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Document 62000CC0228

Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs vom 26. September 2002.
Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Bundesrepublik Deutschland.
Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats - Artikel 7 Absätze 2 und 4 der Verordnung (EWG) Nr. 259/93 - Zuordnung des Zwecks einer Abfallverbringung (Verwertung oder Beseitigung) - Verbrennung von Abfällen - R 1 des Anhangs II B der Richtlinie 75/442/EWG - Hauptverwendung als Brennstoff oder andere Mittel der Energieerzeugung.
Rechtssache C-228/00.

European Court Reports 2003 I-01439

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2002:542

62000C0228

Schlussanträge des Generalanwalts Jacobs vom 26. September2002. - Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Bundesrepublik Deutschland. - Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats - Artikel 7 Absätze 2 und 4 der Verordnung (EWG) Nr. 259/93 - Zuordnung des Zwecks einer Abfallverbringung (Verwertung oder Beseitigung) - Verbrennung von Abfällen - R 1 des Anhangs II B der Richtlinie 75/442/EWG - Hauptverwendung als Brennstoff oder andere Mittel der Energieerzeugung. - Rechtssache C-228/00.

Sammlung der Rechtsprechung 2003 Seite I-01439


Schlußanträge des Generalanwalts


1. Die Kommission macht im Rahmen der vorliegenden nach Artikel 226 EG erhobenen Klage geltend, dass Einwände der Bundesrepublik Deutschland gegen die Verbringung bestimmter Abfälle in andere Mitgliedstaaten zur hauptsächlichen Verwendung als Brennstoff nicht berechtigt seien und im Widerspruch stuenden zu Artikel 7 Absätze 2 und 4 der Verordnung (EWG) Nr. 259/93 des Rates vom 1. Februar 1993 zur Überwachung und Kontrolle der Verbringung von Abfällen in der, in die und aus der Europäischen Gemeinschaft (im Folgenden: Verordnung). Die Kommission beantragt daher, festzustellen, dass Deutschland gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 7 Absätze 2 und 4 der Verordnung verstoßen hat.

2. Es geht dabei im Wesentlichen um die Unterscheidung zwischen Abfallbeseitigung und Abfallverwertung und insbesondere darum, ob die Verbrennung von Abfällen in einem industriellen Prozess, in dem Energie für die Verwendung in diesem Prozess erzeugt wird, als Beseitigungs- oder als Verwertungsverfahren einzustufen ist.

Das Gemeinschaftsrecht

Die Abfallrichtlinie

3. Nach Artikel 3 Absatz 1 der geänderten Richtlinie 75/442/EWG des Rates vom 15. Juli 1975 über Abfälle (im Folgenden: Abfallrichtlinie oder Richtlinie) treffen die Mitgliedstaaten die geeigneten Maßnahmen, um Folgendes zu fördern: a) in erster Linie die Verhütung oder Verringerung der Erzeugung von Abfällen und ihrer Gefährlichkeit" und b) in zweiter Linie i) die Verwertung der Abfälle im Wege der Rückführung, der Wiederverwendung, des Wiedereinsatzes oder anderer Verwertungsvorgänge im Hinblick auf die Gewinnung von sekundären Rohstoffen oder ii) die Nutzung von Abfällen zur Gewinnung von Energie".

4. In Artikel 5 der Richtlinie sind die Grundsätze der Entsorgungsautarkie und der Nähe verankert. Dieser Artikel lautet:

(1) Die Mitgliedstaaten treffen - in Zusammenarbeit mit anderen Mitgliedstaaten, wenn sich dies als notwendig oder zweckmäßig erweist - Maßnahmen, um ein integriertes und angemessenes Netz von Beseitigungsanlagen zu errichten, die den derzeit modernsten, keine übermäßig hohen Kosten verursachenden Technologien Rechnung tragen. Dieses Netz muss es der Gemeinschaft insgesamt erlauben, die Entsorgungsautarkie zu erreichen, und es jedem einzelnen Mitgliedstaat ermöglichen, diese Autarkie anzustreben, wobei die geografischen Gegebenheiten oder der Bedarf an besonderen Anlagen für bestimmte Abfallarten berücksichtigt werden.

(2) Dieses Netz muss es darüber hinaus gestatten, dass die Abfälle in einer der am nächsten gelegenen geeigneten Entsorgungsanlagen unter Einsatz von Methoden und Technologien beseitigt werden, die am geeignetsten sind, um ein hohes Niveau des Gesundheits- und Umweltschutzes zu gewährleisten."

5. Die Richtlinie definiert Beseitigung" als alle in Anhang II A aufgeführte Verfahren" und Verwertung" als alle in Anhang II B aufgeführte Verfahren".

6. Die Anhänge II A und II B der Richtlinie tragen die Überschrift Beseitigungsverfahren" bzw. Verwertungsverfahren". Beide Anhänge beginnen mit dem Hinweis, dass sie Verfahren aufführen, die in der Praxis angewandt werden", und dass nach Artikel 4 die Abfälle [beseitigt/verwertet werden müssen], ohne dass die menschliche Gesundheit gefährdet wird und ohne dass Verfahren oder Methoden verwendet werden, welche die Umwelt schädigen können".

7. Zu den in Anhang II A aufgeführten Beseitigungsverfahren gehört u. a.:

D 10 Verbrennung an Land"

8. Anhang II B enthält u. a. folgendes Verwertungsverfahren:

R 1 Hauptverwendung als Brennstoff oder andere Mittel der Energieerzeugung"

Die Verordnung

9. Die Verordnung beruht auf Artikel 130s EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 175 EG). Sie soll ein harmonisiertes System von Verfahren bereitstellen, womit der Umlauf der Abfälle begrenzt werden kann, um die Umwelt zu schonen.

10. Titel II der Verordnung trägt die Überschrift Verbringung von Abfällen zwischen Mitgliedstaaten". Die Abschnitte A und B dieses Titels enthalten die Verfahren für die Verbringung von zur Beseitigung oder zur Verwertung bestimmten Abfällen.

11. Die Verordnung übernimmt die Definitionen der Richtlinie für Beseitigung" und Verwertung".

12. Das Verfahren für die Verbringung von Abfällen zur Verwertung richtet sich nach der jeweiligen Abfallart. Die Anhänge II bis IV der Verordnung ordnen bestimmte Abfälle einer von drei Listen zu. Anhang II umfasst die grüne Liste" von Abfällen, die bei sachgemäßer Verwertung im Bestimmungsland normalerweise keinerlei Risiken für die Umwelt bergen dürften". Anhang III enthält die gelbe Liste" von Abfällen und Anhang IV die rote Liste" mit besonders gefährlichen Abfällen. Abfällen, die in Anhang II aufgeführt und zur Verwertung bestimmt sind, ist bei ihrer Verbringung lediglich ein Dokument beizufügen, das die vorgeschriebenen Angaben enthält. Bei der Verbringung anderer Abfälle (einschließlich derjenigen, deren Verbringung Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist), die zur Verwertung bestimmt sind, und von Abfällen, die zur Beseitigung bestimmt sind, ist das nachstehende Verfahren einzuhalten.

13. Will der allgemein als notifizierende Person bezeichnete Abfallerzeuger oder -besitzer solche Abfälle von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat verbringen, so muss er dies der zuständigen Behörde am Bestimmungsort notifizieren und der zuständigen Behörde am Versandort sowie dem Empfänger eine Kopie des Notifizierungsschreibens übermitteln.

14. Die Notifizierung erfolgt mit dem Begleitschein, der von der zuständigen Behörde am Versandort auszustellen ist. Die notifizierende Person fuellt den Begleitschein aus und reicht auf Ersuchen der zuständigen Behörden zusätzliche Angaben und Unterlagen nach. Sie muss auf dem Begleitschein Angaben zu einer Reihe von Punkten machen, darunter zum einen über Ursprung, Zusammensetzung und Menge der Abfälle sowie zum anderen über Beseitigungs- oder aber Verwertungsverfahren gemäß Anhang II A oder II B der Richtlinie.

15. Im Fall der Verbringung zur Verwertung bestimmter Abfälle muss der Begleitschein auch Einzelheiten enthalten 1. über das vorgesehene Entsorgungsverfahren für den Restabfall nach erfolgter Verwertung, 2. über die Menge des verwerteten Materials im Verhältnis zur Restabfallmenge und 3. über den Schätzwert des verwerteten Materials.

