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Document 52016DC0040

BERICHT DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DEN RAT über Bulgariens Fortschritte im Rahmen des Kooperations- und Kontrollverfahrens

COM/2016/040 final

Brüssel, den 27.1.2016

COM(2016) 40 final

BERICHT DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DEN RAT

über Bulgariens Fortschritte im Rahmen des Kooperations- und Kontrollverfahrens

{SWD(2016) 15 final}


1.    EINLEITUNG

Das Kooperations- und Kontrollverfahren (Cooperation and Verification Mechanism – CVM) wurde zum Zeitpunkt des Beitritts Bulgariens zur Europäischen Union im Jahr 2007 eingerichtet. Dabei wurde vereinbart, dass es in Schlüsselbereichen weiterer Bemühungen bedürfe, um Unzulänglichkeiten bei der Justizreform, der Korruptionsbekämpfung und der Bekämpfung der organisierten Kriminalität zu beseitigen. Seitdem haben die CVM-Berichte die Fortschritte Bulgariens nachgezeichnet und den bulgarischen Behörden mit gezielten Empfehlungen Hilfestellung bei der Ausrichtung ihrer Anstrengungen geleistet. In den Berichten der Kommission 1 und den Schlussfolgerungen des Ministerrats 2 werden die Entwicklungen in Bulgarien skizziert und Empfehlungen für die Zukunft ausgesprochen. Im vorliegenden Bericht werden die Maßnahmen des vergangenen Jahres zusammengefasst und Empfehlungen für das weitere Vorgehen erteilt. Er ist das Ergebnis einer sorgfältigen Analyse der Kommission, die sich auf eine enge Zusammenarbeit mit den bulgarischen Behörden, der Zivilgesellschaft und anderen Beteiligten stützt. Die Kommission konnte auch auf die Unterstützung durch Fachleute aus den Justizbehörden anderer Mitgliedstaaten zurückgreifen, die ihre Sicht aus der Praxis einbrachten.

Laut dem CVM-Bericht von 2015 wurden im Vorjahr nur langsam Fortschritte erzielt, und in den Schlussfolgerungen des Rates wurde Bulgarien aufgefordert, „seinen politischen Willen, Reformen herbeizuführen und spürbare Fortschritte zu erzielen,“ zu konsolidieren 3 . Allerdings wurde in dem Bericht auch auf eine Reihe von Bereichen hingewiesen, in denen Probleme festgestellt worden waren und in denen sich erste Lösungsansätze abzeichneten. Dies führte dazu, dass zwei umfassende Reformstrategien auf den Weg gebracht wurden, deren Schwerpunkt auf der Justizreform und der Korruptionsbekämpfung liegt. Diese beiden Strategien bildeten die Grundlage für viele der entscheidenden Entwicklungen des Jahres 2015 und werden auch für 2016 wichtige Bezugspunkte darstellen. Damit echte Fortschritte möglich sind, kommt es nun vor allem darauf an, die in diesen Strategien enthaltenen Zusagen in konkrete Ergebnisse umzumünzen. Durch Bearbeitung schwieriger Fälle und Überwindung von Hindernissen auf dem Reformweg wird ein maßgeblicher Beitrag dazu geleistet, bei den Bürgern Bulgariens und den EU-Partnern Vertrauen zu schaffen. Dies ist auch eine zentrale Bedingung dafür, dass ermittelt werden kann, inwieweit die Reform zu greifen begonnen hat. Außerdem ist es die Voraussetzung für die Einleitung eines nachhaltigen Wandels, der das eigentliche Ziel des Prozesses ist.

Die Kommission wird Bulgarien auch weiterhin bei seinen Anstrengungen zur Verwirklichung der CVM-Ziele unterstützen. In vielen Bereichen erhält Bulgarien bereits Unterstützung aus den europäischen Struktur- und Investitionsfonds. 4 Des Weiteren hat die Kommission 2015 mit dem Dienst zur Unterstützung von Strukturreformen (Structural Reform Support Service – SRSS) ein neues Instrument geschaffen, um in zahlreichen Bereichen technische Hilfe für die Reformanstrengungen von EU-Mitgliedstaaten bereitzustellen. Weitere Unterstützung leisten zudem Mitgliedstaaten und internationale Organisationen – oftmals in Zusammenarbeit mit der bulgarischen Zivilgesellschaft. Ein solches Engagement ist Teil einer offenen und demokratischen Gesellschaft und kann den bulgarischen Reformanstrengungen erheblich zugutekommen. Die Kommission begrüßt, dass Bulgarien laut Aussage seines Ministerpräsidenten 5 Interesse an weiterer technischer Hilfe bekundet hat, und ermutigt das Land, alle verfügbaren Möglichkeiten umfassend auszuschöpfen. 

2.    STAND DES REFORMPROZESSES IN BULGARIEN

2.1    Reform des Justizwesens

Unabhängigkeit, Rechenschaftspflicht und Integrität der Justiz

Im CVM-Bericht von 2015 wurde bereits festgestellt, dass die Strategie für die Justizreform ein umfassendes und detailliertes Konzept für die kommenden Jahre bietet. Nach Billigung der Strategie durch die bulgarische Nationalversammlung im Januar 2015 leitete die Regierung in einer Reihe von Bereichen unter der unmittelbaren Aufsicht des Justizministeriums konkrete Folgemaßnahmen ein. Als wichtigster Prüfstein für die Strategie kristallisierte sich im Zuge der öffentlichen Debatte 2015 allerdings die Reform des Obersten Justizrats (SJC) heraus. Der SJC ist das wichtigste Organ des bulgarischen Justizwesens. Er hat weitreichende Befugnisse in Bezug auf die Ernennung, Beurteilung, Beförderung und Disziplinarbehandlung von Richtern und Staatsanwälten sowie die Verwaltung des Justizhaushalts. Außerdem fungiert er als Sprachrohr der Justiz gegenüber der Gesellschaft und spielt daher eine zentrale Rolle bei der öffentlichen Meinungsbildung hinsichtlich der Justiz insgesamt. Die Öffentlichkeit bringt der Justiz weiterhin wenig Vertrauen entgegen. 6

Das ordnungsgemäße Funktionieren des SJC ist daher von entscheidender Bedeutung. Ein besonderes Problem der gegenwärtigen Struktur besteht darin, dass Entscheidungen über Personal- und Disziplinarangelegenheiten bei Richtern und Staatsanwälten in einer einzigen Struktur getroffen werden. Auch wenn es kein einheitliches verbindliches Modell für die Zusammensetzung der Justizräte gibt, ist deutlich geworden, dass sowohl Richter als auch Staatsanwälte es für unangemessen halten, dass diese Entscheidungen von gemischten Gruppen von SJC-Richtern und -Staatsanwälten getroffen werden. Da in Bulgarien viele Mitglieder des SJC aus politischen Gründen ernannt werden, lässt das derzeitige Modell ausgeprägte Zweifel an der Unabhängigkeit der Justiz aufkommen und legt die Vermutung nahe, dass auf Richter Druck ausgeübt werden kann. Aus diesen Gründen wurde in der Reformstrategie vorgeschlagen, zwei getrennte Kollegien innerhalb des SJC einzurichten, von denen das eine mit Personalangelegenheiten von Richtern und das andere mit denen von Staatsanwälten betraut ist.

