffen sie alle geeigneten Maßnahmen, um den Aufenthaltsort eines widerrechtlich in einen anderen Staat als den Staat seines gewöhnlichen Aufenthalts verbrachten oder dort zurückgehaltenen Kindes (im Folgenden: widerrechtlich verbrachtes Kind) ausfindig zu machen und um die freiwillige Rückgabe des Kindes sicherzustellen oder eine gütliche Regelung der Angelegenheit herbeizuführen. Ferner treffen oder veranlassen sie vorläufige Maßnahmen, um weitere Gefahren von dem Kind abzuwenden. Sie leiten ein gerichtliches oder behördliches Verfahren ein oder erleichtern die Einleitung eines solchen Verfahrens, um die Rückgabe des Kindes zu erwirken sowie gegebenenfalls die Durchführung oder die wirksame Ausübung des Rechts zum persönlichen Umgang zu gewährleisten, d. h. des Rechts, das Kind für eine begrenzte Zeit an einen anderen Ort als seinen gewöhnlichen Aufenthaltsort zu bringen (im Folgenden: Umgangsrecht). Sie gewährleisten durch etwa notwendige behördliche Vorkehrungen die sichere Rückgabe des Kindes.

6.

Kapitel III („Rückgabe von Kindern“) des Übereinkommens enthält die Art. 8 bis 20.

7.

Art. 8 Abs. 1 des Übereinkommens bestimmt:

„Macht eine Person, Behörde oder sonstige Stelle geltend, ein Kind sei unter Verletzung des Sorgerechts verbracht oder zurückgehalten worden, so kann sie sich entweder an die für den gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes zuständige zentrale Behörde oder an die zentrale Behörde eines anderen Vertragsstaats wenden, um mit deren Unterstützung die Rückgabe des Kindes sicherzustellen.“

8.

Art. 12 des Haager Übereinkommens von 1980 lautet:

„Ist ein Kind im Sinn des Artikels 3 widerrechtlich verbracht oder zurückgehalten worden und ist bei Eingang des Antrags bei dem Gericht oder der Verwaltungsbehörde des Vertragsstaats, in dem sich das Kind befindet, eine Frist von weniger als einem Jahr seit dem Verbringen oder Zurückhalten verstrichen, so ordnet das zuständige Gericht oder die zuständige Verwaltungsbehörde die sofortige Rückgabe des Kindes an.

Ist der Antrag erst nach Ablauf der in Absatz 1 bezeichneten Jahresfrist eingegangen, so ordnet das Gericht oder die Verwaltungsbehörde die Rückgabe des Kindes ebenfalls an, sofern nicht erwiesen ist, dass das Kind sich in seine neue Umgebung eingelebt hat.

Hat das Gericht oder die Verwaltungsbehörde des ersuchten Staates Grund zu der Annahme, dass das Kind in einen anderen Staat verbracht worden ist, so kann das Verfahren ausgesetzt oder der Antrag auf Rückgabe des Kindes abgelehnt werden.“

9.

Art. 13 des Übereinkommens lautet:

„Ungeachtet des Artikels 12 ist das Gericht oder die Verwaltungsbehörde des ersuchten Staates nicht verpflichtet, die Rückgabe des Kindes anzuordnen, wenn die Person, Behörde oder sonstige Stelle, die sich der Rückgabe des Kindes widersetzt, nachweist,

a)

dass die Person, Behörde oder sonstige Stelle, der die Sorge für die Person des Kindes zustand, das Sorgerecht zur Zeit des Verbringens oder Zurückhaltens tatsächlich nicht ausgeübt, dem Verbringen oder Zurückhalten zugestimmt oder dieses nachträglich genehmigt hat oder

b)

dass die Rückgabe mit der schwerwiegenden Gefahr eines körperlichen oder seelischen Schadens für das Kind verbunden ist oder das Kind auf andere Weise in eine unzumutbare Lage bringt.

Das Gericht oder die Verwaltungsbehörde kann es ferner ablehnen, die Rückgabe des Kindes anzuordnen, wenn festgestellt wird, dass sich das Kind der Rückgabe widersetzt und dass es ein Alter und eine Reife erreicht hat, angesichts deren es angebracht erscheint, seine Meinung zu berücksichtigen.

Bei Würdigung der in diesem Artikel genannten Umstände hat das Gericht oder die Verwaltungsbehörde die Auskünfte über die soziale Lage des Kindes zu berücksichtigen, die von der zentralen Behörde oder einer anderen zuständigen Behörde des Staates des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes erteilt worden sind.“

10.

Art. 16 des Übereinkommens lautet:

„Ist den Gerichten oder Verwaltungsbehörden des Vertragsstaats, in den das Kind verbracht oder in dem es zurückgehalten wurde, das widerrechtliche Verbringen oder Zurückhalten des Kindes im Sinn des Artikels 3 mitgeteilt worden, so dürfen sie eine Sachentscheidung über das Sorgerecht erst treffen, wenn entschieden ist, dass das Kind aufgrund dieses Übereinkommens nicht zurückzugeben ist, oder wenn innerhalb angemessener Frist nach der Mitteilung kein Antrag nach dem Übereinkommen gestellt wird.“

11.

Kapitel IV („Recht zum persönlichen Umgang“) des Haager Übereinkommens von 1980 besteht aus Art. 21. Dessen Abs. 1 bestimmt:

„Der Antrag auf Durchführung oder wirksame Ausübung des Rechts zum persönlichen Umgang kann in derselben Weise an die zentrale Behörde eines Vertragsstaats gerichtet werden wie ein Antrag auf Rückgabe des Kindes.“

12.

Kapitel V („Allgemeine Bestimmungen“) des Übereinkommens umfasst die Art. 22 bis 36, die u. a. die gemeinsamen Verfahrensvorschriften für die Rückgabe widerrechtlich verbrachter Kinder und die Garantien für die Ausübung des Umgangsrechts regeln.

13.

Der zu Kapitel VI („Schlussbestimmungen“) des Übereinkommens gehörende Art. 38 lautet:

„Jeder andere Staat kann dem Übereinkommen beitreten.

Die Beitrittsurkunde wird beim Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten des Königreichs der Niederlande hinterlegt.

Das Übereinkommen tritt für den beitretenden Staat am ersten Tag des dritten Kalendermonats nach Hinterlegung seiner Beitrittsurkunde in Kraft.

Der Beitritt wirkt nur in den Beziehungen zwischen dem beitretenden Staat und den Vertragsstaaten, die erklären, den Beitritt anzunehmen. Eine solche Erklärung ist auch von jedem Mitgliedstaat abzugeben, der nach dem Beitritt das Übereinkommen ratifiziert, annimmt oder genehmigt. Diese Erklärung wird beim Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten des Königreichs der Niederlande hinterlegt; dieses Ministerium übermittelt jedem Vertragsstaat auf diplomatischem Weg eine beglaubigte Abschrift.

Das Übereinkommen tritt zwischen dem beitretenden Staat und dem Staat, der erklärt hat, den Beitritt anzunehmen, am ersten Tag des dritten Kalendermonats nach Hinterlegung der Annahmeerklärung in Kraft.“

Unionsrecht

14.

