EUROPÄISCHE KOMMISSION
Brüssel, den 23.4.2018
COM(2018) 218 final
2018/0106(COD)
Vorschlag für eine
RICHTLINIE DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES
zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden
{SEC(2018) 198 final}
{SWD(2018) 116 final}
{SWD(2018) 117 final}
BEGRÜNDUNG
1.KONTEXT DES VORSCHLAGS
•Gründe und Ziele des Vorschlags
Illegale Tätigkeiten und Rechtsmissbrauch können in allen Organisationen auftreten, gleichgültig, ob es sich um private oder öffentliche, große oder kleine Organisationen handelt. Sie können sich auf unterschiedliche Weise äußern: Korruption oder Betrug, Fehlverhalten oder Fahrlässigkeit. Wenn nichts dagegen unternommen wird, können bisweilen schwere Schäden des öffentlichen Interesses entstehen. Menschen, die für eine Organisation tätig sind oder im Rahmen ihrer arbeitsbezogenen Tätigkeiten mit einer Organisation in Kontakt kommen, erfahren häufig als Erste von Vorkommnissen dieser Art; daher befinden sie sich in einer privilegierten Position, diejenigen Personen zu informieren, die das Problem angehen können.
Hinweisgeber, d. h. Personen, die Informationen über Fehlverhalten, die sie in einem Arbeitskontext erhalten haben, innerhalb der betroffenen Organisation oder einer externen Behörde melden oder gegenüber der Öffentlichkeit offenlegen, tragen zur Vermeidung von Schäden und zur Aufdeckung von Bedrohungen oder Schäden des öffentlichen Interesses bei, die andernfalls unentdeckt blieben. Aus Angst vor Repressalien schrecken sie jedoch häufig davor zurück, Meldung zu erstatten. Aus diesen Gründen findet die Bedeutung eines wirksamen Hinweisgeberschutzes für den Schutz des öffentlichen Interesses sowohl auf europäischer als auch auf internationaler Ebene zunehmend Anerkennung.
Ist kein wirksamer Hinweisgeberschutz vorhanden, sind die freie Meinungsäußerung und die Medienfreiheit bedroht, die in Artikel 11 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (nachfolgend „Charta“) verankert sind. In den Debatten auf dem zweiten Jahreskolloquium über Grundrechte zum Thema Medienpluralismus und Demokratie, das die Kommission im November 2016 organisierte, wurde hervorgehoben, dass der Schutz von Hinweisgebern als Informationsquelle für Journalisten von wesentlicher Bedeutung für den investigativen Journalismus ist, damit dieser seiner Wächterrolle nachkommen kann.
Ein mangelnder Hinweisgeberschutz in der EU kann darüber hinaus die Durchsetzung des EU-Rechts beeinträchtigen. Zusammen mit anderen Mitteln der Beweiserhebung stellt das Whistleblowing ein Mittel dazu dar, den einzelstaatlichen und den europäischen Durchsetzungssystemen Informationen zu übermitteln, die eine wirksame Aufdeckung, Untersuchung und Verfolgung von Verstößen gegen EU-Vorschriften ermöglichen.
Der derzeit vorhandene Hinweisgeberschutz in der EU ist fragmentiert. Ein unzureichender Schutz für Hinweisgeber in einem Mitgliedstaat kann die Funktionsweise der EU-politischen Maßnahmen in diesem Mitgliedstaat negativ beeinflussen und auch Nebeneffekte in anderen Mitgliedstaaten haben. Hinweisgeber genießen auf EU-Ebene nur in bestimmten Bereichen und in unterschiedlichem Umfang Schutz. In vielen Situationen besteht infolge dieser Fragmentierung und dieser Lücken nur ein unzureichender Schutz von Hinweisgebern vor Repressalien. Haben potenzielle Hinweisgeber keine ausreichende Sicherheit bei der Meldung der in ihrem Besitz befindlichen Informationen, führt dies zu unzureichenden Meldungen und damit „verpassten Chancen“ für die Verhütung und Aufdeckung von Verstößen gegen das Unionsrecht, die zu schweren Schäden des öffentlichen Interesses führen können.
Hinweise darauf, welche Auswirkungen unzureichende Meldungen durch Hinweisgeber haben, lassen sich den Ergebnissen einschlägiger Umfragen, wie z. B. dem Eurobarometer Spezial 2017 über Korruption, entnehmen: 81 % der Europäer gaben an, dass sie erlebte oder beobachtete Korruption nicht gemeldet haben. In 85 % der Antworten auf die im Jahr 2017 von der Kommission durchgeführte öffentliche Konsultation wurde die Meinung vertreten, dass Arbeitnehmer sehr selten oder selten ihre Besorgnisse in Bezug auf Bedrohungen oder Schäden des öffentlichen Interesses melden, da sie Angst vor rechtlichen und finanziellen Konsequenzen haben. Was etwaige negative Auswirkungen auf das Funktionieren des Binnenmarkts anbelangt, so wurden die potenziellen, durch einen unzureichenden Hinweisgeberschutz bedingten Ertragsausfälle in einer im Jahr 2017 für die Kommission durchgeführten Studie allein für den Bereich des öffentlichen Auftragswesens auf EU-weit jährlich 5,8 bis 9,6 Mrd. EUR geschätzt.
Zur Bekämpfung der Fragmentierung des Schutzes in der EU fordern die EU-Institutionen und viele Interessenträger einen stärkeren Hinweisgeberschutz auf EU-Ebene. Das Europäische Parlament hat die Kommission in seiner Entschließung vom 24. Oktober 2017 über legitime Maßnahmen zum Schutz von Hinweisgebern, die aus Gründen des öffentlichen Interesses Informationen offenlegen, und in seiner Entschließung vom 20. Januar 2017 zur Rolle von Informanten beim Schutz der finanziellen Interessen der EU aufgefordert, einen horizontalen Gesetzgebungsvorschlag zur Schaffung eines umfassenden gemeinsamen Rechtsrahmens vorzulegen, der Hinweisgebern in der EU ein hohes Maß an Schutz im öffentlichen und privaten Sektor sowie in nationalen und europäischen Institutionen gewährleistet. Der Rat forderte die Kommission in seinen Schlussfolgerungen zur Steuertransparenz vom 11. Oktober 2016 auf, mögliche künftige Maßnahmen auf EU-Ebene zu prüfen. Zivilgesellschaftliche Organisationen und Gewerkschaften fordern einstimmig EU-weite Rechtsvorschriften, um Hinweisgeber zu schützen, die im öffentlichen Interesse handeln.
In ihrer Mitteilung aus dem Jahr 2016 „EU-Recht: Bessere Ergebnisse durch bessere Anwendung“ weist die Kommission darauf hin, dass die Durchsetzung des EU-Rechts nach wie vor eine Herausforderung darstellt, und sie verpflichtet sich, „im allgemeinen Interesse stärkeres Augenmerk auf die Durchsetzung [zu richten]“. Sie betont insbesondere, dass, „[w]enn ein Thema in den Vordergrund rückt — wie Pkw-Abgaswerte bei Zulassungstests, Wasserverschmutzung, illegale Deponien und Verkehrssicherheit –, [...] nicht fehlende EU-Vorschriften das Problem [sind], sondern vielmehr die Tatsache, dass das EU-Recht nicht wirksam angewendet wird“.
Im Einklang mit dieser Selbstverpflichtung soll im Wege dieses Vorschlags das Potenzial des Hinweisgeberschutzes mit Blick auf die Stärkung der Durchsetzung voll entfaltet werden. Der Vorschlag sieht eine Reihe ausgewogener gemeinsamer Mindeststandards vor, die Hinweisgebern einen soliden Schutz vor Repressalien bieten sollen, wenn diese Verstöße in bestimmten Bereichen der EU-Politik melden, in denen
i) die Durchsetzung gestärkt werden muss,
ii) die Durchsetzung durch die unzureichende Meldungserstattung maßgeblich beeinträchtigt wird und
iii) etwaige Verstöße schwere Schäden des öffentlichen Interesses nach sich ziehen können.
•
Kohärenz mit den bestehenden Vorschriften in diesem Bereich
In einer Reihe von Politikbereichen der EU und in einigen ihrer Rechtsakte hat der EU-Gesetzgeber bereits den Wert des Hinweisgeberschutzes als Durchsetzungsinstrument anerkannt. Bestimmungen, in denen unterschiedlich detailliert die Meldekanäle und der Schutz der Personen, die Verstöße gegen die betreffenden Vorschriften melden, festgelegt werden, existieren in verschiedenen Rechtsinstrumenten beispielsweise über Finanzdienstleistungen, Verkehrssicherheit und Umweltschutz.
Der Vorschlag stärkt den im Rahmen all dieser Instrumente gebotenen Schutz. Er ergänzt sie durch zusätzliche Vorschriften und Garantien und bringt sie mit Blick auf ein hohes Schutzniveau unter Beibehaltung ihrer Eigenheiten in Einklang.
Damit der Anwendungsbereich der Richtlinie stets aktuell ist, achtet die Kommission besonders darauf, dass möglicherweise Bestimmungen zur Änderung des Anhangs in zukünftigen EU-Rechtsvorschriften aufgenommen werden müssen, bei denen der Hinweisgeberschutz eine Rolle spielt und zu einer wirksameren Durchsetzung beitragen kann. Eine etwaige Ausweitung des Anwendungsbereichs der Richtlinie auf weitere Politikbereiche oder Rechtsakte der Union wird auch in den Berichten der Kommission über die Umsetzung der Richtlinie geprüft werden.
•Kohärenz mit der Politik der Union in anderen Bereichen
Die Sicherstellung eines soliden Hinweisgeberschutzes als Mittel zur Stärkung der Durchsetzung des Unionsrecht in den Bereichen, die unter den Vorschlag fallen, wird zur Verwirklichung der aktuellen Prioritäten der Kommission beitragen, insbesondere zum wirksamen Funktionieren des Binnenmarkts einschließlich der Verbesserung des Geschäftsumfelds, zur Erhöhung der Steuergerechtigkeit und zur Förderung der Arbeitnehmerrechte.
Die Einführung eines soliden Hinweisgeberschutzes wird zum Schutz des Unionshaushalts beitragen und zu einheitlichen Wettbewerbsbedingungen führen, sodass der Binnenmarkt ordnungsgemäß funktionieren kann und Unternehmen ihren Tätigkeiten in fairem Wettbewerb nachgehen können. Er wird zur Vermeidung und Aufdeckung von Korruption beitragen, die das Wirtschaftswachstum bremst, da sie geschäftliche Unsicherheiten entstehen lässt, Prozesse verzögert und zusätzliche Kosten verursacht. Er wird die Unternehmenstransparenz verbessern und dadurch zur EU-Strategie über nachhaltige Finanzen beitragen. Er unterstützt die Maßnahmen der Kommission für eine gerechtere, transparentere und wirksamere Besteuerung in der EU, die in der Mitteilung der Kommission zum Skandal im Zusammenhang mit den Panama Papers vorgestellt wurden. Er ergänzt vor allem die jüngsten Initiativen, die die einzelstaatlichen Haushalte vor schädlichen Steuerpraktiken schützen sollen, sowie die vorgeschlagene Stärkung der Vorschriften über Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung.
Durch einen verbesserten Hinweisgeberschutz wird das Schutzniveau der Arbeitnehmer insgesamt im Einklang mit den Zielen der Europäischen Säule sozialer Rechte und insbesondere gemäß Grundsatz 5 (faire Arbeitsbedingungen) und Grundsatz 7b (Kündigungsschutz) angehoben. Durch einen einheitlichen hohen Schutz für Personen, die die gemeldeten Informationen im Zusammenhang mit ihren arbeitsbezogenen Tätigkeiten (gleich welcher Art) sammeln und dabei dem Risiko arbeitsbezogener Repressalien ausgesetzt sind, werden die Rechte von Arbeitnehmern im weitesten Sinne geschützt. Dieser Schutz ist für Personen in prekären Verhältnissen sowie Personen in grenzüberschreitenden Situationen von besonderer Bedeutung.
Die Vorschriften über den Hinweisgeberschutz werden parallel gelten zu dem bereits existierenden Schutz im Rahmen der einschlägigen EU-Vorschriften (i) über die Gleichbehandlung, die Schutz vor Viktimisierung als Reaktion auf eine Beschwerde oder ein Verfahren zur Durchsetzung der Einhaltung dieses Grundsatzes bietet, und (ii) über den Schutz vor Belästigung am Arbeitsplatz.
Die Richtlinie berührt nicht den Schutz von Arbeitnehmern, die Verstöße gegen das Arbeits- bzw. das Sozialrecht der EU melden. Hinweisgeberschutz in einem Arbeitskontext besteht zusätzlich zu dem Schutz, den Arbeitnehmer und Arbeitnehmervertreter im Rahmen des bestehenden EU-Arbeitsrechts genießen, wenn sie gegenüber ihren Arbeitgebern Probleme mit der Einhaltung von Vorschriften ansprechen. Mit Blick auf die Vorschriften über Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz ist in der Rahmenrichtlinie 89/391/EWG festgelegt, dass Arbeitnehmer und Arbeitnehmervertreter nicht benachteiligt werden dürfen, wenn sie den Arbeitgeber wegen Problemen in Bezug auf Maßnahmen zur Abschwächung der Gefahren oder zur Beseitigung von Gefahrenquellen ansprechen. Arbeitnehmer und ihre Vertreter haben das Recht, Probleme bei den zuständigen einzelstaatlichen Behörden anzusprechen, wenn sie der Auffassung sind, dass die vom Arbeitgeber getroffenen Maßnahmen und bereitgestellten Mittel nicht ausreichen, um die Sicherheit und den Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz sicherzustellen. Die Kommission möchte die Durchsetzung und Einhaltung des geltenden EU-Regelungsrahmen im Bereich der Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz verbessern.
Die Bediensteten der EU-Organe und - Einrichtungen genießen Hinweisgeberschutz nach Maßgabe des Statuts der Beamten und der Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten der Europäischen Union. Im Jahr 2004 wurde das Statut durch die Verordnung (EG, Euratom) Nr. 723/2004 des Rates unter anderem um Verfahrensvorschriften für die Meldung von Betrug, Korruption und sonstigen Unregelmäßigkeiten sowie um Bestimmungen über den Schutz von Hinweisgebern vor Repressalien erweitert.
Die Sozialpartner spielen eine grundlegende und vielschichtige Rolle bei der Durchsetzung der Vorschriften über den Hinweisgeberschutz. Unabhängige Arbeitnehmervertreter werden eine wichtige Rolle bei der Förderung der Meldung von Missständen als Mechanismus einer verantwortungsvollen Staatsführung spielen. Im Rahmen des sozialen Dialogs kann sichergestellt werden, dass wirksame Melde- und Schutzvorkehrungen unter Berücksichtigung der konkreten Situation an den europäischen Arbeitsplätzen und der Bedürfnisse der Arbeitnehmer und Unternehmen eingerichtet werden. Die Arbeitnehmer und ihre Gewerkschaften sollten zu geplanten internen Verfahren zur Erleichterung der Meldung von Missständen umfassend zurate gezogen werden. Diese Verfahren können auch im Rahmen von Tarifverträgen verhandelt werden. Darüber hinaus können die Gewerkschaften die von Hinweisgebern übermittelten oder offengelegten Informationen entgegennehmen und eine wesentliche Rolle bei der Beratung und Unterstützung von (potenziellen) Hinweisgebern spielen.
Schließlich wird der Vorschlag in Bezug auf Produktsicherheit, Verkehrssicherheit, Umweltschutz, nukleare Sicherheit, Lebensmittel- und Futtermittelsicherheit, Gesundheit und Wohlergehen der Tiere, öffentliche Gesundheit, Verbraucherschutz, Wettbewerb, Schutz der Privatsphäre und personenbezogenen Daten und Sicherheit von Netzwerken und Informationssystemen zur Stärkung der wirksamen Durchführung einer Reihe von EU-Maßnahmen mit direkten Auswirkungen auf die Vollendung das Binnenmarkts beitragen.
2.RECHTSGRUNDLAGE, SUBSIDIARITÄT UND VERHÄLTNISMÄSSIGKEIT
•Rechtsgrundlage
Der Vorschlag basiert auf den Artikeln 16, 33, 43, 50, 53 Absatz 1, 62, 91, 100, 103, 109, 114, 168, 169, 192, 207 und 325 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) und Artikel 31 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (Euratom-Vertrag). Diese Artikel bieten die Rechtsgrundlage für die Verbesserung der Durchsetzung des Unionsrechts
i)durch die Einführung neuer Bestimmungen zum Hinweisgeberschutz zwecks Stärkung des reibungslosen Funktionierens des Binnenmarkts, der ordnungsgemäßen Umsetzung der Unionspolitik in den Bereichen Produktsicherheit, Verkehrssicherheit, Umweltschutz, nukleare Sicherheit, Lebensmittel- und Futtermittelsicherheit, Gesundheit und Wohlergehen der Tiere, öffentliche Gesundheit, Verbraucherschutz, Schutz der Privatsphäre und personenbezogener Daten sowie Sicherheit von Netzen und Informationssystemen, Wettbewerb und finanzielle Interessen der Union
ii)zur Sicherstellung einheitlicher hoher Schutzstandards für Hinweisgeber nach Maßgabe sektorspezifischer EU-Instrumente in Bereichen, für die bereits einschlägige Vorschriften existieren.
•Subsidiarität
Das Ziel, die Durchsetzung des Unionsrechts durch den Hinweisgeberschutz zu verstärken, kann nicht angemessen verwirklicht werden, wenn die Mitgliedstaaten allein oder unkoordiniert handeln. Es wird davon ausgegangen, dass die Fragmentierung des Schutzes auf einzelstaatlicher Ebene weiterhin bestehen wird. Daher werden auch die negativen Auswirkungen dieser Fragmentierung auf die Funktionsweise verschiedener EU-politischer Maßnahmen in den einzelnen Mitgliedstaaten und die auf andere Mitgliedstaaten übergreifenden Folgen weiterhin bestehen bleiben.
