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Document 62013CJ0377

Urteil des Gerichtshofs (Zweite Kammer) vom 12. Juni 2014.
Ascendi Beiras Litoral e Alta, Auto Estradas das Beiras Litoral e Alta SA gegen Autoridade Tributária e Aduaneira.
Vorabentscheidungsersuchen des Tribunal Arbitral Tributário (Centro de Arbitragem Administrativa – CAAD).
Vorabentscheidungsersuchen – Begriff ‚Gericht eines Mitgliedstaats‘ – Tribunal Arbitral Tributário – Richtlinie 69/335/EWG – Art. 4 und 7 – Erhöhung des Kapitals einer Kapitalgesellschaft – Am 1. Juli 1984 bestehende Stempelsteuer – Spätere Abschaffung, dann Wiedereinführung dieser Stempelsteuer.
Rechtssache C‑377/13.

Court reports – general

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2014:1754

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)

12. Juni 2014 ( *1 )

„Vorabentscheidungsersuchen — Begriff ‚Gericht eines Mitgliedstaats‘ — Tribunal Arbitral Tributário — Richtlinie 69/335/EWG — Art. 4 und 7 — Erhöhung des Kapitals einer Kapitalgesellschaft — Am 1. Juli 1984 bestehende Stempelsteuer — Spätere Abschaffung, dann Wiedereinführung dieser Stempelsteuer“

In der Rechtssache C‑377/13

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunal Arbitral Tributário (Centro de Arbitragem Administrativa – CAAD) (Portugal) mit Entscheidung vom 31. Mai 2013, beim Gerichtshof eingegangen am 3. Juli 2013, in dem Verfahren

Ascendi Beiras Litoral e Alta, Auto Estradas das Beiras Litoral e Alta SA

gegen

Autoridade Tributária e Aduaneira

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta, des Vizepräsidenten des Gerichtshofs K. Lenaerts (Berichterstatter) sowie der Richter G. Arestis, J.‑C. Bonichot und A. Arabadjiev,

Generalanwalt: M. Szpunar,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der Ascendi Beiras Litoral e Alta, Auto Estradas das Beiras Litoral e Alta SA, vertreten durch F. Fernandes Lourenço, advogado,

der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes, J. Menezes Leitão und A. Cunha als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch P. Guerra e Andrade und L. Lozano Palacios als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 8. April 2014

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 4, 7 und 10 Buchst. a der Richtlinie 69/335/EWG des Rates vom 17. Juli 1969 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital (ABl. L 249, S. 25) in der durch die Richtlinie 85/303/EWG des Rates vom 10. Juni 1985 (ABl. L 156, S. 23) geänderten Fassung.

2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Ascendi Beiras Litoral e Alta, Auto Estradas das Beiras Litoral e Alta SA (im Folgenden: Ascendi) und der Autoridade Tributária e Aduaneira (Steuer- und Zollverwaltung) über deren Bescheid vom 6. August 2012, mit dem Ascendi die Erstattung der Stempelsteuer, die sie für vier Kapitalerhöhungen im Zeitraum Dezember 2004 bis November 2006 entrichtet hatte, verweigert wurde (im Folgenden: streitiger Bescheid).

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3

Ihrem ersten Erwägungsgrund zufolge bezweckte die Richtlinie 69/335 die Förderung des freien Kapitalverkehrs, der als eine für die Schaffung eines Binnenmarkts wesentliche Grundfreiheit angesehen wird. Dazu sollte die Richtlinie, wie aus ihren Erwägungsgründen 6 bis 8 hervorgeht, eine Harmonisierung der Abgaben auf Kapitalzuführungen an Gesellschaften in der Union durch die Einführung einer einheitlichen Steuer auf die Ansammlung von Kapital, die nur einmal innerhalb des Gemeinsamen Marktes erhoben werden kann, und durch die Aufhebung aller anderen indirekten Steuern mit den gleichen Merkmalen wie diese einheitliche Steuer herbeiführen.

