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Document 61983CC0231

    Schlussanträge des Generalanwalts VerLoren van Themaat vom 23. Oktober 1984.
    Henri Cullet und Chambre syndicale des réparateurs automobiles et détaillants de produits pétroliers gegen Centre Leclerc, Toulouse, und Centre Leclerc, Saint-Orens-de-Gameville.
    Ersuchen um Vorabentscheidung: Tribunal de commerce de Toulouse - Frankreich.
    Nationale Regelung der Treibstoffpreise.
    Rechtssache 231/83.

    Sammlung der Rechtsprechung 1985 -00305

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:1984:322

    SCHLUßANTRÄGE DES GENERALANWALTS

    PIETER VERLOREN VAN THEMAAT

    vom 23. Oktober 1984 ( *1 )

    Herr Präsident,

    meine Herren Richter!

    1. Die vorgelegte Frage

    Mit Beschluß vom 1. August 1983 hat der Präsident des Tribunal de Commerce Toulouse Ihnen folgende Frage vorgelegt:

    „Sind die Artikel 3 Buchstabe f und 5 des Vertrages vom 25. März 1957 zur Gründung der EWG dahin auszulegen, daß sie es verbieten, durch Gesetz oder Verordnung vorgeschriebene Mindestpreise für den Tankstellenverkauf von Kraftstoffen — Benzin, Superkraftstoff und Dieselkraftstoff — an Verbraucher in einem Mitgliedstaat in Form eines Systems einzuführen, das jeden irgendeinem Staat der Gemeinschaft angehörenden Einzelhändler zur Einhaltung des festgesetzten Mindestpreises verpflichtet?“

    Auf den ersten Blick zeigt diese Fragestellung eine starke Ähnlichkeit mit derjenigen in der Rechtssache 229/83 (Leclerc), zu der Generalanwalt Darmon am 3. Oktober 1984 seine Schlußanträge vortrug. Meine Untersuchung des Sachverhalts und vor allem der einschlägigen französischen und Gemeinschaftsvorschriften wird jedoch zeigen, daß gegenüber der genannten französischen Buchsache erhebliche Unterschiede bestehen.

    2. Sachverhalt, einschlägige französische Rechtsvorschriften und die Folgen dieser Vorschriften für die Einfuhrmöglichkeiten

    2.1. Sachverhalt

    Von dem dem Ausgangsverfahren zugrundeliegenden Sachverhalt ist hier nur von Belang, daß die Antragsteller im Verfahren der einstweiligen Verfügung anstreben, daß zwei Centres Leclerc verboten wird, die genannten Kraftstoffe zu Preisen zu verkaufen, die unter den in der Verordnung Nr. 82.13A vom 29. April 1982 und den dazu ergangenen Durchführungsvorschriften festgesetzten Mindestpreisen liegen.

    2.2. Die einschlägigen französischen Rechtsvorschriften

    Die sehr verwickelten einschlägigen französischen Preisvorschriften werden in den Stellungnahmen der Antragsgegner des Ausgangsverfahrens, der französischen Regierung und der Kommission untersucht; diese Untersuchungen sind im Sitzungsbericht zusammengefaßt. Für meine Schlußanträge sind die folgenden Merkmale dieses Systems wesentlich.

    Für jede geographische Preiszone wird ein Mindestpreis für jedes der betroffenen Erzeugnisse festgesetzt. Dieser Mindestpreis berücksichtigt einen festgesetzten Höchstabzug von dem Mittel der Höchstpreise für den Verkauf an Verbraucher. Dieses Mittel ergibt sich unter Berücksichtigung gesetzlich vorgesehener Zuschläge aus den Preisen ab Raffinerie, von denen auch die Höchstpreise beim Verkauf durch Importeure abhängig sind. Die Preise ab Raffinerie (Übernahmepreise) entsprechen durchgängig dem für Raffinerien geltenden Höchstpreis. Für die Festsetzung dieses Höchstpreises gibt im Grundsatz der nach einer bestimmten Formel berechnete mittlere auf den freien Märkten der Gemeinschaft festgestellte Kurs Maß. Das gilt jedoch nur, sofern dieser Kurs vom Gestehungspreis der französischen Raffinerien nicht um mehr als 8 % nach oben oder unten abweicht.

