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Document 62012CC0047

Schlussanträge des Generalanwalts Cruz Villalón vom 7. November 2013.
Kronos International Inc. gegen Finanzamt Leverkusen.
Ersuchen um Vorabentscheidung: Finanzgericht Köln - Deutschland.
Vorabentscheidungsersuchen - Art. 49 AEUV und 54 AEUV - Niederlassungsfreiheit - Art. 63 AEUV und 65 AEUV - Freier Kapitalverkehr - Steuerrecht - Körperschaftsteuer - Regelung eines Mitgliedstaats zur Beseitigung der Doppelbesteuerung von Gewinnausschüttungen - Anwendung der Anrechnungsmethode auf Dividenden, die von Gesellschaften ausgeschüttet werden, die ihren Sitz in demselben Mitgliedstaat wie die Empfängergesellschaft haben - Anwendung der Befreiungsmethode auf Dividenden, die von Gesellschaften ausgeschüttet werden, die ihren Sitz in einem anderen Mitgliedstaat als die Empfängergesellschaft oder in einem Drittstaat haben - Ungleichbehandlung der Verluste der die Dividenden beziehenden Gesellschaft.
Rechtssache C-47/12.

Court reports – general

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2013:729

SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

PEDRO CRUZ VILLALÓN

vom 7. November 2013 ( 1 )

Rechtssache C‑47/12

Kronos International Inc.

gegen

Finanzamt Leverkusen

(Vorabentscheidungsersuchen des Finanzgerichts Köln [Deutschland])

„Niederlassungsfreiheit — Freier Kapitalverkehr — Steuerrecht — Körperschaftsteuer — Besteuerung von Dividenden — Jeweiliger Anwendungsbereich der Art. 49 AEUV und 63 AEUV — Nationale Regelung, die unterschiedslos für Kontrollbeteiligungen und Portfoliobeteiligungen gilt — Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von Dividenden — Freistellungsregelung für Dividenden aus ausländischen Quellen — Anrechnungsregelung für Dividenden aus inländischen Quellen — Ungleichbehandlung der Verluste der Muttergesellschaft — Beschränkung — Rechtfertigungsgründe — Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten — Gesamtkohärenz des Systems“

1. 

Im vorliegenden Verfahren wird der Gerichtshof erneut mit einem Ersuchen um Vorabentscheidung über die Frage befasst, ob eine nationale Körperschaftsteuerregelung, nach der an gebietsansässige Muttergesellschaften ausgeschüttete Dividenden unterschiedlichen Steuerregelungen unterworfen werden, je nachdem, ob sie aus inländischen oder ausländischen Quellen stammen, mit dem Unionsrecht, im vorliegenden Fall den Bestimmungen des Vertrags über die Niederlassungsfreiheit und den freien Kapitalverkehr, vereinbar ist.

2. 

Der Gerichtshof wird zunächst zu bestimmen haben, welche Freiheit im Ausgangsrechtsstreit Anwendung findet, in dem die in Rede stehende gebietsansässige Gesellschaft ihren satzungsmäßigen Sitz in den Vereinigten Staaten von Amerika hat, mehr als 90 % der Anteile an ihren verschiedenen Tochtergesellschaften hält und die nationale Regelung auf jede mehr als 10 % betragende Beteiligung Anwendung findet. Der Gerichtshof wird also seine umfangreiche Rechtsprechung zur Bestimmung der auf die steuerliche Behandlung von Dividenden anwendbaren Freiheit zu vertiefen haben.

3. 

Der Gerichtshof wird sodann zu prüfen haben, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung ( 2 ), die das Ziel verfolgt, eine mehrfache Belastung oder wirtschaftliche Doppelbesteuerung von Dividenden, die an gebietsansässige Gesellschaften ausgeschüttet werden, durch Freistellung der Dividenden aus ausländischen Quellen, die außerdem Gegenstand einer Quellenbesteuerung sind, zu verhindern, während sie Dividenden aus inländischen Quellen einer Anrechnungsregelung unterwirft, mit den Bestimmungen des Vertrags vereinbar ist.

4. 

Der Gerichtshof hat über Fragen dieser Art zwar bereits entschieden, aber in Fällen, in denen, spiegelbildlich zum Ausgangsrechtsstreit, Dividenden aus inländischen Quellen von der Steuer befreit waren und Dividenden aus ausländischen Quellen einer Anrechnungsregelung unterlagen ( 3 ) oder hätten unterliegen müssen ( 4 ).

5. 

Die vorliegende Rechtssache weist jedoch eine zusätzliche Schwierigkeit auf, die sie von den bislang vom Gerichtshof geprüften Rechtssachen unterscheidet. Im Rahmen des Ausgangsrechtsstreits geht es weniger um den Dualismus der auf Dividenden anwendbaren Regelungen als um die Folgen, die ihre Anwendung haben kann, wenn die die Dividenden beziehende gebietsansässige Gesellschaft Verluste verzeichnet. Der Gerichtshof ist daher mit einer Fragestellung befasst, die den Schnittpunkt seiner bereits sehr reichhaltigen Rechtsprechung zur steuerlichen Behandlung von Dividenden und seiner Rechtsprechung zur Behandlung von Verlusten ( 5 ) betrifft, jedoch in einer völlig neuartigen Konstellation.

I – Rechtlicher Rahmen

A – Doppelbesteuerungsabkommen

6.

Die verschiedenen einschlägigen bilateralen Abkommen, die in den im Ausgangsrechtsstreit in Rede stehenden Steuerjahren in Kraft waren und von der Bundesrepublik Deutschland mit dem Königreich Belgien, dem Königreich Dänemark, der Französischen Republik, dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland sowie mit Kanada geschlossen wurden, sahen alle allgemein vor, dass die an eine in Deutschland ansässige Muttergesellschaft ausgeschütteten Dividenden ihrer Tochtergesellschaften ab einer zwischen 10 % und 25 % betragenden Beteiligung nicht in Deutschland zu versteuern waren, sondern im Sitzstaat der Tochtergesellschaften.

B – Deutsche Regelung

7.

§ 49 Abs. 1 des deutschen Körperschaftsteuergesetzes ( 6 ) verweist in Bezug auf die Besteuerung von Gesellschaften, einschließlich der Anrechnungsregelung, auf die Bestimmungen des Einkommensteuergesetzes ( 7 ).

8.

§ 36 Abs. 2 Nr. 3 EStG, der das sogenannte Vollanrechnungsverfahren regelt, sieht vor:

„… Auf die Einkommensteuer werden angerechnet:

3.

die Körperschaftsteuer einer unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtigen Körperschaft oder Personenvereinigung in Höhe von 3/7 der Einnahmen im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 oder 2, soweit diese nicht aus Ausschüttungen stammen, für die Eigenkapital im Sinne des § 30 Abs. 2 Nr. 1 des Körperschaftsteuergesetzes als verwendet gilt. Das Gleiche gilt bei Einnahmen im Sinne des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchstabe a, die aus der erstmaligen Veräußerung von Dividendenscheinen oder sonstigen Ansprüchen durch den Anteilseigner erzielt worden sind; in diesen Fällen beträgt die anrechenbare Körperschaftsteuer höchstens 3/7 des Betrags, der auf die veräußerten Ansprüche ausgeschüttet wird. … Die Körperschaftsteuer wird nicht angerechnet:

f)

wenn die Einnahmen bei der Veranlagung nicht erfasst werden;

…“

9.

Das vorlegende Gericht stellt außerdem klar, dass auch Dividenden aus ausländischen Quellen nach § 26 Abs. 7 KStG in der bis 1993 geltenden Fassung und § 8b Abs. 5 KStG in der von 1994 bis 2000 geltenden Fassung in Deutschland von der Körperschaftsteuer freigestellt waren.

II – Sachverhalt des Ausgangsrechtsstreits

10.

Die Kronos International Inc. ( 8 ), die Klägerin des Ausgangsverfahrens, ist eine 1988 nach dem Recht des Staates Delaware (Vereinigte Staaten von Amerika) gegründete Holdinggesellschaft, die ihren satzungsmäßigen Sitz in diesem Staat und ihre Geschäftsleitung in Deutschland hat, wo sie mit einer Zweigniederlassung im Handelsregister eingetragen ist.

11.

Sie wurde zum Zweck der einheitlichen Leitung verschiedener von ihr zu erwerbender europäischer und kanadischer Gesellschaften der NL Industries Inc. (USA) gegründet. Seit 1989 hält sie 99,95 % der Anteile an der deutschen Kronos Titan GmbH sowie unmittelbare oder mittelbare Beteiligungen an mehreren Gesellschaften, deren Umfang zwischen 1991 und 2001, dem im Ausgangsrechtsstreit maßgeblichen Zeitraum, zwischen 90 % und 100 % schwankte.

12.

Zwischen 1991 und 2001 hielt KII 100 % des Kapitals der Kronos Canada Inc. und des Kapitals der Kronos UK Ltd. sowie eine Beteiligung zwischen 92,941 % und 93,771 % am Kapital der Société Industrielle Titane (Frankreich).

13.

Zwischen 1999 und 2001 hielt sie auch 100 % des Kapitals der Kronos Denmark APS, über die sie in den Jahren 2000 und 2001 99,99 % des Kapitals der Kronos Europa SA/NV (Belgien) und 100 % des Kapitals der Kronos Norge (Norwegen) kontrollierte.

14.

Der Ausgangsrechtsstreit betrifft die von KII in Deutschland geschuldete Körperschaftsteuer für die Jahre 1991 bis 2001, konkret die fehlende Möglichkeit für KII, die von ihren Tochter- und Enkelgesellschaften mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten oder in Drittstaaten entrichtete Körperschaftsteuer auf die in Deutschland geschuldete Körperschaftsteuer anzurechnen und gegebenenfalls bei Verlusten in Deutschland eine Erstattung zu erhalten.

15.

Zwischen 2004 und 2010 ergingen gegenüber KII Körperschaftsteuerbescheide für die Jahre 1991 bis 2001. Konkret zahlte KII Körperschaftsteuer in Höhe von 4190788,57 Euro für das Jahr 1991 und von 2050183,81 Euro für das Jahr 1992. Hingegen zahlte sie zwischen 1993 und 2001 wegen der von ihr verzeichneten Verluste keine Körperschaftsteuer.

16.

In diesem Zusammenhang begehrte KII die Anrechnung der von ihren Tochter- und Enkelgesellschaften mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten (Belgien, Frankreich und Vereinigtes Königreich) oder in Drittstaaten (Kanada, Norwegen) zwischen 1991 und 2001 entrichteten Steuern auf die von ihr in Deutschland geschuldete Körperschaftsteuer sowie die Erstattung dieser Steuern.

17.

Mit Bescheid vom 15. Dezember 2005 lehnte das Finanzamt Leverkusen diesen Antrag ab. Der Bescheid stützte sich auf § 36 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. f EStG in Verbindung mit § 49 Abs. 1 KStG, wonach eine Anrechnung von Körperschaftsteuer auf erhaltene Dividenden nur dann in Betracht komme, wenn diese Dividenden als steuerpflichtige Einnahmen erfasst worden seien. Da die Dividenden aus ausländischen Quellen von der Steuer befreit seien, hätten sie aber nicht als steuerpflichtige Einnahmen angesetzt werden können.