4

Hierzu bestimmte Art. 1 der Richtlinie 69/335, dass „[d]ie Mitgliedstaaten … eine gemäß den Bestimmungen der Artikel 2 bis 9 harmonisierte Abgabe auf Kapitalzuführungen an Kapitalgesellschaften [erheben], die nachfolgend als Gesellschaftsteuer bezeichnet wird“.

5

Durch die Richtlinie 85/303 wurde die Richtlinie 69/335, insbesondere deren Art. 4 Abs. 2 und Art. 7, wesentlich geändert. In den Erwägungsgründen 2 bis 4 der Richtlinie 85/303 heißt es:

„Die wirtschaftlichen Auswirkungen der Gesellschaftssteuer sind für den Zusammenschluss und die Entwicklung der Unternehmen ungünstig. Besonders negativ sind sie bei der derzeitigen Konjunktur, in der die Belebung der Investitionen als vordringlich zu gelten hat.

Um dies zu erreichen, erscheint als beste Lösung die Abschaffung der Gesellschaftssteuer. Die sich aus einer solchen Maßnahme ergebenden Einnahmeausfälle scheinen jedoch einigen Mitgliedstaaten unannehmbar. Infolgedessen muss den Mitgliedstaaten die Möglichkeit belassen werden, Vorgänge, die in den Anwendungsbereich dieser Steuer fallen, vollständig oder teilweise von der Gesellschaftssteuer zu befreien oder der Steuer zu unterwerfen …

Es empfiehlt sich, diejenigen Vorgänge, die gegenwärtig dem ermäßigten Gesellschaftssteuersatz unterliegen, künftig von der Steuer zu befreien.“

6

Art. 4 der Richtlinie 69/335 in der Fassung der Richtlinie 85/303 (im Folgenden: Richtlinie 69/335) bestimmte:

„(1)   Der Gesellschaftsteuer unterliegen die nachstehenden Vorgänge:

c)

die Erhöhung des Kapitals einer Kapitalgesellschaft durch Einlagen jeder Art;

(2)   Soweit sie am 1. Juli 1984 der Steuer zum Satz von 1 v. H. unterlagen, können die folgenden Vorgänge auch weiterhin der Gesellschaftsteuer unterworfen werden:

a)

die Erhöhung des Kapitals einer Kapitalgesellschaft durch Umwandlung von Gewinnen, Rücklagen oder Rückstellungen;

…“

7

Art. 7 der Richtlinie 69/335 lautete:

„(1)   Mit Ausnahme der in Artikel 9 genannten Vorgänge befreien die Mitgliedstaaten von der Gesellschaftssteuer die Vorgänge, die am 1. Juli 1984 steuerfrei waren oder einem Gesellschaftssteuersatz von 0,50 v. H. oder weniger unterlagen.

Für die Befreiung gelten die zu diesem Zeitpunkt anwendbaren Bedingungen für die Gewährung der Befreiung oder gegebenenfalls für die Anwendung eines Steuersatzes von 0,50 v. H. oder weniger.

(2)   Die Mitgliedstaaten können entweder alle anderen als die in Absatz 1 bezeichneten Vorgänge von der Gesellschaftssteuer befreien oder darauf die Steuer mit einem einheitlichen Satz von höchstens 1 v. H. erheben.

…“

8

Art. 10 Buchst. a der Richtlinie 69/335 sah vor:

„Abgesehen von der Gesellschaftsteuer erheben die Mitgliedstaaten von Gesellschaften, Personenvereinigungen oder juristischen Personen mit Erwerbszweck keinerlei andere Steuern oder Abgaben auf:

a)

die in Artikel 4 genannten Vorgänge;

…“

9

Die Frist für die Umsetzung der Richtlinie 85/303 war auf den 1. Januar 1986 festgesetzt.