    Für die Einfuhr- und Einkaufspreise des Einzelhandels gibt es keinen Mindestpreis. Somit kann der Einzelhandel insoweit von den niedrigsten Preisen profitieren, zu denen die Kraftstoffe in der Gemeinschaft angeboten werden. Durch den genannten Mindestpreis wird er aber unter Umständen daran gehindert, die beim Kauf erzielten Preisvorteile an die Verbraucher weiterzugeben.

    2.3. Die Folgen der französischen Regelung

    Die Frage, ob der so für den Verkauf an den Endverbraucher vorgeschriebene Mindestpreis die Einfuhr beschränken könne, hat natürlich in den schriftlichen Stellungnahmen und in der mündlichen Verhandlung eine wesentliche Rolle gespielt. Die im Laufe des Verfahrens auch aufgeworfene Frage, ob die Art der Festsetzung der Höchstpreise vertragsgemäß sei, kann hier außer Betracht bleiben. Dazu hat das vorlegende Gericht nämlich keine Frage gestellt. Das gleiche gilt für den mittelbaren Einfluß, den die Verpflichtung der Importeure, 80 % der Verträge mittelfristig abzuschließen, auf den Preisstand und die Einfuhrmengen haben mag. Die Einfuhrregelung kann auch im übrigen außer Betracht bleiben, weil hierzu keine Fragen gestellt wurden.

    Zu den Mindestpreisen hat die französische Regierung im wesentlichen ausgeführt, die Einfuhr- und Absatzmöglichkeiten eines (relativ homogenen) Erzeugnisses wie Benzin hingen ausschließlich vom Großhandelspreis ab. Wenn der Großhandelspreis eingeführten Benzins unter dem französischen Benzins liege, werde der Einzelhandel stets dem eingeführten Benzin den Vorzug geben, auch wenn er diesen niedrigeren Einkaufspreis zuzüglich Kosten und Gewinnmarge möglicherweise nicht vollständig an den Verbraucher weitergeben dürfe. Er mache dann aber einen höheren Gewinn. Da der Einzelhändler beim Kauf von billigerem eingeführten Benzin immer einen Vorteil habe, könne der festgesetzte Mindestpreis — nach dem Vortrag der französischen Regierung in der mündlichen Verhandlung — niemals zur Beschränkung von Einfuhren führen. Daß dem so sei, ergebe sich auch aus den auf Anforderung des Gerichtshofes vorgelegten Einfuhrstatistiken. Danach sei die französische Einfuhr von Benzin aus anderen Mitgliedstaaten von 1981 bis 1983 ungeachtet eines kaum gestiegenen Gesamtverbrauchs um 139 % gestiegen. Eine solche Steigerung der Einfuhren schließt aber keineswegs aus, daß der zwischenstaatliche Handel nach wie vor erheblich beschränkt wird. So ändert der Umstand, daß der zwischenstaatliche Handel durch die Abschaffung der Zölle und mengenmäßigen Beschränkungen in den 60er Jahren enorm zugenommen hat, nichts an dem allgemein bekannten Umstand, daß der zwischenstaatliche Handel nach wie vor durch zahllose Beschränkungen behindert wird. Auch nach Ihrer Rechtsprechung soll selbst eine beträchtliche Ausweitung des Handelsvolumens zwischen Mitgliedstaaten nicht ausschließen, daß der zwischenstaatliche Handel von einer Maßnahme beeinträchtigt wird (vgl. Urteil in den Rechtssachen 56 und 58/64, Grundig-Consten, Slg. 1966, 321, 389 f.).

    Zudem hat die Kommission in der mündlichen Verhandlung gegen das französische Vorbringen zum faktischen Einfluß der Mindestpreise auf die Einfuhrmöglichkeiten zu Recht angeführt, diese Mindestpreise hinderten die betroffenen Einzelhändler unter Umständen daran, ihren Marktanteil im Hinblick auf billig eingeführtes Benzin zu vergrößern. Auf diese Weise wird in der Tat unvermeidlich auch die Möglichkeit der Vergrößerung des Marktanteils der Einfuhr beschränkt.

    3. Die Erheblichkeit der Artikel 3 Buchstabe f und 5 EWG-Vertrag

    Wörtlich verstanden, ist die Frage des vorlegenden Gerichts natürlich bereits deshalb zu verneinen, weil Artikel 3 Buchstabe f und 5 EWG-Vertrag einzeln oder selbst in Verbindung miteinander keine unmittelbaren, vom nationalen Gericht anzuwendenden Verbote enthalten.