16. Im Fall zur Beseitigung bestimmter Abfälle ist der Bestimmungsmitgliedstaat für die Verbringungsgenehmigung zuständig. Der Versandmitgliedstaat ist berechtigt, Einwände zu erheben, und der Bestimmungsmitgliedstaat darf die Genehmigung nur erteilen, sofern keine derartigen Einwände vorliegen. Im Fall zur Verwertung bestimmter Abfälle sind der Versand- und der Bestimmungsmitgliedstaat berechtigt, Einwände gegen die Verbringung zu erheben, aber grundsätzlich ist keine ausdrückliche Genehmigung erforderlich.

17. Der wichtigste Unterschied zwischen den Verfahren für die Abfallverbringung zur Verwertung einerseits und zur Beseitigung andererseits liegt in den Gründen, aus denen die verschiedenen zuständigen Behörden Einwände gegen die beabsichtigte Verbringung erheben können.

18. Bei zur Beseitigung bestimmten Abfällen müssen sich die Einwände auf Artikel 4 Absatz 3 stützen. Dieser Artikel gestattet es insbesondere a) den Mitgliedstaaten, die Verbringung von Abfällen allgemein oder teilweise zu verbieten oder gegen jede Verbringung Einwände zu erheben, um das Prinzip der Nähe, den Vorrang zugunsten der Verwertung und den Grundsatz der Entsorgungsautarkie auf gemeinschaftlicher und einzelstaatlicher Ebene gemäß der Richtlinie zur Anwendung zu bringen, und b) den zuständigen Behörden am Versand- und am Bestimmungsort, gegen die geplante Verbringung, wenn diese nicht gemäß der Richtlinie erfolgt, mit Gründen versehene Einwände zu erheben, um den Grundsatz der Entsorgungsautarkie auf gemeinschaftlicher und einzelstaatlicher Ebene anzuwenden.

19. Bei zur Verwertung bestimmten Abfällen müssen sich die Einwände auf Artikel 7 Absatz 4 stützen. Artikel 7 Absatz 4 Buchstabe a führt fünf Gründe auf, aus denen die zuständigen Behörden am Versandort und am Bestimmungsort mit Gründen versehene Einwände erheben können; hiervon ist im vorliegenden Fall nur der folgende fünfte Grund von Bedeutung:

- wenn der Anteil an verwertbarem und nicht verwertbarem Abfall, der geschätzte Wert der letztlich verwertbaren Stoffe oder die Kosten der Verwertung und die Kosten der Beseitigung des nicht verwertbaren Anteils eine Verwertung unter wirtschaftlichen und ökologischen Gesichtspunkten nicht rechtfertigen."

Die Rechtsprechung des Gerichtshofes

20. Zwei Entscheidungen des Gerichtshofes sind im vorliegenden Fall von besonderer Bedeutung.

21. Der Gerichtshof hat erstens im Urteil Dusseldorp u. a. festgestellt, dass die Grundsätze der Entsorgungsautarkie und der Nähe auf die zur Verwertung bestimmten Abfälle nicht anwendbar sind, so dass ein freier Verkehr derartiger Abfälle zwischen den Mitgliedstaaten zum Zweck ihrer Verwertung möglich sein muss, sofern der Transport nicht zu einer Gefährdung der Umwelt führt.

22. Wie der Gerichtshof zweitens im Urteil ASA Abfall festgestellt hat, liegt das entscheidende Merkmal für eine Abfallverwertungsmaßnahme darin, dass ihr Hauptzweck darauf gerichtet ist, dass die Abfälle eine sinnvolle Aufgabe erfuellen können, indem sie andere Materialien ersetzen, die für diese Aufgabe hätten verwendet werden müssen, wodurch natürliche Ressourcen erhalten bleiben. Diese Rechtssache betraf u. a. die Frage, wie die Einbringung von Abfällen in ein stillgelegtes Salzbergwerk zur Sicherung von Hohlräumen (Bergversatz) im Sinne der Verordnung einzustufen ist (nämlich als Verwertungs- oder als Beseitigungsvorgang).

23. Der Gerichtshof hat außerdem im Urteil ASA Abfall entschieden, dass die Artikel 4 Absatz 3 und 7 Absatz 4 die Fälle erschöpfend aufzählen, in denen die Mitgliedstaaten Einwände gegen eine Verbringung von Abfällen zwischen Mitgliedstaaten erheben können.

Die Klage wegen Vertragsverletzung

24. Die vorliegende Klage wegen Vertragsverletzung ist mittelbar auf verschiedene beabsichtigte Abfalltransporte von Deutschland nach Belgien zurückzuführen. Diese Verbringungen waren den zuständigen deutschen Behörden als zur Verwertung bestimmte Abfallverbringungen notifiziert worden; die deutschen Behörden hielten die geplanten Maßnahmen jedoch für Beseitigungsvorgänge.

25. Von den Verbringungen waren zwei Gruppen von Abfällen betroffen.

26. Erstens handelte es sich um Abfälle, die bereits in Deutschland zu Ersatzbrennstoff verarbeitet worden waren. Abfälle wie Lack- und Farbschlämme, Latexschlämme, Ölschlämme, phenolhaltige Schlämme, halogenhaltige und nicht halogenhaltige Destillationsrückstände aus der Wiedergewinnung von Lösungsmitteln, nicht halogenhaltige Lösungsmittel, Schlämme aus Tankreinigung und Fasswäsche, Filterkuchen, Bleicherde, Aluminiumschlamm usw. wurden mit Sägemehl vermischt; dieses Gemisch sollte in Zementöfen verbrannt werden und somit bis zu einem Drittel die sonst eingesetzte Primärenergie ersetzen. Der Heizwert der Abfälle betrug in einigen Fällen mindestens 11 000 kJ/kg.

27. Zweitens ging es um Abfälle, die in einer Anlage in Belgien zu einem Ersatzbrennstoff namens Resofuel" verarbeitet werden sollten. Dabei handelte es sich um Aktivkohlen- und Graphitabfälle, Lösungsmittel enthaltende Destillationsrückstände, mit Lösungsmittel imprägniertes Material (Absorbierungsmittel, Tonerde, Sande und Sägemehl, wobei Letztere teilweise mit organischen und anorganischen Stoffen kontaminiert sind), Rückstände mit temperaturbeständigen synthetischen Stoffen, gemischte synthetische Abfälle, polymerisierte synthetische Stoffe enthaltende Schlämme, Sägemehl und -späne, Holzfasern und Schlämme aus der Papierherstellung. Das daraus gewonnene Resofuel" sollte insbesondere in Zementöfen verbrannt werden und dort Primärenergie vollständig ersetzen.

28. Für Fragen der Verordnung sind in Deutschland die Länder zuständig. Die Behörden in Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen erhoben gegen die geplante Verbringung Einwände mit der Begründung, dass es sich nicht um eine Verwertung von Abfällen handele, sondern um eine Beseitigung, die in Deutschland erfolgen solle. In den ersten beiden Ländern wurden diese Entscheidungen auf Rundschreiben der jeweiligen Ministerien für Umwelt gestützt, in denen Kriterien für die Unterscheidung zwischen Verwertung und Beseitigung bei der Abfallverbrennung aufgestellt werden. Damit eine derartige Maßnahme als Verwertung nach R 1 des Anhangs II B der Richtlinie (Hauptverwendung als Brennstoff oder andere Mittel der Energieerzeugung") eingestuft werden kann, müssen die betreffenden Abfälle - und im Fall eines Abfallgemischs die einzelnen Abfälle - einen Heizwert von mindestens 11 000 kJ/kg aufweisen, sie müssen einen Feuerungswirkungsgrad von mindestens 75 % haben, und vorgeschriebene Grenzwerte des Schadstoffgehalts der Abfälle dürfen nicht überschritten werden. Falls nicht alle diese Voraussetzungen vorliegen, wird der Vorgang als Beseitigung unter D 10 oder D 11 des Anhangs II A (Verbrennung an Land" oder Verbrennung auf See") eingeordnet.

29. Aufgrund verschiedener Beschwerden über die Einwände der deutschen Behörden gegen die beabsichtigte Verbringung der genannten Abfälle richtete die Kommission zunächst ein Schreiben an Deutschland mit der Bitte um Erläuterungen. In seiner Antwort vertrat Deutschland die Auffassung, dass die beanstandete Praxis mit den einschlägigen Gemeinschaftsvorschriften in Einklang stehe, und bestätigte die Ansicht der zuständigen Länderbehörden, dass es sich bei den betreffenden Verbringungen um Beseitigungsmaßnahmen handele.