10

Die Richtlinie 69/335 wurde durch die Richtlinie 2008/7/EG des Rates vom 12. Februar 2008 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital (ABl. L 46, S. 11) aufgehoben. Diese Aufhebung erfolgte jedoch nach den dem Ausgangsverfahren zugrunde liegenden Ereignissen.

Nationales Recht

11

Art. 145 der durch Erlass Nr. 21196 vom 28. November 1932 genehmigten Allgemeinen Stempelsteuertabelle (Tabela Geral do Imposto de Selo, im Folgenden: TGIS) in ihrer am 1. Juli 1984 geltenden Fassung bestimmte:

„Stärkung oder Erhöhung des Kapitals von Gesellschaften, auf den Betrag der Erhöhung:

a)

Personengesellschaften – 5 Promille (Stempelsteuer);

b)

Kapitalgesellschaften … – 2 % (Stempelsteuer);

c)

andere Gesellschaften – 7 Promille (Stempelsteuer).

1.   Erhöhung durch die Stempelsteuer nach Art. 93 bei Gesellschaften gemäß den Buchst. a bis c.

2.   Die Stärkung oder Erhöhung des Gesellschaftskapitals ist steuerbefreit, wenn sie als Bareinlage vorgenommen wird.“

12

Später wurde durch gesetzesvertretende Verordnung Nr. 223/91 vom 18. Juni 1991 in Änderung von Art. 145 Abs. 2 TGIS „die Stärkung oder Erhöhung des Gesellschaftskapitals von Kapitalgesellschaften“ von der Stempelsteuer befreit, womit Kapitalerhöhungen bei Kapitalgesellschaften unabhängig von der Form ihrer Vornahme von der Stempelsteuer befreit wurden.

13

Mit gesetzesvertretender Verordnung Nr. 322-B/2001 vom 14. Dezember 2001 wurde durch Hinzufügung eines Art. 26.3 TGIS jede Erhöhung des Kapitals einer Kapitalgesellschaft unabhängig von der Form ihrer Vornahme der Stempelsteuer zum Satz von 0,4 % des Betrags der Erhöhung unterworfen.

Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

14

Ascendi, eine Kapitalgesellschaft, nahm vom 15. Dezember 2004 bis zum 29. November 2006 vier Kapitalerhöhungen durch Umwandlung von Forderungen der Anteilseigner in Gesellschaftskapital vor, die diesen aus zuvor gegenüber der Gesellschaft erbrachten Nebenleistungen erwachsen waren. Für diese Kapitalerhöhungen hatte Ascendi insgesamt 205381,95 Euro Stempelsteuer, Notar- und Eintragungskosten zu tragen.

15

Am 28. März 2008 beantragte Ascendi bei der Autoridade Tributária e Aduaneira Erstattung der für die genannten Kapitalerhöhungen entrichteten Stempelsteuer. Dieser Antrag wurde durch den streitigen Bescheid abgelehnt.

16

Ascendi brachte den Rechtsstreit vor das Tribunal Arbitral Tributário (Schiedsgericht für Steuerangelegenheiten).

17

In der Vorlageentscheidung stellt das Tribunal Arbitral Tributário zunächst fest, dass es sämtliche Voraussetzungen des Art. 267 AEUV erfülle, um als Gericht eines Mitgliedstaats im Sinne dieses Artikels angesehen zu werden.

18

Sodann wirft das Tribunal Arbitral Tributário die Frage auf, ob die gesetzesvertretende Verordnung Nr. 322-B/2001, auf die der streitige Bescheid gestützt sei, mit den Art. 4, 7 und 10 Buchst. a der Richtlinie 69/335 vereinbar sei. Es verweist hierzu zunächst auf das Vorbringen von Ascendi, dass in Portugal Kapitalerhöhungen gemäß der gesetzesvertretenden Verordnung Nr. 223/91 seit 1991 von der Stempelsteuer befreit seien und dass die Befreiung in dem spezifischen Fall von durch Bareinlagen vorgenommenen Kapitalerhöhungen sogar auf Mai 1984 zurückgehe. Nach Auffassung von Ascendi verstoße die Wiedereinführung einer Stempelsteuer im Jahr 2001 durch die gesetzesvertretende Verordnung Nr. 322-B/2001 gegen die Bestimmungen der Richtlinie 69/335.

