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Document 62022TJ0104

    Urteil des Gerichts (Neunte erweiterte Kammer) vom 10. Juli 2024.
    Ungarn gegen Europäische Kommission.
    Zugang zu Dokumenten – Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 – Dokumente im Zusammenhang mit dem an die Kommission gerichteten Schriftverkehr der ungarischen Behörden betreffend den Entwurf eines von der Union im Rahmen der Europäischen Struktur- und Investitionsfonds kofinanzierten Aufrufs zur Einreichung von Vorschlägen – Aus einem Mitgliedstaat stammende Dokumente – Widerspruch des Mitgliedstaats – Ausnahme zum Schutz des Entscheidungsprozesses – Begriff ‚Dokument, das sich auf eine Angelegenheit bezieht, in der das Organ noch keinen Beschluss gefasst hat‘ – Begründungspflicht – Loyale Zusammenarbeit.
    Rechtssache T-104/22.

    ECLI identifier: ECLI:EU:T:2024:467

    Vorläufige Fassung

    URTEIL DES GERICHTS (Neunte erweiterte Kammer)

    10. Juli 2024(*)

    „ Zugang zu Dokumenten – Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 – Dokumente im Zusammenhang mit dem an die Kommission gerichteten Schriftverkehr der ungarischen Behörden betreffend den Entwurf eines von der Union im Rahmen der Europäischen Struktur- und Investitionsfonds kofinanzierten Aufrufs zur Einreichung von Vorschlägen – Aus einem Mitgliedstaat stammende Dokumente – Widerspruch des Mitgliedstaats – Ausnahme zum Schutz des Entscheidungsprozesses – Begriff ‚Dokument, das sich auf eine Angelegenheit bezieht, in der das Organ noch keinen Beschluss gefasst hat‘ – Begründungspflicht – Loyale Zusammenarbeit “

    In der Rechtssache T‑104/22,

    Ungarn, vertreten durch M. Fehér und G. Koós als Bevollmächtigte,

    Kläger,

    gegen

    Europäische Kommission, vertreten durch C. Ehrbar, A. Spina und A. Tokár als Bevollmächtigte,

    Beklagte,

    erlässt

    DAS GERICHT (Neunte erweiterte Kammer)

    unter Mitwirkung des Präsidenten L. Truchot, der Richter H. Kanninen, E. Buttigieg und M. Sampol Pucurull (Berichterstatter) sowie der Richterin T. Perišin,

    Kanzler: A. Juhász-Tóth, Verwaltungsrätin,

    aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

    aufgrund des Beschlusses vom 8. Juni 2022, Ungarn/Kommission (T‑104/22 R, nicht veröffentlicht, EU:T:2022:351), mit dem der Präsident des Gerichts dem Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz stattgegeben und die Kostenentscheidung vorbehalten hat,

    auf die mündliche Verhandlung vom 11. Oktober 2023

    folgendes

    Urteil

    1        Mit seiner Klage nach Art. 263 AEUV beantragt Ungarn die Nichtigerklärung des Beschlusses der Europäischen Kommission vom 14. Dezember 2021, mit dem einem antragstellenden Dritten gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission (ABl. 2001, L 145, S. 43) Zugang zu dem an die Kommission gerichteten Schriftverkehr der ungarischen Behörden betreffend den Entwurf eines Aufrufs zur Einreichung von Vorschlägen gewährt wurde (im Folgenden: angefochtener Beschluss).

     Vorgeschichte des Rechtsstreits

    2        Die Kommission hat im Rahmen der Programmplanung für die Europäischen Struktur- und Investitionsfonds (im Folgenden: ESI‑Fonds) für den Zeitraum vom 1. Januar 2014 bis zum 31. Dezember 2023 das operationelle Programm zur Entwicklung der Humanressourcen zur Deinstitutionalisierung von Menschen mit Behinderungen, die derzeit in Einrichtungen in Ungarn leben (EFOP), auf Vorschlag Ungarns gemäß der Verordnung (EU) Nr. 1303/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2013 mit gemeinsamen Bestimmungen über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds, den Kohäsionsfonds, den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums und den Europäischen Meeres- und Fischereifonds sowie mit allgemeinen Bestimmungen über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds, den Kohäsionsfonds und den Europäischen Meeres- und Fischereifonds und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1083/2006 des Rates (ABl. 2013, L 347, S. 320, berichtigt in ABl. 2016, L 200, S. 140) angenommen.

    3        Im Rahmen des oben genannten operationellen Programms erstellte die von den ungarischen Behörden für die Durchführung dieses Programms benannte Verwaltungsbehörde einen Entwurf eines Aufrufs zur Einreichung von Vorschlägen mit der Codenummer „EFOP 2.2.5“ und dem Titel „Verbesserung des Übergangs von der Pflege im Heim zu gemeindenahen Diensten – Ersetzung der institutionellen Unterbringung bis 2023“ (im Folgenden: Aufruf zur Einreichung von Vorschlägen EFOP 2.2.5).

    4        Am 30. April 2021 wurde bei der Kommission ein Antrag mit dem Aktenzeichen GESTDEM 2021/2808 auf Zugang zum gesamten offiziellen Schriftverkehr zwischen der Kommission und den ungarischen Behörden betreffend den Aufruf zur Einreichung von Vorschlägen EFOP 2.2.5 gemäß der Verordnung Nr. 1049/2001 gestellt.

    5        Von den elf Dokumenten, die nach den Angaben der Kommission in den Bereich des Antrags auf Zugang fielen, stammten fünf von den ungarischen Behörden, nämlich die folgenden Dokumente:

    –        eine E‑Mail der ungarischen Behörden vom 11. März 2020, Aktenzeichen Ares (2021) 3279157, mit zwei Anhängen;

    –        ein Schreiben der ungarischen Behörden an die Kommission vom 19. Juni 2020, Aktenzeichen Ares (2020) 3193726;

    –        ein Schreiben der ungarischen Behörden an die Kommission vom 6. August 2020, Aktenzeichen Ares (2020) 4141947;

    –        ein Schreiben der ungarischen Behörden an die Kommission vom 5. Januar 2021, Aktenzeichen Ares (2021) 401802;

    –        ein Schreiben der ungarischen Behörden an die Kommission vom 14. April 2021, Aktenzeichen Ares (2021) 2528382.

    6        Im Rahmen des Konsultationsverfahrens nach Art. 4 Abs. 4 und 5 der Verordnung Nr. 1049/2001 teilten die ungarischen Behörden der Kommission mit Schreiben vom 28. Mai 2021 mit, dass sie auf der Grundlage der in Art. 4 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1049/2001 vorgesehenen Ausnahme der Gewährung des Zugangs zu den von ihnen stammenden Dokumenten widersprächen. Die ungarischen Behörden wiesen darauf hin, dass, da der Entscheidungsprozess betreffend den Aufruf zur Einreichung von Vorschlägen EFOP 2.2.5 noch nicht abgeschlossen sei, die Verbreitung dieser Dokumente in diesem Stadium die Grundsätze der Gleichbehandlung, der Nichtdiskriminierung und der Transparenz ernstlich beeinträchtigen würde, da potenzielle Begünstigte Zugang zu Informationen erlangen könnten, die geeignet seien, ihnen einen unlauteren Wettbewerbsvorteil zu verschaffen.

    7        Am 16. Juni 2021 gewährte die Kommission dem antragstellenden Dritten vorbehaltlich des Schutzes personenbezogener Daten Zugang zu sechs der elf Dokumente, die als vom Antrag auf Offenlegung erfasst identifiziert wurden, verweigerte ihm jedoch den Zugang zu den fünf von den ungarischen Behörden stammenden Dokumenten gemäß der in Art. 4 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1049/2001 vorgesehenen Ausnahme (im Folgenden: ursprünglicher Beschluss).

    8        Am 6. Juli 2021 stellte der antragstellende Dritte gemäß Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1049/2001 bei der Kommission einen Zweitantrag (im Folgenden: Zweitantrag).

    9        Am 13. Oktober 2021 konsultierte der Generalsekretär der Kommission auf den Zweitantrag hin die ungarischen Behörden erneut und teilte ihnen mit, dass er nach Prüfung der Anwendbarkeit aller in Art. 4 der Verordnung Nr. 1049/2001 aufgeführten Ausnahmen der Ansicht sei, der Zugang zu den (oben in Rn. 5) aufgeführten Dokumenten könne allein auf der Grundlage des Schutzes personenbezogener Daten verweigert werden.

    10      Bei der Prüfung des Zweitantrags wurden von der Kommission weitere Dokumente als relevant für den Zugangsantrag identifiziert, darunter vier Dokumente der ungarischen Behörden (im Folgenden zusammen mit den oben in Rn. 5 genannten Dokumenten: streitige Dokumente), nämlich die folgenden Dokumente:

    –        eine E‑Mail der ungarischen Behörden vom 10. März 2020, Aktenzeichen Ares (2020) 1532153;

    –        eine E‑Mail der ungarischen Behörden vom 30. April 2020, Aktenzeichen Ares (2020) 2352996, mit einem Anhang;

    –        eine E‑Mail der ungarischen Behörden vom 21. Oktober 2020, Aktenzeichen Ares (2020) 5761728, mit zwei Anhängen;

    –        eine E‑Mail der ungarischen Behörden vom 25. November 2020, Aktenzeichen Ares (2020) 7120859, mit einem Anhang.

    11      Mit E‑Mail vom 28. Oktober 2021 wiederholten die ungarischen Behörden ihre Auffassung, dass auf der Grundlage der in Art. 4 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1049/2001 vorgesehenen Ausnahme kein Zugang zu den von ihnen stammenden Dokumenten gewährt werden dürfe.

    12      Mit dem angefochtenen Beschluss entschied die Kommission über den Zweitantrag des antragstellenden Dritten und gewährte diesem trotz des Widerspruchs der ungarischen Behörden Zugang zu den streitigen Dokumenten in einer um personenbezogene Daten bereinigten Form. Bei der Bewertung der von den ungarischen Behörden vorgebrachten Argumente kam die Kommission zu dem Ergebnis, dass diese Argumente prima facie nicht die Anwendbarkeit der in Art. 4 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1049/2001 vorgesehenen Ausnahme belegten.