    Artikel 3 Buchstabe f ist ein Programmsatz, der nach Ihrer Rechtsprechung nur für die Bestimmung der Ziele anderer Vertragsbestimmungen von Bedeutung sein kann. Insbesondere kann er bei der Auslegung der Artikel 85 bis 102 EWG-Vertrag eine Rolle spielen.

    Unter Berücksichtigung der übrigen Ziele des EWG-Vertrages kann Artikel 3 Buchstabe f weiter nicht als Hinweis darauf gelesen werden, daß alle wettbewerbsbeschränkenden Maßnahmen der Gemeinschaft oder der Mitgliedstaaten im Grundsatz den Zielen des EWG-Vertrags widersprechen. Folglich kann ein Verbot solcher Maßnahmen auch nicht aus Artikel 5 in Verbindung mit Artikel 3 Buchstabe f EWG-Vertrag abgeleitet werden ( 1 ).

    Anders als Artikel 3 Buchstabe f enthält Artikel 5 mehr als einen Programmsatz, der nur für die Ziele der übrigen Vertragsbestimmungen von Bedeutung sein könnte. Im Gegenteil beinhalten die beiden Absätze von Artikel 5 zwei allgemeine Verpflichtungen und ein allgemeines Verbot. Dabei ergibt sich die konkrete Bedeutung von Absatz 1 Satz 1 aber aus anderswo im EWG-Vertrag niedergelegten oder aus Handlungen der Gemeinschaftsorgane folgenden — und somit nicht unmittelbar anwendbaren — Verpflichtungen und Verboten. Wie Sie unter anderem in Ihren Urteilen in den Rechtssachen 78/70 (Deutsche Grammophon/Metro, Slg. 1971, 498, Randnr. 5 der Entscheidungsgründe), 13/77 (Inno-ATAB, Slg. 1977, 2115, Randnrn. 30, 31, 36 und 37 der Entscheidungsgründe) und 141/78 (Frankreich/Vereinigtes Königreich, Slg. 1979, 2923, Randnr. 8 der Entscheidungsgründe) ausgeführt haben, folgt aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 und Absatz 2 jedoch, daß die in diesem Artikel niedergelegten Verpflichtungen zur Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten unter Umständen über anderswo festgelegte besondere rechtsverbindliche Verpflichtungen hinausgehen können. Wohl wird dann aus der Struktur des EWG-Vertrages und aus anderen einschlägigen Rechtsquellen eine Präzisierung der allgemeinen Verpflichtungen des Artikels 5 abzuleiten sein. Soweit es um nationale hoheitliche Maßnahmen geht, die den zwischenstaatlichen Handel unmittelbar oder mittelbar beschränken oder unter bestimmten tatsächlichen Voraussetzungen beschränken können, wird Artikel 5 hingegen in der Regel kaum eine zusätzliche Regelung zu den Artikeln 30 bis 36 und anderen besonderen Bestimmungen des EWG-Vertrages bringen. Diese besonderen Vertragsbestimmungen können dann höchstens als Sonderfall von Artikel 5 angesehen werden, ohne welche in diesen Fällen Artikel 5 nicht Grundlage von unmittelbaren Verpflichtungen oder Verboten sein könnte.

    Daraus, daß die Artikel 3 Buchstabe f und 5, einzeln oder in Verbindung miteinander betrachtet, kein vom nationalen Gericht unmittelbar anzuwendendes Verbot beinhalten, leitet im vorliegenden Fall nur die italienische Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen ab, daß die Ihnen gestellte Frage zu verneinen sei. In den übrigen schriftlichen und mündlichen Erklärungen wird die Frage auch oder ausschließlich anhand der Artikel 85 und 86 (wegen Ihres Inno-ATAB-Urteils) oder der Artikel 30 und 36 EWG-Vertrag behandelt.

    4. Die Erheblichkeit der Artikel 85/86 bzw. 30/36 EWG-Vertrag

    4.1.