Verstöße gegen die EU-Vorschriften für die öffentliche Auftragsvergabe oder gegen die Wettbewerbsregeln führen zu Wettbewerbsverzerrungen auf dem Binnenmarkt, einem Kostenanstieg für Unternehmen und einem für Investitionen weniger attraktiven Umfeld. Durch aggressive Steuerplanung entsteht ein ungerechter Steuerwettbewerb, und den Mitgliedstaaten und dem EU-Haushalt entgehen Steuereinnahmen. Verstöße in den Bereichen Produktsicherheit, Verkehrssicherheit, Umweltschutz, nukleare Sicherheit, Lebensmittel- und Futtermittelsicherheit, Gesundheit und Wohlergehen der Tiere, öffentliche Gesundheit, Verbraucherschutz, Schutz der Privatsphäre und personenbezogener Daten sowie Sicherheit von Netzen und Informationssystemen können zu ernsten Risiken führen, die über Ländergrenzen hinausgehen. In Bezug auf den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Union ist in Artikel 310 Absatz 6 und Artikel 325 Absätze 1 und 4 AEUV festgelegt, dass im Rahmen des gesetzgeberischen Handelns der Union entsprechende und abschreckende Maßnahmen festgelegt werden müssen, um sie vor illegalen Tätigkeiten zu schützen.
Daraus geht eindeutig hervor, dass nur durch ein gesetzgeberisches Handeln auf EU-Ebene die Durchsetzung des EU-Rechts verbessert werden kann, indem Mindeststandards für die Harmonisierung des Hinweisgeberschutzes festgelegt werden. Nur durch ein Tätigwerden der EU kann darüber hinaus für Kohärenz gesorgt und sichergestellt werden, dass die bestehenden sektorspezifischen EU-Vorschriften über den Hinweisgeberschutz angeglichen werden.
•Verhältnismäßigkeit
Dieser Vorschlag ist dem Ziel der Stärkung der Durchsetzung des Unionsrechts angemessen und geht nicht über das hierfür Erforderliche hinaus.
Erstens werden nur gemeinsame Mindeststandards für den Schutz von Personen festgelegt, die Verstöße in bestimmten Bereichen melden, wenn i) die Durchsetzung verbessert werden muss, ii) unzureichende Meldungen durch Hinweisgeber ein Schlüsselfaktor sind, der die Durchsetzung beeinträchtigt, und iii) Verstöße schwere Schäden des öffentlichen Interesses nach sich ziehen können.
Daher konzentriert er sich auf Bereiche mit einer deutlichen EU-Dimension, in denen die Auswirkungen auf die Durchsetzung am stärksten sind.
Zweitens werden in dem Vorschlag lediglich Mindestschutzstandards festgelegt, d.h. den Mitgliedstaaten steht die Möglichkeit offen, günstigere Bestimmungen über die Rechte der Hinweisgeber einzuführen oder beizubehalten.
Drittens sind die Durchführungskosten (d. h. die Kosten für die Einrichtung interner Kanäle) für mittlere Unternehmen nicht erheblich, während die Vorteile (größere Unternehmensleistung und weniger Wettbewerbsverzerrung) als wesentlich betrachtet werden können. Abgesehen von bestimmten Ausnahmen bei den Finanzdienstleistungen werden Klein- und Kleinstunternehmen grundsätzlich von der Pflicht ausgenommen, interne Verfahren für Meldungen und deren Weiterverfolgung festzulegen. Es wird davon ausgegangen, dass die Durchführungskosten für die Mitgliedstaaten begrenzt sein werden, da die Mitgliedstaaten die neue Pflicht auf der Grundlage bereits bestehender, durch den geltenden sektorspezifischen Rechtsrahmen geschaffener Strukturen umsetzen können.
•Wahl des Instruments
Im Einklang mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist eine Richtlinie zur Mindestharmonisierung das geeignete Instrument, um das Potenzial der Meldung von Missständen als Komponente der Durchsetzung des Unionsrechts auszuschöpfen.
3.ERGEBNISSE DER EX-POST-BEWERTUNG, DER KONSULTATION DER INTERESSENTRÄGER UND DER FOLGENABSCHÄTZUNG
•Konsultation der Interessenträger
Der Vorschlag basiert auf den Ergebnissen der umfassenden Konsultationsarbeit, die die Kommission im Jahr 2017 im Rahmen der vorstehend genannten zwölfwöchigen offenen öffentlichen Konsultationen, von drei gezielten Konsultationen der Interessenträger, von zwei Workshops mit Experten aus den Mitgliedstaaten und eines Workshops mit Wissenschaftlern und Interessenvertretern durchgeführt hat.
Die Kommission hat 5707 Antworten auf die öffentliche Konsultation erhalten. Von diesen Antworten kamen 97 % (5516) von Privatpersonen. Die übrigen 3 % kamen von Personen, die im Namen einer Organisation antworteten (191 Antworten). Zwei Drittel aller Antworten (von Privatpersonen und Organisationen) kamen aus Deutschland und Frankreich (jeweils 43 % und 23 %), aus Spanien kamen insgesamt 7 %, aus Italien und Belgien jeweils 5 % und aus Österreich 6 %. Die übrigen Antworten verteilten sich auf die übrigen Mitgliedstaaten.
In fast allen Antworten (99,4 %) wurde befürwortet, dass Hinweisgeber geschützt werden sollten, und 96 % drückten eine sehr starke Unterstützung für die Festlegung rechtlich verbindlicher Mindeststandards zum Hinweisgeberschutz im Unionsrecht aus. Die vier wichtigsten Bereiche, in denen ein Hinweisgeberschutz notwendig ist, sind laut den Antworten (i) die Bekämpfung von Betrug und Korruption (95 % der Antwortenden), (ii) die Bekämpfung von Steuerhinterziehung und Steuervermeidung (93 % der Antwortenden), (iii) der Umweltschutz (93 % der Antwortenden) und (iv) der Schutz der öffentlichen Gesundheit und Sicherheit (92 % der Antwortenden).
In den von der Kommission organisierten Workshops und in Antwort auf die öffentliche Konsultation wiesen einige Mitgliedstaaten darauf hin, dass im Rahmen einer EU-Gesetzgebungsinitiative der Grundsatz der Subsidiarität gewahrt werden müsse.
•Einholung und Nutzung von Expertenwissen
Es wurde eine externe Studie in Auftrag gegeben, um die quantitativen und qualitativen Auswirkungen und Vorteile der Umsetzung eines Hinweisgeberschutzes in verschiedenen Bereichen des Unionsrecht und des nationalen Rechts zu bewerten. Die im Rahmen dieser Studie analysierten Informationen und die daraus gewonnenen Erkenntnisse sind in die Definition des Problems und in die Bewertung der von der Kommission in Betracht gezogenen Optionen eingeflossen.
•Folgenabschätzung
Für diesen Vorschlag wurde eine Folgenabschätzung durchgeführt. Der Ausschuss für Regulierungskontrolle (der „Ausschuss“) legte am 26. Januar 2018 zunächst eine negative Stellungnahme mit detaillierten Kommentaren vor. Am 5. März legte der Ausschuss eine positive Stellungnahme mit Kommentaren zu der überarbeiteten Fassung der am 15. Februar übermittelten Fassung der Folgenabschätzung vor, die im Abschlussbericht über die Folgenabschätzung Berücksichtigung fanden.
Neben dem Basisszenario (Beibehaltung des Status Quo) wurden vier Optionen bewertet, von denen zwei Optionen verworfen wurden.
Die folgenden beiden Optionen wurden verworfen: (i) Gesetzgebungsinitiative auf Grundlage von Artikel 50 Absatz 2 Buchstabe g AEUV über die Verbesserung der Integrität des Privatsektors durch Einführung von Mindeststandards für die Einrichtung von Meldekanälen und (ii) Gesetzgebungsinitiative auf Grundlage von Artikel 153 Absatz 1 Buchstaben a und b AEUV über die Verbesserung des Arbeitsumfelds zum Schutz der Gesundheit und Sicherheit von Arbeitnehmern und über Arbeitsbedingungen.
Im ersten Fall wäre es nach der Rechtsgrundlage nicht möglich gewesen, den öffentlichen Sektor mit einzubeziehen, und die Verfügbarkeit und das Konzept der externen Meldekanäle (d.h. für die Meldungen an die zuständigen Behörden) sowie die Verfügbarkeit und die Formen des Schutzes von Hinweisgebern vor Repressalien würden der Regelung durch einzelstaatliche Rechtsvorschriften überlassen
Im zweiten Fall wäre der persönliche Geltungsbereich der Richtlinie auf Arbeitnehmer beschränkt. Andere Kategorien potenzieller Hinweisgeber wie Selbstständige, Auftragnehmer usw., die wegen der Art der vorliegenden Hinweise und der internationalen Standards eine Schlüsselrolle bei der Offenlegung von Gefahren für das öffentliche Interesse oder diesbezüglichen Schädigungen spielen können, und ebenso Schutz vor Repressalien benötigen, blieben unberücksichtigt. Ein derart beschränkter Geltungsbereich würde eine große Lücke im Hinweisgeberschutz auf EU-Ebene darstellen, und zudem wäre diese Initiative, was die Verbesserung der Durchsetzung des Unionsrechts anbelangt, wegen des Ausschlusses wichtiger Kategorien potenzieller Hinweisgeber auch nur beschränkt wirksam. Der begrenzte persönliche Geltungsbereich würde nicht durch einen umfassenderen Schutz ausgeglichen werden, da die Rechtsgrundlage im Gegensatz zu den Optionen, an denen festgehalten wurde, keinen zusätzlichen Schutz bieten würde. Eine Ausweitung des Schutzes auf Situationen, in denen grenzüberschreitende Dimensionen oder andere übergreifenden Auswirkungen keine Rolle spielen, in denen keine Verbindung zum Unionsrecht besteht und in denen keine finanziellen Interessen der EU berührt werden, wäre darüber hinaus ein weitreichender und damit kostspieliger regulatorischer Eingriff durch die EU.
Folgende Optionen wurden geprüft: i) Empfehlung der Kommission mit Leitlinien für die Mitgliedstaaten zu Schlüsselelementen des Hinweisgeberschutzes, ergänzt durch flankierende Maßnahmen zur Unterstützung der einzelstaatlichen Behörden, ii) Richtlinie zur Einführung eines Hinweisgeberschutzes im Bereich der finanziellen Interessen der Union, ergänzt durch eine Mitteilung für den Aufbau eines politischen Rahmens auf EU-Ebene, einschließlich Maßnahmen zur Unterstützung der einzelstaatlichen Behörden, iii) Richtlinie zur Einführung eines Hinweisgeberschutzes in bestimmten Bereichen (einschließlich der finanziellen Interessen der Union), in denen gegen die unzureichende Meldung durch Hinweisgeber vorgegangen werden muss, um die Durchsetzung des Unionsrechts zu verbessern, da Verstöße zu schweren Schäden des öffentlichen Interesses führen würden, iv) Richtlinie wie unter iii), ergänzt durch eine Mitteilung wie unter ii).
Die letztgenannte Option wurde für diesen Vorschlag ausgewählt. Eine Gesetzgebungsinitiative mit einem derart weiten Geltungsbereich ist besonders dazu geeignet, gegen die derzeitige Fragmentierung vorzugehen und die Rechtssicherheit zu verbessern, um wirksam gegen die unzureichende Meldung vorzugehen und die Durchsetzung des Unionsrechts in allen identifizierten Bereichen, in denen Verstöße schwere Schäden des öffentlichen Interesses nach sich ziehen können, zu verbessern. Die begleitende Mitteilung, in der zusätzliche von der Kommission ins Auge gefasste Maßnahmen und bewährte Verfahren vorgestellt werden, die auf mitgliedstaatlicher Ebene ergriffen werden könnten, wird zu einem wirksamen Hinweisgeberschutz beitragen.
Die bevorzugte Option birgt wirtschaftliche, gesellschaftliche und ökologische Vorteile. Die einzelstaatlichen Behörden werden dabei unterstützt, Betrug und Korruption im Zusammenhang mit dem EU-Haushalt aufzudecken und davor abzuschrecken (die durch diese Risiken bedingten Einnahmenausfälle werden derzeit auf schätzungsweise 179 bis 256 Mrd. EUR jährlich geschätzt). In anderen Bereichen des Binnenmarkts wie der öffentlichen Auftragsvergabe werden die Vorteile für die EU insgesamt auf schätzungsweise 5,8 bis 9,6 Mrd. EUR pro Jahr beziffert. Bei der bevorzugten Option würde zudem die Bekämpfung von Steuervermeidung unterstützt, die für die Mitgliedstaaten und die EU zu infolge von Gewinnverschiebungen entgangenen Steuereinnahmen von schätzungsweise 50 bis 70 Mrd. EUR pro Jahr führt. Durch die Einführung eines soliden Hinweisgeberschutzes werden die Arbeitsbedingungen für 40 % der EU-Arbeitnehmer, die derzeit nicht vor Repressalien geschützt sind, und das Schutzniveau von 20 % der Arbeitnehmer in der EU verbessert. Dadurch werden die Integrität und die Transparenz des privaten und des öffentlichen Sektors verbessert, und es wird ein Beitrag zu fairem Wettbewerb und einheitlichen Wettbewerbsbedingungen auf dem Binnenmarkt geleistet.
Die Durchführungskosten für den öffentlichen Sektor werden auf einmalig 204,9 Mio. EUR und jährlich 319,9 Mio. EUR an Betriebskosten geschätzt. Für den privaten Sektor (mittlere und große Unternehmen) werden die geplanten Gesamtkosten auf Betriebskosten in Höhe von einmalig 542,9 Mio. EUR und jährlich 1016,6 Mio. EUR geschätzt. Für den öffentlichen Sektor und den privaten Sektor belaufen sich die Gesamtkosten auf Betriebskosten in Höhe von einmalig 747,8 Mio. EUR und jährlich auf 1336,6 Mio. EUR.
•Effizienz der Rechtsetzung und Vereinfachung
Um der Größe von Privatunternehmen Rechnung zu tragen, werden Klein- und Kleinstunternehmen grundsätzlich von der Pflicht ausgenommen, interne Meldekanäle einzurichten. Hinweisgeber, die in solchen Unternehmen arbeiten, können sich extern auf direktem Wege an die zuständigen nationalen Behörden wenden. Diese allgemeine Ausnahme gilt nicht für Klein- und Kleinstunternehmen, die im Bereich der Finanzdienstleistungen tätig sind. Sämtliche Unternehmen dieser Art sollen weiterhin verpflichtet sein, interne Meldekanäle im Einklang mit den nach den EU-Rechtsvorschriften über Finanzdienstleistungen geltenden Pflichten einzurichten. Die Kosten für diese Unternehmen sind minimal (verlorene Kosten), da diese Unternehmen bereits nach den geltenden Unionsvorschriften verpflichtet sind, interne Meldekanäle einzurichten. Die Mitgliedstaaten können in Abhängigkeit von den Ergebnisse ihrer Analyse und den einzelstaatlichen Bedürfnissen nach einer angemessenen Risikobewertung kleine Unternehmen in bestimmten Sektoren gegebenenfalls verpflichten, interne Meldekanäle einzurichten. Bei der Risikobewertung ist den Eigenheiten des betreffenden Sektors Rechnung zu ziehen; ferner sind die Risiken sowie die Frage zu bewerten, ob die Einführung einer Pflicht zur Einrichtung interner Kanäle notwendig ist. Die Kosten für mittlere Unternehmen, die verpflichtet sind, interne Meldekanäle einzurichten, sind unerheblich. Die durchschnittlichen Kosten für mittlere Unternehmen belaufen sich auf durchschnittliche einmalige Durchführungskosten von schätzungsweise 1374 EUR und durchschnittliche jährliche Betriebskosten von schätzungsweise 1054,6 EUR. Die allgemeine Ausnahme von Klein- und Kleinstunternehmen soll nicht für Unternehmen gelten, die im Bereich der Finanzdienstleistungen tätig oder anfällig für Geldwäsche oder Terrorismusfinanzierung sind.
•Grundrechte
Durch die Steigerung des aktuellen Schutzniveaus für Hinweisgeber wird der Vorschlag positive Auswirkungen auf die Grundrechte haben, insbesondere auf
i)die Meinungsfreiheit und die Informationsfreiheit (Artikel 11 der Charta): Ein unzureichender Schutz von Hinweisgebern vor Repressalien beeinträchtigt sowohl die freie Meinungsäußerung der Menschen als auch das Recht auf Zugang zu Informationen und die Medienfreiheit. Durch die Stärkung des Hinweisgeberschutzes und die Klärung der Bedingungen für den Schutz auch für den Fall, dass Informationen der Öffentlichkeit gegenüber offengelegt werden, werden Meldungen an die Medien gefördert und ermöglicht;
ii)das Recht auf faire und angemessene Arbeitsbedingungen (Artikel 30 und 31 der Charta): Durch die Einrichtung von Meldekanälen und die Verbesserung des Schutzes vor Repressalien im Arbeitskontext wird ein höherer Hinweisgeberschutz sichergestellt;
iii)Das Recht auf Achtung ihres Privatlebens, Schutz der personenbezogenen Daten, Gesundheit, Umweltschutz und Verbraucherschutz (Artikel 7, 8, 35, 37 und 38 der Charta) sowie der allgemeine Grundsatz einer guten Verwaltung (Artikel 41) werden ebenfalls insofern gefördert, als der Vorschlag auf die Aufdeckung und die Verhütung von Verstößen abstellt.
Im Allgemeinen wird der Vorschlag dazu führen, dass Verstöße gegen die Grundrechte im Rahmen der Durchsetzung des Unionsrechts in den in seinen Geltungsbereich fallenden Bereichen häufiger gemeldet werden und stärker davor abgeschreckt wird.
