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Document 62007CJ0204

Urteil des Gerichtshofes (Dritte Kammer) vom 25. Juli 2008.
C.A.S. SpA gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften.
Rechtsmittel - Assoziierungsabkommen EWG-Türkei - Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 - Art. 239 - Zollkodex der Gemeinschaften - Erstattung und Erlass von Einfuhrabgaben - Fruchtsaftkonzentrat aus der Türkei - Verkehrsbescheinigungen - Fälschung - Besonderer Fall.
Rechtssache C-204/07 P.

European Court Reports 2008 I-06135

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2008:446

Parteien
Entscheidungsgründe
Tenor

Parteien

In der Rechtssache C‑204/07 P

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs, eingelegt am 16. April 2007,

C.A.S. SpA , Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt D. Ehle,

Rechtsmittelführerin,

andere Verfahrensbeteiligte:

Kommission der Europäischen Gemeinschaften , vertreten durch M. Patakia und S. Schønberg als Bevollmächtigte im Beistand von Rechtsanwalt M. Núñez Müller, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Beklagte im ersten Rechtszug,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Rosas sowie der Richter J. N. Cunha Rodrigues und J. Klučka, der Richterin P. Lindh und des Richters A. Arabadjiev (Berichterstatter),

Generalanwältin: V. Trstenjak,

Kanzler: K. Sztranc-Sławiczek, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 10. Januar 2008,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwältin in der Sitzung vom 13. März 2008

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe

1. Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die C.A.S. SpA (im Folgenden: Rechtsmittelführerin) die Aufhebung des Urteils des Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften vom 6. Februar 2007, CAS/Kommission (T‑23/03, Slg. 2007, II‑289, im Folgenden: angefochtenes Urteil), mit dem dieses ihre Klage auf Nichtigerklärung von Art. 2 der Entscheidung der Kommission vom 18. Oktober 2002 (REC 10/01) über einen Antrag auf Erlass von Einfuhrabgaben (im Folgenden: streitige Entscheidung) abgewiesen hat.

Rechtlicher Rahmen

Die Vorschriften zum Assoziierungsabkommen

2. Das vorliegende Rechtsmittel betrifft das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) und der Türkei, das von der Republik Türkei sowie den Mitgliedstaaten der EWG und der Gemeinschaft am 12. September 1963 in Ankara unterzeichnet wurde (im Folgenden: Assoziierungsabkommen). Das Assoziierungsabkommen wurde mit dem Beschluss 64/732/EWG des Rates vom 23. Dezember 1963 (ABl. 1964, Nr. 217, S. 3685) im Namen der Gemeinschaft geschlossen, gebilligt und bestätigt und trat am 1. Dezember 1964 in Kraft.

3. Das Assoziierungsabkommen sieht eine Vorbereitungsphase vor, die es der Republik Türkei ermöglicht, ihre Wirtschaft mit Hilfe der Europäischen Gemeinschaft zu festigen (Art. 3), eine Übergangsphase zur schrittweisen Errichtung einer Zollunion und zur Annäherung der Wirtschaftspolitiken (Art. 4) und eine auf der Zollunion beruhende Endphase, die eine verstärkte Koordinierung der Wirtschaftspolitiken einschließt (Art. 5).

4. Die im Assoziierungsabkommen vorgesehene Endphase ist am 31. Dezember 1995 in Kraft getreten (Beschluss Nr. 1/95 des Assoziationsrats EG–Türkei vom 22. Dezember 1995 über die Durchführung der Endphase der Zollunion [ABl. 1996, L 35, S. 1]). Die vom Assoziationsrat während der Übergangsphase erlassenen Beschlüsse waren ebenfalls auf die streitigen Einfuhren anwendbar, da diese zwischen dem 5. April 1995 und dem 20. November 1997 stattfanden.

5. Zu diesen Beschlüssen gehört der Beschluss Nr. 5/72 über die Methoden der Zusammenarbeit der Verwaltungen zur Anwendung der Artikel 2 und 3 des Zusatzprotokolls zum Abkommen von Ankara (ABl. 1973, L 59, S. 74).

6. Nach Art. 11 dieses Beschlusses leisten sich die Mitgliedstaaten und die Republik Türkei durch ihre Zollverwaltungen gegenseitig Verwaltungshilfe bei der Prüfung der Bescheinigungen auf ihre Echtheit und Richtigkeit, damit die einwandfreie Durchführung dieses Beschlusses gewährleistet wird.

7. Nach seinem Art. 12 treffen „[d]ie [Republik] Türkei, die Mitgliedstaaten und die Gemeinschaft … jeweils für ihren Bereich die zur Durchführung dieses Beschlusses erforderlichen Maßnahmen“.

8. Der Beschluss Nr. 1/95 regelt eingehend die Durchführung der Endphase der Zollunion; sein Anhang 7 betrifft die Amtshilfe, die die zuständigen Verwaltungsbehörden der Gemeinschaft und die der Republik Türkei einander im Zollbereich leisten müssen.

9. Die Art. 3 und 7 dieses Anhangs regeln die Amtshilfe, zu der die Verwaltungsbehörden auf Ersuchen einer von ihnen einander verpflichtet sind, sowie die Erledigung solcher Amtshilfeersuchen.

10. Nach Art. 15 des Beschlusses Nr. 1/96 des Ausschusses für Zusammenarbeit im Zollwesen EG–Türkei vom 20. Mai 1996 zur Festlegung der Durchführungsvorschriften zu dem Beschluss Nr. 1/95 (ABl. L 200, S. 14) leisten die Mitgliedstaaten und die Republik Türkei zur Gewährleistung der ordnungsgemäßen Durchführung des Beschlusses Nr. 1/96 einander durch ihre jeweiligen Zollverwaltungen im Rahmen der Bestimmungen über die Amtshilfe gemäß Anhang 7 des Beschlusses Nr. 1/95 Amtshilfe bei der Prüfung der Bescheinigungen auf ihre Echtheit und Richtigkeit.

11. Ferner bestimmt Art. 13 Abs. 2 des Beschlusses Nr. 1/96:

„Die Zollstelle, bei der die Aufteilung vorgenommen wird, stellt für jede Teilsendung einen Auszug aus der Warenverkehrsbescheinigung A.TR. aus; dazu verwendet sie einen Vordruck der Warenverkehrsbescheinigung A.TR.

In Feld 12 des Auszugs sind die Eintragungsnummer, das Datum, die ausstellende Stelle und das Ausstellungsland der ursprünglichen Warenverkehrsbescheinigung … einzutragen …“

Die Vorschriften über die Erstattung und den Erlass von Einfuhrabgaben

12. Art. 239 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L 302, S. 1; im Folgenden: ZK) bestimmt:

„Einfuhr‑ …abgaben können in … Fällen erstattet oder erlassen werden …

– …

– [die] … sich aus Umständen [ergeben], die nicht auf betrügerische Absicht oder offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten zurückzuführen sind. Nach dem Ausschussverfahren wird festgelegt, in welchen Fällen diese Bestimmung angewandt werden kann und welche Verfahrensvorschriften dabei zu beachten sind. …“

13. Art. 905 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung Nr. 2913/92 (ABl. L 253, S. 1, im Folgenden: ZK-Durchführungsverordnung) sieht Folgendes vor:

„(1) Ist die Entscheidungszollbehörde, bei der ein Antrag auf Erstattung oder Erlass nach Artikel 239 Absatz 2 [ZK] gestellt worden ist, nicht in der Lage, nach Artikel 899 zu entscheiden, und lässt die Begründung des Antrags auf einen besonderen Fall schließen, der sich aus Umständen ergibt, bei denen weder eine betrügerische Absicht noch eine offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten vorliegt, so legt der Mitgliedstaat, zu dem diese Behörde gehört, den Fall der Kommission zur Behandlung nach dem Verfahren der Artikel 906 bis 909 vor. …“

14. Art. 904 Buchst. c der ZK-Durchführungsverordnung bestimmt:

„Die Einfuhrabgaben werden nicht erstattet oder erlassen, wenn je nach Fall die einzige für den Antrag auf Erstattung oder Erlass angeführte Begründung darin besteht, dass

c) gutgläubig Papiere zur Erlangung einer Zollpräferenzbehandlung für zum zollrechtlich freien Verkehr angemeldete Waren vorgelegt worden sind, die sich später als falsch, gefälscht oder für die Gewährung dieser Zollpräferenzbehandlung ungültig erweisen.“

15. Nach Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK erfolgt keine nachträgliche buchmäßige Erfassung der einer Zollschuld entsprechenden Abgaben, wenn der gesetzlich geschuldete Abgabenbetrag aufgrund eines Irrtums der Zollbehörden nicht buchmäßig erfasst worden ist, sofern dieser Irrtum vom Zollschuldner nicht erkannt werden konnte und dieser gutgläubig gehandelt und alle geltenden Vorschriften über die Zollanmeldung eingehalten hat.