    Für die Anwendbarkeit von Artikel 5 in Verbindung mit den Artikeln 85 und 86 EWG-Vertrag halte ich es mit Generalanwalt Darmon in seinen kürzlichen Schlußanträgen in der französischen Buchsache (Rechtssache 229/83) für entscheidend, ob es um eine „gemischte“ oder „quasiöffentliche“ Regelung geht oder um eine rein öffentlichrechtliche. Von einer quasiöffentlichen Regelung kann insbesondere dann gesprochen werden, wenn die hoheitliche Regelung privatrechtliche, durch die Artikel 85 und 86 verbotene wettbewerbsverfälschende Unternehmenspraktiken ermöglicht oder sogar (wie es in der französischen Buchsache teilweise der Fall war) vorschreibt. Wenn der Staat den Verlagen und Importeuren ein vertikales Preisbindungssystem für Bücher vorschreibt (oder, was auf dasselbe hinausläuft, ein nicht allgemein angewandtes privatrechtliches vertikales Preisbindungssystem für allgemeinverbindlich erklärt), ergeben sich die praktischen Folgen der Regelung in erster Linie aus dem von den einzelnen Unternehmen kollektiv angewandten und vom Staat aufrechterhaltenen System der vertikalen Preisbindung. Daß nach der staatlichen Regelung eine Kürzung der derart privatrechtlich festgelegten Einzelhandelspreise um 5 % zuzulassen ist, ändert daran nichts. Führt das System gar dazu, bestimmten Importeuren für Gruppen eingeführter Bücher ein Einfuhrmonopol zu verschaffen, ergibt sich zugleich die Möglichkeit eines Mißbrauchs der wirtschaftlichen Machtposition. Mit Generalanwalt Darmon bin ich der Meinung, daß aus Ihrem Inno-ATAB-Urteil logisch folgt, daß in einem solchen Fall Artikel 5 Absatz 2 in Verbindung mit Artikel 85 und 86 Anwendung findet. Bei einer solchen Betrachtung stehen nicht die einfuhrbeschränkenden, sondern die wettbewerbsbeschränkenden Folgen der Regelung im Vordergrund.

    4.2.

    Die vorliegende Mindestpreisregelung für die Einzelhandelspreise für Mineralölerzeugnisse entspringt sicherlich keinem solchen gemischten oder quasiöffentlichen System. Der Inhalt der Mindestpreisregelung und damit ihre mittelbaren oder unmittelbaren Folgen für unter anderem die Einfuhrmöglichkeiten ergeben sich ausschließlich aus der staatlichen Regelung. In einem solchen Fall kann die Inno-ATAB-Erkenntnis nicht angewandt werden; die Regelung ist ausschließlich an den Artikeln 30 und 36 EWG-Vertrag (möglicherweise in Verbindung mit Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 und Absatz 2 oder umgekehrt in Artikel 5 in Verbindung mit Artikel 30 und 36) zu messen. Das haben im vorliegenden Verfahren auch die Kommission und die französische Regierung vorgebracht.

    5. Untersuchung der Mindesteinzelhandelspreise für hier im Streit befindliche Erdölerzeugnisse anhand der Artikel 30 und 36 EWG-Vertrag

    5.1. Die eingereichten Erklärungen

    Einen vollständigen Überblick über die von den Antragsgegnern des Ausgangsverfahrens, von der französischen und italienischen Regierung und von der Kommission eingereichten schriftlichen Erklärungen gibt der Sitzungsbericht. In der mündlichen Verhandlung hat nicht nur die griechische Regierung noch ihre Erklärungen abgegeben, vielmehr wurden außerdem die wesentlichsten schriftlichen Erklärungen näher ausgeführt. Ich erinnere daran, daß der Bevollmächtigte der griechischen Regierung ebenso wie derjenige der französischen Regierung ausführte, die Artikel 3 Buchstabe f und 5 EWG-Vertrag in Verbindung mit den Artikeln 30 ff. und 85 ff. wendeten sich nicht gegen Mindestpreisregelungen wie die vorliegenden. Soweit erforderlich, werde ich auf bestimmte Argumente noch zurückkommen.

    5.2. Untersuchung anhand des Artikels 30

    Seit dem Urteil in der Rechtssache Dassonville (Rechtssache 8/74, Slg. 1974, 837) ist nach Ihrer ständigen Rechtsprechung als Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung anzusehen „jede Handelsregelung der Mitgliedstaaten, die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern“.

