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Document 52019XC0508(01)

Bekanntmachung der Kommission zu Leitlinien für die kooperative Beschaffung in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit (Richtlinie 2009/81/EG über die Vergabeverfahren im Verteidigungs- und Sicherheitsbereich) (Text von Bedeutung für den EWR.)

C/2019/3290

OJ C 157, 8.5.2019, p. 1–9 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

8.5.2019   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 157/1


Bekanntmachung der Kommission zu Leitlinien für die kooperative Beschaffung in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit (Richtlinie 2009/81/EG über die Vergabeverfahren im Verteidigungs- und Sicherheitsbereich)

(Text von Bedeutung für den EWR)

(2019/C 157/01)

1.   EINLEITUNG

Die Bedeutung der Stärkung der europäischen Verteidigungszusammenarbeit, auch im Bereich der Beschaffung, wurde in den letzten Jahren mehrfach hervorgehoben. In den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom Dezember 2013 (1) und in der gemeinsamen Erklärung der EU und der NATO vom Juli 2016 (2) wird unter anderem betont, dass die Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich die richtige Antwort auf die wachsenden Sicherheitsherausforderungen, die steigenden Kosten der neuen Verteidigungssysteme und die Haushaltszwänge der Mitgliedstaaten sowie auf ein hohes Maß an Überschneidungen und Zersplitterung im Verteidigungssektor der EU wäre.

Der Bericht der Kommission über die Bewertung der Richtlinie 2009/81/EG über die Beschaffung von Verteidigungsgütern (3) (im Folgenden „Richtlinie“), der am 30. November 2016 (4) vorgelegt wurde, kam zu dem Schluss, dass die Richtlinie kein Hindernis für eine kooperative Beschaffung darstellt. Diese Schlussfolgerung stützte sich auf Gespräche mit Sachverständigen aus den Mitgliedstaaten und auf die Ergebnisse der Konsultationen der Interessenträger. Darin wurde auch der Bewertung der Europäischen Verteidigungsagentur (EDA) (5) Rechnung getragen, wonach Probleme bei der Einleitung von Initiativen zur Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich eher auf andere Faktoren wie Kürzungen der Verteidigungshaushalte, unzureichende Synchronisierung der Haushaltszyklen und mangelnde Harmonisierung der Anforderungen zurückzuführen sind.

Gleichzeitig wurde in der Bewertung angekündigt, dass die Kommission zu diesem Zweck Orientierungshilfen anbieten wird. Die gleiche Ankündigung ist auch im Europäischen Aktionsplan im Verteidigungsbereich (6) enthalten, der ebenfalls im November 2016 angenommen wurde. Mit dieser Bekanntmachung kommt die Kommission der Verpflichtung nach, die sie im Bericht über die Bewertung der Richtlinie und im Europäischen Aktionsplan im Verteidigungsbereich eingegangen ist.

Die Kommission ist auch der Ansicht, dass eine Reihe von Optionen für die kooperative Beschaffung durch zwei oder mehr Mitgliedstaaten geklärt werden muss, um die Behörden der Mitgliedstaaten zu ermutigen, die im Rahmen der Richtlinie bestehenden Möglichkeiten im Bereich Verteidigungs- und sensible Sicherheitsgüter voll auszuschöpfen.

Wie im Europäischen Aktionsplan im Verteidigungsbereich (EDAP) im Juni 2017 angekündigt, legte die Kommission eine Mitteilung zur Einrichtung des Europäischen Verteidigungsfonds (7) vor, der die Bereiche Forschung und Fähigkeiten umfasst.

In den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 22. und 23. Juni 2017 (8) wurden die oben genannten Initiativen auf der Grundlage der Zusammenarbeit in der europäischen Verteidigungsindustrie gebilligt. Nach der zwischen den beiden gesetzgebenden Organen erzielten Einigung wurde die Verordnung zur Einrichtung des Europäischen Programms zur industriellen Entwicklung im Verteidigungsbereich (EDIDP) am 18. Juli 2018 (9) angenommen, während die Vorbereitende Maßnahme im Bereich Verteidigungsforschung zur Unterstützung der kooperativen Forschung im Verteidigungsbereich mit den ersten beiden am 11. April 2017 bzw. am 9. März 2018 angenommen Arbeitsprogrammen seit 2017 ihrer Arbeit nachkommt.

Am 13. Juni 2018 hat die Kommission den Vorschlag für eine Verordnung zur Einrichtung des Europäischen Verteidigungsfonds (10) für den mehrjährigen Finanzrahmen 2021-2027 angenommen, in dem ein Gesamtbudget von 13 Mrd. EUR für diesen Zeitraum vorgeschlagen wird, um kooperative Forschungs- und Entwicklungsprojekte im Verteidigungsbereich zu unterstützen.

In Anbetracht dieser Entwicklungen bekräftigt die Kommission, dass eine stärkere Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten bei der Beschaffung von Verteidigungsgütern erforderlich ist. Diese Bekanntmachung bietet auf der Grundlage der einschlägigen Bestimmungen der Richtlinie Orientierungshilfen zu den verschiedenen Möglichkeiten der kooperativen Beschaffung von Verteidigungsgütern. Falls zweckmäßig, werden die Bestimmungen der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates (11) (im Folgenden „Richtlinie 2014/24/EU“) über die öffentliche Auftragsvergabe berücksichtigt, sofern sie eine Orientierungshilfe für die Behandlung bestimmter Fragen bieten können, die in der Richtlinie nicht vollständig beantwortet werden. Die Kommission will mit dieser Bekanntmachung für die öffentlichen Auftraggeber der Mitgliedstaaten Sachverhalte präzisieren, die Rechtssicherheit erhöhen und die Gefahr (einschließlich der empfundenen Gefahr) von Verstößen gegen das EU-Vergaberecht minimieren. Sie ist der Ansicht, dass sich dies positiv auf die kooperative Beschaffung von Verteidigungsgütern unter den Mitgliedstaaten auswirken wird.

In dieser Bekanntmachung werden Möglichkeiten untersucht, die die Richtlinie über die Beschaffung von Verteidigungsgütern und die Richtlinie 2014/24/EU über die öffentliche Auftragsvergabe den Mitgliedstaaten im Hinblick auf die kooperative Beschaffung bieten. Darin sollen Beispiele für Szenarien kooperativer Beschaffung von Verteidigungsgütern aufgezeigt werden, die durch die Bestimmungen beider Richtlinien ermöglicht werden könnten. Diese Szenarien, die sich in bestimmten Punkten unterscheiden, haben jedoch eine sehr wichtige Gemeinsamkeit, denn sie beziehen sich auf Situationen, in denen zwei oder mehr Mitgliedstaaten (möglicherweise in Zusammenarbeit mit einem oder mehreren Drittländern) im Rahmen von Ad-hoc- oder strukturierten Vereinbarungen zusammenarbeiten, um militärische Ausrüstung (oder Dienstleistungen) für ihren Gebrauch anzukaufen.