Vorgeschichte des Rechtsstreits

16. Die Rechtsmittelführerin ist eine Gesellschaft italienischen Rechts und eine 95,1%ige Tochtergesellschaft der Firma Steinhauser GmbH, die ihren Sitz in Ravensburg hat. Ihre wesentliche Tätigkeit besteht darin, importierte Fruchtsaftkonzentrate zu verarbeiten; daneben ist sie als Importeurin dieser Waren nach Italien tätig.

17. Nach den Feststellungen des Gerichts importierte die Rechtsmittelführerin zwischen dem 5. April 1995 und dem 20. November 1997 Apfel- und Birnensaftkonzentrate, die mit Herkunft aus und Ursprung in der Türkei angemeldet wurden, und überführte sie in der Gemeinschaft in den zollrechtlich freien Verkehr. Die Einfuhr dieser Art von Waren in die Gemeinschaft wurde mit Hilfe von A.TR.1-Bescheinigungen vorgenommen, so dass die entsprechenden Waren in den Genuss der Zollbefreiung kamen, die im Assoziierungsabkommen und in dem Zusatzprotokoll dazu, das am 23. November 1970 in Brüssel unterzeichnet und mit der Verordnung (EWG) Nr. 2760/72 des Rates vom 19. Dezember 1972 (ABl. L 293, S. 1) im Namen der Gemeinschaft geschlossen, gebilligt und bestätigt wurde, vorgesehen ist.

18. Die Zollstelle Ravenna (Italien) nahm eine nachträgliche Überprüfung der Echtheit der A.TR.1-Bescheinigung D 141591 vor, die die Rechtsmittelführerin bei einer ihrer Einfuhren innerhalb des oben genannten Zeitraums vorgelegt hatte. Gemäß den einschlägigen Vorschriften wurden die türkischen Behörden ersucht, diese Bescheinigung auf ihre Echtheit zu überprüfen.

19. Mit Schreiben vom 15. Mai 1998 teilten die türkischen Behörden der Zollstelle Ravenna mit, dass diese Bescheinigung ausweislich der durchgeführten Nachprüfung nicht echt sei, weil sie nicht von den türkischen Zollbehörden ausgestellt worden sei. Ferner kündigten sie weitere Prüfungen an.

20. Infolgedessen führten die italienischen Behörden eine nachträgliche Kontrolle von insgesamt 103 A.TR.1-Bescheinigungen durch, die die Rechtsmittelführerin bei diversen Einfuhren vorgelegt hatte.

21. Mit Schreiben vom 10. Juli 1998 teilte die Ständige Vertretung der Republik Türkei bei der Europäischen Union (im Folgenden: Ständige Vertretung der Türkei) der Kommission mit, dass 22 von der Rechtsmittelführerin vorgelegte und in der Anlage zu diesem Schreiben aufgeführte A.TR.1-Bescheinigungen für Ausfuhren der türkischen Firma Akman nach Italien falsch seien.

22. Auf dieses Schreiben hin führte die Dienststelle der Kommission zur Koordinierung der Betrugsbekämpfung (Unité de coordination de la lutte antifraude; im Folgenden: UCLAF), der Vorläufer des Europäischen Amts für Betrugsbekämpfung (OLAF), vom 12. bis 15. Oktober 1998 und vom 30. November bis 2. Dezember 1998 Untersuchungen in der Türkei durch.

23. Mit Schreiben vom 8. März 1999 teilte die Ständige Vertretung der Türkei der Zollstelle Ravenna mit, dass 32 von der Rechtsmittelführerin vorgelegte A.TR.1-Bescheinigungen (im Folgenden: streitige Bescheinigungen), von denen 18 im Schreiben vom 10. Juli 1998 aufgeführt worden waren, nicht ordnungsgemäß und von den türkischen Behörden weder ausgestellt noch abgezeichnet worden seien. Die entsprechenden Bescheinigungen waren in der Anlage zu diesem Schreiben aufgeführt.

24. In der Folgezeit waren die Unechtheit oder Unrichtigkeit zahlreicher A.TR.1-Bescheinigungen Gegenstand eines umfangreichen Schriftwechsels zwischen der Kommission, den türkischen Behörden und den italienischen Behörden, zu dem u. a. auch die Schreiben der türkischen Behörden vom 22. April 1999 und vom 16. Juli 1999 gehören.

25. Nach Ansicht der italienischen Behörden ergab sich aus der Gesamtheit dieses Schriftwechsels, dass die türkischen Behörden 48 A.TR.1-Bescheinigungen, darunter die streitigen, für entweder unecht oder unrichtig hielten.

26. Die 32 streitigen Bescheinigungen seien „gefälscht“, da sie von den türkischen Zollbehörden weder ausgestellt noch abgezeichnet worden seien. Die 16 übrigen Bescheinigungen hingegen (entsprechend Zöllen in Höhe von insgesamt 1 904 763 758 ITL, d. h. 983 728,38 Euro) seien, obwohl sie von den türkischen Zollbehörden ausgestellt worden seien, „ungültig“, weil es sich bei den betreffenden Waren nicht um Waren mit Ursprung in der Türkei handele.

27. Da alle 48 Bescheinigungen als „gefälscht“ oder „ungültig“ beurteilt worden seien, könnten die darin verzeichneten Waren nicht unter die für die Einfuhr türkischer Agrarerzeugnisse vorgesehene Präferenzregelung fallen. Die italienische Zollverwaltung forderte daher die Rechtsmittelführerin auf, die geschuldeten Zölle in Höhe von insgesamt 5 200 954 129 ITL, d. h. 2 686 068,63 Euro, zu entrichten.

28. Mit Schreiben vom 28. März 2000 beantragte die Rechtsmittelführerin bei der Zollstelle Ravenna nach Art. 220 Abs. 2 Buchst. b, Art. 236 und Art. 239 ZK, von einer nachträglichen buchmäßigen Erfassung abzusehen und die angeforderten Einfuhrabgaben zu „erstatten“. Sie berief sich insoweit auf ihren guten Glauben, auf die nicht erkennbaren Irrtümer der zuständigen Behörden und auf Pflichtverletzungen dieser Behörden.

29. Auf den Antrag der Rechtsmittelführerin hin ersuchten die italienischen Behörden die Kommission, zu entscheiden, ob es gerechtfertigt sei, zum einen nach Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK keine nachträgliche buchmäßige Erfassung der von der Rechtsmittelführerin angeforderten Einfuhrabgaben vorzunehmen und zum anderen diese Abgaben nach Art. 239 ZK zu „erstatten“.

30. Mit Schreiben vom 3. Juni 2002 forderte die Kommission einige ergänzende Informationen von den italienischen Behörden an, die mit Schreiben vom 7. Juni 2002 antworteten.

31. Mit Schreiben vom 25. Juli 2002 teilte die Kommission der Rechtsmittelführerin mit, dass sie über den Antrag nicht in ihrem Sinn zu entscheiden gedenke. Vor dem Erlass einer endgültigen Entscheidung ersuchte sie jedoch die Rechtsmittelführerin, ihr etwaige Bemerkungen mitzuteilen, und bot ihr an, die Akte im Hinblick auf die nicht vertraulichen Dokumente einzusehen.

32. Am 6. August 2002 nahmen die Vertreter der Rechtsmittelführerin in den Räumen der Kommission Einsicht in die Verwaltungsakte. Außerdem unterzeichneten sie eine Erklärung zur Bestätigung, dass sie Zugang zu den in der Anlage zu dieser Erklärung genannten Schriftstücken gehabt hätten.