    13      Mit Schreiben vom 15. Dezember 2021 unterrichtete die Kommission Ungarn von dem Erlass des angefochtenen Beschlusses.

     Anträge der Parteien

    14      Ungarn beantragt,

    –        den angefochtenen Beschluss für nichtig zu erklären;

    –        der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

    15      Die Kommission beantragt,

    –        die Klage abzuweisen;

    –        Ungarn die Kosten aufzuerlegen.

     Rechtliche Würdigung

    16      Ungarn stützte sein Rechtsmittel formell auf zwei Gründe.

    17      Erstens ist darauf hinzuweisen, dass Ungarn in seinen Schriftsätzen auf Art. 4 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1049/2001 Bezug nimmt, ohne klarzustellen, ob es sich um den ersten oder den zweiten Unterabsatz dieses Absatzes oder um Abs. 3 insgesamt handelt. Die Ausführungen Ungarns zeigen jedoch, dass es sich nicht auf den gesamten Abs. 3 bezieht, da die genannten Ausführungen sich in Wirklichkeit nur auf einen angeblichen Verstoß gegen Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 beziehen.

    18      Zweitens ist darauf hinzuweisen, dass das Gericht nach der Rechtsprechung das Vorbringen eines Klägers anhand seines Inhalts und nicht anhand seiner rechtlichen Einordnung auszulegen und folglich die Gründe und Argumente der Klage rechtlich selbst zu qualifizieren hat (vgl. Urteil vom 5. September 2014, Éditions Odile Jacob/Kommission, T‑471/11, EU:T:2014:739, Rn. 51 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    19      Insoweit stellen die beiden von Ungarn formell geltend gemachten Klagegründe in Wirklichkeit zwei Teile desselben Klagegrundes dar, mit dem ein Verstoß gegen Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 gerügt wird. Im Übrigen macht Ungarn, wie sich aus der inhaltlichen Prüfung seiner Schriftsätze ergibt, im Rahmen des ersten Klagegrundes eine unzureichende Begründung des angefochtenen Beschlusses und einen Verstoß gegen den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit geltend. Außerdem sei für den Fall, dass das Gericht entscheiden sollte, dass Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 auf den vorliegenden Fall nicht anwendbar sei, Art. 4 Abs. 2 dritter Gedankenstrich anzuwenden.

    20      Unter diesen Umständen ist das Gericht der Auffassung, dass Ungarn im Wesentlichen vier Klagegründe geltend macht, nämlich erstens eine unzureichende Begründung des angefochtenen Beschlusses, zweitens einen Verstoß gegen den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit, drittens einen Verstoß gegen Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 und viertens einen Verstoß gegen Art. 4 Abs. 2 dritter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001.

     Zum ersten Klagegrund: Unzureichende Begründung des angefochtenen Beschlusses

    21      Ungarn ist der Ansicht, dass die Gründe des angefochtenen Beschlusses es ihm nicht erlauben, zu beurteilen, aus welchen Gründen die in Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 vorgesehene Ausnahme im vorliegenden Fall nicht anwendbar sei und ob die Kommission tatsächlich geprüft habe, ob der Zugang zu den streitigen Dokumenten den Entscheidungsprozess konkret und tatsächlich beeinträchtigen könne.

    22      Im Übrigen wirft Ungarn der Kommission vor, nicht begründet zu haben, warum der angefochtene Beschluss von ihrer früheren Entscheidungspraxis abweiche.

    23      Die Kommission tritt dem Vorbringen Ungarns entgegen.

    24      Nach ständiger Rechtsprechung muss die nach Art. 296 Abs. 2 AEUV und Art. 41 Abs. 2 Buchst. c der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) vorgeschriebene Begründung der Natur des betreffenden Rechtsakts angepasst sein und die Überlegungen des Organs, das den Rechtsakt erlassen hat, so klar und eindeutig zum Ausdruck bringen, dass die Betroffenen ihr die Gründe für die erlassene Maßnahme entnehmen können und das zuständige Gericht seine Kontrolle durchführen kann. Das Begründungserfordernis ist nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach dem Inhalt des Rechtsakts, der Art der angeführten Gründe und dem Interesse zu beurteilen, das die Adressaten oder andere durch den Rechtsakt unmittelbar und individuell betroffene Personen an Erläuterungen haben können. In der Begründung brauchen nicht alle tatsächlich oder rechtlich einschlägigen Gesichtspunkte genannt zu werden, da die Frage, ob die Begründung eines Rechtsakts den Anforderungen der vorgenannten Bestimmungen genügt, nicht nur anhand ihres Wortlauts zu beurteilen ist, sondern auch anhand ihres Kontexts sowie sämtlicher Rechtsvorschriften auf dem betreffenden Gebiet (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 1. Februar 2007, Sison/Rat, C‑266/05 P, EU:C:2007:75, Rn. 80 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 3. Mai 2018, Malta/Kommission, T‑653/16, EU:T:2018:241, Rn. 53 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    25      Insbesondere ist festzustellen, dass, wenn ein Organ beschließt, einem antragstellenden Dritten ungeachtet des Widerspruchs eines Mitgliedstaats gemäß Art. 4 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1049/2001 Zugang zu einem aus diesem Mitgliedstaat stammenden Dokument zu gewähren, sich die Begründung dieses Beschlusses sowohl aus dem an den antragstellenden Dritten gerichteten Verbreitungsbeschluss als auch aus dem Rechtsakt, mit dem das betreffende Organ diesen Mitgliedstaat vom Erlass dieses Beschlusses unterrichtet, ergeben kann, sofern ein solcher Rechtsakt zu dem Kontext gehört, in dem der Verbreitungsbeschluss erlassen wurde.

    26      Im vorliegenden Fall geht erstens aus dem angefochtenen Beschluss hervor, dass der Generalsekretär der Kommission prüfte, ob Ungarn seinen Widerspruch auf die materiellen Ausnahmen nach Art. 4 Abs. 1 bis 3 der Verordnung Nr. 1049/2001 gestützt und seinen Standpunkt ordnungsgemäß begründet hatte. Zweitens wies die Kommission auf den Widerspruch der ungarischen Behörden gegen die Verbreitung der streitigen Dokumente auf der Grundlage der in Art. 4 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1049/2001 vorgesehenen Ausnahme sowie auf die Gründe hin, die jene geltend gemacht hatten, um dieser Verbreitung zu widersprechen. Die Kommission kam jedoch zu dem Schluss, dass die Erläuterungen der ungarischen Behörden die Anwendung der von ihnen geltend gemachten Ausnahme nicht rechtfertigten. Die Kommission beschloss daher, dem antragstellenden Dritten Zugang zu den fraglichen Dokumenten in einer um personenbezogene Daten bereinigten Form zu gewähren.

    27      Zwar enthält der angefochtene Beschluss keine erschöpfende Begründung, weshalb die Kommission der Ansicht war, dass Art. 4 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1049/2001 nicht anwendbar sei. Da dieser Beschluss an den antragstellenden Dritten gerichtet war und mit ihm nicht der Zugang zu den streitigen Dokumenten verweigert werden sollte, war die Kommission aber nicht verpflichtet, in diesem Beschluss abschließend zu erläutern, warum sie der Ansicht war, dass der Antrag Ungarns, diese Dokumente nicht zu verbreiten, unbegründet sei, und insbesondere, dass Art. 4 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1049/2001 im vorliegenden Fall nicht anwendbar sei.

    28      Im Übrigen enthält das Schreiben vom 15. Dezember 2021, das, wie oben in Rn. 25 ausgeführt, zum Kontext des angefochtenen Beschlusses gehört, eine genauere Darstellung der Gründe, aus denen die Kommission der Ansicht war, dass die in Art. 4 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1049/2001 genannte Ausnahme auf die streitigen Dokumente nicht anwendbar sei. Hierzu wies die Kommission zunächst darauf hin, dass sich aus Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 dieser Verordnung ergebe, dass sich die Dokumente, die geeignet seien, unter diese Bestimmung zu fallen, auf eine Angelegenheit beziehen müssten, in der ein Organ noch keinen Beschluss gefasst habe. Sodann wies die Kommission darauf hin, dass die streitigen Dokumente den im Rahmen der geteilten Mittelverwaltung finanzierten Aufruf zur Einreichung von Vorschlägen EFOP 2.2.5 betroffen hätten und dass gemäß Art. 34 Abs. 3 Buchst. d der Verordnung Nr. 1303/2013 die nationale Verwaltungsbehörde für die Vorbereitung und Veröffentlichung von Aufrufen zur Einreichung von Vorschlägen zuständig sei. Schließlich wies die Kommission darauf hin, dass die Verordnung Nr. 1303/2013 keinen Beschluss der Kommission im Rahmen der Vorbereitung und Genehmigung eines Aufrufs zur Einreichung von Vorschlägen nach der Verordnung Nr. 1303/2013 vorsehe.

    29      Außerdem setze die Anwendung der in Art. 4 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1049/2001 vorgesehenen Ausnahme nach ständiger Rechtsprechung den Nachweis voraus, dass der Zugang zu den streitigen Dokumenten geeignet sei, den Schutz des Entscheidungsprozesses des Organs konkret und tatsächlich zu beeinträchtigen, und dass diese Gefahr einer Beeinträchtigung bei vernünftiger Betrachtung absehbar und nicht rein hypothetisch sei. Im vorliegenden Fall könne der Zugang zu den streitigen Dokumenten einen etwaigen Entscheidungsprozess jedoch nicht konkret und tatsächlich beeinträchtigen. In diesem Zusammenhang wies die Kommission darauf hin, dass die ungarischen Behörden im Rahmen eines anderen Antrags auf Zugang mit dem Aktenzeichen GESTDEM 2020/1513, der ebenfalls den Aufruf zur Einreichung von Vorschlägen EFOP 2.2.5 betroffen und ähnliche Dokumente wie diejenigen umfasst habe, deren Verbreitung beantragt worden sei, zugestimmt hätten, dass sie Zugang zu diesen Dokumenten gewähre. Im Übrigen stellte die Kommission fest, dass ein Teil der angeforderten Dokumente, insbesondere der Entwurf des Aufrufs zur Einreichung von Vorschlägen selbst, öffentlich zugänglich gewesen sei.

