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Document 52014AE2977

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die ökologische/biologische Produktion und die Kennzeichnung von ökologischen/biologischen Erzeugnissen sowie zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. XXX/XXX des Europäischen Parlaments und des Rates (Verordnung über amtliche Kontrollen) und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 834/2007 des Rates (COM(2014) 180 final — 2014/0100 (COD))

OJ C 12, 15.1.2015, p. 75–80 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

15.1.2015   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 12/75


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die ökologische/biologische Produktion und die Kennzeichnung von ökologischen/biologischen Erzeugnissen sowie zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. XXX/XXX des Europäischen Parlaments und des Rates (Verordnung über amtliche Kontrollen) und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 834/2007 des Rates

(COM(2014) 180 final — 2014/0100 (COD))

(2015/C 012/12)

Berichterstatter:

Armands KRAUZE

Das Europäische Parlament und der Rat beschlossen am 2. April 2014 bzw. am 28. April 2014, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 43 Absatz 2 und Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die ökologische/biologische Produktion und die Kennzeichnung von ökologischen/biologischen Erzeugnissen sowie zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. XXX/XX des Europäischen Parlaments und des Rates [Verordnung über amtliche Kontrollen] und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 834/2007 des Rates

COM(2014) 180 final — 2014/0100 (COD).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 2. Oktober 2014 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 502. Plenartagung am 15./16. Oktober 2014 (Sitzung vom 16. Oktober) mit 61 Stimmen bei 5 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt den Legislativvorschlag der Europäischen Kommission, durch den die Entwicklung der ökologischen/biologischen Landwirtschaft in Europa parallel zur Nachfrageentwicklung gefördert werden soll, und teilt die Auffassung, dass die Unzulänglichkeiten des derzeitigen Systems behoben werden müssen. Die Kommission muss die Entwicklung der ökologischen Landwirtschaft und das Vertrauen der Verbraucher in biologische Erzeugnisse fördern.

1.2

Der EWSA befürchtet jedoch, dass in der Folgenabschätzung der Kommission die Auswirkungen der neuen Regelung auf die weitere Entwicklung des Öko-Landbaus in Europa nicht hinreichend erfasst werden. Dies gilt auch für die Auswirkungen auf die Öko-Landwirte und die Kontinuität der Produktion.

1.3

Der EWSA unterstützt die Absicht der Kommission, kleine landwirtschaftliche Betriebe in die ökologische Landwirtschaft einzubeziehen und den Verwaltungsaufwand in der gesamten Erzeugungskette für ökologische Erzeugnisse zu senken.

1.4

Die EU ist ein Nettoimporteur ökologischer Erzeugnisse, denn die steigenden Erzeugerkosten und der Verwaltungsaufwand, die auf den Landwirten in der EU lasten, gestatten es nicht, die ökologische Erzeugung in den EU-Mitgliedstaaten so auszudehnen, dass die wachsende Nachfrage gedeckt werden kann.

1.5

Der EWSA befürwortet im Großen und Ganzen das anvisierte Ziel der Kommission einer kompletten Umstellung von bisherigen betrieblichen Mischformen auf den ökologischen Landbau, spricht sich jedoch für Ausnahmeregelungen in bestimmten Fällen aus. Es sind weitere unterstützende Maßnahmen erforderlich, um den Landwirten den Übergang zu einer rein ökologischen Bewirtschaftung zu erleichtern.

1.6

Der EWSA ersucht die Europäische Kommission, den Verordnungsvorschlag in Bezug auf Vermehrungs- und Saatgut nachzubessern, weil es für viele Öko-Landwirte schwierig sein wird, bis 2021 ausschließlich ökologische Saaten einzusetzen.

1.7

Der EWSA erwartet, dass in den Verhandlungen über die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) sowie im Rahmen anderer Abkommen weder die in der EU für die ökologische Landwirtschaft geltenden Standards untergraben noch die Vorschriften für die Vermarktung und Zertifizierung zur Disposition gestellt bzw. geändert werden.