33. Am 18. Oktober 2002 erließ die Kommission die streitige Entscheidung, die der Rechtsmittelführerin am 21. November 2002 zugestellt wurde. Die Kommission stellte erstens fest, dass die buchmäßige Erfassung der Einfuhrabgaben, die Gegenstand des Antrags seien, gerechtfertigt sei.

34. Zweitens zog sie den Schluss, dass es gerechtfertigt sei, die Einfuhrabgaben zu „erstatten“, soweit sich der Antrag auf die 16 „ungültigen“ Bescheinigungen beziehe, weil für die Rechtsmittelführerin insoweit ein besonderer Fall im Sinne von Art. 239 ZK vorliege.

35. In Bezug auf die streitigen Bescheinigungen gelangte sie jedoch drittens zu dem Ergebnis, dass die von der Rechtsmittelführerin geltend gemachten Umstände keinen besonderen Fall im Sinne von Art. 239 ZK begründen könnten. Demzufolge stellte die Kommission in Art. 2 der streitigen Entscheidung fest, dass eine „Erstattung“ der darauf entfallenden Einfuhrabgaben in Höhe von 1 702 340,25 Euro nicht gerechtfertigt sei.

Die Klage beim Gericht und das angefochtene Urteil

36. Mit Klageschrift, die am 29. Januar 2003 bei der Kanzlei des Gerichts einging, beantragte die Rechtsmittelführerin die Nichtigerklärung von Art. 2 der streitigen Entscheidung.

37. Die Rechtsmittelführerin stützte ihren Antrag auf drei Klagegründe, nämlich eine Verletzung ihrer Verteidigungsrechte, einen Verstoß gegen Art. 239 ZK und einen Verstoß gegen Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK.

38. Das Gericht wies die Klage in vollem Umfang ab.

Zum ersten Klagegrund

39. Mit ihrem ersten Klagegrund machte die Rechtsmittelführerin geltend, ihre Verteidigungsrechte im Verwaltungsverfahren seien dadurch verletzt worden, dass sie zwar Zugang zu der Akte gehabt habe, die die Dokumente enthalte, auf die die Kommission die streitige Entscheidung gestützt habe, dass ihr jedoch keine Akteneinsicht in Unterlagen gewährt worden sei, die für die Gesamtbeurteilung des Sachverhalts durch die Kommission von entscheidender Bedeutung gewesen seien.

40. Das Gericht hat diesen Klagegrund jedoch aus den in den Randnrn. 87 bis 102 des angefochtenen Urteils wiedergegebenen Gründen zurückgewiesen.

Zum zweiten Klagegrund

41. Der zweite Klagegrund, mit dem ein Verstoß gegen Art. 239 ZK gerügt wurde, gliedert sich in vier Teile. Der erste Teil betrifft die unzutreffende Beurteilung der A.TR.1-Warenverkehrsbescheinigung D 437214. Mit dem zweiten und dem dritten Teil werden die den türkischen Behörden und der Kommission vorgeworfenen groben Pflichtverstöße dargelegt, um das Vorliegen eines besonderen Falles im Sinne des Art. 239 ZK nachzuweisen. Der vierte Teil schließlich betrifft das Nichtvorliegen einer offensichtlichen Fahrlässigkeit der Rechtsmittelführerin und die Abwägung der geschäftlichen Risiken.

42. In Bezug auf den ersten Teil dieses Klagegrundes hat das Gericht nach dem Hinweis darauf, dass die Bestimmung des Warenursprungs auf einer Verteilung der Zuständigkeiten zwischen den Behörden des Ausfuhr- und denen des Einfuhrstaats beruhe, wobei Erstere den Ursprung bestimmten, zunächst den Schriftwechsel zwischen der Kommission sowie den italienischen und den türkischen Behörden untersucht.

43. Hierzu hat das Gericht in Randnr. 122 des angefochtenen Urteils festgestellt, dass sich die Kommission in dem Teil der streitigen Entscheidung, der die fraglichen Bescheinigungen betreffe, im Wesentlichen auf das Schreiben der türkischen Behörden vom 8. März 1999 an die Zollstelle Ravenna gestützt habe.

44. Allerdings hat das Gericht bei einem Vergleich des Inhalts dieses Schreibens mit dem der späteren Mitteilungen der türkischen Behörden in den Randnrn. 124 bis 128 des angefochtenen Urteils festgestellt, dass die Beurteilung der Bescheinigung D 437214 nicht ganz eindeutig sei und dass die Kommission vor dem Erlass der streitigen Entscheidung nicht ordnungsgemäß den Schluss habe ziehen können, dass diese Bescheinigung gefälscht sei.

45. Jedoch meinte das Gericht aufgrund eines Schreibens vom 22. August 2003, also aus der Zeit nach Erlass der streitigen Entscheidung, in dem die türkischen Behörden ihre in ihrem Schreiben vom 8. März 1999 enthaltenen Schlussfolgerungen bestätigt hätten, dass diese Erwägung allein nicht zur Nichtigerklärung der streitigen Entscheidung führen könne, da die Rechtsmittelführerin kein berechtigtes Interesse an der Nichtigerklärung einer Entscheidung wegen eines Formfehlers gehabt habe, wenn nach der Nichtigerklärung der Entscheidung nur erneut eine Entscheidung mit dem gleichen Inhalt wie die für nichtig erklärte ergehen könnte.

46. Das Gericht hat sodann den zweiten Teil des zweiten Klagegrundes untersucht, der verschiedene Behauptungen von Pflichtverletzungen der türkischen Behörden betrifft, die im Wesentlichen auf der These beruhten, dass die streitigen Bescheinigungen tatsächlich von den genannten Behörden ausgestellt und abgezeichnet worden seien.

47. In diesem Zusammenhang hat das Gericht zunächst in den Randnrn. 150 bis 152 des angefochtenen Urteils ausgeführt, dass zum einen die Feststellung, ob von den türkischen Behörden ausgestellte Dokumente echt oder gefälscht seien, allein Sache dieser Behörden sei und dass zum anderen diese Behörden zu dem Ergebnis gelangt seien, dass die streitigen Bescheinigungen gefälscht seien. Dann hat es das Vorbringen der Rechtsmittelführerin zurückgewiesen, dass den Stempelabdrücken und Unterschriften auf den streitigen Bescheinigungen zu entnehmen sei, dass diese offenbar von den türkischen Behörden ausgestellt und beglaubigt worden seien.

48. Schließlich hat es festgestellt, dass weder im Assoziierungsabkommen noch in den Vorschriften zu seiner Durchführung ausdrücklich die Führung von Registern über die von den türkischen Behörden ausgestellten Bescheinigungen vorgesehen sei.

49. Allerdings hat das Gericht eingeräumt, dass in Anhang II Abschnitt II Nr. 12 des Beschlusses Nr. 1/96 vorgesehen sei, dass in Feld 12 der A.TR.1-Bescheinigungen die Dokumentennummer einzutragen sei, und Art. 13 desselben Beschlusses bestimme, dass bei einer Aufteilung von Bescheinigungen in Feld 12 des Auszugs insbesondere die Eintragungsnummer der ursprünglichen Bescheinigung angegeben werde.

50. Dies bedeutet nach Auffassung des Gerichts jedoch nicht, dass es sich um echte Bescheinigungen handelt, weil Fälscher jedes Interesse daran hätten, für gefälschte Bescheinigungen eine Eintragungsnummer zu verwenden, die einer ordnungsgemäßen Bescheinigung entspreche.

51. In Bezug auf den dritten Teil des zweiten Klagegrundes, in dem es um eine Reihe angeblicher Pflichtverletzungen der Kommission geht, gelangt das Gericht gestützt auf die von der UCLAF in der Türkei durchgeführten Untersuchungen zu dem Ergebnis, dass die Kommission tatsächlich für die ordnungsgemäße Anwendung des Assoziierungsabkommen Sorge getragen habe.

52. Es hat darüber hinaus in Randnr. 240 des angefochtenen Urteils festgestellt, dass die Rechtsmittelführerin nicht in der Lage gewesen sei, den Nachweis zu erbringen, dass die Kommission im Rahmen der mit den türkischen Behörden vereinbarten Amtshilfe auf Schwierigkeiten gestoßen sei, die eine Anrufung des Assoziationsrats oder des Gemischten Ausschusses der Zollunion EG–Türkei (im Folgenden: Gemischter Ausschuss) gerechtfertigt hätten.