    30      Folglich sind solche Angaben geeignet, Ungarn in die Lage zu versetzen, die Gründe zu verstehen, aus denen die Kommission beschlossen hat, dem antragstellenden Dritten Zugang zu den streitigen Dokumenten zu gewähren, und dem zuständigen Gericht zu ermöglichen, die ihm übertragene Kontrolle auszuüben.

    31      Ungarn wirft der Kommission außerdem vor, dass sie ohne besondere Begründung von ihrer früheren Entscheidungspraxis abgewichen sei. Insbesondere habe die Kommission sowohl bei der Behandlung des Antrags auf Zugang mit dem Aktenzeichen GESTDEM 2020/1513 als auch im ursprünglichen Beschluss den Zugang zu den von den ungarischen Behörden stammenden Dokumenten auf der Grundlage von Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 verweigert.

    32      Zwar trifft es zu, dass nach ständiger Rechtsprechung eine Entscheidung der Kommission, die sich in eine ständige Entscheidungspraxis einfügt, insbesondere unter Bezugnahme auf diese Praxis summarisch begründet sein kann; geht sie allerdings über die früheren Entscheidungen merklich hinaus, hat die Kommission ihre Erwägungen explizit darzulegen (vgl. Urteil vom 10. Juli 2019, Kommission/Icap u. a., C‑39/18 P, EU:C:2019:584, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung; vgl. in diesem Sinne auch Urteil vom 3. Mai 2018, Malta/Kommission, T‑653/16, EU:T:2018:241, Rn. 54).

    33      Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass sich Ungarn zum Nachweis des Bestehens einer solchen Entscheidungspraxis darauf beschränkt, zum einen auf den ursprünglichen Beschluss und zum anderen auf den früheren Antrag auf Zugang mit dem Aktenzeichen GESTDEM 2020/1513 zu verweisen, indem es ausführt, dass die Kommission es ursprünglich abgelehnt habe, dem antragstellenden Dritten Zugang zu den angeforderten Dokumenten zu gewähren, nachdem die ungarischen Behörden auf der Grundlage von Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 widersprochen hätten. Die bloße Berufung auf den ursprünglichen Beschluss und den früheren Antrag auf Zugang vermag jedoch die Existenz einer ständigen Entscheidungspraxis in Bezug auf die Behandlung von Anträgen auf Zugang betreffend den Aufruf zur Einreichung von Vorschlägen EFOP 2.2.5 nicht nachzuweisen.

    34      Im Übrigen ist festzustellen, dass die Generaldirektion Regionalpolitik und Stadtentwicklung der Kommission zwar in dem ursprünglichen Beschluss den Zugang zu den von den ungarischen Behörden stammenden Dokumenten auf der Grundlage von Art. 4 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1049/2001 verweigert hat.

    35      Nach ständiger Rechtsprechung ist die Antwort auf einen Erstantrag auf Zugang gemäß Art. 8 der Verordnung Nr. 1049/2001 jedoch nur eine erste Stellungnahme, die dem Antragsteller die Möglichkeit gibt, den Generalsekretär der Kommission im konkreten Fall um Überprüfung des betreffenden Standpunkts zu ersuchen (vgl. Urteil vom 28. März 2017, Deutsche Telekom/Kommission, T‑210/15, EU:T:2017:224, Rn. 80 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    36      Folglich kann nur die Maßnahme des Generalsekretärs der Kommission, die ihrer Natur nach ein Beschluss ist und die vorausgegangene Stellungnahme vollständig ersetzt, Rechtswirkungen erzeugen, die die Interessen des Antragstellers oder, wie im vorliegenden Fall, die Interessen des Mitgliedstaats, aus dem die Dokumente stammen, beeinträchtigen können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. März 2017, Deutsche Telekom/Kommission, T‑210/15, EU:T:2017:224, Rn. 81 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    37      Somit war die Kommission nicht verpflichtet, die Gründe zu erläutern, aus denen sie in dem auf den Zweitantrag hin erlassenen angefochtenen Beschluss von dem ursprünglichen Beschluss abgewichen ist. Die Kommission war nämlich nur verpflichtet, die Lösung zu begründen, zu der sie gelangt ist.

    38      Der erste Klagegrund ist daher als unbegründet zurückzuweisen.

     Zum zweiten Klagegrund: Verstoß gegen den Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit

    39      Der zweite Klagegrund umfasst zwei Rügen. Ungarn macht zum einen geltend, dass die Kommission den ungarischen Behörden keine Gelegenheit gegeben habe, ihre Gründe besser darzulegen oder diese erneut zu bewerten, und zum anderen, dass die Kommission nicht von Amts wegen die Möglichkeit geprüft habe, die Ausnahme zum Schutz der „Finanz‑, Währungs- oder Wirtschaftspolitik der Gemeinschaft oder eines Mitgliedstaats“ als öffentliches Interesse im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1049/2001 oder die Ausnahme betreffend die Vertraulichkeit des „Zwecks von Inspektions‑, Untersuchungs- und Audittätigkeiten“ im Sinne von Art. 4 Abs. 2 dieser Verordnung anzuwenden.

    40      Die Kommission tritt dem Vorbringen Ungarns entgegen.

    41      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass Art. 4 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1049/2001, wonach ein Mitgliedstaat das Organ ersuchen kann, ein von ihm stammendes Dokument nicht ohne seine vorherige Zustimmung zu verbreiten, dem betroffenen Mitgliedstaat die Möglichkeit eröffnet, sich an der Entscheidung zu beteiligen, die das Organ zu erlassen hat, und zu diesem Zweck einen Entscheidungsprozess vorsieht, um festzustellen, ob die in Art. 4 Abs. 1 bis 3 der Verordnung Nr. 1049/2001 aufgezählten materiellen Ausnahmen der Gewährung des Zugangs zu dem betreffenden Dokument entgegenstehen. Allerdings verleiht Art. 4 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1049/2001 dem Mitgliedstaat kein allgemeines und unbedingtes Vetorecht, aufgrund dessen er der Verbreitung von im Besitz eines Organs befindlichen Dokumenten, die von ihm stammen, nach freiem Ermessen widersprechen könnte (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Juli 2017, Kommission/Breyer, C‑213/15 P, EU:C:2017:563, Rn. 43).

    42      Da die Durchführung von Vorschriften des Unionsrechts dem Organ und dem Mitgliedstaat, der von der ihm durch Art. 4 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1049/2001 eröffneten Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, gemeinsam übertragen worden ist und damit von dem zwischen ihnen zu führenden Dialog abhängt, müssen beide gemäß der Verpflichtung zu loyaler Zusammenarbeit nach Art. 4 Abs. 3 EUV so handeln und zusammenarbeiten, dass die genannten Vorschriften tatsächlich zur Anwendung kommen können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Dezember 2007, Schweden/Kommission, C‑64/05 P, EU:C:2007:802, Rn. 85).

    43      Daraus folgt zunächst, dass das Organ, bei dem ein Antrag auf Zugang zu einem von einem Mitgliedstaat stammenden Dokument eingeht, und der Mitgliedstaat, wenn es ihm den Antrag zugestellt hat, unverzüglich in einen loyalen Dialog über die etwaige Anwendung der Ausnahmeregelungen des Art. 4 Abs. 1 bis 3 der Verordnung Nr. 1049/2001 eintreten müssen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Dezember 2007, Schweden/Kommission, C‑64/05 P, EU:C:2007:802, Rn. 86).

    44      Sodann muss der betroffene Mitgliedstaat, der nach diesem Dialog der Verbreitung des fraglichen Dokuments widerspricht, diesen Widerspruch anhand der genannten Ausnahmen begründen (Urteil vom 18. Dezember 2007, Schweden/Kommission, C‑64/05 P, EU:C:2007:802, Rn. 87).

    45      Das Organ darf nämlich dem Widerspruch eines Mitgliedstaats gegen die Verbreitung eines von ihm stammenden Dokuments nicht stattgeben, wenn dieser völlig unbegründet ist oder in der vorgetragenen Begründung nicht auf die in Art. 4 Abs. 1 bis 3 der Verordnung Nr. 1049/2001 aufgezählten Ausnahmen Bezug genommen wird. Wenn der Mitgliedstaat trotz einer entsprechenden ausdrücklichen Aufforderung des Organs seinen Widerspruch weiterhin nicht begründet, muss das Organ Zugang zu dem angeforderten Dokument gewähren, sofern es seinerseits der Auffassung ist, dass keine der genannten Ausnahmen vorliegt (Urteil vom 18. Dezember 2007, Schweden/Kommission, C‑64/05 P, EU:C:2007:802, Rn. 88).

    46      Schließlich impliziert der loyale Dialog, der den in Art. 4 Abs. 5 der Verordnung Nr. 1049/2001 vorgesehenen Entscheidungsprozess charakterisiert, auch die Verpflichtung des betreffenden Organs, dem Mitgliedstaat zu ermöglichen, seine Gründe so gut wie möglich darzustellen oder sie zu überdenken, damit sie prima facie als vertretbar angesehen werden können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. April 2017, Frankreich/Kommission, T‑344/15, EU:T:2017:250, Rn. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    47      Im vorliegenden Fall hat die Kommission in Bezug auf die erste Rüge, wie aus dem Schreiben der Kommission vom 13. Oktober 2021 an die ungarischen Behörden hervorgeht, auf den Zweitantrag des antragstellenden Dritten hin unverzüglich einen Dialog mit den ungarischen Behörden über die mögliche Anwendung der in Art. 4 Abs. 1 bis 3 der Verordnung Nr. 1049/2001 vorgesehenen Ausnahmen aufgenommen. Hierzu teilte sie den genannten Behörden zunächst mit, dass sie nach Prüfung der Anwendbarkeit der in Art. 4 der Verordnung Nr. 1049/2001 aufgeführten Ausnahmen prima facie der Ansicht sei, dass der Zugang zu den (oben in Rn. 5) genannten Dokumenten nur auf der Grundlage des Schutzes personenbezogener Daten verweigert werden könne. Sodann forderte sie die ungarischen Behörden unter Berücksichtigung der vorgenommenen vorläufigen Beurteilung auf, klarzustellen, aufgrund welcher der in Art. 4 dieser Verordnung aufgezählten Ausnahmen ihrer Ansicht nach der Zugang zu den genannten Dokumenten verweigert werden könne. Schließlich ersuchte sie die ungarischen Behörden, ihren etwaigen Widerspruch im Hinblick auf diese Ausnahmen zu begründen.