30. Diese Darstellung konnte die Kommission nicht überzeugen; sie übermittelte Deutschland daher ein Mahnschreiben, in dem sie erläuterte, dass es sich bei den betreffenden Verbringungen ihres Erachtens um Verwertungsmaßnahmen handele und die deutschen Behörden daher nur die in Artikel 7 Absatz 4 der Verordnung vorgesehenen Gründe für Einwände heranziehen könnten. Die Kommission vertrat die Auffassung, dass die Verbrennung der Abfälle in den Zementöfen in Belgien eine Verwertung nach dem Verfahren R 1, Hauptverwendung als Brennstoff ...", oder eine Verwertung nach dem Verfahren R 13, Ansammlung von Abfällen, um sie einem der unter R 1 bis R 12 aufgeführten Verfahren zu unterziehen (ausgenommen zeitweilige Lagerung - bis zum Einsammeln - auf dem Gelände der Entstehung der Abfälle)", in Verbindung mit dem Verfahren R 1 des Anhangs II B der Abfallrichtlinie darstelle.

31. In seiner Antwort erhielt Deutschland seinen Standpunkt aufrecht. Da die Kommission weiterhin der Auffassung war, dass die betreffenden Abfallverbringungen nach Belgien als Verwertungsmaßnahme zu betrachten seien und daher Einwände nur auf der Grundlage von Artikel 7 Absatz 4 der Verordnung erhoben werden könnten, richtete sie im Februar 1999 gemäß Artikel 169 Absatz 1 EG-Vertrag (jetzt Artikel 226 Absatz 1 EG) eine mit Gründen versehene Stellungnahme an Deutschland. Die Kommission erachtete die beanstandeten Maßnahmen auch nach der Antwort Deutschlands auf die Stellungnahme als Verstoß gegen die Verordnung und hat daher die vorliegende Klage wegen Vertragsverletzung erhoben.

Zulässigkeit

32. Deutschland macht geltend, dass die vorliegende Klage unzulässig sei, da die Kommission es sowohl im Vorverfahren als auch in ihrer Klageschrift versäumt habe, den Verfahrensgegenstand so zu konkretisieren, dass sich die Beklagte verteidigen könne. Weder aus dem Mahnschreiben noch aus der mit Gründen versehenen Stellungnahme oder der Klageschrift gehe hervor, welche behördlichen Einzelentscheidungen die Kommission zum Verfahrensgegenstand machen wolle. Die Kommission beziehe sich nur auf drei Rundschreiben der Länder Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg. In diesen Rundschreiben seien jedoch keine unberechtigten Einwände gegen bestimmte Verbringungen von Abfällen in andere Mitgliedstaaten zur Hauptverwendung als Brennstoff" erhoben worden, da darin nur generelle Unterscheidungsmaßstäbe zur Abgrenzung von thermischer Beseitigung und energetischer Verwertung entwickelt würden.

33. Die Kommission führt hingegen aus, sie habe den Verfahrensgegenstand sowohl im Vorverfahren als auch in der Klageschrift präzise dargestellt. In der Klageschrift werde insbesondere bestätigt, dass die Verwaltungspraxis der zuständigen Behörden in den Bundesländern Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, Niedersachsen und Rheinland-Pfalz als nicht vertragskonform beanstandet wird". Diese Praxis komme sowohl in den Rundschreiben der zuständigen Ministerien als auch in Einzelentscheidungen der zuständigen Behörden zum Ausdruck, in denen diese - teils unter Zugrundelegung der Rundschreiben - Einwände gegen bestimmte Abfallverbringungen aufgrund des Artikels 4 der Verordnung erhoben hätten.

34. Nach ständiger Rechtsprechung grenzen das von der Kommission an den Mitgliedstaat gerichtete Mahnschreiben sowie die von ihr abgegebene mit Gründen versehene Stellungnahme den Streitgegenstand ab, so dass dieser nicht mehr erweitert werden kann. Die Möglichkeit zur Äußerung stellt nämlich für den betreffenden Mitgliedstaat eine vom Vertrag gewollte wesentliche Garantie dar, deren Beachtung ein substanzielles Formerfordernis des Verfahrens zur Feststellung der Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats ist. Durch das Mahnschreiben soll u. a. sichergestellt werden, dass der betreffende Mitgliedstaat weiß, in welchen Fragen er seine Verteidigung vorbereiten muss.

35. Das sieben Seiten umfassende Mahnschreiben der Kommission geht im Einzelnen auf zwei dem Verfahren zugrunde liegende Beschwerden und auf die Rundschreiben der Behörden in Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg ein. Es wird darin klar ausgeführt, dass die zuständigen Behörden aufgrund der Rundschreiben Einwände gegen die Verbringungen erhoben hätten, die Gegenstand der betreffenden Beschwerden seien. Das Mahnschreiben bezieht sich weiterhin auf Entscheidungen der Behörden in Niedersachsen und Rheinland-Pfalz, wobei in beiden Fällen Daten genannt werden und dargelegt wird, dass die Entscheidungen darauf abstellten, dass es sich bei den beabsichtigten Maßnahmen um eine Entsorgung und nicht um eine Verwertung handele. Im Mahnschreiben wird ferner erklärt, dass es sich nach Ansicht der Kommission um zur Verwertung bestimmte Verbringungen handele und dass etwaige Einwände auf Artikel 7 Absatz 4 Buchstabe a der Verordnung gestützt werden müssten. Es wird darin auch insbesondere ausgeführt, dass die Kommission davon ausgehe, dass der Vorgang in R 1 des Anhangs II B der Richtlinie (Hauptverwendung als Brennstoff") und nicht in D 10 des Anhangs II A (Verbrennung an Land") einzustufen sei. Die Klägerin kommt in ihrem Mahnschreiben letztlich zu folgendem Schluss:

Entsprechend ihrem jetzigen Kenntnisstand ist die Kommission daher der Auffassung, dass die Bundesrepublik Deutschland gegen ihre sich aus der Verordnung ... sowie aus Artikel 189 Absatz 2 [EG-Vertrag, jetzt Artikel 249 EG] und insbesondere aus ... Artikel 7 Absätze 2 und 4 [der Verordnung] ergebenden Verpflichtungen verstoßen hat."

36. In Anbetracht seines vorerwähnten Inhalts legte das Mahnschreiben meines Erachtens, wie nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes erforderlich, die wesentlichen Elemente des Standpunkts der Kommission in geeigneter Weise dar. Deutschland übermittelte der Kommission eine 18 Seiten umfassende Beantwortung dieses Schreibens und erläuterte darin seine Argumente ausführlich. Es vertrat hierbei die Auffassung, dass die nationalen Behörden spezifische Kriterien für die Verfahren unter D 10 des Anhangs II A und R 1 des Anhangs II B der Richtlinie bestimmen müssten, solange das Gemeinschaftsrecht keine bessere Definition des Verwertungs- und Beseitigungsverfahrens gegeben habe. Seines Erachtens setze der Verwertungsbegriff voraus, dass der Hauptzweck der Maßnahme in der Energieerzeugung liege. Die verschiedenen herangezogenen Kriterien sollten sicherstellen, dass eine Maßnahme nur dann als Verwertung qualifiziert werde, wenn diese Definition zutreffe.

37. Zum Erfordernis einer mit Gründen versehenen Stellungnahme der Kommission nach Artikel 226 EG-Vertrag hat der Gerichtshof ausgeführt, dies solle in erster Linie dem Mitgliedstaat Gelegenheit geben, seinen Standpunkt zu rechtfertigen, und es der Kommission gegebenenfalls ermöglichen, den Mitgliedstaat zu veranlassen, freiwillig den Erfordernisses des Vertrages nachzukommen. Für den Fall, dass dieses Bemühen um eine Beilegung erfolglos bleibt, dient die mit Gründen versehene Stellungnahme der Bestimmung des Streitgegenstands."

38. Die mit Gründen versehene Stellungnahme ist im vorliegenden Fall ähnlich abgefasst wie das Mahnschreiben; sie zeigt außerdem das einschlägige Gemeinschaftsrecht auf und gibt einen Überblick über die maßgebende Rechtsprechung. Die Kommission stellt ihrer Analyse der behaupteten Verletzung des Gemeinschaftsrechts folgende Erklärung voran:

Die Kommission bleibt bei ihrer Sicht, dass es sich bei den fraglichen Transporten um eine Verbringung zur Verwertung handelt, dass ein Mitgliedstaat deshalb Einwände gegen einen solchen Transport nur auf der Grundlage der in Artikel 7 Absatz 4 Buchstabe a) der Verordnung (EWG) Nr. 259/93 angeführten Kriterien oder unter Berufung auf Artikel 130t EG-Vertrag erheben kann, dass die Maßnahmen der Bundesrepublik Deutschland nicht gerechtfertigt sind und daher einen Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht darstellen."