19

Die Autoridade Tributária e Aduaneira trete diesem Vorbringen entgegen. Nach ihrer Auffassung hätten die Mitgliedstaaten gemäß Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 69/335 bei Kapitalerhöhungen lediglich die Vorgänge von der Gesellschaftsteuer zu befreien, die am 1. Juli 1984 steuerfrei gewesen seien oder einem Gesellschaftsteuersatz von 0,50 % oder weniger unterlegen hätten. Diese Bestimmung erfasse nicht die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Kapitalerhöhungen, die auf andere Weise als durch Bareinlagen vorgenommen worden seien. Für solche Vorgänge habe nämlich die nationale Regelung am 1. Juli 1984 die Anwendung eines höheren Stempelsteuersatzes als 0,50 % vorgesehen.

20

Schließlich führt das Tribunal Arbitral Tributário aus, eine Antwort könne nicht klar aus der Rechtsprechung abgeleitet werden. In der Rechtssache, in der das Urteil Optimus – Telecomunicações (C‑366/05, EU:C:2007:366) ergangen sei, sei die Kapitalerhöhung nämlich durch Bareinlagen vorgenommen worden. Ein solcher Vorgang sei jedoch anders als die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Vorgänge am 1. Juli 1984 von der Stempelsteuer befreit gewesen.

21

Unter diesen Umständen hat das Tribunal Arbitral Tributário das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Stehen Art. 4 Abs. 1 Buchst. c und Abs. 2 Buchst. a, Art. 7 Abs. 1 und Art. 10 Buchst. a der Richtlinie 69/335 nationalen Rechtsvorschriften wie der gesetzesvertretenden Verordnung Nr. 322-B/2001 vom 14. Dezember 2001 entgegen, mit denen Kapitalerhöhungen bei Kapitalgesellschaften durch Umwandlung in Gesellschaftskapital von Forderungen der Anteilseigner aus zuvor gegenüber der Gesellschaft erbrachten Nebenleistungen auch dann der Stempelsteuer unterworfen wurden, wenn diese Nebenleistungen in bar erbracht wurden, und zwar unter Berücksichtigung dessen, dass zum 1. Juli 1984 in dieser Weise vorgenommene Kapitalerhöhungen durch nationale Rechtsvorschriften der Stempelsteuer mit einem Steuersatz von 2 % unterworfen wurden und zum selben Zeitpunkt Barkapitalerhöhungen von der Stempelsteuer befreit waren?

Zur Zuständigkeit des Gerichtshofs

22

Zunächst ist zu prüfen, ob das Tribunal Arbitral Tributário als Gericht eines Mitgliedstaats im Sinne von Art. 267 AEUV anzusehen ist.

23

Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof nach ständiger Rechtsprechung zur Beurteilung der rein unionsrechtlichen Frage, ob es sich bei der vorlegenden Einrichtung um ein „Gericht“ im Sinne von Art. 267 AEUV handelt, auf eine Reihe von Merkmalen abstellt, wie z. B. gesetzliche Grundlage der Einrichtung, ständiger Charakter, obligatorische Gerichtsbarkeit, streitiges Verfahren, Anwendung von Rechtsnormen durch die Einrichtung sowie deren Unabhängigkeit (Urteil Belov, C‑394/11, EU:C:2013:48, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung). Zudem können die nationalen Gerichte den Gerichtshof nur anrufen, wenn bei ihnen ein Rechtsstreit anhängig ist und sie im Rahmen eines Verfahrens zu entscheiden haben, das auf eine Entscheidung mit Rechtsprechungscharakter abzielt (vgl. u. a. Urteile Syfait u. a., C‑53/03, EU:C:2005:333, Rn. 29, und Belov, EU:C:2013:48, Rn. 39).