18.

Mit Bescheid vom 10. Januar 2007 wies das Finanzamt Leverkusen den Einspruch von KII gegen den Abrechnungsbescheid zur Körperschaftsteuer 1994 als unbegründet zurück.

19.

Daraufhin erhob KII am 7. Februar 2007 beim Finanzgericht Köln Anfechtungsklage gegen diesen Bescheid und Untätigkeitsklage hinsichtlich der Abrechnung zur Körperschaftsteuer für die Jahre 1991 bis 1993 und 1995 bis 2001.

III – Vorlagefragen und Verfahren vor dem Gerichtshof

20.

Das Finanzgericht Köln (Deutschland) hat vor diesem Hintergrund beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Unterfällt der Ausschluss der Anrechnung von Körperschaftsteuer infolge der Steuerfreistellung von Dividendenausschüttungen von Kapitalgesellschaften im Drittland an deutsche Kapitalgesellschaften, für die die nationalen Vorschriften nur voraussetzen, dass die die Dividenden empfangende Kapitalgesellschaft zu mindestens 10 % an der ausschüttenden Gesellschaft beteiligt ist, nur der Niederlassungsfreiheit im Sinne des Art. 49 AEUV in Verbindung mit Art. 54 AEUV oder auch der Kapitalverkehrsfreiheit im Sinne der Art. 63 AEUV bis 65 AEUV, wenn die tatsächliche Beteiligung der die Dividenden erhaltenden Kapitalgesellschaft 100 % beträgt?

2.

Sind die Vorschriften zur Niederlassungsfreiheit (jetzt Art. 49 AEUV) und gegebenenfalls auch zur Kapitalverkehrsfreiheit (bis 1993 Art. 67 EWG-Vertrag/EG-Vertrag, jetzt Art. 63 AEUV bis 65 AEUV) so zu verstehen, dass sie einer Regelung entgegenstehen, die bei Freistellung der Dividenden von ausländischen Tochtergesellschaften von der Besteuerung die Anrechnung und Auszahlung von Körperschaftsteuer auf diese Dividendenausschüttungen auch für den Fall des Verlustes bei der Muttergesellschaft ausschließt, wenn für Ausschüttungen inländischer Tochtergesellschaften eine Entlastung durch Anrechnung der Körperschaftsteuer vorgesehen ist?

3.

Sind die Vorschriften zur Niederlassungsfreiheit (jetzt Art. 49 AEUV) und gegebenenfalls auch zur Kapitalverkehrsfreiheit (bis 1993 Art. 67 EWG-Vertrag/EG-Vertrag, jetzt Art. 63 AEUV bis 65 AEUV) so zu verstehen, dass sie einer Regelung entgegenstehen, die die Anrechnung und Auszahlung von Körperschaftsteuer auf Dividenden von (Ur‑)Enkelgesellschaften, die im Land der Tochtergesellschaft steuerfrei gestellt und die an die inländische Muttergesellschaft (weiter‑)ausgeschüttet und in Deutschland ebenfalls steuerfrei gestellt worden sind, ausschließt, aber bei rein inländischen Gestaltungen gegebenenfalls über die Anrechnung der Körperschaftsteuer auf Dividenden der Enkelgesellschaft bei der Tochtergesellschaft und die Anrechnung der Körperschaftsteuer auf Dividenden der Tochtergesellschaft bei der Muttergesellschaft im Falle des Verlustes bei dieser eine Erstattung ermöglicht?

4.

Für den Fall, dass auch die Regelungen über die Kapitalverkehrsfreiheit anzuwenden sind, stellt sich – je nach Beantwortung der Frage 2 – hinsichtlich der kanadischen Dividenden eine zusätzliche Frage:

Ist der heutige Art. 64 Abs. 1 AEUV so zu verstehen, dass er die Anwendung inhaltlich seit dem 31. Dezember 1993 im Wesentlichen unveränderter nationaler und DBA-Regelungen durch die Bundesrepublik Deutschland und damit den andauernden Ausschluss der Anrechnung kanadischer Körperschaftsteuer auf in Deutschland steuerfrei gestellte Dividenden erlaubt?

21.

Die Klägerin und die Beklagte des Ausgangsverfahrens, die deutsche Regierung und die Regierung des Vereinigten Königreichs sowie die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht.

22.

Die Klägerin und die Beklagte des Ausgangsverfahrens, die deutsche Regierung sowie die Kommission haben auch in der Sitzung vom 16. Mai 2013 mündlich verhandelt.

IV – Vorbemerkung

23.

Die vier Fragen des vorlegenden Gerichts werfen allgemein zwei klar voneinander getrennte Problembereiche auf, die nacheinander zu prüfen sind; von ihnen betrifft der erste, um den es in der ersten Frage geht, die auf den Rechtsstreit anwendbare Freiheit und der zweite, um den es in der zweiten, der dritten und der vierten Frage geht, die Vereinbarkeit der deutschen Regelung mit der anwendbaren Freiheit.

V – Zu den im Ausgangsrechtsstreit einschlägigen und anwendbaren Freiheiten (erste Frage)

24.

Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht vom Gerichtshof wissen, ob die Regelung eines Mitgliedstaats (der Bundesrepublik Deutschland) über die Besteuerung von Dividenden, die an Gesellschaften dieses Staates („deutsche Kapitalgesellschaften“) von ihren in einem Drittstaat ansässigen Tochtergesellschaften („Kapitalgesellschaften eines Drittlandes“) ausgeschüttet wurden, ausschließlich den Art. 49 AEUV und 54 AEUV über die Niederlassungsfreiheit oder auch den Art. 63 AEUV bis 65 AEUV über die Kapitalverkehrsfreiheit unterfällt, wenn zum einen diese Regelung auf jede mehr als 10 % betragende Beteiligung Anwendung findet und zum anderen die fragliche Beteiligung tatsächlich 100 % beträgt.

25.

Im Vorgriff auf die nachfolgenden Ausführungen möchte ich zunächst darauf hinweisen, dass die Antwort auf die in dieser Weise formulierte erste Frage des vorlegenden Gerichts in der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu finden ist, genauer gesagt im Urteil Test Claimants in the FII Group Litigation II ( 9 ).

26.

In ganz einfachen Worten ausgedrückt hat nämlich der Gerichtshof in diesem Urteil, wie im Folgenden dargelegt wird, entschieden, dass, soweit auf eine nationale Regelung über die steuerliche Behandlung von Dividenden, die eine Gesellschaft mit Sitz in einem Mitgliedstaat von einer in einem Drittstaat ansässigen Tochtergesellschaft erhält, die Niederlassungsfreiheit in räumlicher Hinsicht keine Anwendung findet ( 10 ), für sie der freie Kapitalverkehr – vorbehaltlich des Missbrauchs – einschlägig ist, soweit diese Regelung unterschiedslos sowohl für Beteiligungen gilt, die es ermöglichen, einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen einer Gesellschaft auszuüben und deren Tätigkeiten zu bestimmen („Kontrollbeteiligungen“), als auch für Beteiligungen, die in der alleinigen Absicht der Geldanlage erfolgen, ohne dass auf die Verwaltung und Kontrolle des Unternehmens Einfluss genommen werden soll (Portfoliobeteiligungen).

27.

Jedoch stellt sich die Frage nach der im Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Freiheit nicht nur für die an KII von ihrer Tochtergesellschaft mit Sitz in einem Drittstaat ausgeschütteten Dividenden, was ich der Einfachheit halber die „außergemeinschaftliche Dimension“ des Ausgangsrechtsstreits nennen werde, sondern auch für die an KII von ihren Tochtergesellschaften mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten oder in Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2. Mai 1992 ( 11 ) ausgeschütteten Dividenden, d. h. für die „innergemeinschaftliche Dimension“ des Ausgangsrechtsstreits, ungeachtet der Tatsache, dass das vorlegende Gericht meinte, dem Gerichtshof dazu keine Frage stellen zu müssen, und zwar aus folgendem Grund.

28.

In Anwendung der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs ist grundsätzlich nur die Niederlassungsfreiheit auf die innergemeinschaftliche Dimension des Ausgangsrechtsstreits anwendbar. Entgegen der Annahme, auf der die Fragen des vorlegenden Gerichts zu beruhen scheinen, kann sich KII jedoch aufgrund ihrer „Staatsangehörigkeit“ weder in Bezug auf ihre in Drittstaaten ansässigen Tochtergesellschaften noch in Bezug auf ihre Tochtergesellschaften mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten oder in Vertragsstaaten des EWR-Abkommens auf die Niederlassungsfreiheit berufen.

29.

Der Gerichtshof muss sich also mit der Frage auseinandersetzen, ob der freie Kapitalverkehr, auf der Linie des Urteils Test Claimants in the FII Group Litigation II und in Anbetracht der ratio legis der dort gewählten Lösung, nicht nur auf die außergemeinschaftliche Dimension des Ausgangsrechtsstreits, sondern auch auf seine innergemeinschaftliche Dimension Anwendung finden muss.

30.

Wie ich darzulegen versuchen werde, ist diese Frage zu bejahen. Findet die Niederlassungsfreiheit auf eine nationale Regelung über die steuerliche Behandlung von Dividenden, die einer in einem Mitgliedstaat ansässigen Gesellschaft von einer Tochtergesellschaft mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat ausgeschüttet werden, in persönlicher Hinsicht keine Anwendung, ist – vorbehaltlich des Missbrauchs – der freie Kapitalverkehr einschlägig, soweit diese Regelung unterschiedslos für Kontrollbeteiligungen und Portfoliobeteiligungen gilt.

31.

Ich werde diese Fragen nun im Einzelnen prüfen.

A – Zu der auf die außergemeinschaftliche Dimension des Ausgangsverfahrens anwendbaren Freiheit

32.

In seinem – erst nach Eingang des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens ergangenen – Urteil Test Claimants in the FII Group Litigation II ( 12 ) hat der Gerichtshof eine Frage ( 13 ), die der ersten Vorlagefrage sehr ähnelt und in einer vergleichbaren Konstellation gestellt wurde, vorbehaltlich des Falls des Rechtsmissbrauchs bejaht ( 14 ).

33.

Er hat nämlich entschieden, dass sich eine im Gebiet eines Mitgliedstaats ansässige Gesellschaft, die eine Kontrollbeteiligung an einer in einem Drittland ansässigen Gesellschaft hält, auf Art. 63 AEUV berufen kann, um die Vereinbarkeit einer sowohl auf Kontrollbeteiligungen als auch auf Portfoliobeteiligungen anwendbaren Regelung dieses Mitgliedstaats über die steuerliche Behandlung von Dividenden aus diesem Drittland mit der genannten Bestimmung in Frage zu stellen ( 15 ).

34.

Insoweit ist hervorzuheben, dass mit dem Urteil Test Claimants in the FII Group Litigation II der vom Gerichtshof in gefestigter Rechtsprechung vertretene Ansatz zur Bestimmung der auf nationale Regelungen über die steuerliche Behandlung von Dividenden anwendbaren Freiheit ausdrücklich speziell für außergemeinschaftliche Sachverhalte geändert wurde.

a) Die Änderung der Rechtsprechung durch das Urteil Test Claimants in the FII Group Litigation II für außergemeinschaftliche Sachverhalte

35.