Im 17. Erwägungsgrund der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 (ABl. L 338, S. 1) heißt es:

„Bei widerrechtlichem Verbringen oder Zurückhalten eines Kindes sollte dessen Rückgabe unverzüglich erwirkt werden; zu diesem Zweck sollte das [Haager Übereinkommen von 1980], das durch die Bestimmungen dieser Verordnung und insbesondere des Artikels 11 ergänzt wird, weiterhin Anwendung finden. …“

15.

Art. 8 der Verordnung lautet:

„(1)   Für Entscheidungen, die die elterliche Verantwortung betreffen, sind die Gerichte des Mitgliedstaats zuständig, in dem das Kind zum Zeitpunkt der Antragstellung seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.

(2)   Absatz 1 findet vorbehaltlich der Artikel 9, 10 und 12 Anwendung.“

16.

Art. 10 der Verordnung regelt die Zuständigkeit der Gerichte der Mitgliedstaaten in Fällen von Kindesentführung. Er sieht vor, dass bei widerrechtlichem Verbringen oder Zurückhalten eines Kindes die Gerichte des Mitgliedstaats, in dem das Kind unmittelbar vor dem widerrechtlichen Verbringen oder Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, so lange zuständig bleiben, bis das Kind einen gewöhnlichen Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat erlangt hat und die zusätzlichen Voraussetzungen von Buchst. a oder b erfüllt sind.

17.

Art. 11 der Verordnung lautet:

„(1)   Beantragt eine sorgeberechtigte Person, Behörde oder sonstige Stelle bei den zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats eine Entscheidung auf der Grundlage des [Haager Übereinkommens von 1980], um die Rückgabe eines Kindes zu erwirken, das widerrechtlich in einen anderen als den Mitgliedstaat verbracht wurde oder dort zurückgehalten wird, in dem das Kind unmittelbar vor dem widerrechtlichen Verbringen oder Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, so gelten die Absätze 2 bis 8.

(2)   Bei Anwendung der Artikel 12 und 13 des Haager Übereinkommens von 1980 ist sicherzustellen, dass das Kind die Möglichkeit hat, während des Verfahrens gehört zu werden, sofern dies nicht aufgrund seines Alters oder seines Reifegrads unangebracht erscheint.

(3)   Das Gericht, bei dem die Rückgabe eines Kindes nach Absatz 1 beantragt wird, befasst sich mit gebotener Eile mit dem Antrag und bedient sich dabei der zügigsten Verfahren des nationalen Rechts.

Unbeschadet des Unterabsatzes 1 erlässt das Gericht seine Anordnung spätestens sechs Wochen nach seiner Befassung mit dem Antrag, es sei denn, dass dies aufgrund außergewöhnlicher Umstände nicht möglich ist.

(4)   Ein Gericht kann die Rückgabe eines Kindes aufgrund des Artikels 13 Buchstabe b) des Haager Übereinkommens von 1980 nicht verweigern, wenn nachgewiesen ist, dass angemessene Vorkehrungen getroffen wurden, um den Schutz des Kindes nach seiner Rückkehr zu gewährleisten.

(5)   Ein Gericht kann die Rückgabe eines Kindes nicht verweigern, wenn der Person, die die Rückgabe des Kindes beantragt hat, nicht die Gelegenheit gegeben wurde, gehört zu werden.

(6)   Hat ein Gericht entschieden, die Rückgabe des Kindes gemäß Artikel 13 des Haager Übereinkommens von 1980 abzulehnen, so muss es nach dem nationalen Recht dem zuständigen Gericht oder der Zentralen Behörde des Mitgliedstaats, in dem das Kind unmittelbar vor dem widerrechtlichen Verbringen oder Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, unverzüglich entweder direkt oder über seine Zentrale Behörde eine Abschrift der gerichtlichen Entscheidung, die Rückgabe abzulehnen, und die entsprechenden Unterlagen, insbesondere eine Niederschrift der Anhörung, übermitteln. Alle genannten Unterlagen müssen dem Gericht binnen einem Monat ab dem Datum der Entscheidung, die Rückgabe abzulehnen, vorgelegt werden.

(7)   Sofern die Gerichte des Mitgliedstaats, in dem das Kind unmittelbar vor dem widerrechtlichen Verbringen oder Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte, nicht bereits von einer der Parteien befasst wurden, muss das Gericht oder die Zentrale Behörde, das/die die Mitteilung gemäß Absatz 6 erhält, die Parteien hiervon unterrichten und sie einladen, binnen drei Monaten ab Zustellung der Mitteilung Anträge gemäß dem nationalen Recht beim Gericht einzureichen, damit das Gericht die Frage des Sorgerechts prüfen kann.

Unbeschadet der in dieser Verordnung festgelegten Zuständigkeitsregeln schließt das Gericht den Fall ab, wenn innerhalb dieser Frist keine Anträge bei dem Gericht eingegangen sind.

(8)   Ungeachtet einer nach Artikel 13 des Haager Übereinkommens von 1980 ergangenen Entscheidung, mit der die Rückgabe des Kindes verweigert wird, ist eine spätere Entscheidung, mit der die Rückgabe des Kindes angeordnet wird und die von einem nach dieser Verordnung zuständigen Gericht erlassen wird, im Einklang mit Kapitel III Abschnitt 4 vollstreckbar, um die Rückgabe des Kindes sicherzustellen.“

18.

In Art. 41 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 2201/2003 heißt es:

„Eine in einem Mitgliedstaat ergangene vollstreckbare Entscheidung über das Umgangsrecht …, für die eine Bescheinigung … im Ursprungsmitgliedstaat ausgestellt wurde, wird in einem anderen Mitgliedstaat anerkannt und kann dort vollstreckt werden, ohne dass es einer Vollstreckbarerklärung bedarf und ohne dass die Anerkennung angefochten werden kann.“

19.

Art. 42 Abs. 1 Unterabs. 1 der Verordnung bestimmt:

„Eine in einem Mitgliedstaat ergangene vollstreckbare Entscheidung über die Rückgabe des Kindes [gemäß Artikel 11 Absatz 8], für die eine Bescheinigung … im Ursprungsmitgliedstaat ausgestellt wurde, wird in einem anderen Mitgliedstaat anerkannt und kann dort vollstreckt werden, ohne dass es einer Vollstreckbarerklärung bedarf und ohne dass die Anerkennung angefochten werden kann.“

20.

Kapitel IV („Zusammenarbeit zwischen den Zentralen Behörden bei Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung“) der Verordnung besteht aus ihren Art. 53 bis 58.

21.

Nach Art. 55 der Verordnung treffen die Zentralen Behörden u. a. geeignete Maßnahmen, um die Träger der elterlichen Verantwortung zu informieren und zu unterstützen, die die Anerkennung und Vollstreckung einer Entscheidung, insbesondere über das Umgangsrecht und die Rückgabe des Kindes, in ihrem Gebiet erwirken wollen.

22.