39. Die mit Gründen versehene Stellungnahme fasst auch die deutschen Argumente in der Antwort auf das Mahnschreiben zusammen und widerlegt sie. Die Stellungnahme endet mit der Feststellung, Deutschland habe gegen Artikel 7 Absätze 2 und 4 der Verordnung (EWG) Nr. 259/93 verstoßen".

40. Deutschland wiederum beantwortete die mit Gründen versehene Stellungnahme, indem es seine frühere Auffassung wiederholte und sich auf eine mangelnde Klarheit" der mit Gründen versehenen Stellungnahme berief.

41. Das Mahnschreiben und die mit Gründen versehene Stellungnahme hätten zwar möglicherweise präziser abgefasst werden können, die vorstehende Zusammenfassung ihres Inhalt zeigt jedoch, dass diese Unterlagen den Streitgegenstand ausreichend umreißen, wie es nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes erforderlich ist. Die mit Gründen versehene Stellungnahme erweitert zudem nicht den Streitgegenstand im Vergleich zum Mahnschreiben (dies gilt auch für die Klage im Vergleich zu der mit Gründen versehenen Stellungnahme), was unzulässig gewesen wäre.

42. Aus den vorgenannten Gründen ist die Klage der Kommission als zulässig anzusehen.

Die Streitfragen

43. Die Kommission macht geltend, die Verwaltungspraxis der betroffenen Länder verstoße gegen Artikel 7 Absätze 2 und 4 der Verordnung. Nach Artikel 7 Absatz 2 könnten die zuständigen Behörden des Versandmitgliedstaats Einwände gegen die verwertungsbedingte Verbringung von Abfällen in einen anderen Mitgliedstaat nur auf der Grundlage von Artikel 7 Absatz 4 erheben, der den Grundsatz der Entsorgungsautarkie indessen nicht umfasse, auf den sich die zuständigen Behörden dieser Länder bei ihren Einwänden gegen den Abfalltransport aufgrund der Verwaltungsrundschreiben offenbar stützten. Es geht also in erster Linie darum, ob die für den betreffenden Abfall vorgesehene Maßnahme eine Verwertung oder eine Beseitigung darstellt. Die Parteien sind sich insbesondere darin nicht einig, ob die Länder berechtigt sind, im Abfallrecht der Gemeinschaft nicht vorhandene Kriterien aufzustellen, um zwecks Anwendung der Verordnung eine Unterscheidung zwischen diesen beiden Arten von Maßnahmen treffen zu können, was im Einzelnen unter Hauptverwendung als Brennstoff oder andere Mittel der Energieerzeugung" unter R 1 des Anhangs II B der Richtlinie zu verstehen ist und ob die spezifischen Kriterien, die die Länder im vorliegenden Fall aufgestellt haben, in dem Sinne rechtmäßig sind, dass sie in der Richtlinie enthaltene Merkmale richtig wiedergeben. Ich werde diese Fragen der Reihe nach prüfen.

Das Ermessen der Mitgliedstaaten bei der Aufstellung von Unterscheidungsmerkmalen

44. Deutschland macht in erster Linie geltend, die Mitgliedstaaten seien in Fällen wie dem vorliegenden in Anbetracht der potenziellen Überschreitung zwischen dem Beseitigungsverfahren D 10 - Verbrennung an Land" - einerseits und dem Verwertungsverfahren R 1 - Hauptverwendung als Brennstoff oder andere Mittel der Energieerzeugung" - andererseits sowie angesichts der fehlenden näheren Regelung im Gemeinschaftsrecht berechtigt, eigene Unterscheidungskriterien zwischen Beseitigungs- und Verwertungsmaßnahmen aufzustellen.

45. Deutschland gibt ferner zu bedenken, dass zahlreiche andere Mitgliedstaaten konkretisierende Unterscheidungsmerkmale entwickelt hätten, die u. a. durch vorgeschriebene Mindestheizwerte zum Ausdruck kämen (5 000 kJ/kg in Frankreich, zwischen 9 500 kJ/kg und 15 000 kJ/kg in der Flämischen Region Belgiens, zwischen 11 500 kJ/kg und 15 000 kJ/kg in den Niederlanden und 21 000 kJ/kg im Vereinigten Königreich).

46. Die Beklagte bezieht sich darüber hinaus auf meine Schlussanträge zum Urteil Tombesi u. a., in denen ich auf das Bedürfnis der Mitgliedstaaten" aufmerksam gemacht habe, praktische Regeln und Leitlinien für die tägliche Anwendung der Richtlinie festzulegen, die dem Einzelnen die notwendige Rechtssicherheit verschaffen", und ausgeführt habe:

Bei der gegenwärtigen Fassung der Richtlinie muss es m. E. in gewissem Umfang den Mitgliedstaaten überlassen werden, detailliertere Kriterien für die Anwendung des Begriffs ,Verwertungsverfahren auf die verschiedenen Sachverhalte zu entwickeln, die in der Praxis vorkommen können."

47. Ebenso verweist Deutschland auf die Schlussanträge des Generalanwalts Tesauro zum Urteil Kommission/Rat, in denen es um die Rechtsgrundlage der Richtlinie 91/156 des Rates ging, die die ursprüngliche Fassung der Abfallrichtlinie grundlegend änderte. Der Generalanwalt hat Folgendes ausgeführt:

[Die Richtlinie legt] in großen Zügen fest, in welcher Weise die Mitgliedstaaten tätig werden müssen, um sicherzustellen, dass die Abfallbewirtschaftung in der Gemeinschaft nach Modalitäten erfolgt, die geeignet sind, den Schutz der Umwelt und der Gesundheit zu gewährleisten. Den Mitgliedstaaten steht es allerdings weiterhin völlig frei, den Inhalt dieser Maßnahmen und die einzusetzenden Mittel festzulegen.

...

Was insbesondere die Wettbewerbsbedingungen angeht, so legt die Richtlinie ... keine gemeinsamen Regeln in Bezug auf die Abfallbewirtschaftung fest, sondern beschränkt sich darauf, die Leitlinien für das Tätigwerden der Staaten zu definieren. Daraus folgt, dass jeder Mitgliedstaat befugt ist, auf dem betreffenden Gebiet die Bestimmungen zu erlassen, die seiner Ansicht nach zur Erreichung der vorgeschriebenen Ziele am zweckmäßigsten sind. Das heißt, dass die Modalitäten der Abfallbeseitigung und -verwertung in den einzelnen Mitgliedstaaten erheblich voneinander abweichen können ..."

48. Die Rechtssache Tombesi unterscheidet sich jedoch meines Erachtens in einer wesentlichen Hinsicht von der vorliegenden Rechtssache; es ging damals um die Frage, ob bestimmte Stoffe mit Rückständen aus dem Erzeugungs- oder Handelskreislauf Abfälle darstellen. Zu dieser Frage habe ich unter Berücksichtigung der Abfalldefinition in der Richtlinie ausgeführt: Nach der Richtlinie stellt sich nur die Frage, ob der streitige Stoff einem Beseitigungs- oder Verwertungsverfahren im Sinne von Anhang II A oder II B unterzogen wird." Da Italien zusätzliche Kriterien für die Abfalldefinition aufgestellt hatte, die in der Richtlinie nicht aufgeführt waren, habe ich unmittelbar nach der Nummer, auf die sich Deutschland bezieht, ausgeführt: Tatsächlich ist es wahrscheinlich in den vorliegenden Fällen überfluessig, den Umfang des den Mitgliedstaaten eingeräumten Ermessens zu untersuchen, da klar ist, dass die italienischen Decreti-leggi, die die Fragen der nationalen Gerichte aufgeworfen haben, mit der Richtlinie unvereinbar sind". Somit ist klar, dass ich - und dies dürfte nicht überraschend sein - nicht davon ausgegangen bin, dass die Mitgliedstaaten über ein freies Ermessen verfügen, um die Begriffe der Beseitigung und der Verwertung zu umreißen. Wenn - wie in der Rechtssache Tombesi und wie ich feststellen werde, auch in der vorliegenden Rechtssache - nationales Recht oder die nationale Praxis offensichtlich mit der Richtlinie unvereinbar ist, wird die Ermessensfrage irrelevant.