24

Zum Ausgangsverfahren geht aus den Angaben in der Vorlageentscheidung hervor, dass die Schiedsgerichte für Steuerangelegenheiten eine gesetzliche Grundlage haben. Die Schiedsgerichte stehen nämlich auf der Liste der nationalen Gerichte zu Art. 209 der Verfassung der Portugiesischen Republik. Im Übrigen stellt gemäß Art. 1 der gesetzesvertretenden Verordnung Nr. 10/2011 vom 20. Januar 2011 die Schiedsgerichtsbarkeit für Steuerangelegenheiten eine alternative Form der gerichtlichen Streitentscheidung in Steuerangelegenheiten dar, und Art. 2 dieser Verordnung weist den Schiedsgerichten für Steuerangelegenheiten eine allgemeine Zuständigkeit zur Prüfung der Rechtmäßigkeit jeglicher Steuerfestsetzung zu.

25

Ferner genügen die Schiedsgerichte für Steuerangelegenheiten als Teil des Systems der gerichtlichen Streitentscheidung in Steuerangelegenheiten dem Kriterium des ständigen Charakters.

26

Wie der Generalanwalt in Nr. 37 seiner Schlussanträge hervorgehoben hat, weist das Tribunal Arbitral Tributário nämlich, obwohl die Zusammensetzung seiner Spruchkörper von kurzer Dauer ist und deren Tätigkeit jeweils mit ihrer Entscheidung endet, insgesamt als Teil des genannten Systems ständigen Charakter auf.

27

Zum Kriterium obligatorische Gerichtsbarkeit ist darauf hinzuweisen, dass dieses Merkmal im Rahmen eines vertraglichen Schiedsverfahrens fehlt, da für die Vertragsparteien weder eine rechtliche noch eine tatsächliche Verpflichtung besteht, ihre Streitigkeiten vor ein Schiedsgericht zu bringen, und die Träger der öffentlichen Gewalt des betreffenden Mitgliedstaats weder in die Entscheidung, den Weg der Schiedsgerichtsbarkeit zu wählen, einbezogen sind, noch von Amts wegen in den Ablauf des Verfahrens vor dem Schiedsrichter eingreifen können (Urteil Denuit und Cordenier, C‑125/04, EU:C:2005:69, Rn. 13 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie Beschluss Merck Canada, C‑555/13, EU:C:2014:92, Rn. 17).

28

Der Gerichtshof hat jedoch Vorlagefragen für zulässig erklärt, die ihm von einem Schiedsgericht mit gesetzlicher Grundlage unterbreitet wurden, dessen Entscheidungen für die Parteien verbindlich waren und dessen Zuständigkeit nicht vom Einvernehmen der Parteien abhing (Beschluss Merck Canada, EU:C:2014:92, Rn. 18 und die dort angeführte Rechtsprechung).

29

Wie der Generalanwalt in den Nrn. 28 und 40 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, unterscheidet sich das Tribunal Arbitral Tributário, dessen Entscheidungen für die Parteien gemäß Art. 24 Abs. 1 der gesetzesvertretenden Verordnung Nr. 10/2011 zwingend sind, von einem Schiedsgericht im engeren Sinn. Seine Zuständigkeit ergibt sich nämlich unmittelbar aus den Bestimmungen der gesetzesvertretenden Verordnung Nr. 10/2011 und ist mithin nicht von der vorhergehenden Erklärung der Parteien abhängig, den Streitfall dem Schiedsgericht unterwerfen zu wollen (vgl. entsprechend Urteil Danfoss, 109/88, EU:C:1989:383, Rn. 7). Will die steuerpflichtige Streitpartei die Streitigkeit vor das Schiedsgericht für Steuerangelegenheiten bringen, ist die Zuständigkeit des Tribunal Arbitral Tributário gemäß Art. 4 Abs. 1 der gesetzesvertretenden Verordnung 10/2011 für die Steuer- und Zollverwaltung zwingend.