    Für Mindestpreisregelungen wird diese Regel insbesondere im Urteil Van Tiggele (Rechtssache 82/77, Slg. 1978, 25) näher verdeutlicht (vgl. aber für die Untersuchung von Mindesteinzelhandelspreisen von Tabakwaren anhand des Artikels 30 auch die Urteile in der Rechtssache Inno-ATAB, in der Rechtssache 90/82 (Kommission/Frankreich, Slg. 1983, 2011) und in den verbundenen Rechtssachen 177 und 178/82 (Van de Haar, Slg. 1984, 1797)). In der Rechtssache Van Tiggele ging es um Mindesteinzelhandelspreise für bestimmte Branntweinerzeugnisse (insbesondere alten und jungen Genever). In Randnummer 12 der Entscheidungsgründe haben Sie die Entscheidungsformel aus dem Urteil Dassonville wiederholt. In Randnummer 13 der Entscheidungsgründe hat der Gerichtshof ausgeführt: „Zwar kann sich eine innerstaatliche Preisregelung, die unterschiedslos für inländische wie für eingeführte Erzeugnisse gilt, im allgemeinen nicht so auswirken, doch kann es in bestimmten Sonderfällen anders sein.“ Der Ausgangspunkt wird dann in den Randnummern 16 und 17 der Entscheidungsgründe näher ausgeführt, die Ausnahmen hiervon, soweit sie vorliegend von Bedeutung sind, in den Randnummern 14 und 18. In Randnummer 14 heißt es: „So kann sich eine Behinderung der Einfuhr insbesondere daraus ergeben, daß eine innerstaatliche Stelle Preise oder Gewinnspannen so festsetzt, daß dadurch die eingeführten Erzeugnisse gegenüber gleichartigen inländischen Erzeugnissen benachteiligt werden, sei es, weil sie zu den festgesetzten Bedingungen nicht gewinnbringend abgesetzt werden können, sei es, weil der sich aus dem niedrigeren Gestehungspreis ergebende Wettbewerbsvorteil neutralisiert wird.“ In Randnummer 18 der Entscheidungsgründe wird hinzugefügt, der Ausgangspunkt finde dagegen keine Anwendung „bei dem auf einen bestimmten Betrag festgesetzten Mindestpreis, der, obwohl er für inländische wie für eingeführte Erzeugnisse gleichermaßen gilt, den Absatz der letzteren insoweit zu benachteiligen geeignet ist, als er verhindert, daß ihr niedrigerer Gestehungspreis sich im Preis für den Verkauf an den Verbraucher niederschlägt“.

    Aus meiner Erörterung der sachlichen Folgen der fraglichen Preisregelung ergibt sich bereits, warum das französische Vorbringen, Artikel 30 finde vorliegend keine Anwendung, zu verwerfen ist. Ich bin (am Ende von Nr. 2) bereits zu dem Ergebnis gekommen, daß die französischen Mindestpreise für den Tankstellenverkauf von Erdölerzeugnissen die betroffenen Einzelhändler unter Umständen daran hindern, ihren Marktanteil (und damit den Umfang der Einfuhr von billigem Benzin aus anderen Mitgliedstaaten) zu vergrößern. Damit steht fest, daß auch die vorliegende Mindestpreisregelung geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern, um die Formulierung des Urteils Dassonville nochmals zu zitieren. Damit steht auch fest, daß der aus dem niedrigeren Gestehungspreis folgende Wettbewerbsvorteil insofern hinfällig wird, als eine Vergrößerung des Marktanteils verhindert wird. Da dies eines der mit dem Wettbewerb verfolgten Ziele ist, ist auch dem Kriterium in Randnummer 14 der Entscheidungsgründe in Ihrem Urteil Van Tiggele Genüge getan (und aus entsprechenden Gründen auch der Randnr. 18 der Entscheidungsgründe). Weiter steht damit fest, daß auch eine Mindestpreisregelung wie die vorliegende im Grundsatz unter das Verbot des Artikels 30 fällt. Insbesondere geht es dabei um eine mittelbare und potentielle (von den Marktgegebenheiten abhängige) Behinderung der Einfuhr. Die Behinderung kommt insbesondere zum Tragen, wenn die Kurse auf dem freien Markt (Spotmarkt) in den Niederlanden — oder auf den Märkten der anderen Mitgliedstaaten im allgemeinen — um mehr als 8 % unter den Gestehungspreisen der französischen Raffinerien liegen. Dieses Ergebnis wird — im Gegensatz zur vorgetragenen Ansicht der französischen Regierung — dadurch eher gestützt als in Frage gestellt, daß beim Kauf von Benzin, anders als dem von Genever, um den es in der Rechtssache Van Tiggele ging, nahezu ausschließlich der Preis eine Rolle als Wettbewerbsfaktor spielt und Qualität und Markenwettbewerb vernachlässigt werden können, weil die fraglichen Kraftstoffe sich zu ähnlich sind.