Mit dem Vorschlag wird ein ausgewogener Ansatz verfolgt, damit etwaige weitere berührte Rechte vollständig gewahrt werden, darunter das Recht auf Achtung des Privatlebens und der Schutz der personenbezogenen Daten (Artikel 7 und Artikel 8 der Charta) sowohl der Hinweisgebern als auch der von den Berichten betroffenen Personen sowie das Recht letzterer auf die Wahrung der Unschuldsvermutung und die Verteidigungsrechte (Artikel 47 und Artikel 48 der Charta). Ebenso stehen die Auswirkungen auf die unternehmerische Freiheit (Artikel 16 der Charta) im Einklang mit Artikel 52 Absatz 1 der Charta.
4.AUSWIRKUNGEN AUF DEN HAUSHALT
Diese Initiative hat keine Auswirkungen auf den EU-Haushalt.
5.WEITERE ANGABEN
•Umsetzungspläne sowie Monitoring-, Bewertungs- und Berichterstattungsmodalitäten
Die Kommission soll verpflichtet werden, dem Europäischen Parlament und dem Rat jeweils zwei und sechs Jahre nach Ablauf der Umsetzungsfrist einen Bericht über die Umsetzung und Anwendung der vorgeschlagenen Richtlinie zu unterbreiten. Dadurch wird sichergestellt, dass ein ausreichender Zeitraum zur Verfügung steht, um zu bewerten, wie die vorgeschlagene Richtlinie angewendet wird und welche zusätzlichen Maßnahmen (beispielsweise eine Ausweitung des Hinweisgeberschutzes auf weitere Bereiche) erforderlich sind.
Die Kommission soll zudem spätestens sechs Jahre nach Ablauf der Umsetzungsfrist dem Europäischen Parlament und dem Rat einen Bericht mit einer Bewertung der Auswirkungen der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften zur Umsetzung der vorgeschlagene Richtlinie vorlegen müssen. Zu diesem Zweck sind Referenzwerte festgelegt worden, anhand derer sich die Fortschritte bei der Umsetzung und der Anwendung der Richtlinie bewerten lassen sollen (siehe Kapitel 8 der Folgenabschätzung). Der Vorschlag verpflichtet die Mitgliedstaaten, Daten über die Zahl der eingegangenen Hinweisgebermeldungen, über die Zahl der infolge derartiger Meldungen eingeleiteten Verfahren und über die betroffenen Rechtsbereiche sowie die Ergebnisse der Verfahren und ihre wirtschaftlichen Auswirkungen in Form von (Wieder)einziehungen von Mitteln und über gemeldete Repressalien zu sammeln, die dann in den zukünftigen Umsetzungsbericht einfließen und anhand derer die anvisierten Referenzwerte bewertet werden sollen. Diese Daten sollen ihrerseits in die Berichte des Europäischen Amts für Betrugsbekämpfung (OLAF) einfließen und könnten durch die Jahresberichte der Europäischen Staatsanwaltschaft (EUStA) und des EU-Bürgerbeauftragen ergänzt werden.
Zweitens sollen diese Daten durch andere einschlägige Datenquellen ergänzt werden, darunter die Eurobarometer-Umfragen der Kommission über Korruption und die Berichte über die Umsetzung der geltenden sektoralen EU-Rechtsvorschriften über den Hinweisgeberschutz.
•Ausführliche Erläuterung einzelner Bestimmungen des Vorschlags
Der Vorschlag basiert auf der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zum Recht auf freie Meinungsäußerung, das in Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention 10 (ECHR) verankert ist, und den auf dieser Grundlage vom Europarat in dessen Empfehlung aus dem Jahr 2014 zum Schutz von Whistleblowern aufgestellten Grundsätzen sowie auf weiteren vorstehend genannten internationalen Standards und bewährten Verfahren und EU-Grundrechten und -Vorschriften.
In Kapitel I (Artikel 1-3) wird der Anwendungsbereich der Richtlinie festgelegt und die Begriffsbestimmung vorgenommen.
In Artikel 1 werden die Bereiche aufgelistet, in denen gemäß den vorliegenden Hinweisen Hinweisgeberschutz erforderlich ist, um die Unionsvorschriften zu verschärfen, deren Verletzung schwere Schäden des öffentlichen Interesses nach sich ziehen kann.
In Artikel 2 ist der persönliche Anwendungsbereich der Richtlinie festgelegt. Auf Grundlage der Empfehlung des Europarats zum Schutz von Whistleblowern umfasst er den größtmöglichen Bereich von Kategorien von Personen, die im Rahmen ihrer arbeitsbezogenen Tätigkeiten (unabhängig von der Art ihres Arbeitsverhältnisses und der Tatsache, dass sie entlohnt werden oder nicht) privilegierten Zugang zu Informationen über Verstöße haben, die schwere Schäden des öffentlichen Interesses nach sich ziehen können, und die Repressalien ausgesetzt sein können, wenn sie Meldung erstatten, sowie weitere Kategorien von Personen, die zu Zwecken der Richtlinie mit diesen gleichgestellt werden können (beispielsweise Anteilseigner, Freiwillige, unbezahlte Praktikanten und Stellenbewerber).
Die Begriffsbestimmungen in Artikel 3 basieren auf den Grundsätzen der Empfehlung des Europarats zum Schutz von Whistleblowern. Vor allem die Begriffe „Hinweisgeber“ und „Repressalien“ sind so allgemein wie möglich definiert, um einen wirksamen Hinweisgeberschutz als Mittel für eine bessere Durchsetzung des Unionsrechts sicherzustellen.
In Kapitel II (Artikel 4-5) wird die Pflicht der Mitgliedstaaten festgelegt, sicherzustellen, dass juristische Personen im privaten und öffentlichen Sektor geeignete interne Meldekanäle und Verfahren für die Entgegennahme und Weiterverfolgung der Meldungen einrichten. Durch diese Pflicht soll sichergestellt werden, dass Informationen zu tatsächlichen oder potenziellen Verstößen gegen das Unionsrecht schnell die Personen erreichen, die nah am Ursprung des Problems und am besten in der Lage sind, dieses zu untersuchen, und über geeignete Befugnisse verfügen, um es gegebenenfalls zu beheben.
In Artikel 4 wird der Grundsatz festgelegt, dass die Pflicht zur Einrichtung interner Meldekanäle im Verhältnis zur Größe der Unternehmen stehen sollte, und dass im Falle von Privatunternehmen die Höhe des von ihren Tätigkeiten ausgehenden Risikos für das öffentliche Interesse berücksichtigt werden muss. Mit Ausnahme von Unternehmen, die im Bereich der Finanzdienstleistungen tätig sind, werden Klein- und Kleinstunternehmen von der Pflicht zur Einrichtung interner Kanäle ausgenommen.
In Artikel 5 werden die Mindeststandards festgelegt, die die internen Meldekanäle und die Verfahren für die Weiterverfolgung der Meldungen erfüllen müssen. Es wird insbesondere festgelegt, dass die Meldekanäle die Vertraulichkeit der Identität des Hinweisgebers wahren müssen, was einen Eckpfeiler des Hinweisgeberschutzes darstellt. Darüber hinaus wird festgelegt, dass die Person oder Stelle, die für die Entgegennahme der Meldungen zuständig ist, eine sorgfältige Weiterverfolgung vornehmen und den Hinweisgeber innerhalb eines angemessenen Zeitrahmens über die Folgemaßnahmen informieren muss. Unternehmen, die bereits über interne Meldeverfahren verfügen, sollen leicht verständliche und zugängliche Informationen zu diesen Verfahren sowie zu Verfahren für externe Meldungen an die zuständigen Behörden bereitstellen müssen.
In Kapitel III (Artikel 6-12) werden die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, sicherzustellen, dass die zuständigen Behörden über externe Meldekanäle und -verfahren für die Entgegennahme und Weiterverfolgung der Meldungen verfügen, und es werden Mindeststandards für diese Kanäle und Verfahren festgelegt.
Gemäß Artikel 6 sollten die Behörden, denen die Mitgliedstaaten die Zuständigkeit übertragen, vor allem unabhängige und autonome externe Meldekanäle einrichten, die einerseits sicher sind und andererseits die Vertraulichkeit, die Weiterverfolgung der Meldungen und die Rückmeldung an den Hinweisgeber innerhalb eines angemessenen Zeitrahmens sicherstellen. In Artikel 7 werden Mindestanforderungen für die Gestaltung der externen Meldekanäle festgelegt. Gemäß Artikel 8 müssen die zuständigen Behörden über speziell geschulte, für die Bearbeitung der Meldungen zuständige Mitarbeiter verfügen, deren Aufgaben ebenfalls in Artikel 8 festgelegt werden.
In Artikel 9 werden die Anforderungen für die externen Meldeverfahren festgelegt, beispielsweise in Bezug auf die weitere Kommunikation mit dem Hinweisgeber, den Zeitrahmen für die Rückmeldung an den Hinweisgeber und die anwendbaren Vertraulichkeitsregelungen. Im Rahmen dieser Verfahren soll insbesondere der Schutz der personenbezogenen Daten sowohl des Hinweisgebers als auch der betroffenen Personen sichergestellt werden. In Artikel 10 wird festgelegt, dass die zuständigen Behörden benutzerfreundliche Informationen über die zur Verfügung stehenden Meldekanäle und die anwendbaren Verfahren für die Entgegennahme von Meldungen und deren Weiterverfolgung veröffentlichen und den Zugang dazu einfach gestalten müssen. Artikel 11 regelt die angemessene Aufbewahrung aller Meldungen. Artikel 12 schreibt eine regelmäßige Überprüfung der Verfahren für die Entgegennahme und Weiterverfolgung der Meldungen durch die zuständigen einzelstaatlichen Behörden vor.
In Kapitel IV (Artikel 13-18) werden die Mindestanforderungen an den Schutz von Hinweisgebern und der von den Meldungen betroffenen Personen festgelegt.
In Artikel 13 werden die Bedingungen festgelegt, unter denen einem Hinweisgeber Schutz nach Maßgabe dieser Richtlinie geboten werden kann.
Es wird insbesondere vorgeschrieben, dass Hinweisgeber zum Zeitpunkt der Meldung hinreichenden Grund zu der Annahme haben müssen, dass die von ihnen gemeldeten Informationen der Wahrheit entsprechen. Dies ist ein wesentlicher Schutz vor Meldungen in böswilliger oder missbräuchlicher Absicht und gewährleistet, dass diejenigen, die wissentlich falsche oder irreführende Informationen melden, keinen Schutz genießen. Gleichzeitig wird gewährleistet, dass der Schutz zur Anwendung kommt, wenn der Hinweisgeber in gutem Glauben unrichtige Informationen meldet. In ähnlicher Weise sollten Hinweisgeber Anspruch auf Schutz im Rahmen dieser Richtlinie haben, wenn sie berechtigten Grund zu der Annahme haben, dass die gemeldeten Informationen in deren Anwendungsbereich fallen.
Darüber hinaus sollen Hinweisgeber in jedem Fall zunächst die internen Kanäle ausschöpfen müssen; wenn diese Kanäle nicht funktionieren oder davon ausgegangen werden kann, dass sie nicht funktionieren, können sie bei den zuständigen Behörden Meldung erstatten oder als letztes Mittel an die Öffentlichkeit bzw. Medien gehen. Diese Anforderung ist notwendig, damit die Informationen die Personen erreichen, die dazu beitragen können, dass die Risiken für das öffentliche Interesse frühzeitig und wirksam beseitigt werden und ungerechtfertigte Rufschädigungen infolge öffentlicher Offenlegungen verhindert werden. Durch das Vorsehen von Ausnahmen von dieser Vorschrift in Fällen, in denen interne und/oder externe Kanäle nicht funktionieren oder davon ausgegangen werden kann, dass sie nicht ordnungsgemäß funktionieren, wird in Artikel 13 gleichzeitig die Flexibilität geschaffen, die der Hinweisgeber bei der Wahl des am besten geeigneten Kanals je nach den individuellen Umständen des Falls benötigt. Darüber hinaus ermöglicht Artikel 13 den Schutz öffentliche Offenlegungen unter Berücksichtigung demokratischer Prinzipien wie Transparenz und Rechenschaftspflicht sowie von Grundrechten wie der freien Meinungsäußerung und der Medienfreiheit.
Artikel 14 enthält eine nicht erschöpfende Liste der vielen verschiedenen Formen von Repressalien.
In Artikel 15 wird die Anforderung festgelegt, dass Repressalien in all ihren Formen zu verbieten sind, und es werden weitere Maßnahmen festgelegt, die die Mitgliedstaaten ergreifen sollen, um den Schutz von Hinweisgebern sicherzustellen, darunter
·die Schaffung eines einfachen und kostenlosen Zugangs zu unabhängigen Informationen und zu Beratung über die vorhandenen Verfahren und Rechtsmitteln für den Schutz vor Repressalien,
·die Ausnahme von Hinweisgebern von der Haftung für Verstöße gegen vertragliche oder gesetzliche Beschränkungen der Offenlegung von Informationen,
·die Umkehr der Beweislast in Gerichtsverfahren, d.h. die gegen den Hinweisgeber vorgehende Person hat in Fällen, in denen dem ersten Anschein nach eine Repressalie vorliegt, nachzuweisen, dass es sich eben nicht um eine Repressalie handelt,
·die Bereitstellung von angemessenen Abhilfemaßnahmen gegen Repressalien gegen Hinweisgeber, darunter einstweilige Verfügungen bis zum Abschluss des Gerichtsverfahrens gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften,
·die Sicherstellung, dass Hinweisgeber in Gerichtsverfahren, die außerhalb des beruflichen Kontexts gegen sie eingeleitet werden (z.B. Verfahren wegen Verleumdung, Verstoß gegen das Urheberrecht oder Verstoß gegen die Vertraulichkeitspflicht), sich zu ihrer Verteidigung darauf berufen können, dass sie eine Meldung oder Offenlegung im Einklang mit der Richtlinie erstattet haben.
In Artikel 16 wird klargestellt, dass die von den Meldungen betroffenen Personen ihre Rechte nach der EU-Grundrechtecharta (die Unschuldsvermutung, das Recht auf wirksame Rechtsmittel und ein faires Verfahren und die Verteidigungsrechte) in vollem Umfang ausüben können.
In Artikel 17 werden wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Strafen festgelegt, die notwendig sind,
·um die Wirksamkeit der Vorschriften zum Schutz von Hinweisgebern sicherzustellen, damit Handlungen, die darauf abzielen, Meldungen zu verhindern, sowie Repressalien, mutwillige Verfahren gegen Hinweisgeber und Verstöße gegen die Pflicht zur Wahrung der Vertraulichkeit ihrer Identität bestraft werden und proaktiv vor ihnen abgeschreckt wird, und
·um vor böswilligen und missbräuchlichen Meldungen abzuschrecken, die die Wirksamkeit und Glaubwürdigkeit des gesamten Hinweisgeberschutzsystems beeinträchtigen, und um ungerechtfertigte Schädigungen des Rufes betroffener Personen zu verhindern.
Artikel 18 schreibt die Anwendung der EU-Vorschriften zum Schutz personenbezogener Daten auf sämtliche Verarbeitungen personenbezogener Daten nach dieser Richtlinie vor. Diesbezüglich sind bei jedweder Verarbeitung personenbezogener Daten, einschließlich des Austauschs oder der Übertragung dieser Daten, die Vorschriften nach Verordnung (EU) 2016/679, Richtlinie (EU) 2016/680 und Verordnung (EG) 45/2001 einzuhalten.
In Kapitel V (Artikel 19-22) werden die Schlussbestimmungen festgelegt.
In Artikel 19 wird vorgesehen, dass die Mitgliedstaaten weiterhin die Möglichkeit besitzen, günstigere Bestimmungen für Hinweisgeber einzuführen oder beizubehalten, sofern diese Bestimmungen nicht mit den Maßnahmen für den Schutz von Hinweisgebern Personen kollidieren. Artikel 20 regelt die Umsetzung der Richtlinie.
In Artikel 21 werden die Mitgliedstaaten verpflichtet, der Kommission Informationen über die Umsetzung und Anwendung der Richtlinie bereitzustellen, auf deren Grundlage die Kommission dem Parlament und dem Rat innerhalb von zwei Jahren nach der Umsetzung einen Bericht übermitteln muss. Gemäß dieser Bestimmung sind die Mitgliedstaaten künftig verpflichtet, der Kommission alljährlich Statistiken unter anderem über die Zahl der bei den zuständigen Behörden eingegangenen Meldungen, die Zahl der auf Grundlage der Meldungen eingeleiteten Verfahren und die Ergebnisse dieser Verfahren zu übermitteln, sofern diese in dem betreffenden Mitgliedstaat auf zentraler Ebene vorliegen. In Artikel 21 wird ferner festgelegt, dass die Kommission innerhalb von sechs Jahren nach der Umsetzung dem Parlament und dem Rat einen Bericht übermittelt, in dem die Auswirkungen der Umsetzung dieser Richtlinie in einzelstaatliches Recht bewertet werden und die Notwendigkeit zusätzlicher Maßnahmen untersucht wird, darunter gegebenenfalls Änderungen zwecks Ausweitung des Hinweisgeberschutzes auf weitere Bereiche oder Unionsrechtsakte.
2018/0106 (COD)
Vorschlag für eine
RICHTLINIE DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES
zum Schutz von Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden
DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION —
gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf Artikel 16, 33, 43, 50, 53 Absatz 1, 62, 91, 100, 103, 109, 114, 168, 169, 192, 207 und 325 Absatz 4 und auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft, insbesondere auf Artikel 31,
auf Vorschlag der Europäischen Kommission,
nach Zuleitung des Entwurfs des Gesetzgebungsakts an die nationalen Parlamente,
nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses,
nach Stellungnahme des Ausschusses der Regionen,
nach Stellungnahme des Rechnungshofs,
gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren,
in Erwägung nachstehender Gründe:
(1)Personen, die für eine Organisation arbeiten oder im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeiten mit ihr in Kontakt stehen, nehmen eine in diesem Zusammenhang auftretende Gefährdung oder Schädigung des öffentlichen Interesses häufig als Erste wahr. Indem sie ihre Beobachtungen melden, tragen sie entscheidend dazu bei, Gesetzesverstöße aufzudecken und zu unterbinden und das Gemeinwohl zu schützen. Allerdings schrecken potenzielle Hinweisgeber (sogenannte „Whistleblower“) aus Angst vor Repressalien häufig davor zurück, ihre Bedenken oder ihren Verdacht zu melden.