53. Das Gericht hat sodann entschieden, dass weder das Assoziierungsabkommen noch die Beschlüsse des Assoziationsrats oder die anwendbare gemeinschaftsrechtliche Regelung eine Verpflichtung zur Übermittlung von Stempel- und Unterschriftenmustern zwischen den Vertragsparteien, zur Information der Importeure im Fall von Zweifeln an der Ordnungsgemäßheit der von diesen im Rahmen einer Präferenzregelung vorgenommenen Zollhandlungen oder zur Anwendung einer bestimmten Untersuchungsmethode durch die UCLAF vorsähen.

54. Den vierten Teil des zweiten Klagegrundes, der sich auf das Fehlen einer offensichtlichen Fahrlässigkeit der Rechtsmittelführerin bezieht, hat das Gericht als ins Leere gehend zurückgewiesen, nachdem es festgestellt hatte, dass die Kommission in dem die fraglichen Bescheinigungen betreffenden Abschnitt der streitigen Entscheidung zur Frage der Sorgfalt oder der Fahrlässigkeit der Rechtsmittelführerin nicht Stellung genommen habe.

Zum dritten Klagegrund

55. Das Gericht hat auch den dritten Klagegrund, mit dem ein Verstoß gegen Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK gerügt wurde, zurückgewiesen, da die Rechtsmittelführerin nicht nachgewiesen habe, dass ein aktives Handeln der zuständigen Behörden zur Erstellung oder zur Annahme der streitigen Bescheinigungen, die sich als falsch herausgestellt hätten, beigetragen habe.

Zu den beantragten prozessleitenden Maßnahmen und Beweisaufnahmen

56. Schließlich hat das Gericht die Beweisangebote und die Anträge der Rechtsmittelführerin auf Beweisaufnahmen – darunter u. a. den Antrag, der Kommission aufzugeben, sämtliche Unterlagen vorzulegen, die sie nach Ansicht der Rechtsmittelführerin im Rahmen der Einsichtnahme in die Verwaltungsakte nicht einsehen konnte – zurückgewiesen.

Anträge der Beteiligten

57. Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die Rechtsmittelführerin,

– das angefochtene Urteil aufzuheben;

– den in der ersten Instanz gestellten Anträgen stattzugeben, hilfsweise, die Sache zur Entscheidung an das Gericht zurückzuverweisen;

– den Anträgen auf Erlass prozessleitender Maßnahmen, die sie mit Schriftsätzen vom 28. Januar 2003, vom 4. August 2003 und vom 11. August 2003 gestellt hat, stattzugeben; sowie

– der Beklagten der ersten Instanz die Kosten aufzuerlegen.

58. Die Kommission beantragt,

– das Rechtsmittel vollständig zurückzuweisen;

– die von ihr im ersten Rechtszug gestellten Anträge aufrechtzuerhalten;

– der Rechtsmittelführerin die Kosten, einschließlich der Kosten des ersten Rechtszugs, aufzuerlegen.

Zum Rechtsmittel

59. Die Rechtsmittelführerin macht neun Rechtsmittelgründe geltend.

60. Sie macht erstens geltend, dass das Gericht bei der Festlegung der Aufgabenverteilung zwischen dem Ausfuhr- und dem Einfuhrstaat einen Rechtsfehler begangen habe, da die türkischen Behörden für die Prüfung, ob die streitigen Bescheinigungen echt seien oder nicht, entgegen den Feststellungen des Gerichts nicht ausschließlich zuständig seien.

61. Zweitens rügt die Rechtsmittelführerin eine Verletzung ihres Rechts auf Akteneinsicht, das nicht auf die Unterlagen beschränkt werden dürfe, auf die die Kommission ihre streitige Entscheidung gestützt habe.

62. Ihr dritter und ihr vierter Rechtsmittelgrund betreffen eine fehlerhafte Verteilung der Beweislast, da ihr das Gericht die volle Beweislast auferlegt habe und gleichzeitig ihre Beweisangebote und ihre Anträge auf Beweisaufnahmen zurückgewiesen habe.

63. Gegenstand des fünften Rechtsmittelgrundes sind Fehler bei der rechtlichen Qualifizierung der Pflichtverletzungen, die den türkischen Behörden und der Kommission vorgeworfen werden. Insoweit erhebt die Rechtsmittelführerin mehrere Rügen in Bezug auf die Bewertung der streitigen Bescheinigungen als unrichtig oder unecht, die unterbliebene Übermittlung von Stempel- und Unterschriftenmustern, die Verletzung der Pflicht zur Warnung der Importeure, die Art und Weise, in der die Untersuchungen in der Türkei durchgeführt worden sind, und die Nichtbekanntmachung der Registrierung der streitigen Bescheinigungen.

64. Mit ihrem sechsten Rechtsmittelgrund wendet sich die Rechtsmittelführerin gegen die im angefochtenen Urteil enthaltene Feststellung, dass die Kommission nicht verpflichtet gewesen sei, den Gemischten Ausschuss oder den Assoziationsrat anzurufen.

65. Die Verkennung ihres berechtigten Interesses an der Nichtigerklärung der streitigen Entscheidung in Bezug auf die Bescheinigung A.TR.1 D 437214 ist Gegenstand des siebten Rechtsmittelgrundes, während das Fehlen einer Billigkeits- und Risikoabwägung im angefochtenen Urteil Gegenstand des achten Rechtsmittelgrundes ist.

66. Mit dem neunten Rechtsmittelgrund schließlich wirft die Rechtsmittelführerin dem Gericht vor, gegen Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK verstoßen zu haben.

Vorbemerkungen

67. Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Rechtsmittelführerin in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, dass der Vollzug von Art. 2 der streitigen Entscheidung nur teilweise ausgesetzt worden sei und ein Teil der die streitigen Bescheinigungen betreffenden Einfuhrabgaben von ihr entrichtet worden sei. Folglich geht es hier sowohl – soweit Beträge betroffen sind, die von der Rechtsmittelführerin entrichtet wurden – um die Erstattung von Einfuhrabgaben als auch – soweit die Abgaben betroffen sind, die nachträglich buchmäßig erfasst, aber von der Rechtsmittelführerin nicht entrichtet wurden – um den Erlass solcher Abgaben.

68. Ferner ist hervorzuheben, dass die Rechtsmittelführerin zur Begründung ihres Rechtsmittels zahlreiche Rügen sowohl in Bezug auf Verstöße gegen wesentliche Formvorschriften als auch hinsichtlich der Verletzung materiellen Rechts erhebt. In Anbetracht der besonderen Umstände des vorliegenden Falles und mit Ausnahme der Rechtsmittelgründe, die sich auf eine Verletzung des Rechts auf Akteneinsicht sowie einen Verstoß gegen Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK beziehen, laufen diese Rügen jedoch im Kern darauf hinaus, dass die durch das Gericht vorgenommene Anwendung von Art. 239 ZK, insbesondere in Bezug auf das Vorliegen eines besonderen Falles im Sinne dieses Artikels, in Frage gestellt wird. Diese Rügen sind daher zusammen an erster Stelle zu prüfen.

Zum Verstoß gegen Art. 239 ZK

Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

69. Die Rechtsmittelführerin kritisiert im Wesentlichen die vom Gericht vorgenommene rechtliche Qualifizierung der Pflichtverletzungen, die zum einen den türkischen Behörden und zum anderen der Kommission zur Last fielen.

70. In Bezug auf die Pflichtverletzungen der türkischen Behörden hat das Gericht nach Ansicht der Rechtsmittelführerin in mehrfacher Hinsicht einen Rechtsfehler begangen:

– bei der Bewertung der streitigen Bescheinigungen und speziell der Bescheinigung A.TR.1 D 437214, soweit diese auf Fälschungen beruhten;

– hinsichtlich der Pflichtverletzungen der türkischen Behörden in Bezug auf die von ihnen verwendeten Stempel- und Unterschriftenmuster und die Registrierung der von ihnen ausgestellten Bescheinigungen;

– im Rahmen der gegenseitigen Amtshilfe in Bezug auf die Mitwirkung der türkischen Behörden an der Ausstellung der streitigen Bescheinigungen und

– in Bezug auf andere Umstände, die Pflichtverletzungen der türkischen Behörden belegten, die hinsichtlich der Rechtsmittelführerin einen besonderen Fall begründeten.