Eine ausgedehnte Debatte endete im Frühjahr mit dem Fazit, dass einige der vorgeschlagenen Änderungen Verfassungsänderungen erfordern. Letztere wurden im Dezember 2015 von der Nationalversammlung verabschiedet. Auch wenn diese Änderungen einige bedeutende Abweichungen von dem von der Regierung ursprünglich vorgeschlagenen Wortlaut enthalten, 7 ist ihre Verabschiedung dennoch ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer Reform des SJC. Neben der Einrichtung von zwei Beschlusskammern innerhalb des SJC werden die Befugnisse der Justizinspektion (ISJC) zur Untersuchung von Interessenkonflikten und der illegalen Bereicherung von Richtern gestärkt. 8 In einem nächsten Schritt muss die Reform durch legislative Änderungen des Gerichtsverfassungsgesetzes umgesetzt werden. Ein Legislativpaket wurde von der Regierung ausgearbeitet und im Frühjahr 2015 der Öffentlichkeit zur Konsultation unterbreitet, sollte allerdings erst nach Vorliegen des Ergebnisses der Verfassungsdebatte verabschiedet werden. 9  

Laut früheren CVM-Berichten bestehen unvermindert Bedenken, dass der SJC seiner Rolle als Hüter der Unabhängigkeit und Integrität der Justiz gerecht werden kann. Im Mittelpunkt der Kontroversen stehen Themen wie intransparente Verfahren für die Ernennung von Richtern und Staatsanwälten, uneinheitliche Vorgehensweisen bei Disziplinarverfahren und fehlende Folgemaßnahmen bei Bedenken wegen möglicher Manipulation der nach dem Zufallsprinzip erfolgenden Verfahrenszuweisung in den Gerichten. Hinzu kommt die Kontroverse über die politische Einflussnahme im SJC. 2015 ist die Situation in Bezug auf diese Aspekte uneinheitlich. Zu Beginn des Jahres ernannte der SJC einen neuen Präsidenten des Obersten Kassationsgerichtshofs. Der neue Präsident ist bereit, für Reformen einzutreten und scheint in der Justiz Respekt zu genießen. 10 Im Frühjahr wurde außerdem eine neue Führung des Stadtgerichts Sofia ernannt, nachdem die bisherige Führung inmitten der Skandale im Zusammenhang mit dem Gericht zurücktreten musste. 11 Andere Ernennungsentscheidungen des SJC riefen jedoch weiterhin Bedenken wegen mangelnder Transparenz und einer etwaigen unzulässigen Einflussnahme hervor. Das Amt des Präsidenten des Appellationsgerichts Sofia ist seit nunmehr fast zwei Jahren unbesetzt: Es hatte sich zwar ein Richter auf den Posten beworben, der von den Richtern des Gerichts ausdrücklich unterstützt wurde, aber nicht die erforderliche Mehrheit im SJC erreichte. 12 Es gibt keine klaren Kriterien für die Beurteilung von Ernennungen, so dass die Objektivität der Ernennungsverfahren angezweifelt werden kann.

Auf schwerwiegende Vorwürfe von Korruption und unerlaubter Einflussnahme im Justizwesen wird erst nach internem und externem Druck reagiert, wobei die Behörden nicht in der Lage oder nicht willens sind, proaktive Ermittlungen einzuleiten. Die gegen Ende 2014 am Stadtgericht Sofia aufgedeckten Unregelmäßigkeiten wurden im letzten CVM-Bericht dargelegt, in dem festgestellt wurde, dass die erste Reaktion des SJC nahelegt, dass diese Angelegenheit für den Rat eine geringe Priorität hat. 13 Der SJC hat Maßnahmen getroffen, um in den bulgarischen Gerichten die Anwendung der Verfahrenszuweisung nach dem Zufallsprinzip zu verbessern. So führte er im Oktober 2015 ein neues zentrales IT-System für die gesamte Justiz ein, das dazu beitragen dürfte, ein in früheren CVM-Berichten immer wieder angesprochenes Problem zu lösen. Der SJC reagierte jedoch nur zögerlich auf die Vorwürfe schwerwiegenden Fehlverhaltens von Richtern, die am Stadtgericht Sofia Schlüsselpositionen innehaben. 14 Disziplinarmaßnahmen wurden erst viel später eingeleitet, nachdem sich der Justizminister mehrerer Fälle hatte annehmen müssen. 15  

Im Herbst 2015 berichteten die Medien über einen angeblichen Mitschnitt eines Gesprächs zwischen zwei der wichtigsten Personen 16 , die in die am Stadtgericht Sofia aufgedeckten Unregelmäßigkeiten verwickelt waren; dieser Mitschnitt ergänzte die Kontroverse um weitere Aspekte. Nach wiederholten Forderungen nach einer unabhängigen Untersuchung 17 kündigten der SJC und die Staatsanwaltschaft Ermittlungen hinsichtlich des Inhalts der Tonbänder an. 18 Im Interesse der Glaubwürdigkeit des Verfahrens müssen alle erdenklichen Maßnahmen getroffen werden, um sicherzustellen, dass auf transparente und unparteiische Weise ermittelt wird. 19

Nach mehreren Jahren wählte die Nationalversammlung im Frühjahr 2015 einen neuen Chefinspekteur. Die verschiedenen Schritte des Verfahrens, in dessen Rahmen die Zivilgesellschaft aufgefordert wurde, Kandidaten vorzuschlagen, wurden transparenter dargelegt. Dieser Ansatz wurde auch bei dem anschließenden Verfahren für die Wahl des neuen Inspekteurskollegiums verfolgt, das im Herbst eingeleitet wurde und noch nicht abgeschlossen ist. 20 Dieses Verfahren wird aufgrund der wichtigeren Rolle, die der Justizinspektion beim Umgang mit Integritätsproblemen und Anzeichen für Korruption in der Justiz künftig zukommen wird, von besonderer Bedeutung sein. Es muss dafür gesorgt werden, dass die Inspektion über die Ressourcen verfügt, die sie benötigt, um dieser Rolle wirksam gerecht zu werden.