Es ist darauf hinzuweisen, dass die in dieser Bekanntmachung behandelten Szenarien kooperativer Beschaffung grundsätzlich sowohl im Bereich der militärischen Ausrüstung als auch im Bereich der sensiblen Sicherheitsausrüstungen anwendbar sind, da die Richtlinie für beide Bereiche gilt (12).

Diese Bekanntmachung konzentriert sich auf die Bestimmungen der Richtlinie über die Beschaffung von Verteidigungsgütern. Andere Fragen, wie die Angleichung technischer Anforderungen, die Synchronisierung der nationalen Haushaltszyklen und sonstige rechtliche und administrative Fragen, die sehr großen Einfluss auf die kooperative Beschaffung von Verteidigungsgütern haben können, werden nicht behandelt. Die EDA arbeitet in vielen dieser Fragen mit den Mitgliedstaaten zusammen. In der Bekanntmachung wird auch das Vademekum der EDA zur kooperativen Beschaffung von Verteidigungsgütern (ursprünglich vom April 2015) berücksichtigt.

Die Bekanntmachung ist nicht rechtsverbindlich. Nur der Gerichtshof der Europäischen Union ist zu einer verbindlichen Auslegung des Unionsrechts befugt.

Der Abschnitt 3 dieser Bekanntmachung ersetzt den Abschnitt 3.3 „Cooperative programmes“ (Kooperative Programme) der Guidance Note „Defence- and Security- specific exclusions“ (13) (Leitlinie „Verteidigungs- und sicherheitsspezifische Ausnahmen“) aus dem Jahr 2010 sowie den Punkt 6 der Guidance Note „Research and Development“ (14) (Leitlinie „Forschung und Entwicklung“), und der Abschnitt 4 ersetzt den Abschnitt 2.4 „Contract award rules of international organisations“ (Auftragsvergaberegeln internationaler Organisationen) der Guidance Note „Defence- and Security- specific exclusions“ (15) (Leitlinie „Verteidigungs- und sicherheitsspezifische Ausnahmen“) aus dem Jahr 2010.

2.   VERFAHREN BEI GEMEINSAMER BESCHAFFUNG DURCH MITGLIEDSTAATEN

In diesem Abschnitt werden verschiedene Möglichkeiten der gemeinsamen Beschaffung durch öffentliche Auftraggeber aus verschiedenen Mitgliedstaaten behandelt. Die gemeinsame Beschaffung könnte mit oder ohne Inanspruchnahme einer zentralen Beschaffungsstelle erfolgen. Gemäß Artikel 1 Absatz 18 kann eine zentrale Beschaffungsstelle eine europäische öffentliche Einrichtung oder ein öffentlicher Auftraggeber eines Mitgliedstaats sein (Szenario „federführender Staat“).

2.1.   Gemeinsame Beschaffung ohne Inanspruchnahme einer zentralen Beschaffungsstelle

Die Richtlinie enthält zwar keine spezifischen Vorschriften für die gemeinsamen Vergabeverfahren, an denen öffentliche Auftraggeber aus zwei oder mehr Mitgliedstaaten beteiligt sind, aus dem mit der Richtlinie 2014/24/EU (insbesondere Artikel 39) geschaffenen rechtlichen Rahmen ergibt sich jedoch, dass die Möglichkeit, solche gemeinsamen Verfahren zu organisieren, nicht mit den Zielen der Richtlinie unvereinbar ist, sofern bestimmte Anforderungen erfüllt werden. Die Inanspruchnahme eines gemeinsamen Vergabeverfahrens sollte insbesondere nicht zu einer Umgehung der in der Richtlinie festgelegten Anforderungen führen. In diesem Zusammenhang scheint es, dass diese Verfahren, soweit die öffentlichen Auftraggeber ihre gemeinsamen Vergabeverfahren für ihre in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallende Beschaffung auf die in Artikel 39 der Richtlinie 2014/24/EU vorgesehenen Verfahren stützen, mit der Richtlinie vereinbar sind.

In Artikel 39 der Richtlinie 2014/24/EU sind die Punkte angeführt, die in Vereinbarungen oder Übereinkünften für die gemeinsame Beschaffung festgelegt werden: die Zuständigkeiten der Parteien der gemeinsamen Beschaffung und die einschlägigen anwendbaren nationalen Bestimmungen (auch betreffend Rechtsmittel) und die interne Organisation des Vergabeverfahrens. Im Interesse der Transparenz und Rechtssicherheit sollten die Verteilung der Zuständigkeiten und die anwendbaren nationalen Rechtsvorschriften in den Auftragsunterlagen angegeben werden.

Führen zwei oder mehr öffentliche Auftraggeber ein Vergabeverfahren zur Gänze gemeinsam durch, so sind sie für die Erfüllung ihrer Verpflichtungen gemäß der Richtlinie gemeinsam verantwortlich. Dies bedeutet in der Praxis, dass alle öffentlichen Auftraggeber angesichts der Verpflichtungen aus der Richtlinie für mögliche Unregelmäßigkeiten oder Fehler im Verfahren verantwortlich sind.

Die Wirtschaftsteilnehmer, die ihre Rechte aus der Richtlinie ausüben möchten, müssen sich jedoch nicht an alle an der gemeinsamen Beschaffung beteiligten öffentlichen Auftraggeber wenden, sondern nur an den Auftraggeber, der für die Durchführung der Ausschreibung zuständig ist. Somit haben die Wirtschaftsteilnehmer nur mit einem einzigen öffentlichen Auftraggeber zu tun.

2.2.   Gemeinsame Beschaffung mit Inanspruchnahme einer zentralen Beschaffungsstelle

Der Erwerb von Bauleistungen, Lieferungen oder Dienstleistungen durch eine zentrale Beschaffungsstelle ist in Artikel 10 der Richtlinie geregelt. Obwohl Artikel 10 keine spezifischen Vorschriften in Bezug auf Situationen vorsieht, an denen mehrere Mitgliedstaaten beteiligt sind, die über eine zentrale Beschaffungsstelle gemeinsam einkaufen, ergibt sich aus dem rechtlichen Rahmen jedoch, dass die Möglichkeit, solche gemeinsamen Verfahren zu organisieren, nicht mit den Zielen der Richtlinie unvereinbar ist, sofern bestimmte Anforderungen erfüllt werden. Die Inanspruchnahme einer zentralen Beschaffungsstelle sollte insbesondere nicht zu einer Umgehung der in der Richtlinie festgelegten Anforderungen führen. Daher scheint die gemeinsame Beschaffung durch mehrere öffentliche Auftraggeber aus verschiedenen Mitgliedstaaten, die über eine öffentliche Beschaffungsstelle erfolgt, ein vollwertiges Instrument der öffentlichen Auftragsvergabe im Verteidigungssektor zu sein, sofern eine Vereinbarung zwischen/unter den beteiligten Mitgliedstaaten eine solche gemeinsame Beschaffung ermöglicht.