1.8

In der ökologischen Landwirtschaft müssen in vielen Bereichen höhere Standards für das Tierwohl eingehalten werden als in der konventionellen Landwirtschaft, aber in bestimmten Fällen können die ökologischen Erzeuger die hohen Anforderungen u.U. nur schwer einhalten. Der EWSA empfiehlt der Kommission, nach sorgfältiger Abwägung etwaige Ausnahmen von den speziellen Anforderungen festzulegen, die im Hinblick auf die artgerechte Tierhaltung in der ökologischen Landwirtschaft gelten, damit traditionelle, seit langem praktizierte Verfahren und Methoden der Haltung lokaler Rassen weiterbestehen können.

1.9

Der EWSA empfiehlt der Kommission, die traditionellen, historischen und klimatischen Unterschiede zwischen den EU-Mitgliedstaaten und Regionen sowie die nationalen Besonderheiten der Erzeugung zu analysieren und zu berücksichtigen, um Ausnahmeregelungen flexibel handhaben zu können, während gleichzeitig ein gewisses Maß an Harmonisierung gewährleistet sein sollte.

1.10

Daher müssen die Erzeuger nach dem Inkrafttreten der neuen Regelung, in der Mitte der Finanzierungsperiode 2014-2020 für die Programme zur Entwicklung des ländlichen Raums, entscheiden können, ob sie die bestehenden Verpflichtungen weiterführen oder neue Verpflichtungen entsprechend der neuen Regelung eingehen. Es muss sichergestellt sein, dass Änderungen am bestehenden Rechtsrahmen während eines laufenden Vertragszeitraums nicht rückwirkend Sanktionen gegen diejenigen Landwirte zur Folge haben, die sich nicht an die geänderten Anforderungen anpassen können.

1.11

Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, der Besonderheit der europäischen Gebiete in äußerster Randlage Rechnung zu tragen, damit sie eine lokale ökologische Landwirtschaft entwickeln können (Zugang zu Saatgut, unzureichend diversifizierte Versorgung, Gesundheitsprobleme).

1.12

Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, den Status des Gelée Royale, des Pollens und des Bienenwachses zu klären, indem sie in die Liste der anderen Erzeugnisse in Anhang I des Entwurfs der Verordnung über die ökologische Landwirtschaft aufgenommen werden.

1.13

Der EWSA ersucht die Europäische Kommission, eine angemessene Unterstützung für Innovationen und Bildung im Bereich der biologischen Landwirtschaft bereitzustellen und dabei der Berufsausbildung der Junglandwirte und der lebenslangen Weiterbildung der landwirtschaftlichen Erzeuger eine besondere Aufmerksamkeit zu widmen.

1.14

Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, einen Verordnungsvorschlag auszuarbeiten, in dem Direktverkauf und kurze Vertriebswege für ökologische Erzeugnisse gefördert werden.

1.15

Der EWSA fordert die Europäische Kommission außerdem auf, in dieser Verordnung die notwendigen Maßnahmen zur Förderung der öffentlichen und kollektiven Anschaffung ökologischer Lebensmittel in Schulen, Krankenhäusern und sonstigen öffentlichen Einrichtungen zu erleichtern.

2.   Hintergrund

Allgemeine Bemerkungen zu den Standpunkten der Interessenträger

2.1

Öko- oder Bio-Landbau ist die Bewirtschaftung natürlicher Ressourcen im Rahmen eines ganzheitlichen Produktionssystems, bei dem die Verwendung chemisch-synthetischer Pflanzenschutzmittel stark reglementiert ist, auf die Verwendung von Mineraldünger verzichtet wird und der Einsatz gentechnisch veränderter Organismen (GVO) verboten ist.

2.2

Öko-Landbau beschränkt sich nicht auf eine bestimmte Erzeugungs- oder Herstellungsmethode bestimmter Produkte, sondern fügt sich in ein umfassenderes Konzept ein. Öko-Landbau trägt sowohl den Standortgegebenheiten als auch den sozialen Bedingungen Rechnung. Es handelt sich um eine Form der Erzeugung, die auf einer weitaus umfassenderen Vision beruht, in der auch die sozioökonomische, die politische und die soziokulturelle Dimension berücksichtigt werden.