49. Geht man nun näher auf die Ausführungen des Generalanwalts Tesauro in der Rechtssache Kommission/Rat ein, so zeigt sich, dass er sich mit den Rahmenbedingungen der Richtlinie für die Abfallbewirtschaftung durch die Mitgliedstaaten und nicht mit den spezifischen Begriffen befasst hat, die in der Richtlinie definiert werden. So leitet er seine Erörterung mit folgenden Worten ein: Was sodann den Inhalt der Richtlinie angeht, so legt sie (neben der Bestimmung der Begriffe, die ihren Anwendungsbereich begrenzen) die grundlegenden Ziele fest ..." Die unterschiedliche Praxis der Mitgliedstaaten, auf die der Generalanwalt abhebt, ist in dem Sinne zu verstehen, dass sie die innerstaatliche Politik auf dem Gebiet der Abfallbewirtschaftung betrifft, wobei es z. B. darum geht, dass eine Verringerung der Abfallerzeugung und der Schadstoffbelastung sowie eine Rückführung der Abfälle gefördert werden. Es ist zu bedenken, dass in der Rechtssache Kommission/Rat die vom Rat für die Richtlinie 91/156/EWG gewählte Rechtsgrundlage strittig war, so dass sich die Erörterung auf die Ziele der Rechtsetzung richtete. In den Schlussanträgen - oder im Urteil des Gerichtshofes - findet sich nichts, was den Schluss zuließe, dass der Generalanwalt in Erwägung gezogen hätte, dass die Mitgliedstaaten ihre eigenen Kriterien auf die in den Anhängen II A und II B der Richtlinie beschriebenen Beseitigungs- und Verwertungsverfahren anwenden.

50. Deutschland beruft sich außerdem auf nachstehende Feststellung des Gerichtshofes in der Rechtssache ARCO Chemie Nederland u. a.:

In Ermangelung spezifischer gemeinschaftsrechtlicher Bestimmungen für den Nachweis, dass es sich um Abfall handelt, ist es Sache des nationalen Gerichts, insoweit die Bestimmungen seines eigenen Rechtssystems anzuwenden, wobei es darauf zu achten hat, dass die Zielsetzung und die Wirksamkeit der [Abfall-]Richtlinie nicht beeinträchtigt werden."

51. Diese Feststellung kann im vorliegenden Fall jedoch nicht von Bedeutung sein, da die Richtlinie spezifische gemeinschaftsrechtliche Bestimmungen" enthält, die die Beseitigungs- und Verwertungsverfahren aufzeigen. Überdies ist nicht außer Acht zu lassen, dass der Gerichtshof in der unmittelbar folgenden Randnummer des Urteils bemerkt: Die gesellschaftlichen Auffassungen sind in Anbetracht der Formulierung des Abfallbegriffs in Artikel 1 Buchstabe a der [Abfall-]Richtlinie ebenfalls nicht erheblich ..." Die Ausführungen des Gerichtshofes im Urteil ARCO sprechen demnach im Gegensatz zu der von Deutschland geäußerten Meinung dafür, dass die Mitgliedstaaten in der Richtlinie enthaltene Definitionen nicht näher bestimmen können.

52. Die unannehmbaren Folgen, die sich ergeben, wenn es den Mitgliedstaaten ermöglicht wird, ihre eigenen Kriterien in einer solchen Weise anzuwenden, werden bei den Unterschieden der Mindestheizwerte sichtbar, die einige Mitgliedstaaten, wie Deutschland ausführt, bei der Abfallverbrennung voraussetzen, um die damit verbundene Wärmeerzeugung einem Verwertungsverfahren nach R 1 des Anhangs II B der Richtlinie zuzuordnen. Wie bereits dargelegt, reichen diese Heizwerte von 5 000 kJ/kg in Frankreich bis 21 000 kJ/kg im Vereinigten Königreich. Die Anwendung so weit auseinander liegender Grenzwerte in verschiedenen Mitgliedstaaten (und möglicherweise in verschiedenen Regionen ein und desselben Mitgliedstaats) widerspräche zweifellos dem Ziel der Richtlinie, die u. a. auf eine gemeinsame Terminologie" für eine effizientere Abfallbewirtschaftung in der Gemeinschaft" ausgerichtet ist, und dem der Verordnung, die darauf aufbaut, dass die verschiedenen Mitgliedstaaten dieselben Verfahren für Abfälle anwenden, die spezifischen Vorgängen zugeführt werden sollen. Wenn es den Mitgliedstaaten, wie die Kommission ausführt, freistuende, ihre eigenen divergierenden Kriterien zur Geltung zu bringen und dabei zu bestimmen, welche Maßnahmen als Verwertungsverfahren einzustufen sind, würde die Bedeutung des Artikels 7 Absatz 4 der Verordnung, in dem die Fälle, in denen die Mitgliedstaaten Einwände gegen die Abfallverbringung zur Verwertung erheben können, abschließend aufgeführt sind, stark eingeschränkt.

53. Damit ist nicht gesagt, dass ein auf dem Heizwert beruhendes einheitliches Kriterium kein nützliches und brauchbares Mittel zur Unterscheidung zwischen Verwertungs- und Beseitigungsverfahren wäre, wenn es auf Gemeinschaftsebene festgelegt würde. Es war jedoch offenbar bisher nicht möglich, sich auf ein derartiges Kriterium zu einigen.

54. Sowohl die Kommission als auch Deutschland beziehen sich auf eine Arbeitsunterlage, die die Kommission dem Technischen Anpassungsausschuss im Jahr 1999 gemäß der Richtlinie im Hinblick auf die Änderungen unterbreitet hat, die zur Anpassung der Anhänge der Richtlinie an den wissenschaftlichen und technischen Fortschritt erforderlich sind und nach einem festgelegten Verfahren in Zusammenarbeit mit einem aus Vertretern der Mitgliedstaaten bestehenden Ausschuss erlassen werden. Diese Unterlage enthält eine Reihe von Vorschlägen zur Begrenzung des Umlaufs zu verbrennender Abfälle. Dabei handelt es sich auch um Kriterien zur besseren Unterscheidung zwischen Verbrennung an Land" nach D 10 des Anhangs II A und Hauptverwendung als Brennstoff oder andere Mittel der Energieerzeugung" nach R 1 des Anhangs II B. Zur Erörterung stand in diesem Rahmen u. a. der Heizwert, dessen Grenzwert 17 000 kJ/kg betragen sollte. Eine darauf beruhende Unterscheidung wurde jedoch offenbar von der Mehrheit der Mitgliedstaaten nicht akzeptiert.

Verwendung als Brennstoff oder andere Mittel der Energieerzeugung"

55. Deutschland ist der Ansicht, dass bei der Auslegung des Begriffes Verwendung als Brennstoff oder andere Mittel der Energieerzeugung" in R 1 des Anhangs II B der Richtlinie auf den Zweck der Maßnahme abzustellen sei. Eine Verwertungsmaßnahme liege also vor, wenn der spezifische Zweck der Verbrennung in der Verwendung der Abfälle als Energiequelle liege. Dieser Grundsatz, auf dem die in Rede stehende Praxis der Länder beruhe, entspräche genau dem Kriterium, das der Gerichtshof im Urteil ASA Abfall aufgestellt habe und das ebenfalls auf den Hauptzweck der betreffenden Maßnahme gerichtet sei.

56. Für die Kommission hingegen liegt der entscheidende Faktor für die Einordnung einer Maßnahme in R 1 des Anhangs II B der Richtlinie darin, dass die Abfälle als Brennstoff verwendet werden. Diese Verwendung liege nur vor, wenn erstens die Verbrennung der Abfälle thermische Energie erzeuge und zweitens die somit gewonnene Energie auch tatsächlich verwendet werde, so dass die verbrannten Abfälle andere Energiequellen ersetzten. Würden diese Voraussetzungen nicht erfuellt, so liege keine Verwendung als Brennstoff vor, sondern es handele sich nur um einen Verbrennungsvorgang. Die Kommission führt ferner aus, dass die betreffenden Abfälle aus einem Abfallgemisch bestuenden, das als Brennstoff in der belgischen Zementindustrie eingesetzt werden solle. Die Abfälle sollten in belgischen Zementwerken zweifellos so verwendet werden, das deren Verbrennung tatsächlich genutzte thermische Energie erzeuge, die im einen Fall bis zu einem Drittel der andernfalls verwendeten Primärenergie und im anderen die gesamte derartige Energie ersetze. Die Abfälle sollten somit als Brennstoff verwendet werden. Die Kommission bezieht sich hinsichtlich des Urteils ASA Abfall auf die Feststellung des Gerichtshofes, wonach das entscheidende Merkmal für eine Abfallverwertungsmaßnahme ... darin [liegt], dass ihr Hauptzweck darauf gerichtet ist, dass die Abfälle eine sinnvolle Aufgabe erfuellen können, indem sie andere Materialien ersetzen, die für diese Aufgabe hätten verwendet werden müssen, wodurch natürliche Rohstoffquellen erhalten werden können". Ihres Erachtens führt die Anwendung dieses Kriteriums auf den vorliegenden Fall angesichts der vorstehenden Darlegung zwangsläufig zu dem Schluss, dass die Verwendung des Abfallgemischs in Zementwerken als Verwertungsmaßnahme einzuordnen sei.