Gemäß Artikel 1 Absatz 18 der Richtlinie ist eine zentrale Beschaffungsstelle ein öffentlicher Auftraggeber oder eine europäische öffentliche Einrichtung, die:

für Auftraggeber bestimmte Waren und/oder Dienstleistungen erwirbt oder

Aufträge vergibt oder Rahmenvereinbarungen über Bau-, Liefer- oder Dienstleistungen für Auftraggeber schließt (16).

Somit könnte es sich bei der zentralen Beschaffungsstelle um die zentrale Beschaffungsstelle eines der an der gemeinsamen Beschaffung beteiligten Mitgliedstaaten oder um eine europäische öffentliche Einrichtung handeln.

2.2.1.   Eine europäische öffentliche Einrichtung als zentrale Beschaffungsstelle

Wie bereits dargelegt wird in Artikel 1 Absatz 18 der Richtlinie anerkannt, dass eine europäische öffentliche Einrichtung, die selbst kein öffentlicher Auftraggeber ist, als zentrale Beschaffungsstelle im Sinne von Artikel 10 fungieren kann. Der Begriff „europäische öffentliche Einrichtung“ wird in der Richtlinie nicht definiert. In Erwägungsgrund 23 heißt es jedoch, dass „es den Mitgliedstaaten freistehen [sollte], nicht dieser Richtlinie unterliegende europäische öffentliche Einrichtungen wie beispielsweise die Europäische Verteidigungsagentur als zentrale Beschaffungsstellen zu benennen, sofern diese Einrichtungen auf diese Beschaffungen Beschaffungsvorschriften anwenden, die mit allen Bestimmungen dieser Richtlinie in Einklang stehen.“

Ist die zentrale Beschaffungsstelle selbst kein öffentlicher Auftraggeber, so sind die sie in Anspruch nehmenden öffentlichen Auftraggeber verpflichtet, sicherzustellen, dass die von der zentralen Beschaffungsstelle angewandten Vorschriften mit denen der Richtlinie übereinstimmen. Abgesehen von dieser Besonderheit sind die Vorschriften für die Inanspruchnahme einer europäischen öffentlichen Einrichtung als zentrale Beschaffungsstelle, wie im folgenden Absatz beschrieben, dieselben wie für die Inanspruchnahme einer zentralen Beschaffungsstelle, bei der es sich um einen öffentlichen Auftraggeber handelt.

2.2.2.   Szenario „federführender Staat“

Das Szenario „federführenden Staat“ bezieht sich auf eine Situation, in der zwei oder mehr Mitgliedstaaten eine gemeinsame Beschaffung durchführen und diese unter Benennung des öffentlichen Auftraggebers eines der teilnehmenden Mitgliedstaaten als zentrale Beschaffungsstelle organisiert wird.

a)   Anwendbares Recht und Zuständigkeiten der zentralen Beschaffungsstelle und der sie in Anspruch nehmenden Stellen

Die Richtlinie enthält zwar keine spezifischen Vorschriften zum Szenario „federführender Staat“, aus dem mit der Richtlinie 2014/24/EU (insbesondere Artikel 39) geschaffenen rechtlichen Rahmen ergibt sich nach Ansicht der Kommission jedoch, dass die Möglichkeit, gemeinsame Beschaffungen gemäß dem Szenario „federführender Staat“ zu organisieren, nicht mit den Zielen der Richtlinie unvereinbar ist, sofern bestimmte Anforderungen erfüllt werden. Die Anwendung des Szenarios „federführender Staat“ sollte insbesondere nicht zu einer Umgehung der in der Richtlinie festgelegten Anforderungen führen. In diesem Zusammenhang ist die Kommission der Ansicht, dass eine solche Umgehung ausgeschlossen ist, wenn die öffentlichen Auftraggeber für ihre in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallende Beschaffung die in Artikel 39 der Richtlinie 2014/24/EU vorgesehenen Verfahren entsprechend befolgen.

In einer Situation, in der zwei oder mehr Mitgliedstaaten eine gemeinsame Beschaffung durchführen und diese unter Benennung des öffentlichen Auftraggeber eines der teilnehmenden Mitgliedstaaten als zentrale Beschaffungsstelle organisiert wird, erfolgt die gemeinsame Beschaffung daher gemäß den nationalen Bestimmungen des Mitgliedstaats, in dem die zentrale Beschaffungsstelle ihren Sitz hat (Artikel 39 Absatz 4 der Richtlinie 2014/24/EU). Darüber hinaus ist nach Artikel 39 Absatz 4 der Richtlinie 2014/24/EU in Vereinbarungen oder Übereinkünften zwischen den teilnehmenden Mitgliedstaaten Folgendes festzulegen: die Zuständigkeiten der zentralen Beschaffungsstelle und der anderen öffentlichen Auftraggeber, die einschlägigen anwendbaren nationalen Bestimmungen (auch betreffend Rechtsmittel) und die interne Organisation des Vergabeverfahrens. Im Interesse der Transparenz und Rechtssicherheit sollten die Verteilung der Zuständigkeiten und die anwendbaren nationalen Rechtsvorschriften in den Auftragsspezifikationen und -unterlagen angegeben werden.

b)   Verantwortung für die Einhaltung der Richtlinie

In Bezug auf die Frage der Verteilung der Verantwortung für die Einhaltung der Richtlinie heißt es in Artikel 10: „Bei Auftraggebern, die Bauleistungen, Lieferungen und/oder Dienstleistungen durch eine zentrale Beschaffungsstelle erwerben, wird vermutet, dass sie diese Richtlinie eingehalten haben[.]“ Dies bedeutet, dass ein öffentlicher Auftraggeber, der Bauleistungen, Lieferungen und/oder Dienstleistungen durch eine zentrale Beschaffungsstelle erwirbt, seinen Verpflichtungen aus der Richtlinie nachkommt, solange die zentrale Beschaffungsstelle, durch die der Kauf getätigt wird, die Richtlinie im Wege der zur Umsetzung in innerstaatliches Recht erlassenen Vorschriften anwendet.

Es kann Situationen geben, in denen die zentrale Beschaffungsstelle nur Teile des Vergabeverfahrens für die anderen öffentlichen Auftraggeber durchführt. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn die zentrale Beschaffungsstelle für die Vergabe einer Rahmenvereinbarung zuständig ist und die jeweiligen öffentlichen Auftraggeber für den erneuten Aufruf zum Wettbewerb bei der Vergabe von Einzelverträgen auf der Grundlage dieser Rahmenvereinbarung verantwortlich sind. In solchen Fällen sind die öffentlichen Auftraggeber, die die zentrale Beschaffungsstelle in Anspruch nehmen, allein für Erfüllung der Pflichten gemäß der Richtlinie in Bezug auf die von ihnen selbst durchgeführten Teile des Vergabeverfahrens verantwortlich.