    48      Aus dem Vorstehenden ergibt sich zum einen, dass die Kommission die ungarischen Behörden darauf hingewiesen hat, dass ihrer Ansicht nach die in Art. 4 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1049/2001 vorgesehene Ausnahme auf den ersten Blick nicht anwendbar sei, und zum anderen, dass sie den ungarischen Behörden die Möglichkeit gegeben hat, dieser Analyse zu widersprechen oder alternative Erwägungen darzulegen, indem sie sie aufforderte, eine detaillierte und begründete Rechtfertigung vorzulegen.

    49      Daher kann Ungarn nicht behaupten, die Kommission habe ihm vor Erlass des angefochtenen Beschlusses keine Gelegenheit gegeben, seine Gründe besser darzulegen oder andere mögliche Ablehnungsgründe geltend zu machen.

    50      Zur zweiten Rüge ist festzustellen, dass die Kommission, wie aus dem Schreiben vom 13. Oktober 2021 hervorgeht, den ungarischen Behörden mitteilte, dass sie die Anwendbarkeit aller in Art. 4 der Verordnung Nr. 1049/2001 aufgeführten Ausnahmen geprüft habe und zu dem Schluss gekommen sei, dass der Zugang nur auf der Grundlage des Schutzes personenbezogener Daten verweigert werden könne.

    51      Im Übrigen ist festzustellen, dass Ungarn seinen Widerspruch gegen die Verbreitung der streitigen Dokumente nicht auf Art. 4 Abs. 1 oder 2 der Verordnung Nr. 1049/2001 gestützt hat.

    52      Daher kann Ungarn der Kommission nicht vorwerfen, im angefochtenen Beschluss nicht erläutert zu haben, aus welchen Gründen sie der Ansicht war, dass die Ausnahmen zum Schutz der „Finanz‑, Währungs- oder Wirtschaftspolitik der Gemeinschaft oder eines Mitgliedstaats“ und des „Zwecks von Inspektions‑, Untersuchungs- und Audittätigkeiten“ im vorliegenden Fall nicht anwendbar seien.

    53      Der zweite Klagegrund ist daher als unbegründet zurückzuweisen.

     Zum dritten Klagegrund: Verstoß gegen Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001

    54      Der dritte Klagegrund gliedert sich in drei Teile.

    55      Im Rahmen des ersten Teils vertritt Ungarn im Wesentlichen die Auffassung, dass Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 auf die vorliegende Rechtssache anwendbar sei, da ein Entscheidungsprozess der Kommission im Gange sei. Hilfsweise macht Ungarn im Rahmen des zweiten Teils geltend, dass Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 auch ohne einen Entscheidungsprozess der Kommission dahin auszulegen sei, dass er auch den Entscheidungsprozess der nationalen Verwaltungsbehörde schütze, die mit der Fertigstellung eines der Verordnung Nr. 1303/2013 unterliegenden Entwurfs eines Aufrufs zur Einreichung von Vorschlägen, wie des Aufrufs zur Einreichung von Vorschlägen EFOP 2.2.5, betraut sei. Schließlich macht Ungarn im Rahmen des dritten Teils geltend, dass die Verbreitung der streitigen Dokumente den laufenden Entscheidungsprozess im Zusammenhang mit dem Abschluss des Aufrufs zur Einreichung von Vorschlägen EFOP 2.2.5 tatsächlich, ernstlich und konkret beeinträchtige.

     Zum ersten Teil des dritten Klagegrundes: Vorliegen eines laufenden Entscheidungsprozesses der Kommission

    56      Dieser erste Teil besteht aus zwei Rügen.

    57      Zur Stützung der ersten Rüge macht Ungarn geltend, es sei zwar Sache der nationalen Verwaltungsbehörde, die Entscheidung über den Abschluss des Aufrufs zur Einreichung von Vorschlägen EFOP 2.2.5 zu erlassen, doch dürfe nicht außer Acht gelassen werden, dass diese Entscheidung im Rahmen einer geteilten Mittelverwaltung der ESI‑Fonds getroffen werde. In diesem Zusammenhang argumentiert Ungarn, dass es unter Berücksichtigung der Prüfungsbefugnisse der Kommission und der Möglichkeit der Kommission, finanzielle Berichtigungen vorzunehmen, im Interesse der nationalen Verwaltungsbehörde liege, die Leitlinien zu befolgen, die sie von der Kommission erhalte. So werde in einem Bereich, der die finanziellen Mittel der Union betreffe und in dem die Kommission für eine rechtmäßige und ordnungsgemäße Verwendung der ESI‑Fonds Sorge trage, die Entscheidung zwar von der nationalen Verwaltungsbehörde getroffen, aber in dem von dem Organ festgelegten Rahmen und unter dessen späterer Kontrolle, was eine Beteiligung der Kommission am Entscheidungsprozess belege.

    58      Zur Stützung der zweiten Rüge macht Ungarn geltend, die Kommission verfüge über Befugnisse im Bereich der Änderung der von der Verordnung Nr. 1303/2013 geregelten operationellen Programme. Ungarn wolle jedoch einen hinreichend begründeten Antrag auf Änderung des operationellen Programms stellen, der sich auf die Zuweisung der Mittel im Zusammenhang mit dem Aufruf zur Einreichung von Vorschlägen EFOP 2.2.5 auswirken könnte. Ungarn bestreitet im Übrigen, dass der Entscheidungsprozess der Kommission zur Genehmigung eines Antrags auf Änderung eines operationellen Programms erst nach Einreichung des förmlichen Antrags auf Änderung dieses Programms in Gang gesetzt werde. Ungarn zufolge beginnt der Entscheidungsprozess der Kommission im Sinne von Art. 4 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1049/2001 ab dem Zeitpunkt, in dem ein Dialog zwischen dem Mitgliedstaat und der Kommission eingeleitet werde, um die Ausrichtung der künftigen Änderung zu bestimmen.

    59      Die Kommission tritt dem Vorbringen Ungarns entgegen.

    60      Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Verordnung Nr. 1049/2001 nach ihrem ersten Erwägungsgrund dem in Art. 1 Abs. 2 EUV zum Ausdruck gebrachten Willen Rechnung trägt, eine neue Stufe bei der Verwirklichung einer „immer engeren Union der Völker Europas“ zu erreichen, in der die Entscheidungen möglichst offen und möglichst bürgernah getroffen werden (vgl. Urteil vom 22. Januar 2020, MSD Animal Health Innovation und Intervet International/EMA, C‑178/18 P, EU:C:2020:24, Rn. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    61      Dieses grundlegende Ziel der Union spiegelt sich zum einen in Art. 15 Abs. 1 AEUV wider, der u. a. vorsieht, dass die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union unter weitestgehender Beachtung des Grundsatzes der Offenheit handeln, ein Grundsatz, der auch in Art. 10 Abs. 3 EUV und Art. 298 Abs. 1 AEUV bekräftigt wird, sowie zum anderen in der Verbürgung des Rechts auf Zugang zu Dokumenten in Art. 42 der Charta (vgl. Urteil vom 4. September 2018, ClientEarth/Kommission, C‑57/16 P, EU:C:2018:660, Rn. 74 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    62      Zu diesem Zweck soll die Verordnung Nr. 1049/2001, wie sich aus ihrem vierten Erwägungsgrund und ihrem Art. 1 ergibt, der Öffentlichkeit ein größtmögliches Recht auf Zugang zu den Dokumenten der Organe gewähren, vorbehaltlich einer Regelung von Ausnahmen aus Gründen des öffentlichen oder des privaten Interesses, die als Abweichung von dem in diesem Artikel aufgestellten Grundsatz eng auszulegen und anzuwenden sind (vgl. Urteil vom 7. September 2023, Breyer/REA, C‑135/22 P, EU:C:2023:640, Rn. 70 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    63      Eine der Ausnahmen vom diesem Zugang enthält Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001, dem zufolge der Zugang zu einem Dokument eines Organs der Union, das für dessen internen Gebrauch erstellt wurde oder bei ihm eingegangen ist und das sich auf eine Angelegenheit bezieht, in der das Organ noch keinen Beschluss gefasst hat, verweigert wird, wenn die Verbreitung dieses Dokuments den Entscheidungsprozess des Organs ernstlich beeinträchtigen würde, es sei denn, es besteht ein überwiegendes öffentliches Interesse an dieser Verbreitung. Diese Voraussetzungen sind kumulativ.

    64      Im vorliegenden Fall betreffen die streitigen Dokumente den an die Kommission gerichteten Schriftverkehr der ungarischen Behörden über den Abschluss des Aufrufs zur Einreichung von Vorschlägen EFOP 2.2.5. Sie beziehen sich auf einen internen Meinungsaustausch über den Entwurf eines Aufrufs zur Einreichung von Vorschlägen, der zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Beschlusses noch nicht endgültig veröffentlicht worden war.

    65      Somit ist der durch die Verordnung Nr. 1303/2013 festgelegte institutionelle Rahmen maßgeblich, um zu bestimmen, ob die Kommission im Rahmen des Abschlusses des Aufrufs zur Einreichung von Vorschlägen EFOP 2.2.5 einen Beschluss erlassen musste.

    66      Vorab ist darauf hinzuweisen, dass die ESI‑Fonds unter die geteilte Mittelverwaltung fallen.

    67      Insoweit ergibt sich aus Art. 63 Abs. 1 der Verordnung (EU, Euratom) 2018/1046 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juli 2018 über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Union, zur Änderung der Verordnungen (EU) Nr. 1296/2013, (EU) Nr. 1301/2013, (EU) Nr. 1303/2013, (EU) Nr. 1304/2013, (EU) Nr. 1309/2013, (EU) Nr. 1316/2013, (EU) Nr. 223/2014, (EU) Nr. 283/2014 und des Beschlusses Nr. 541/2014/EU sowie zur Aufhebung der Verordnung (EU, Euratom) Nr. 966/2012 (ABl. 2018, L 193, S. 1), dass „[b]ei geteilter Mittelverwaltung … die Kommission den Mitgliedstaaten Haushaltsvollzugsaufgaben [überträgt]“.