(2)Auf Unionsebene sind Meldungen von Hinweisgebern eine Möglichkeit, wie dem Unionsrecht Geltung verschafft werden kann: Ihre Informationen fließen in die auf nationaler und Unionsebene bestehenden Rechtsdurchsetzungssysteme ein und tragen so dazu bei, dass Verstöße gegen das Unionsrecht wirksam aufgedeckt, untersucht und verfolgt werden.
(3)In bestimmten Politikbereichen können Verstöße gegen das Unionsrecht erhebliche Risiken für das Gemeinwohl bergen und damit das öffentliche Interesse ernsthaft schädigen. Werden in solchen Bereichen Schwächen bei der Rechtsdurchsetzung festgestellt und sind Hinweisgeber in einer privilegierten Position, um Verstöße ans Licht zu bringen, müssen die Hinweisgeber wirksam vor Repressalien geschützt und effektive Meldesysteme eingerichtet werden, um die Rechtsdurchsetzung zu verbessern.
(4)Derzeit ist der Schutz, den Hinweisgeber in der Europäischen Union erhalten, in den Mitgliedstaaten und Politikbereichen uneinheitlich gestaltet. Die Folgen der von Hinweisgebern aufgedeckten Verstöße gegen das Unionsrecht, die eine grenzüberschreitende Dimension aufweisen, zeigen deutlich, dass ein unzureichender Schutz in einem Mitgliedstaat nicht nur die Funktionsweise der EU-Vorschriften in diesem Land beeinträchtigt, sondern auch für andere Mitgliedstaaten und die Union als Ganzes Konsequenzen nach sich ziehen kann.
(5)Dementsprechend sollten in den Rechtsakten und Politikbereichen, in denen 1) die Rechtsdurchsetzung verbessert werden muss, 2) eine unzureichende Meldung von Verstößen die Rechtsdurchsetzung wesentlich beeinträchtigt und 3) Verstöße gegen das Unionsrecht das Allgemeininteresse ernsthaft gefährden, gemeinsame Mindeststandards zur Gewährleistung eines wirksamen Hinweisgeberschutzes gelten.
(6)Hinweisgeber müssen geschützt werden, um die Durchsetzung des Unionsrechts im Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe zu verbessern. Es gilt, Betrug und Korruption im Zusammenhang mit der Ausführung des EU-Haushalts, einschließlich bei der Auftragsvergabe, aufzudecken und zu verhindern und auch die unzureichende Durchsetzung der Vorschriften für die Vergabe öffentlicher Aufträge durch nationale Behörden und bestimmte öffentliche Versorgungsbetriebe bei der Beschaffung von Waren, Bau- und Dienstleistungen anzugehen. Verstöße gegen diese Vorschriften verursachen Wettbewerbsverzerrungen, erhöhen die Geschäftskosten, verletzen die Interessen von Anlegern und Aktionären, verringern insgesamt die Anreize für Investitionen und schaffen ungleiche Bedingungen für Unternehmen in ganz Europa, wodurch das ordnungsgemäße Funktionieren des Binnenmarktes beeinträchtigt wird.
(7)Im Bereich der Finanzdienstleistungen hat der Unionsgesetzgeber den Mehrwert des Hinweisgeberschutzes bereits anerkannt. Nach der Finanzkrise, die schwerwiegende Mängel bei der Durchsetzung der geltenden Vorschriften ans Licht gebracht hat, wurden in einer Vielzahl von einschlägigen Rechtsinstrumenten Maßnahmen zum Schutz von Hinweisgebern eingeführt. Innerhalb des für Kreditinstitute und Wertpapierfirmen geltenden Aufsichtsrahmens sorgt insbesondere die Richtlinie 2013/36/EU für den Schutz von Hinweisgebern, und auch die Verordnung (EU) Nr. 575/2013 über Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen enthält entsprechende Bestimmungen.
(8)Was die Sicherheit der auf dem Binnenmarkt angebotenen Produkte anbelangt, so lassen sich Beweise in erster Linie in den an der Herstellung und am Vertrieb beteiligten Unternehmen sammeln; Meldungen von Hinweisgebern aus solchen Unternehmen haben einen hohen Mehrwert, da sie sehr viel näher an mögliche unlautere oder illegale Herstellungs-, Einfuhr- oder Vertriebspraktiken im Zusammenhang mit unsicheren Produkten herankommen. Daher ist es gerechtfertigt, im Zusammenhang mit den Sicherheitsanforderungen für „harmonisierte Produkte“ und „nicht harmonisierte Produkte“ einen Hinweisgeberschutz einzuführen. Darüber hinaus trägt der Schutz von Hinweisgebern entscheidend dazu bei, die Umlenkung von Feuerwaffen, Teilen von Feuerwaffen und Munition sowie von Verteidigungsgütern zu verhindern, wenn nämlich dazu angehalten wird, Verstöße zu melden, etwa in Bezug auf Dokumentenbetrug, veränderte Kennzeichnungen oder falsche Ein- oder Ausfuhranmeldungen und betrügerischen Erwerb von Feuerwaffen innerhalb der Union, wodurch es häufig zu einer Umlenkung vom legalen auf den illegalen Markt kommt. Der Hinweisgeberschutz wird außerdem dazu beitragen, dass die Beschränkungen und Kontrollen in Bezug auf Ausgangsstoffe für Explosivstoff korrekt angewendet werden und so die unerlaubte Herstellung von Explosivstoffen erschweren.
(9)Der wesentliche Beitrag des Hinweisgeberschutzes zur Vermeidung von Verstößen gegen Unionsvorschriften auf dem Gebiet der Verkehrssicherheit, die das Leben von Menschen gefährden können, wurde bereits in den sektoralen Unionsinstrumenten für die Sicherheit im Luft- und im Seeverkehr anerkannt‚ die spezifische Maßnahmen zum Schutz von Hinweisgebern sowie eigene Meldekanäle vorsehen. Zu diesen Instrumenten gehört auch der Schutz der Arbeitnehmer, die eigene unbeabsichtigte Fehler melden, vor Repressalien (sogenannte „Redlichkeitskultur“). Die bestehenden Elemente des Hinweisgeberschutzes in diesen beiden Sektoren müssen ergänzt werden, und der Schutz muss auch auf andere Verkehrsbereiche, insbesondere den Straßen- und Schienenverkehr, ausgedehnt werden, um die Durchsetzung der Sicherheitsstandards zu verbessern.
(10)Wie die Kommission in ihrer Mitteilung „Aktionsplan der EU für einen besseren Vollzug des Umweltrechts und eine bessere Umweltordnungspolitik“ vom 18. Januar 2018 anerkannt hat, ist die Beweiserhebung bei Umweltstraftaten und Umweltschutzverstößen sowie deren Aufdeckung und Bekämpfung nach wie vor problematisch und muss gestärkt werden. Da gegenwärtig nur ein einziger Rechtsakt im Bereich Umweltschutz Bestimmungen zum Schutz von Hinweisgebern enthält‚ wird die Einführung eines solchen Schutzes als notwendig erachtet, um eine wirksame Durchsetzung des Umweltrechts der Union zu gewährleisten, zumal Verstöße in diesem Bereich das öffentliche Interesse ernsthaft gefährden und sich über nationale Grenzen hinweg negativ auswirken können. Dies gilt auch in Fällen, in denen unsichere Produkte Umweltschäden verursachen können.
(11)Aus ähnlichen Erwägungen ist auch die Einführung eines Hinweisgeberschutzes im Bereich der Lebensmittelkette gerechtfertigt, der auf bestehenden Bestimmungen aufbaut und Verstöße gegen die EU-Vorschriften insbesondere in Bezug auf die Lebens- und Futtermittelsicherheit sowie die Tiergesundheit und den Tierschutz verhindert. Die in diesen Bereichen geschaffenen Unionsvorschriften sind eng miteinander verknüpft. Die Verordnung (EG) Nr. 178/2002 legt die allgemeinen Grundsätze und Anforderungen fest, die allen Maßnahmen der Union und der Mitgliedstaaten in Bezug auf Lebensmittel und Futtermittel zugrunde liegen, mit besonderem Schwerpunkt auf der Lebensmittelsicherheit, um ein hohes Schutzniveau für die menschliche Gesundheit und die Verbraucherinteressen im Lebensmittelbereich sowie das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts zu gewährleisten. Mit der Verordnung werden unter anderem Lebens- und Futtermittelunternehmer daran gehindert, ihr Personal und andere Personen davon abzuhalten, mit zuständigen Behörden zusammenzuarbeiten, um einem mit einem Lebensmittel verbundenen Risiko vorzubeugen, es zu begrenzen oder auszuschalten. Im Bereich Tiergesundheitsrecht verfolgt der Unionsgesetzgeber mit der Verordnung (EU) 2016/429, die Vorschriften zur Verhütung und Bekämpfung von auf Tiere oder Menschen übertragbaren Tierseuchen enthält, einen ähnlichen Ansatz.
(12)Ein verbesserter Hinweisgeberschutz würde auch dazu beitragen, Verstöße gegen Euratom-Vorschriften für die nukleare Sicherheit, den Strahlenschutz und die verantwortungsvolle und sichere Entsorgung abgebrannter Brennelemente und radioaktiver Abfälle zu verhindern und würde die Durchsetzung der bestehenden Bestimmungen der überarbeiteten Richtlinie über die nukleare Sicherheitin Bezug auf die effektive Sicherheitskultur im Nuklearbereich und insbesondere des Artikels 8b Absatz 2 Buchstabe a fördern, der unter anderem verlangt, dass die zuständige Regulierungsbehörde Managementsysteme einführt, die der nuklearen Sicherheit gebührend Vorrang einräumen; er würde zudem auf allen Ebenen des Personals und der Verwaltung die Fähigkeit fördern, zu hinterfragen, ob die einschlägigen Sicherheitsgrundsätze und -praktiken ihrer Funktion effektiv gerecht werden, und Sicherheitsprobleme rechtzeitig zu melden.
(13)In gleicher Weise können Meldungen von Hinweisgebern entscheidend dazu beitragen, Risiken für die öffentliche Gesundheit und den Verbraucherschutz, die aus andernfalls womöglich unbemerkten Verstößen gegen Unionsvorschriften erwachsen, aufzudecken, zu verhindern, einzudämmen oder zu beseitigen. Vor allem im Bereich Verbraucherschutz kann es zu Fällen kommen, in denen Verbraucher durch unsichere Produkte erheblich geschädigt werden können. Daher sollte der Hinweisgeberschutz unter Bezugnahme auf die einschlägigen Vorschriften der Union eingeführt werden, die gemäß den Artikeln 114, 168 und 169 AEUV erlassen wurden.
(14)Der Schutz der Privatsphäre und der personenbezogenen Daten ist ein weiterer Bereich, in dem Hinweisgeber in einer privilegierten Position sind, Verstöße gegen das Unionsrecht, die das öffentliche Interesse ernsthaft gefährden können, ans Licht zu bringen. Ähnliche Erwägungen gelten für Verstöße gegen die Richtlinie über die Sicherheit von Netz- und Informationssystemen‚ die Meldungen von Sicherheitsvorfällen (auch solche, die personenbezogene Daten nicht beeinträchtigen) und Sicherheitsanforderungen für Einrichtungen, die grundlegende Dienste in vielen Bereichen erbringen (z. B. Energie, Gesundheit, Verkehr, Bankwesen usw.), sowie für Anbieter zentraler digitaler Dienste (z. B. Cloud-Computing-Dienste) vorsieht. Meldungen von Hinweisgebern sind in diesem Bereich besonders nützlich, um Sicherheitsvorfälle zu verhindern, die wichtige wirtschaftliche und soziale Tätigkeiten und weitverbreitete digitale Dienste beeinträchtigen würden. Sie tragen zur Kontinuität von Diensten bei, die für das Funktionieren des Binnenmarkts und das Wohlergehen der Gesellschaft von wesentlicher Bedeutung sind.
(15)Meldungen von Hinweisgebern sind auch erforderlich, um Verstöße gegen das Wettbewerbsrecht der Union besser aufdecken und unterbinden zu können. Sie tragen dazu bei, die wirksame Funktionsweise der Märkte in der Union zu schützen, gleiche Wettbewerbsbedingungen für Unternehmen zu schaffen und den Verbrauchern Vorteile zu verschaffen. Der Schutz von Hinweisgebern würde die Durchsetzung des Wettbewerbsrechts der Union und auch des Beihilferechts verbessern. Was die Wettbewerbsregeln für Unternehmen anbelangt, so wird die Bedeutung von Insiderinformationen bei der Aufdeckung von Wettbewerbsverstößen bereits in der EU-Kronzeugenregelung sowie in dem kürzlich von der Europäischen Kommission eingeführten Instrument für anonyme Hinweise anerkannt. Die Einführung eines Hinweisgeberschutzes auf der Ebene der Mitgliedstaaten würde es der Europäischen Kommission und den zuständigen nationalen Behörden erleichtern, Verstöße gegen das Wettbewerbsrecht der Union aufzudecken und abzustellen. Im Hinblick auf staatliche Beihilfen können Hinweisgeber sowohl auf nationaler als auch auf regionaler und lokaler Ebene eine wichtige Rolle bei der Meldung rechtswidrig gewährter oder missbräuchlich verwendeter Beihilfen spielen.
(16)Der Schutz der finanziellen Interessen der Union, der die Bekämpfung von Betrug, Korruption und sonstigen rechtswidrigen Handlungen im Zusammenhang mit den Ausgaben der Union, der Erhebung von Einnahmen und Geldern der Union oder Vermögenswerten der Union betrifft, ist ein Kernbereich, in dem die Durchsetzung des Unionsrechts gestärkt werden muss. Auch der Ausführung des Haushaltsplans der Union im Zusammenhang mit Ausgaben, die auf der Grundlage des Vertrags zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft getätigt werden, kommt bei der Stärkung des Schutzes der finanziellen Interessen der Union Bedeutung zu. Aufgrund mangelnder wirksamer Durchsetzungsmaßnahmen im Bereich der finanziellen Interessen der Union sowie in Bezug auf Betrug und Korruption auf nationaler Ebene kommt es zu einem Rückgang der Unionseinnahmen und einem Missbrauch von EU-Geldern, wodurch die öffentlichen Investitionen und das Wachstum verzerrt werden und das Vertrauen der Bürger in EU-Maßnahmen sinkt. Um Betrug und illegale Handlungen besser aufdecken und verhindern zu können, müssen Hinweisgeber geschützt werden.
(17)Handlungen, die gegen die Körperschaftsteuer-Vorschriften verstoßen, und Vereinbarungen, deren Zweck darin besteht, einen Steuervorteil zu erlangen und rechtliche Verpflichtungen zu umgehen, und die dem Ziel oder Zweck der geltenden Körperschaftsteuer-Vorschriften zuwiderlaufen, beeinträchtigen das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts. Sie können zu unlauterem Steuerwettbewerb und umfassender Steuerflucht führen, die Wettbewerbsbedingungen für Unternehmen verzerren und Steuereinbußen für die Mitgliedstaaten und den Unionshaushalt insgesamt nach sich ziehen. Der Hinweisgeberschutz ergänzt die jüngsten Initiativen der Kommission zur Verbesserung der Transparenz und des Informationsaustauschs im Steuerbereich und zur Schaffung eines gerechteren Steuerumfelds innerhalb der Union‚ um die Effizienz der Mitgliedstaaten bei der Ermittlung steuervermeidender und/oder missbräuchlicher Vereinbarungen zu erhöhen, die ansonsten unbemerkt bleiben könnten, und um solchen Vereinbarungen entgegenzuwirken.
(18)Insbesondere im Bereich der Finanzdienstleistungen enthalten einige Rechtsakte der Union, wie die Verordnung (EU) Nr. 596/2014 über Marktmissbrauch und die zugehörige Durchführungsrichtlinie 2015/2392 der Kommission, schon jetzt detaillierte Vorschriften zum Schutz von Hinweisgebern. Damit diese Instrumente vollständig mit den Mindeststandards im Einklang stehen und gleichzeitig die für die jeweiligen Sektoren vorgesehenen Besonderheiten gewahrt bleiben, sollte die vorliegende Richtlinie solche bestehenden Unionsvorschriften, einschließlich der in Teil II des Anhangs aufgeführten Rechtsakte, ergänzen. Dies ist besonders wichtig, um festzulegen, welche juristischen Personen auf dem Gebiet der Finanzdienstleistungen, der Verhinderung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung derzeit verpflichtet sind, interne Meldekanäle einzurichten.
(19)Wird ein neuer Unionsrechtsakt erlassen, bei dem der Hinweisgeberschutz von Relevanz ist und zu einer wirksameren Durchsetzung beitragen kann, sollte geprüft werden, ob eine Änderung des Anhangs der vorliegenden Richtlinie angezeigt ist, um ihren Anwendungsbereich auf den betreffenden Rechtsakt auszudehnen.