Bis zum Urteil Test Claimants in the FII Group Litigation II war nämlich, wie der Gerichtshof im Übrigen in dessen Randnrn. 89 bis 92 darlegt, die auf die steuerliche Behandlung von Dividenden anwendbare Freiheit unter Berücksichtigung sowohl des Gegenstands der in Rede stehenden nationalen Regelung (rechtliches Kriterium) als auch der in Rede stehenden tatsächlichen Umstände (faktisches Kriterium) zu bestimmen.

36.

Galt also die fragliche nationale Regelung nur für Kontrollbeteiligungen, war sie, im Prinzip ausschließlich, anhand der Niederlassungsfreiheit zu prüfen ( 16 ).

37.

Sollte die nationale Regelung auf Portfoliobeteiligungen Anwendung finden, war sie, ebenfalls im Prinzip ausschließlich, anhand des freien Kapitalverkehrs zu prüfen.

38.

War hingegen die nationale Regelung unabhängig vom Umfang der Beteiligung anzuwenden, d. h. unterschiedslos auf Kontrollbeteiligungen und Portfoliobeteiligungen, ließ sich allein auf der Grundlage ihres Gegenstands nicht feststellen, ob sie vorwiegend unter die eine oder die andere Freiheit fiel, und es war auf das faktische Kriterium abzustellen.

39.

Ging es um eine Kontrollbeteiligung, war somit die Niederlassungsfreiheit anzuwenden, ging es um eine Portfoliobeteiligung, fand der freie Kapitalverkehr Anwendung, in beiden Fällen im Prinzip ausschließlich. War es nicht möglich, die Art der fraglichen Beteiligungen zu bestimmen, dann war die nationale Regelung anhand beider Freiheiten zu prüfen ( 17 ).

40.

Diese doppelte Prüfung kam sowohl bei Sachverhalten voll zum Tragen, bei denen es um Dividenden ging, die in anderen Mitgliedstaaten ansässige Tochtergesellschaften an gebietsansässige Gesellschaften ausschütteten, also bei innergemeinschaftlichen Sachverhalten, als auch bei Sachverhalten, bei denen es um Dividenden ging, die Tochtergesellschaften mit Sitz in Drittstaaten ausschütteten, d. h. bei außergemeinschaftlichen Sachverhalten.

41.

Nunmehr, und gemäß dem Urteil Test Claimants in the FII Group Litigation II, genügt im Kontext der steuerlichen Behandlung von Dividenden aus einem Drittstaat – einem außergemeinschaftlichen Sachverhalt – die Prüfung des Gegenstands der nationalen Regelung, um die anwendbare Freiheit zu bestimmen ( 18 ).

42.

Da die in Rede stehende nationale Regelung sowohl für Kontrollbeteiligungen als auch für Portfoliobeteiligungen gelten soll (rechtliches Kriterium), ist unabhängig von den in Rede stehenden Beteiligungen (faktisches Kriterium) eine Berufung auf den freien Kapitalverkehr möglich.

43.

Durch die Neudefinition der Methode und der Kriterien zur Bestimmung der auf die steuerliche Behandlung von Dividenden in außergemeinschaftlichen Fällen anwendbaren Freiheit ermöglicht es das Urteil Test Claimants in the FII Group Litigation II, die manchmal einschneidenden Folgen einer Rechtsprechung zu beheben, die den Gerichtshof veranlassen konnte, das Unionsrecht in bestimmten Fällen schlicht für unanwendbar zu erklären ( 19 ).

44.

Im Wesentlichen ist somit die neuartige Lösung des Urteils Test Claimants in the FII Group Litigation II dadurch gerechtfertigt, dass, angewandt auf Dividenden aus Drittländern, die genannte Regelung nicht unter die Niederlassungsfreiheit fallen kann, mit der Folge, dass sie nicht dem Unionsrecht unterliegt.

b) Die Anwendung des Urteils Test Claimants in the FII Group Litigation II auf die außergemeinschaftliche Dimension des Ausgangsrechtsstreits

45.

Im vorliegenden Fall hält KII, die ungeachtet ihrer Errichtung in den Vereinigten Staaten von Amerika als eine in Deutschland „gebietsansässige“ Gesellschaft angesehen wird, eine Beteiligung von 100 % am Kapital einer Tochtergesellschaft mit Sitz in einem Drittstaat, was ihr zweifellos einen sicheren Einfluss auf deren Entscheidungen verschafft. Sie unterliegt außerdem der Freistellungsregelung für Dividendenausschüttungen dieser Tochtergesellschaft, die auf jede mehr als 10 % betragende Beteiligung anwendbar ist und daher nicht ausschließlich für Fälle gilt, in denen die Muttergesellschaft einen bestimmenden Einfluss auf die die Dividende ausschüttende Gesellschaft ausübt.

46.

Die erste Frage des vorlegenden Gerichts betrifft, wörtlich genommen, somit einen Fall, der als vom Urteil Test Claimants in the FII Group Litigation II genau erfasst angesehen werden kann, so dass sie mit denselben Worten und aus denselben Gründen wie in diesem Urteil bejaht werden kann.

2. Zu der auf die innergemeinschaftliche Dimension des Ausgangsrechtsstreits anwendbaren Freiheit

47.

Die erste Frage des vorlegenden Gerichts betrifft jedoch, wie schon hervorgehoben, unter den Umständen des Ausgangsrechtsstreits nur die Tochtergesellschaft von KII mit Sitz in einem Drittland und scheint daher nicht die Tochtergesellschaften zu betreffen, die ihren Sitz in anderen Mitgliedstaaten als Deutschland oder auch in Vertragsstaaten des EWR-Abkommens haben. Das vorlegende Gericht scheint außerdem, wie sich aus seiner zweiten und seiner dritten Frage ergibt, davon auszugehen, dass die innergemeinschaftliche Dimension des Ausgangsrechtsstreits unter die Niederlassungsfreiheit sowie „gegebenenfalls“ unter den freien Kapitalverkehr fällt.

48.

Die Niederlassungsfreiheit ist jedoch unter den Umständen des Ausgangsrechtsstreits weder in räumlicher noch in persönlicher Hinsicht anwendbar. KII kann sich nämlich, wie oben ausgeführt, in Bezug auf die von ihren Tochtergesellschaften mit Sitz in Drittstaaten ausgeschütteten Dividenden nicht auf die Niederlassungsfreiheit berufen. Sie kann sich wegen ihrer „Staatsangehörigkeit“ auch in Bezug auf die von ihren Tochtergesellschaften mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten ausgeschütteten Dividenden nicht auf diese Freiheit berufen.

a) KII kann sich nicht auf die Niederlassungsfreiheit berufen

49.

Im Ausgangsrechtsstreit liegt insofern eine besondere Konstellation vor, als sich KII auf die Niederlassungsfreiheit weder, wegen des rein innergemeinschaftlichen Charakters dieser Freiheit, in Bezug auf ihre in Drittstaaten ansässigen Tochtergesellschaften noch, wegen ihrer „Staatsangehörigkeit“, in Bezug auf ihre Tochtergesellschaften mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten oder in Vertragsstaaten des EWR-Abkommens berufen kann.

50.

Überdies hat der Gerichtshof in seinem Gutachten 1/94 ( 20 ) hervorgehoben, dass das Ziel des Kapitels des Vertrags über die Niederlassungsfreiheit darin besteht, sie nur zugunsten der Angehörigen der Mitgliedstaaten, natürlicher oder juristischer Personen, zu gewährleisten. Dieses Kapitel enthält keine Bestimmung, die seinen Geltungsbereich auf Sachverhalte außerhalb der Europäischen Union erstreckt. Daher kann die Niederlassungsfreiheit weder in einem Kontext geltend gemacht werden, in dem eine juristische Person eines Drittlands eine Beteiligung hält, die ihr einen bestimmenden Einfluss auf die Entscheidungen und Tätigkeiten eines Unternehmens eines Mitgliedstaats verschafft ( 21 ), noch bei Sachverhalten, die die Niederlassung einer Gesellschaft eines Mitgliedstaats in einem Drittland betreffen ( 22 ).

51.

KII ist nämlich eine nach amerikanischem Recht gegründete Gesellschaft, die ihren satzungsmäßigen Sitz in den Vereinigten Staaten von Amerika hat. Der Sitz ihrer Geschäftsleitung befindet sich jedoch in Deutschland, so dass sie, wie sich aus den schriftlichen Erklärungen der deutschen Regierung ergibt, in diesem Mitgliedstaat nach § 1 Abs. 1 KStG unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig ist. In dieser Eigenschaft als „gebietsansässige“, in Deutschland körperschaftsteuerpflichtige Gesellschaft beruft sich KII sowohl auf die Niederlassungsfreiheit als auch auf den freien Kapitalverkehr, um der Anwendung der deutschen Steuerregelung auf sie entgegenzutreten oder, genauer gesagt, die von ihr geforderte steuerliche Behandlung der Dividenden zu erreichen.

52.

KII kann sich also nach Art. 54 AEUV nicht auf die Niederlassungsfreiheit berufen, da sie nicht nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats gegründet wurde ( 23 ). Es stellt sich sogleich die Frage, ob sie sich gegebenenfalls auf den freien Kapitalverkehr berufen kann.

53.

Das Ausgangsverfahren wirft also auch die Frage auf, ob der freie Kapitalverkehr unter den Umständen des Ausgangsrechtsstreits auf dessen innergemeinschaftliche Dimension anwendbar ist oder, mit anderen Worten, ob die vom Gerichtshof in seinem Urteil Test Claimants in the FII Group Litigation II für außergemeinschaftliche Fälle gewählte Lösung auf innergemeinschaftliche Fälle übertragbar und daher auf den Ausgangsrechtsstreit insgesamt anwendbar ist.

b) Die Antwort des Gerichtshofs im Urteil Test Claimants in the FII Group Litigation II muss unter den Umständen des Ausgangsrechtsstreits Anwendung finden können

54.

Meines Erachtens muss die Kapitalverkehrsfreiheit, vorbehaltlich des Missbrauchs, Anwendung finden können, da eine Berufung auf die Niederlassungsfreiheit in Bezug auf eine allgemein anwendbare nationale Regelung über die steuerliche Behandlung von Dividenden, die sowohl Kontrollbeteiligungen als auch Portfoliobeteiligungen erfasst, nicht möglich ist, mag es sich auch im Ausgangsverfahren um Kontrollbeteiligungen handeln.

55.

Wie sich aus der vorstehenden Prüfung ergibt, liegt diese Lösung genau auf der vom Gerichtshof im Urteil Test Claimants in the FII Group Litigation II gewählten Linie, und die Gründe dieses Urteils enthalten nichts, das ihrer Übertragung auf die vorliegende Rechtssache entgegenstünde.

56.

Dem Urteil Test Claimants in the FII Group Litigation II ist nämlich unschwer zu entnehmen, dass der tragende Grund für die Erwägung des Gerichtshofs, dass der freie Kapitalverkehr auf allgemein anwendbare nationale Regelungen in außergemeinschaftlichen Fällen Anwendung finden muss, kein anderer ist als das Fehlen der Möglichkeit, auf sie die Niederlassungsfreiheit anzuwenden.

57.