Art. 57 der Verordnung Nr. 2201/2003 bestimmt:

„(1)   Jeder Träger der elterlichen Verantwortung kann bei der Zentralen Behörde des Mitgliedstaats, in dem er seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, oder bei der Zentralen Behörde des Mitgliedstaats, in dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat oder in dem es sich befindet, einen Antrag auf Unterstützung gemäß Artikel 55 stellen. Dem Antrag werden grundsätzlich alle verfügbaren Informationen beigefügt, die die Ausführung des Antrags erleichtern können. Betrifft dieser Antrag die Anerkennung oder Vollstreckung einer Entscheidung über die elterliche Verantwortung, die in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fällt, so muss der Träger der elterlichen Verantwortung dem Antrag die betreffenden Bescheinigungen nach Artikel 39, Artikel 41 Absatz 1 oder Artikel 42 Absatz 1 beifügen.

(2)   Jeder Mitgliedstaat teilt der Kommission die Amtssprache(n) der Organe der [Union] mit, die er außer seiner/seinen eigenen Sprache(n) für Mitteilungen an die Zentralen Behörden zulässt.

(3)   Die Unterstützung der Zentralen Behörden gemäß Artikel 55 erfolgt unentgeltlich.

(4)   Jede Zentrale Behörde trägt ihre eigenen Kosten.“

23.

In Art. 60 der Verordnung heißt es:

„Im Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten hat diese Verordnung vor den nachstehenden Übereinkommen insoweit Vorrang, als diese Bereiche betreffen, die in dieser Verordnung geregelt sind:

e)

Haager Übereinkommen [von] 1980 …“

24.

Art. 62 der Verordnung bestimmt:

(1)   Die in … den Artikeln 60 und 61 genannten Übereinkünfte behalten ihre Wirksamkeit für die Rechtsgebiete, die durch diese Verordnung nicht geregelt werden.

(2)   Die in Artikel 60 genannten Übereinkommen, insbesondere das Haager Übereinkommen von 1980, behalten vorbehaltlich des Artikels 60 ihre Wirksamkeit zwischen den ihnen angehörenden Mitgliedstaaten.“

Kontext und Gutachtenantrag

25.

Zu verschiedenen Zeitpunkten haben die Republik Armenien, die Republik Albanien, die Republik Seychellen, das Königreich Marokko, die Republik Singapur, die Gabunische Republik, das Fürstentum Andorra und die Russische Föderation ihre Beitrittsurkunden zum Haager Übereinkommen von 1980 hinterlegt.

26.

Da die Kommission der Ansicht war, dass der Bereich der internationalen Kindesentführung in die ausschließliche Zuständigkeit der Union falle, nahm sie am 21. Dezember 2011 acht Vorschläge für Beschlüsse des Rates der Europäischen Union über die im Interesse der Union abgegebene Einverständniserklärung der Mitgliedstaaten zum Beitritt der acht genannten Staaten zum Haager Übereinkommen von 1980 an.

27.

Im Rat vertrat die Mehrzahl der Vertreter der Mitgliedstaaten den Standpunkt, dass der Rat zur Annahme dieser Vorschläge rechtlich nicht verpflichtet sei, da die Union für den betreffenden Bereich nicht ausschließlich zuständig sei. Infolgedessen wurden die Vorschläge vom Rat nicht angenommen.

28.

Unter diesen Umständen hat es die Kommission für angebracht gehalten, den vorliegenden Gutachtenantrag nach Art. 218 Abs. 11 AEUV zu stellen.

Zur Zulässigkeit

Beim Gerichtshof eingereichte Erklärungen

29.

Die tschechische, die deutsche, die estnische, die hellenische, die französische, die zyprische, die lettische, die litauische, die österreichische, die polnische und die rumänische Regierung sowie der Rat halten den Gutachtenantrag für unzulässig, da er nicht die Voraussetzungen erfülle, unter denen ein Unionsorgan das in Art. 218 Abs. 11 AEUV vorgesehene Verfahren einleiten könne.

30.

Erstens betreffe der Antrag nicht den Abschluss einer „Übereinkunft“ im Sinne dieser Bestimmung, denn er habe die Hinterlegung von Erklärungen über die Annahme des Beitritts nach Art. 38 Abs. 4 des Haager Übereinkommens von 1980 (im Folgenden: Einverständniserklärungen) zum Gegenstand.

31.

Da solche Erklärungen Akte zur Durchführung des Übereinkommens seien, beziehe sich der Gutachtenantrag nicht auf den Abschluss einer internationalen Übereinkunft, sondern auf die Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen der Union und den Mitgliedstaaten bei der Durchführung des Übereinkommens.

32.

Überdies bezeichne eine „Übereinkunft“ nach dem Wortsinn stets eine vertragliche Vereinbarung, für die zwei korrespondierende Willenserklärungen erforderlich seien. Der Beitritt eines Drittstaats zum Übereinkommen und die Annahme dieses Beitritts durch einen Vertragsstaat stellten aber keine zwei korrespondierenden Willenserklärungen dar, da sie nicht in einem vertraglichen Gegenseitigkeitsverhältnis stünden. Es handele sich weder um korrespondierende Erklärungen im Rahmen eines Beitrittsvertrags noch um eine Vertragsänderung. Die Annahmeerklärung sei lediglich ein internes Instrument des Haager Übereinkommens von 1980 zur Erweiterung seines territorialen Anwendungsbereichs.

33.

Zweitens betreffe der Gutachtenantrag keine Übereinkunft zwischen der Union und Drittstaaten im Sinne von Art. 218 Abs. 1 und 11 AEUV. Zum einen könne die Union dem Übereinkommen nicht beitreten, da diese Möglichkeit nach Art. 38 des Übereinkommens Staaten vorbehalten sei. Zum anderen sei die Union nicht für die Hinterlegung der Einverständniserklärungen zuständig.

34.

Drittens habe der Rat durch seine Weigerung, die in Rn. 26 des vorliegenden Gutachtens erwähnten Beschlussvorschläge anzunehmen, beschlossen, gegenüber den betreffenden Staaten die Einverständniserklärungen, die Gegenstand dieser Vorschläge seien, nicht abzugeben, so dass mit diesen Staaten keine Übereinkunft im Sinne von Art. 218 Abs. 11 AEUV „geplant“ sei.

35.

Viertens versuche die Kommission unter dem Deckmantel ihres Gutachtenantrags in Wirklichkeit, die gegenwärtige Praxis einiger Mitgliedstaaten abzustellen, die den Beitritt bestimmter Drittstaaten individuell angenommen hätten. Dann hätte die Kommission aber gegen diese Mitgliedstaaten Vertragsverletzungsklagen nach Art. 258 AEUV erheben müssen.

36.

Das Europäische Parlament und die Kommission halten den Gutachtenantrag für zulässig.

Stellungnahme des Gerichtshofs

Zur Einstufung der Einverständniserklärung als Bestandteil einer „Übereinkunft“

37.

Nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. a des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge vom 23. Mai 1969 kann ein völkerrechtlicher Vertrag in einer oder in mehreren zusammengehörigen Urkunden enthalten sein. Diese Urkunden können somit Ausdruck der Willensübereinstimmung von zwei oder mehreren Völkerrechtssubjekten sein, die sie formalisieren.