Reform des Rechtsrahmens

Die laufende Reform des SJC ist nur ein – wenn auch wichtiger – Bestandteil von Bulgariens neuer Strategie für die Justizreform. Die Strategie wird in einem umfassenden Dokument dargelegt, das eine ganze Reihe verschiedener Ziele enthält, von denen viele Gesetzesänderungen erfordern. Wie bereits erwähnt, wurde ein Änderungspaket für das Gerichtsverfassungsgesetz ausgearbeitet, das nun in der Nationalversammlung rasch vorangebracht werden dürfte. Es sieht in zahlreichen Bereichen Änderungen vor, die verschiedene Aspekte der Justizverwaltung verbessern sollen. Viele der Vorschläge zielen darauf ab, im Hinblick auf eine bessere Transparenz und eine stärkere Unabhängigkeit die Rolle von Richtern in nicht leitender Position zu stärken. Durch andere Änderungen sollen Verbesserungen in der Regelung für die beruflichen Laufbahnen oder den Vorschriften für die berufliche Aus- und Fortbildung von Richtern umgesetzt werden. Weitere Vorschläge sehen Änderungen vor, die für die Einführung neuer Technologien zur Verbesserung der Transparenz, Qualität und Effizienz (E-Justiz) erforderlich sind. Im Laufe des Jahres wurden diese Vorschläge bereits im Rahmen einer breit angelegten Debatte in der Justiz erörtert. 2016 wird es vor allem darauf ankommen, dass Bulgarien mit der Annahme dieser Änderungen echte Fortschritte erzielen kann. 21  

Ein weiterer Bereich, in dem legislative Änderungen vorbereitet werden, betrifft das Strafgesetzbuch und die Strafprozessordnung. In früheren CVM-Berichten wurde festgestellt, dass eine grundlegende Debatte über die langfristig angelegte Reform des Strafgesetzbuchs und der Strafprozessordnung dringlichere gezielte Änderungen ausbremsen könnte. 22 In den letzten fünf Jahren haben die verschiedenen Regierungen wiederholt versucht, eine Reform des Strafgesetzbuchs herbeizuführen – ein Ziel, das bislang in weite Ferne gerückt ist. 23 2015 leitete die Regierung einen neuen Prozess der Reflexion über eine weiter reichende Reform der Strafrechtspolitik ein. 24 Diese Überlegungen zielen auf eine umfassende Reform ab, die eine sorgfältige Analyse und Vorbereitung voraussetzen und eine breite Konsultation in der Justiz und bei den Angehörigen der Rechtsberufe umfassen wird. In der Zwischenzeit haben die bulgarischen Behörden jedoch eingeräumt, dass zügiger Fortschritte erzielt werden müssen. Dazu sollen eine begrenzte Reihe gezielter Änderungen in Angriff genommen werden, um insbesondere die Probleme zu überwinden, die zu Verzögerungen in Strafverfahren führen, und um die Verfolgung von Korruptionsdelikten zu erleichtern. Einige Änderungen wurden bereits angenommen, um wesentliche Schwachstellen zu beseitigen, müssen sich aber noch in der Praxis als wirksam erweisen. 25

Qualität und Effizienz der Justiz

Die Qualität und die Effizienz der Justiz hängen entscheidend davon ab, inwieweit das System als Ganzes dem Recht Geltung verschafft – ob sich die Bürger darauf verlassen können, dass faire Rechtsbehelfsverfahren gewährleistet sind, ob Straftäter wirksam verfolgt werden und unter Einhaltung der Rechtsvorschriften der Gerechtigkeit Genüge getan wird und dies auch nach außen erkennbar ist. 26 Solche Bedenken äußerte in diesem Jahr auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, der bereits in über 45 Urteilen gegen Bulgarien festgestellt hatte, dass die Behörden ihrer Verpflichtung zur Durchführung einer wirksamen Untersuchung nicht nachgekommen waren, und der daher der Auffassung ist, dass diese immer wieder auftretenden Mängel auf ein systembedingtes Problem schließen lassen. 27 Dieses Problem betrifft zwar eindeutig die Strafverfolgung insgesamt, aber auch bei der Staatsanwaltschaft und der Richterschaft gibt es zweifellos nach wie vor Probleme.

Die laufende Verwaltung der Justiz – darunter Angelegenheiten wie Ernennungen, Beurteilungen, Aus- und Fortbildung, Disziplinarmaßnahmen und Aufteilung der relativen Arbeitsbelastung auf Richter und Justizbehörden – liegt in der Verantwortung des Obersten Justizrats (SJC). In früheren CVM-Berichten wurde die ungleiche Arbeitsbelastung der Gerichte als Problem für die Qualität und Effizienz der Gerichtsverfahren sowie möglicherweise für die Unabhängigkeit der Richter herausgestellt. 28 Mit einer hohen Arbeitsbelastung sind vor allem die größeren Gerichte, insbesondere diejenigen in Sofia, konfrontiert, während die Arbeitsbelastung in anderen Gerichten gering ist. Wie in den Vorjahren hat der SJC auch 2015 versucht, das Problem der unausgewogenen Arbeitsbelastung der Gerichte dadurch anzugehen, dass in stärker belasteten Gerichten neue Stellen geschaffen und in Gerichten mit geringerer Arbeitsbelastung Stellen abgebaut wurden. Dieser Ansatz hatte jedoch bisher nur marginale Auswirkungen. Eine umfassendere Lösung wurde zurückgestellt, bis ein Unterausschuss des SJC einheitliche Standards für die Arbeitsbelastung ausgearbeitet sowie die Kreis- und Bezirksgerichte einer breiter angelegten sozioökonomischen Analyse unterzogen hatte. 2015 wurde diese Analysetätigkeit abgeschlossen. Ihre Ergebnisse dürften nun die Grundlage für eine systematischere Verwaltung der Personalressourcen und möglicherweise auch für eine Neuorganisation der Gerichte bilden. Der SJC beabsichtigt, in einem ersten Schritt Vorschläge zur Struktur der Kreis- und Bezirksgerichte vorzulegen, zu denen die Öffentlichkeit 2016 konsultiert werden soll. Aufgrund der neuen einheitlichen Standards für die Arbeitsbelastung dürfte der SJC auch über die Daten verfügen, um andere Teile des Systems, einschließlich der Kreis- und Bezirksgerichte, der Appellationsgerichte und der Verwaltungsgerichte, zu rationalisieren. Aber auch ohne diese Reformen dürften die Standards bereits einen besseren Ausgangspunkt für eine zweckmäßige Aufteilung der Personalressourcen auf die verschiedenen Teile des Systems bilden. Solche Entscheidungen, die oftmals heikel sind, dürften dazu beitragen, die Gesamtqualität und -effizienz der Justiz trotz Ressourcenknappheit zu verbessern. 29  

Generell müssen nach Umsetzung der Strategie für die Justizreform in einer Reihe von Bereichen Managemententscheidungen getroffen werden. Bei der Einführung der E-Justiz ist es beispielsweise besonders wichtig, dass Legislativbeschlüsse durch Managemententscheidungen flankiert werden. Für die Abwicklung der komplexen verwaltungstechnischen und technischen Verfahren müssen unbedingt Kapazitäten aufgebaut werden, die eine ordnungsgemäße Umsetzung der E-Justiz, auch in Bereichen wie Datenschutz und Datensicherheit, gewährleisten.