Wie dargestellt, kann sich KII als Muttergesellschaft aber, ebenso wie Tochtergesellschaften mit Sitz in Drittstaaten, nicht auf die Niederlassungsfreiheit berufen und erfüllt daher die Voraussetzung, von der der Gerichtshof die Anwendbarkeit des freien Kapitalverkehrs abhängig macht. Außerdem findet die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung unterschiedslos auf Portfoliobeteiligungen und auf Kontrollbeteiligungen Anwendung und erfüllt damit die Voraussetzung, von der der Gerichtshof die Anwendung des freien Kapitalverkehrs abhängig macht.

58.

Die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Situation entspricht daher im Wesentlichen den Voraussetzungen, die der Gerichtshof in seinem Urteil Test Claimants in the FII Group Litigation II aufgestellt hat, ohne dass es sich um den Fall handelt, den er eindeutig vom Anwendungsbereich der neuen Rechtsprechung ausnehmen wollte. Der Gerichtshof hat nämlich großen Wert auf die Feststellung gelegt, dass der freie Kapitalverkehr und damit das Unionsrecht auf außergemeinschaftliche Fälle unanwendbar bleiben, wenn die nationale Regelung über die steuerliche Behandlung von Dividenden ausschließlich für Kontrollbeteiligungen gilt. In diesem Fall bleibt die Niederlassungsfreiheit die einzige anwendbare Freiheit, und der außergemeinschaftliche Fall unterliegt nicht dem Unionsrecht ( 24 ).

59.

Schließlich könnte durch die Übertragung des Urteils Test Claimants in the FII Group Litigation II vor allem verhindert werden, dass das Unionsrecht auf die außergemeinschaftliche Dimension des Ausgangsrechtsstreits Anwendung findet, ohne auf seine innergemeinschaftliche Dimension anwendbar zu sein, was nur als Anomalie angesehen werden könnte.

60.

Die Anwendbarkeit des freien Kapitalverkehrs unter Umständen wie den im Ausgangsrechtsstreit in Rede stehenden erscheint mir umso mehr geboten, als sie weder automatisch noch systematisch sein kann, was Missbrauchsfälle begünstigen würde, wie der Gerichtshof in Randnr. 100 seines Urteils Test Claimants in the FII Group Litigation II ausgeführt hat.

61.

Der Gerichtshof hat nämlich klargestellt, dass verhindert werden muss, dass die Auslegung von Art. 63 Abs. 1 AEUV es Wirtschaftsteilnehmern, die in den Genuss des freien Kapitalverkehrs kommen, aber nicht in den territorialen Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit fallen, ermöglicht, von Letzterer profitieren zu können. Er hat jedoch entschieden, dass solches in dieser Rechtssache nicht der Fall war, da die Regelung des betreffenden Mitgliedstaats nicht die „Voraussetzungen des Marktzugangs“ einer Gesellschaft dieses Mitgliedstaats in einem Drittstaat oder einer Gesellschaft eines Drittstaats in diesem Mitgliedstaat betraf.

62.

Dieses die Voraussetzungen des Marktzugangs betreffende Kriterium ist dasselbe wie das vom Gerichtshof in seinem Urteil Fidium Finanz ( 25 ) verwendete, so dass die tiefgründigere Rechtfertigung des vom Gerichtshof damit aufgestellten Vorbehalts zwar der Begründung seines Urteils Test Claimants in the FII Group Litigation II nicht ausdrücklich entnommen werden konnte, jedoch im Licht des Urteils Fidium Finanz absolut verständlich ist.

63.

In der Rechtssache Fidium Finanz machte eine deutsche Regelung die Ausübung der Tätigkeiten von Finanzinstituten mit Sitz in Drittstaaten, im konkreten Fall die Erbringung von Finanzdienstleistungen in Deutschland, von der Einholung einer Erlaubnis abhängig, die faktisch mit einer Niederlassungspflicht vergleichbar war. Sie bewirkte, „dass der Zugang zum deutschen Finanzmarkt für in Drittstaaten ansässige Unternehmen erschwert wird“ ( 26 ). Unter diesen Umständen konnte schwerlich angenommen werden, dass sich eine Gesellschaft mit Sitz in einem Drittstaat auf den freien Kapitalverkehr berufen kann, um die sehr spezifische Regelung eines Mitgliedstaats über die Voraussetzungen für die Erbringung von Finanzdienstleistungen, also die Voraussetzungen für den Zugang zum Markt dieses Mitgliedstaats, in gewisser Weise zu umgehen oder zu neutralisieren.

64.

Im vorliegenden Fall bezweckt oder bewirkt die im Ausgangsverfahren in Rede stehende deutsche Regelung, ebenso wie die britische Regelung, um die es in der Rechtssache Test Claimants in the FII Group Litigation II ging, in keiner Weise eine Beeinträchtigung der „Voraussetzungen des Marktzugangs“ im Sinne des Urteils Fidium Finanz.

3. Ergebnis

65.

Aus alledem ergibt sich, dass sich unter den Umständen des Ausgangsverfahrens eine im Gebiet eines Mitgliedstaats ansässige Gesellschaft, die Kontrollbeteiligungen an Gesellschaften mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten, in Vertragsstaaten des EWR-Abkommens oder in Drittstaaten hält, auf die Bestimmungen des Vertrags über den freien Kapitalverkehr berufen kann, um die Vereinbarkeit der Regelung eines Mitgliedstaats über die steuerliche Behandlung von Dividenden mit den genannten Bestimmungen in Frage zu stellen, wenn diese Regelung sowohl für Beteiligungen gelten soll, die es ermöglichen, einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen einer Gesellschaft auszuüben und deren Tätigkeiten zu bestimmen (Kontrollbeteiligungen), als auch für Beteiligungen, die in der alleinigen Absicht der Geldanlage erfolgen, ohne dass auf die Verwaltung und die Kontrolle des Unternehmens Einfluss genommen werden soll (Portfoliobeteiligungen), und sofern sie nicht den Zweck hat, die Voraussetzungen des Marktzugangs von Gesellschaften dieses Mitgliedstaats in den anderen Mitgliedstaaten oder in Drittstaaten oder von Gesellschaften der anderen Mitgliedstaaten und von Drittstaaten in diesem Mitgliedstaat zu regeln.

66.

Infolgedessen schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die umformulierte erste Frage des vorlegenden Gerichts zu antworten, dass das Unionsrecht dahin auszulegen ist, dass die Vereinbarkeit einer Regelung eines Mitgliedstaats über die Besteuerung von Dividenden, die auf jede mehr als 10 % betragende Beteiligung Anwendung findet, anhand des freien Kapitalverkehrs geprüft werden kann, wenn die in Rede stehenden Beteiligungen es ermöglichen, einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen der Gesellschaften auszuüben und deren Tätigkeiten zu bestimmen, sofern diese Regelung nicht bezweckt, die Voraussetzungen des Marktzugangs von Gesellschaften dieses Mitgliedstaats in den anderen Mitgliedstaaten oder in Drittstaaten oder von Gesellschaften der anderen Mitgliedstaaten und von Drittstaaten in diesem Mitgliedstaat zu regeln.

VI – Zur Vereinbarkeit der deutschen Regelung mit dem freien Kapitalverkehr

67.

Mit seiner zweiten, seiner dritten und seiner vierten Frage, die gemeinsam zu prüfen sind, fragt das vorlegende Gericht den Gerichtshof, ob die Bestimmungen des Vertrags über den freien Kapitalverkehr dahin auszulegen sind, dass sie einer Regelung eines Mitgliedstaats wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen, die die Anrechnung und Auszahlung von Körperschaftsteuer, die von den in anderen Mitgliedstaaten oder in Drittstaaten ansässigen Tochter- und Enkelgesellschaften einer gebietsansässigen Gesellschaft gezahlt wurde, für den Fall von Verlusten der Muttergesellschaft ausschließt, während diese Anrechnung und eine solche Auszahlung für gebietsansässige Tochtergesellschaften vorgesehen sind.

A – Die deutsche Regelung zur Besteuerung von Dividenden (Mechanismen der Anrechnung inländischer Dividenden und der Freistellung ausländischer Dividenden)

68.

Zunächst ist auf die wesentlichen Merkmale der deutschen Steuerregelung für Dividenden hinzuweisen, die zwischen Dividenden unterscheidet, die von einer gebietsansässigen Tochtergesellschaft an eine gebietsansässige Gesellschaft ausgeschüttet werden (Dividenden aus inländischen Quellen) und die der Anrechnungsregelung unterliegen, und Dividenden, die von einer Tochtergesellschaft mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat oder einem Drittstaat an eine gebietsansässige Gesellschaft ausgeschüttet werden (Dividenden aus ausländischen Quellen), die einer Freistellungsregelung unterliegen.

1. Die Anrechnungsregelung für Dividenden aus inländischen Quellen

69.

Dividenden aus inländischen Quellen unterliegen nach § 36 Abs. 2 Nr. 3 EStG einer Anrechnungsregelung, in deren Rahmen die von der ausschüttenden Tochtergesellschaft an der Quelle gezahlte Körperschaftsteuer auf die von der Muttergesellschaft, die die Dividenden erhält, zu zahlende Steuer im Fall der Thesaurierung der Dividenden bei der Muttergesellschaft teilweise und im Fall der vollständigen Weiterausschüttung zur Gänze angerechnet wird.

2. Die Freistellungsregelung für Dividenden aus ausländischen Quellen

70.

Dividenden aus ausländischen Quellen unterliegen hingegen einer Freistellungsregelung, dem sogenannten Schachtelprivileg. Sie sind nämlich in Deutschland aufgrund der verschiedenen bilateralen Abkommen ab einer zwischen 10 % und 25 % liegenden Beteiligung steuerfrei gestellt. Da diese Dividenden aus ausländischen Quellen keine steuerpflichtigen Einnahmen darstellen, werden sie bei der Steuerfestsetzung nicht berücksichtigt und können daher nicht auf die von der Muttergesellschaft geschuldete Steuer angerechnet werden. § 36 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. f EStG sah nämlich vor, dass die Körperschaftsteuer nicht auf die Einkommensteuer angerechnet wurde, wenn die Einnahmen bei der Veranlagung nicht erfasst wurden.

3. Die Behandlung von Verlusten im Rahmen der Anrechnungsregelung für Dividenden aus inländischen Quellen

71.

Aus der Vorlageentscheidung sowie aus den beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen geht hervor, dass die in der deutschen Regelung vorgesehene Anrechnungsregelung es einer Muttergesellschaft, an die eine gebietsansässige Tochtergesellschaft Dividenden ausschüttet, ermöglicht, wenn sie Verluste verzeichnet oder vorträgt und diese Verluste durch die Dividendenausschüttung der Tochtergesellschaft nicht ausgeglichen werden, zum einen keine Körperschaftsteuer zu zahlen und zum anderen eine Auszahlung zu erhalten, die der von der ausschüttenden Tochtergesellschaft an der Quelle gezahlten Körperschaftsteuer entspricht.

72.

Eine solche Zahlung ist hingegen bei Dividenden aus ausländischen Quellen in jedem Fall ausgeschlossen, da sie steuerfrei gestellt sind und daher nach § 36 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. f EStG bei der Veranlagung der Muttergesellschaft nicht erfasst werden können.

B – Zum Vorliegen einer Beschränkung des freien Kapitalverkehrs

1. Zusammenfassung der beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen

73.