71. Hinsichtlich der Pflichtverletzungen, die sie der Kommission vorwirft, trägt die Rechtsmittelführerin vor, dass ausreichende objektive Anhaltspunkte für systematische und bewusste Verstöße der zuständigen türkischen Behörden bestünden, die eine verstärkte Kontrolle der Präferenzregelung durch die Kommission hätten rechtfertigen müssen.

72. Unter Bezugnahme auf Art. 93 der ZK-Durchführungsverordnung und Art. 4 des Beschl usses Nr. 1/96 vertritt die Rechtsmittelführerin außerdem die Auffassung, dass die Republik Türkei und die Kommission auch während des fraglichen Zeitraums, d. h. von 1995 bis 1997, rechtlich verpflichtet gewesen seien, Muster der von den türkischen Zollbehörden verwendeten Stempel den zuständigen Zollbeamten zu übermitteln oder solche Muster anzufordern.

73. Das Gericht habe auch dadurch einen Rechtsfehler begangen, dass es nicht zu dem Ergebnis gekommen sei, dass die Kommission die Importeure von Fruchtsaftkonzentraten spätestens gegen Ende des Jahres 1994 oder zu Beginn des Jahres 1995 vor Unregelmäßigkeiten in der Türkei bei der Ausstellung von A.TR.1-Warenverkehrsbescheinigungen hätte warnen müssen und außerdem verpflichtet gewesen sei, den Gemischten Ausschuss oder den Assoziationsrat anzurufen.

74. Darüber hinaus habe die UCLAF ihre Verpflichtung, eine ordnungsgemäße Untersuchung in der Türkei durchzuführen, verletzt, da sie bestimmte Untersuchungsmethoden nicht angewandt habe.

75. Schließlich habe das Gericht verkannt, dass es angesichts des Verhältnisses zwischen Wirtschaftsteilnehmer und Verwaltung dem Art. 239 ZK zugrunde liegenden Grundsatz der Billigkeit zuwiderliefe, die Rechtsmittelführerin einen Schaden tragen zu lassen, der aus der streitigen Entscheidung herrühre.

76. Einleitend vertritt die Kommission die Ansicht, dass die von der Rechtsmittelführerin vorgebrachten Rechtsmittelgründe, die sich auf die ihr und den türkischen Behörden vorgeworfenen Pflichtverletzungen bezögen, keine Rechtsfragen beträfen, sondern Tatsachenwürdigungen beinhalteten, die nicht Gegenstand eines Rechtsmittelverfahrens sein könnten.

77. Zudem seien weder die Republik Türkei noch sie selbst nach den im vorliegenden Fall anwendbaren Rechtsnormen verpflichtet gewesen, Muster von Stempeln oder Unterschriften zu übermitteln oder Register von A.TR.1-Bescheinigungen zu führen.

78. Hinsichtlich der Warnung für die Importeure erinnert die Kommission daran, dass die im vorliegenden Fall streitigen Einfuhren aus dem Zeitraum April 1995 bis November 1997 datierten, während Zweifel an der Echtheit und der inhaltlichen Richtigkeit türkischer A.TR.1-Bescheinigungen erst danach, nämlich ab 1998, aufgetreten seien.

79. Sie habe angesichts der einwandfreien Kooperationsbereitschaft der türkischen Behörden außerdem keinen Grund gehabt, den Gemischten Ausschuss oder den Assoziationsrat anzurufen.

Würdigung durch den Gerichtshof

– Zur Zulässigkeit

80. Nach Art. 225 Abs. 1 EG und Art. 58 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs ist das Rechtsmittel auf Rechtsfragen beschränkt und muss auf die Unzuständigkeit des Gerichts, auf einen Verfahrensfehler, durch den die Interessen des Rechtsmittelführers beeinträchtigt werden, oder auf eine Verletzung des Gemeinschaftsrechts durch das Gericht gestützt werden (vgl. insbesondere Urteil vom 28. Februar 2008, Neirinck/Kommission, C‑17/07 P, Randnr. 73).

81. Zur Begründung ihres Rechtsmittels führt die Rechtsmittelführerin zahlreiche Umstände an, die ihrer Ansicht nach einen besonderen Fall im Sinne des Art. 239 ZK begründen.

82. Nach ständiger Rechtsprechung ist ein solcher besonderer Fall nachgewiesen, wenn sich aus den Umständen des Falles ergibt, dass sich der Antragsteller im Vergleich zu anderen Wirtschaftsteilnehmern, die die gleiche Tätigkeit ausüben, in einer außergewöhnlichen Lage befindet (vgl. in diesem Sinn Urteile vom 25. Februar 1999, Trans-Ex-Import, C‑86/97, Slg. 1999, I‑1041, Randnrn. 21 und 22, und vom 7. September 1999, De Haan, C‑61/98, Slg. 1999, I‑5003, Randnrn. 52 und 53). Anhand dieser Umstände ist zu prüfen, ob diese einen besonderen Fall im Sinne von Art. 239 ZK begründen.

83. Mit den im Rahmen des Rechtsmittels erhobenen Rügen wird somit die vom Gericht vorgenommene Anwendung von Art. 239 ZK insoweit kritisiert, als dieses entschieden hat, dass die hier vorliegenden Umstände keinen besonderen Fall begründeten. Diese rechtliche Qualifizierung stellt eine Rechtsfrage dar, die der Gerichtshof im Rahmen eines Rechtsmittels zu prüfen hat.

84. Die von der Kommission erhobene Einrede der Unzulässigkeit ist demnach zurückzuweisen.

– Zur Begründetheit

85. Bei Art. 239 ZK handelt es sich nach ständiger Rechtsprechung um eine allgemeine Billigkeitsklausel (vgl. u. a. Urteil vom 3. April 2008, Militzer & Münch, C‑230/06, Slg. 2008, I‑0000, Randnr. 50).

86. Nach Art. 239 ZK hat ein Abgabenpflichtiger Anspruch auf Erstattung oder Erlass von Zöllen, wenn zwei Voraussetzungen erfüllt sind, nämlich wenn ein besonderer Fall gegeben ist und keine offensichtliche Fahrlässigkeit oder betrügerische Absicht seinerseits vorliegt.

87. Die Sorgfalt der Rechtsmittelführerin und das Fehlen einer betrügerischen Absicht ihrerseits sind nicht Gegenstand des vorliegenden Rechtsmittels. Wie nämlich das Gericht in Randnr. 295 des angefochtenen Urteils festgestellt hat, hat die Kommission im die streitigen Bescheinigungen betreffenden Teil der streitigen Entscheidung zur Frage der Sorgfalt oder der Fahrlässigkeit der Rechtsmittelführerin nicht Stellung genommen.

88. Das Vorliegen eines besonderen Falles im Sinne von Art. 239 ZK ist, wie in Randnr. 82 des vorliegenden Urteils ausgeführt, nachgewiesen, wenn sich aus den Umständen des Falles ergibt, dass sich der Antragsteller im Vergleich zu anderen Wirtschaftsteilnehmern, die die gleiche Tätigkeit ausüben, in einer außergewöhnlichen Lage befindet und er ohne das Vorliegen der betreffenden Umstände den mit der nachträglichen buchmäßigen Erfassung der Zölle verbundenen Nachteil nicht erlitten hätte (vgl. in diesem Sinn Urteil vom 26. März 1987, Coopérative agricole d’approvisionnement des Avirons, 58/86, Slg. 1987, 1525, Randnr. 22).

89. So muss die Kommission bei der Prüfung, ob die vorliegenden Umstände einen besonderen Fall begründen, bei dem weder offensichtliche Fahrlässigkeit noch eine betrügerische Absicht des Betroffenen im Sinne des Art. 239 ZK im Spiel ist, sämtliche relevanten Tatsachen berücksichtigen (vgl. in diesem Sinn Urteil vom 15. Mai 1986, Oryzomyli Kavallas und Oryzomyli Agiou Konstantinou/Kommission, 160/84, Slg. 1986, 1633, Randnr. 16).