2.3

In ökologisch bewirtschafteten Gebieten gibt es gewöhnlich eine größere biologische Vielfalt, d. h. mehr Pflanzen- und Insektenarten als in der konventionellen Landwirtschaft. Ökologisch bewirtschaftete Böden beherbergen viel mehr Organismen, die dazu beitragen, die Struktur des Bodens und einen hohen Gehalt an organischem Material zu bewahren, was die Belüftung und Entwässerung des Bodens begünstigt.

2.4

Die Wasserqualität in der Näher solcher Landwirtschaftsbetriebe ist höher, weil im ökologischen Landbau auf schädliche synthetische Pestizide und Mineraldünger verzichtet wird. Die richtige Fruchtfolge hilft, die Fruchtbarkeit des Bodens und die Wirkung der Nährstoffe zu verbessern. Der Vergleich der landwirtschaftlichen Arbeitsweisen ergibt, dass die Nitrat-Ausschwemmung auf einem Hektar ökologisch bewirtschafteter Fläche um 57 % niedriger ist.

2.5

Durch die ökologische Landwirtschaft entstehen „grüne“ Arbeitsplätze. Bei einer Untersuchung der Beschäftigungsverhältnisse in der ökologischen Landwirtschaft im Vereinigten Königreich und in Irland im Jahre 2011 wurde festgestellt, dass es in der ökologischen Landwirtschaft 135 % mehr Vollzeitbeschäftigte gibt als in der konventionellen Landwirtschaft (1).

2.6

Im Rahmen der von der Kommission 2013 durchgeführten Online-Konsultation betonten die Interessenträger, dass die geplante Revision der Rechtsvorschriften in diesem Bereich bei den Erfolgen des geltenden Rechts ansetzen und auf die Fortentwicklung des Öko-Landbaus in der EU abheben sollte. Von den seitens der Kommission vorgeschlagenen Szenarien bevorzugten die Interessenträger mehrheitlich die politische Lösung, die auf die Verbesserung des Status quo durch eine bessere Durchsetzung und Anpassung der derzeitigen Rechtsvorschriften abzielt.

2.7

Die Europäische Kommission hat einen Legislativvorschlag vorgelegt, der erhebliche Änderungen beinhaltet; dabei wurden die Standpunkte der Interessenträger und der Zivilgesellschaft zu den neuen Vorschriften allerdings nicht berücksichtigt.

Allgemeine Bemerkungen zu den Rechtsetzungsinitiativen der Kommission

2.8

Der Vorschlag der Kommission konzentriert sich auf drei Hauptziele: Wahrung des Vertrauens der Verbraucher, Wahrung des Vertrauens der Erzeuger und vereinfachte Umstellung landwirtschaftlicher Betriebe auf die ökologische Erzeugung.

2.9

Die Kommission schlägt vor, die Vorschriften (sowohl in der EU als auch für Importerzeugnisse) durch die Beseitigung zahlreicher Ausnahmeregelungen für die Erzeugung und Kontrolle zu stärken und zu harmonisieren, der internationalen Dimension des Handels mit Öko-Erzeugnissen durch neue Ausfuhrbestimmungen besser Rechnung zu tragen und die Wirksamkeit und Effizienz der Kontrollen durch Einführung eines risikobasierten Ansatzes zu verbessern.

2.10

Ein Hauptziel der Kommission ist es, Kleinlandwirten die Umstellung auf den Öko-Landbau durch Einführung einer Gruppenzertifizierung zu erleichtern und Rechtsvorschriften zu vereinfachen, um die Verwaltungskosten für die Landwirte zu senken und die Transparenz zu erhöhen.

3.   Allgemeine und besondere Bemerkungen

3.1

Der EWSA begrüßt, dass die Unzulänglichkeiten des derzeitigen Systems behoben werden sollen. Zum Beispiel ist es notwendig, die kleinen Landwirtschaftsbetriebe in die ökologische Landwirtschaft einzubeziehen und die Verwaltungslasten abzubauen, um gleiche Wettbewerbsbedingungen zu gewährleisten und das Vertrauen der Verbraucher in die ökologische Landwirtschaft zu stärken.