Das vorlegende Gericht ist der Ansicht, dass die Vorschrift des § 36 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. f EStG, die die Anrechnung davon abhängig mache, dass die entsprechenden Einnahmen im Rahmen der Steuerfestsetzung erfasst worden seien, keine Beschränkung darstelle, da sie nicht nach der Herkunft der Einkünfte differenziere. Sollte das Vorliegen einer Beschränkung festgestellt werden, könne diese sich deshalb nur aus dem Zusammenwirken der Vorschriften über die Steuerfestsetzung und der Vorschriften über die Steueranrechnung ergeben.

74.

Die Freistellungsregelung für Dividenden aus ausländischen Quellen, die im Übrigen den Vorgaben von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 90/435/EWG des Rates vom 23. Juli 1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten ( 27 ) entspreche, sei immer günstiger als die Anrechnungsregelung, der Dividenden aus inländischen Quellen unterlägen.

75.

Eine Ungleichbehandlung von Dividenden aus inländischen und aus ausländischen Quellen könne es nur dann geben, wenn ausländische Tochtergesellschaften Dividenden ausschütteten und bei der inländischen Muttergesellschaft Verluste oder ein Verlustvortrag zu verzeichnen seien. Es sei jedoch zweifelhaft, dass eine solche Situation mit dem Unionsrecht unvereinbar sei.

76.

Die Freistellungsregelung für Dividenden aus ausländischen Quellen und die Anrechnungsregelung für Dividenden aus inländischen Quellen seien nämlich bei Berücksichtigung beider Verfahrensstadien, der Steuerfestsetzung und der Anrechnung der Steuer, als gleichwertig anzusehen, wobei Erstere sogar einen Vorteil gegenüber Letzterer aufweise, da sie keine Beweispflicht und daher keinen Verfahrensaufwand mit sich bringe.

77.

Zwar stelle nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ( 28 ) eine Steuervorschrift, die Dividenden ausländischer Herkunft benachteilige, auch dann eine Beschränkung dar, wenn ihre Anwendung in bestimmten Situationen vorteilhafte Wirkungen haben könne. Dem Standpunkt von KII, die schlichte Tatsache, dass die Freistellungsregelung zu einem Vorteil auf der Ebene der Steuerfestsetzung und zu einem Liquiditätsnachteil auf der Ebene des Anrechnungsverfahrens führe, stelle eine Beschränkung dar, sei jedoch nicht zu folgen.

78.

Da Dividenden aus ausländischen Quellen freigestellt seien, unterbleibe bei ihnen stets eine Steuerfestsetzung, und sie seien daher stets privilegiert. Folglich könnten sie nicht angerechnet werden. Dividenden aus inländischen Quellen würden hingegen im Rahmen der Steuerfestsetzung immer berücksichtigt, aber diese Berücksichtigung werde durch die Anrechnung der auf ihnen lastenden, von der ausschüttenden Tochtergesellschaft gezahlten Körperschaftsteuer auf die von der Muttergesellschaft, die sie erhalte, gezahlten Steuern ausgeglichen, eine Anrechnung, die im Fall der sofortigen Weiterausschüttung der Dividenden durch die Muttergesellschaft vollständig, im Fall der Thesaurierung teilweise erfolge.

79.

Wenn die gebietsansässige Muttergesellschaft Verluste verzeichne, habe die Ausschüttung von Dividenden durch gebietsansässige Tochtergesellschaften aber auch eine nachteilige Wirkung auf der Ebene des Steuerfestsetzungsverfahrens wie auf der Ebene des Anrechnungsverfahrens. Auf der Ebene des Steuerfestsetzungsverfahrens führe die Ausschüttung zum gänzlichen oder teilweisen Verbrauch der Verluste und damit zu einer Verminderung oder Verhinderung eines Verlustrücktrags bzw. ‑vortrags für die vorangegangenen und die nachfolgenden Jahre. Auf der Ebene des Anrechnungsverfahrens vermindere der geringere Verlustrücktrag die Erstattung in Vorjahren gezahlter Steuer.

80.

Der Liquiditätsvorteil, den die Anrechnungsregelung bei Verlusten biete, trete nur auf der Ebene des Anrechnungsverfahrens ein. Auf der Ebene des Festsetzungsverfahrens werde die von der Muttergesellschaft zu zahlende Steuer, ungeachtet der von der gebietsansässigen Tochtergesellschaft ausgeschütteten Dividenden, reduziert oder mit null festgesetzt. Auf der Ebene des Anrechnungsverfahrens werde die von der Tochtergesellschaft auf die Dividenden entrichtete Steuer auf die Steuer der Muttergesellschaft angerechnet und könne infolgedessen zu einer teilweisen oder vollständigen Erstattung führen.

81.

Diese vorteilhaften oder nachteiligen Wirkungen von einem Veranlagungsjahr zum anderen seien jedoch nur die logische Folge der Anwendung zweier unterschiedlicher Verfahren.

82.

KII macht in ihren schriftlichen Erklärungen im Wesentlichen geltend, die deutsche Steuerregelung stelle für die an eine gebietsansässige Muttergesellschaft ausgeschütteten Dividenden eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs dar, da die Freistellungsregelung für Dividenden aus ausländischen Quellen bei Verlusten der gebietsansässigen Muttergesellschaft ungünstiger sei als die Anrechnungsregelung für Dividenden aus inländischen Quellen.

83.

Da eine deutsche Muttergesellschaft durch die Anwendung der Anrechnungsmethode bei Verlusten die von ihrer deutschen Tochtergesellschaft entrichtete Steuer ausgezahlt bekommen könne, verlange KII denselben Vorteil, d. h. die Auszahlung der von ihren Tochtergesellschaften in deren Sitzstaat gezahlten Körperschaftsteuern in Deutschland. Der Ausschluss der Anrechnung und Auszahlung der von den ausländischen Tochtergesellschaften entrichteten Körperschaftsteuer auf die an die Muttergesellschaft ausgeschütteten Dividenden bei Verlusten Letzterer widerspreche dem freien Kapitalverkehr.

84.

Die Freistellungsregelung und die Anrechnungsregelung seien nur gleichwertig, sofern die Besteuerung ihrer Anteilseigner nicht berücksichtigt werde. Berücksichtige man die Besteuerung der Endaktionäre, so werde nur für Dividenden aus inländischen Quellen die Doppelbesteuerung sowohl auf der Ebene der Muttergesellschaft als auch auf der Ebene ihrer Anteilseigner vermieden. Insbesondere gehe aus dem Urteil Accor ( 29 ) hervor, dass für die Prüfung, ob Dividenden aus ausländischen und aus inländischen Quellen gleich behandelt würden, die Steuerlast unter Berücksichtigung der Weiterausschüttung der bezogenen Dividenden zu bewerten sei.

85.

Die Bundesrepublik Deutschland und das Finanzamt Leverkusen sind im Wesentlichen der Ansicht, dass der Anrechnungsmechanismus und der Freistellungsmechanismus, die beide eine wirtschaftliche Doppelbesteuerung verhindern sollten, insgesamt gleichwertig seien, und dass Dividenden aus ausländischen und aus inländischen Quellen einer gleichwertigen Behandlung unterlägen, die sich lediglich in ihren Modalitäten unterscheide. Sollte die deutsche Regelung als eine Beschränkung anzusehen sein, sei sie jedoch durch die Notwendigkeit der Kohärenz des Steuersystems, der Wahrung einer ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten und der Verhinderung doppelter Berücksichtigung von Verlusten gerechtfertigt.

86.

Die Kommission schließlich hält die Situation der inländischen und der ausländischen Tochtergesellschaften für nicht vergleichbar, da die Dividenden aus ausländischen Quellen in Deutschland aufgrund der Doppelbesteuerungsabkommen von der Körperschaftsteuer befreit seien, während Dividenden aus inländischen Quellen in Deutschland der Körperschaftsteuer unterlägen. Die Auszahlung der von der Dividenden ausschüttenden gebietsansässigen Tochtergesellschaft entrichteten Körperschaftsteuer an die gebietsansässige Muttergesellschaft stelle einen Teil des Systems zur Verhinderung oder Milderung einer wirtschaftlichen Doppelbesteuerung bei der Muttergesellschaft dar. Die unterschiedliche steuerliche Behandlung von Dividenden aus ausländischen und aus inländischen Quellen sei daher durch diese unterschiedliche Situation objektiv gerechtfertigt. Sie sei jedenfalls durch das hinsichtlich der Kohärenz des nationalen Steuersystems bestehende zwingende Erfordernis des Allgemeininteresses gerechtfertigt.

2. Würdigung

87.

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung die direkten Steuern zwar in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen, doch müssen diese ihre Befugnisse unter Wahrung des Unionsrechts und insbesondere der Bestimmungen des Vertrags über den freien Kaptalverkehr ausüben ( 30 ).

88.

Es ist daher Sache jedes Mitgliedstaats, unter Beachtung des Unionsrechts sein System der Dividendenbesteuerung zu organisieren und in diesem Rahmen zu bestimmen, welche Besteuerungsgrundlage und welcher Steuersatz zur Anwendung kommen ( 31 ).

89.

Der Gerichtshof hat auch entschieden, dass die Mitgliedstaaten in Ermangelung unionsrechtlicher Vereinheitlichungs- oder Harmonisierungsmaßnahmen befugt bleiben, insbesondere zur Beseitigung der Doppelbesteuerung die Kriterien für die Aufteilung ihrer Steuerhoheit einseitig oder vertraglich festzulegen ( 32 ). Dabei können sie im Rahmen bilateraler Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung die Anknüpfungspunkte für die Aufteilung ihrer Steuerhoheit festlegen ( 33 ).

90.

Die Mitgliedstaaten können zwar ihr Steuersystem frei ausgestalten und insbesondere den Mechanismus zur Vermeidung oder Milderung einer mehrfachen Belastung oder wirtschaftlichen Doppelbesteuerung ( 34 ) der an eine gebietsansässige Gesellschaft ausgeschütteten Dividenden wählen, doch müssen sie, wenn sie von dieser Befugnis Gebrauch machen, die sich aus dem Unionsrecht ergebenden Anforderungen erfüllen ( 35 ).

91.

Wenn ein Mitgliedstaat ein System zur Vermeidung oder Milderung einer mehrfachen Belastung oder wirtschaftlichen Doppelbesteuerung der von gebietsansässigen Gesellschaften an andere gebietsansässige Gesellschaften ausgeschütteten Dividenden einführt, hat er folglich nach Art. 63 AEUV für Dividenden, die gebietsansässigen Gesellschaften von gebietsfremden Gesellschaften gezahlt werden, eine gleichwertige Behandlung vorzusehen ( 36 ). Insbesondere darf er Dividenden aus ausländischen Quellen nicht ungünstiger behandeln als Dividenden aus inländischen Quellen, es sei denn, diese Ungleichbehandlung ist durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt oder betrifft Situationen, die nicht objektiv vergleichbar sind ( 37 ).

92.

Im Licht dieser Grundsätze ist zu prüfen, ob die auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbare deutsche Steuerregelung eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs darstellt und, wenn ja, ob diese Beschränkung gerechtfertigt werden kann.

a) Zum Vorliegen einer Beschränkung

93.