Die Disziplinarverfahren bilden einen weiteren Bereich, in dem sich die Standards für die Arbeitsbelastung als nützlich erweisen könnten. So könnten sie eine objektivere Grundlage für die Verhängung von Sanktionen in Fällen schaffen, in denen die Verfahrensfristen nicht eingehalten werden. 30 Allerdings sind die Probleme in diesem Bereich tiefer verwurzelt, wobei bei Richtern allgemein der Eindruck vorherrscht, dass die Entscheidungen des SJC weder transparent noch objektiv getroffen werden. Abhilfe schaffen könnten hier klare Standards für Disziplinarverfahren und Sanktionen sowie eine systematischere Kommunikation, in deren Rahmen erläutert wird, inwieweit einzelne Entscheidungen auf die allgemeinen Standards Bezug nehmen. Das Fehlen klarer disziplinarrechtlicher Standards ist besonders problematisch, wenn die Verfahren Verstöße gegen den Ethikkodex oder Handlungen, die das Ansehen der Justiz untergraben, 31 betreffen, bei denen der genaue Umfang der disziplinarischen Verantwortung unklar ist. In solchen Fällen besteht das Risiko, dass willkürliche Entscheidungen getroffen werden, was wiederum Richter davon abhalten könnte, sich zu legitimen Themen öffentlich zu äußern.

Die Staatsanwaltschaft spielt im Gesamtgefüge der Justiz eine entscheidende Rolle. In der Regierungsstrategie für die Justizreform ist das Ziel einer umfassenderen Reform der Staatsanwaltschaft auf der Grundlage einer unabhängigen Analyse festgelegt. Dabei würden vor allem die Ziele verfolgt, durch eine weniger hierarchische Kultur und durch Stärkung der Rechenschaftspflicht und des Vertrauens der Öffentlichkeit in die gesamte Staatsanwaltschaft mehr Eigeninitiative und Verantwortung zu fördern. Eine solche Reform würde auf den in den letzten Jahren bereits getroffenen Maßnahmen und der geplanten Reform der bulgarischen Strafrechtspolitik aufbauen. Die Notwendigkeit einer tiefgreifenderen Reform der Staatsanwaltschaft ergibt sich daraus, dass in Fällen von Korruption und organisierter Kriminalität auf hoher Ebene immer noch keine soliden Erfolge erzielt wurden 32 ; diese Problematik wird von unabhängigen Beobachtern in Bulgarien weiterhin regelmäßig diskutiert. In CVM-Berichten wurde wiederholt darauf hingewiesen, dass eine objektive Analyse der Umstände, unter denen konkrete Fälle auf hoher Ebene nicht erfolgreich abgeschlossen wurden, am besten geeignet wäre, klare Schritte für die Zukunft festzulegen.

2.2    Korruption

Die vierte und die fünfte CVM-Vorgabe für Bulgarien betreffen die Notwendigkeit wirksamer Maßnahmen gegen die Korruption, darunter die Korruption auf hoher Ebene sowie generell die Korruption in öffentlichen Einrichtungen. Bulgarien gilt nach wie vor als einer der EU-Mitgliedstaaten mit einem sehr hohen Grad an Korruption, und die Korruption wird als eines der größten Hindernisse für unternehmerisches Engagement in Bulgarien angesehen. 33 In früheren CVM-Berichten wurden Defizite bei den bisherigen Anstrengungen in diesem Bereich aufgezeigt. 34 Die Organe, die zur Bekämpfung der Korruption eingerichtet wurden, wurden als fragmentierte, unkoordinierte Stellen beschrieben, die der Herausforderung nicht gerecht werden.

Diese Probleme wurden schließlich 2015 von den bulgarischen Behörden insofern erkannt, als die Regierung eine neue umfassende nationale Strategie zur Bekämpfung der Korruption verabschiedete. Die Strategie stellt einen wichtigen Fortschritt dar, denn sie enthält eine klare Analyse der Herausforderungen sowie Vorschläge für konkrete Maßnahmen zur Lösung der festgestellten Probleme. Nun gilt es, für ihre Umsetzung zu sorgen. 35 Der neu geschaffene nationale Koordinierungsrat soll die Anstrengungen koordinieren und die Fortschritte überwachen. Er bleibt jedoch ein auf politischer Ebene angesiedeltes Organ, das politische Unterstützung auf höchster Ebene und darüber hinaus effiziente operative Strukturen benötigen wird, um Erfolge erzielen zu können. An der politischen Unterstützung für einen neuen Ansatz kamen Zweifel auf, als im September 2015 der Vorschlag der Regierung für ein neues Antikorruptionsgesetz in der ersten Lesung der Nationalversammlung abgelehnt wurde. Der Gesetzesentwurf sollte den Ansatz durch eine solide institutionelle Grundlage untermauern: Er sah die Einrichtung einer zentralen Antikorruptionsbehörde vor, die damit betraut ist, Interessenkonflikte und Vermögenserklärungen hochrangiger Beamter zu überprüfen und etwaige Korruptionsdelikte und Fälle illegaler Bereicherung zu untersuchen. 36 Außerdem beinhaltete der Gesetzesentwurf eine Reform der Regelung für die Überprüfung von Interessenkonflikten und Privateigentum von Amtsträgern.

Die Ablehnung dieses Gesetzesentwurfs im September kam für die Regierung überraschend und führte zu einer weiteren Verschiebung ihrer wichtigsten Initiative, mit der die Korruption unter hochrangigen Amtsträgern angegangen werden soll. In der Debatte ging es großenteils um die Problematik der Verwendung anonymer Hinweise, wobei klargestellt werden muss, dass die Möglichkeit, anonyme Hinweise entgegenzunehmen, nicht mit der Notwendigkeit, vor Gericht verwendbare Beweismittel zu erlangen, verwechselt werden darf. Auch wenn die Regierung zugesagt hat, die Verabschiedung des Gesetzes 2016 voranzutreiben, ließ dessen erstes Scheitern Zweifel daran aufkommen, dass ein echter Konsens darüber besteht, dass die Korruption auf hoher Ebene angegangen und die neue Antikorruptionsstrategie verfolgt werden muss. Die Bereitschaft Bulgariens zu entschlossenem Handeln wird sich 2016 maßgeblich daran erkennen lassen, ob dieses Gesetz erneut eingebracht und verabschiedet sowie in der Folge das neue Organ eingerichtet wird.