30

Der streitige Charakter des Verfahrens vor den Schiedsgerichten für Steuerangelegenheiten ist durch die Art. 16 und 28 der gesetzesvertretenden Verordnung Nr. 10/2011 gewährleistet. Gemäß deren Art. 2 Abs. 2 entscheiden diese Schiedsgerichte im Übrigen „auf der Grundlage des gesetzten Rechts, der Rückgriff auf Billigkeitserwägungen ist ausgeschlossen“.

31

Was die Unabhängigkeit der Schiedsgerichte für Steuerangelegenheiten angeht, ergibt sich aus der Vorlageentscheidung zum einen, dass die Schiedsrichter, mit denen das mit dem Ausgangsrechtsstreit befasste Tribunal Arbitral Tributário besetzt ist, gemäß Art. 6 der gesetzesvertretenden Verordnung Nr. 10/2011 vom Conselho Deontológico do Centro de Arbitragem Administrativa (Rat der Zentralstelle für das Verwaltungsschiedsverfahren) unter den Schiedsrichtern ausgewählt werden, die in der von dieser Einrichtung aufgestellten Liste aufgeführt sind.

32

Zum anderen unterliegen die Schiedsrichter gemäß Art. 9 der gesetzesvertretenden Verordnung Nr. 10/2011 den Grundsätzen der Unparteilichkeit und der Unabhängigkeit. Überdies sieht Art. 8 Abs. 1 dieser Verordnung den Ausschluss von der Wahrnehmung der schiedsrichterlichen Aufgabe vor, falls zwischen dem Schiedsrichter und einer der Streitparteien eine Bindung familiärer oder beruflicher Art besteht. Damit wird gewährleistet, dass das Schiedsgericht gegenüber der Stelle, die die mit einem Rechtsbehelf angefochtene Entscheidung erlassen hat, die Eigenschaft eines Dritten hat (vgl. Urteil RTL Belgium, C‑517/09, EU:C:2010:821, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie Beschluss Devillers, C‑167/13, EU:C:2013:804, Rn. 15).

33

Schließlich entscheiden, wie sich aus Art. 1 der gesetzesvertretenden Verordnung Nr. 10/2011 ergibt, die Schiedsgerichte für Steuerangelegenheiten im Rahmen eines Verfahrens, das zu einer Entscheidung mit Rechtsprechungscharakter führt.

34

Nach alledem weist die vorlegende Einrichtung alle Merkmale auf, die für eine Einstufung als Gericht eines Mitgliedstaats im Sinne von Art. 267 AEUV erforderlich sind.

35

Der Gerichtshof ist daher für die Beantwortung der vom vorlegenden Gericht gestellten Frage zuständig.

Zur Vorlagefrage

36

Das vorlegende Gericht möchte mit seiner Frage wissen, ob die Art. 4, 7 und 10 Buchst. a der Richtlinie 69/335 Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats entgegenstehen, mit denen eine Stempelsteuer auf Erhöhungen des Kapitals einer Kapitalgesellschaft wieder eingeführt wird, die am 1. Juli 1984 einer solchen Steuer unterlagen, aber später von ihr befreit wurden.

37

Nach Auffassung von Ascendi waren Vorgänge wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nach dem anwendbaren nationalen Recht bereits am 1. Juli 1984 von der Stempelsteuer befreit.

38

Hierzu ist jedoch darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof nicht befugt ist, im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens darüber zu entscheiden, wie nationale Vorschriften auszulegen sind, oder den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens zu würdigen, da diese Aufgabe ausschließlich Sache des vorlegenden Gerichts ist (vgl. Urteile Angelidaki u. a., C‑378/07 bis C‑380/07, EU:C:2009:250, Rn. 48, sowie van Delft u. a., C‑345/09, EU:C:2010:610, Rn. 114).