Aus dem Vorabentscheidungsersuchen ergibt sich, dass in Anwendung der verschiedenen einschlägigen bilateralen Abkommen, die die Bundesrepublik Deutschland mit den Mitgliedstaaten oder Drittstaaten geschlossen hat, in denen die verschiedenen im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Tochtergesellschaften von KII ansässig sind, die von ihnen an KII ausgeschütteten Dividenden in diesen Staaten steuerpflichtig und in Deutschland von der Steuer freigestellt sind.

94.

Insoweit ist hervorzuheben, dass diese Freistellungsregelung für Dividenden aus ausländischen Quellen, die sich sowohl aus den Doppelbesteuerungsabkommen als auch aus dem innerstaatlichen deutschen Recht ergibt, als solche den Vorgaben von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 90/435 entspricht.

95.

Da Dividenden aus ausländischen Quellen in Deutschland freigestellt und nicht Teil der Steuerbemessungsgrundlage der sie beziehenden Muttergesellschaft sind, können sie nicht Gegenstand einer mehrfachen Belastung bei der Muttergesellschaft sein. Wie der Gerichtshof bereits festgestellt hat, beseitigt eine Freistellungsregelung für ausgeschüttete Dividenden von vornherein die Gefahr ihrer mehrfachen Belastung ( 38 ).

96.

Daraus folgt, dass im Hinblick auf das von der deutschen Regelung verfolgte Ziel, das darin besteht, eine mehrfache Belastung oder wirtschaftliche Doppelbesteuerung der an gebietsansässige Gesellschaften ausgeschütteten Dividenden zu vermeiden, die Freistellungsregelung für Dividenden aus ausländischen Quellen an sich durchaus legitim ist, da mit ihr ein Ergebnis erzielt werden kann, das der auf Dividenden aus inländischen Quellen anwendbaren Anrechnungsregelung gleichwertig ist. Folglich kann Deutschland – soweit die Dividenden aus ausländischen Quellen tatsächlich nicht besteuert werden, worüber sich das vorlegende Gericht zu vergewissern hat – nicht vorgeworfen werden, die an gebietsansässige Gesellschaften ausgeschütteten Dividenden je nach ihrer Herkunft unterschiedlichen Regelungen zu unterwerfen.

97.

Die von KII aus dem Urteil Accor abgeleitete Argumentation, wonach die Gleichwertigkeit der Freistellungsregelung und der Anrechnungsregelung unter Berücksichtigung der Besteuerung der Endaktionäre zu beurteilen sei, ist aus diesem Blickwinkel zurückzuweisen.

98.

Im Ausgangsrechtsstreit geht es nämlich um die Besteuerung von KII in Deutschland und nicht um die ihrer Anteilseigner, und infolgedessen haben im Ausgangsverfahren nicht diese den Ausgangsrechtsstreit angestrengt, sondern die Gesellschaft selbst ( 39 ). KII führt im Übrigen in ihren schriftlichen Erklärungen aus, dass ihre unmittelbaren Anteilseigner in den Vereinigten Staaten ansässig seien und macht keinerlei Angaben zu deren etwaiger Besteuerung in Deutschland.

99.

Der von KII gerügte Nachteil besteht jedoch, wie die Kommission zu Recht ausgeführt hat, nicht im Vorliegen einer wirtschaftlichen Doppelbesteuerung der Dividenden aus ausländischen Quellen, sondern in dem unterschiedlichen Ergebnis, zu dem die jeweilige Anwendung der Freistellungsregelung und der Anrechnungsregelung im Fall von Verlusten der die Dividenden beziehenden Muttergesellschaft führt.

100.

KII rügt genauer gesagt den Umstand, dass sie aufgrund der Anwendung der Freistellungsregelung auf Dividenden aus ausländischen Quellen nicht in den Genuss des Vorteils kommen könne, den ihr die Anwendung des Anrechnungsmechanismus im Fall von Verlusten verschaffen würde, ein Vorteil, der in der Auszahlung eines Betrags in Höhe der von der Tochtergesellschaft entrichteten Körperschaftsteuer auf die ausgeschütteten Dividenden bestünde. Sie fordert daher die Anwendung der Anrechnungsregelung auf Dividenden aus ausländischen Quellen, um diese Auszahlung beanspruchen zu können.

101.

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof nur über wenige Angaben dazu verfügt, auf welcher Grundlage und unter welchen Voraussetzungen eine gebietsansässige Gesellschaft bei Verlusten oder Verlustvorträgen im Rahmen der auf Dividenden aus inländischen Quellen anwendbaren Anrechnungsregelung eine Auszahlung der auf den Gewinnausschüttungen ihrer gebietsansässigen Tochtergesellschaft lastenden Körperschaftsteuer erhalten kann.

102.

Allerdings ist unstreitig, dass eine solche Auszahlung im Rahmen der auf Dividenden aus ausländischen Quellen anwendbaren Freistellungsregelung nicht erfolgen kann, da diese aufgrund ihrer Freistellung definitionsgemäß nicht in die Steuerbemessungsgrundlage der gebietsansässigen Muttergesellschaft einbezogen werden.

103.

Das Finanzamt Leverkusen und die Bundesrepublik Deutschland bestätigen die hierzu gemachten Angaben des vorlegenden Gerichts und räumen ein, dass im Fall von Verlusten oder Verlustvorträgen der gebietsansässigen Muttergesellschaft die Freistellungsregelung im Vergleich zur Anrechnungsregelung einen Liquiditätsnachteil bedeuten könne, da ihre Anwendung für das Jahr der Dividendenausschüttung zu einer höheren Steuerlast führen könne.

104.

Sie sind jedoch im Wesentlichen der Ansicht, dass es sich nur um einen vorübergehenden Liquiditätsnachteil handle, der nur im Sonderfall von Verlusten oder Verlustvorträgen der Muttergesellschaft entstehe, die höher als die bezogenen Dividenden seien, und dass dies die Gleichwertigkeit der beiden Regelungen nicht in Frage stellen könne. Dieser Nachteil werde außerdem im Wesentlichen dadurch relativiert, dass eine Freistellungsregelung im Gegensatz zu einer Anrechnungsregelung keine Beweispflicht für die auf den ausgeschütteten Dividenden lastende Steuer und daher keine Befolgungskosten für die beziehende Muttergesellschaft mit sich bringe.

105.

Aus den dem Gerichtshof gegebenen Erläuterungen ergibt sich jedoch, dass die Stellung einer gebietsansässigen Muttergesellschaft beim Bezug von Dividenden aus inländischen Quellen tatsächlich vorteilhafter zu sein scheint als beim Bezug von Dividenden aus ausländischen Quellen, da sie bei Verlusten oder Verlustvorträgen eine Auszahlung der Steuer erlangen kann, die auf den von ihrer gebietsansässigen Tochtergesellschaft ausgeschütteten Dividenden lastet, zumindest wenn die ausgeschütteten Dividenden die erzielten Verluste nicht ausgleichen.

106.

Es kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass die in der deutschen Regelung damit vorgenommene Unterscheidung geeignet sein könnte, gebietsansässige Gesellschaften davon abzuhalten, Kapital in Gesellschaften mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten oder in Drittstaaten zu investieren ( 40 ), und dass sie folglich als Beschränkung des freien Kapitalverkehrs einzustufen ist.

107.

Nach ständiger Rechtsprechung ist jedoch eine Beschränkung des freien Kapitalverkehrs nur insofern verboten, als sie nicht nach Art. 64 Abs. 1 AEUV oder Art. 65 Abs. 1 AEUV oder durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt werden kann.

b) Zu den Rechtfertigungen

108.

Wie sich aus der Zusammenfassung der vor dem Gerichtshof abgegebenen Erklärungen ergibt, ist das vorlegende Gericht, unterstützt vom Finanzamt Leverkusen, der Bundesrepublik Deutschland und der Kommission, der Auffassung, dass die deutsche Regelung, sollte sie als Beschränkung angesehen werden können, durch die Notwendigkeit gerechtfertigt wäre, die Kohärenz des deutschen Steuersystems zu gewährleisten, die ausgewogene Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten zu wahren und eine doppelte Berücksichtigung von Verlusten zu verhindern.

109.

Nach meiner eigenen Ansicht kann beim gegenwärtigen Stand der Entwicklung des Unionsrechts und unter den sehr speziellen, alles in allem völlig neuartigen Umständen des Ausgangsverfahrens der Forderung von KII nicht stattgegeben werden, wenn auch aus Gründen, die von den traditionell vom Gerichtshof herangezogenen Rechtfertigungen etwas abweichen.

110.

Sollte nämlich tatsächlich festgestellt werden, dass das System der Dividendenbesteuerung in Deutschland, wie es sich aus den Doppelbesteuerungsabkommen und den nationalen deutschen Rechtsvorschriften ergibt, mit den Bestimmungen des Vertrags über den freien Kapitalverkehr unvereinbar ist, und müsste dieser Mitgliedstaat infolgedessen an eine gebietsansässige Gesellschaft die Steuern auszahlen, die von ihren Tochtergesellschaften in den Mitgliedstaaten und Drittstaaten, in denen diese ansässig sind, auf die Dividenden entrichtet wurden, so würden sowohl die globale Kohärenz dieses Systems als auch die Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten sowie zwischen den Mitgliedstaaten und den Drittstaaten erheblich beeinträchtigt.

111.

Insoweit ist zunächst darauf hinzuweisen, dass Deutschland, wo KII als gebietsansässige Gesellschaft angesehen wird, und die verschiedenen Mitgliedstaaten und Drittstaaten, in denen die Tochtergesellschaften von KII ihren Sitz haben, mit vollem Recht die Aufteilung ihrer jeweiligen Besteuerungsbefugnis vereinbart haben, indem sie u. a. zur Beseitigung der wirtschaftlichen Doppelbesteuerung von Dividenden dienende Abkommen geschlossen haben, die den Vorgaben der Richtlinie 90/435 entsprechen, wie das vorlegende Gericht ausgeführt hat, sowie den tragenden Grundsätzen des internationalen Steuerrechts ( 41 ).

112.

Diese Abkommen sehen zum einen die Dividendenbesteuerung durch den Mitgliedstaat oder Drittstaat vor, in dem sich ihre Quelle befindet, d. h. den Sitzstaat der ausschüttenden Tochtergesellschaften, und zum anderen und dadurch bedingt ihre Freistellung in dem Mitgliedstaat, in dem sie ausgeschüttet werden, d. h. dem Sitzstaat der die Dividenden beziehenden Muttergesellschaft. Sie garantieren damit das Recht der Mitgliedstaaten wie der Drittstaaten auf Ausübung ihrer Steuerhoheit in Bezug auf Tätigkeiten im Inland ( 42 ).

113.

Im Übrigen wird, wie oben ausgeführt, nicht behauptet, dass das Fehlen jeder mehrfachen Belastung der Dividenden aus ausländischen Quellen im Rahmen der Anwendung der Freistellungsregelung nicht sichergestellt sei ( 43 ).

114.

Wie bereits festgestellt, weist die Freistellungsregelung für Dividenden aus ausländischen Quellen jedoch einen Nachteil gegenüber der auf Dividenden aus inländischen Quellen anwendbaren Anrechnungsregelung auf. Dieser Nachteil, der als unvermeidbar angesehen werden kann, ist jedoch in dem speziellen Kontext zu sehen, in dem er eintritt und der das Ausgangsverfahren von allen vom Gerichtshof bislang entschiedenen Rechtssachen, sowohl zur steuerlichen Behandlung von Dividenden als auch zum Verlustausgleich innerhalb von Konzernen, unterscheidet ( 44 ).