(20)Die vorliegende Richtlinie sollte den Arbeitnehmerschutz bei der Meldung von Verstößen gegen das EU-Arbeitsrecht unberührt lassen. Im Bereich der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes am Arbeitsplatz verpflichtet Artikel 11 der Rahmenrichtlinie 89/391/EWG die Mitgliedstaaten schon jetzt, dafür zu sorgen, dass Arbeitnehmern oder Arbeitnehmervertretern keine Nachteile entstehen, wenn sie den Arbeitgeber um geeignete Maßnahmen ersuchen und ihm Vorschläge unterbreiten, um Gefahren für die Arbeitnehmer vorzubeugen und/oder Gefahrenquellen auszuschalten. Die Arbeitnehmer und ihre Vertreter sind berechtigt, die zuständigen nationalen Behörden auf Probleme hinzuweisen, wenn sie der Auffassung sind, dass die vom Arbeitgeber getroffenen Maßnahmen und eingesetzten Mittel nicht ausreichen, um die Sicherheit und den Gesundheitsschutz zu gewährleisten.
(21)Die vorliegende Richtlinie sollte den Schutz der nationalen Sicherheit und anderer Verschlusssachen, deren Schutz vor unbefugtem Zugriff im Unionsrecht oder in den geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats aus Sicherheitsgründen vorgesehen ist, unberührt lassen. Insbesondere sollten die Bestimmungen dieser Richtlinie nicht die Verpflichtungen berühren, die sich aus dem Beschluss (EU, Euratom) 2015/444 der Kommission vom 13. März 2015 über die Sicherheitsvorschriften für den Schutz von EU-Verschlusssachen und dem Beschluss des Rates vom 23. September 2013 über die Sicherheitsvorschriften für den Schutz von EU-Verschlusssachen ergeben.
(22)Personen, die Informationen über eine Gefährdung oder Schädigung des öffentlichen Interesses im Zusammenhang mit ihren beruflichen Tätigkeiten melden, machen von ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch. Das Recht auf freie Meinungsäußerung, das in Artikel 11 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union („Charta“) und in Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verankert ist, umfasst auch die Freiheit und die Pluralität der Medien.
(23)Dementsprechend stützt sich diese Richtlinie auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zum Recht auf freie Meinungsäußerung und auf die auf dieser Grundlage vom Europarat in seiner Empfehlung zum Schutz von Whistleblowern aus dem Jahr 2014 entwickelten Grundsätze.
(24)Personen benötigen besonderen Rechtsschutz, wenn sie Informationen melden, die sie im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit erhalten, und sich damit dem Risiko von Repressalien am Arbeitsplatz aussetzen (z. B. aufgrund einer Verletzung der Vertraulichkeits- oder Loyalitätspflicht). Einen solchen Schutz benötigen sie aufgrund ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit von der Person, auf die sie de facto beruflich angewiesen sind. Liegt jedoch kein beruflich bedingtes Machtungleichgewicht vor (z. B. im Fall gewöhnlicher Beschwerden oder unbeteiligter Dritter), so ist kein Schutz vor Repressalien erforderlich.
(25)Eine wirksame Durchsetzung des Unionsrechts setzt voraus, dass ein möglichst breites Spektrum von Personengruppen – seien es EU-Bürger oder Drittstaatsangehörige – geschützt wird, die aufgrund ihrer (bezahlten oder unbezahlten) beruflichen Tätigkeit privilegierten Zugang zu Informationen über etwaige Verstöße, deren Meldung im öffentlichen Interesse liegt, haben und die im Falle einer solchen Meldung Repressalien erleiden könnten. Die Mitgliedstaaten sollten sicherstellen, dass der Schutzbedarf unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände und nicht nur unter Bezugnahme auf die Art der Arbeitsbeziehung bestimmt wird, sodass alle Personen erfasst werden, die im weiteren Sinne mit der Organisation verbunden sind, in der der Verstoß vorgefallen ist.
(26)Schutz sollte zuallererst für „Arbeitnehmer“ im Sinne des Artikels 45 AEUV in der Auslegung durch den Gerichtshof der Europäischen Union gelten, d. h. für Personen, die während eines bestimmten Zeitraums Dienstleistungen für und unter der Leitung einer anderen Person erbringen, für die sie eine Vergütung erhalten. Schutz sollte daher auch Arbeitnehmern in atypischen Beschäftigungsverhältnissen, einschließlich Teilzeitbeschäftigten und befristet Beschäftigten, sowie Personen gewährt werden, die einen Arbeitsvertrag oder ein Arbeitsverhältnis mit einem Leiharbeitsunternehmen geschlossen haben; bei derartigen Arbeitsbeziehungen ist es häufig schwierig, Standardschutzbestimmungen gegen unfaire Behandlung anzuwenden.
(27)Auch weitere Kategorien natürlicher oder juristischer Personen sollten geschützt werden, die zwar nicht „Arbeitnehmer“ im Sinne des Artikels 45 AEUV sind, aber bei der Aufdeckung von Rechtsverstößen eine Schlüsselrolle spielen können und sich aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit in wirtschaftlicher Abhängigkeit befinden. So sind etwa im Bereich der Produktsicherheit Lieferanten sehr viel näher an der Quelle möglicher unlauterer und illegaler Herstellungs-, Einfuhr- oder Vertriebspraktiken für unsichere Produkte und bei der Verwendung von Unionsmitteln sind Berater, die Dienstleistungen erbringen, in einer privilegierten Position, um auf Verstöße aufmerksam zu machen. Diese Kategorien von Personen, darunter Selbstständige, die Dienstleistungen erbringen, Freiberufler, Auftragnehmer, Unterauftragnehmer und Lieferanten, erfahren häufig Repressalien in der Form, dass Dienstleistungsverträge, Lizenzen oder Bewilligungen vorzeitig beendet oder gekündigt werden, sie Geschäfts- oder Einkommensverluste erleiden, Opfer von Nötigung, Einschüchterung oder Mobbing werden, auf schwarze Listen gesetzt bzw. geschäftlich boykottiert werden oder ihr Ruf geschädigt wird. Anteilseigner und Personen in Leitungsgremien können ebenfalls von Repressalien betroffen sein, etwa in finanzieller Hinsicht oder in Form von Einschüchterung oder Mobbing, Eintragung in schwarze Listen oder Rufschädigung. Schutz sollte auch Bewerbern für eine Stelle oder für die Erbringung von Dienstleistungen bei einer Organisation gewährt werden, wenn sie während des Einstellungsverfahrens oder einer anderen vorvertraglichen Verhandlungsstufe Informationen über Gesetzesverstöße erhalten haben und unter Umständen Repressalien erleiden, etwa in Form negativer Empfehlungen oder indem sie auf schwarze Listen gesetzt bzw. geschäftlich boykottiert werden.
(28)Ein wirksamer Hinweisgeberschutz umfasst auch Gruppen von Personen, die zwar auf ihre berufliche Tätigkeit nicht wirtschaftlich angewiesen sind, aber infolge einer Meldung von Verstößen dennoch Repressalien erleiden können. Gegenüber Freiwilligen und unbezahlten Praktikanten können Repressalien etwa in der Form ausgeübt werden, dass ihre Dienste nicht mehr in Anspruch genommen werden, negative Arbeitszeugnisse ausgestellt werden oder ihr Ruf geschädigt wird.
(29)Um eine ernsthafte Schädigung des öffentlichen Interesses wirksam aufdecken und verhindern zu können, sollte der Hinweisgeberschutz nicht nur bei der Meldung rechtswidriger Handlungen zur Anwendung kommen, sondern auch bei der Meldung von Rechtsmissbrauch, also Handlungen oder Unterlassungen, die in formaler Hinsicht nicht als rechtswidrig erscheinen, die jedoch mit dem Ziel oder Zweck der einschlägigen Rechtsvorschriften unvereinbar sind.
(30)Um Verstöße gegen das Unionsrecht wirksam zu unterbinden, sollten auch Personen geschützt werden, die Informationen zu potenziellen Verstößen melden, die zwar noch nicht eingetreten sind, aber mit deren Eintreten zu rechnen ist. Aus denselben Gründen ist der Schutz auch für Personen gerechtfertigt, die zwar keine eindeutigen Beweise beibringen, aber begründete Bedenken oder einen begründeten Verdacht äußern. Demgegenüber sollte bei der Meldung von Informationen, die bereits öffentlich sind oder bei denen es sich um unbegründete Spekulationen oder Gerüchte handelt, kein Schutz gewährt werden.
(31)Damit der Hinweisgeber Rechtsschutz erhalten kann, muss ein enger (kausaler) Zusammenhang zwischen der Meldung und der unmittelbar oder mittelbar von dem Hinweisgeber erlittenen Benachteiligung (Repressalie) bestehen. Ein wirksamer Schutz von Hinweisgebern als Mittel zur besseren Durchsetzung des Unionsrechts erfordert eine weit gefasste Definition des Begriffs Repressalien, die jede benachteiligende Handlung oder Unterlassung im beruflichen Kontext einschließt.
(32)Schutz vor Repressalien als Mittel zum Schutz der Freiheit der Meinungsäußerung und der Medienfreiheit sollte Personen gewährt werden, die Informationen über Handlungen oder Unterlassungen innerhalb einer Organisation melden (interne Meldungen) oder einer externen Behörde zukommen lassen (externe Meldungen), sowie Personen, die diese Informationen publik machen (etwa direkt über Web-Plattformen und soziale Medien oder indirekt über die Medien, gewählte Amtsträger, zivilgesellschaftliche Organisationen, Gewerkschaften oder Berufsverbände).
(33)Hinweisgeber sind besonders wichtige Informationsquellen für investigative Journalisten. Ein wirksamer Schutz von Hinweisgebern vor Repressalien erhöht die Rechtssicherheit (potenzieller) Hinweisgeber und erleichtert damit die Weitergabe von Hinweisen auch an die Medien. In dieser Hinsicht trägt der Schutz von Hinweisgebern als journalistische Quellen wesentlich zur Wahrung der Überwachungsfunktion investigativer Journalisten in demokratischen Gesellschaften bei.
(34)Es ist Sache der Mitgliedstaaten, die zuständigen Behörden zu benennen, die befugt sind, Meldungen über unter diese Richtlinie fallende Verstöße entgegenzunehmen und geeignete Folgemaßnahmen zu ergreifen. Dabei kann es sich um Regulierungs- oder Aufsichtsstellen in den betreffenden Bereichen, Strafverfolgungsbehörden, Korruptionsbekämpfungsstellen und Ombudsleute handeln. Diese zuständigen Behörden müssen über die erforderlichen Kapazitäten und Befugnisse verfügen, um im Einklang mit ihrem Mandat die Stichhaltigkeit der in der Meldung erhobenen Vorwürfe zu beurteilen und die gemeldeten Verstöße abzustellen, etwa durch Einleitung einer Untersuchung, Strafverfolgung oder Einziehung von Mitteln oder durch sonstige geeignete Abhilfemaßnahmen.
(35)In bestimmten Bereichen wie Marktmissbrauch‚ Zivilluftfahrt und Sicherheit von Offshore-Erdöl- und -Erdgasaktivitäten sieht das Unionsrecht schon jetzt die Einrichtung interner und externer Meldekanäle vor. Die nach dieser Richtlinie verpflichtend einzurichtenden Kanäle sollten so weit wie möglich auf den bestehenden Kanälen aufbauen, die in einschlägigen Unionsrechtsakten vorgesehen sind.
(36)Einige Einrichtungen und sonstige Stellen der Union, darunter das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF), die Europäische Agentur für die Sicherheit des Seeverkehrs (EMSA), die Europäische Agentur für Flugsicherheit (EASA) und die Europäische Arzneimittelagentur (EMA), verfügen über externe Kanäle und Verfahren für den Empfang von Meldungen über Verstöße, die in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallen, wobei in erster Linie die Vertraulichkeit der Identität des Hinweisgebers gewährleistet wird. Diese Richtlinie lässt solche eventuell vorhandenen externen Meldekanäle und -verfahren unberührt, gewährleistet jedoch, dass Personen, die bei den Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union Verstöße melden, in der gesamten Union von gemeinsamen Mindestschutzstandards profitieren.
(37)Damit Verstöße gegen das Unionsrecht wirksam aufgedeckt und unterbunden werden können, müssen die einschlägigen Informationen rasch zu denjenigen gelangen, die der Ursache des Problems am nächsten sind, der Meldung am ehesten nachgehen können und über entsprechende Befugnisse verfügen, um dem Problem, soweit möglich, abzuhelfen. Dies setzt voraus, dass juristische Personen im privaten und im öffentlichen Sektor geeignete interne Verfahren für die Entgegennahme von Meldungen und entsprechende Folgemaßnahmen einrichten.
(38)Bei juristischen Personen des Privatrechts steht die Verpflichtung zur Einrichtung interner Kanäle in einem angemessenen Verhältnis zu ihrer Größe und der Höhe des Risikos ihrer Tätigkeiten für das öffentliche Interesse. Diese Verpflichtung sollte unabhängig von der Art ihrer Tätigkeiten für alle mittleren und großen Unternehmen gelten, die Mehrwertsteuer erheben müssen. Generell sollten Kleinstunternehmen und kleine Unternehmen im Sinne des Artikels 2 des Anhangs der Empfehlung der Kommission vom 6. Mai 2003 in der geänderten Fassung von der Verpflichtung zur Einrichtung interner Kanäle ausgenommen werden. Allerdings können die Mitgliedstaaten nach einer geeigneten Risikobewertung kleinen Unternehmen in bestimmten Fällen vorschreiben, interne Meldekanäle einzurichten (etwa aufgrund erheblicher Risiken, die sich aus ihrer Tätigkeit ergeben).
(39)Die Ausnahme für Klein- und Kleinstunternehmen von der Verpflichtung, interne Meldekanäle einzurichten, sollte nicht für Privatunternehmen im Finanzdienstleistungsbereich gelten. Solche Unternehmen sollten im Einklang mit den geltenden Pflichten, die aus dem Besitzstand der Union im Bereich der Finanzdienstleistungen erwachsen, zur Einrichtung interner Meldekanäle verpflichtet bleiben.
(40)Sehen juristische Personen des Privatrechts keine internen Meldekanäle vor, sollten Hinweisgeber externe Meldungen direkt an die zuständigen Behörden richten können und nach Maßgabe dieser Richtlinie vor Repressalien geschützt sein.
(41)Um insbesondere die Einhaltung der Vorschriften für die Vergabe öffentlicher Aufträge im öffentlichen Sektor zu gewährleisten, sollten alle juristischen Personen des öffentlichen Rechts auf lokaler, regionaler und nationaler Ebene entsprechend ihrer Größe zur Einrichtung interner Meldekanäle verpflichtet sein. Bieten kleine öffentliche Einrichtungen keine internen Kanäle an, so können die Mitgliedstaaten interne Meldungen auf höherer Verwaltungsebene (d. h. auf regionaler oder zentraler Ebene) vorsehen.
(42)Solange die Vertraulichkeit der Identität des Hinweisgebers gewahrt bleibt, kann jede juristische Person des privaten und des öffentlichen Rechts selbst festlegen, über welche Art von Kanälen Meldungen eingehen können, sei es auf persönlichem Weg, auf dem Postweg, über einen Beschwerde-Briefkasten, über eine Telefon-Hotline oder über eine Online-Plattform (Intranet oder Internet). Die Meldekanäle sollten jedoch nicht auf solche beschränkt sein, bei denen die Vertraulichkeit der Identität der meldenden Person nicht garantiert werden kann, etwa auf persönliche Meldungen oder Beschwerde-Briefkästen.
(43)Auch Dritte können ermächtigt werden, Meldungen im Namen von privaten und öffentlichen Stellen entgegenzunehmen, sofern sie entsprechende Garantien für die Wahrung der Unabhängigkeit und Vertraulichkeit, des Datenschutzes und der Geheimhaltung bieten. Dabei kann es sich um externe Anbieter von Meldeplattformen, externe Berater oder Prüfer oder Gewerkschaftsvertreter handeln.
(44)Interne Meldeverfahren sollten juristische Personen des Privatrechts in die Lage versetzen, nicht nur den Meldungen ihrer Mitarbeiter bzw. der Mitarbeiter ihrer Tochterunternehmen oder verbundenen Unternehmen (d. h. der Gruppe) unter vollständiger Wahrung der Vertraulichkeit nachzugehen, sondern soweit möglich auch den Meldungen der Mitarbeiter von Vertretern und Lieferanten der Gruppe sowie von Personen, die im Rahmen ihrer beruflichen Zusammenarbeit mit dem Unternehmen und der Gruppe Informationen erhalten.
(45)Welche Personen oder Dienststellen innerhalb einer juristischen Person des Privatrechts am besten geeignet sind, Meldungen entgegenzunehmen und Folgemaßnahmen zu ergreifen, hängt von der Struktur des Unternehmens ab; ihre Funktion sollte jedenfalls Interessenkonflikte ausschließen und ihre Unabhängigkeit gewährleisten. In kleineren Unternehmen könnte diese Aufgabe durch einen Mitarbeiter in Doppelfunktion erfüllt werden, der direkt der Unternehmensleitung berichten kann, etwa ein Leiter der Compliance- oder Personalabteilung, ein Rechts- oder Datenschutzbeauftragter, ein Finanzvorstand, ein Auditverantwortlicher oder ein Vorstandsmitglied.
(46)Bei internen Meldungen trägt die Qualität und Transparenz der Informationen, die über die Folgemaßnahmen zu einer Meldung verbreitet werden, wesentlich dazu bei, Vertrauen in die Wirksamkeit des allgemeinen Hinweisgeberschutzes aufzubauen und die Wahrscheinlichkeit weiterer unnötiger Meldungen oder einer Offenlegung zu senken. Der Hinweisgeber sollte innerhalb eines angemessenen Zeitrahmens über die geplanten oder ergriffenen Folgemaßnahmen zu der Meldung informiert werden (z. B. Verfahrensabschluss aufgrund mangelnder Beweise oder anderer Gründe, Einleitung interner Nachforschungen, eventuell unter Angabe der Ergebnisse und/oder Maßnahmen zur Behebung des Problems, Befassung einer zuständigen Behörde zwecks weiterer Untersuchung), soweit diese Informationen die Nachforschungen oder Untersuchungen nicht berühren und die Rechte der von der Meldung betroffenen Person nicht beeinträchtigen. Ein solcher angemessener Zeitrahmen sollte drei Monate nicht überschreiten. Werden die geeigneten Folgemaßnahmen erst noch festgelegt, so sollte der Hinweisgeber auch darüber informiert werden; zudem sollte ihm mitgeteilt werden, welche weiteren Rückmeldungen er erwarten kann.