3.2

Durch höhere Qualitätsstandards für ökologische Erzeugnisse und strengere Vorschriften für die Erzeugung kann das Vertrauen der Verbraucher gestärkt und der Preisunterschied zu Erzeugnissen aus konventioneller Landwirtschaft gerechtfertigt werden. Allerdings ist zu bedenken, dass kleine Betriebe bei der Erfüllung dieser Standards mit wirtschaftlichen Schwierigkeiten konfrontiert sein können.

3.3

Der EWSA fordert die Kommission auf, klar darzulegen, dass die wichtigsten Themen, die heute von der geltenden Verordnung erfasst werden, auch in die neue Verordnung — und nicht in die delegierten Rechtsakte — aufgenommen werden und weiterhin Gültigkeit haben. In Konsultation mit den interessierten Kreisen muss sie rechtzeitig prüfen, in welchen Fällen Umsetzungsakte und in welchen delegierte Rechtsakte erforderlich sind.

3.4

Der EWSA weist darauf hin, dass der ökologische Landbau weder mit der Nutzung gentechnisch veränderter Produkte in der Erzeugung noch mit dem Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen in ökologischen Betrieben oder in deren Nähe vereinbar ist.

3.5

Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, den wissenschaftlichen Erkenntnissen über Blütenbestäubung Rechnung zu tragen. Durch den Fernflug der Bestäuber, insbesondere der Honigbiene (Apis Mellifera), erfolgt die zufällige Übertragung von Blütenstaub. Dieser über die Jahrmillionen entstandene Mechanismus sichert die Bestäubung der Blüten — heute übertragen die Bestäuber allerdings auch Blütenstaub mit modifizierten Genen. Wissenschaftliche Untersuchungen (2) haben z. B. ergeben, dass die Honigbiene, die zu den bedeutendsten bestäubenden Tierarten zählt, bis zu 14 km zurücklegt.

3.6

Der EWSA befürchtet, dass den Landwirten durch die Einführung gesonderter Grenzwerte für Produkte des Ökologischen Landbaus, wie es insbesondere unter Berücksichtigung der Richtlinie 2006/125/EG vorgesehen ist, erhebliche zusätzliche Kosten entstehen können. Damit würde eine gedeihliche Entwicklung des Sektors behindert oder verhindert, betroffen wären voran die kleineren Erzeuger des Ökologischen Landbaus. Der EWSA geht davon aus, dass ökologische Landwirte genau wie alle anderen Landwirte den gleichen Umweltbedingungen ausgesetzt sind. Deshalb sollte auf gesonderte Grenzwerte verzichtet werden. Verbraucherschutz sollte nicht zweigeteilt werden.

3.7

Der EWSA unterstreicht, dass Erzeugnisse der ökologischen Landwirtschaft im Wesentlichen niedrigere Rückstandsmengen aufweisen als Erzeugnisse aus der konventionellen Landwirtschaft, dass der zulässige Rückstandshöchstwert jedoch bislang nicht festgelegt wurde. Daher empfiehlt der EWSA, als Ausgangspunkt eine sorgfältige Prüfung einschließlich einer Folgenabschätzung durchzuführen. Darüber hinaus betont der EWSA, dass es auf EU-Ebene keine einheitlichen Regeln für Laborausrüstungen in Europa, die eingesetzten Methoden oder die von den Zertifizierungsstellen für die Aberkennung der Zertifizierung angewandten Schwellenwerte gibt. Diese Harmonisierung sollte als Voraussetzung für jegliche andere Form der Festlegung eines europäischen Schwellenwerts für die Aberkennung der Zertifizierung gegeben sein. Diese Initiative muss unbedingt mit der Einführung eines europäischen Mechanismus für Entschädigungs-/Ausgleichszahlungen einhergehen, die Erzeuger erhalten, die aufgrund zufälliger oder sekundärer Kontamination Verluste erleiden.