115.

Zunächst handelt es sich bei der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Regelung für die Besteuerung von Dividenden um eine Umkehrung des Dualismus, über den der Gerichtshof bislang zu entscheiden hatte. Hier unterliegen nämlich die Dividenden aus ausländischen Quellen einer Freistellungsregelung und die Dividenden aus inländischen Quellen einer Anrechnungsregelung. Der Umstand, dass im vorliegenden Fall die Dividenden aus ausländischen Quellen jeder Besteuerung in Deutschland entzogen sind, ändert jedoch grundlegend die Bedingungen für den Vergleich, der zur Klärung der Frage anzustellen ist, ob die beiden Regelungen gleichwertig sind.

116.

Außerdem ist zu bedenken, dass die im Ausgangsverfahren fragliche Anrechnungsregelung einen klassischen Mechanismus für den Ausgleich der Verluste einer Muttergesellschaft durch die Gewinnausschüttungen ihrer Tochtergesellschaft darstellt, der Teil eines ebenso klassischen Mechanismus der Anrechnung der von der Tochtergesellschaft entrichteten Körperschaftsteuer auf die von der Muttergesellschaft zu entrichtende Körperschaftsteuer ist, mit dem die wirtschaftliche Doppelbesteuerung der Dividenden verhindert werden soll. Das Ineinandergreifen der beiden Mechanismen macht jedoch die ganze Besonderheit und Komplexität des Ausgangsverfahrens aus.

117.

Dazu ist hervorzuheben, dass es nicht die Verluste einer nicht gebietsansässigen Tochtergesellschaft sind, die auf die Steuerbemessungsgrundlage der gebietsansässigen Muttergesellschaft angerechnet werden und daher deren steuerbaren Gewinn verringern ( 45 ). Hier sind es die Verluste der gebietsansässigen Muttergesellschaft, die es durch die Berücksichtigung im Rahmen ihrer Besteuerung und der Durchführung eines Anrechnungsmechanismus ermöglichen, die Auszahlung der von ihrer gebietsansässigen Tochtergesellschaft bereits gezahlten Steuer auf die Dividenden zu erlangen.

118.

Die von KII gerügte Benachteiligung von Dividenden aus ausländischen Quellen, mit der die Begünstigung von Dividenden aus inländischen Quellen einhergeht, ist in diesem Kontext zu beurteilen.

119.

Der gebietsansässigen Muttergesellschaft wird der von ihrer gebietsansässigen Tochtergesellschaft auf die Dividenden entrichtete Steuerbetrag ausgezahlt, wenn die von der Tochtergesellschaft ausgeschütteten Dividenden die Verluste der Muttergesellschaft nicht decken. Die Auszahlung an die Muttergesellschaft steht also, wie die Kommission hervorhebt, mit der Besteuerung der Tochtergesellschaft in unmittelbarem Zusammenhang; sie erfolgt nur aufgrund dieser Besteuerung. Erzielt das aus der Muttergesellschaft und ihrer Tochtergesellschaft bestehende Ganze im Inland keinen Gewinn, verzichtet die Bundesrepublik Deutschland in ihrer doppelten Eigenschaft als Sitzmitgliedstaat von Mutter- und Tochtergesellschaft und als Mitgliedstaat der Gewinnquelle ( 46 ) auf jede Besteuerung der Dividenden.

120.

Im Rahmen der Freistellungsregelung ist die Situation ganz anders. Die an eine gebietsansässige Muttergesellschaft von ihren nicht gebietsansässigen Tochtergesellschaften ausgeschütteten Dividenden werden nicht in Deutschland besteuert, sondern nach den Doppelbesteuerungsabkommen und unter Wahrung der tragenden Grundsätze des internationalen Steuerrechts in den Staaten, in denen die Tochtergesellschaften ihren Sitz haben. Unter diesen Umständen kann es keine Verbindung zwischen der vorgelagerten Besteuerung der Tochtergesellschaft und der nachgelagerten Auszahlung an die Muttergesellschaft geben.

121.

Wenn Deutschland in seiner Eigenschaft als Sitzstaat der Muttergesellschaft dieser die Steuern auszahlen müsste, die von den Mitgliedstaaten oder Drittstaaten, in denen die Tochtergesellschaften ansässig sind, in ihrer Eigenschaft als Quellenstaat der Gewinne auf die Dividenden erhoben wurden, würde dies folglich die Symmetrie beseitigen, die zwischen dem Recht zur Besteuerung der Gewinne und der Möglichkeit zum Abzug von Verlusten bestehen muss ( 47 ), und sowohl die globale Kohärenz des Systems der Dividendenbesteuerung als auch die sich aus dem Abschluss von Doppelbesteuerungsabkommen durch die verschiedenen in Rede stehenden Mitgliedstaaten und Drittstaaten ergebende Aufteilung der Besteuerungsbefugnis irreparabel beeinträchtigen.

3. Ergebnis

122.

Nach alledem ist die in der deutschen Steuerregelung vorgesehene unterschiedliche Behandlung von Dividenden aus ausländischen Quellen, die einer Freistellungsregelung unterliegen, und Dividenden aus inländischen Quellen, die einer Anrechnungsregelung unterliegen, gerechtfertigt. Unter diesen Umständen besteht kein Anlass zu der Unterscheidung zwischen Dividenden von Tochtergesellschaften und von Enkelgesellschaften, die Gegenstand der dritten Frage ist. Erst recht ( 48 ) besteht kein Anlass zu der Unterscheidung zwischen aus anderen Mitgliedstaaten stammenden und aus Drittstaaten stammenden Dividenden, die Gegenstand der vierten Frage ist.

123.

Unter diesen Umständen ist es nicht erforderlich, auf die dritte und die vierte Vorlagefrage eine gesonderte, von der Antwort auf die zweite Frage verschiedene Antwort zu geben.

124.

Infolgedessen schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die zweite, die dritte und die vierte Vorlagefrage zu antworten, dass die Bestimmungen des Vertrags über den freien Kapitalverkehr dahin auszulegen sind, dass sie der Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegenstehen, die wie die im Ausgangsverfahren fragliche die Anrechnung und Auszahlung der Körperschaftsteuer, die in anderen Mitgliedstaaten, in Vertragsstaaten des EWR-Abkommens oder in Drittstaaten ansässige Tochter- und Enkelgesellschaften einer gebietsansässigen Gesellschaft entrichtet haben, im Fall von Verlusten der Muttergesellschaft ausschließt, während diese Anrechnung für gebietsansässige Tochtergesellschaften vorgesehen ist und bei Verlusten eine Auszahlung möglich ist.

VII – Ergebnis

125.

Ich schlage dem Gerichtshof daher vor, die Vorlagefragen des Finanzgerichts Köln (Deutschland) wie folgt zu beantworten:

1.

Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass die Vereinbarkeit einer Regelung eines Mitgliedstaats über die Besteuerung von Dividenden, die auf jede mehr als 10 % betragende Beteiligung Anwendung findet, anhand des freien Kapitalverkehrs geprüft werden kann, wenn die in Rede stehenden Beteiligungen es ermöglichen, einen sicheren Einfluss auf die Entscheidungen der Gesellschaften auszuüben und deren Tätigkeiten zu bestimmen, sofern diese Regelung nicht bezweckt, die Voraussetzungen des Marktzugangs von Gesellschaften dieses Mitgliedstaats in den anderen Mitgliedstaaten oder in Drittstaaten oder von Gesellschaften der anderen Mitgliedstaaten und von Drittstaaten in diesem Mitgliedstaat zu regeln.

2.

Die Bestimmungen des Vertrags über den freien Kapitalverkehr sind dahin auszulegen, dass sie der Regelung eines Mitgliedstaats nicht entgegenstehen, die wie die im Ausgangsverfahren fragliche die Anrechnung und Auszahlung der Körperschaftsteuer, die in anderen Mitgliedstaaten, in Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder in Drittstaaten ansässige Tochter- und Enkelgesellschaften einer gebietsansässigen Gesellschaft entrichtet haben, im Fall von Verlusten der Muttergesellschaft ausschließt, während diese Anrechnung für gebietsansässige Tochtergesellschaften vorgesehen ist und bei Verlusten eine Auszahlung möglich ist.


( 1 ) Originalsprache: Französisch.

( 2 ) Eine Regelung, die der Gerichtshof bereits unter bestimmten Gesichtspunkten geprüft hat; vgl. Urteile vom 6. März 2007, Meilicke u. a. (C-292/04, Slg. 2007, I-1835), und vom 30. Juni 2011, Meilicke u. a. (C-262/09, Slg. 2011, I-5669).

( 3 ) Vgl. Urteil vom 12. Dezember 2006, Test Claimants in the FII Group Litigation (C-446/04, Slg. 2006, I-11753, im Folgenden: Urteil Test Claimants in the FII Group Litigation I); Beschluss vom 23. April 2008, Test Claimants in the CFC and Dividend Group Litigation (C-201/05, Slg. 2008, I-2875); Urteile vom 23. April 2009, Kommission/Griechenland (C‑406/07), sowie vom 13. November 2012, Test Claimants in the FII Group Litigation (C‑35/11, im Folgenden: Urteil Test Claimants in the FII Group Litigation II).

( 4 ) Vgl. Urteil vom 10. Februar 2011, Haribo Lakritzen Hans Riegel und Österreichische Salinen (C-436/08 und C-437/08, Slg. 2011, I-305).

( 5 ) Vgl. u. a. Urteile vom 16. Juli 1998, ICI (C-264/96, Slg. 1998, I-4695), vom 8. März 2001, Metallgesellschaft u. a. (C-397/98 und C 410/98, Slg. 2001, I-1727), vom 13. Dezember 2005, Marks & Spencer (C-446/03, Slg. 2005, I-10837), vom 15. Mai 2008, Lidl Belgium (C-414/06, Slg. 2008, I-3601), Haribo Lakritzen Hans Riegel und Österreichische Salinen, vom 6. September 2012, Philips Electronics UK (C‑18/11), und vom 21. Februar 2013, A (C‑123/11).

( 6 ) Im Folgenden: KStG.

( 7 ) Im Folgenden: EStG.

( 8 ) Im Folgenden: KII.

( 9 ) Ibid. (Randnrn. 88 bis 104).

( 10 ) Ich weise darauf hin, dass der Gerichtshof in seinem Gutachten 1/94 vom 15. November 1994 (Slg. 1994, I‑5267, Randnr. 81) hervorgehoben hat, dass das Ziel des die Niederlassungsfreiheit betreffenden Kapitels des Vertrags darin besteht, sie nur zugunsten der Angehörigen der Mitgliedstaaten, natürlicher wie juristischer Personen, zu gewährleisten. Dieses Kapitel enthält keine Bestimmung, die seinen Geltungsbereich auf Sachverhalte außerhalb der Union erstreckt. Daher kann die Niederlassungsfreiheit weder in einem Kontext geltend gemacht werden, in dem eine juristische Person eines Drittlands eine Beteiligung hält, die ihr einen bestimmenden Einfluss auf die Entscheidungen und Tätigkeiten eines Unternehmens eines Mitgliedstaats verschafft (vgl. u. a. Beschluss vom 10. Mai 2007, Lasertec, C-492/04, Slg. 2007, I-3775, Randnrn. 15 bis 28), noch bei Sachverhalten, die die Niederlassung einer Gesellschaft eines Mitgliedstaats in einem Drittland betreffen (vgl. u. a. Beschluss vom 10. Mai 2007, A und B, C-102/05, Slg. 2007, I-3871, Randnrn. 19 bis 30).