(47)Personen, die Verstöße gegen das Unionsrecht melden wollen, sollten eine fundierte Entscheidung darüber treffen können, ob, wann und auf welche Weise sie Meldung erstatten. Private und öffentliche Stellen, die über interne Meldeverfahren verfügen, stellen Informationen zu diesen Verfahren sowie über Verfahren für externe Meldungen an die jeweils zuständigen Behörden bereit. Diese Informationen müssen leicht verständlich und leicht zugänglich sein, und zwar – soweit möglich – auch für nicht bei dem Unternehmen beschäftigte Personen, die aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit mit dem Unternehmen in Kontakt treten, beispielsweise Dienstleistungsunternehmen, Vertriebsunternehmen, Lieferanten und andere Geschäftspartner. Die Informationen können etwa an einer sichtbaren, für den gesamten Personenkreis zugänglichen Stelle sowie auf der Unternehmenswebsite veröffentlicht werden und auch in Kursen und Schulungen zum Thema Ethik und Integrität behandelt werden.
(48)Eine wirksame Aufdeckung und Verhütung von Verstößen gegen das Unionsrecht setzt voraus, dass potenzielle Hinweisgeber die Informationen in ihrem Besitz einfach und unter vollständiger Wahrung der Vertraulichkeit an die zuständigen Behörden weitergeben können, die in der Lage sind, das Problem zu untersuchen und soweit wie möglich zu beheben.
(49)Mangelndes Vertrauen in den Nutzen von Meldungen ist ein wesentlicher Faktor, der potenzielle Hinweisgeber abschreckt. Daher ist es gerechtfertigt, die zuständigen Behörden zu verpflichten, eingegangene Meldungen sorgfältig nachzuverfolgen und dem Hinweisgeber innerhalb eines angemessenen Zeitrahmens Rückmeldung zu den geplanten oder ergriffenen Folgemaßnahmen zu geben (z. B. Verfahrensabschluss aufgrund mangelnder Beweise oder anderer Gründe, Einleitung interner Nachforschungen, eventuell unter Angabe der Ergebnisse und/oder Maßnahmen zur Behebung des Problems, Befassung einer zuständigen Behörde zwecks weiterer Untersuchung), soweit diese Informationen die Nachforschungen bzw. Untersuchung nicht berühren und die Rechte der betroffenen Personen nicht beeinträchtigen.
(50)Folgemaßnahmen und Rückmeldungen sollten innerhalb eines angemessenen Zeitrahmens erfolgen, da eventuelle in der Meldung genannte Probleme unverzüglich angegangen werden müssen und eine unnötige Offenlegung vermieden werden muss. Der Zeitrahmen sollte nicht mehr als drei Monate umfassen, kann jedoch auf sechs Monate ausgedehnt werden, wenn die besonderen Umstände des Falls dies erfordern, insbesondere wenn die Art und die Komplexität des Gegenstands der Meldung eine langwierige Untersuchung nach sich zieht.
(51)Soweit dies nach nationalem Recht oder Unionsrecht vorgesehen ist, sollten die zuständigen Behörden Fälle oder relevante Informationen an die zuständigen Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union übermitteln, einschließlich – für die Zwecke dieser Richtlinie – an das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) und die Europäische Staatsanwaltschaft (EUStA); dies gilt unbeschadet der Möglichkeit des Hinweisgebers, sich direkt an diese Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union zu wenden.
(52)Um eine wirksame Kommunikation mit ihren zuständigen Mitarbeitern zu gewährleisten, sollten die zuständigen Behörden spezifische nutzerfreundliche Kommunikationskanäle einrichten und nutzen, die von ihrem normalen System für Beschwerden der Öffentlichkeit getrennt sind und sowohl schriftliche als auch mündliche Kommunikation auf elektronischem und nicht elektronischem Weg erlauben.
(53)Für die Bearbeitung der Meldungen, die Kommunikation mit dem Hinweisgeber und eine geeignete Nachverfolgung der Meldungen brauchen die zuständigen Behörden speziell geschulte Mitarbeiter, die auch mit den geltenden Datenschutzvorschriften vertraut sind.
(54)Personen, die Verstöße melden wollen, sollten eine fundierte Entscheidung darüber treffen können, ob, wann und auf welche Weise sie Meldung erstatten. Daher sollten die zuständigen Behörden in öffentlicher und leicht zugänglicher Weise Informationen zu ihren verfügbaren Meldekanälen, den anwendbaren Verfahren und den innerhalb der Behörde zuständigen Mitarbeitern bereitstellen. Um Meldungen zu fördern und Hinweisgeber nicht abzuschrecken, sollten sämtliche Informationen zu Meldungen transparent, leicht verständlich und zuverlässig sein.
(55)Die Mitgliedstaaten sollten sicherstellen, dass die zuständigen Behörden angemessene Schutzverfahren für die Bearbeitung der Verstoßmeldungen und den Schutz der personenbezogenen Daten der in der Meldung genannten Personen eingerichtet haben. Diese Verfahren sollen gewährleisten, dass die Identität aller Hinweisgeber, betroffenen Personen und in der Meldung genannten Dritten (z. B. Zeugen oder Kollegen) in allen Verfahrensstufen geschützt ist. Diese Verpflichtung sollte unbeschadet der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit der Verpflichtung zur Offenlegung von Informationen gelten, sofern dies durch das Unionsrecht oder das nationale Recht gefordert ist; ferner sollte sie geeigneten Garantien nach Maßgabe der einschlägigen Rechtsvorschriften unterliegen, auch im Zusammenhang mit Ermittlungen oder Gerichtsverfahren oder zum Schutz der Freiheiten anderer, einschließlich der Verteidigungsrechte der betroffenen Person.
(56)Die speziell für die Bearbeitung der Meldungen zuständigen Mitarbeiter wie auch andere Mitarbeiter der zuständigen Behörde, die Zugang zu den von einer Person gemeldeten Informationen haben, unterliegen bei der Übermittlung von Daten innerhalb und außerhalb der zuständigen Behörde ihrer beruflichen Schweigepflicht sowie der Pflicht zur Wahrung der Vertraulichkeit, und zwar auch dann, wenn eine zuständige Behörde im Zusammenhang mit der Meldung von Verstößen eine Untersuchung oder ein Ermittlungsverfahren bzw. in der Folge Durchsetzungsmaßnahmen einleitet.
(57)Die Mitgliedstaaten sollten dafür Sorge tragen, dass Verstoßmeldungen in angemessener Weise dokumentiert werden, jede Meldung innerhalb der zuständigen Behörde abrufbar ist und Informationen aus Meldungen bei Durchsetzungsmaßnahmen gegebenenfalls als Beweismittel verwendbar sind.
(58)Der Schutz der personenbezogenen Daten des Hinweisgebers und der betroffenen Person ist von entscheidender Bedeutung, um eine ungerechte Behandlung oder Rufschädigung aufgrund der Preisgabe personenbezogener Daten zu vermeiden, insbesondere der Preisgabe der Identität einer betroffenen Person. Entsprechend den Anforderungen der Verordnung (EU) 2016/679 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (Datenschutz-Grundverordnung, im Folgenden auch „DS-GVO“) sollten die zuständigen Behörden daher angemessene Datenschutzverfahren festlegen, die speziell auf den Schutz der Hinweisgeber, der betroffenen Person und der in der Meldung genannten Dritten abzielen und ein sicheres System innerhalb der zuständigen Behörde mit beschränkten Zugriffsrechten ausschließlich für befugte Mitarbeiter umfassen.
(59)Die Angemessenheit und Zweckdienlichkeit dieser Verfahren der zuständigen Behörden sollte anhand regelmäßiger Überprüfungen und anhand eines Austauschs der Behörden über bewährte Verfahren gewährleistet werden.
(60)Hinweisgeber sollten nur dann geschützt sein, wenn sie zum Zeitpunkt der Meldung angesichts der Umstände und der verfügbaren Informationen berechtigten Grund zu der Annahme haben, dass die von ihnen geschilderten Sachverhalte der Wahrheit entsprechen. Solange nicht das Gegenteil bewiesen wird, sollte die Vermutung gelten, dass ein berechtigter Grund für diese Annahme besteht. Dies ist eine wichtige Schutzvorkehrung gegen böswillige oder missbräuchliche Meldungen, die gewährleistet, dass Personen keinen Schutz erhalten, wenn sie wissentlich falsche oder irreführende Informationen melden. Gleichzeitig wird damit gewährleistet, dass der Schutz auch dann gilt, wenn ein Hinweisgeber in gutem Glauben ungenaue Informationen meldet. In ähnlicher Weise sollten Hinweisgeber Schutz im Rahmen dieser Richtlinie erhalten, wenn sie hinreichenden Grund zu der Annahme haben, dass die gemeldeten Informationen in den Anwendungsbereich der Richtlinie fallen.
(61)Die allgemeine Anforderung, die verfügbaren Meldekanäle in der vorgesehenen Reihenfolge zu nutzen, stellt sicher, dass die Informationen jene Personen erreichen, die zur frühzeitigen und wirksamen Behebung von Risiken für das öffentliche Interesse und zur Vermeidung einer ungerechtfertigten, durch eine etwaige Offenlegung der Informationen verursachten Rufschädigung beitragen können. Allerdings sind gewisse Ausnahmen von dieser Regel erforderlich, damit Hinweisgeber je nach Fall den am besten geeigneten Kanal wählen können. Zudem ist es erforderlich, im Einklang mit den in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte entwickelten Kriterien die Offenlegung von Informationen unter Berücksichtigung demokratischer Grundsätze wie Transparenz und Rechenschaftspflicht und Grundrechte wie Freiheit der Meinungsäußerung und Medienfreiheit zu schützen und gleichzeitig das Interesse der Arbeitgeber an der Verwaltung ihrer Unternehmen und dem Schutz ihrer Interessen mit dem Interesse der Öffentlichkeit am Schutz vor Schaden abzuwägen.
(62)In der Regel sollten Hinweisgeber zunächst die ihnen zur Verfügung stehenden internen Kanäle nutzen und ihrem Arbeitgeber Meldung erstatten. Allerdings kann es vorkommen, dass keine internen Kanäle bestehen (im Fall von Einrichtungen, die auf der Grundlage dieser Richtlinie oder des anwendbaren nationalen Rechts nicht verpflichtet sind, solche Kanäle einzurichten), dass ihre Verwendung nicht zwingend vorgeschrieben ist (etwa für Personen, die nicht in einem Beschäftigungsverhältnis stehen) oder dass sie zwar verwendet werden, aber nicht ordnungsgemäß funktionieren (etwa weil die Meldung nicht innerhalb eines angemessenen Zeitrahmens bearbeitet wurde oder trotz positiver Untersuchungsergebnisse keine Maßnahmen ergriffen wurden, um den Verstoß zu beheben).
(63)In anderen Fällen ist davon auszugehen, dass die internen Kanäle nicht angemessen funktionieren, wenn z. B. Hinweisgeber berechtigten Grund zu der Annahme haben, dass sie im Zusammenhang mit der Meldung Repressalien erleiden würden, die Vertraulichkeit nicht gewährleistet wäre, in einem beruflichen Kontext der letztlich verantwortliche Mitarbeiter an dem Verstoß beteiligt ist, der Verstoß verschleiert werden könnte, die Beweismittel beiseite geschafft oder vernichtet werden könnten, die Wirksamkeit von Untersuchungsmaßnahmen durch die zuständigen Behörden gefährdet sein könnte oder dringender Handlungsbedarf besteht (etwa aufgrund einer unmittelbar drohenden erheblichen und besonderen Gefahr für das Leben, die Gesundheit oder die Sicherheit von Menschen oder für die Umwelt). In all diesen Fällen sollen Hinweisgeber, die ihre Meldung extern an die zuständigen Behörden oder gegebenenfalls an die zuständigen Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union übermitteln, geschützt werden. Der Schutz muss auch in Fällen gewährt werden, in denen Hinweisgeber Meldungen nach dem EU-Recht direkt an die zuständigen nationalen Behörden oder an die Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union richten können, beispielsweise im Zusammenhang mit gegen den Unionshaushalt gerichtetem Betrug, zur Verhütung und Aufdeckung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung oder im Finanzdienstleistungsbereich.
(64)Personen, die Informationen unmittelbar publik machen, sollten in folgenden Fällen ebenfalls geschützt werden: Wenn ein Verstoß nicht behoben wird (z. B. wurde er nicht ordnungsgemäß bewertet oder untersucht oder es wurden keine Abhilfemaßnahmen getroffen), obwohl er intern und/oder extern unter gestaffelter Nutzung der verfügbaren Kanäle gemeldet wurde; wenn die Hinweisgeber berechtigten Grund zu der Annahme haben, dass zwischen dem Urheber des Verstoßes und der zuständigen Behörde geheime Absprachen bestehen, dass Beweismittel kaschiert oder vernichtet werden könnten oder dass die Wirksamkeit von Untersuchungsmaßnahmen durch die zuständigen Behörden gefährdet sein könnte; bei unmittelbarer und offenkundiger Gefahr für das öffentliche Interesse oder bei Gefahr einer irreversiblen Schädigung etwa der körperlichen Unversehrtheit.
(65)Hinweisgeber sollten vor jeder Form von direkten oder indirekten Repressalien geschützt werden, die von ihrem Arbeitgeber, von einem Kunden oder von einem Empfänger von ihnen erbrachter Dienstleistungen oder von Personen, die für diese Personen arbeiten oder in ihrem Namen handeln (beispielsweise Mitarbeiter und Führungskräfte derselben Organisation oder anderer Organisationen, mit denen der Hinweisgeber im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeiten im Kontakt steht), ergriffen und von der betroffenen Person empfohlen oder geduldet werden. Dieser Schutz vor Repressalien sollte nicht nur für den Hinweisgeber selbst bestehen, sondern es sollte auch die von ihm vertretene juristische Person vor Repressalien wie verweigerten Dienstleistungen, der Erfassung auf schwarzen Listen oder Geschäftsboykotts geschützt werden. Als indirekte Repressalien sollten dabei auch Maßnahmen gegen Verwandte des Hinweisgebers angesehen werden, die ebenfalls in einer arbeitsbezogenen Verbindung zum Arbeitgeber des Hinweisgebers, zu einem Kunden des Hinweisgebers oder zu einem Empfänger vom Hinweisgeber erbrachter Dienstleistungen stehen, desgleichen Maßnahmen gegen Arbeitnehmervertreter, die den Hinweisgeber unterstützt haben.
(66)Wenn keine Abschreckung gegen Repressalien besteht und Repressalien ungestraft bleiben, kann dies potenzielle Hinweisgeber von Meldungen abhalten. Ein eindeutiges gesetzliches Verbot von Repressalien besitzt eine große abschreckende Wirkung, welche durch einschlägige Bestimmungen über die persönliche Haftung und über Sanktionen gegen Personen, die zu Repressalien greifen, noch verstärkt werden kann.
(67)Ein potenzieller Hinweisgeber, der sich nicht sicher ist, wie er Meldung erstatten kann oder ob er letztendlich geschützt werden wird, verliert möglicherweise den Mut, Meldung zu erstatten. Die Mitgliedstaaten sollten daher sicherstellen, dass die allgemeine Öffentlichkeit ohne Weiteres Zugang zu benutzerfreundlichen Informationen zum Thema Whistleblowing erhält. Es sollten individuelle, unparteiische und vertrauliche Beratungsmöglichkeiten kostenlos verfügbar sein, beispielsweise zu der Frage, ob die gemeldeten Informationen unter die geltenden Bestimmungen für den Schutz von Hinweisgebern fallen, welcher Meldekanal am besten geeignet ist und nach welchen alternativen Verfahren vorgegangen werden kann, falls die Informationen nicht unter die geltenden Bestimmungen fallen (wegweisende Hinweise). Derartige Beratungsmöglichkeiten können dazu beitragen, dass Meldungen über geeignete Kanäle und in verantwortungsvoller Weise vorgenommen und Verstöße und Fehlverhalten zeitnah aufgedeckt oder gar verhindert werden.
(68)In einigen nationalen Regelungen ist in bestimmten Fällen vorgesehen, dass sich Hinweisgeber, die sich Repressalien ausgesetzt sehen, bescheinigen lassen können, dass sie die geltenden rechtlichen Vorgaben erfüllen. Ungeachtet dieser Möglichkeiten sollten sie einen wirksamen Zugang zu einer gerichtlichen Überprüfung haben, wobei es den Gerichten obliegt, auf der Grundlage aller einzelnen Umstände des jeweiligen Falles zu entscheiden, ob sie die geltenden rechtlichen Vorgaben erfüllen.
(69)Es sollte nicht möglich sein, durch vertragliche Mittel auf die in dieser Richtlinie festgelegten Rechte und Pflichten zu verzichten. Die rechtlichen oder vertraglichen Pflichten des Einzelnen (beispielsweise Loyalitätsklauseln in Verträgen oder Vertraulichkeits- oder Geheimhaltungsvereinbarungen) sollten nicht dazu herangezogen werden dürfen, Arbeitnehmern von vornherein die Möglichkeit einer etwaigen Meldung zu nehmen, ihnen einen etwaigen Hinweisgeberschutz zu versagen oder sie für eine etwaige Meldung mit Sanktionen zu belegen. Gleichzeitig sollte diese Richtlinie den Schutz gesetzlicher und sonstiger beruflicher Vorrechte nach nationalem Recht unberührt lassen.