    68      Außerdem sind die Mitgliedstaaten und die Kommission gemäß Art. 73 der Verordnung Nr. 1303/2013 „[i]m Einklang mit dem Grundsatz der geteilten Mittelverwaltung … entsprechend ihren jeweiligen Zuständigkeiten, die in dieser Verordnung und den fondsspezifischen Regelungen festgelegt sind, für die Verwaltung und Kontrolle der Programme zuständig“.

    69      Insbesondere bezieht sich Art. 74 der Verordnung Nr. 1303/2013 auf die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten im Rahmen der geteilten Mittelverwaltung. Insoweit geht aus Art. 74 Abs. 1 dieser Verordnung hervor, dass „[d]ie Mitgliedstaaten … den Verwaltungs‑, Kontroll- und Prüfverpflichtungen nach[kommen] und … die in den Bestimmungen zur geteilten Mittelverwaltung aus der Haushaltsordnung und den fondsspezifischen Regelungen resultierenden Zuständigkeiten [übernehmen]“.

    70      Außerdem legt Art. 75 der Verordnung Nr. 1303/2013 die Befugnisse und Zuständigkeiten der Kommission fest. Insoweit ergibt sich aus Abs. 1 dieses Artikels, dass sich die Kommission vergewissert, dass die Mitgliedstaaten Kontrollsysteme eingerichtet haben und dass diese Systeme während der Durchführung der Programme wirksam funktionieren.

    71      Was die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass Art. 4 Abs. 4 der Verordnung Nr. 1303/2013 den Mitgliedstaaten auf geeigneter territorialer Ebene und gemäß ihrem institutionellen, rechtlichen und finanziellen Rahmen sowie den von ihnen zu diesem Zweck benannten Stellen die Vorbereitung und Umsetzung der Programme und die Ausführung der Aufgaben in Partnerschaft mit den relevanten in Art. 5 dieser Verordnung benannten Partnern überträgt.

    72      In diesem Rahmen geht aus Art. 34 Abs. 3 Buchst. d der Verordnung Nr. 1303/2013 hervor, dass für die Ausarbeitung und Veröffentlichung von Aufrufen zur Einreichung von Vorschlägen ausschließlich die Mitgliedstaaten zuständig sind.

    73      Ferner bestimmt Art. 125 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1303/2013, dass es in Bezug auf die Auswahl der Vorhaben Sache der nationalen Verwaltungsbehörde ist, geeignete Verfahren und Kriterien für die Auswahl der aus den ESI‑Fonds finanzierten Vorhaben aufzustellen und nach Billigung anzuwenden.

    74      Wie aus Art. 110 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 1303/2013 hervorgeht, bezieht sich die in Art. 125 Abs. 3 dieser Verordnung genannte Billigung auf die Genehmigung der Methodik und der Kriterien, die für die Auswahl der Vorhaben verwendet werden, durch den von dem Mitgliedstaat gemäß den Art. 47 und 48 dieser Verordnung eingerichteten Begleitausschuss und nicht auf eine Genehmigung durch die Kommission.

    75      Die oben genannten Bestimmungen zeigen, dass die Aufrufe zur Einreichung von Vorschlägen gemäß der Verordnung Nr. 1303/2013, in denen die Kriterien festgelegt sind, die bei der Auswahl der Vorhaben, die aus den ESI‑Fonds finanziert werden sollen, zu beachten sind, in die ausschließliche Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen.

    76      Daraus folgt, dass die Verordnung Nr. 1303/2013 der Kommission im Prozess des Abschlusses eines unter diese Verordnung fallenden Aufrufs zur Einreichung von Vorschlägen keine besondere Zuständigkeit verleiht, so dass die Kommission zu Recht davon ausgehen durfte, dass sie auf den ersten Blick nicht veranlasst war, einen Beschluss über den Aufruf zur Einreichung von Vorschlägen EFOP 2.2.5 zu fassen.

    77      Jedoch hat das Gericht die Rügen zu prüfen, die Ungarn zur Stützung des vorliegenden Teils vorbringt.

    –       Zur ersten Rüge: Anwendbarkeit von Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 wegen des Einflusses der Kommission auf den Abschluss des Entwurfs des Aufrufs zur Einreichung von Vorschlägen EFOP 2.2.5

    78      Ungarn macht geltend, der Umstand, dass die Kommission im Rahmen des Entscheidungsprozesses des Aufrufs zur Einreichung von Vorschlägen EFOP 2.2.5 unter Androhung finanzieller Berichtigungen eine Stellungnahme abgeben oder später die Einhaltung ihrer Stellungnahme kontrollieren könne, weitgehend die Entscheidung der nationalen Verwaltungsbehörde über den Abschluss des Aufrufs zur Einreichung von Vorschlägen EFOP 2.2.5 bedinge. Dieser Einfluss der Kommission im Rahmen der geteilten Mittelverwaltung sei dahin zu verstehen, dass eine Entscheidung einer nationalen Verwaltungsbehörde, auch wenn sie formal keine Entscheidung der Kommission sei, wesentlicher Bestandteil des Entscheidungsprozesses der Kommission sei. Daher seien die internen Konsultationen und Beratungen zwischen der nationalen Verwaltungsbehörde und der Kommission im Rahmen des Aufrufs zur Einreichung von Vorschlägen EFOP 2.2.5 nach Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 zu schützen, auch wenn die Kommission keinen Beschluss im engeren Sinne fassen müsse.

    79      Das Vorbringen Ungarns wirft die Frage nach der Tragweite der in Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 vorgesehenen Ausnahme auf. Genauer gesagt ist es Aufgabe des Gerichts, festzustellen, ob im Rahmen der geteilten Mittelverwaltung, wenn die Kommission einen Dialog mit den ungarischen Behörden über den Abschluss eines von den ESI‑Fonds finanzierten Aufrufs zur Einreichung von Vorschlägen führt, der Entscheidungsprozess der Kommission auch den oben genannten Dialog umfasst, ohne dass dieser notwendigerweise zu einer Beschlussfassung der Kommission führt.

    80      Nach ständiger Rechtsprechung ist bei der Auslegung einer Unionsvorschrift nicht nur ihr Wortlaut zu berücksichtigen, sondern auch der Zusammenhang, in den sie sich einfügt, und die Ziele, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (vgl. Urteil vom 13. Juli 2023, G GmbH, C‑134/22, EU:C:2023:567, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    81      Zum Wortlaut von Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 ist darauf hinzuweisen, dass er Dokumente betrifft, die sich auf eine Angelegenheit beziehen, in der ein Organ noch keinen Beschluss gefasst hat, was offensichtlich auf den Begriff des zum Zeitpunkt der Einreichung des Antrags auf Zugang laufenden „Entscheidungsprozesses des Organs“ verweist.

    82      Hierzu hat der Gerichtshof im Wesentlichen entschieden, dass der Zugang zu einem Dokument aufgrund von Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 nur verweigert werden kann, wenn sich der Entscheidungsprozess auf die Beschlussfassung bezieht (Urteil vom 17. Dezember 2020, De Masi und Varoufakis/EZB, C‑342/19 P, EU:C:2020:1035, Rn. 73).

    83      Zur systematischen Auslegung ist festzustellen, dass Art. 4 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1049/2001 klar danach unterscheidet, ob ein Verfahren abgeschlossen ist oder nicht. So fällt nach Unterabs. 1 dieser Bestimmung jedes Dokument in den Anwendungsbereich der Ausnahme zum Schutz des Entscheidungsprozesses, das von einem Organ für den internen Gebrauch erstellt wurde oder bei ihm eingegangen ist und das sich auf eine Angelegenheit bezieht, in der das Organ noch keinen Beschluss gefasst hat. Unterabs. 2 dieser Bestimmung sieht vor, dass die fragliche Ausnahme, nachdem der Beschluss gefasst worden ist, lediglich Dokumente mit Stellungnahmen zum internen Gebrauch im Rahmen von Beratungen und Vorgesprächen innerhalb des betreffenden Organs erfasst (Urteil vom 21. Juli 2011, Schweden/MyTravel und Kommission, C‑506/08 P, EU:C:2011:496, Rn. 78).

    84      Somit endet der durch Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 gewährte Schutz damit, dass ein Beschluss gefasst wird.

    85      Was die teleologische Auslegung betrifft, würde, wie oben aus Rn. 62 hervorgeht, jede über den Wortlaut hinausgehende Auslegung des fraglichen Artikels darauf hinauslaufen, den Anwendungsbereich der in Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 vorgesehenen Ausnahme auszudehnen.

    86      Aus den vorstehenden Rn. 81 bis 85 ergibt sich, dass die Anwendung der in Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 vorgesehenen Ausnahme von der Feststellung eines Prozesses abhängt, nach dessen Abschluss ein Unionsorgan kraft des Unionsrechts befugt ist, einen bestimmten Beschluss zu fassen.

    87      Im vorliegenden Fall ist erstens darauf hinzuweisen, dass die Kommission, wie oben aus Rn. 76 hervorgeht, keinen bestimmten Beschluss über den Abschluss des Aufrufs zur Einreichung von Vorschlägen EFOP 2.2.5 zu fassen hatte.

    88      Zweitens behauptet Ungarn zwar, dass im Rahmen des Verfahrens zum Abschluss des Aufrufs zur Einreichung von Vorschlägen interne Konsultationen oder Beratungen zwischen der nationalen Verwaltungsbehörde und der Kommission stattfänden, es behauptet aber nicht, dass die Kommission einen Beschluss zu fassen habe.

    89      Drittens konnte die Kommission zwar zu dem Entwurf des Aufrufs zur Einreichung von Vorschlägen EFOP 2.2.5 Stellung nehmen, insbesondere im Hinblick auf dessen Kohärenz mit dem operationellen Programm, zu dem dieses Vorhaben gehörte, und um sicherzustellen, dass die ESI‑Fonds von den ungarischen Behörden rechtmäßig und ordnungsgemäß genutzt werden, doch ergibt sich daraus nicht, dass diese Stellungnahme das Vorliegen eines eigenen Entscheidungsprozesses der Kommission belegt und erlaubt, diesen Aufruf zur Einreichung von Vorschlägen einem Beschluss dieses Organs gleichzustellen. Diese Stellungnahme präjudiziert nämlich in keiner Weise etwaige Beschlüsse der Kommission wie den Beschluss über die Vornahme einer finanziellen Berichtigung oder den Beschluss über die Aussetzung der mit dem Aufruf zur Einreichung von Vorschlägen verbundenen Zahlungen.