( 11 ) ABl. 1994, L 1, S. 3, im Folgenden: EWR-Abkommen.

( 12 ) Ibid. (Randnrn. 88 bis 104).

( 13 ) Und zwar die vierte Vorlagefrage. Vgl. Randnrn. 30 und 31 sowie 88 bis 104.

( 14 ) Vgl. Randnr. 100.

( 15 ) Vgl. Randnr. 104 und Nr. 4 des Tenors.

( 16 ) Der Gerichtshof begnügt sich manchmal mit der Feststellung, dass die fragliche nationale Regelung nur die „Beziehungen innerhalb einer Unternehmensgruppe“ regelt, aber der Gedanke bleibt derselbe, nämlich dass die Regelung unter die Niederlassungsfreiheit fällt, soweit sie diese aufgrund ihres Gegenstands vorwiegend betrifft. Zu dieser, von Randnr. 32 des Urteils vom 12. September 2006, Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas (C-196/04, Slg. 2006, I-7995), und von Randnr. 118 des Urteils Test Claimants in the FII Group Litigation I ausgehenden Rechtsprechungslinie vgl. Urteile vom 13. März 2007, Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation (C-524/04, Slg. 2007, I-2107, Randnr. 33), vom 18. Juli 2007, Oy AA (C-231/05, Slg. 2007, I-6373, Randnr. 23), und vom 26. Juni 2008, Burda (C-284/06, Slg. 2008, I-4571, Randnr. 68).

( 17 ) Dies ist insbesondere im Rahmen von Vertragsverletzungsklagen der Fall, aus Gründen, die mit dieser Klageart zusammenhängen; vgl. dazu Urteile vom 17. Juli 2008, Kommission/Spanien (C‑207/07, Randnr. 37), Kommission/Griechenland (Randnr. 22), vom 10. November 2011, Kommission/Portugal (C-212/09, Slg. 2011, I-10889, Randnrn. 41 bis 45), und vom 25. Oktober 2012, Kommission/Belgien (C‑387/11, Randnr. 35). Es kann auch im Rahmen von Vorabentscheidungsersuchen der Fall sein, wenn der Gerichtshof aufgrund der Informationen, über die er verfügt, den Umfang der im Ausgangsrechtsstreit in Rede stehenden Beteiligung nicht feststellen kann; vgl. dazu Urteile Test Claimants in the FII Group Litigation I (Randnr. 38), vom 12. Dezember 2006, Test Claimants in Class IV of the ACT Group Litigation (C-374/04, Slg. 2006, I-11673, Randnr. 40), und vom 15. September 2011, Accor (C-310/09, Slg. 2011, I-8115, Randnrn. 30 bis 38).

( 18 ) Randnr. 96.

( 19 ) Ibid. (Randnrn. 26 bis 35, 103 bis 105), Beschlüsse Lasertec (Randnr. 27), A und B (Randnr. 29), und vom 6. November 2007, Stahlwerk Ergste Westig (C‑415/06, Randnrn. 18 und 19), sowie Urteil vom 19. Juli 2012, Scheunemann (C‑31/11, Randnrn. 33 und 34).

( 20 ) Randnr. 81.

( 21 ) Vgl. insbesondere Beschluss Lasertec (Randnrn. 15 bis 28).

( 22 ) Vgl. insbesondere Beschluss A und B (Randnrn. 19 bis 30).

( 23 ) Vgl. insbesondere, im Umkehrschluss, Urteile vom 27. September 1988, Daily Mail and General Trust (81/87, Slg. 1988, 5483, Randnr. 16), vom 9. März 1999, Centros (C-212/97, Slg. 1999, I-1459, Randnr. 17), vom 5. November 2002, Überseering (C-208/00, Slg. 2002, I-9919, Randnrn. 56 und 57), vom 16. Dezember 2008, Cartesio (C-210/06, Slg. 2008, I-9641, Randnr. 110), und vom 20. Juni 2013, Impacto Azul (C‑186/12, Randnr. 32).

( 24 ) Ibid. (Randnr. 98). Vgl. auch Urteil vom 28. Februar 2013, Beker (C‑168/11, Randnr. 30).

( 25 ) Urteil vom 3. Oktober 2006 (C-452/04, Slg. 2006, I-9521).

( 26 ) Randnrn. 46 und 48.

( 27 ) ABl. L 225, S. 6.

( 28 ) Urteile vom 14. Dezember 2000, AMID (C-141/99, Slg. 2000, I-11619, Randnr. 27), und vom 18. Juli 2007, Lakebrink und Peters-Lakebrink (C-182/06, Slg. 2007, I-6705).

( 29 ) Ibid. (Randnrn. 45 ff.).

( 30 ) Vgl. u. a. Urteile vom 11. August 1995, Wielockx (C-80/94, Slg. 1995, I-2493, Randnr. 16), vom 6. Juni 2000, Verkooijen (C-35/98, Slg. 2000, I-4071, Randnr. 32), und vom 15. Juli 2004, Lenz (C-315/02, Slg. 2004, I-7063, Randnr. 19).

( 31 ) Vgl. Urteile Test Claimants in Class IV of the ACT Group Litigation (Randnr. 50), Test Claimants in the FII Group Litigation I (Randnr. 47), vom 20. Mai 2008, Orange European Smallcap Fund (C-194/06, Slg. 2008, I-3747, Randnr. 30), und vom 16. Juli 2009, Damseaux (C-128/08, Slg. 2009, I-6823, Randnr. 25).

( 32 ) Urteile vom 12. Mai 1998, Gilly (C-336/96, Slg. 1998, I-2793, Randnrn. 24 und 30), vom 21. September 1999, Saint-Gobain ZN (C-307/97, Slg. 1999, I-6161, Randnr. 57), sowie Damseaux (Randnr. 30).

( 33 ) Vgl. u. a. Urteile Gilly (Randnrn. 24 und 30), Saint-Gobain ZN (Randnr. 57), und vom 14. Dezember 2006, Denkavit Internationaal und Denkavit France (C-170/05, Slg. 2006, I-11949, Randnrn. 43 und 44).

( 34 ) Als juristische Doppelbesteuerung wird bekanntlich der Fall bezeichnet, dass bei demselben Steuerpflichtigen dasselbe Einkommen doppelt besteuert wird, während man als wirtschaftliche Doppelbesteuerung den Fall bezeichnet, in dem dasselbe Einkommen bei verschiedenen Steuerpflichtigen besteuert wird. Vgl. dazu das Steuerglossar des International Bureau of Fiscal Documentation (IBFD); vgl. auch die Mitteilung der Kommission vom 19. Dezember 2003, Besteuerung von Dividenden natürlicher Personen im Binnenmarkt (KOM[2003] 810 endgültig), und die Nrn. 2 ff. der Schlussanträge von Generalanwalt Geelhoed vom 6. April 2006 in der Rechtssache Test Claimants in the FII Group Litigation I sowie die Mitteilung der Kommission vom 11. November 2011, Doppelbesteuerung im Binnenmarkt (KOM[2011] 712 endgültig).

( 35 ) Vgl. Urteile Test Claimants in the FII Group Litigation I (Randnr. 45) und Accor (Randnr. 43).

( 36 ) Vgl. Urteile Test Claimants in the FII Group Litigation I (Randnr. 72) sowie Haribo Lakritzen Hans Riegel und Österreichische Salinen (Randnr. 156).

( 37 ) Vgl. u. a. Urteil Test Claimants in the FII Group Litigation I (Randnrn. 45 und 46 und die dort angeführte Rechtsprechung). Vgl. auch Urteil Accor (Randnr. 44).

( 38 ) Vgl. Urteile Test Claimants in the FII Group Litigation I (Randnr. 63) und Haribo Lakritzen Hans Riegel und Österreichische Salinen (Randnr. 158).

( 39 ) Im Übrigen erwähnen deshalb außer KII logischerweise weder das vorlegende Gericht noch die verschiedenen Parteien, die schriftliche und/oder mündliche Erklärungen beim Gerichtshof abgegeben haben, die von KII angeführte juristische Doppelbesteuerung von Dividenden aus ausländischen Quellen.

( 40 ) Vgl. u. a. Urteile vom 25. Januar 2007, Festersen (C-370/05, Slg. 2007, I-1129, Randnr. 24), sowie Haribo Lakritzen Hans Riegel und Österreichische Salinen (Randnrn. 50 und 80).

( 41 ) Vgl. dazu u. a. OECD, Addressing Base Erosion and Profit Shifting, 2013, S. 35.

( 42 ) Vgl. in diesem Sinne Urteile Cadbury Schweppes und Cadbury Schweppes Overseas (Randnr. 56), Test Claimants in the Thin Cap Group Litigation (Randnr. 75), vom 17. September 2009, Glaxo Wellcome (C-182/08, Slg. 2009, I-8591, Randnr. 82), vom 20. Oktober 2011, Kommission/Deutschland (C-284/09, Slg. 2011, I-9879, Randnr. 77), und vom 29. November 2011, National Grid Indus (C-371/10, Slg. 2011, I-12273, Randnr. 46).

( 43 ) Darin besteht ein wesentlicher Unterschied zu der Situation, über die der Gerichtshof in der Rechtssache zu entscheiden hatte, in der das Urteil Haribo Lakritzen Hans Riegel und Österreichische Salinen ergangen ist (Randnrn. 158 und 163).

( 44 ) Vgl. dazu die Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss vom 19. Dezember 2006, Steuerliche Behandlung von Verlusten bei grenzübergreifenden Sachverhalten (KOM[2006] 824 endgültig).

( 45 ) Vgl. u. a. Urteile vom 13. Dezember 2005, Marks & Spencer (C-446/03, Slg. 2005, I-10837), Lidl Belgium, A sowie Haribo Lakritzen Hans Riegel und Österreichische Salinen.

( 46 ) Zu dieser Unterscheidung vgl. Urteil Test Claimants in Class IV of the ACT Group Litigation (Randnrn. 56 bis 66).

( 47 ) Vgl. Urteile Lidl Belgium (Randnr. 33), National Grid Indus (Randnr. 58) und Philips Electronics UK (Randnr. 24).

( 48 ) Zum Unterschied zwischen der innergemeinschaftlichen und der außergemeinschaftlichen Seite des freien Kapitalverkehrs vgl. Urteile Test Claimants in the FII Group Litigation I (Randnr. 170), A (Randnrn. 60 ff.), Orange European Smallcap Fund (Randnrn. 89 und 90) sowie Beschlüsse Test Claimants in the CFC and Dividend Group Litigation (Randnr. 92), und vom 4. Juni 2009, KBC Bank und Beleggen, Risicokapitaal, Beheer (C-439/07 und C-499/07, Slg. 2009, I-4409, Randnrn. 71 und 72).

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