Im Rahmen ihrer Antikorruptionsstrategie hat die bulgarische Regierung eine Reihe anderer Initiativen eingeleitet, mit denen die Korruption in der öffentlichen Verwaltung generell bekämpft werden soll. Dazu gehören eine Reform der Verwaltungsinspektionen, Maßnahmen zur Verbesserung des Systems zur Vergabe öffentlicher Aufträge und die Ausarbeitung sektorspezifischer Pläne für die Bekämpfung der Korruption, die für bestimmte Sektoren, in denen das Risiko der Korruption „auf niedriger Ebene“ als hoch gilt, präventive Maßnahmen vorsehen. 37 Diese Maßnahmen erfordern ein kontinuierliches Follow-up, vor allem in den Fällen, in denen Gesetzesänderungen notwendig sind. 38  

Darüber hinaus muss Bulgarien noch den Nachweis dafür erbringen, dass in Fällen von Korruption auf hoher Ebene eine erfolgreiche Ermittlung und Strafverfolgung möglich sind, die zu rechtskräftigen Verurteilungen vor Gericht führen. Die Staatsanwaltschaft verfolgt einen pragmatischen Ansatz zur Stärkung der Kapazitäten durch organisatorische Veränderungen und eine engere Zusammenarbeit mit anderen zuständigen Dienststellen. Im Rahmen dieser Strategie wurde als letzter Schritt im April eine der Staatsanwaltschaft der Stadt Sofia angegliederte verstärkte dienststellenübergreifende Stelle geschaffen, die für Ermittlung und Strafverfolgung von Korruption auf hoher Ebene zuständig ist. 39 Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass diese engere Zusammenarbeit der Dienststellen in einer Fachgruppe bereits eine erste positive Wirkung zeigt. In einer Reihe von Fällen wurden Gerichtsverfahren eingeleitet. 40 In weiteren Fällen laufen Ermittlungen. Wie Bulgariens Anstrengungen in Fällen von Korruption auf hoher Ebene bewertet werden, wird allerdings davon abhängen, ob rechtskräftige Gerichtsentscheidungen ergehen und vollstreckt werden. Bisher sind erst begrenzte Fortschritte erzielt worden, was rechtskräftige Verurteilungen in solchen Fällen anbelangt. 41  

2.3    Organisierte Kriminalität

Die sechste CVM-Vorgabe betrifft die Bekämpfung der organisierten Kriminalität. 2012 richtete Bulgarien ein Sondergericht und eine Staatsanwaltschaft für organisierte Kriminalität ein. Ausgehend von den Fällen, in denen Gerichtsverfahren eingeleitet wurden, sowie der Zahl der Verurteilungen zeitigt diese Maßnahme nun erste Ergebnisse. Allerdings werden Fälle schwerer organisierter Kriminalität weiterhin durch komplexe Vorschriften und formalistische Strafverfahren behindert. 42 Nach wie vor gibt es Hinweise auf ernsthafte Zeugeneinschüchterungen, die die Verfahren beeinträchtigen. Bulgarien muss noch einen echten Nachweis dafür erbringen, dass in Fällen schwerer organisierter Kriminalität rechtskräftige Gerichtsentscheidungen ergehen und vollstreckt werden. Wie groß die Herausforderung ist, haben unlängst mehrere Morde verdeutlicht, die offensichtlich mit organisierter Kriminalität in Zusammenhang stehen. Viele der in den letzten Jahren begangenen Auftragsmorde sind immer noch nicht aufgeklärt. 43  

2015 änderte Bulgarien seine Prozessordnung, um in früheren CVM-Berichten aufgezeigte Probleme anzugehen. Diese Probleme betreffen den Umstand, dass sich Straftäter durch Flucht der Justiz entziehen und die Sonderstaatsanwaltschaft mit minder schweren Fällen ohne Bezug zur organisierten Kriminalität überlastet ist. Es ist noch zu früh, um die Auswirkungen dieser Änderungen zu bewerten. Hinsichtlich der Fluchtgefahr von Straftätern sind neue Probleme ermittelt wurden, die eher organisatorischer Art sind. An entsprechenden Lösungen wird gearbeitet.

Bulgarien hatte 2012 das Gesetz über die Einziehung von Erträgen aus Straftaten geändert. Da die nach dem alten Gesetz bearbeiteten Fälle allmählich abgeschlossen und durch neue Fälle abgelöst werden, haben die Erfahrungen mit dem neuen Gesetz eine Reihe von Problemen zutage gebracht, die Gesetzesänderungen erfordern. Die für die Einziehung von Vermögenswerten zuständige Kommission hat detaillierte Vorschläge zur Lösung der Probleme ausgearbeitet, die von der Nationalversammlung rasch geprüft werden sollten.

Der mit der organisierten Kriminalität befasste Sonderermittlungsdienst wurde Anfang 2015 wieder dem Innenministerium unterstellt, nachdem er seit 2013 bei der Staatsagentur für nationale Sicherheit (SANS) angesiedelt war. Die Umgliederung wurde zwar diesmal besser organisiert als 2013, führte aber dennoch zu gewissen Störungen. Nun ist es wichtig, dass die für organisierte Kriminalität zuständige Direktion die Stabilität und die Ressourcen erhält, die sie für ihre Arbeit benötigt. Im Durchführungsgesetz zur Umgliederung wurden eine Reihe rechtlicher Probleme ermittelt, insbesondere in Bezug auf die rechtliche Definition der Befugnisse der Direktion für organisierte Kriminalität, die deren Tätigkeit unnötig einzuschränken scheinen.

3.    SCHLUSSFOLGERUNGEN UND EMPFEHLUNGEN

2015 hat Bulgarien wichtige Schritte unternommen, um das Thema Reform nach einer Phase, in der die politische Instabilität die Fortschritte zu blockieren schien, wieder auf die Tagesordnung zu setzen. Die Strategien für die Justizreform und die Bekämpfung der Korruption bieten ein detailliertes Aktionskonzept. Allerdings ist klar, dass 2016 eine große Herausforderung darin bestehen wird, diese Strategien in konkrete und greifbare Fortschritte umzumünzen. Eine Reihe von Maßnahmen wurden ergriffen, von denen einige zu konkreten Fortschritten geführt haben. Im Dezember änderte Bulgarien seine Verfassung. Auch wenn die Änderungen einige bedeutende Abweichungen von dem ursprünglich vorgeschlagenen Wortlaut enthalten, ist ihre Verabschiedung dennoch ein wichtiger Schritt auf dem Weg zu einer Reform des Obersten Justizrats. Nun müssen Folgemaßnahmen getroffen werden, damit alle in der Strategie für die Justizreform enthaltenen Änderungen Gesetzeskraft erlangen. Bei anderen Initiativen kam es zu Rückschlägen. Dies gilt vor allem für die Antikorruptionsstrategie, auf deren Grundlage ein Gesetzesentwurf ausgearbeitet wurde, der die Einrichtung einer zentralen Antikorruptionsbehörde vorsah, allerdings von der Nationalversammlung abgelehnt wurde. Die Regierung hat zwar ihre Absicht bekundet, den Vorschlag in geänderter Form erneut zu unterbreiten, dennoch hat dessen Ablehnung verdeutlich, dass es keinen politischen Konsens für den Reformprozess gibt.