    90      Äußert die Kommission Zweifel oder Bedenken hinsichtlich der Ordnungsmäßigkeit eines von der Verordnung Nr. 1303/2013 erfassten Entwurfs eines Aufrufs zur Einreichung von Vorschlägen, ist darüber hinaus darauf hinzuweisen, dass die nationale Verwaltungsbehörde beschließen kann, die von der Kommission vorgeschlagenen Änderungen umzusetzen, und so sicherstellt, dass das Vorhaben weiterhin durch die Union kofinanziert wird, ohne dass ein Beschluss der Kommission erforderlich wäre. Im Übrigen kann die nationale Verwaltungsbehörde auch beschließen, den Aufruf zur Einreichung von Vorschlägen nicht zu ändern und das Vorhaben nur auf der Grundlage der vom Mitgliedstaat gebundenen Mittel zu finanzieren. Darüber hinaus ist es, falls ein Entwurf eines Aufrufs zur Einreichung von Vorschlägen mit dem von der Kommission genehmigten operationellen Programm nicht vereinbar sein sollte, Sache der nationalen Behörden, die Konsequenzen nach nationalem Recht zu ziehen und dabei das Unionsrecht zu berücksichtigen.

    91      In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass nichts den Mitgliedstaat, der von einem Beschluss der Kommission zur Unterbrechung der Zahlungsfristen, zur Aussetzung der Zahlungen im Zusammenhang mit einem Aufruf zur Einreichung von Vorschlägen gemäß der Verordnung Nr. 1303/2013 oder zur Streichung des gesamten oder eines Teils des Unionsbeitrags zu einem operationellen Programm betroffen ist, daran hindert, zu beschließen, den weggefallenen Teil der Unionsfinanzierung aus eigenen Mitteln zu übernehmen, um die Vorhaben zu finanzieren, die aufgrund des Aufrufs zur Einreichung von Vorschlägen vergeben wurden. Hierzu ist insbesondere darauf hinzuweisen, dass nach Art. 4 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1303/2013 die ESI‑Fonds als Ergänzung oder Beitrag zu entsprechenden nationalen, regionalen oder lokalen Maßnahmen gedacht sind, wobei der 87. Erwägungsgrund dieser Verordnung auch klarstellt, dass die Unterstützung aus den ESI‑Fonds nicht an die Stelle öffentlicher Ausgaben oder gleichwertiger struktureller Ausgaben der Mitgliedstaaten treten sollte (vgl. Beschluss vom 2. September 2020, ENIL Brussels Office u. a./Kommission, T‑613/19, nicht veröffentlicht, EU:T:2020:382, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    92      Daher kann mit der bloßen Beteiligung der Kommission an einem Verfahren, das den Haushaltsvorschriften der geteilten Mittelverwaltung unterliegt, nicht begründet werden, dass dieses Verfahren zum Entscheidungsprozess dieses Organs im Sinne von Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 gehört. Wie nämlich aus den vorstehenden Rn. 68 bis 74 hervorgeht, bleibt die die geteilte Mittelverwaltung kennzeichnende Übertragung durch die Kommission auf die nationalen Verwaltungsbehörden ohne Einfluss auf die jeweiligen Zuständigkeiten der Kommission und der Mitgliedstaaten, die in den Bestimmungen der Verordnung Nr. 1303/2013 klar definiert sind, so dass die Entscheidungsprozesse der Kommission und der Mitgliedstaaten nicht verwechselt werden können.

    93      Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die Kommission im Rahmen des Verfahrens zum Abschluss des Aufrufs zur Einreichung von Vorschlägen EFOP 2.2.5 keinen Beschluss zu fassen hatte. Somit kann bei den Dokumenten, die die Kommission während der internen Konsultationen und Beratungen erhalten hat, die zwischen der nationalen Verwaltungsbehörde und der Kommission im Rahmen eines solchen Prozesses stattgefunden haben, nicht davon ausgegangen werden, dass sie sich auf einen laufenden Entscheidungsprozess eines Unionsorgans beziehen. Folglich können sie nicht im Sinne von Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 als „auf eine Angelegenheit [bezogen], in der [ein Unionsorgan] noch keinen Beschluss gefasst hat“, angesehen werden.

    94      Eine gegenteilige Lösung liefe dem oben in Rn. 62 angeführten Erfordernis einer engen Auslegung von Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 zuwider.

    95      Folglich ist die erste Rüge des ersten Teils des dritten Klagegrundes als unbegründet zurückzuweisen.

    –       Zur zweiten Rüge: Anwendbarkeit von Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 aufgrund der Zuständigkeit der Kommission zur Änderung der von der Verordnung Nr. 1303/2013 geregelten operationellen Programme

    96      Zur Stützung der zweiten Rüge trägt Ungarn vor, dass es zwar Sache der nationalen Verwaltungsbehörde sei, die Entscheidung über den Abschluss des Aufrufs zur Einreichung von Vorschlägen EFOP 2.2.5 zu treffen, die Kommission aber gemäß Art. 30 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1303/2013 über die Änderung der operationellen Programme zu entscheiden habe.

    97      Insoweit geht aus Art. 30 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1303/2013 hervor, dass es Aufgabe der Kommission ist, sicherzustellen, dass die von den Mitgliedstaaten vorgeschlagenen Änderungen der operationellen Programme den Rechtsvorschriften und Anforderungen der Union entsprechen. In diesem Rahmen bewertet die Kommission die Änderungsvorschläge des betroffenen Mitgliedstaats und kann Empfehlungen und Stellungnahmen zu diesen Vorschlägen abgeben, bevor sie einen endgültigen Beschluss über die Genehmigung der Änderungen erlässt. Wird festgestellt, dass ein Vorschlag zur Änderung eines operationellen Programms den Anforderungen der Union entspricht, so genehmigt die Kommission ihn förmlich.

    98      Im Fall einer Änderung des operationellen Programms, zu dem der Aufruf zur Einreichung von Vorschlägen EFOP 2.2.5 gehört, könnte daher davon ausgegangen werden, dass die Kommission einen Beschluss hätte fassen müssen und folglich ein Entscheidungsprozess der Kommission im Gang war.

    99      Zum einen ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die ungarischen Behörden zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Beschlusses keinen Antrag auf Änderung des operationellen Programms, zu dem der Entwurf des Aufrufs zur Einreichung von Vorschlägen EFOP 2.2.5 gehörte, gestellt hatten.

    100    Zum anderen betrafen die streitigen Dokumente keinen hypothetischen Antrag auf Änderung des operationellen Programms, den Ungarn einreichen konnte, sondern bezogen sich auf einen Meinungsaustausch zwischen der Kommission und der nationalen Verwaltungsbehörde über den Entwurf des Aufrufs zur Einreichung von Vorschlägen EFOP 2.2.5. Im Übrigen hat Ungarn nicht erläutert, inwiefern der Zugang zum Schriftverkehr zwischen der Kommission und der nationalen Verwaltungsbehörde über den Abschluss des Aufrufs zur Einreichung von Vorschlägen EFOP 2.2.5 den Entscheidungsprozess in Bezug auf ein anderes Verfahren, nämlich einen hypothetischen Antrag auf Änderung des operationellen Programms, hätte beeinträchtigen können.

    101    Daraus folgt, dass zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Beschlusses kein Entscheidungsprozess der Kommission im Gang war und Ungarn daher seinen Widerspruch gegen die Verbreitung der streitigen Dokumente nicht wirksam auf die in Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 vorgesehene Ausnahme stützen konnte.

    102    Nach alledem ist die zweite Rüge des ersten Teils des dritten Klagegrundes und damit der erste Teil des dritten Klagegrundes insgesamt als unbegründet zurückzuweisen.

     Zum zweiten Teil des dritten Klagegrundes: Anwendbarkeit von Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 auf den Entscheidungsprozess der nationalen Verwaltungsbehörden

    103    Hilfsweise macht Ungarn geltend, falls das Gericht entscheiden sollte, dass im vorliegenden Fall nicht die Kommission, sondern die nationale Verwaltungsbehörde befugt gewesen sei, durch die Veröffentlichung eines Aufrufs zur Einreichung von Vorschlägen einen Beschluss zu fassen, dann müsse auch der Entscheidungsprozess der nationalen Verwaltungsbehörde in den Genuss des durch Art. 4 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1049/2001 gewährten Schutzes kommen.

    104    Ungarn weist darauf hin, dass Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 zwar nach seinem Wortlaut nur den Entscheidungsprozess der Organe schütze, es jedoch angesichts der Besonderheit des vorliegenden Falles angebracht sei, den Anwendungsbereich dieser Bestimmung nicht nur auf die Organe der Union zu beschränken.

    105    Erstens seien die Agenturen der Union befugt, sich auf diese Ausnahme zu berufen, um ihren eigenen Entscheidungsprozess zu schützen.

    106    Zweitens weist Ungarn im Wesentlichen darauf hin, dass eine restriktive Auslegung von Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 darauf hinausliefe, dass die Möglichkeit für die Mitgliedstaaten, gemäß Art. 4 Abs. 5 dieser Verordnung darum zu ersuchen, die Verbreitung von Dokumenten unter Berücksichtigung der in Art. 4 Abs. 1 bis 3 dieser Verordnung genannten Gründe zu verweigern, praktisch inhaltsleer wäre. Die Mitgliedstaaten könnten sich nur auf die in Art. 4 Abs. 1 und 2 dieser Verordnung vorgesehenen Ausnahmen berufen und seien daher nicht in der Lage, den Entscheidungsprozess ihrer eigenen Behörden zu schützen, was diesen gefährde und damit in einem die finanziellen Mittel der Union berührenden Bereich eine ungerechtfertigte Diskriminierung aufgrund der den Beschluss fassenden Person begründe.