3.8

Generell kann der EWSA das Ziel einer kompletten Umstellung auf den ökologischen Landbau nachvollziehen. Allerdings gibt es gegenwärtig häufig Mischformen aus konventioneller und biologischer Landwirtschaft. Dem Legislativvorschlag zufolge sollen diese Mischformen bis 2017 schrittweise abgeschafft werden. Der EWSA verweist darauf, dass eine komplette Umstellung für viele landwirtschaftliche Betriebe problematisch sein wird. Darüber hinaus ist völlig unklar, wie sich eine strikte Umsetzung dieses Grundsatzes auswirken würde. Eine strategische Aufspaltung der Betriebe bzw. eine verstärkte Aufgabe der ökologischen Erzeugung wäre eher kontraproduktiv. Daher empfiehlt der EWSA in bestimmten Fällen weiterhin eine gewisse Flexibilität.

3.9

Der EWSA empfiehlt, in bestimmten Fällen Ausnahmen zu gewähren, um eine parallele Erzeugung (Betriebe, die zugleich konventionelle und ökologische Landwirtschaft betreiben) beibehalten zu können. Werden keine Ausnahmeregelungen geschaffen, könnte dies die Entwicklung der ökologischen Landwirtschaft bremsen. In den folgenden Fällen müssen Ausnahmeregelungen beibehalten werden: 1) bei wissenschaftlichen Einrichtungen, die sowohl im Bereich der ökologischen als auch der konventionellen Landwirtschaft forschen; 2) im Non-Food-Bereich sollte zum Beispiel einem im Agrotourismus tätigen ökologischen Betrieb gestattet sein, konventionelle Reitpferde zu halten; 3) zur Selbstversorgung, zum Beispiel in Ackerbaubetrieben, in denen sich die Landwirte Kühe oder Hühner für den Eigenbedarf halten; 4) bei Betrieben mit unterschiedlichen geografischen Standorten, zum Beispiel wenn sich ein Teil der landwirtschaftlich genutzten Flächen und Gebäude in den Bergen und ein anderer im Tal befindet oder auch wenn zwei Betriebe, die sich schon vor langer Zeit zusammengeschlossen haben, mehrere Dutzend Kilometer voneinander entfernt sind, wodurch sichergestellt wird, dass die biologische Produktion nicht durch die konventionelle verunreinigt wird; 5) bei Dauerkulturen, insbesondere beim Obstanbau, beim Weinbau oder bei Parfümpflanzen usw.; 6) bei Kulturen ohne Absatzchancen in der ökologischen Landwirtschaft.

3.10

In der ökologischen Landwirtschaft müssen verglichen mit der konventionellen Landwirtschaft in vielen Bereichen höhere Standards für das Tierwohl eingehalten werden. Der EWSA empfiehlt der Kommission, nach sorgfältiger Prüfung der für die biologischen Erzeuger festgelegten besonderen Anforderungen etwaige Ausnahmen von den im Hinblick auf die artgerechte Tierhaltung in der ökologischen Landwirtschaft geltenden spezifischen Verboten (Kupieren von Schwänzen, Tierhaltung in Anbindung usw.) vorzusehen. So sind in mehreren EU-Mitgliedstaaten nach vielen Jahren der Selektion traditionelle Schafrassen entstanden, bei denen die Schwänze gekürzt werden müssen, da anderenfalls die Tiere unter dem langen Schwanz leiden. Der EWSA weist darauf hin, dass die Einführung bestimmter Verbote und das Fehlen von Ausnahmeregelungen zu einer Verschlechterung des Tierwohls führen können, wenn nicht die bereits seit langem praktizierten Verfahren und Haltungsmethoden für lokale Rassen angewandt werden. Ein Verbot kann dazu führen, dass bestimmte Rassen nicht mehr gezüchtet werden, was ein großer Verlust an genetischen Ressourcen wäre.