39

Aus dem Wortlaut des Vorlagebeschlusses geht jedoch hervor, dass nach den nationalen Rechtsvorschriften am 1. Juli 1984 Kapitalerhöhungen wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden einer Stempelsteuer zum Satz von 2 % unterlagen.

40

Zur Frage, ob die Bestimmungen der Richtlinie 69/335 einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, ist zunächst darauf hinzuweisen, dass diese Regelung Erhöhungen des Kapitals einer Kapitalgesellschaft einer Stempelsteuer unterwirft. Da diese Stempelsteuer auf die Ansammlung von Kapital als solche erhoben wird, stellt sie eine Gesellschaftsteuer im Sinne von Art. 1 der Richtlinie 69/335 dar.

41

Unter diesen Umständen ist die Auslegung von Art. 10 der Richtlinie 69/335, der nur andere indirekte Steuern als die Gesellschaftsteuer betrifft, für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits unerheblich.

42

Sodann ist festzustellen, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Vorgänge unter Art. 4 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 69/335 fallen. Die verschiedenen Erhöhungen des Kapitals der betroffenen Kapitalgesellschaft wurden nämlich „durch Einlagen jeder Art“ im Sinne dieser Bestimmung vorgenommen, d. h. durch Umwandlung von Forderungen der Anteilseigner dieser Gesellschaft in Gesellschaftskapital, die ihnen aus vor diesen Erhöhungen gegenüber der Gesellschaft erbrachten Nebenleistungen erwachsen waren.

43

Für unter Art. 4 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 69/335 fallende Vorgänge sieht diese Bestimmung vor, dass sie „[d]er Gesellschaftsteuer unterliegen“.

44

Trotz der Formulierung dieses Art. 4 Abs. 1 geht jedoch aus Art. 7 der Richtlinie 69/335 hervor, dass keine Verpflichtung besteht, unter Art. 4 Abs. 1 fallende Vorgänge der Gesellschaftsteuer zu unterwerfen.

45

Vielmehr enthält, wie der Gerichtshof entschieden hat, Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 69/335 für die Mitgliedstaaten die klare, unbedingte Verpflichtung, diejenigen Vorgänge von der Gesellschaftsteuer zu befreien, die am 1. Juli 1984 steuerfrei waren oder einem Gesellschaftsteuersatz von 0,50 % oder weniger unterlagen (vgl. Urteile Optimus – Telecomunicações, EU:C:2007:366, Rn. 30, und Pak-Holdco, C‑372/10, EU:C:2012:86, Rn. 28). Diese Verpflichtung sowie die anderen sich aus der Richtlinie 69/335 ergebenden Verpflichtungen binden die Portugiesische Republik seit ihrem Beitritt zur Europäischen Union am 1. Januar 1986.

46

Die Portugiesische Republik konnte sich jedoch, soweit unter Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 69/335 fallende Vorgänge – wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden – am 1. Juli 1984 einer Gesellschaftsteuer zu einem höheren Satz als 0,50 % unterlagen, bei ihrem Beitritt zur Union am 1. Januar 1986 dafür entscheiden, diese Art von Vorgängen auch weiterhin der Gesellschaftsteuer zu unterwerfen (vgl. in diesem Sinne Urteil Logstor ROR Polska, C‑212/10, EU:C:2011:404, Rn. 34).

47

Schließlich ist noch die Frage zu prüfen, ob ein Mitgliedstaat, der im Jahr 1991 darauf verzichtet hatte, unter Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 69/335 fallende Vorgänge einer Gesellschaftsteuer zu unterwerfen, sich im Jahr 2001 für die Wiedereinführung einer solchen Steuer entscheiden durfte.

48

Da der Fall einer abgeschafften und dann nach dem 1. Juli 1984 wieder eingeführten Steuer in Art. 4 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 69/335 nicht ausdrücklich geregelt ist, sind die betroffenen Bestimmungen teleologisch auszulegen, wofür der mit ihnen verfolgte Zweck zu ermitteln ist.