Die langsamen Fortschritte in Fällen von Korruption auf hoher Ebene oder organisierter Kriminalität und die unsichere Reaktion und Ergreifung von Folgemaßnahmen bei bestimmten Kontroversen wie derjenigen von 2014 im Zusammenhang mit dem Stadtgericht Sofia sowie die diesbezüglichen Folgemaßnahmen untergraben weiterhin das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Fähigkeit der bulgarischen Behörden, dem Recht Geltung zu verschaffen. Auf das systembedingte Problem, das der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Zusammenhang mit Bulgariens Verpflichtung zur Durchführung einer wirksamen Untersuchung von Fehlverhalten festgestellt hat, wird auch in einigen CVM-Berichten hingewiesen. Den Reaktionen der bulgarischen Behörden auf solche Mängel fehlt es nach wie vor an Entschlossenheit. Viele der Empfehlungen des CVM-Berichts von 2015 haben weiterhin Bestand.

Was die Unabhängigkeit der Justiz anbelangt, so ist es ermutigend, dass sich bulgarische Richter öffentlich für die Reform des Justizwesens aussprechen. Dies ist ein gesundes Zeichen für ein neues erstarkendes Selbstbewusstsein unter bulgarischen Richtern. Einige konkrete Fortschritte wurden auch in Bezug auf die Justizverwaltung erzielt. In Schlüsselbereichen der justiziellen Governance fehlt es den Anstrengungen der bulgarischen Institutionen jedoch immer noch an Entschlossenheit.

Die Kommission sieht der weiteren engen Zusammenhang mit Bulgarien zur Verwirklichung der CVM-Ziele zuversichtlich entgegen und fordert Bulgarien auf, in den nachstehenden Bereichen tätig zu werden:

1. Unabhängigkeit, Rechenschaftspflicht und Integrität der Justiz

Bulgarien hat eine Reform des Obersten Justizrats (SJC) auf den Weg gebracht und Maßnahmen zur Stärkung der Justizinspektion ergriffen. Die gegebenen Zusagen müssen nun umgesetzt werden. Außerdem muss auf den Maßnahmen aufgebaut werden, die getroffen wurden, um die Glaubwürdigkeit in Bezug auf die Verfahrenszuweisung nach dem Zufallsprinzip und in Bezug auf Ernennungen zu verbessern.

Umsetzung der Reform des SJC durch die notwendigen Änderungen des Gerichtsverfassungsgesetzes.

Rasche Ausstattung der Justizinspektion (ISJC) mit den rechtlichen Befugnissen und materiellen Ressourcen, die sie für die Wahrnehmung ihrer neuen Rolle bei der Wahrung der Integrität und der Bekämpfung der Korruption in der Justiz benötigt.

Schaffung von Kapazitäten im SJC und in der ISJC zur Überwachung der Anwendung und der Sicherheit des neuen Systems für die nach dem Zufallsprinzip erfolgende Verfahrenszuweisung in den Gerichten. Die entsprechenden Einrichtungen müssen in Bezug auf die Ergebnisse von Inspektionen und die Folgemaßnahmen im Zusammenhang mit festgestellten Problemen Transparenz gewährleisten.

Erzielung von Fortschritten, was eine transparente und kohärente Beschlussfassung des SJC bei Ernennungsentscheidungen, die Zugrundelegung klarer Standards für die Verdienste und die Integrität und das rechtzeitige Treffen solcher Entscheidungen anbelangt.

Schaffung der Voraussetzungen für eine unparteiische Untersuchung der verschiedenen Vorwürfe von Korruption auf hoher Ebene am Stadtgericht Sofia, insbesondere in Bezug auf etwaige systembedingte Auswirkungen, einschließlich möglicher vergleichbarer Praktiken an anderen Gerichten.

2. Reform des Justizwesens

Ein umfassendes Änderungspaket für das Gerichtsverfassungsgesetz, das auf die Umsetzung der Regierungsstrategie für die Justizreform abzielt, wurde vom Justizministerium ausgearbeitet und im Laufe des Jahres 2015 in der Justiz umfassend erörtert. Die bereits vor längerer Zeit ausgesprochene Empfehlung einer Modernisierung des Strafgesetzbuchs und der Strafprozessordnung Bulgariens ist nach wie vor relevant.

Inkraftsetzung der Änderungen des Gerichtsverfassungsgesetzes im Einklang mit der Regierungsstrategie für die Justizreform, einschließlich der Reformen zur Stärkung des Einflusses einzelner Richter und Staatsanwälte, und Gewährleistung der Umsetzung dieser Maßnahmen in enger Abstimmung mit den Justizbehörden.

Ausarbeitung einer Reihe gezielter Änderungen zur Beseitigung von wesentlichen Problemen in Strafverfahren, insbesondere von Problemen im Zusammenhang mit komplexen Fällen von Korruption oder organisierter Kriminalität.

Verabschiedung einer umfassenden Reform der Strafrechtspolitik im Einklang mit den Überlegungen der Strategie für die Justizreform.

3. Standards in der Justiz

Bulgarien sollte 2016 die Reformen in Schlüsselbereichen seines Justizwesens voranbringen, einschließlich geeigneter Änderungen im Gerichtsatlas zur Verbesserung der Gesamtqualität und -effizienz der Justiz, der Umsetzung der E-Justiz, der Festlegung klarer Standards für Disziplinarverfahren und einer weiteren Reform der Staatsanwaltschaft.

Verabschiedung einer Reform des Gerichtsatlasses für die Kreis- und Bezirksgerichte und Vorlage eines Fahrplans für eine umfassendere Rationalisierung der Gerichte auf allen Ebenen zur Verbesserung der Gesamtqualität und -effizienz der Justiz, erforderlichenfalls einschließlich einer Umverteilung der Ressourcen auf der Grundlage einer Gesamtanalyse der Arbeitsbelastung der Gerichte.

Festlegung eines klaren Zeitplans für die Einführung der E-Justiz und Schaffung der erforderlichen Kapazitäten für die Überwachung und Steuerung ihrer Umsetzung.

Entwicklung eines Verfahrens zur Begründung von Disziplinarentscheidungen im Einklang mit klaren und objektiven Standards und Grundsätzen. Durchführung einer unabhängigen Bewertung der Disziplinarpraxis unter der Verantwortung des derzeitigen SJC seit 2012.

Einleitung einer unabhängigen Analyse der Staatsanwaltschaft nach den Vorgaben der Regierungsstrategie für die Justizreform unter Berücksichtigung der bereits umgesetzten Reformmaßnahmen.