90. Diese Verpflichtung beinhaltet in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem sich der Abgabenpflichtige zur Begründung seines Antrags auf Erstattung oder Erlass von Einfuhrabgaben auf das Vorliegen bestimmter schwerer Pflichtverletzungen seitens der türkischen Behörden und der Kommission bei der Anwendung des Assoziierungsabkommens beruft, dass die Kommission bei der Prüfung dieses Antrags sämtliche im Zusammenhang mit den streitigen Bescheinigungen stehenden Tatsachen berücksichtigen muss, die ihr im Rahmen ihrer Aufgabe, die ordnungsgemäße Durchführung dieses Abkommens zu überwachen und zu kontrollieren, bekannt geworden sind.

91. Diese Schlussfolgerung wird im Übrigen durch Art. 904 Buchst. c der ZK-Durchführungsverordnung gestützt, wonach die Einfuhrabgaben nicht erstattet oder erlassen werden, wenn die „einzige … Begründung“ für den Antrag auf Erstattung oder Erlass darin besteht, dass gutgläubig Papiere zur Erlangung einer Zollpräferenzbehandlung für zum zollrechtlich freien Verkehr angemeldete Waren vorgelegt worden sind, die sich später als falsch, gefälscht oder für die Gewährung dieser Zollpräferenzbehandlung ungültig erweisen. Mit anderen Worten, die Vorlage falscher, gefälschter oder ungültiger Bescheinigungen begründet als solche keinen besonderen Fall im Sinne von Art. 239 ZK.

92. Hingegen können andere Umstände, die zur Begründung eines Antrags auf Erstattung oder Erlass von Einfuhrabgaben geltend gemacht werden, wie z. B. die mangelhafte Kontrolle der ordnungsgemäßen Durchführung des Assoziierungsabkommens seitens der Kommission, einen solchen Sonderfall begründen.

93. Zwar verfügt die Kommission bei der Anwendung von Art. 239 ZK über einen Wertungsspielraum; dies entbindet sie jedoch nicht von ihrer Verpflichtung, zum einen das Interesse der Gemeinschaft an der vollen Beachtung der Zollvorschriften – einerlei, ob es sich um Gemeinschaftsbestimmungen handelt oder um solche, die die Gemeinschaft binden – und zum anderen das Interesse des gutgläubigen Importeurs daran, keine Nachteile zu erleiden, die über das normale Geschäftsrisiko hinausgehen, tatsächlich gegeneinander abzuwägen.

94. Diese Abwägung liegt der Systematik des genannten Art. 239 zugrunde, bei dem es sich, wie in Randnr. 85 des vorliegenden Urteils ausgeführt, um eine allgemeine Billigkeitsklausel handelt. Folglich darf sich die Kommission bei der Prüfung eines Antrags auf Erstattung oder Erlass von Einfuhrabgaben nicht damit begnügen, das Verhalten und die Handlungen des Importeurs und des Exporteurs zu werten. Sie muss im Rahmen ihrer Pflicht zur Überwachung und Kontrolle insbesondere auch die Auswirkungen ihres eigenen Verhaltens auf die konkrete Situation im betreffenden Fall berücksichtigen.

95. Insoweit ergibt sich aus Art. 211 EG, dass die Kommission als Hüterin des EG-Vertrags und der auf seiner Grundlage abgeschlossenen Abkommen verpflichtet ist, mit den Mitteln, die ein Abkommen zwischen einem Drittland und der Gemeinschaft oder die auf seiner Grundlage gefassten Beschlüsse vorsehen, dafür Sorge zu tragen, dass das betreffende Land die in dem Abkommen eingegangenen Verpflichtungen erfüllt.

96. Diese Verpflichtung ergibt sich auch aus dem Assoziierungsabkommen selbst sowie aus zahlreichen Beschlüssen zu seiner Durchführung. So verlangt Art. 7 des Assoziierungsabkommens in Verbindung mit Art. 211 EG, dass die Kommission alle geeigneten Maßnahmen allgemeiner oder besonderer Art zur Erfüllung der Verpflichtungen aus dem Assoziierungsabkommen trifft.

97. Darüber hinaus ist die Kommission nach Art. 24 dieses Abkommens im Assoziationsrat vertreten und als Vertreterin der Gemeinschaft auch an den verschiedenen vom Assoziationsrat eingerichteten Ausschüssen beteiligt. So kann die Kommission gemäß Art. 52 Abs. 2 des Beschlusses Nr. 1/95 den Gemischten Ausschuss anrufen, wenn bei der Durchführung dieses Beschlusses für die Gemeinschaft oder die Republik Türkei Schwierigkeiten auftreten.

98. Im Übrigen besitzt die Kommission eine Ständige Vertretung in der Türkei, was es ihr zumindest ermöglicht, über die rechtlichen Entwicklungen in diesem Staat und insbesondere über den Stand der Durchführung des betreffenden Abkommens verlässlich unterrichtet zu sein.

99. Im Rahmen ihrer Verpflichtung, die ordnungsgemäße Durchführung des Assoziierungsabkommens zu überwachen und zu kontrollieren, verfügt die Kommission zudem über beachtliche Befugnisse.

100. So kann die Kommission nach Art. 3 des Anhangs 7 des Beschlusses Nr. 1/95 von den türkischen Behörden alle sachdienlichen Auskünfte verlangen, die es ihr ermöglichen, sich davon zu überzeugen, dass das Zollrecht ordnungsgemäß angewandt wird.

101. Sie kann nach Abs. 4 Buchst. a dieses Artikels außerdem die türkischen Behörden ersuchen, die Überwachung von natürlichen oder juristischen Personen zu veranlassen, bei denen Grund zu der Annahme besteht, dass sie Zuwiderhandlungen gegen das Zollrecht begehen oder begangen haben.

102. Darüber hinaus können ordnungsgemäß bevollmächtigte Beamte der Kommission nach Art. 7 Abs. 3 und 4 des genannten Anhangs im Einvernehmen mit den türkischen Zollbehörden und unter den von diesen festgelegten Voraussetzungen bei deren Dienststellen Auskünfte über Zuwiderhandlungen gegen das Zollrecht einholen oder bei auf türkischem Gebiet durchgeführten Ermittlungen zugegen sein.

103. Das Gleiche gilt auch für Art. 15 des Beschlusses Nr. 1/96, wonach die Mitgliedstaaten und die Republik Türkei zur Gewährleistung der ordnungsgemäßen Durchführung dieses Beschlusses einander im Rahmen der Bestimmungen über die Amtshilfe gemäß Anhang 7 des Beschlusses Nr. 1/95 bei der Prüfung der Bescheinigungen auf ihre Echtheit und Richtigkeit durch ihre jeweiligen Zollverwaltungen Amtshilfe leisten.

104. Folglich kann sich die Kommission nicht mit Erfolg darauf berufen, dass sie sich – wie sie in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat – hinsichtlich der Überprüfung eines Sachverhalts, der sich in einem Drittland, nämlich in der Türkei, abgespielt hat, in derselben Situation befinde wie die Rechtsmittelführerin. Die Kommission hat ganz im Gegenteil die Obliegenheit, umfassend von den Befugnissen Gebrauch zu machen, über die sie aufgrund des Assoziierungsabkommens und der zu seiner Durchführung erlassenen Beschlüsse verfügt, um ihrer Verpflichtung, die ordnungsgemäße Durchführung des Assoziierungsabkommens zu überwachen und zu kontrollieren, nachzukommen.

105. Von diesen Befugnissen umfassend Gebrauch zu machen, wäre umso mehr geboten gewesen, als die Ausfuhren, die für ein und denselben Gemeinschaftshafen, nämlich den Hafen von Ravenna, bestimmt waren, über ein und dieselbe türkische Exportgesellschaft während ein und desselben Bezugszeitraums – laut den Feststellungen im angefochtenen Urteil – mit Hilfe sowohl unrichtiger als auch unechter Bescheinigungen vorgenommen worden waren.

106. Der umfassende Gebrauch der Befugnisse, über die die Kommission im Rahmen ihrer Pflicht zur Überwachung und Kontrolle der ordnungsgemäßen Durchführung des Assoziierungsabkommens verfügt, ist auch deshalb geboten, weil die von den türkischen Behörden vorgenommenen Wertungen hinsichtlich der Unechtheit oder Unrichtigkeit der streitigen Bescheinigungen nicht ganz eindeutig oder zumindest nicht ganz stimmig sind.