3.11

Die Ausnahmeregelung für den Einsatz herkömmlicher unbehandelter Saaten wird bis 2021 nach und nach auslaufen. Die Verbände des ökologischen Landbaus berichten, dass es in vielen Ländern für Landwirte, die spezifische Arten anbauen, schwierig sein wird, bis 2021 über ausschließlich ökologische Saaten zu verfügen. Um den Schwierigkeiten der ökologischen Landwirte in diesem Bereich vorzubeugen, fordert der EWSA die Kommission auf, den Verordnungsvorschlag weiter auszuarbeiten, Ausnahmeregelungen jedoch nur für die Kulturpflanzen festzulegen, für die auf dem Markt keine den lokalen Klimaverhältnissen und Bedingungen angepassten Saaten erhältlich sind.

3.12

Die Kommission muss zur Verwirklichung dieses Ziels Unterstützungsmechanismen für die Entwicklung der Erzeugung biologischen Saatguts vorsehen und die Regelung durch Bestimmungen ergänzen, die erfüllt sein müssen, um dieses Ziel — die ausschließliche Verwendung ökologischen Saatguts und vegetativen Vermehrungsmaterials in der ökologischen Landwirtschaft — zu erreichen. Auch anderen Aspekten des Markts für ökologische Saaten muss besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden.

3.13

So darf das Recht der Landwirte, untereinander Saaten auszutauschen, nicht beschnitten werden. Dies ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, Saaten mit 100 %ig biologischer Herkunft zu gewinnen. Dieser Austausch ist für die Auswahl, die die Landwirte auf lokaler Ebene treffen, unerlässlich. Dank dieser Auslese können die Landwirte die Sorten an die lokalen Klimabedingungen einer konkreten Region anpassen und ohne den Einsatz mineralischer Dünger oder Pestizide sowie unter Berücksichtigung der historischen und klimatischen Unterschiede und der nationalen Besonderheiten bei der Erzeugung anbauen.

3.14

Der EWSA hebt die Bedeutung hervor, die den nicht im Sortenregister eingetragenen Ökotypen der lokalen Sorten und Kulturpflanzen bei der ökologischen Erzeugung zukommt. Es wäre zweckdienlich, die Rolle der Landwirte bei der Saatguterzeugung und der Erforschung neuer Sorten zu stärken. Eines der wichtigsten angeführten Argumente ist der Mangel an ökologischem Saatgut, insbesondere an Gemüsesaatgut. In der konventionellen Landwirtschaft liegt der Schwerpunkt auf Erzeugnissen, die für den Weltmarkt von Interesse sind, d. h. auf Hybridsorten, die weltweit genutzt werden und Eigentum multinationaler Konzerne sind. Sie werden bekanntermaßen auf konventionelle Weise angebaut und sind nicht in der ökologischen Erzeugung einsetzbar.

3.15

Das neue EU-Öko-Siegel ist noch relativ unbekannt. Nationale Bio-Siegel sind wichtig für die Verbraucher und sollten beibehalten werden. Daher empfiehlt der EWSA, den Mitgliedstaaten die Festlegung strengerer Anforderungen sowie die Aufstellung nationaler oder privater Standards für nicht in die Verordnung aufgenommene Tierarten (z. B. Rotwild, Wachteln und Wildschweine) zu gestatten, auch für die Gastronomie.

3.16

Der EWSA teilt die Ansicht, dass strengere Kontrollen für Erzeugnisse aus Drittstaaten erforderlich sind, um ihre Konformität mit den EU-Anforderungen zu überprüfen. Einfuhrkontrollen können dadurch verbessert werden, dass die Anerkennung von Kontrollstellen in Drittländern künftig von Konformität und nicht von Gleichwertigkeit abhängig gemacht wird. Allerdings sind die potenziellen negativen Folgen der Verlagerung von Gleichwertigkeitsregelungen auf Konformität für die Öko-Märkte in den EU-Mitgliedstaaten noch nicht umfassend geprüft worden. Die Einführung neuer Einfuhrbestimmungen in Japan beispielsweise führte 2001 zu einem Einbruch auf dem einheimischen Öko-Markt. Eine gründlichere Folgenabschätzung tut Not.