    107    Im Übrigen seien die berechtigten Interessen des Mitgliedstaats, dessen nationale Rechtsvorschriften es erlaubten, den Zugang zu den angeforderten Dokumenten zu verweigern, nicht geschützt, da das Unionsrecht eine Umgehung der nationalen Regelung ermögliche, indem es sich unmittelbar an das Unionsorgan richte. Ungarn weist darauf hin, dass dies dem Vertrauen der Mitgliedstaaten in die Organe schaden würde, was eine Verringerung der Wirksamkeit des Konzertierungsprozesses zwischen den Mitgliedstaaten und der Kommission zur Folge hätte.

    108    Die Kommission tritt dem Vorbringen Ungarns entgegen.

    109    Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 1049/2001 der Begriff „Organ“ in dieser Verordnung das Parlament, den Rat oder die Kommission bezeichnet, während Art. 3 Buchst. b dieser Verordnung als „Dritte“ alle natürlichen und juristischen Personen und Einrichtungen außerhalb des betreffenden Organs, einschließlich der Mitgliedstaaten und der Nicht-Gemeinschaftsorgane und ‑einrichtungen, bezeichnet.

    110    Im vorliegenden Fall geht erstens aus Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 hervor, dass dieser Artikel nicht darauf abzielt, die Entscheidungsprozesse der Mitgliedstaaten oder anderer juristischer Personen als der Organe der Union zu schützen. Der Wortlaut dieser Bestimmung erfasst nämlich nur Dokumente, die sich auf „eine Angelegenheit [beziehen], in der das Organ noch keinen Beschluss gefasst hat“.

    111    Zweitens ist darauf hinzuweisen, dass der Unionsgesetzgeber u. a. die Urheberregel abgeschafft hat, die gemäß der Rechtslage vor der Verordnung Nr. 1049/2001 galt. Nach dieser Regel war der Antrag auf Zugang zu einem Dokument, das sich im Besitz eines Organs befand, unmittelbar an dessen Urheber zu richten, wenn dieser eine natürliche oder juristische Person, ein Mitgliedstaat, ein anderes Organ oder eine andere Gemeinschaftseinrichtung oder eine sonstige einzelstaatliche oder internationale Stelle war (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Dezember 2007, Schweden/Kommission, C‑64/05 P, EU:C:2007:802, Rn. 56).

    112    Die in Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 vorgesehene Ausnahme dahin auszulegen, dass sie auch den Entscheidungsprozess der nationalen Verwaltungsbehörden schützt, liefe somit darauf hinaus, diese Urheberregel für jedes Dokument, das die Beschlussfassung eines Mitgliedstaats berührt, zumindest teilweise und in missbräuchlicher Weise wieder einzuführen. Eine solche Auslegung wäre aber weder mit dem Zweck noch mit dem Ziel von Art. 15 AEUV und der Verordnung Nr. 1049/2001 vereinbar, der Öffentlichkeit in allen Tätigkeitsbereichen der Union ein möglichst weitreichendes Recht auf Zugang zu den Dokumenten der Organe zu gewähren.

    113    Drittens würde, wie oben aus Rn. 62 hervorgeht, jede über den Wortlaut hinausgehende Auslegung von Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 dazu führen, den Anwendungsbereich der in dieser Bestimmung vorgesehenen Ausnahme auszudehnen. Es würde sich also um eine extensive Auslegung dieser Bestimmung handeln, die es nicht erlaubte, die Tragweite des betreffenden Ablehnungsgrundes zu begrenzen.

    114    Diese Beurteilungen können durch das weitere Vorbringen Ungarns nicht in Frage gestellt werden.

    115    Erstens macht Ungarn geltend, eine wörtliche Auslegung von Art. 4 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1049/2001 erlaube es den Agenturen der Union nicht, sich auf diesen Artikel zu berufen, um ihren eigenen Entscheidungsprozess zu schützen, da die besonderen Bestimmungen, nach denen die Verordnung Nr. 1049/2001 auf Agenturen ausgedehnt werden könne, nur den eigentlichen Anwendungsbereich dieser Verordnung beträfen, aber nicht deren Inhalt änderten, darunter Art. 4 dieser Verordnung über die Ausnahmen von der Verbreitung von Dokumenten. Ungarn weist jedoch darauf hin, dass in der Rechtssache, die dem Urteil vom 5. Februar 2018, MSD Animal Health Innovation und Intervet international/EMA (T‑729/15, EU:T:2018:67), zugrunde lag, weder das Gericht noch der Gerichtshof, der das oben genannte Rechtsmittelurteil bestätigt habe, die Anwendung von Art. 4 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1049/2001 auf den Entscheidungsprozess einer Agentur beanstandet hätten.

    116    In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass die Anwendung der Verordnung Nr. 1049/2001 auf die Agenturen der Union aufgrund einer besonderen Bestimmung in deren Gründungsverordnungen ausgedehnt wurde. Was insbesondere die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) betrifft, sieht Art. 73 der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Festlegung von Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Human- und Tierarzneimitteln und zur Errichtung einer Europäischen Arzneimittel-Agentur (ABl. 2004, L 136, S. 1) ausdrücklich vor, dass die Verordnung Nr. 1049/2001 für die Dokumente der EMA gilt und dass ihr Verwaltungsrat Durchführungsbestimmungen zu dieser Verordnung erlässt.

    117    Somit sind die Agenturen nach den besonderen Bestimmungen ihrer Gründungsverordnungen berechtigt, alle in Art. 4 der Verordnung Nr. 1049/2001 vorgesehenen Ausnahmen in gleicher Weise anzuwenden, wie es die Organe bei allen Dokumenten tun, die sich in ihrem Besitz befinden.

    118    Daraus folgt, wie die Kommission zu Recht ausführt, dass sich die Anwendung der Verordnung Nr. 1049/2001 auf die Entscheidungsverfahren der EMA und der anderen Agenturen der Union aus klaren und eindeutigen Regeln des abgeleiteten Unionsrechts ergibt und nicht das Ergebnis einer weiten Auslegung des Begriffs „Organ“ im Sinne dieser Verordnung durch das Gericht ist.

    119    Zweitens weist Ungarn darauf hin, dass eine restriktive Auslegung von Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 dazu führen würde, dass die Möglichkeit der Mitgliedstaaten, gemäß Art. 4 Abs. 5 dieser Verordnung zu beantragen, dass die Verbreitung von Dokumenten unter Berücksichtigung der in Art. 4 Abs. 3 genannten Gründe verweigert werde, praktisch inhaltsleer wäre.

    120    Insoweit trifft es zu, dass die Rechtsprechung anerkannt hat, dass sich ein Mitgliedstaat auf Art. 4 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1049/2001 berufen kann (Urteile vom 18. Dezember 2007, Schweden/Kommission, C‑64/05 P, EU:C:2007:802, Rn. 76, 81, 83 und 93, sowie vom 21. Juni 2012, IFAW Internationaler Tierschutz-Fonds/Kommission, C‑135/11 P, EU:C:2012:376, Rn. 62 bis 66).

    121    Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 gilt jedoch für Dokumente, die aus den Mitgliedstaaten stammen und bei einem Unionsorgan eingegangen sind und sich auf einen laufenden Entscheidungsprozess dieses Organs beziehen. Dieser Artikel gilt daher nicht für Dokumente, die sich auf den Entscheidungsprozess eines Mitgliedstaats beziehen.

    122    Drittens kann auch das Vorbringen Ungarns, der Entscheidungsprozess der nationalen Verwaltungsbehörden und die berechtigten Interessen der Mitgliedstaaten, deren Schutz das nationale Recht gewährleiste, seien gefährdet, keinen Erfolg haben.

    123    Art. 2 Abs. 3 der Verordnung Nr. 1049/2001 sieht nämlich vor, dass diese Verordnung für alle Dokumente eines Organs der Union gilt, d. h. die von ihm erstellt wurden oder bei ihm eingegangen sind und sich in seinem Besitz befinden, und zwar in allen Tätigkeitsbereichen der Union. Aus diesem Artikel ergibt sich also, dass grundsätzlich, vorbehaltlich der als sensibel eingestuften Dokumente, die nach Abs. 5 dieses Artikels einer besonderen Behandlung unterliegen, ein Dokument, das von einer nationalen Behörde an ein Unionsorgan übermittelt wird, von diesem Zeitpunkt an ausschließlich dem Unionsrecht unterliegt und im Rahmen eines an dieses Organ gerichteten Antrags auf Zugang zu dem Dokument unter der Verantwortung dieses Organs steht.

    124    Im Übrigen können die berechtigten Interessen der Mitgliedstaaten auch durch die Anwendung der in Art. 4 Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 1049/2001 vorgesehenen Ausnahmen geschützt werden.

    125    Viertens argumentiert Ungarn, die Tatsache, dass der Entscheidungsprozess der nationalen Verwaltungsbehörden nicht geschützt werde, schade dem Vertrauen der Mitgliedstaaten in die Organe, was eine Verringerung der Wirksamkeit des Konzertierungsprozesses zwischen den Mitgliedstaaten und der Kommission zur Folge habe.

    126    Es ist festzustellen, dass der bloße Hinweis auf die Gefahr negativer Auswirkungen auf die Kommunikation zwischen den Mitgliedstaaten und den Organen und auf die Verringerung der Wirksamkeit des Konzertierungsprozesses zwischen den Beteiligten nicht ausreicht, um anzunehmen, dass auch der Entscheidungsprozess der nationalen Verwaltungsbehörden durch die in Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 vorgesehene Ausnahme geschützt werden müsste. Dies liefe nämlich darauf hinaus, den Mitgliedstaaten in diesem Bereich ein Ermessen einzuräumen oder zumindest die mit dieser Verordnung umgesetzte Politik hinsichtlich des Zugangs zu Dokumenten von der entsprechenden nationalen Politik abhängig zu machen. Dies wäre jedoch weder mit dem durch die Verordnung Nr. 1049/2001 geschaffenen System des Zugangs zu Dokumenten noch mit der Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur loyalen Zusammenarbeit mit der Kommission nach Art. 4 Abs. 3 EUV vereinbar (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. Mai 2011, Batchelor/Kommission, T‑250/08, EU:T:2011:236, Rn. 80 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    127    Daraus folgt, dass die in Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 vorgesehene Ausnahme nicht dahin ausgelegt werden kann, dass sie auch den Entscheidungsprozess einer nationalen Verwaltungsbehörde schützt. Folglich ist der zweite Teil des dritten Klagegrundes als unbegründet zurückzuweisen.