107. So zeigt sich, wie das Gericht in den Randnrn. 120 bis 128 des angefochtenen Urteils festgestellt hat, bei einem Vergleich des Inhalts des Schreibens der türkischen Behörden vom 8. März 1999 mit dem der späteren Mitteilungen dieser Behörden, wie dem des Schreibens der Ständigen Vertretung der Türkei vom 22. April 1999 an die UCLAF, dass die Beurteilung der Bescheinigung D 437214 als unecht nicht eindeutig ist.

108. In Bezug auf die beiden anderen A.TR.1-Bescheinigungen, deren Echtheit von den türkischen Behörden im Rahmen der gleichen nachträglichen Überprüfungsmaßnahme beurteilt wurde, hat das Gericht, obgleich diese nicht zu den streitigen Bescheinigungen gehören, in den Randnrn. 198 bis 201 des angefochtenen Urteils ebenfalls gewisse Unstimmigkeiten festgestellt, da die türkischen Behörden diese zu verschiedenen Zeitpunkten im Verfahrensablauf als gefälscht oder inkorrekt oder auch als teilweise inkorrekt eingestuft hätten.

109. Außerdem hat es, wie aus dem angefochtenen Urteil hervorgeht, auch zu Mehrdeutigkeiten geführt, dass die türkischen Behörden eine Vielzahl von Ausdrücken verwendet haben, um das Ergebnis ihrer Überprüfungen der betreffenden Bescheinigungen wiederzugeben – wie u. a. „falsch“ (Schreiben der Ständigen Vertretung der Türkei an die UCLAF vom 10. Juli 1998, angeführt in Randnr. 41 des angefochtenen Urteils), „nicht korrekt … und vom [türkischen] Zollamt nicht ausgestellt und nicht abgezeichnet“ (Schreiben der türkischen Generalzolldirektion vom 8. März 1999, angeführt in Randnr. 123 des angefochtenen Urteils), „nicht korrekt und … nicht vorschriftsgemäß erteilt“ (Schreiben der Ständigen Vertretung der Türkei an die UCLAF vom 22. April 1999, angeführt in Randnr. 124 des angefochtenen Urteils), „inkorrekt“ (Schreiben der türkischen Generalzolldirektion vom 16. Juli 1999, angeführt in Randnr. 200 des angefochtenen Urteils).

110. Darüber hinaus entsprechen die unterschiedlichen Ausdrücke, die die türkischen Behörden in ihrem Schriftverkehr mit der Kommission und den italienischen Zollbehörden verwendet haben, nicht den Begriffen „Echtheit“ und „Richtigkeit“ in Art. 11 des Beschlusses Nr. 5/72 und in Art. 15 des Beschlusses Nr. 1/96.

111. Die vorstehend wiedergegebenen Mehrdeutigkeiten und Unstimmigkeiten hätten die Kommission dazu veranlassen müssen, sich Fragen über die von den türkischen Behörden vorgenommenen Wertungen zu stellen. Unter diesen Umständen oblag es der Kommission, sich im Rahmen ihrer Aufgabe, die ordnungsgemäße Durchführung des Assoziierungsabkommens zu überwachen und zu kontrollieren, zu vergewissern, dass die türkischen Behörden die genannten Bescheinigungen ordnungsgemäß entweder als unrichtig oder als unecht eingestuft hatten.

112. Die Kommission hat jedoch von den Befugnissen, die ihr das Assoziierungsabkommen und die Vorschriften zu seiner Durchführung verleihen, keinen umfassenden Gebrauch gemacht.

113. Erstens hat das Gericht – auch wenn feststeht, dass die UCLAF zwischen dem 12. und dem 15. Oktober 1998 sowie zwischen dem 30. November und dem 2. Dezember 1998 zwei Untersuchungen in der Türkei durchgeführt hat – in Randnr. 218 des angefochtenen Urteils zu Unrecht festgestellt, dass kein beweiskräftiger Umstand die Annahme zulasse, dass es der UCLAF nicht möglich gewesen wäre, eine gründliche Untersuchung, insbesondere bei der Zollbehörde Mersin, durchzuführen. Aus den Missionsberichten der UCLAF vom 9. und vom 23. Dezember 1998 geht eindeutig hervor, dass sich unter den Stellen, die die Ermittler der UCLAF in der Türkei aufsuchten, nicht das Zollamt, nämlich das von Mersin, befand, von dem aus die fraglichen Erzeugnisse in die Gemeinschaft exportiert wurden. Daher konnten sie nicht überprüfen, ob die streitigen Bescheinigungen unecht waren oder nicht. Die beiden Missionsberichte der UCLAF vom 9. und vom 23. Dezember 1998 behandeln nämlich nicht die Frage, ob die streitigen Bescheinigungen tatsächlich gefälscht oder aber von den türkischen Behörden irrtümlich ausgestellt worden waren.

114. Diese Feststellung wird durch ein Schreiben vom 9. Dezember 1998, also aus der Zeit, nachdem die UCLAF die Untersuchungen in der Türkei durchgeführt hatte, bestätigt, in dem der Direktor der UCLAF, Herr Knudsen, die türkischen Behörden „dringend“ ersuchte, ihr Einvernehmen hinsichtlich einer gemeinsamen Untersuchung im Zollamt Mersin zu erklären, um die Einzelheiten aller von der Firma Akman seit Ende 1993 durchgeführten Ausfuhren von Fruchtsaftkonzentraten in Erfahrung zu bringen.

115. Es ist insoweit unbestreitbar, dass die Kommission für die Durchführung einer Untersuchung in den jeweiligen Dienststellen der türkischen Zollbehörden gemäß Art. 7 Abs. 3 des Anhangs 7 des Beschlusses Nr. 1/95 das Einvernehmen dieser Behörden benötigte. Die Kommission hat jedoch in keiner Weise vorgetragen, dass die türkischen Behörden ihr Einvernehmen nicht erteilt hätten, was sie daran gehindert hätte, eine derartige Untersuchung an Ort und Stelle durchzuführen.

116. Ferner ergibt sich aus den Randnrn. 244 bis 259 des angefochtenen Urteils, dass die Kommission von den türkischen Behörden keine Musterabdrücke der vom Zollamt verwendeten Stempel angefordert und diese den Zollbehörden der Mitgliedstaaten nicht übermittelt hat. Das Gericht hat insoweit angenommen, dass die Republik Türkei und die Kommission während des gesamten Zeitraums, in dem die streitigen Einfuhren stattgefunden hätten, nicht verpflichtet gewesen seien, einander Musterabdrücke der von ihren Zollbehörden verwendeten Stempel zu übermitteln.

117. Gerade die Übermittlung von Mustern der in diesen Dienststellen verwendeten Stempel und Unterschriften ermöglicht aber eine wirksame Überwachung in Bezug auf die Einhaltung der Vorschriften über die Zollpräferenzen.

118. Die der Kommission obliegende Verpflichtung, dafür Sorge zu tragen, dass das Assoziierungsabkommen ordnungsgemäß durchgeführt wird, erfordert, dass die Kommission und über sie die Zollbehörden der Mitgliedstaaten jederzeit über alle Angaben verfügen, die ihnen eine wirksame Kontrolle ermöglichen; Musterabdrücke von Stempeln und Unterschriftenmuster stellen unbestreitbar solche Angaben dar.

119. Außerdem ergibt sich – entgegen den Feststellungen des Gerichts in Randnr. 255 des angefochtenen Urteils – aus dem Wortlaut von Art. 15 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/96, so wie er durch den Beschluss Nr. 2/97 des Ausschusses für Zusammenarbeit im Zollwesen EG–Türkei vom 30. Mai 1997 (ABl. L 249, S. 18) geändert worden ist, der am 1. September 1997, also während des Zeitraums, in den die streitigen Ausfuhren fallen, in Kraft getreten ist, eindeutig, dass „[d]ie Zollbehörden der Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und der [Republik] Türkei einander über die Kommission … die Musterabdrücke der Stempel [übermitteln], die ihre Zollstellen bei der Ausstellung der Warenverkehrsbescheinigungen A.TR verwenden“.

120. Auf jeden Fall hätte die Kommission, um die ordnungsgemäße Durchführung des Assoziierungsabkommens zu ermöglichen, auch vor Inkrafttreten dieses Beschlusses von den türkischen Behörden die Übermittlung der genannten Muster auf der Grundlage von Art. 3 des Anhangs 7 des Beschlusses Nr. 1/95 verlangen müssen, der die Kommission ermächtigt, „alle sachdienlichen Auskünfte [anzufordern], die es [ihr] ermöglichen, sich davon zu überzeugen, dass das Zollrecht ordnungsgemäß angewandt wird“.