38.

Im vorliegenden Fall sieht das Haager Übereinkommen von 1980 in Art. 38 zwei zusammengehörige Urkunden vor, und zwar die Beitrittsurkunde und die Einverständniserklärung.

39.

Der in diesen beiden Urkunden zum Ausdruck kommende Wille stimmt hinsichtlich des sowohl von dem Staat, der dem Übereinkommen beitritt, als auch von dem Staat, der den Beitritt annimmt, verfolgten Ziels überein, sich gegenseitig völkerrechtlich zu verpflichten, in ihren bilateralen Beziehungen das Übereinkommen anzuwenden.

40.

Außerdem entfalten diese Urkunden zusammen genommen die von den betreffenden Staaten vorgesehene Wirkung. Das Haager Übereinkommen von 1980 tritt nach seinem Art. 38 Abs. 5 zwischen dem beitretenden Staat und dem Staat, der erklärt hat, den Beitritt anzunehmen, am ersten Tag des dritten Kalendermonats nach Hinterlegung der Annahmeerklärung in Kraft.

41.

Die Beitrittsurkunde und die Erklärung, mit der ein solcher Beitritt angenommen wird, bringen somit, wenn auch mittels gesonderter Urkunden, zusammen genommen eine Willensübereinstimmung der betreffenden Staaten zum Ausdruck und stellen daher eine internationale Übereinkunft dar.

42.

Da die von einem Mitgliedstaat hinterlegte Einverständniserklärung Bestandteil einer mit einem Drittstaat geschlossenen internationalen Übereinkunft ist, fällt sie unter den Begriff „Übereinkunft“ im Sinne von Art. 218 Abs. 1 und 11 AEUV, sofern es sich um eine von der Union geplante Übereinkunft im Sinne dieser Bestimmungen handelt.

Zur fehlenden Möglichkeit für die Union, dem Haager Übereinkommen von 1980 beizutreten und Erklärungen abzugeben, mit denen der Beitritt zu diesem Übereinkommen angenommen wird

43.

Zu dem Argument, die Union könne dem Haager Übereinkommen von 1980 nicht beitreten, ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Auslegung des Gerichtshofs ein Gutachten u. a. zu Fragen eingeholt werden kann, die die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen der Union und den Mitgliedstaaten für den Abschluss eines bestimmten Abkommens mit Drittstaaten betreffen. Art. 196 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs bestätigt diese Auslegung (vgl. u. a. Gutachten 1/03, EU:C:2006:81, Rn. 112, und Gutachten 1/08, EU:C:2009:739, Rn. 109). Im vorliegenden Fall betrifft der Gutachtenantrag die Frage, ob die Union nach den von ihr aufgestellten Rechtsregeln für den Abschluss internationaler Übereinkünfte mittels Einverständniserklärungen zuständig ist. Er betrifft nicht die Hindernisse, mit denen die Union bei der Ausübung ihrer Zuständigkeit aufgrund der völkerrechtlichen Regeln über den Abschluss solcher Übereinkünfte konfrontiert würde.

44.

Die Frage der etwaigen Unmöglichkeit für die Union, förmlich Partei einer internationalen Übereinkunft zu werden, ist jedenfalls unerheblich. Falls die Bedingungen für die Beteiligung an einer solchen Übereinkunft ihren Abschluss durch die Union selbst ausschließen, obwohl sie in die Außenkompetenz der Union fällt, kann diese nämlich über die im Interesse der Union handelnden Mitgliedstaaten ausgeübt werden (vgl. in diesem Sinne Gutachten 2/91, EU:C:1993:106, Rn. 5).

Zur Einstufung der Einverständniserklärung als Bestandteil einer zum Zeitpunkt der Stellung des Gutachtenantrags „geplanten“ Übereinkunft

45.

Zunächst kann der Gerichtshof nach Art. 218 Abs. 1 und 11 AEUV mit einem Gutachtenantrag befasst werden, wenn die Union eine Übereinkunft plant, d. h., wenn eines oder mehrere der im Rahmen des in Art. 218 AEUV vorgesehenen Verfahrens mit Befugnissen ausgestatteten Unionsorgane dies plant. Zu diesen Organen gehört auch die Kommission.

46.

Sodann geht aus der Rechtsprechung hervor, dass ein Gutachtenantrag insbesondere dann zulässig ist, wenn ein Vorschlag der Kommission für eine Übereinkunft dem Rat unterbreitet und zum Zeitpunkt der Befassung des Gerichtshofs nicht zurückgenommen worden war. Dagegen ist es nicht erforderlich, dass der Rat in diesem Stadium bereits seine Absicht zum Abschluss einer solchen Übereinkunft bekundet hatte. Unter diesen Umständen liegt dem Gutachtenantrag nämlich das berechtigte Anliegen der betreffenden Organe zugrunde, vor einer Beschlussfassung in Bezug auf die fragliche Übereinkunft Klarheit über den Umfang der jeweiligen Befugnisse der Union und der Mitgliedstaaten zu erhalten (vgl. in diesem Sinne Gutachten 2/94, EU:C:1996:140, Rn. 11 bis 18).

47.

Überdies soll das Gutachtenverfahren nach Art. 218 Abs. 11 AEUV, wie der Generalanwalt in Nr. 44 seiner Stellungnahme ausgeführt hat, verhindern, dass rechtliche Komplikationen entstehen, weil die Mitgliedstaaten ohne die erforderliche Ermächtigung völkerrechtliche Verpflichtungen eingehen, obwohl sie nach dem Unionsrecht nicht mehr über die nötige Rechtsetzungsbefugnis verfügen, um diesen Verpflichtungen nachzukommen.

48.

Eine Gerichtsentscheidung, mit der ein die Mitgliedstaaten bindendes völkerrechtliches Abkommen nach dessen Abschluss für mit der Verteilung der Zuständigkeiten zwischen der Union und diesen Staaten unvereinbar erklärt würde, wäre nämlich geeignet, nicht nur auf unionsinterner Ebene, sondern auch auf dem Gebiet der internationalen Beziehungen zu ernsten Schwierigkeiten zu führen, und könnte für alle Beteiligten, auch für die Drittstaaten, Nachteile mit sich bringen (vgl. entsprechend Gutachten 3/94, EU:C:1995:436, Rn. 17, und Gutachten 1/09, EU:C:2011:123, Rn. 48).

49.

Schließlich ist festzustellen, dass die Befugnis, einen Gutachtenantrag zu stellen, nicht voraussetzt, dass die Unionsorgane ein endgültiges Einvernehmen hinsichtlich der Möglichkeit oder Zweckmäßigkeit einer Ausübung der Außenkompetenz der Union erzielt haben. Das Recht des Parlaments, des Rates, der Kommission und der Mitgliedstaaten, ein Gutachten des Gerichtshofs einzuholen, kann nämlich individuell ausgeübt werden, ohne jegliche Abstimmung untereinander (vgl. Gutachten 1/09, EU:C:2011:123, Rn. 55).

50.