4. Korruption

Die Maßnahmen in diesem Bereich sollten schwerpunktmäßig auf die Umsetzung der neuen nationalen Antikorruptionsstrategie, die im Frühjahr 2015 angenommen wurde, ausgerichtet sein. Hohe Priorität sollte einer raschen erneuten Prüfung des Regierungsvorschlags für ein neues Antikorruptionsgesetz durch die Nationalversammlung eingeräumt werden. Dabei sollte zwar allen besonderen Bedenken Rechnung getragen, aber auch dafür gesorgt werden, dass die Hauptbestandteile des Vorschlags den mit der Antikorruptionsstrategie verfolgten Absichten gerecht werden.

Erlass eines neuen Antikorruptionsgesetzes im Einklang mit der Antikorruptionsstrategie, einschließlich der Schaffung einer zentralen Behörde mit einem starken unabhängigen Mandat zur Bekämpfung der Korruption auf hoher Ebene. Zügige Errichtung der neuen Einrichtung und deren Ausstattung mit den benötigen Ressourcen.

Annahme von Änderungen des Gesetzes über die öffentliche Verwaltung im Hinblick auf die Stärkung der Befugnisse und der Unabhängigkeit der internen Inspektionen und Einführung einheitlicher Mindeststandards für den öffentlichen Sektor in Bezug auf die Risikobewertung und die Berichtspflichten.

Ausstattung der Agentur für die Vergabe öffentlicher Aufträge mit den rechtlichen Befugnissen und organisatorischen Kapazitäten für die Durchführung eingehender risikobasierter Kontrollen bei Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge.

Fortsetzung der Anstrengungen zur Bekämpfung der Korruption auf niedriger Ebene im Innenministerium. Einleitung ähnlicher Anstrengungen in anderen Risikosektoren der öffentlichen Verwaltung.

Überwachung der Fortschritte in Strafsachen mit Bezug zu mutmaßlicher Korruption auf hoher Ebene unter Berücksichtigung des Ermittlungs- und des Gerichtsverfahrens und Durchführung von Maßnahmen zur Lösung der festgestellten Probleme.

5. Organisierte Kriminalität

Bulgarien muss noch einen echten Nachweis dafür erbringen, dass es in Fällen schwerer organisierter Kriminalität zu rechtskräftigen Verurteilungen vor Gericht kommt. Es muss dafür gesorgt werden, dass die rechtlichen und institutionellen Voraussetzungen gegeben sind, damit die Strafverfolgungs- und Justizbehörden wirksam arbeiten können.

Überwachung der Fortschritte in Strafsachen mit Bezug zu schwerer organisierter Kriminalität unter Berücksichtigung des Ermittlungs- und des Gerichtsverfahrens sowie des Strafvollzugs und Durchführung von Maßnahmen zur Lösung der festgestellten Probleme.

Rasche Lösung der rechtlichen Probleme, die im Zusammenhang mit der Zuständigkeit und der Arbeitsweise der im Innenministerium angesiedelten Direktion für organisierte Kriminalität festgestellt wurden, und Herbeiführung der organisatorischen Stabilität, die die Direktion für ihre Arbeit benötigt.

Änderung des Gesetzes über die Einziehung von Erträgen aus Straftaten, damit die für die Einziehung von Vermögenswerten zuständige Kommission wirksam arbeiten kann.

(1)

     Die bisherigen Berichte sind abrufbar unter: http://ec.europa.eu/cvm/progress_reports_en.htm.

(2)

     Zuletzt in den Schlussfolgerungen des Rates vom 17. März 2015.

(3)

     Dokument 7281/15, S. 3, http://ec.europa.eu/cvm/key_documents_en.htm .

(4)

     Während des Programmplanungszeitraums 2007-2013 wurden im Rahmen des operativen Programms zum Aufbau von Verwaltungskapazitäten 51 Mio. EUR für Aufforderungen zur Einreichung von Anträgen aus dem Justizwesen bereitgestellt, von denen infolge mangelnden Interesses der Gerichte und Staatsanwaltschaften nur 25 Mio. EUR vergeben wurden. Im neuen Programmplanungszeitraum 2014-2020 ist für die Justiz eine Schwerpunktförderung im Umfang von 30,1 Mio. EUR vorgesehen.

(5)

     Erklärung am Rande des Europäischen Rates vom 17. Dezember 2015.

(6)

     Dass das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Justiz gering ist, bestätigen Meinungsumfragen und Erhebungen. Die große Mehrheit der Bulgaren (96 % im Jahr 2014) halten die Schwachstellen im Justizwesen für ein großes Problem (Flash Eurobarometer 406, Januar 2015, S. 9); siehe auch World Justice Project – Rule of Law Index 2015 (S. 70): http://worldjusticeproject.org/sites/default/files/roli_2015_0.pdf und den Global Competitiveness Report des Weltwirtschaftsforums, S. 124-125, http://www.weforum.org/reports/global-competitiveness-report-2015-2016 .

(7)

     Eine in letzter Minute vorgenommene Neuzuweisung eines Mitglieds, das im Rahmen der parlamentarischen Quote ernannt worden war, von der Kammer der Staatsanwaltschaft zur Kammer der Richter führte zum Rücktritt des Justizministers und zu Protesten des wichtigsten Berufsverbands der Richter. Diese Maßnahme wurde als Stärkung des politischen Einflusses in der Richterkammer des SJC und gleichzeitig als Verringerung der Rechenschaftspflicht der Staatsanwaltschaft erachtet.

(8)

     Außerdem wurde das Erfordernis der geheimen Abstimmung bei Personalangelegenheiten im SJC abgeschafft und für die Wahl der Mitglieder auf der Grundlage der parlamentarischen Quote die Regel der Zweidrittelmehrheit eingeführt.

(9)

     Infolgedessen wurden auch andere wichtige Änderungen blockiert (siehe unten).

(10)

     Als der Ethikausschuss des SJC die Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen Präsident Panov nach einer kritischen Rede über die mangelnde Unterstützung für die Justizreform erwog, unterzeichneten weit über 200 Richter ein Schreiben zu seiner Unterstützung.

(11)

     Aufgrund des Engagements des neuen Präsidenten des Obersten Kassationsgerichtshofs wurde diese Entwicklung noch beschleunigt.

(12)

     Im Zuge des letzten Verfahrens im Dezember 2015 intervenierte die Union bulgarischer Richter und kritisierte öffentliche Äußerungen des Kandidaten auf politischer Ebene. In diesem Zusammenhang erregten auch andere jüngere Entscheidungen des SJC Aufmerksamkeit, die als problematisch eingestuft wurden.

(13)

     COM(2015) 36 final, S. 5.

(14)

     Die beiden maßgeblichen Personen sind nicht mehr als Richter am Gericht tätig.

(15)

     Diese Vorkommnisse riefen erneut Bedenken wegen des Fehlens klarer Standards für Disziplinarentscheidungen des SJC hervor.