49

Aus den Erwägungsgründen 2 und 3 der Richtlinie 85/303 geht hervor, dass die Richtlinie 69/335 darauf abzielt, die Gesellschaftsteuer zu begrenzen oder sogar abzuschaffen. Hinsichtlich dieses Ziels ergibt sich aus dem genannten dritten Erwägungsgrund, dass die Mitgliedstaaten, die nicht auf die Erhebung dieser Steuer verzichtet hatten, diese lediglich aufgrund der budgetären Schwierigkeiten, die sie bei ihrer Abschaffung gehabt hätten, beibehalten konnten (vgl. in diesem Sinne Urteil Logstor ROR Polska, EU:C:2011:404, Rn. 36).

50

Die Bezugnahme auf den 1. Juli 1984 in Art. 7 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 69/335 kann für die Mitgliedstaaten, die die fraglichen Vorgänge zu diesem Zeitpunkt einer Gesellschaftsteuer zu einem höheren Satz als 0,50 % unterwarfen, keine Erlaubnis darstellen, diese Steuer, nachdem sie darauf verzichtet hatten, erneut einzuführen. Der Unionsgesetzgeber wollte die Gesellschaftsteuer nämlich abschaffen, und die Möglichkeit ihrer Beibehaltung war nur eine Ausnahme, die auf der Befürchtung beruhte, dass den Mitgliedstaaten Einnahmeausfälle entstehen könnten. Daher konnte der Verlust von Haushaltseinnahmen zwar die durch Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 69/335 begrenzte Beibehaltung der Gesellschaftsteuer über den 1. Juli 1984 hinaus rechtfertigen, aber nicht die Wiedereinführung dieser Steuer (vgl. in diesem Sinne Urteil Logstor ROR Polska, EU:C:2011:404, Rn. 37 bis 39).

51

Entgegen dem Vorbringen der portugiesischen Regierung betrifft die sich aus der Richtlinie 69/335 ergebende „Stillhalte“-Verpflichtung sowohl die in Art. 4 Abs. 2 als auch die in Art. 4 Abs. 1 dieser Richtlinie genannten Vorgänge. In einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens ergibt sich diese Verpflichtung nämlich aus Art. 7 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 69/335, ausgelegt im Hinblick auf deren Ziel. Wie aus Rn. 45 des vorliegenden Urteils hervorgeht, betreffen die Verpflichtungen, die sich für die Mitgliedstaaten aus Art. 7 der Richtlinie 69/335 ergeben, jeden unter diese Richtlinie fallenden Vorgang und damit jeden Vorgang, der unter Art. 4 dieser Richtlinie fällt, unabhängig davon, ob er in Abs. 1 oder in Abs. 2 dieses Art. 4 genannt ist.

52

Daher ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 4 Abs. 1 Buchst. c und Art. 7 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 69/335 dahin auszulegen sind, dass sie einer Wiedereinführung der Gesellschaftsteuer durch einen Mitgliedstaat auf Kapitalerhöhungen, die unter Art. 4 Abs. 1 Buchst. c dieser Richtlinie fallen und die dieser Steuer am 1. Juli 1984 unterlagen, aber später von ihr befreit wurden, entgegenstehen.

Kosten

53

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

 

Art. 4 Abs. 1 Buchst. c und Art. 7 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 69/335/EWG des Rates vom 17. Juli 1969 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital in der durch die Richtlinie 85/303/EWG des Rates vom 10. Juni 1985 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass sie einer Wiedereinführung der Gesellschaftsteuer durch einen Mitgliedstaat auf Kapitalerhöhungen, die unter Art. 4 Abs. 1 Buchst. c der genannten Richtlinie fallen und die dieser Steuer am 1. Juli 1984 unterlagen, aber später von ihr befreit wurden, entgegenstehen.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Portugiesisch.

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