Im vorliegenden Fall hat die Kommission dem Rat Vorschläge für Beschlüsse unterbreitet, mit denen die Mitgliedstaaten ermächtigt werden, ihr Einverständnis zu den Beitritten von acht Drittstaaten zu erklären. Dadurch hat die Kommission somit geplant, dass die betreffenden Übereinkünfte von der Union über die in ihrem Interesse handelnden Mitgliedstaaten abgeschlossen werden. Vor dem Gerichtshof ist auch nicht geltend gemacht worden, dass diese Vorschläge zurückgenommen worden wären. Überdies beruht der Widerstand des Rates gegen die Vorschläge nicht auf der Frage der Zweckmäßigkeit des tatsächlichen Abschlusses der fraglichen Übereinkünfte, sondern allein auf seiner Überzeugung, dass die Union nicht über eine ausschließliche Außenkompetenz in dem betreffenden Bereich verfügt. Unter diesen Umständen sind die völkerrechtlichen Verträge, deren Bestandteil die fraglichen Erklärungen sind, als zum Zeitpunkt der Stellung des Gutachtenantrags „geplante“ Übereinkünfte einzustufen.

51.

An diesem Ergebnis ändert es nichts, dass einige Mitgliedstaaten zum Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichtshofs über den vorliegenden Gutachtenantrag bereits Einverständniserklärungen beim Verwahrer des Haager Übereinkommens von 1980 hinterlegt haben. Zwar ergibt sich aus dem in Rn. 47 des vorliegenden Gutachtens angesprochenen Ziel, dass die betreffende Übereinkunft, um als „geplant“ eingestuft werden zu können, noch nicht abgeschlossen worden sein darf, bevor der Gerichtshof über den Gutachtenantrag entscheidet, doch ist allein dieser Umstand nicht geeignet, den Antrag gegenstandslos werden zu lassen.

Zur Zweckentfremdung des Gutachtenverfahrens

52.

Zum Vorbringen des Rates und einiger Mitgliedstaaten, das Gutachtenverfahren werde zweckentfremdet, ist festzustellen, dass die Kommission im vorliegenden Fall der Ansicht ist, dass die Union mit dem Inkrafttreten der Verordnung Nr. 2201/2003 am 1. August 2004 eine ausschließliche Außenkompetenz für die Hinterlegung von Einverständniserklärungen beim Verwahrer des Haager Übereinkommens von 1980 erlangt habe und die Mitgliedstaaten ab diesem Zeitpunkt dazu ohne Ermächtigung der Union nicht mehr befugt seien. Zwischen dem genannten Zeitpunkt und dem 21. Dezember 2011, an dem die Kommission die in Rn. 26 des vorliegenden Gutachtens erwähnten Vorschläge angenommen hat, haben die verschiedenen Mitgliedstaaten aber insgesamt mehr als 300 Einverständniserklärungen hinterlegt.

53.

Es trifft zwar zu, dass die Kommission in diesem Zeitraum gegen diese Mitgliedstaaten keine Vertragsverletzungsklage wegen der zahlreichen, durch den Gutachtenantrag implizit in Frage gestellten Handlungen erhoben hat, doch verfügt der Gerichtshof über keinen konkreten und objektiven Anhaltspunkt, der ihn zu dem Schluss veranlassen könnte, dass die Kommission bei der Stellung ihres Antrags ausschließlich oder zumindest in ausschlaggebender Weise das Ziel verfolgte, das in Art. 258 AEUV vorgesehene Verfahren zu umgehen.

54.

Jedenfalls steht der Umstand, dass bestimmte im vorliegenden Gutachtenverfahren aufgeworfene Fragen im Rahmen etwaiger Vertragsverletzungsverfahren nach Art. 258 AEUV behandelt werden können, einer Befassung des Gerichtshofs nach Art. 218 Abs. 11 AEUV nicht entgegen. Das Gutachtenverfahren soll es nämlich ermöglichen, jede Frage zu klären, die zur gerichtlichen Würdigung unterbreitet werden könnte, sofern die Fragen der Zielsetzung dieses Verfahrens entsprechen (vgl. in diesem Sinne Gutachten 2/92, EU:C:1995:83, Rn. 14).

55.

Nach alledem ist der von der Kommission gestellte Gutachtenantrag für zulässig zu erklären.

Zur Begründetheit

Beim Gerichtshof eingereichte Erklärungen

56.

Das Parlament und die Kommission tragen vor, die Union verfüge über eine ausschließliche Außenkompetenz für Einverständniserklärungen. Zunächst deckten das Haager Übereinkommen von 1980 und die Verordnung Nr. 2201/2003 nämlich denselben Bereich ab, denn beide beträfen Fragen nach dem Verfahren zur Rückgabe widerrechtlich verbrachter Kinder, dem Umgangsrecht und der Zusammenarbeit zwischen den Zentralen Behörden im Bereich der elterlichen Verantwortung.

57.

Ferner bildeten diese Regeln eine untrennbar miteinander verbundene Gesamtheit. Der Unionsgesetzgeber habe es zwar nicht für notwendig erachtet, die Bestimmungen des Übereinkommens in die Verordnung aufzunehmen. Durch die Ergänzung und Verstärkung dieser Bestimmungen habe er sie jedoch faktisch übernommen. So hätten sowohl Art. 11 der Verordnung Nr. 2201/2003 als auch ihre übrigen die Rückgabe widerrechtlich verbrachter Kinder betreffenden Artikel denselben Anwendungsbereich wie das Übereinkommen. Sie könnten nur gemeinsam mit den entsprechenden Bestimmungen des Übereinkommens angewandt werden.

58.

Schließlich erstrecke sich die ausschließliche Außenkompetenz der Union auf das gesamte Haager Übereinkommen von 1980. Selbst wenn man unterstelle, dass sich bestimmte Vorschriften von diesem Übereinkommen trennen ließen, sei der vom Gerichtshof in seinem Gutachten 2/91 (EU:C:1993:106) herausgearbeitete Grundsatz anzuwenden, wonach die Außenkompetenz ausschließlicher Art sein müsse, wenn ein Bereich bereits weitgehend von Unionsvorschriften erfasst werde. Dies sei hier der Fall.

59.

Die italienische Regierung pflichtet dem Parlament und der Kommission bei, dass alle erforderlichen Voraussetzungen für die Entstehung einer ausschließlichen Außenkompetenz der Union für die Einverständniserklärungen erfüllt seien.

60.

Dagegen machen die belgische, die tschechische, die deutsche, die estnische, die irische, die hellenische, die spanische, die französische, die zyprische, die lettische, die litauische, die österreichische, die polnische, die portugiesische, die rumänische, die slowakische, die finnische und die schwedische Regierung sowie die Regierung des Vereinigten Königreichs und der Rat alle geltend, die Union besitze insoweit keine ausschließliche Außenkompetenz. Die hellenische, die französische und die polnische Regierung tragen darüber hinaus vor, die Union habe in diesem Bereich gar keine Zuständigkeit.

61.