57. Die Erläuterung der Kommission erscheint mir zutreffend. Mit der Verwendung als Brennstoff oder andere Mittel der Energieerzeugung" sind nämlich bei folgerichtiger Betrachtung die beiden von der Kommission beschriebenen Kriterien verbunden. Wenn erstens die Abfallverbrennung nicht mehr Energie erzeugt, als dadurch verbraucht wird - etwa weil die betreffenden Abfälle schwer brennbar sind, so dass für deren Erhitzung und/oder Weiterbrennen mehr Energie erforderlich ist, als durch den Verbrennungsvorgang als solchen gewonnen wird -, steht kein Energieüberschuss als Brennstoff zur Verfügung. Selbst wenn zweitens ein Energieüberschuss entsteht, kann man nur dann davon ausgehen, das die Abfälle als Brennstoff oder andere Mittel der Energieerzeugung verwendet werden, wenn die Energie ihrerseits auch eingesetzt wird. Das Konzept der Abfallverwendung als Brennstoff oder andere Mittel der Energieerzeugung setzt somit notwendigerweise voraus, dass die Abfälle, soweit sie verwendet werden, Primärenergie ersetzen. Dies entspricht zweifellos dem Verwertungsbegriff.

58. Im Übrigen lässt sich der Hauptzweck einer Verbrennungsmaßnahme, die Bestandteil eines industriellen Prozesses ist und einen Energieüberschuss erzeugt, der in diesem Prozess eingesetzt wird, darin erblicken, das die Abfälle als Brennstoff genutzt werden. Da eine derartige Abfallverwendung zweifellos andere Brennstoffe ersetzt, bleiben natürliche Rohstoffe erhalten. Mit dieser Auslegung kann demnach die Beschreibung in R 1 der Anlage II B der Richtlinie auf das vom Gerichtshof im Urteil ASA Abfall aufgestellte Kriterium zurückgeführt werden, das darin liegt, dass der Hauptzweck einer Verwertungsmaßnahme darauf gerichtet ist, dass die Abfälle eine sinnvolle Aufgabe erfuellen können, indem sie andere Materialien ersetzen, die für diese Aufgabe hätten verwendet werden müssen, wodurch natürliche Rohstoffquellen erhalten bleiben. Wie ich in meinen Schlussanträgen zum genannten Urteil ausgeführt habe, ist die entscheidende Frage die, ob die Abfälle für einen realen Zweck verwendet werden; wenn die Abfälle also für eine bestimmte Maßnahme nicht verfügbar wären, würde diese Maßnahme dann gleichwohl mit anderem Material durchgeführt? Bei Abfällen, die in einem Zementwerk als Brennstoff verwendet werden, ist diese Frage zweifellos zu bejahen. In Ermangelung von Abfällen würde das Werk nämlich auf einen anderen Brennstoff zurückgreifen.

59. Es ist aufschlussreich, die vorliegende Rechtssache der Rechtssache Kommission/Luxemburg gegenüberzustellen, bei der es sich ebenfalls um eine Klage wegen Vertragsverletzung handelt, die indessen eine beabsichtigte Verbringung von Hausmüll zum Zweck der Verbrennung mit nebenbei vorgenommener Verwertung der erzeugten Energie betrifft. In meinen Schlussanträgen hierzu, die ich gleichfalls am heutigen Tag stelle, wird Folgendes dargelegt: Bei Abfällen, die in einer für die Verbrennung erstellten Anlage verbrannt werden, ist die oben genannte Frage mit einem klaren Nein zu beantworten. Wären nämlich keine Abfälle vorhanden, würde keine Verbrennung vorgenommen. Unter diesen Umständen kann die Maßnahme nicht einfach deshalb als Verwertung angesehen werden, weil, sofern Abfälle vorhanden sind und verbrannt werden, die Verbrennungswärme ganz oder teilweise als Mittel der Energieerzeugung verwendet wird. Diese Tatsache allein macht die Verwendung der Abfälle als Brennstoff oder andere Mittel der Energieerzeugung nicht zum Hauptzweck der Verbrennung.

60. Im vorliegenden Fall ist zudem ersichtlich, dass die bei der Kommission eingegangenen Beschwerden, die letztlich zur vorliegenden Klage geführt haben, von den Zementherstellern erhoben wurden. Demnach wäre eine Verbringung der Abfälle für diese Hersteller vermutlich von besonderem Vorteil gewesen, was jedenfalls dafür spricht, dass der Hauptzweck der in Rede stehenden Operation in der Verwendung der Abfälle als Brennstoff liegt. Die Tatsache, dass die Beschwerden von den Zementherstellern ausgehen, verdeutlicht auch die negativen Folgen sowohl für den freien Warenverkehr als auch für die gemeinschaftliche Umweltpolitik, die sich ergeben würden, wenn die Rechtsvorschriften dahin ausgelegt würden, dass Maßnahmen wie die in Rede stehende als Beseitigungsverfahren einzuordnen sind. Der Versandmitgliedstaat könnte dann - was Deutschland offensichtlich anstrebt - die Abfallverbringung unter Berufung auf den Grundsatz der Nähe und/oder der Entsorgungsautarkie verbieten, so dass Hersteller in anderen Mitgliedstaaten daran gehindert würden, natürliche Rohstoffe dadurch einzusparen, dass sie die Abfälle als Brennstoff in einem industriellen Prozess nutzen und somit dem Ziel einer umsichtigen und rationellen Verwendung der natürlichen Ressourcen gemäß Artikel 174 EG-Vertrag dienen.

61. Wie aus dem Urteil Dusseldorp hervorgeht, hat der Gemeinschaftsgesetzgeber zur Stimulierung der Verwertung in der gesamten Gemeinschaft, insbesondere durch die Entwicklung möglichst hochwertiger Techniken, vorgesehen, dass ein freier Verkehr verwertungsbestimmter Abfälle zwischen den Mitgliedstaaten zum Zweck ihrer Verwertung möglich sein muss. Der Gerichtshof hat zwar außerdem festgestellt, dass der Transport der betreffenden Abfälle nicht zu einer Gefährdung der Umwelt führen darf. Dieser Vorbehalt kann meines Erachtens jedoch nicht im absoluten Sinne verstanden werden, da praktisch alle Transportarten Gefahren für die Umwelt mit sich bringen können. Es ging dem Gerichtshof wohl eher um eine Ausgewogenheit. Wie ich in meinen Schlussanträgen in der genannten Rechtssache bemerkt habe, sind die Umweltargumente viel feiner ausgewogen, wenn die Verbringung nicht der Abfallbeseitigung, sondern der Abfallverwertung dient. Obwohl die Verbringung von Abfall über weite Strecken je nach Art des Abfalls bestimmte Umweltgefahren mit sich bringen kann, dürfte ein einziger Markt für zur Verwertung bestimmten Abfall eine verbesserte Rückführung bewirken und damit die Menge des zur Beseitigung bestimmten Abfalls verringern und Rohstoffe erhalten.

62. Auch hier ist ein Vergleich mit der Rechtssache Kommission/Luxemburg zweckmäßig. In dieser Rechtssache, in der der Zweck der betreffenden Maßnahme hauptsächlich in der Beseitigung des Abfalls lag, erschien es sinnvoll, dem Erfordernis des Umweltschutzes vor dem Erfordernis des freien Warenverkehrs den Vorrang einzuräumen, während für den vorliegenden Fall das Gegenteil gilt, da hier die Abfälle als Brennstoff in einem Herstellungsprozess eingesetzt werden sollen, so dass natürliche Ressourcen eingespart werden.