    Daraus folgt weiter, daß eine Mindestpreisregelung wie die vorliegende in der Sache nicht als eine Preisregelung angesehen werden kann, die für eingeführte Erzeugnisse dieselben Folgen hat wie für einheimische. Ich schließe mich der Auffassung der Kommission an, wonach dann auch die Voraussetzungen nicht erfüllt sind, die Sie in Ihrer Rechtsprechung im Laufe der Jahre angesichts des sogenannten „rule of reason“ entwickelt haben und die sich zum ersten Mal in den Randnummern 6 und 7 des Urteils Dassonville finden. Insbesondere in Ihren Urteilen in den Rechtssachen 120/78 (Cassis de Dijon, Sig. 1979, 649) und 113/80 (Kommission/Irland, Slg. 1981, 1625, insbesondere Randnr. 10 der Entscheidungsgründe) haben Sie verdeutlicht, daß die zwingenden Gründe des öffentlichen Wohls, die der „rule of reason“ zugrunde liegen, nur dann die Anwendbarkeit der Grundformel des Urteils Dassonville und damit des Artikels 30 selbst ausschließen können, wenn es wirklich um Maßnahmen geht, die unterschiedslos auf einheimische wie eingeführte Erzeugnisse Anwendung finden, in den Worten der Randnummer 7 Ihres Urteils Dassonville, um Maßnahmen, die auch faktisch keine verschleierte (unrechtmäßige) Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten darstellen. Die von der französischen Regierung vorgebrachten Rechtfertigungsgründe sind unter diesen Umständen nicht an der rule of reason, sondern an Artikel 36 EWG-Vertrag zu messen. Auf dieser Grundlage rechtfertigt übrigens auch die französische Regierung hilfsweise die Regelung.

    5.3. Untersuchung der Rechtfertigungsgründe anhand des Artikels 36 EWG-Vertrag

    Die französische Regierung hat die fragliche Regelung in ihren schriftlichen und mündlichen Ausführungen hauptsächlich gerechtfertigt: 1) mit dem Bemühen, den Verbrauch von Erdölerzeugnissen zu beschränken, 2) mit dem Wunsch, ein hinreichend dichtes Vertriebsnetz im ganzen französischen Staatsgebiet sicherzustellen, 3) mit dem Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Hierzu kann ich mich kurz fassen. Die ersten beiden Rechtfertigungsgründe sind wirtschaftlicher Natur; im übrigen können sie unmöglich unter einen der in Artikel 36 genannten Rechtfertigungsgründe subsumiert werden. Nach Ihrer ständigen Rechtsprechung zu Artikel 36 sind sie bereits aus diesen Gründen zu verwerfen.

    Ich verweise in diesem Zusammenhang unter anderem auf Ihr Urteil in der Rechtssache 95/81 (Kommission/Italien, Slg. 1982, 2187). Zur Erläuterung der Berufung auf die öffentliche Sicherheit und Ordnung wird nur auf die soziale Unruhe und die Blockade- und Gewaltakte verwiesen, zu denen der von den Centres Leclerc ausgelöste Preiskrieg führte. Eine derart weite Auslegung des Begriffs der öffentlichen Ordnung findet in Ihrer Rechtsprechung jedoch keine Stütze. In diesem Zusammenhang verweist die Kommission insbesondere auf Ihr Urteil in der Rechtssache 7/78 (Thompson u. a., Slg. 1978, 2247, insbesondere Randnr. 34 der Entscheidungsgründe). Ich möchte noch hinzufügen, daß es nach den Erfahrungen des letzten Jahres (insbesondere im Rahmen des französischitalienischen Weinkriegs) zu unannehmbaren Folgen führen würde, wollte man Unruhen als Rechtfertigungsgrund für Beschränkungen des freien Warenverkehrs akzeptieren. Wenn Straßenblockaden und andere Kampfmittel von Interessenverbänden, die sich durch die Einfuhr und den Verkauf bestimmter billiger Erzeugnisse oder durch Dienstleistungen zu günstigen Preisen oder durch Gastarbeiter oder ausländische Niederlassungen bedroht fühlen, als Rechtfertigung akzeptiert würden, könnte auf den Bestand der vier Grundfreiheiten des EWG-Vertrages nicht mehr vertraut werden. Anstelle des EWG-Vertrages und der gemeinschaftlichen (und in den im EWG-Vertrag genannten Grenzen nationalen) Einrichtungen könnten dann private Interessengruppen deren Umfang bestimmen. In solchen Fällen verlangt der Grundsatz der öffentlichen Ordnung vielmehr ein wirksames Einschreiten der öffentlichen Gewalt gegen solche Wirren. Zusätzlich trägt die Kommission noch vor, selbst wenn man im Grundsatz einen der angeführten Rechtfertigungsgründe akzeptieren würde, so stünde doch Artikel 36 Absatz 2 seiner endlichen Annahme entgegen. In der Tat folgt auch aus meiner Analyse der tatsächlichen Folgen dei französischen Regelung, daß sie einen versteckten Schutz der französischen Raffinerien und damit eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen Mitgliedstaaten darstellt.