Erstens hebe die Kommission im Gutachtenantrag zu Unrecht angebliche Ähnlichkeiten zwischen der Verordnung Nr. 2201/2003 und dem Haager Übereinkommen von 1980 hervor, statt die von diesem Antrag erfasste Verpflichtung – die Einverständniserklärung – zu prüfen. Diese Verpflichtung könne aber, da mit ihr ein gesondertes, die Zusammenarbeit mit den Zentralen Behörden der Drittstaaten betreffendes Ziel verfolgt werde, die einheitliche und kohärente Anwendung der Verordnung, die nur die Zusammenarbeit zwischen den Zentralen Behörden der Mitgliedstaaten regele, nicht beeinträchtigen.

62.

Die aufgrund des Übereinkommens geschaffenen Zentralen Behörden arbeiteten nämlich autonom miteinander zusammen, so dass die Tatsache, dass eine Zentrale Behörde eines Mitgliedstaats mit anderen Zentralen Behörden von Drittstaaten zusammenarbeite, keine Auswirkungen auf die Zusammenarbeit zwischen den Zentralen Behörden von zwei Mitgliedstaaten habe. Folglich habe die einseitige Annahme des Beitritts bestimmter Drittstaaten zum Übereinkommen durch einen Mitgliedstaat keinen Einfluss auf die einheitliche und kohärente Anwendung des Unionsrechts im Bereich der Zusammenarbeit zwischen den Zentralen Behörden der Mitgliedstaaten.

63.

Zweitens könnte sich, selbst wenn der Gutachtenantrag anhand des Haager Übereinkommens von 1980 zu prüfen sein sollte, eine ausschließliche Außenkompetenz nicht daraus ergeben, dass der Anwendungsbereich des Übereinkommens angeblich weitgehend von äquivalenten Regeln des Unionsrechts erfasst werde. Zunächst sei dieses Kriterium nicht relevant, da es in Art. 3 Abs. 2 AEUV, der die Rechtsprechung des Gerichtshofs zu den Kriterien einer ausschließlichen Zuständigkeit der Union für den Abschluss internationaler Übereinkünfte kodifiziert habe, nicht aufgegriffen worden sei. Sodann überschnitten sich die jeweiligen Anwendungsbereiche des Übereinkommens und der Verordnung Nr. 2201/2003 nur teilweise, sowohl in Bezug auf die Art der geregelten Beziehungen als auch hinsichtlich der Personen, auf die sie anwendbar seien. Schließlich seien die bestehenden Überschneidungen zwischen der Verordnung und dem Übereinkommen nicht geeignet, eine ausschließliche Zuständigkeit der Union zu begründen, da sie abstrakt seien und nicht den Nachweis einer Auswirkung des Übereinkommens auf die Verordnung ermöglichten.

64.

Drittens könne die Tatsache, dass einige Mitgliedstaaten den Beitritt eines Staates annähmen, andere dagegen nicht, zwar zu wenig wünschenswerten Situationen führen und darauf hinauslaufen, dass das Haager Übereinkommen von 1980 den ihm beitretenden Staaten von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat in unterschiedlichem Maß entgegengehalten werden könne, doch sei dies dem Wesen des Übereinkommens immanent und stehe der ordnungsgemäßen Anwendung der Verordnung nicht entgegen.

Stellungnahme des Gerichtshofs

Zum Gegenstand der Prüfung des Gerichtshofs

65.

Einleitend ist festzustellen, dass im vorliegenden Fall die Einverständniserklärung und damit die internationale Übereinkunft, deren Bestandteil sie ist, akzessorisch zum Haager Übereinkommen von 1980 sind, das ihren Bestand und ihre Wirkungen regelt und von dem diese Erklärung und diese Übereinkunft daher nicht trennbar sind. Wie in Rn. 39 des vorliegenden Gutachtens ausgeführt worden ist, soll die Übereinkunft nämlich die Anwendung des gesamten Übereinkommens in den bilateralen Beziehungen zwischen den beiden betreffenden Staaten ermöglichen.

66.

Folglich sind bei der Prüfung des vorliegenden Gutachtenantrags alle im Übereinkommen vorgesehenen Rechte und Pflichten zu berücksichtigen.

Zur Existenz der Unionszuständigkeit

67.

Die Zuständigkeit der Union für den Abschluss internationaler Übereinkünfte kann nicht nur aus einer ausdrücklichen Übertragung durch die Verträge resultieren, sondern sich auch implizit aus anderen Vertragsbestimmungen sowie aus Rechtsakten ergeben, die im Rahmen dieser Bestimmungen von den Unionsorganen erlassen wurden. Insbesondere verfügt die Union immer dann, wenn das Unionsrecht ihren Organen im Hinblick auf die Verwirklichung eines bestimmten Ziels interne Zuständigkeiten verleiht, über die Befugnis, die zur Erreichung dieses Zieles erforderlichen völkerrechtlichen Verpflichtungen einzugehen, auch wenn es insoweit keine ausdrückliche Bestimmung gibt (Gutachten 1/03, EU:C:2006:81, Rn. 114 und die dort angeführte Rechtsprechung). Der letztgenannte Fall wird im Übrigen in Art. 216 Abs. 1 AEUV angesprochen.

68.

Vorliegend ist festzustellen, dass das Haager Übereinkommen von 1980 die zivilrechtliche Zusammenarbeit im Bereich grenzüberschreitender Kindesentführung betrifft. Es gehört damit zum Familienrecht mit grenzüberschreitendem Bezug, für das die Union nach Art. 81 Abs. 3 AEUV eine interne Zuständigkeit besitzt. Die Union hat von dieser Zuständigkeit auch durch den Erlass der Verordnung Nr. 2201/2003 Gebrauch gemacht. Unter diesen Umständen verfügt die Union über eine Außenkompetenz für den Bereich, der Gegenstand des Übereinkommens ist.

Zur Art der Zuständigkeit

69.

Der AEU-Vertrag legt u. a. in Art. 3 Abs. 2 fest, unter welchen Voraussetzungen die Union über eine ausschließliche Außenkompetenz verfügt.

70.

Insoweit steht fest, dass die Annahme des Beitritts eines Drittstaats zum Haager Übereinkommen von 1980 in keinem Gesetzgebungsakt der Union vorgesehen und nicht notwendig ist, damit die Union ihre interne Zuständigkeit ausüben kann. Folglich ist der Gutachtenantrag anhand der Voraussetzung in Art. 3 Abs. 2 AEUV zu prüfen, wonach der Abschluss internationaler Übereinkünfte in die ausschließliche Zuständigkeit der Union fällt, wenn er „gemeinsame Regeln beeinträchtigen oder deren Tragweite verändern könnte“.

71.

Ob diese Voraussetzung vorliegt, ist im Licht der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu prüfen, nach der eine zur Begründung einer ausschließlichen Außenkompetenz der Union geeignete Gefahr, dass durch völkerrechtliche Verpflichtungen der Mitgliedstaaten gemeinsame Regeln beeinträchtigt werden oder deren Tragweite verändert wird, dann besteht, wenn diese Verpflichtungen in den Anwendungsbereich der genannten Regeln fallen (vgl. in diesem Sinne Urteile Kommission/Rat, „AETR“, 22/70, EU:C:1971:32, Rn. 30, Kommission/Dänemark, C‑467/98, EU:C:2002:625, Rn. 82, und Kommission/Rat, C‑114/12, EU:C:2014:2151, Rn. 66 bis 68).