(70)Für Repressalien werden als Gründe oftmals andere Ursachen als die erfolgte Meldung angeführt, und es kann für Hinweisgeber sehr schwierig sein, den kausalen Zusammenhang zwischen der Meldung und den Repressalien nachzuweisen; den Personen, die die Repressalien ergreifen, stehen hingegen unter Umständen größere Möglichkeiten und Ressourcen zur Verfügung, um ihr eigenes Vorgehen und die dahinter stehende Logik zu dokumentieren. Wenn ein Hinweisgeber glaubhaft macht, dass er Informationen im Einklang mit dieser Richtlinie gemeldet oder offengelegt und dafür eine Benachteiligung erfahren hat, sollte die Beweislast auf die Person übergehen, die die Benachteiligung vorgenommen hat, d. h. diese sollte dann nachweisen müssen, dass ihr Vorgehen in keiner Weise mit der erfolgten Meldung oder Offenlegung in Verbindung stand.
(71)Über ein ausdrückliches Verbot von Repressalien hinaus ist es von entscheidender Bedeutung, dass Hinweisgeber, die sich Repressalien ausgesetzt sehen, Zugang zu Rechtsbehelfen haben. Welcher Rechtsbehelf im Einzelfall am besten geeignet ist, sollte von der Art der erlittenen Repressalie abhängen. Denkbar sind beispielsweise Wiedereinstellungs- oder Wiedereinsetzungsklagen (z. B. nach einer Entlassung, einer Versetzung, einer Herabstufung oder Degradierung oder im Falle der Versagung einer Beförderung oder einer Teilnahme an einer Schulung) oder Klagen auf Wiederherstellung entzogener Genehmigungen, Lizenzen oder Verträge sowie Klagen auf Entschädigung für eingetretene oder künftige finanzielle Verluste (Gehaltsausfälle in der Vergangenheit oder künftige Einkommensverluste, durch einen Arbeitsplatzwechsel verursachte Kosten), für sonstigen wirtschaftlichen Schaden wie Rechtsschutzkosten und Kosten für medizinische Behandlungen sowie für nicht wertmäßig zu fassenden Schaden (Schmerzensgeld).
(72)Die Art des Rechtsbehelfs kann dabei je nach Rechtsordnung variieren, aber sie sollte in jedem Fall eine möglichst umfassende und wirksame Abhilfe ermöglichen. Die verfügbaren Abhilfen sollten keine abschreckende Wirkung auf potenzielle Hinweisgeber haben. Wenn alternativ zu einer Wiedereinstellung im Fall einer Entlassung auch die Möglichkeit einer Entschädigung besteht, kann dies dazu führen, dass insbesondere größere Organisationen in der Praxis systematisch von dieser Alternative Gebrauch machen was auf potenzielle Hinweisgeber abschreckend wirkt.
(73)Besonders wichtig für Hinweisgeber ist ein einstweiliger Rechtsschutz während laufender, mitunter langwieriger Gerichtsverfahren. Ein einstweiliger Rechtsschutz kann insbesondere dann vonnöten sein, wenn es darum geht, Drohungen oder anhaltende Repressalien (beispielsweise Mobbing am Arbeitsplatz) sowie deren Versuch zu unterbinden, oder Vergeltungsmaßnahmen wie eine Entlassung, die sich nach einem längeren Zeitraum unter Umständen nur schwer wieder rückgängig machen lässt und den Hinweisgeber finanziell ruinieren kann, zu verhindern, denn gerade diese Aussicht kann einen potenziellen Hinweisgeber ernsthaft entmutigen.
(74)Eine große abschreckende Wirkung auf Hinweisgeber kann zudem von außerhalb des beruflichen Kontexts ergriffenen Maßnahmen wie Gerichtsverfahren wegen vermeintlicher Verleumdung oder vermeintlicher Verstöße gegen das Urheberrecht, das Geschäftsgeheimnis, die Vertraulichkeit oder den Schutz personenbezogener Daten ausgehen. Nach der Richtlinie (EU) 2016/943 des Europäischen Parlaments und des Rates sind Hinweisgeber von den darin vorgesehenen zivilrechtlichen Schutzmaßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfen ausgenommen, falls der vermeintliche rechtswidrige Erwerb beziehungsweise die vermeintliche rechtswidrige Nutzung oder Offenlegung des betreffenden Geschäftsgeheimnisses zum Zwecke der Aufdeckung eines beruflichen oder sonstigen Fehlverhaltens oder einer illegalen Tätigkeit erfolgte und der Antragsgegner in der Absicht handelte, das allgemeine öffentliche Interesse zu schützen. Zudem sollten sich Hinweisgeber auch bei Gerichtsverfahren anderer Art zu ihrer Verteidigung darauf berufen können, die betreffende Meldung oder Offenlegung in Übereinstimmung mit dieser Richtlinie vorgenommen zu haben. In derartigen Fällen sollte der Person, die das Verfahren angestrengt hat, die Pflicht obliegen, nachzuweisen, dass der Hinweisgeber vorsätzlich gegen geltendes Recht verstoßen hat.
(75)Für Hinweisgeber, die sich auf gerichtlichem Wege gegen erlittene Repressalien zur Wehr setzen, können die betreffenden Rechtskosten eine erhebliche Belastung darstellen. Wenngleich sie diese Kosten am Ende des Verfahrens möglicherweise erstattet bekommen, sind sie unter Umständen nicht in der Lage, diese Kosten vorab auszulegen; dies ist insbesondere dann der Fall, wenn sie arbeitslos sind oder auf eine schwarze Liste gesetzt wurden. Die Prozesskostenhilfe in Strafverfahren, insbesondere nach Maßgabe der Richtlinie (EU) 2016/1919 des Europäischen Parlaments und des Rates, und eine allgemeine Unterstützung für Personen, die sich in ernsten finanziellen Nöten befinden, könnten in bestimmten Fällen zu einer wirksamen Durchsetzung des Rechts dieser Personen auf Schutz beitragen.
(76)Die Rechte der betroffenen Person sollten geschützt werden, um eine Rufschädigung oder andere negative Folgen zu vermeiden. Ferner sollten die Verteidigungsrechte der betroffenen Person und ihr Zugang zu Rechtsbehelfen in allen Stadien des sich an die Meldung anschließenden Verfahrens in vollem Umfang und in Übereinstimmung mit den Artikeln 47 und 48 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union gewahrt werden. Die Mitgliedstaaten sollten das Recht auf Verteidigung der betroffenen Person nach den im nationalen Recht geltenden Verfahren im Zusammenhang mit Untersuchungen oder sich daran anschließenden Gerichtsverfahren gewährleisten; dazu gehören das Recht auf Akteneinsicht, das Recht auf Anhörung und das Recht auf wirksamen Rechtsschutz.
(77)Personen, die infolge einer Meldung oder Offenlegung ungenauer oder irreführender Informationen eine direkte oder indirekte Benachteiligung erfahren, sollten weiterhin den ihnen nach allgemeinem Recht zustehenden Schutz genießen und auf die nach allgemeinem Recht verfügbaren Rechtsbehelfe zurückgreifen können. In Fällen, in denen diese ungenauen oder irreführenden Informationen vorsätzlich und wissentlich gemeldet oder offengelegt wurden, sollte die betroffene Person Anspruch auf Schadensersatz nach nationalem Recht haben.
(78)Um die Wirksamkeit der Vorschriften über den Schutz von Hinweisgebern sicherzustellen, bedarf es geeigneter Sanktionen. Sanktionen gegen Personen, die Repressalien oder sonstige beschwerende Maßnahmen gegen Hinweisgeber ergreifen, können von derartigen Handlungen abschrecken. Um vor böswilligen Meldungen abzuschrecken und die Glaubwürdigkeit des Systems zu wahren, bedarf es Sanktionen gegen Personen, die wissentlich Informationen melden oder offenlegen, welche nachweislich falsch sind. Die Sanktionen sollten gleichwohl so bemessen sein, dass potenzielle Hinweisgeber nicht abgeschreckt werden.
(79)Die nach Maßgabe dieser Richtlinie vorgenommene Verarbeitung personenbezogener Daten einschließlich des Austausches oder der Übermittlung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden, sollte im Einklang mit der Verordnung (EU) 2016/679 und der Richtlinie (EU) 2016/680 des Europäischen Parlaments und des Rates erfolgen; der Austausch oder die Übermittlung von Informationen durch die auf Unionsebene zuständigen Behörden sollte im Einklang mit der Verordnung (EG) Nr. 45/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates erfolgen. Besondere Beachtung sollte dabei den für die Verarbeitung personenbezogener Daten geltenden Grundsätzen geschenkt werden, die in Artikel 5 der Datenschutzgrundverordnung, Artikel 4 der Richtlinie (EU) 2016/680 und Artikel 4 der Verordnung (EG) Nr. 45/2001 niedergelegt sind, sowie dem Grundsatz des Datenschutzes durch Technik und datenschutzfreundliche Voreinstellungen gemäß Artikel 25 der Datenschutzgrundverordnung, Artikel 20 der Richtlinie (EU) 2016/680 und Artikel XX der Verordnung (EU) 2018/XX zur Aufhebung der Verordnung Nr. 45/2001 und des Beschlusses Nr. 1247/2002/EG.
(80)Durch diese Richtlinie werden Mindeststandards eingeführt; die Mitgliedstaaten sollten gleichwohl die Möglichkeit haben, für Hinweisgeber günstigere Bestimmungen als jene dieser Richtlinie einzuführen oder beizubehalten, sofern diese die Maßnahmen zum Schutz der betroffenen Personen unberührt lassen.
(81)Gemäß Artikel 26 Absatz 2 AEUV soll der Binnenmarkt einen Raum ohne Binnengrenzen umfassen, in dem der freie Verkehr von Waren und Dienstleistungen gewährleistet ist. Der Binnenmarkt soll den Unionsbürgern einen Mehrwert in Form einer besseren Qualität und Sicherheit der Waren und Dienstleistungen bieten sowie ein hohes Niveau beim Gesundheits- und Umweltschutz sowie beim freien Verkehr personenbezogener Daten sicherstellen. Daher ist Artikel 114 AEUV die geeignete Rechtsgrundlage für den Erlass von Maßnahmen, die für die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts erforderlich sind. Zusätzlich zu Artikel 114 AEUV sollte diese Richtlinie auf weiteren spezifischen Rechtsgrundlagen basieren, um jene Bereiche abzudecken, in denen etwaige Maßnahmen der Union auf Grundlage der Artikel 16, 33, 43 und 50, von Artikel 53 Absatz 1 und der Artikel 62, 91, 100, 103, 109, 168, 169 und 207 AEUV sowie auf Basis von Artikel 31 des Euratom-Vertrags erlassen werden. Da diese Richtlinie zudem auf einen besseren Schutz der finanziellen Interessen der Union abstellt, sollte auch Artikel 325 Absatz 4 AEUV als Rechtsgrundlage herangezogen werden.
(82)Der sachliche Anwendungsbereich dieser Richtlinie erstreckt sich auf Bereiche, in denen die Einführung eines Schutzes von Hinweisgebern gerechtfertigt und angesichts der bisher vorliegenden Erkenntnisse geboten scheint. Dieser sachliche Anwendungsbereich kann auf weitere Bereiche oder Rechtsakte der Union ausgeweitet werden, falls sich im Lichte etwaiger neuer Erkenntnisse oder der Ergebnisse einer Evaluierung dieser Richtlinie die Notwendigkeit ergibt, die Durchsetzung dieser Richtlinie zu verstärken.
(83)In allen nachfolgenden Rechtsvorschriften mit Relevanz für diese Richtlinie sollte gegebenenfalls angegeben werden, dass diese Richtlinie Anwendung finden wird. Falls notwendig, sollten Artikel 1 und der Anhang geändert werden.
(84)Das Ziel dieser Richtlinie, nämlich die Stärkung der Durchsetzung bestimmter Rechtsakte in bestimmten Politikbereichen, in denen Verstöße gegen das Unionsrecht eine ernsthafte Schädigung des öffentlichen Interesses verursachen können, durch einen wirksamen Schutz von Hinweisgebern, kann von den Mitgliedstaaten allein oder ohne Koordinierung nicht ausreichend verwirklicht werden, sondern lässt sich besser durch die Einführung von Mindeststandards für einen einheitlichen Schutz von Hinweisgebern auf Unionsebene erreichen. Außerdem lässt sich nur durch ein Vorgehen auf Unionsebene die Kohärenz und die Angleichung der geltenden Unionsvorschriften über den Hinweisgeberschutz erreichen. Die Union kann daher im Einklang mit dem in Artikel 5 des Vertrags über die Europäische Union niedergelegten Subsidiaritätsprinzip tätig werden. Entsprechend dem in demselben Artikel genannten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geht diese Richtlinie nicht über das für die Erreichung dieses Ziels erforderliche Maß hinaus.
(85)Diese Richtlinie steht im Einklang mit den Grundrechten und Grundsätzen, die insbesondere mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannt wurden. Diese Richtlinie muss im Einklang mit diesen Rechten und Grundsätzen umgesetzt werden. Diese Richtlinie stellt insbesondere auf die vollständige Wahrung der Meinungs- und der Informationsfreiheit, des Rechts auf den Schutz personenbezogener Daten, der unternehmerischen Freiheit, des Rechts auf einen hohen Verbraucherschutz, des Rechts auf wirksamen Rechtsbehelf und der Rechte der Verteidigung ab.
(86)Der Europäische Datenschutzbeauftragte wurde gemäß Artikel 28 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 45/2001 angehört und hat am [...] eine Stellungnahme abgegeben —
HABEN FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:
KAPITEL I
ANWENDUNGSBEREICH UND BEGRIFFSBESTIMMUNGEN
Artikel 1
Sachlicher Anwendungsbereich
(1)Um die Durchsetzung des Rechts und der Politik der Union in bestimmten Bereichen zu verbessern, werden durch diese Richtlinie gemeinsame Mindeststandards für den Schutz von Personen festgelegt, die folgende rechtswidrige Handlungen oder Fälle von Rechtsmissbrauch melden:
a)Verstöße, die in den Anwendungsbereich der im Anhang (Teil I und Teil II) aufgeführten Rechtsakte der Union fallen, und folgende Bereiche betreffen:
i)öffentliches Auftragswesen,
ii)Finanzdienstleistungen sowie Verhütung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung,
iii)
Produktsicherheit,
iv)Verkehrssicherheit,
v)Umweltschutz,
vi)kerntechnische Sicherheit,
vii)Lebensmittel- und Futtermittelsicherheit, Tiergesundheit und Tierschutz,
viii)öffentliche Gesundheit,
ix)Verbraucherschutz,
x)Schutz der Privatsphäre und personenbezogener Daten sowie Sicherheit von Netz- und Informationssystemen;
b)Verstöße gegen die Artikel 101, 102, 106, 107 und 108 AEUV und Verstöße, die in den Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates und der Verordnung (EU) Nr. 2015/1589 des Rates fallen;
c)Verstöße gegen die finanziellen Interessen der Union im Sinne von Artikel 325 AEUV sowie gemäß den näher spezifizierten Definitionen insbesondere der Richtlinie (EU) 2017/1371 und der Verordnung (EU, Euratom) Nr. 883/2013;
d)Verstöße gegen die Binnenmarktvorschriften im Sinne von Artikel 26 Absatz 2 AEUV, d. h. gegen die Körperschaftsteuer-Vorschriften und -Regelungen gerichtete Verstöße, die darauf abzielen, sich einen steuerlichen Vorteil zu verschaffen, der dem Ziel oder dem Zweck des geltenden Körperschaftsteuerrechts zuwiderläuft.
(2)Falls die in Teil 2 des Anhangs aufgeführten sektorspezifischen Rechtsvorschriften der Union spezifische Bestimmungen über die Meldung von Verstößen enthalten, haben diese Geltung. Die Bestimmungen dieser Richtlinie gelten für sämtliche im Zusammenhang mit dem Schutz von Hinweisgebern stehenden Sachverhalte, die nicht durch diese sektorspezifischen Rechtsvorschriften der Union geregelt sind.
Artikel 2
Persönlicher Anwendungsbereich
(1)Diese Richtlinie gilt für Hinweisgeber, die im privaten oder im öffentlichen Sektor tätig sind und im beruflichen Kontext Informationen über Verstöße erlangt haben, und schließt mindestens folgende Personen ein:
a)Arbeitnehmer im Sinne von Artikel 45 AEUV,
b)Selbstständige im Sinne von Artikel 49 AEUV,
c)Anteilseigner und Personen, die dem Leitungsorgan eines Unternehmens angehören, einschließlich der nicht geschäftsführenden Mitglieder, sowie Freiwillige und unbezahlte Praktikanten,
d)Personen, die unter der Aufsicht und Leitung von Auftragnehmern, Unterauftragnehmern und Lieferanten arbeiten.
(2)Diese Richtlinie gilt auch für Hinweisgeber, deren Arbeitsverhältnis noch nicht begonnen hat und die während des Einstellungsverfahrens oder anderer vorvertraglicher Verhandlungen Informationen über einen Verstoß erlangt haben.