(16)

     Zwischen dem ehemaligen Präsidenten des Stadtgerichts Sofia und einem weiteren Richter; gegen beide wird derzeit strafrechtlich ermittelt.

(17)

   Unter anderen forderten die Union der Richter, der Justizminister und der Präsident des Obersten Kassationsgerichtshofs die Einleitung einer unabhängigen Untersuchung.

(18)

     Allerdings stellte der SJC am 14. Januar seine Ermittlungen unter strittigen Umständen ein. In einem offenen Brief kritisierte der Verband der Richter das Vorgehen wegen mangelnder Transparenz.

(19)

     Besonders problematisch sind in diesem Zusammenhang die aggressiven und polarisierenden Kampagnen einiger Medien, die häufig auf einzelne Richter und Staatsanwälte abzielen. Eine unausgewogene Medienberichterstattung im Zuge disziplinar- oder strafrechtlicher Ermittlungen stellt die Justizbehörden vor zusätzliche Herausforderungen.

(20)

     Für die zehn Posten wurden 20 Kandidaten benannt, von denen mehrere aus Justizkreisen oder von Berufsverbänden vorgeschlagen worden waren. Die endgültige Wahl durch die Nationalversammlung steht noch aus.

(21)

     Der neu geschaffene Rat für die Umsetzung der Strategie für die Justizreform dürfte ein nützliches Forum bieten, um diese und andere Initiativen voranzubringen sowie die Fortschritte bei vielen verschiedenen Aspekten dieser Strategie zu überwachen.

(22)

     COM(2015) 36, S. 12.

(23)

     Der Entwurf einer von einer früheren Regierung 2014 ausgearbeiteten Reform des Strafgesetzbuchs scheiterte, da er nicht den Erwartungen entsprach und die Nationalversammlung kurz nach seiner Vorlage aufgelöst wurde.

(24)

     Die Strategie der Regierung für die Justizreform sieht eine umfassendere Reform der Strafrechtspolitik vor, an der im Justizministerium bereits gearbeitet wird.

(25)

     Siehe den Abschnitt (auf S. 11) dieses Berichts, in dem darauf eingegangen wird, dass sich Straftäter durch Flucht der Justiz entziehen, sowie die Abschnitte 3.2 und 6.2 des Technischen Berichts.

(26)

     Es ist beispielsweise bezeichnend, dass Bulgarien in einigen grenzüberschreitenden Strafsachen viel langsamer als andere Mitgliedstaaten voranzukommen scheint.

(27)

     Systemic problem of ineffectiveness of investigations in Bulgaria  ECHR 070 (2015) .

(28)

     Die hohe Arbeitsbelastung führt zu Disziplinarmaßnahmen gegen Richter, wenn diese Schwierigkeiten haben, die vereinbarten Fristen einzuhalten. In einem Umfeld, in dem die Standards für Disziplinarmaßnahmen bisweilen als unklar empfunden werden, lässt dies Zweifel an der Unabhängigkeit aufkommen.

(29)

     Die jüngsten Spannungen bezüglich des Umfangs des Justizhaushalts haben dieses Thema in den Vordergrund gerückt, wobei das Finanzministerium einer Aufstockung des Haushalts für 2016 nur zustimmt, wenn zugesagt wird, dass Maßnahmen ergriffen werden, die in den kommenden Jahren zu einer besseren Haushaltsentwicklung führen.

(30)

     Viele Verfahren betreffen Verzögerungen bei der Durchführung vorgeschriebener Verfahrensschritte. In solchen Fällen wurde häufig auf die hohe Arbeitsbelastung verwiesen.

(31)

     Dabei handelt es sich um disziplinarrechtliche Vergehen nach Artikel 307 des Gerichtsverfassungsgesetzes.

(32)

     In einigen Fällen, die unter anderem in Zusammenhang mit EU-Geldern stehen, scheint die Staatsanwaltschaft gezögert zu haben, die Ermittlungen voranzubringen (Technischer Bericht, S. 24-25).

(33)

     Technischer Bericht, S. 18.

(34)

     Die Unzulänglichkeiten bei der Umsetzung der vorherigen bulgarischen Antikorruptionsstrategie werden in einer Analyse aufgezeigt, die die bulgarischen Behörden durchgeführt und Anfang 2015 abgeschlossen haben. Siehe COM(2015) 36, S. 7.

(35)

     Das Ausbleiben politischer Folgemaßnahmen und eine unzureichende Überwachung der Umsetzung wurden in der Vergangenheit als Probleme ermittelt, die die Korruptionsbekämpfung beeinträchtigen.

(36)

     Das neue Organ würde eng mit der für die Einziehung von Vermögenswerten zuständigen Kommission und der Staatsanwaltschaft zusammenarbeiten, aber auch über unabhängige administrative Untersuchungsbefugnisse verfügen. Darüber hinaus könnte es eine einheitlichere Reaktion auf Korruptionsvorwürfe gewährleisten, da ein einziges Organ die Aufgaben von drei bestehenden Gremien – der Kommission für Interessenkonflikte, des Antikorruptionszentrums (BORKOR) und der Bereiche der nationalen Auditstelle, die für die Überprüfung von Privatvermögenserklärungen zuständig sind – übernehmen würde.

(37)

     Die entsprechenden Anstrengungen kommen im Innenministerium voran, wo sie derzeit im Zuge einer allgemeinen Reform dieses Ministeriums umgesetzt werden.

(38)

     Ein Entwurf mit Änderungen des Gesetzes über die öffentliche Verwaltung, die die Inspektionen betreffen, soll bereits ausgearbeitet worden sein, ist der Nationalversammlung jedoch noch nicht zur Annahme vorgelegt worden.

(39)

     Diese Stelle ist aus zwei vorher bestehenden Stellen entstanden, die 2013 bzw. 2014 eingerichtet worden waren, um Straftaten von Richtern und Korruption auf lokaler Ebene zu untersuchen.

(40)

     Einschließlich der Fälle, die hochrangige Amtsträger wie Richter und Bürgermeister betreffen.

(41)

     Tendenziell werden aufsehenerregende Fälle, in denen den Betroffenen zunächst ein schwerwiegendes Fehlverhalten zur Last gelegt wurde, später fallen gelassen oder vor Gericht verschleppt, oder die Ermittlungen werden von der Staatsanwaltschaft mangels ausreichender Beweise oder aus Verfahrensgründen eingestellt.

(42)

     An möglichen Lösungen für diese Probleme, darunter eventuell Gesetzesänderungen, wird gearbeitet. Siehe Abschnitt 2.1.

(43)

     Ein kürzlich verübter Mord an einem Geschäftsmann war Anlass für einen scharf formulierten offenen Brief des Verbands der Arbeitgeber und Industriellen in Bulgarien: http://krib.bg/bg/news/Otvoreno-pismo-na-KRIB-do-Ministara-na-vatreshnite-raboti/.

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