72.

Die Feststellung einer solchen Gefahr setzt keine völlige Übereinstimmung zwischen dem von den völkerrechtlichen Verpflichtungen erfassten Bereich und dem Bereich der Unionsregelung voraus (vgl. Gutachten 1/03, EU:C:2006:81, Rn. 126, und Urteil Kommission/Rat, EU:C:2014:2151, Rn. 69).

73.

Völkerrechtliche Verpflichtungen können die Tragweite der Unionsregeln insbesondere dann beeinträchtigen oder verändern, wenn die Verpflichtungen einen Bereich betreffen, der bereits weitgehend von solchen Regeln erfasst ist (vgl. in diesem Sinne Gutachten 2/91, EU:C:1993:106, Rn. 25 und 26). Wie der Gerichtshof bereits entschieden hat – und entgegen dem Vorbringen des Rates und einiger Regierungen, die Stellungnahmen abgegeben haben –, bleibt ein solcher Umstand im Kontext von Art. 3 Abs. 2 AEUV für die Beurteilung der Frage relevant, ob die Gefahr einer Beeinträchtigung der gemeinsamen Regeln der Union oder einer Veränderung ihrer Tragweite besteht (Urteil Kommission/Rat, EU:C:2014:2151, Rn. 70, 72 und 73).

74.

Angesichts dessen kann, da die Union nur über begrenzte Ermächtigungen verfügt, das Bestehen einer Zuständigkeit, zumal einer ausschließlichen, nur auf der Grundlage von Schlussfolgerungen angenommen werden, die aus einer umfassenden und konkreten Analyse des Verhältnisses zwischen der geplanten internationalen Übereinkunft und dem geltenden Unionsrecht gezogen werden. Zu berücksichtigen sind bei dieser Analyse die von den Unionsregeln und den Bestimmungen des geplanten Abkommens jeweils erfassten Bereiche, ihre voraussichtlichen Entwicklungsperspektiven sowie Art und Inhalt dieser Regeln und Bestimmungen, um zu prüfen, ob das fragliche Abkommen die einheitliche und kohärente Anwendung der Unionsregeln und das reibungslose Funktionieren des durch sie geschaffenen Systems beeinträchtigen kann (vgl. Gutachten 1/03, EU:C:2006:81, Rn. 126, 128 und 133, sowie Urteil Kommission/Rat, EU:C:2014:2151, Rn. 74).

– Zur Übereinstimmung der betroffenen Bereiche

75.

Das Haager Übereinkommen von 1980 sieht im Einzelnen zwei Verfahren vor, und zwar zum einen das Verfahren zur Rückgabe widerrechtlich verbrachter Kinder und zum anderen das Verfahren, das die Ausübung des Umgangsrechts gewährleisten soll.

76.

Was zunächst das Verfahren zur Rückgabe widerrechtlich verbrachter Kinder anbelangt, regeln die Art. 8 bis 11 des Übereinkommens die Stellung eines Antrags auf Rückgabe bei der Zentralen Behörde eines Vertragsstaats, die Übermittlung dieses Antrags an die Zentrale Behörde des Vertragsstaats, in dem sich das Kind befindet, sowie die Bearbeitung des Antrags durch die Gerichte oder Verwaltungsbehörden des letztgenannten Staates. Art. 12 des Übereinkommens sieht vor, unter welchen Voraussetzungen diese Gerichte oder Verwaltungsbehörden die Rückkehr des Kindes in den Vertragsstaat anordnen, in dem das Kind unmittelbar vor dem Verbringen oder Zurückhalten seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. In den Art. 13 und 20 des Haager Übereinkommens von 1980 sind die Fälle aufgeführt, in denen die Gerichte oder Verwaltungsbehörden eine Entscheidung treffen können, mit der die Rückgabe des Kindes verweigert wird.

77.

Die Verordnung Nr. 2201/2003 ergänzt und präzisiert, insbesondere in ihrem Art. 11, die genannten Regeln des Übereinkommens. So schreibt Art. 11 Abs. 2 der Verordnung vor, dass das betroffene Kind im Lauf des in den Art. 12 und 13 des Übereinkommens vorgesehenen Verfahrens grundsätzlich anzuhören ist. Ferner sieht Art. 11 Abs. 3 der Verordnung eine genaue Frist vor, in der die Entscheidung über die Rückgabe des widerrechtlich verbrachten Kindes getroffen werden muss. In Art. 11 Abs. 4 bis 6 der Verordnung werden zusätzliche Voraussetzungen für die Ausübung der Befugnis des Gerichts eines Mitgliedstaats aufgestellt, die Rückgabe eines Kindes auf der Grundlage des Übereinkommens abzulehnen. Durch Art. 11 Abs. 8 der Verordnung Nr. 2201/2003 in Verbindung mit ihrem Art. 42 wird ein Verfahren geschaffen, das ergänzend zu dem im Haager Übereinkommen von 1980 vorgesehenen Verfahren die Rückgabe widerrechtlich verbrachter Kinder erleichtert. Nach diesen Bestimmungen kann das aufgrund der Verordnung zuständige Gericht, ungeachtet einer nach Art. 13 des Übereinkommens ergangenen Entscheidung, mit der die Rückgabe des Kindes verweigert wird, eine spätere Entscheidung erlassen, mit der die Rückgabe des Kindes angeordnet wird. Diese Entscheidung wird in dem Mitgliedstaat, in dem sich das Kind aufhält, anerkannt und kann dort vollstreckt werden, ohne dass die Anerkennung von den Behörden dieses Staates angefochten werden kann.

78.

Aus dem Inhalt aller in der vorstehenden Randnummer erwähnten Bestimmungen der Verordnung Nr. 2201/2003 ergibt sich, dass sie entweder auf den Regeln des Haager Übereinkommens von 1980 beruhen oder Konsequenzen vorsehen, die aus der Anwendung dieser Regeln zu ziehen sind. Diese beiden Gruppen von Bestimmungen stellen somit eine untrennbare Gesamtheit von Rechtsnormen für die Verfahren zur Rückgabe innerhalb der Union widerrechtlich verbrachter Kinder dar.

79.

Was sodann das Verfahren zur Gewährleistung der Ausübung des Umgangsrechts anbelangt, ist ihm im Übereinkommen nur dessen Art. 21 speziell gewidmet; er sieht lediglich vor, dass Anträge auf Ausübung des Umgangsrechts an die Zentralen Behörden der Vertragsstaaten gerichtet werden können und dass diese verpflichtet sind, die ungestörte Ausübung dieses Rechts zu fördern.

80.

In der Verordnung Nr. 2201/2003 werden entsprechende Grundregeln für die Ausübung dieses Rechts aufgestellt. Insbesondere kann nach ihren Art. 55 und 57 jeder Träger der elterlichen Verantwortung bei der Zentralen Behörde des Mitgliedstaats, in dem er seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, oder bei der Zentralen Behörde des Mitgliedstaats, in dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat oder in dem es sich befindet, einen Antrag auf Unterstützung bei der Ausübung des Umgangsrechts stellen.