Eine Vereinbarung zwischen/unter den beteiligten Mitgliedstaaten ermöglicht eine solche gemeinsame Beschaffung.

3.   KOOPERATIONSPROGRAMME FÜR DIE ENTWICKLUNG NEUER PRODUKTE — ARTIKEL 13 BUCHSTABE c DER RICHTLINIE

Der Artikel 13 Buchstabe c der Richtlinie bezieht sich auf eine besondere Kategorie von Initiativen zur Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich. Darin wird eine besondere Ausnahme für Kooperationsprogramme vorgesehen, die auf Forschung und Entwicklung beruhen. Die Richtlinie findet keine Anwendung auf „Aufträge, die im Rahmen eines Kooperationsprogramms vergeben werden, das auf Forschung und Entwicklung beruht und von mindestens zwei Mitgliedstaaten für die Entwicklung eines neuen Produkts und gegebenenfalls die späteren Phasen des gesamten oder eines Teils des Lebenszyklus dieses Produkts durchgeführt wird.“

Mit dieser Ausnahme wird die besondere Bedeutung von Kooperationsprogrammen für die Stärkung der europäischen militärischen Fähigkeiten und die Schaffung einer starken und wettbewerbsfähigen technologischen und industriellen Basis der europäischen Verteidigung (EDTIB) anerkannt, da solche Programme „die Entwicklung neuer Technologien und die Übernahme der hohen Forschungs- und Entwicklungskosten komplexer Waffensysteme erleichtern“ (Erwägungsgrund 28 der Richtlinie).

Aus Artikel 11 der Richtlinie geht eindeutig hervor, dass: „[d]ie in diesem Abschnitt genannten Vorschriften, Verfahren, Programme, Vereinbarungen, Regelungen oder Verträge … ausnahmslos nicht zur Umgehung der Bestimmungen dieser Richtlinie angewandt genommen werden [dürfen].“ Dies betrifft auch die Anwendung von Artikel 13 Buchstabe c der Richtlinie.

3.1.   Programm, „das auf Forschung und Entwicklung beruht“

Damit Artikel 13 Buchstabe c anwendbar ist, muss ein Kooperationsprogramm auf Forschung und Entwicklung (im Folgenden „FuE“) beruhen. Für die Zwecke der Richtlinie 2009/81/EG wird der Begriff Forschung und Entwicklung in Artikel 1 Absatz 27 definiert, während Erwägungsgrund 13 weitere Erläuterungen enthält.

Gemäß Artikel 1 Nummer 27 bezeichnet „‚Forschung und Entwicklung‘ … alle Tätigkeiten, die Grundlagenforschung, angewandte Forschung und experimentelle Entwicklung beinhalten, wobei letztere die Herstellung von technologischen Demonstrationssystemen, d. h. von Vorrichtungen zur Demonstration der Leistungen eines neuen Konzepts oder einer neuen Technologie in einem relevanten oder repräsentativen Umfeld einschließen kann[.]“

In Erwägungsgrund 13 steht: „Für die Zwecke dieser Richtlinie sollte der Begriff der Forschung und Entwicklung Grundlagenforschung, angewandte Forschung und experimentelle Entwicklung umfassen. Grundlagenforschung umfasst experimentelle oder theoretische Arbeiten, die hauptsächlich dem Erwerb von neuem Grundlagenwissen über Phänomene oder beobachtbare Tatsachen ohne erkennbare direkte praktische Anwendungsmöglichkeiten dienen. Angewandte Forschung umfasst auch Originalarbeiten zur Erlangung neuer Erkenntnisse. Sie ist jedoch in erster Linie auf ein spezifisches praktisches Ziel oder einen spezifischen praktischen Zweck ausgerichtet. Experimentelle Entwicklung umfasst Arbeiten auf der Grundlage von vorhandenen, aus Forschung und/oder praktischer Erfahrung gewonnenen Kenntnissen zur Initiierung der Herstellung neuer Materialien, Produkte oder Geräte, zur Entwicklung neuer Verfahren, Systeme und Dienstleistungen oder zur erheblichen Verbesserung des bereits Vorhandenen. Experimentelle Entwicklung kann Herstellung von technologischen Demonstrationssystemen, d. h. von Vorrichtungen zur Demonstration der Leistungen eines neuen Konzepts oder einer neuen Technologie in einem relevanten oder repräsentativen Umfeld einschließen. Der Begriff der Forschung und Entwicklung schließt die Herstellung und Qualifizierung von der Produktion vorausgehenden Prototypen, Werkzeug- und Fertigungstechnik, Industriedesign oder Herstellung nicht ein.“

Die Bedingung, nach der ein Kooperationsprogramm auf Forschung und Entwicklung zu beruhen hat, bedeutet, dass das Programm eine Forschungs- und Entwicklungsphase umfassen muss.

Der Einfachheit halber würde „FuE“ gemäß Artikel 13 Buchstabe c typischerweise die Stufen 1 bis 7 auf der Skala der technologische Reife (17) umfassen. Diese Stufen auf der Skala der technologischen Reife stellen FuE dar, soweit sie die Erlangung neuer Erkenntnisse oder die Kombination, Gestaltung, Nutzung und Erprobung vorhandener Kenntnisse und Fertigkeiten mit dem Ziel, neue oder verbesserte Produkte, Materialien, Systeme, Verfahren und Dienstleistungen zu entwickeln, umfassen. Für die Zwecke von Artikel 13 Buchstabe c ist es nicht erforderlich, dass das Kooperationsprogramm Aktivitäten umfasst, die alle Stufen auf der Skala der technologischen Reife abdecken. Die Vorbereitung eines der Produktion vorausgehenden Prototyps (eine vor dem Anlaufen der Produktion auf Probleme und die Qualifizierung für Fertigungsverfahren hin getestete Version) kann jedoch nicht als Forschungs- und Entwicklungsaktivität im Sinne der Richtlinie angesehen werden.

Es sollte klargestellt werden, dass die Definition des Begriffs FuE im Sinne der Richtlinie unbeschadet der Definitionen von FuE in anderen EU-Rechtsakten gilt.

3.2.   Entwicklung eines neuen Produkts

Eine der Bedingungen für die Anwendbarkeit von Artikel 13 Buchstabe c ist der Zweck des Programms, nämlich die Entwicklung eines neuen Produkts.