     Zum dritten Teil des dritten Klagegrundes: Ernstliche, tatsächliche und konkrete Beeinträchtigung des Schutzes des Entscheidungsprozesses im Zusammenhang mit dem Abschluss des Entwurfs des Aufrufs zur Einreichung von Vorschlägen EFOP 2.2.5

    128    Zur Stützung dieses Teils trägt Ungarn vor, dass die Veröffentlichung des gesamten Schriftverkehrs zwischen den ungarischen Behörden und der Kommission betreffend den Aufruf zur Einreichung von Vorschlägen EFOP 2.2.5 den Abschluss dieses Aufrufs gefährden könnte, da die Verbreitung der streitigen Dokumente bestimmten Organisationen eine Insiderinformation verschaffen könnte, die es ihnen ermöglichen würde, ihre Bewerbungen für den Aufruf zur Einreichung von Vorschlägen besser vorzubereiten, zum Nachteil anderer konkurrierender Organisationen, die nicht über den gleichen Informationsstand verfügten.

    129    Unter den Umständen der vorliegenden Rechtssache ist das Gericht der Auffassung, dass ergänzend zu prüfen ist, ob die oben in Rn. 63 genannte Voraussetzung einer ernstlichen Beeinträchtigung des Schutzes des Entscheidungsprozesses erfüllt ist, und dass somit die Gründe zu untersuchen sind, die Ungarn vorgebracht hat, um die Anwendung der in Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 vorgesehenen Ausnahme zu rechtfertigen, unterstellt, diese Bestimmung sei im vorliegenden Fall anwendbar.

    130    In diesem Zusammenhang kann der bloße Umstand, dass ein Dokument ein durch eine Ausnahme vom Zugangsrecht im Sinne von Art. 4 der Verordnung Nr. 1049/2001 geschütztes Interesse betrifft, nicht für die Anwendung dieser Verordnung ausreichen (vgl. Urteil vom 3. Juli 2014, Rat/in’t Veld, C‑350/12 P, EU:C:2014:2039, Rn. 51 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    131    Genauer gesagt setzt die Anwendung der Ausnahmeregelung des Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 den Nachweis voraus, dass der Zugang zu den beantragten Dokumenten geeignet war, den Schutz des Entscheidungsprozesses des Organs konkret und tatsächlich zu beeinträchtigen und dass die Gefahr einer Beeinträchtigung bei verständiger Betrachtung absehbar und nicht rein hypothetisch war (vgl. Urteil vom 22. März 2018, De Capitani/Parlament, T‑540/15, EU:T:2018:167, Rn. 63 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    132    Darüber hinaus fällt die Beeinträchtigung des Entscheidungsprozesses nur dann unter die Ausnahmeregelung im Sinne von Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001, wenn sie ernstlich bzw. erheblich ist. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn sich die Verbreitung der betreffenden Dokumente wesentlich auf den Entscheidungsprozess auswirkt. Die Beurteilung der Erheblichkeit hängt von der Gesamtheit der Umstände des Falles ab, u. a. von den negativen Auswirkungen auf den Entscheidungsprozess, die vom Organ geltend gemacht werden (vgl. Urteil vom 7. Juni 2011, Toland/Parlament, T‑471/08, EU:T:2011:252, Rn. 71 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    133    Im vorliegenden Fall lassen die von Ungarn vorgebrachten Gründe nicht erkennen, inwiefern die Verbreitung der streitigen Dokumente den Entscheidungsprozess der Kommission tatsächlich, ernstlich und konkret beeinträchtigen könnte.

    134    Ungarn beschränkt sich nämlich auf das Vorbringen, dass die Verbreitung der streitigen Dokumente die Grundsätze der Gleichbehandlung, der Nichtdiskriminierung und der Transparenz ernsthaft beeinträchtigen könnte, da potenzielle Begünstigte des Aufrufs zur Einreichung von Vorschlägen EFOP 2.2.5 Informationen erhalten könnten, die ihnen einen unlauteren Wettbewerbsvorteil verschaffen.

    135    Es ist festzustellen, dass das Vorbringen Ungarns weder durch substantiierte Argumente noch durch Beweise untermauert wird, die belegen könnten, dass die tatsächliche Gefahr eines unlauteren Wettbewerbsvorteils bestünde, wenn die streitigen Dokumente verbreitet worden wären, bevor die nationale Verwaltungsbehörde den Aufruf zur Einreichung von Vorschlägen EFOP 2.25 endgültig erlassen hat.

    136    Wie aus der Rechtsprechung hervorgeht, kann im Übrigen der bloße Verweis auf die Gefahr nachteiliger Auswirkungen durch den Zugang zu internen Dokumenten und dadurch, dass interessierte Parteien auf das Verfahren Einfluss nehmen könnten, nicht zum Nachweis dafür ausreichen, dass die Verbreitung der Dokumente den Entscheidungsprozess des betreffenden Organs ernstlich beeinträchtigen würde (Urteil vom 13. Juli 2017, Saint-Gobain Glass Deutschland/Kommission, C‑60/15 P, EU:C:2017:540, Rn. 83).

    137    Außerdem hat Ungarn nichts vorgetragen, was die Analyse der Kommission in Frage stellen könnte, wonach die Verbreitung der streitigen Dokumente zum Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Beschlusses den laufenden Entscheidungsprozess im Zusammenhang mit dem Abschluss des Aufrufs zur Einreichung von Vorschlägen EFOP 2.2.5 nicht habe beeinträchtigen können, da der Inhalt dieses Aufrufs zu diesem Zeitpunkt online öffentlich zugänglich gewesen sei.

    138    Aus der Rechtsprechung ergibt sich nämlich, dass das Gericht im Rahmen seiner Beurteilung der Gefahr, ob die Verbreitung eines Dokuments ein durch Art. 4 der Verordnung Nr. 1049/2001 geschütztes Interesse beeinträchtigen würde, berücksichtigen kann, dass der wesentliche Inhalt des Dokuments, dessen Verbreitung beantragt wird, bereits öffentlich bekannt zugänglich gemacht wurde, noch bevor die Entscheidung erlassen wird, mit der der Zugang zu diesem Dokument verweigert wird oder nicht (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. Juli 2014, Rat/in’t Veld, C‑350/12 P, EU:C:2014:2039, Rn. 60).

    139    Im Übrigen weist die Kommission darauf hin, dass sämtliche von ihr stammenden Dokumente dem antragstellenden Dritten übermittelt worden seien. Dieser verfügt daher über eine genaue Kenntnis des Kontexts und des Gegenstands der Diskussionen zwischen der Kommission und den ungarischen Behörden betreffend den Entwurf des Aufrufs zur Einreichung von Vorschlägen EFOP 2.2.5.

    140    Daher führt die in der Rechtsprechung aufgestellte Verpflichtung, Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 eng auszulegen, zu der Feststellung, dass Ungarn nicht nachgewiesen hat, dass die Verbreitung der streitigen Dokumente zu dem Zeitpunkt, zu dem diese Verbreitung beantragt wurde, den Entscheidungsprozess im Zusammenhang mit dem Abschluss des Aufrufs zur Einreichung von Vorschlägen EFOP 2.2.5 tatsächlich und ernstlich beeinträchtigt hätte.

    141    Die Kommission hat daher zu Recht festgestellt, dass der von Ungarn angeführte Grund der Gefahr eines unlauteren Wettbewerbsvorteils unter den besonderen Umständen des vorliegenden Falles nicht stichhaltig ist.

    142    Folglich ist der dritte Teil des dritten Klagegrundes und damit der dritte Klagegrund insgesamt als unbegründet zurückzuweisen.

     Zum vierten Klagegrund: Verletzung von Art. 4 Abs. 2 dritter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001

    143    Zur Stützung dieses Klagegrundes macht Ungarn geltend, selbst wenn das Gericht entscheiden sollte, dass die Tätigkeit der geteilten Mittelverwaltung der Kommission nicht deren Entscheidungsprozess unterfalle, bestehe kein Zweifel daran, dass davon ausgegangen werden müsse, dass diese Tätigkeit vom Anwendungsbereich der in Art. 4 Abs. 2 dritter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 genannten Untersuchungstätigkeiten erfasst sei.

    144    Es ist darauf hinzuweisen, dass Ungarn sein Vorbringen, wonach die Tätigkeit der geteilten Mittelverwaltung der Kommission in den Anwendungsbereich der in Art. 4 Abs. 2 dritter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 genannten Untersuchungstätigkeiten falle, in keiner Weise untermauert.

    145    Nach Art. 76 Buchst. d der Verfahrensordnung des Gerichts muss die Klageschrift aber den Streitgegenstand, die geltend gemachten Klagegründe und Argumente sowie eine kurze Darstellung der Klagegründe enthalten. Insbesondere ist in der Klageschrift darzulegen, worin der Klagegrund besteht, auf den die Klage gestützt wird, so dass seine bloß abstrakte Nennung den Erfordernissen der Verfahrensordnung nicht genügt. Entsprechende Erfordernisse gelten für ein zur Stützung eines Klagegrundes vorgebrachtes Argument (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. März 2021, Ayuntamiento de Quart de Poblet/Kommission, T‑539/18, nicht veröffentlicht, EU:T:2021:123, Rn. 102 und die dort angeführte Rechtsprechung).

    146    Da das Vorbringen Ungarns, Art. 4 Abs. 2 dritter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 sei auf den vorliegenden Fall anzuwenden, den Anforderungen von Art. 76 Buchst. d der Verfahrensordnung nicht genügt, ist es als unzulässig zurückzuweisen.

    147    Folglich ist der vierte Klagegrund zurückzuweisen und damit die Klage insgesamt abzuweisen.

     Kosten

    148    Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

    149    Da Ungarn im vorliegenden Fall unterlegen ist, sind ihm die Kosten einschließlich der Kosten des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes aufzuerlegen.

    Aus diesen Gründen hat

    DAS GERICHT (Neunte erweiterte Kammer)

    für Recht erkannt und entschieden:

    1.      Die Klage wird abgewiesen.

    2.      Ungarn trägt die Kosten einschließlich der Kosten des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes.

    Truchot

    Kanninen

    Buttigieg

    Sampol Pucurull

     

          Perišin

    Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 10. Juli 2024.

    Unterschriften


    *      Verfahrenssprache: Ungarisch.

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