3.17

Hinsichtlich des Handels und der Abkommen mit Drittstaaten muss nach Ansicht des EWSA dafür gesorgt werden, dass die für den Export in die EU bestimmten Erzeugnisse dieselben hohen Standards erfüllen, wie sie für die ökologische Erzeugung in der EU gelten. Der EWSA befürwortet die Einführung elektronischer Bescheinigungen für Erzeugnispartien unter Verwendung sicherer Datenbanken, die es den Mitgliedstaaten ermöglichen, im Falle eines Verstoßes rasch zu reagieren, indem sie nicht konforme Produkte aus dem Verkehr ziehen.

3.18

Der EWSA geht davon aus, dass in den Verhandlungen über die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) die in der EU für die ökologische Landwirtschaft geltenden Standards nicht untergraben werden dürfen und dass die bestehenden Vorschriften für die Vermarktung und Zertifizierung von Erzeugnissen aus ökologischer Landwirtschaft nicht zur Disposition gestellt bzw. geändert werden.

3.19

Die ökologische Landwirtschaft ist eine verfahrensgeprägte Erzeugungsmethode, weshalb sie sich nicht durch Enderzeugnisse charakterisieren lässt, die einem oder mehreren festgelegten Standards entsprechen. Es ist wichtig, dass die Kontrollen auch künftig verfahrensbezogen bleiben.

3.20

Der EWSA befürwortet die Beibehaltung jährlicher Kontrollen in den Betrieben und ist der Ansicht, dass sie auf dem Grundsatz der Risikoabschätzung fußen müssen und dass dieser Ansatz auf EU-Ebene harmonisiert werden sollte. Die Kontrollkosten müssen verhältnismäßig sein, um die Ausgaben für ökologische Erzeuger nicht zu erhöhen und gleichzeitig zu gewährleisten, dass die Verbraucher die Erzeugnisse des ökologischen Landbaus zu angemessenen Preisen erwerben können. Sofern sich ein risikobasierter Kontrollansatz als sicher und für das Kontrollsystem als verlässlich erweist, könnte der Zeitraum zwischen den Kontrollen in den Betrieben allerdings angepasst werden.

3.21

Der EWSA befürwortet die im Kommissionsvorschlag vorgesehene Einführung einer Gruppenzertifizierung für Kleinlandwirte, um die Kontroll- und Zertifizierungskosten für kleine Betriebe und den damit verbundenen Verwaltungsaufwand zu verringern und gleiche Wettbewerbsbedingungen gegenüber Erzeugern aus Drittländern zu gewährleisten. Gleichzeitig weist der EWSA darauf hin, dass dies ein kompliziertes Unterfangen ist, dessen Umsetzung schrittweise konkret ausgestaltet werden muss.

3.22

Der EWSA hält es für nicht zweckdienlich, die gesetzlich vorgesehene Möglichkeit abzuschaffen, Einzelhändlern eine Ausnahmeregelung zu gewähren, da infolgedessen Handelsunternehmen, die vorverpackte ökologische Erzeugnisse verkaufen, künftig zertifiziert werden müssen. Durch diese Anforderung wird der Handel mit ökologischen Erzeugnissen beeinträchtigt, die Zahl der Verkaufsstellen gesenkt und der Zugang der Verbraucher zu diesen Erzeugnissen erschwert. So könnten beispielsweise kleine Geschäfte davon absehen, Mittel in eine Bescheinigung für den Handel mit ökologischen Erzeugnissen zu investieren, um in der Saison einige wenige ökologische Produkte zu verkaufen. Hierdurch werden die Absatzchancen der biologischen Erzeuger erheblich beeinträchtigt.

3.23

Der EWSA weist auf die Notwendigkeit hin, EU-weit Maßnahmen im Bereich der Marktüberwachung zu ergreifen, um Informationen über die Verfügbarkeit der verschiedenen Erzeugnisse auf dem EU-Markt und über die Markttendenzen zu erheben, unter anderem über die Verfügbarkeit biologischen Saatguts in den verschiedenen Mitgliedstaaten.