Im Einklang mit den übergeordneten Zielen von Artikel 13 Buchstabe c, d. h. der Erleichterung der Entwicklung neuer Technologien und der Übernahme der hohen Forschungs- und Entwicklungskosten komplexer Waffensysteme, können unter bestimmten Umständen auch auf Forschung und Entwicklung beruhende Kooperationsprodukte zur Modernisierung bestehender Produkte in den Anwendungsbereich dieser Bestimmung fallen. Damit Artikel 13 Buchstabe c anwendbar ist, muss die betreffende Modernisierung zu wesentlichen Änderungen oder wesentlichen Verbesserungen des Produkts führen. Zu den relevanten Kriterien für die Bewertung solcher Änderungen oder Verbesserungen können gehören: wesentliche Änderungen an der bestehenden Ausrüstung; Umfang der neuen Funktionen der Ausrüstung; strukturelle Veränderungen bei Plattformen.

3.3.   Spätere Lebenszyklusphasen

Neben der Entwicklung eines neuen Produkts sieht Artikel 13 Buchstabe c vor, dass das Programm auch die späteren Phasen des gesamten oder eines Teils des Lebenszyklus des Produkts wie z. B. die der Produktion vorausgehende Entwicklung von Prototypen, die Produktion oder die Instandhaltung umfassen kann. Aufträge im Zusammenhang mit diesen späteren Phasen fallen unter die Ausnahme, sofern diese Aufträge auch im Rahmen des Kooperationsprogramms vergeben werden. Ein Mitgliedstaat, der sich an der Forschungs- und Entwicklungsphase beteiligt, aber beschließt, seine Beschaffung für die späteren Phasen des Produktlebenszyklus gesondert zu tätigen, muss die Richtlinie für die Vergabe dieser Aufträge hingegen anwenden.

3.4.   Im Rahmen eines Kooperationsprogramms vergebene Aufträge

Artikel 13 Buchstabe c gilt für alle Aufträge, die durch oder im Namen von öffentlichen Auftraggebern aus den Mitgliedstaaten im Rahmen eines auf Forschung und Entwicklung beruhenden Kooperationsprogramms vergeben werden, sofern der Auftrag die anderen Bedingungen dieser Bestimmung erfüllt. In Erwägungsgrund 28 wird in diesem Zusammenhang ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Ausnahme von Artikel 13 Buchstabe c für auf FuE beruhende Programme gelten sollte, die von internationalen Organisationen wie der Gemeinsamen Organisation für Rüstungskooperation (Organisation conjointe de coopération en matière d’armement, OCCAR) und den NATO-Agenturen oder von Agenturen der Union wie der Europäischen Verteidigungsagentur (EDA) verwaltet werden, die die Aufträge im Namen der Mitgliedstaaten vergeben. Gleiches gilt für Aufträge, die durch öffentliche Auftraggeber eines Mitgliedstaats nach dem Modell „federführender Staat“ vergeben werden, die in ihrem eigenen Namen und im Namen mindestens eines anderen Mitgliedstaats handeln.

Aufträge werden „im Rahmen eines Kooperationsprogramms“ vergeben, wenn sie durch die in den Regelungen für das Kooperationsprogramm hierfür benannte(n) Stelle(n) und nach den in diesen Regelungen enthaltenen Vorschriften und Verfahren vergeben werden. Das Bestehen mehrerer Regelungen, die jeweils verschiedene Phasen des Programms abdecken, oder Änderungen in der Zusammensetzung der teilnehmenden Mitgliedstaaten (vorausgesetzt, dass mindestens zwei Teil des Programms sind), schließt nicht aus, dass diese Bedingung für die Anwendbarkeit von Artikel 13 Buchstabe c erfüllt ist.

3.5.   Programme, „die von mindestens zwei Mitgliedstaaten … gemeinsam durchgeführt“ werden

Kooperationsprogramme müssen „von mindestens zwei Mitgliedstaaten … gemeinsam durchgeführt“ werden. Die Teilnahme kann auf EU-Mitgliedstaaten beschränkt sein oder auch nicht. Anders ausgedrückt fallen Kooperationsprogramme mit Beteiligung von Drittländern ebenfalls unter die Ausnahme, sofern auch mindestens zwei Mitgliedstaaten teilnehmen. In jedem Fall implizieren die Ausdrücke „gemeinsam durchgeführt“ und „Kooperationsprogramm“ gemäß Artikel 11, dass das Programm auf einem wirklich kooperativen Konzept beruhen muss. Unter einer Teilnahme an einem Kooperationsprogramm wird daher mehr als bloß der Kauf der Ausrüstung verstanden, dies umfasst insbesondere die proportionale Verteilung der technischen und finanziellen Chancen und Risiken, die Mitwirkung an der Verwaltung des Programms und der diesbezüglichen Entscheidungsfindung. Angesichts der Unterschiede zwischen den Verteidigungshaushalten der Mitgliedstaaten und den Erfordernissen ihrer jeweiligen Streitkräfte kann die Höhe der einzelnen Beiträge zu Kooperationsprogrammen erheblich variieren. Daher muss sich die Beurteilung, ob ein Programm auf einem wirklich kooperativen Konzept im Sinne des Artikels 13 Buchstabe c beruht, auf den kooperativen Charakter des Programms und die Qualität der Beteiligung jedes Mitgliedstaats konzentrieren und nicht auf einen quantitativen Ansatz.

Ein von Organen oder Agenturen der EU verwaltetes Programm, d. h. nach EU-Vorschriften durchgeführtes und aus dem EU-Haushalt (oder von einer anderen internationalen Organisation, an der mindestens zwei Mitgliedstaaten beteiligt sind) finanziertes FuE-Programm würde ein Kooperationsprogramm darstellen, das im Sinne von Artikel 13 Buchstabe c von mindestens zwei Mitgliedstaaten gemeinsam durchgeführt wird. Ein solches Programm könnte — wie jedes FuE-Programm — für die Phasen nach der FuE fortgesetzt werden, wobei in diesem Fall auch Aufträge, die im Rahmen des Folgeprogramms vergeben werden, gemäß Artikel 13 Buchstabe c ausgenommen werden können (siehe Abschnitt 3.3).

3.6.   Mitgliedstaaten, die sich erst später beteiligen

Um die Teilnahme der Mitgliedstaaten an Kooperationsprogrammen, die auf FuE beruhen, zu fördern, sollte die Ausnahme nach Artikel 13 Buchstabe c so ausgelegt werden, dass ein Mitgliedstaat nach Abschluss der FuE-Phase für die späteren Phasen des Produktlebenszyklus an einem solchen Programm teilnehmen kann, sofern er ein vollwertiges Mitglied des Programms wird. Dies bedeutet, dass seine Beteiligung in einer Vereinbarung oder Übereinkunft mit den anderen teilnehmenden Mitgliedstaaten formalisiert ist, und bringt mit sich, dass der neue Mitgliedstaat die speziellen Rechte und Pflichten genießt, die den Mitgliedern des Kooperationsprogramms vorbehalten sind. Gemäß Artikel 11 der Richtlinie muss die Teilnahme von sich erst später beteiligenden Mitgliedstaaten eine echte Teilnahme am Programm sein, wobei jede Umgehung der Bestimmungen der Richtlinie zu vermeiden ist. In diesem Fall muss der betreffende Mitgliedstaat seine Beteiligung an dem Programm auch mitteilen.