Mengenmäßige Kriterien - Die Bedeutung des Begriffes hauptsächlich"

63. Obwohl die Mitgliedstaaten meines Erachtens der Verwertungsbeschreibung Hauptverwendung als Brennstoff oder andere Mittel der Energieerzeugung" in R 1 des Anhangs II B der Richtlinie nicht weitere Kriterien hinzufügen dürfen, ist das Vorbringen Deutschlands bezüglich der Rechtmäßigkeit der von ihm aufgestellten Kriterien von potenzieller Bedeutung, da seiner Auffassung nach das Merkmal des Mindestheizwerts dem Erfordernis der Hauptverwendung" genau entspricht. Deutschland führt aus, das Konzept der Hauptverwendung mache es erforderlich, dass der hauptsächliche Zweck der betreffenden Maßnahme in der energetischen Nutzung zu sehen sei. Eine Verwendung, bei der die Abfälle nicht hauptsächlich als Brennstoff genutzt, sondern nur verbrannt würden, genüge nicht. Um der Definition in R 1 gerecht zu werden, müsse der überwiegende Teil der Abfälle nämlich als Energiequelle dienen. Dies ist nach den Berechnungen der Beklagten im Allgemeinen erst der Fall, wenn ein Heizwert von 11 000 kJ/kg erreicht wird. Deutschland bemerkt zudem, dass die gewonnene Wärme bei fast allen Verbrennungsmaßnahmen genutzt werde; würde dies allein eine Verwertung darstellen, so wären praktisch alle Verbrennungsvorgänge eine Verwertung.

64. Die Kommission legt erneut dar, dass das einzige mengenmäßige Element der Definition in R 1 darin zu sehen sei, dass die Abfälle hauptsächlich verwendet werden müssten, dass also der überwiegende Teil der Abfälle als Brennstoff dienen müsse. Werde nur ein kleinerer Teil unter Verwendung der erzeugten Wärme verbrannt, während der größere Teil anderweitig verwertet werde, so sei diese Maßnahme nicht in R 1 des Anhangs II B der Richtlinie einzuordnen.

65. Die Darlegung der Kommission entspricht meines Erachtens dem Wortlaut des Anhangs II B. Alle sprachlichen Fassungen von R 1 enthalten mit Ausnahme der griechischen Fassung das Erfordernis, dass die Verwendung hauptsächlich als Brennstoff erfolgt oder - etwas anders ausgedrückt - dass Brennstoff die Hauptverwendung ist. Wird nur ein kleinerer Teil der verbrachten Abfälle unter Verwendung der erzeugten Wärme verbrannt, so kann der Vorgang offensichtlich nicht als Hauptverwendung als Brennstoff oder andere Mittel der Energieerzeugung" angesehen werden. Um R 1 zugeordnet zu werden, müssen die gesamten verbrachten Abfälle hauptsächlich" verwendet werden.

66. Deutschland wendet ein, bei dieser Auslegung würde eine Maßnahme eine Verwertung darstellen, sofern nur 51 % der Abfälle verbrannt würden und die erzeugte Wärme genutzt werde. Der Versandmitgliedstaat muss indessen nicht alle Abfallverbringungen zulassen, die für eine derartige Operation bestimmt sind. Soll der unverbrannte Teil der Abfälle nicht seinerseits verwertet werden, so kann der Versandmitgliedstaat berechtigt sein, Einwände gegen die Verbringung zu erheben, wobei er sich auf Artikel 7 Absatz 4 Buchstabe a fünfter Gedankenstrich der Verordnung stützen kann, wenn der Anteil an verwertbarem und nicht verwertbarem Abfall, der geschätzte Wert der letztlich verwertbaren Stoffe oder die Kosten der Verwertung und die Kosten der Beseitigung des nicht verwertbaren Anteils eine Verwertung unter wirtschaftlichen und ökologischen Gesichtspunkten nicht rechtfertigen". Der Versandmitgliedstaat wird zu einer derartigen Beurteilung in der Lage sein, da der Begleitschein nach der Richtlinie Angaben zu dem vorgesehenen Entsorgungsverfahren für den Restabfall nach erfolgter Verwertung, zu der Menge des verwerteten Materials im Verhältnis zur Restabfallmenge und zu dem Schätzwert des verwerteten Materials enthalten muss.

67. Wie bereits gesagt, liegt eine Verwendung von Abfällen als Brennstoff oder andere Mittel der Energieerzeugung nur vor, wenn die betreffende Maßnahme zu einer Nettoerzeugung von Energie führt und diese Energie tatsächlich verwendet wird. Das Erfordernis, dass die Abfälle hauptsächlich" in dieser Weise verwendet werden, gilt meines Erachtens für beide genannten Voraussetzungen. Somit ist es nicht nur erforderlich, dass der überwiegende Teil der verbrachten Abfälle bei einer bestimmten Verbrennungsmaßnahme verbrannt wird, die erzeugte Energie muss vielmehr auch ihrerseits hauptsächlich" verwendet werden, damit der Vorgang als Verwertung angesehen werden kann.

68. Sind diese Voraussetzungen erfuellt, so ist meines Erachtens den Erfordernissen von R 1 des Anhangs II B der Richtlinie Genüge getan, und die betreffende Maßnahme ist als Verwertung einzustufen. Es bedarf daher keiner Mutmaßungen unter Zuhilfenahme des Heizwerts der Abfälle usw. Wie der Gerichtshof im Urteil ASA Abfall im Zusammenhang mit der Bewertung der Einbringung von Abfällen in ein stillgelegtes Bergwerk festgestellt hat, müssen die zuständigen Behörden geplante Abfallverbringungen je nach Einzelfall beurteilen. Diesem Grundsatz unterliegen meines Erachtens auch Fälle, wie sie hier vorliegen. Um festzustellen, ob eine bestimmte Abfallverbringung die oben genannten Voraussetzungen erfuellt, werden die Behörden nämlich notwendigerweise eine Einzelbeurteilung durchführen müssen. Ein Rückgriff auf allgemeine Mutmaßungen steht indessen zweifellos im Widerspruch zu der aufgezeigten Lösung.

Die Behandlung von Abfallgemischen

69. Deutschland macht geltend, dass bei der Prüfung der Frage, ob es sich bei Abfallgemischen tatsächlich um Abfall zur Verwertung handele, auf die Eigenschaften der einzelnen Abfälle und nicht auf die Eigenschaften des jeweiligen Gemisches abzustellen sei. Dies entspreche auch der Praxis in den meisten Mitgliedstaaten. Enthalte ein Gemisch Abfälle, deren Verbrennung nicht als Verwertung angesehen werden könne, da diese bei Einzelverbrennung keinen Wärmeüberschuss erzeugten oder unbrennbar seien, so sei auch die Verbrennung des Gemisches nicht als Verwertung, sondern als Beseitigung einzustufen. Deutschland verdeutlicht dies anhand des folgenden Beispiels: Verschiedene im streitigen Abfallgemisch enthaltene Schlämme (aus Tankreinigung und Fasswäsche, Farb- und Lackschlämme sowie phenolhaltige Schlämme) bestuenden zumindest aus 76 % Wasser, das nicht verbrenne, sondern verdampfe, wenn es dergestalt mit brennbaren Stoffen konditioniert sei, dass deren Heizwert das Wasser erhitze. Demgemäß sei die Verbrennung" einzeln unbrennbarer Abfälle kein Mittel der Energieerzeugung", sondern koste im Gegenteil die aus anderen Abfällen des Gemisches gewonnene Energie.

70. Dieses Argument führt jedoch nach meiner Ansicht nicht viel weiter. Bringt nämlich die Verbrennung eines Abfallgemischs einen Nettoenergiegewinn mit sich und wird diese Energie verwertet, so ist dies eine Verwertungsmaßnahme im Sinne von R 1 des Anhangs II B der Richtlinie. Es ist nicht einzusehen, warum man nur deshalb zu einem anderen Ergebnis gelangen sollte, weil bestimmte Bestandteile der Abfälle bei Einzelverbrennung anders reagieren würden. Wesentlich ist, dass die schwerer brennbaren Abfälle aufgrund ihrer Vermischung mit leichter brennbaren Abfällen faktisch brennen und die durch die kombinierte Verbrennung gewonnene Energie verwendet wird.

71. Sollte, so führt Deutschland weiter aus, die bloße Vermischung und nicht die Zusammensetzung der Abfälle ausreichen, um der Definition des Verfahrens unter R 1 des Anhangs II B der Richtlinie zu entsprechen, so wäre die strikte Trennung der Verordnung zwischen Abfällen zur Beseitigung und Abfällen zur Verwertung obsolet. Alle zur Verwendung als Brennstoff ungeeigneten Abfälle, die sich somit nur zur Beseitigung eigneten, könnten einfach mit verwertungsgeeigneten Abfällen vermischt werden, so dass die erstgenannten Abfälle hierdurch ebenfalls als verwertungsgeeignet betrachtet würden und so von den Vorschriften der Verordnung für Beseitigungsabfälle ausgenommen seien. Dieses Argument ist ebenfalls nicht stichhaltig. Werden solche nicht eigenbrennbaren Abfälle mit anderem besser brennbarem Abfall vermischt und dient das daraus resultierende Gemisch hauptsächlich der Verwendung als Brennstoff, so ist es zweifellos gerechtfertigt, eine Verbringung dieses Gemisches als Abfallverbringung zur Verwertung zu behandeln.