121. Dass die Republik Türkei die Abdrücke der für die A.TR.1-Bescheinigungen verwendeten Stempel aus freien Stücken übermittelt hat, wie das Gericht in Randnr. 258 des angefochtenen Urteils festgestellt hat, stellt die Schlussfolgerung nicht in Frage, dass die Kommission ihrer Verpflichtung nicht nachgekommen ist, von den türkischen Behörden zu verlangen, dass ihr die Muster der im Zollamt Mersin verwendeten Stempel und Unterschriften übermittelt werden, und diese Muster ihrerseits den Zollbehörden der Mitgliedstaaten zu übermitteln.

122. Schließlich geht aus den Randnrn. 153 bis 160 des angefochtenen Urteils auch hervor, dass sich die Kommission damit begnügt hat, vorzutragen, dass weder nach dem Assoziierungsabkommen noch nach den Vorschriften zu seiner Durchführung die Führung von Registerbüchern in der Türkei, in denen die Zollbescheinigungen verzeichnet seien, vorgeschrieben sei und dass die eventuelle Existenz solcher Register jedenfalls nicht bedeuten würde, dass es sich um echte Bescheinigungen handele, da Fälscher jedes Interesse daran hätten, für gefälschte Bescheinigungen eine Eintragungsnummer zu verwenden, die einer ordnungsgemäßen Bescheinigung entspreche. Diesem Gedankengang hat sich das Gericht in den Randnrn. 161 und 162 des angefochtenen Urteils angeschlossen.

123. Dieser Auffassung kann jedoch nicht gefolgt werden. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Registrierung der von den Zollbehörden ausgestellten Bescheinigungen im internationalen Handelsverkehr unverzichtbar ist. Denn das Fehlen solcher Register droht die Wirksamkeit jeder nachträglichen Kontrolle der von den jeweiligen Zollbehörden ausgestellten Bescheinigungen zunichte zu machen.

124. Außerdem ergibt sich die Verpflichtung der türkischen Behörden zur Registrierung von A.TR.1-Bescheinigungen – entgegen den Feststellungen des Gerichts in Randnr. 161 des angefochtenen Urteils – aus den Vorschriften zur Durchführung des Assoziierungsabkommens. Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/96 sieht nämlich vor, dass bei einer Aufteilung von Warenverkehrsbescheinigungen in Feld 12 des Auszugs die Eintragungsnummer der „ursprünglichen Warenverkehrsbescheinigung“ einzutragen ist. Auch wenn der genannte Art. 13 für den speziellen Fall der Aufteilung von Warenverkehrsbescheinigungen gilt, ist eindeutig, dass in Feld 12 des Vordrucks der Warenverkehrsbescheinigung A.TR.1 die Eintragungsnummer der „ursprünglichen Warenverkehrsbescheinigung“ erscheinen muss, d. h., dass die ursprüngliche Warenverkehrsbescheinigung ebenfalls in den Zollregistern des Ausfuhrstaats eingetragen worden sein muss.

125. Die in Randnr. 162 des angefochtenen Urteils enthaltene Feststellung des Gerichts, dass Fälscher jedes Interesse daran hätten, eine Eintragungsnummer zu verwenden, die einer bereits eingetragenen ordnungsgemäßen Bescheinigung entspreche, ist nicht geeignet, die Kommission von ihrer Verpflichtung zu entbinden, für die ordnungsgemäße Durchführung des Assoziierungsabkommens Sorge zu tragen.

126. Da diese Feststellung bedeutet, dass mit Hilfe von A.TR.1-Bescheinigungen mit der gleichen Eintragungsnummer, von denen eine echt und die andere unecht war, zwei Einfuhren in die Gemeinschaft durchgeführt worden sein könnten, hätte die Kommission im Gegenteil prüfen müssen, ob solche zwei Einfuhren mit Hilfe von A.TR.1-Bescheinigungen, die die gleiche Eintragungsnummer trugen, tatsächlich stattgefunden haben. Dem Vorbringen der Kommission sowohl vor dem Gericht als auch vor dem Gerichtshof lässt sich jedoch entnehmen, dass sie dies nicht getan hat.

127. Da zudem, wie in Randnr. 113 des vorliegenden Urteils ausgeführt, keine der beiden Untersuchungen der UCLAF im Zollamt Mersin durchgeführt wurde, konnte auch nicht überprüft werden, ob es derartige Register gibt und ob die streitigen Bescheinigungen dort eingetragen worden sind oder nicht.

128. Aus der Gesamtheit der vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass die Kommission ihre Pflicht, die ordnungsgemäße Durchführung des Assoziierungsabkommens zu überwachen und zu kontrollieren, verletzt hat.

129. Hätte die Kommission diese Pflicht nicht verletzt, hätte die Fälschung der streitigen Bescheinigungen bei den ersten Einfuhren in die Gemeinschaft entdeckt und aufgeklärt und das Ausmaß der finanziellen Verluste sowohl für den Haushalt der Gemeinschaft als auch für die Rechtsmittelführerin begrenzt werden können. Im Übrigen hätte die Kommission auf diese Weise die Importeure ab dem Zeitpunkt der Entdeckung derartiger Fälschungen rechtzeitig warnen und gegebenenfalls den Gemischten Ausschuss anrufen können.

130. Wenn die Kommission von den Befugnissen, über die sie im Rahmen des Assoziierungsabkommens verfügt, umfassend Gebrauch gemacht hätte, so hätten sich jedenfalls die Zweifel, ob die streitigen Bescheinigungen unecht oder unrichtig sind, ausräumen lassen, und die Echtheit oder Unechtheit der Bescheinigungen hätte mit Sicherheit festgestellt werden können.

131. Folglich begründet die Pflichtverletzung der Kommission einen besonderen Fall im Sinne von Art. 239 ZK.

132. Mit seiner Entscheidung, dass das Vorliegen eines besonderen Falles im Sinne von Art. 239 ZK nicht nachgewiesen worden sei, hat das Gericht demnach diesen Artikel falsch angewandt und somit einen Rechtsfehler begangen.

133. Dieser Rechtsmittelgrund ist folglich stichhaltig.

134. In Anbetracht des Vorstehenden brauchen die auf eine Verletzung des Rechts auf Akteneinsicht sowie einen Verstoß gegen Art. 220 Abs. 2 Buchst. b ZK gestützten Rechtsmittelgründe nicht geprüft zu werden.

Die Folgen der Aufhebung des angefochtenen Urteils

135. Gemäß Art. 61 seiner Satzung hebt der Gerichtshof, wenn das Rechtsmittel begründet ist, die Entscheidung des Gerichts auf. Er kann dann den Rechtsstreit selbst endgültig entscheiden, wenn dieser zur Entscheidung reif ist. Dies ist hier der Fall.

136. Aus der Gesamtheit der in den Randnrn. 85 bis 133 des vorliegenden Urteils angestellten Erwägungen ergibt sich, dass die Kommission einen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen hat, als sie annahm, dass die Voraussetzungen des Art. 239 ZK nicht erfüllt gewesen seien und daher kein Anlass für eine Erstattung oder einen Erlass der sich auf die streitigen Bescheinigungen beziehenden Einfuhrabgaben bestanden habe. Art. 2 der streitigen Entscheidung ist daher für nichtig zu erklären.

Kosten

137. Gemäß Art. 122 seiner Verfahrensordnung entscheidet der Gerichtshof über die Kosten, wenn das Rechtsmittel begründet ist und er selbst den Rechtsstreit endgültig entscheidet.

138. Nach Art. 69 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs, der nach Art. 118 der Verfahrensordnung auch für das Rechtsmittelverfahren gilt, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Rechtsmittelführerin die Verurteilung der Kommission beantragt hat und Letztere mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind der Kommission die Kosten beider Instanzen aufzuerlegen.

Tenor

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

1. Das Urteil des Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften vom 6. Februar 2007, CAS/Kommission (T‑23/03), wird aufgehoben.

2. Art. 2 der Entscheidung der Kommission vom 18. Oktober 2002 (REC 10/01) wird für nichtig erklärt.

3. Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften trägt die Kosten beider Instanzen.

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