3.7.   Mitteilung an die Kommission

Im letzten Teil von Artikel 13 Buchstabe c sind die Angaben aufgeführt, die die Mitgliedstaaten der Kommission nach Abschluss des Programms mitteilen müssen (18). Obwohl darin nicht festgelegt wird, wie detailliert die Angaben über den FuE-Anteil, die Kostenteilung und den geplanten Anteil der Beschaffungen zu sein haben, ist dies auf der Grundlage der allgemeinen Bedeutung dieser Bestimmung so auszulegen, dass die Angaben ausreichend sein müssen, um nachzuweisen:

1.

dass das Programm die Entwicklung eines neuen Produkts oder eines verbesserten Produkts betrifft, das die in Absatz 3.2 genannten Bedingungen erfüllt;

2.

dass die Teilnahme der Mitgliedstaaten gemäß Artikel 11 der Richtlinie mehr als nur ein symbolischer Beitrag zu einem nationalen Programm ist und dass es sich um eine echte Teilnahme handelt.

Dazu sollte die Mitteilung zumindest den Anteil der Forschungs- und Entwicklungsausgaben an den Gesamtkosten des Programms und die Vereinbarung über die Kostenteilung enthalten. Der geplante Anteil der Beschaffungen je Mitgliedstaat sollte nur insoweit angegeben werden, als diese Informationen zum Zeitpunkt der Mitteilung bereits vorliegen.

Alle teilnehmenden Mitgliedstaaten sind für ihre eigene Mitteilung verantwortlich. Auch jene Mitgliedstaaten, die sich an einem Kooperationsprogramm erst nach seinen Anfangsphasen, auch nach Abschluss der FuE-Phase, beteiligen, müssen der Kommission ihre Beteiligung an dem Programm mitteilen (optional mit Kopie an die anderen teilnehmenden Mitgliedstaaten).

Mitteilungen können entweder per Post oder per E-Mail an die GD GROW (Referat G3) gesendet werden. Die E-Mail-Adresse für die Mitteilungen lautet: GROW-DEFENCE@ec.europa.eu.

Die Postanschrift lautet:

Europäische Kommission

DG GROW/G3

1049 Bruxelles/Brussel

BELGIQUE/BELGIË.

Was den Zeitpunkt der Mitteilung betrifft, so wird in Artikel 13 Buchstabe c klar darauf hingewiesen, dass sie „beim Abschluss eines … Kooperationsprogramms“ erfolgen sollte. Dies bedeutet, dass die Mitteilung bald nach Abschluss des Kooperationsprogramms zwischen den verschiedenen Mitgliedstaaten erfolgen sollte. Auf jeden Fall sollte die Mitteilung vor der Auftragsvergabe erfolgen.

4.   AUFTRAGSVERGABE DURCH INTERNATIONALE ORGANISATIONEN — ARTIKEL 12 BUCHSTABE c DER RICHTLINIE

Der Begriff „internationale Organisation“ ist in der Richtlinie nicht definiert. In der Guidance Note „Defence- and Security-specific exclusions“ (19) (Leitlinie „Verteidigungs- und sicherheitsspezifische Ausnahmen“) aus dem Jahr 2010 ist die Begriffsbestimmung „a permanent institution with separate legal personality, set up by a treaty between sovereign states or intergovernmental organisations and having its own organisational rules and structures“ (eine ständige Einrichtung mit eigener Rechtspersönlichkeit, die durch einen Vertrag zwischen souveränen Staaten oder zwischenstaatlichen Organisationen mit eigenen Organisationsregeln und -strukturen gegründet wurde) enthalten. Die Definition der Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen (20) lautet: „an organisation established by a treaty or other instrument governed by international law and possessing its own international legal personality“ (eine Organisation, die durch einen Vertrag oder ein anderes völkerrechtliches Instrument gegründet wurde und über eine eigene internationale Rechtspersönlichkeit verfügt).

In Artikel 12 Buchstabe c der Richtlinie sind zwei Ausnahmen vorgesehen.

Gemäß der ersten Ausnahme gilt die Richtlinie nicht für Aufträge, die den besonderen Verfahrensregeln einer internationalen Organisation unterliegen, die für ihre Zwecke Beschaffungen tätigt. Im letzten Satz von Erwägungsgrund 26 der Richtlinie ist präzisiert, dass sich dies auf „Aufträge [bezieht], die von internationalen Organisationen für ihre Zwecke vergeben werden.“ Da die Richtlinie an die Mitgliedstaaten gerichtet ist und für internationale Organisationen gemäß Artikel 12 Buchstabe c nicht verbindlich sein kann, gelten die Bestimmungen der Richtlinie nicht für Beschaffungen, die von einer internationalen Organisation in eigenem Namen und auf eigene Rechnung getätigt werden.

Beschaffungen, die von einer internationalen Organisation für ihre Zwecke getätigt werden, sollten so verstanden werden, dass sie die Beschaffung von Verteidigungsgütern/Dienstleistungen umfassen, die von einer internationalen Organisation für (die Erreichung) ihre(r) Zwecke oder Ziele getätigt wurden, wie sie normalerweise in den entsprechenden Gründungsakten festgelegt sind. Mit anderen Worten, es sollte ein klarer Zusammenhang zwischen den Zwecken und Zielen der internationalen Organisation und dem bestehen, was im Rahmen der Auftragsvergabe beschafft und festgelegt wird.

Gemäß der zweiten Ausnahme nach Artikel 12 Buchstabe c gilt die Richtlinie nicht „für Aufträge, die von einem Mitgliedstaat“ nach den für eine internationale Organisation spezifischen Regeln „vergeben werden müssen.“ Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn ein Mitgliedstaat im Namen einer internationalen Organisation handelt oder von dieser internationalen Organisation einen finanziellen Beitrag zur Auftragsausführung erhält, der ihn verpflichtet, die besonderen Verfahrensregeln für die Vergabe öffentlicher Aufträge der internationalen Organisation anzuwenden.

In Artikel 11 wird klargestellt, dass die Mitgliedstaaten Auftragsvergaben über internationale Organisationen nicht zur Umgehung der Bestimmungen der Richtlinie nutzen dürfen. Die Berufung auf die Ausnahme von Artikel 12 Buchstabe c setzt voraus, dass der Mitgliedstaat, der sich auf sie berufen möchte, in der Lage sein sollte, eine solche Entscheidung zu begründen (d. h. nachzuweisen, dass die Bedingungen von Artikel 12 Buchstabe c erfüllt sind).