81.

Schließlich enthält das Haager Übereinkommen von 1980 allgemeine Bestimmungen, die sowohl für die Verfahren bezüglich der Rückgabe des widerrechtlich verbrachten Kindes gelten als auch für die Ausübung des Umgangsrechts. So geht aus den Art. 22 und 26 des Übereinkommens hervor, dass die zuständigen Behörden, vorbehaltlich bestimmter Ausnahmen, im Zusammenhang mit diesen Verfahren keine Gebühren oder Sicherheitsleistungen erheben dürfen. Nach Art. 23 des Übereinkommens darf im Rahmen dieser Verfahren keine Legalisation oder ähnliche Formalität verlangt werden. Art. 24 des Haager Übereinkommens von 1980 legt fest, in welchen Sprachen Anträge in Bezug auf die Anwendung des Übereinkommens an die Zentrale Behörde des ersuchten Staates gerichtet werden können. Ferner wird nach Art. 25 des Übereinkommens Personen, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einem Vertragsstaat haben und einen solchen Antrag stellen, in jedem anderen Vertragsstaat Prozesskosten- und Beratungshilfe zu denselben Bedingungen bewilligt wie Angehörigen des betreffenden Staates, die dort ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben.

82.

Die Verordnung Nr. 2201/2003 sieht für das Verfahren zur Rückgabe des widerrechtlich verbrachten Kindes und das Verfahren zur Gewährleistung der Ausübung des Umgangsrechts ähnliche Modalitäten vor. Insbesondere geht aus Art. 57 Abs. 3 der Verordnung hervor, dass die Unterstützung durch die Zentralen Behörden unentgeltlich erfolgt. Nach Art. 41 der Verordnung wird eine in einem Mitgliedstaat ergangene vollstreckbare Entscheidung über das Umgangsrecht in einem anderen Mitgliedstaat anerkannt und kann dort vollstreckt werden, ohne dass es einer Vollstreckbarerklärung bedarf und ohne dass die Anerkennung angefochten werden kann. Art. 42 der Verordnung Nr. 2201/2003 sieht eine entsprechende Anerkennung von Entscheidungen über die Rückgabe eines Kindes im Sinne von Art. 11 Abs. 8 der Verordnung vor. Nach Art. 57 Abs. 2 der Verordnung können Mitteilungen an die Zentralen Behörden der Mitgliedstaaten in einer anderen als ihrer eigenen Sprache gerichtet werden. Schließlich heißt es in Art. 50 der Verordnung, dass ein Antragsteller, dem im Ursprungsmitgliedstaat Prozesskostenhilfe oder Kostenbefreiung gewährt wurde, in den Verfahren zur Rückgabe eines widerrechtlich verbrachten Kindes und zur Ausübung des Umgangsrechts, die in den Art. 41, 42 und 48 der Verordnung vorgesehen sind, hinsichtlich der Prozesskostenhilfe oder der Kostenbefreiung die günstigste Behandlung genießt, die das Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats vorsieht.

83.

Nach alledem ist festzustellen, dass sich die Bestimmungen der Verordnung Nr. 2201/2003 zum großen Teil auf die beiden im Haager Übereinkommen von 1980 geregelten Verfahren – das Verfahren zur Rückgabe widerrechtlich verbrachter Kinder und das Verfahren zur Gewährleistung der Ausübung des Umgangsrechts – erstrecken. Somit ist das gesamte Übereinkommen als von den Unionsregeln erfasst anzusehen.

– Zur Gefahr einer Beeinträchtigung der gemeinsamen Regeln

84.

In Bezug auf die Gefahr, dass die Unionsregeln durch die Bestimmungen des Haager Übereinkommens von 1980 und durch die Einverständniserklärungen in Anbetracht ihrer jeweiligen Art und ihres jeweiligen Inhalts beeinträchtigt werden, ist zum einen festzustellen, dass die Verordnung Nr. 2201/2003 einheitliche, für die Behörden der Mitgliedstaaten bindende Regeln aufstellt.

85.

Zum anderen sind aufgrund der Überschneidung und der engen Verbindung zwischen den Bestimmungen der Verordnung und denen des Übereinkommens, insbesondere zwischen den Bestimmungen in Art. 11 der Verordnung und denen in Kapitel III des Übereinkommens, dessen Bestimmungen geeignet, sich auf den Sinn, die Tragweite und die Wirksamkeit der Vorschriften der Verordnung Nr. 2201/2003 auszuwirken.

86.

Dieser Schluss wird nicht dadurch entkräftet, dass zahlreiche Bestimmungen der Verordnung und des Übereinkommens untereinander kohärent erscheinen mögen. Wie der Gerichtshof nämlich bereits entschieden hat, können völkerrechtliche Verpflichtungen die Regeln der Union auch dann beeinträchtigen, wenn zwischen ihnen kein Widerspruch besteht (vgl. in diesem Sinne Gutachten 2/91, EU:C:1993:106, Rn. 25 und 26, sowie Urteil Kommission/Rat, EU:C:2014:2151, Rn. 71).

87.

Speziell dem Verhältnis zwischen dem Haager Übereinkommen von 1980 und der Verordnung Nr. 2201/2003 ist insbesondere Art. 60 der Verordnung gewidmet; danach hat die Verordnung vor dem Übereinkommen insoweit Vorrang, als sich die von ihnen geregelten Bereiche überschneiden.

88.

Trotz dieses Vorrangs der Verordnung Nr. 2201/2003 besteht aber die Gefahr, dass die Tragweite und die Wirksamkeit der mit der Verordnung geschaffenen gemeinsamen Regeln durch eine uneinheitliche Praxis der Mitgliedstaaten bei der Annahme der Beitritte von Drittstaaten zum Haager Übereinkommen von 1980 beeinträchtigt werden.

89.

Wie das Parlament und die Kommission insoweit hervorgehoben haben, bestünde, wenn die Mitgliedstaaten und nicht die Union für die Annahme oder Nichtannahme des Beitritts eines neuen Drittstaats zum Haager Übereinkommen von 1980 zuständig wären, in allen Fällen, in denen eine internationale Kindesentführung einen Drittstaat und zwei Mitgliedstaaten betrifft, von denen der eine den Beitritt dieses Drittstaats zum Übereinkommen angenommen hat, der andere aber nicht, die Gefahr einer Beeinträchtigung der einheitlichen und kohärenten Anwendung der Verordnung Nr. 2201/2003 und insbesondere der Regeln für die Zusammenarbeit zwischen den Behörden der Mitgliedstaaten.

90.

Nach alledem fällt das Einverständnis zum Beitritt eines Drittstaats zum Haager Übereinkommen von 1980 in die ausschließliche Zuständigkeit der Union.

Folglich äußert sich der Gerichtshof (Große Kammer) gutachtlich wie folgt:

Das Einverständnis zum Beitritt eines Drittstaats zu dem am 25. Oktober 1980 in Den Haag geschlossenen Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung fällt in die ausschließliche Zuständigkeit der Europäischen Union.

Unterschriften

Top