    Vollständigkeitshalber will ich zum Schluß noch auf Ihr Urteil vom 10. Juli 1984 in der Rechtssache 72/83 (Campus Oil Limited u. a., Slg. 1984, 2727) eingehen. Da dieses Urteil im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung noch nicht ergangen war, konnte es natürlich nicht erörtert werden. Das schließt in einem Vorabentscheidungsverfahren natürlich nicht aus, daß der Gerichtshof es von Amts wegen berücksichtigt. Wie erinnerlich, hat der Gerichtshof in jener Rechtssache entschieden, daß ein Mitgliedstaat, dessen Versorgung mit Erdölerzeugnissen vollständig oder fast vollständig von der Einfuhr abhängt, sich auf Gründe der öffentlichen Sicherheit im Sinne von Artikel 36 EWG-Vertrag berufen kann, um die Importeure zu verpflichten, einen bestimmten Prozentsatz ihres Bedarfs bei einer in seinem Hoheitsgebiet gelegenen Raffinerie durch Käufe zu Preisen zu decken, die vom zuständigen Minister aufgrund der beim Betrieb dieser Raffinerie entstehenden Kosten festgesetzt werden, wenn die Produktion der Raffinerie nicht auf dem betreffenden Markt zu Wettbewerbspreisen frei abgesetzt werden kann. Er hat jedoch hinzugefügt: „Die unter eine solche Regelung fallenden Mengen von Erdölerzeugnissen dürfen weder die Grenzen der Mindestversorgung, ohne die die öffentliche Sicherheit des betreffenden Staates gefährdet wäre, noch die des Produktionsniveaus überschreiten, das erforderlich ist, um die Kapazität der Raffinerieanlagen im Falle einer Krise betriebsbereit zu halten und um die ununterbrochene Verarbeitung des Erdöls zu ermöglichen, über dessen Lieferung der betreffende Staat langfristige Verträge geschlossen hat.“

    Auf die Bedeutung dieses Urteils für die Auslegung von Artikel 36 im allgemeinen brauche ich hier nicht einzugehen. Seine Erwägungen passen nicht auf den vorliegenden Fall, da wesentliche Unterschiede im Sachverhalt bestehen. Zunächst kann ein Staat wie Frankreich aufgrund seiner geographischen Lage in Zeiten einer Erdölversorgungskrise leichter als ein Inselstaat wie Irland auf die auf gemeinschafts- und internationaler Ebene getroffenen Regelungen über den gegenseitigen Beistand zurückgreifen. Dann folgt aus den vorgelegten statistischen Daten, daß die französischen Raffinerien den französischen Bedarf zu einem Prozentsatz decken, der ungefähr das Doppelte des von der streitigen irischen Regelung gesicherten Inlandsmarktanteils der irischen Raffinerie beträgt. Weiter ergibt sich aus den Randnummern 34 und 47 der Entscheidungsgründe des Urteils Campus Oil, daß eine Berufung auf die öffentliche Sicherheit nur insofern als gerechtfertigt anzusehen ist, als die fragliche Lieferkapazität erforderlich ist, um das Funktionieren der wesentlichen irischen öffentlichen Dienste sowie das Überleben seiner Bevölkerung zu sichern. Außer an öffentliche Versorgungsbetriebe und einen beschränkten Teil der eigentlichen öffentlichen Dienste ist hierbei auch an Krankenhäuser zu denken. Im vorliegenden Verfahren liegt der Grund für die französische Regelung hingegen nach Sachverhalt und Vorbringen der Beteiligten in der Notwendigkeit, eine geographisch optimal gestreute Versorgung rein privater Bedürfnisse sicherzustellen. Nach Randnummer 35 der Entscheidungsgründe in Ihrem Urteil Campus Oil werden solche Interessen jedoch als rein wirtschaftlicher Art angesehen, die eine Berufung auf Artikel 36 nicht rechtfertigen könnten, wobei Sie auch auf Ihr bereits genanntes Urteil in der Rechtssache 95/81 verweisen. Schließlich diente die irische Regelung ausschließlich der besseren Gewähr der Versorgung mit Rohöl. Ich verweise insoweit auf die Randnummern 39 und 40 der Entscheidungsgründe jenes Urteils. In der vorliegenden Rechtssache ist nicht dargetan, daß die französische Regelung ein ähnliches Ziel verfolgte. Sie bezieht sich vielmehr ausschließlich auf Benzin und vergrößert die Gewähr für die Versorgung mit Rohöl in Krisenzeiten in keiner Weise.