72. Demgemäß kann ich mich nicht dem Vorbringen Deutschlands anschließen, dass Bestandteile eines Abfallgemischs einzeln zu bewerten seien, um festzustellen, ob die Maßnahme, für die sie bestimmt sind, eine Verwertung oder eine Beseitigung darstelle.

Abfälle mit gefährlichen oder schädlichen Stoffen

73. Soweit Bestandteile des Abfallgemischs gefährliche Stoffe im Sinne der Richtlinie 91/689/EWG des Rates über gefährliche Abfälle darstellen, verstößt nach Ansicht Deutschlands deren Vermischung mit anderen Abfällen gegen Artikel 2 Absatz 2 dieser Richtlinie; dieser bestimmt:

Die Mitgliedstaaten ergreifen die erforderlichen Maßnahmen, um zu verhindern, dass Anlagen oder Unternehmen, die gefährliche Abfälle beseitigen, verwerten, einsammeln oder befördern, verschiedene Kategorien gefährlicher Abfälle miteinander mischen oder gefährliche Abfälle mit nicht gefährlichen Abfällen vermischen."

74. Eine Vermischung von Abfällen entgegen den Bestimmungen der Richtlinie 91/689 kann sich jedoch nicht auf die Bedeutung der Begriffe Verwertung" und Beseitigung" im Sinne der Abfallrichtlinie und der einzelnen in deren Anhängen II A und II B aufgeführten Verfahren auswirken. Dies zeigt Artikel 1 Absatz 3 der Richtlinie 91/689, wonach für die Bestimmung des Begriffes Abfälle" sowie der übrigen Begriffe dieser Richtlinie - also einschließlich Verwertung" und Beseitigung" - die Definitionen der Abfallrichtlinie gelten.

75. Wenn Deutschland befürchten muss, dass gefährliche und nicht gefährliche Abfälle entgegen den Bestimmungen der Richtlinie über gefährliche Abfälle vermischt werden, muss es die im Sinne dieser Richtlinie erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um solche Praktiken zu unterbinden.

76. Die von den betroffenen Ländern aufgestellten Kriterien beziehen sich auch auf die Art und Menge der Schadstoffe in Abfallgemischen; wenn demnach die Konzentration bestimmter Substanzen einen gegebenen Grenzwert überschreitet, ist die Abfallverbrennung als Beseitigung zu betrachten. Deutschland erklärt, dies beruhe - wie schon die Einleitung zu Anhang II B der Richtlinie erkennen lasse - darauf, dass ein Verwertungsverfahren schadlos und umweltverträglich sein müsse. Da jedoch die Einleitung zu Anhang II A bezüglich der Beseitigungsverfahren gleichlautend abgefasst ist, kann dieses Kriterium als solches nicht zur Unterscheidung zwischen Verwertungs- und Beseitigungsverfahren beitragen.

77. Deutschland führt weiter aus, dass es das nach der Richtlinie zu errichtende Netz von Beseitigungsanlagen gestatten müsse, dass die Abfälle gemäß Artikel 5 Absatz 2 der Richtlinie unter Einsatz von Methoden und Technologien beseitigt werden, die am geeignetsten sind, um ein hohes Niveau des Gesundheits- und Umweltschutzes zu gewährleisten". Verwertungsanlagen verfügten andererseits in einzelnen Mitgliedstaaten nicht immer über einen entsprechenden Technologiestandard. Somit müsse es den Mitgliedstaaten gestattet sein, auch ein Kriterium des Schadstoffgehalts heranzuziehen, um zwischen Beseitigungs- und Verwertungsabfällen zu unterscheiden und somit sicherzustellen, dass schadstoffhaltige Abfälle nach Maßgabe des Artikels 5 Absatz 2 beseitigt würden.

78. Ich kann dieser Argumentation nicht zustimmen.

79. Erstens sind die Mitgliedstaaten nach Artikel 4 Absatz 1 der Richtlinie allgemein verpflichtet, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um sicherzustellen, dass die Abfälle verwertet oder beseitigt werden, ohne dass die menschliche Gesundheit gefährdet wird und ohne dass Verfahren oder Methoden verwendet werden, welche die Umwelt schädigen können", so dass nicht unterschiedliche Standards einer Umweltschutzregelung für Verwertungs- und Beseitigungsmaßnahmen herangezogen werden können, um eine Unterscheidung zwischen Verwertungs- und Beseitigungsabfällen zu ermöglichen.

80. Zweitens gelten gemeinschaftsweit harmonisierte Standards hinsichtlich der Luftverunreinigung durch Abfallverbrennungsanlagen, die gegenwärtig in den Richtlinien 89/369 und 89/429 festgelegt sind, die zu gegebener Zeit durch die Richtlinie 2000/76 ersetzt werden. Unter diesen Umständen kann Deutschland die Verbringung von Abfällen nicht mit der Begründung verhindern, dass andere Mitgliedstaaten diesen Normen weniger nachkämen. Dies trifft auch zu, falls Deutschland nach Maßgabe der vorgenannten Richtlinien und des Artikels 176 EG Umweltschutzmaßnahmen beibehält oder ergreift, die strenger sind als die dort vorgesehenen Maßnahmen. Der Gerichtshof hat unlängst entschieden, dass ein Mitgliedstaat die Verbringung von Abfällen zur Beseitigung nicht davon abhängig machen kann, dass die beabsichtigte Beseitigung den Anforderungen seines eigenen Umweltschutzrechts entspricht, und es geht eindeutig aus diesem Urteil sowie aus der Systematik der Verordnung hervor, dass der genannte Grundsatz erst recht für entsprechende Einwände gegen die Verbringung von Abfällen zur Verwertung gilt.

81. Drittens hat der Gerichtshof im Urteil ASA Abfall klargestellt, dass sich aus der Richtlinie nicht ergibt, dass die Gefährlichkeit oder Ungefährlichkeit der Abfälle als solche entscheidend für die Frage wäre, ob ein Verfahren der Abfallbehandlung als ,Verwertung ... einzustufen ist". Es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass diese Feststellung nicht zutrifft, wenn es - wie hier - um die behauptete Schadstoffbelastung einzelner Komponenten eines Abfallgemischs und nicht um die Gefährlichkeit des Abfalls insgesamt geht.

82. Schließlich geht die Richtlinie selbst davon aus, dass für die Verwertung bestimmte Abfälle gefährliche Stoffe enthalten können. Nach Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe a dritter Gedankenstrich müssen die Mitgliedstaaten nämlich Maßnahmen treffen, um die Entwicklung geeigneter Techniken zur Beseitigung gefährlicher Stoffe in Abfällen, die für die Verwertung bestimmt sind", zu fördern.

83. Aus diesen Gründen kann ich auch nicht das weitere Argument Deutschlands gelten lassen, dass einige andere gemeinschaftliche Abfallregelungen bestimmten, inwieweit besondere Arten schadstoffhaltiger Abfälle statt einer Beseitigung einer Verwertung zugeführt werden könnten, und daher der Schadstoffgehalt einzelner Komponenten des Abfallgemischs ein rechtmäßiges allgemeines Kriterium darstelle, das den Mitgliedstaaten zur Verfügung stehe, um eine Unterscheidung zwischen Abfällen, die durch Verbrennung zu beseitigen seien, und Abfällen, die durch Verwendung als Brennstoff verwertet würden, zu treffen.

84. Somit kann die Gefährlichkeit oder der Schadstoffgehalt von Teilen eines Abfallgemischs nicht dafür entscheidend sein, ob die Abfälle als Abfälle zur Verwertung oder zur Beseitigung einzustufen sind.

Ergebnis

85. Aus diesen Gründen schlage ich dem Gerichtshof vor,

1. festzustellen, dass die Bundesrepublik Deutschland gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 7 Absätze 2 und 4 der Verordnung (EWG) Nr. 259/93 des Rates vom 1. Februar 1993 zur Überwachung und Kontrolle der Verbringung von Abfällen in der, in die und aus der Europäischen Gemeinschaft verstoßen hat, indem sie unter Zugrundelegung der Entsorgungsautarkie bei der Beseitigung von Abfällen Einwände gegen die Verbringung von Abfällen in andere Mitgliedstaaten zur Hauptverwendung als Brennstoff erhoben hat;

2. die Bundesrepublik Deutschland zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

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