5.   KONVERGENZ DER BESTEHENDEN FÄHIGKEITEN ZWISCHEN DEN STAATEN

Einige Bestimmungen der Richtlinie betreffen ausdrücklich Situationen, in denen mindestens zwei Mitgliedstaaten eine Initiative zur Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich gründen. Ein Beispiel für eine solche Bestimmung ist Artikel 13 Buchstabe c, der sich mit von mindestens zwei Mitgliedstaaten gemeinsam durchgeführten Kooperationsprogrammen (wie in Abschnitt 3 ausgeführt) für die Entwicklung eines neuen Produkts, die auf FuE beruhen, befasst.

Es könnte auch Situationen geben, in denen die Entscheidung, mit einem anderen Mitgliedstaat oder einem Drittland zusammenzuarbeiten und einen Prozess der Konvergenz der Fähigkeiten einzuleiten (z. B. „Bündelung und gemeinsame Nutzung“), getroffen wird, wenn die betreffende militärische Fähigkeit bereits in diesem Staat oder Land im Einsatz ist.

5.1.   Zu einem späteren Zeitpunkt eingerichtete Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich

Die Einrichtung einer Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich kann die Beschaffung einer Fähigkeit, die sich bereits im Besitz eines Mitgliedstaats oder eines Drittlandes befindet, durch einen anderen Mitgliedstaat erfordern. Erfolgt die Beschaffung aus dem Bestand dieses anderen Staates oder Landes, so sieht Artikel 13 Buchstabe f vor, dass die Richtlinie auf diese Beschaffung nicht anwendbar ist. In der Bekanntmachung der Kommission über die Vergabe von Aufträgen zwischen Regierungen werden die in einer solchen Situation geltenden Vorschriften und entsprechende bewährte Verfahren erläutert (21).

5.2.   Verhandlungsverfahren ohne Veröffentlichung einer Bekanntmachung – Artikel 28 Absatz 1 Buchstabe e

Neben der Beschaffung zwischen Regierungen ist es auch möglich, den Einkauf direkt beim Hersteller der betreffenden Ausrüstung zu tätigen. Gemäß Artikel 28 Nummer 1 Buchstabe e der Richtlinie können die Auftraggeber Aufträge über Bauleistungen, Lieferungen und Dienstleistungen im Verhandlungsverfahren ohne vorherige Veröffentlichung einer Bekanntmachung vergeben, „wenn der Auftrag aus technischen Gründen oder aufgrund des Schutzes von Ausschließlichkeitsrechten nur von einem bestimmten Wirtschaftsteilnehmer ausgeführt werden kann[.]“

Die Anwendung dieses Verfahrens muss gemäß Artikel 30 Absatz 3 der Richtlinie in der Bekanntmachung begründet sein (22).

Erwägungsgrund 52 der Richtlinie enthält weitere Erläuterungen zu Artikel 28 Absatz 1 Buchstabe e der Richtlinie und Beispiele für Situationen, in denen der Auftrag nur an einen bestimmten Wirtschaftsteilnehmer vergeben werden kann. Der genannte Erwägungsgrund lautet: „Unter Umständen ist bei bestimmten unter diese Richtlinie fallenden Beschaffungen nur ein einziger Wirtschaftsteilnehmer in der Lage, den Auftrag auszuführen, da er Ausschließlichkeitsrechte besitzt oder technische Gründe vorliegen. In solchen Fällen sollte der Auftraggeber Aufträge oder Rahmenvereinbarungen unmittelbar an diesen Wirtschaftsteilnehmer vergeben dürfen. Technische Gründe, die dafür ausschlaggebend sind, dass nur ein einziger Wirtschaftsteilnehmer den Auftrag ausführen kann, sollten jedoch genau definiert und im Einzelfall nachgewiesen werden. Hierzu zählen beispielsweise der Umstand, dass es einem anderen Bewerber als dem ausgewählten Wirtschaftsteilnehmer eindeutig technisch unmöglich ist, die geforderten Ziele zu erreichen, oder die Notwendigkeit, spezielles Know-how, Spezialwerkzeug oder spezielle Instrumente einzusetzen, die nur einem einzigen Wirtschaftsteilnehmer zur Verfügung stehen. Dies kann beispielsweise bei der Änderung oder Nachrüstung einer besonders komplexen Ausrüstung der Fall sein. Technische Gründe können auch bei speziellen Anforderungen an die Interoperabilität oder speziellen Sicherheitsanforderungen vorliegen, die zur Gewährleistung des Funktionierens der Streitkräfte oder der Sicherheitskräfte erfüllt sein müssen.“

Da die Beschaffung auf der Grundlage von Artikel 28 Absatz 1 Buchstabe e der Richtlinie erfolgt, unterliegt die Auftragsvergabe durch den erwerbenden Mitgliedstaat den Bestimmungen der Nachprüfungsrichtlinie (Artikel 55 ff.). Darüber hinaus muss in jeder Situation das Vorliegen technischer Gründe, die die Veröffentlichung der Bekanntmachung ausschließen, gut erläutert und begründet werden, wobei zu berücksichtigen ist, dass die Anwendbarkeit der Ausnahme auf Einzelfallbasis zu prüfen und eng auszulegen ist.

In Situationen der Zusammenarbeit zwischen Staaten im Verteidigungssektor, in denen ein Mitgliedstaat (direkt vom Hersteller) eine Verteidigungsfähigkeit erwirbt, die bereits im Besitz eines anderen Mitgliedstaats oder eines an der Zusammenarbeit beteiligten Drittlandes ist, könnten „technische Gründe“ im Sinne von Artikel 28 Absatz 1 Buchstabe e beispielsweise eintreten, wenn die folgenden Bedingungen erfüllt sind:

Eine echte Initiative zur Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich (z. B. „Bündelung und gemeinsame Nutzung“, gemeinsame Instandhaltung und Nutzungsbetreuung oder gemeinsame Aktion) wird durch eine internationale Übereinkunft oder Vereinbarung zwischen dem erwerbenden Mitgliedstaat und anderen Mitgliedstaaten oder Drittländern begründet.

Dies erfolgt vor der Festlegung der Beschaffungsstrategie durch den erwerbenden Mitgliedstaat.

Nach der Bewertung, ob gleichartige Produkte/Ausrüstungen auf dem Markt die Umsetzung der Initiative zur Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich ermöglichen würden, begründet der erwerbende Mitgliedstaat, dass die Beschaffung von Ausrüstung, bei der es sich um dieselbe handelt, die bereits in dem anderen Mitgliedstaat oder einem Drittland im Einsatz ist, die einzige ist, die die Umsetzung der Initiative zur Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich ermöglicht. Diese Bewertung könnte z. B. in Form der in Kapitel 3 der Bekanntmachung der Kommission vorgesehenen Marktanalyse erfolgen, die Leitlinien für die Vergabe von Aufträgen zwischen Regierungen in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit enthält (Artikel 13 Buchstabe f der Richtlinie 2009/81/EG).