    Das Urteil Campus Oil kann mich deshalb nicht veranlassen, meine Auffassung zur Anwendbarkeit des Artikels 36 im vorliegenden Fall zu revidieren.

    5.4. Antrag

    Ich beantrage, die vorgelegte Frage wie folgt zu beantworten:

    „Artikel 5 ist in Verbindung mit den Artikeln 30 und 36 EWG-Vertrag dahin gehend auszulegen, daß es eine nicht durch Artikel 36 EWG-Vertrag gerechtfertigte und damit verbotene Maßnahme mit gleicher Wirkung wie mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen im Sinne von Artikel 30 EWG-Vertrag darstellt, wenn ein Mitgliedstaat einen Mindestpreis für den Einzelhandelsverkauf in einer Höhe und nach Bestimmungen der hier streitigen Art festsetzt und die Preise bei der Einfuhr aus anderen Mitgliedstaaten für die Berechnung des Mindestpreises unter bestimmten Marktverhältnissen und bis zu einer bestimmten Höhe an die Preise oder Gestehungspreise der Hersteller vergleichbarer einheimischer Erzeugnisse anpaßt. Hingegen enthalten Artikel 3 Buchstabe f und 5 EWG-Vertrag einzeln oder in Verbindung miteinander keine unmittelbar anwendbaren Bestimmungen, die für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits von Bedeutung sein könnten.“

    Wie Sie gemerkt haben, habe ich bei meinem Entscheidungsvorschlag die Formulierung der Ihnen vorgelegten Frage soweit als möglich berücksichtigt. Sollten Sie die Frage umformen — was zu begründen wäre —, könnte sie natürlich auch ausschließlich aufgrund der Artikel 30 und 36 EWG-Vertrag beantwortet werden. Bei der Formulierung meines Vorschlags habe ich mich weiter bemüht, einige Mißverständnisse zu vermeiden, zu denen der Entscheidungsvorschlag der Kommission führen könnte. Wie erinnerlich, hat die Kommission ein mögliches Mißverständnis am Ende der mündlichen Verhandlung ausgeräumt.


    ( *1 ) Aus dem Niederländischen übersetzt.

    ( 1 ) Diese beiden Feststellungen ändern natürlich nichts daran, daß bereits aus dem vierten Absatz der Präambel zum EWG-Vertrag folgt, daß die in diesem Vertrag vorgesehenen vier Freiheiten mit zum Ziel haben, einen redlichen Wettbewerb zu gewährleisten. Die betreffenden Vertragsbestimmungen benützen insoweit aber andere und einfacher anzuwendende Kriterien als die Artikel 82 bis 92. Umgekehrt hat sich bei der Vorbereitung und Anwendung der Verordnung Nr. 17 ergeben, daß namentlich für die Mitgliedstaaten, bei denen es auf nationaler Ebene keine Grundlage für das Verbot von Kartellabsprachen gibt, das überzeugendste Argument für die Annahme der recht strengen Regelung des Artikels 85 in Verbindung mit der Verordnung Nr. 17 darin bestand, daß der Wirtschaft nicht gestattet werden könne, zwischenstaatliche Handelsbeschränkungen einzuführen, die den Mitgliedstaaten selbst verboten seien. Solange von einem einheitlichen Markt nur in geringerem Maße gesprochen werden kann als beispielsweise in den Vereinigten Staaten, hat aber auch das Ziel der „Beseitigung bestehender Hindernisse“ bei der Anwendung von Artikel 85 eine klare Priorität gegenüber der Bekämpfung anderer Formen der Wettbewerbsbeschränkung. Das bestätigt die Praxis. Die beschränkte Bedeutung der zweiten Feststellung für die vorliegende Rechtssache wird sich im folgenden aus meinen Schlußanträgen ergeben.

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