3.24

Der EWSA begrüßt die Absicht der Kommission zur Ausarbeitung eines Aktionsplans für die Zukunft der ökologischen Erzeugung in der Europäischen Union und dessen Ziele, merkt jedoch an, dass der Plan sehr allgemein und unvollständig ist. Es ist notwendig, die Maßnahmen im Aktionsplan der Kommission klar und deutlich zu definieren. So gibt es zum Beispiel Tätigkeitsfelder, zu denen die Kommission lediglich Anregungen, Empfehlungen, Beistand, Erwägungen oder Ermunterungen ausspricht, während die Landwirte und die Gesellschaft konkretes Handeln erwarten.

3.25

Der EWSA vertritt die Auffassung, dass es eine Priorität im Aktionsplan sein müsste, die Koexistenz der Landwirtschaftsbetriebe, die ökologisch oder konventionell bzw. mit genetisch modifizierten Pflanzen arbeiten, zu gewährleisten, um so das Risiko einer Verunreinigung durch GMO zu verringern. Nur durch die frühzeitige Kommunikation untereinander, die Erörterung der Probleme und die Suche nach Lösungen können Ergebnisse erzielt und die Koexistenz der verschiedenen Tätigkeitsbereiche gesichert werden. Der EWSA empfiehlt der Kommission, die entsprechenden Mittel bereitzustellen, um die betroffenen Kreise zu informieren und sie in den Beschlussfassungsprozess einzubinden.

3.26

Die Wettbewerbsfähigkeit der ökologischen Landwirtschaft und die Menge der ökologischen Erzeugnisse werden nur durch die im Aktionsplan vorgesehene stärkere Sensibilisierung für EU-Instrumente, die auf die ökologische Erzeugung abzielen, nicht zunehmen. Der EWSA empfiehlt, mit EU-finanzierten Kampagnen für mehr Wissen über das System der ökologischen Landwirtschaft als Ganzes wie auch über das Siegel der neuen ökologischen Landwirtschaft in der EU zu sorgen.

3.27

Der EWSA hält es für angezeigt, dass die Europäische Kommission die fachliche Ausbildung der Nachwuchskräfte, das lebenslange Lernen und Innovationen in der biologischen Landwirtschaft stärker unterstützt und dabei die Möglichkeiten der Programme zur Entwicklung des ländlichen Raums und anderer EU-Programme im Auge behält. Der EWSA empfiehlt der Kommission, die Rechtsetzung und die einschlägigen Programme zu ergänzen und dadurch den Berufsschulen, Berufskollegs und sonstigen Bildungseinrichtungen die Möglichkeit zu geben, Fördermittel für Bildung und Innovationen in der ökologischen Landwirtschaft zu erhalten.

3.28

Überdies erweist sich der Öko-Landbau gerade für junge Menschen als einer der wichtigsten Zugänge zur Landwirtschaft. Die Entwicklung der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien und die Eingliederung junger Menschen aus den Großstädten mittels Öko-Landbau eröffnen hervorragende Perspektiven für die Entwicklung dieser Branche zu einem Innovationsmotor in benachteiligten Gebieten.

Brüssel, den 16. Oktober 2014

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  Morison, J., Hine, R. and Pretty, J., 2005. Survey and Analysis of Labour on Organic Farms in the UK and Republic of Ireland. International Journal of Agricultural Sustainability Volume 3 (1).

(2)  Displaced honey bees perform optimal scale-free search flights Andrew M. Reynolds, Alan D. Smith, Randolf Menzel, Uwe Greggers, Donald R. Reynolds, und Joseph R. Riley, Rothamsted Research, Harpenden, Hertfordshire AL5 2JQ Vereinigtes Königreich, Freie Universität Berlin, FB Biologie/Chemie/Pharmazie, Institut für Biologie — Neurobiologie, Königin-Luise-Str. 28/30, 14195 Berlin, Deutschland, Natural Resources Institute, Universität von Greenwich, Chatham, Kent ME4 4TB, Vereinigtes Königreich

Ecology, 88(8), 2007, S. 1955-1961.


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