Die vorgenannten „Gründe“ für die Anwendung von Artikel 28 Absatz 1 Buchstabe e gelten nicht für die ursprüngliche Auftragsvergabe des Mitgliedstaats, der die betreffende Fähigkeit zuerst erworben hat.


(1)  Schlussfolgerungen des Europäischen Rates EUCO 217/13 vom 20. Dezember 2013, http://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-217-2013-INIT/de/pdf.

(2)  Gemeinsame Erklärung des Präsidenten des Europäischen Rates, des Präsidenten der Europäischen Kommission und des Generalsekretärs der Nordatlantikvertrags-Organisation (NATO) vom 8. Juli 2016, https://www.nato.int/cps/en/natohq/official_texts_133163.htm.

(3)  Richtlinie 2009/81/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe bestimmter Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit und zur Änderung der Richtlinien 2004/17/EG und 2004/18/EG (ABl. L 216 vom 20.8.2009, S. 76).

(4)  Bericht der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat zur Umsetzung der Richtlinie 2009/81/EG zur Vergabe öffentlicher Aufträge in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit gemäß Artikel 73 Absatz 2 dieser Richtlinie, COM(2016) 762 final.

(5)  Mit den Mitgliedstaaten auf der Ebene der Sachverständigen und der Nationalen Rüstungsdirektoren erörtert.

(6)  Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen, Europäischer Verteidigungs-Aktionsplan (COM(2016) 0950 final).

(7)  Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Einrichtung des Europäischen Verteidigungsfonds (COM(2017) 295 final).

(8)  http://www.consilium.europa.eu/media/23985/22-23-euco-final-conclusions.pdf

(9)  Verordnung (EU) 2018/1092 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juli 2018 zur Einrichtung des Europäischen Programms zur industriellen Entwicklung im Verteidigungsbereich zwecks Förderung der Wettbewerbsfähigkeit und der Innovation in der Verteidigungsindustrie der Union (ABl. L 200 vom 7.8.2018, S. 30).

https://eda.europa.eu/docs/default-source/documents/2018-07-18-edidp-regulation-eu-2018-1092.pdf.

(10)  Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einrichtung des Europäischen Verteidigungsfonds (COM(2018) 476 final — 2018/0254 (COD)).

(11)  Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG (ABl. L 94 vom 28.3.2014, S. 65).

(12)  Der Anwendungsbereich der Richtlinie ist in deren Artikel 2 festgelegt.

(13)  http://ec.europa.eu/DocsRoom/documents/15408/attachments/1/translations/

(14)  http://ec.europa.eu/DocsRoom/documents/14833/attachments/1/translations

(15)  http://ec.europa.eu/DocsRoom/documents/15408/attachments/1/translations/

(16)  Die entsprechende Begriffsbestimmung in der Richtlinie 2014/24/EU über die allgemeine öffentliche Auftragsvergabe unterscheidet sich in einigen Punkten. Gemäß Artikel 2 Absatz 1 Unterabsatz 16 der genannten Richtlinie ist eine „zentrale Beschaffungsstelle“ ein öffentlicher Auftraggeber, der zentrale Beschaffungstätigkeiten und eventuell Nebenbeschaffungstätigkeiten ausübt, während gemäß Artikel 2 Absatz 1 Unterabsatz 14 der genannten Richtlinie „zentrale Beschaffungstätigkeiten“ in einer der folgenden Formen auf Dauer durchgeführte Tätigkeiten sind:

a)

Erwerb von Lieferungen und/oder Dienstleistungen für öffentliche Auftraggeber;

b)

Vergabe öffentlicher Aufträge oder Abschluss von Rahmenvereinbarungen über Bauleistungen, Lieferungen oder Dienstleistungen für öffentliche Auftraggeber.

Bestimmte organisatorische Aspekte der Beteiligung zentraler Beschaffungsstellen sind in der Richtlinie 2014/24/EU definiert, und darin ist eine Verpflichtung zur elektronischen Kommunikation festgelegt.

(17)  Eine Beschreibung der Stufen auf der Skala der technologischen Reife ist im Rahmen des Programms Horizont 2020 enthalten: http://ec.europa.eu/research/participants/data/ref/h2020/wp/2014_2015/annexes/h2020-wp1415-annex-g-trl_en.pdf.

(18)  Diese Angaben müssen der Kommission mitgeteilt werden, wenn ein Kooperationsprogramm allein zwischen Mitgliedstaaten abgeschlossen wird.

(19)  Directive 2009/81/EC on the award of contracts in the fields of defence and security, Defence- and security-specific exclusions, Guidance Note (Richtlinie 2009/81/EG über die Vergabe von Aufträgen in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit, Verteidigungs- und sicherheitsspezifische Ausnahmen, Leitfaden), Generaldirektion Binnenmarkt und Dienstleistungen, http://ec.europa.eu/DocsRoom/documents/15408/attachments/1/translations/.

(20)  Yearbook of the International Law Commission 2011, Band II Teil II, http://legal.un.org/docs/?path=../ilc/publications/yearbooks/english/ilc_2011_v2_p2.pdf&lang=EFS.

(21)  Bekanntmachung der Kommission vom 30. November 2016 — Leitlinien für die Vergabe von Aufträgen zwischen Regierungen in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit (Artikel 13 Buchstabe f der Richtlinie 2009/81/EG des Europäischen Parlaments und des Rates), C(2016) 7727 final (ABl. C 450 vom 2.12.2016, S. 1).

(22)  Ein öffentlicher Auftraggeber, der einen Auftrag vergeben oder eine Rahmenvereinbarung geschlossen hat, sendet spätestens 48 Tage nach der Vergabe dieses Auftrags bzw. nach Abschluss der Rahmenvereinbarung eine Bekanntmachung mit den Ergebnissen des Vergabeverfahrens ab.

Bei Rahmenvereinbarungen im Sinne von Artikel 29 brauchen die öffentlichen Auftraggeber nicht für jeden Einzelauftrag, der aufgrund dieser Vereinbarung vergeben wird, eine Bekanntmachung mit den Ergebnissen des jeweiligen Vergabeverfahrens abzusenden.

Bestimmte Angaben über die Auftragsvergabe oder den Abschluss der Rahmenvereinbarung müssen jedoch nicht veröffentlicht werden, wenn die Offenlegung dieser Angaben den Gesetzesvollzug behindern, dem öffentlichen Interesse, insbesondere Verteidigungs- und/oder Sicherheitsinteressen, zuwiderlaufen, die berechtigten geschäftlichen Interessen öffentlicher oder privater Wirtschaftsteilnehmer schädigen oder den lauteren Wettbewerb zwischen ihnen beeinträchtigen könnte.


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