Artikel 3
Begriffsbestimmungen
Für die Zwecke dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck
1.„Verstöße“ tatsächliche oder potenzielle rechtswidrige Handlungen oder Fälle von Rechtsmissbrauch nach Maßgabe der in Artikel 1 und im Anhang genannten Rechtsakte der Union und in den dort aufgeführten Bereichen;
2.„rechtswidrige Handlungen“ gegen das Unionsrecht verstoßende Handlungen oder Unterlassungen;
3.„Rechtsmissbrauch“ unter das Unionsrecht fallende Handlungen oder Unterlassungen, die formal nicht den Anschein einer Rechtswidrigkeit haben, aber dem Ziel oder dem Zweck der geltenden Vorschriften zuwiderlaufen;
4.„Informationen über Verstöße“ Beweise für tatsächliche Verstöße sowie begründete Verdachtsmomente in Bezug auf potenzielle Verstöße, die noch nicht sichtbar geworden sind;
5.„Meldung“ die Übermittlung von Informationen über einen bereits begangenen oder wahrscheinlich erfolgenden Verstoß in der Organisation, in der der Hinweisgeber tätig ist oder war, oder in einer anderen Organisation, mit der er aufgrund seiner Tätigkeit im Kontakt steht oder stand;
6.„interne Meldung“ die Übermittlung von Informationen über Verstöße innerhalb einer juristischen Person des öffentlichen oder des privaten Rechts;
7.„externe Meldung“ die Übermittlung von Informationen über Verstöße an die zuständigen Behörden;
8.„Offenlegung“ das öffentlich Zugänglichmachen von im beruflichen Kontext erlangten Informationen über Verstöße;
9.„Hinweisgeber“ eine natürliche oder eine juristische Person, die im Zusammenhang mit ihren Arbeitstätigkeiten erlangte Informationen über Verstöße meldet oder offenlegt;
10.„beruflicher Kontext“ laufende oder frühere Arbeitstätigkeiten im öffentlichen oder im privaten Sektor, durch die unabhängig von ihrer Art Personen Informationen über Verstöße erlangen können und bei denen sich diese Personen Repressalien ausgesetzt sehen können, wenn sie diese Informationen melden;
11.„betroffene Person“ eine natürliche oder eine juristische Person, die in der Meldung oder in den offengelegten Informationen als eine Person bezeichnet wird, die den Verstoß begangen hat oder an diesem beteiligt ist;
12.„Repressalien“ angedrohte oder tatsächliche Handlungen oder Unterlassungen, die durch die im beruflichen Kontext erfolgende interne oder externe Meldung ausgelöst werden und durch die dem Hinweisgeber ein ungerechtfertigter Nachteil entsteht beziehungsweise entstehen kann;
13.„Folgemaßnahmen“ vom Empfänger der internen oder externen Meldung ergriffene Maßnahmen zur Prüfung der Stichhaltigkeit der in der Meldung erhobenen Behauptungen und gegebenenfalls zur Abstellung des gemeldeten Verstoßes (interne Nachforschungen, Ermittlungen, Strafverfolgungsmaßnahmen, Maßnahmen zur (Wieder)einziehung von Mitteln, Verfahrensabschluss usw.);
14.„zuständige Behörde“ die nationale Behörde, welche befugt ist, Meldungen nach Kapitel III entgegenzunehmen und als die Behörde benannt wurde, welche die in dieser Richtlinie vorgesehenen Aufgaben insbesondere in Bezug auf etwaige Folgemaßnahmen zu den eingegangenen Meldungen erfüllt.
KAPITEL II
INTERNE MELDUNGEN UND FOLGEMASSNAHMEN
Artikel 4
Pflicht zur Einrichtung interner Kanäle und Verfahren für Meldungen und Folgemaßnahmen
(1)Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass juristische Personen des privaten und des öffentlichen Sektors gegebenenfalls nach Rücksprache mit den Sozialpartnern interne Kanäle und Verfahren für die Übermittlung und Weiterverfolgung von Meldungen einrichten.
(2)Diese Kanäle und Verfahren müssen den Beschäftigten der juristischen Person die Übermittlung etwaiger Meldungen ermöglichen. Sie können auch den in Artikel 2 Absatz 1 Buchstaben b, c und d genannten anderen Personen, die im Zusammenhang mit ihren Arbeitstätigkeiten mit der juristischen Personen im Kontakt stehen, die Übermittlung von Meldungen ermöglichen; diese anderen Personen sind allerdings nicht verpflichtet, für etwaige Meldungen auf interne Meldekanäle zurückzugreifen.
(3)Bei den in Absatz 1 genannten juristischen Personen im privaten Sektor handelt es sich um
a)juristische Personen des Privatrechts mit 50 oder mehr Beschäftigten,
b)juristische Personen des Privatrechts mit einem Jahresumsatz oder einer Jahresbilanzsumme
von mehr als 10 Mio. EUR,
c)juristische Personen des Privatrechts, die im Finanzdienstleistungsbereich tätig oder im Sinne der im Anhang aufgeführten Unionsvorschriften für Geldwäsche- oder Terrorismusfinanzierungstätigkeiten anfällig sind.
(4)Nach einer geeigneten Risikobewertung, die der Art der Tätigkeiten der juristischen Personen und dem von ihnen ausgehenden Risiko Rechnung trägt, können die Mitgliedstaaten andere kleine juristische Personen des Privatrechts als die unter Absatz 3 Buchstabe c genannten juristischen Personen im Sinne der Empfehlung der Kommission vom 6. Mai 2003 verpflichten, interne Meldekanäle und -verfahren einzurichten.
(5)Jeder von einem Mitgliedstaat in Anwendung von Absatz 4 gefasste Beschluss ist der Kommission zusammen mit einer Begründung und den in der jeweiligen Risikobewertung verwendeten Kriterien mitzuteilen. Die Kommission setzt die anderen Mitgliedstaaten von diesem Beschluss in Kenntnis.
(6)Bei den in Absatz 1 genannten juristischen Personen im öffentlichen Sektor handelt es sich um
a)staatliche Verwaltungsstellen,
b)regionale Verwaltungen und Dienststellen,
c)Gemeinden mit mehr als 10 000 Einwohnern,
d)sonstige juristische Personen des öffentlichen Rechts.
Artikel 5
Verfahren für interne Meldungen und Folgemaßnahmen
(1)Die in Artikel 4 genannten Verfahren für Meldungen und Folgemaßnahmen schließen Folgendes ein:
a)Meldekanäle, die so konzipiert, eingerichtet und betrieben werden, dass die Vertraulichkeit der Identität des Hinweisgebers gewahrt bleibt und nicht befugten Mitarbeitern der Zugriff auf diese Kanäle verwehrt wird,
b)die Benennung einer Person oder einer Dienststelle, die für die Folgemaßnahmen zu den Meldungen zuständig ist,
c)ordnungsgemäße Folgemaßnahmen der benannten Person oder Dienststelle zu den Meldungen,
d)ein angemessener zeitlicher Rahmen von maximal drei Monaten nach Meldungseingang für die Rückmeldung an den Hinweisgeber über die Folgemaßnahmen zu der Meldung,
e)klare und leicht zugängliche Informationen über die Verfahren sowie darüber, wie und unter welchen Bedingungen Meldungen extern an die zuständigen Behörden nach Artikel 13 Absatz 2 und gegebenenfalls an Einrichtungen oder sonstige Stellen der Union übermittelt werden können.
(2)Die unter Absatz 1 Buchstabe a vorgesehenen Meldekanäle müssen die Übermittlung von Meldungen in allen folgenden Weisen ermöglichen:
a)schriftliche Meldungsübermittlung in elektronischer Form oder auf Papier und/oder mündliche Meldungsübermittlung per aufgezeichnetem oder nicht aufgezeichnetem Telefongespräch,
b)physische Zusammenkunft mit der Person oder Dienststelle, die als für die Entgegennahme von Meldungen zuständig benannt wurde.
Meldekanäle können intern von einer hierfür benannten Person oder Dienststelle betrieben oder extern von einem Dritten bereitgestellt werden, sofern die unter Absatz 1 Buchstabe a genannten Garantien und Anforderungen eingehalten werden.
(3)Bei der unter Absatz 1 Buchstabe b genannten Person oder Dienststelle darf es sich um dieselbe Person handeln, die auch für die Entgegennahme von Meldungen zuständig ist. Es können weitere Personen als „Vertrauenspersonen“ benannt werden, von denen sich Hinweisgeber und Personen, die eine Meldung in Betracht ziehen, vertraulich beraten lassen können.
KAPITEL III
EXTERNE MELDUNGEN UND FOLGEMASSNAHMEN
Artikel 6
Pflicht zur Einrichtung externer Meldekanäle und Ergreifung geeigneter Folgemaßnahmen
(1)Die Mitgliedstaaten benennen die zuständigen Behörden, die befugt sind, Meldungen entgegenzunehmen und entsprechende Folgemaßnahmen zu ergreifen.
(2)Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die zuständigen Behörden
a)unabhängige, autonome, sichere und die Vertraulichkeit wahrende externe Meldekanäle für die Entgegennahme und Bearbeitung der von Hinweisgebern übermittelten Informationen einrichten;
b)Hinweisgebern binnen eines angemessenen zeitlichen Rahmens von maximal drei Monaten (beziehungsweise sechs Monaten in hinreichend begründeten Fällen) Rückmeldung über die zu ihren Meldungen ergriffenen Folgemaßnahmen erstatten;
c)die in der Meldung enthaltenen Informationen gegebenenfalls an die zuständigen Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union zur weiteren Untersuchung (sofern diese Möglichkeit nach dem Unionsrecht besteht) weiterleiten.
(3)Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die zuständigen Behörden die erforderlichen Folgemaßnahmen zu den Meldungen ergreifen und soweit angebracht dem gemeldeten Sachverhalt nachgehen. Die zuständigen Behörden teilen Hinweisgebern die abschließenden Ergebnisse ihrer Untersuchungen mit.
(4)Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Behörden, die eine Meldung erhalten haben, aber nicht befugt sind, gegen den gemeldeten Verstoß vorzugehen, die Meldung an die zuständige Behörde weiterleiten und den Hinweisgeber davon in Kenntnis setzen.
Artikel 7
Gestaltung geeigneter externer Meldekanäle
(1)Externe Meldekanäle gelten als unabhängig und autonom, wenn sie alle folgenden Kriterien erfüllen:
a)Sie verlaufen getrennt von den allgemeinen Kommunikationskanälen der zuständigen Behörde, einschließlich der Kommunikationskanäle, über die die zuständige Behörde in ihren allgemeinen Arbeitsabläufen intern und mit Dritten kommuniziert;
b)sie werden so gestaltet, eingerichtet und betrieben, dass die Vollständigkeit, Integrität und Vertraulichkeit der Informationen gewährleistet ist und nicht befugten Mitarbeitern der Zugriff verwehrt wird;
c)sie ermöglichen die Speicherung dauerhafter Informationen gemäß Artikel 11, um weitere Untersuchungen zu ermöglichen.
(2)Die externen Meldekanäle müssen die Übermittlung von Meldungen in mindestens allen folgenden Weisen ermöglichen:
a)schriftliche Meldungsübermittlung in elektronischer Form oder auf Papier,
b)mündliche Meldungsübermittlung per aufgezeichnetem oder nicht aufgezeichnetem Telefongespräch,
c)physische Zusammenkunft mit zuständigen Mitarbeitern der zuständigen Behörde.
(3)Die zuständigen Behörden stellen sicher, dass Meldungen, die über andere als die in den Absätzen 1 und 2 genannten speziellen Meldekanäle eingegangen sind, unverändert und unter Nutzung der hierfür vorgesehenen Kommunikationskanäle an die zuständigen Mitarbeiter der zuständigen Behörde weitergeleitet werden.
(4)Die Mitgliedstaaten führen Verfahren ein, durch die sichergestellt wird, dass Personen, an die eine Meldung ursprünglich adressiert wurde, die aber nicht als zuständige Sachbearbeiter für derartige Meldungen benannt wurden, keine Informationen offenlegen, durch die die Identität des Hinweisgebers oder der betroffenen Person bekannt werden könnte.
Artikel 8
Zuständige Mitarbeiter
(1)Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die zuständigen Behörden über besondere Mitarbeiter verfügen, die für die Bearbeitung eingehender Meldungen zuständig sind. Diese Mitarbeiter werden für die Bearbeitung derartiger Meldungen speziell geschult.
(2)Die zuständigen Mitarbeiter nehmen folgende Aufgaben wahr:
a)Übermittlung von Informationen über die Meldeverfahren an etwaige interessierte Personen,
b)Entgegennahme von Meldungen und Ergreifung entsprechender Folgemaßnahmen,
c)Aufrechterhaltung des Kontakts zum Hinweisgeber zwecks Information über den Fortgang und die Ergebnisse der Untersuchung.
Artikel 9
Verfahrensvorschriften für externe Meldungen
(1)In den Verfahrensvorschriften für externe Meldungen wird Folgendes festgelegt:
a)die Art und Weise, in der die zuständige Behörde den Hinweisgeber auffordern kann, die gemeldeten Informationen zu präzisieren oder zusätzliche ihm vorliegende Informationen zu liefern;
b)ein angemessener zeitlicher Rahmen von maximal drei Monaten (beziehungsweise sechs Monaten in hinreichend begründeten Fällen) für die Rückmeldung an den Hinweisgeber über die zu seiner Meldung ergriffenen Folgemaßnahmen sowie Art und Inhalt dieser Rückmeldung;
c)die Vertraulichkeitsregelung für Meldungen einschließlich einer detaillierten Beschreibung der Umstände, unter denen die vertraulichen Daten eines Hinweisgebers offengelegt werden dürfen.
(2)Die detaillierte Beschreibung nach Absatz 1 Buchstabe c muss die Ausnahmefälle einschließen, in denen die Vertraulichkeit der Daten nicht gewährleistet werden kann, unter anderem, wenn die Offenlegung personenbezogener Daten eine notwendige und verhältnismäßige Pflicht nach dem Unionsrecht oder nach nationalem Recht im Zusammenhang mit Untersuchungen oder anschließenden Gerichtsverfahren darstellt oder erforderlich ist, um die Freiheiten anderer unter anderem das Recht auf Verteidigung der betroffenen Person zu gewährleisten, wobei die Offenlegung in jedem Fall geeigneten Garantien nach Maßgabe des einschlägigen Rechts unterliegt.
(3)Die in Absatz 1 Buchstabe c genannte detaillierte Beschreibung ist in klarer und leicht verständlicher Sprache zu verfassen und muss etwaigen Hinweisgebern leicht zugänglich sein.
Artikel 10
Informationen über die Entgegennahme von Meldungen und deren Weiterverfolgung
Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die zuständigen Behörden in einem gesonderten sowie leicht erkennbaren und zugänglichen Abschnitt ihrer Website mindestens folgende Informationen veröffentlichen:
a)die Bedingungen, unter denen Hinweisgeber Schutz nach Maßgabe dieser Richtlinie genießen;
b)die Kommunikationskanäle für die Entgegennahme von Meldungen und entsprechende Folgemaßnahmen:
i)Telefonnummern mit der Angabe, ob die Gespräche bei Nutzung dieser Anschlüsse aufgezeichnet werden oder nicht,
ii)besondere E-Mail-Adressen und Postanschriften der zuständigen Mitarbeiter, die sicher sind und Vertraulichkeit gewährleisten;
c)die geltenden Verfahrensvorschriften nach Artikel 9 für die Meldung von Verstößen;
d)die geltende Vertraulichkeitsregelung für Meldungen und insbesondere die Informationen über die Verarbeitung personenbezogener Daten je nach Anwendbarkeit gemäß Artikel 13 der Verordnung (EU) 2016/679, Artikel 13 der Richtlinie (EU) 2016/680 oder Artikel 11 der Verordnung (EG) Nr. 45/2001;
e)die Art der zu eingehenden Meldungen zu ergreifenden Folgemaßnahmen;
f)die verfügbaren Abhilfemöglichkeiten und Verfahren gegen Repressalien sowie Möglichkeiten für eine vertrauliche Beratung von Personen, die in Erwägung ziehen, einen Missstand zu melden;
g)eine Erklärung, aus der eindeutig hervorgeht, dass wenn eine Person der zuständigen Behörde im Einklang mit dieser Richtlinie Informationen meldet, dies nicht als Verletzung einer vertraglich oder durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften geregelten Offenlegungsbeschränkung gilt und diese Person für die Offenlegung in keiner Form haftbar gemacht werden kann.
Artikel 11
Dokumentation eingehender Meldungen
(1)Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die zuständigen Behörden alle eingehenden Meldungen dokumentieren.
(2)Die zuständigen Behörden übermitteln für jede eingehende schriftliche Meldung unverzüglich eine Eingangsbestätigung an die vom Hinweisgeber genannte Postanschrift oder E-Mail-Adresse, sofern der Hinweisgeber sich nicht ausdrücklich dagegen ausgesprochen oder die zuständige Behörde Grund zu der Annahme hat, dass die Bestätigung des Eingangs einer schriftlichen Meldung den Schutz der Identität des Hinweisgebers beeinträchtigen würde.
(3)Bei telefonisch übermittelten Meldungen, die aufgezeichnet werden, kann die zuständige Behörde vorbehaltlich der Zustimmung des Hinweisgebers die mündliche Meldung auf eine der folgenden Weisen dokumentieren:
a)Tonaufzeichnung des Gesprächs in dauerhafter und abrufbarer Form,
b)vollständige und genaue Transkription des Telefongesprächs durch die zuständigen Mitarbeiter der zuständigen Behörde.
Die zuständige Behörde gibt dem Hinweisgeber Gelegenheit, die Transkription zu überprüfen, gegebenenfalls zu korrigieren und durch seine Unterschrift zu bestätigen.
(4)Bei telefonisch übermittelten Meldungen, die nicht aufgezeichnet werden, kann die zuständige Behörde die mündliche Meldung mittels eines genauen, von den zuständigen Mitarbeitern erstellten Gesprächsprotokolls dokumentieren. Die zuständige Behörde gibt dem Hinweisgeber die Möglichkeit, das Gesprächsprotokoll zu überprüfen, gegebenenfalls zu korrigieren und durch seine Unterschrift zu bestätigen.
(5)Bittet ein Hinweisgeber um eine Zusammenkunft gemäß Artikel 7 Absatz 2 Buchstabe c mit den zuständigen Mitarbeitern der zuständigen Behörde, um einen Verstoß zu melden, so sorgen die zuständigen Behörden vorbehaltlich der Zustimmung des Hinweisgebers dafür, dass vollständige und genaue Aufzeichnungen über die Zusammenkunft in dauerhafter und abrufbarer Form aufbewahrt werden. Die zuständige Behörde ist berechtigt, die Zusammenkunft auf eine der folgenden Weisen zu dokumentieren:
a)Tonaufzeichnung des Gesprächs in dauerhafter und abrufbarer Form,
b)von den zuständigen Mitarbeitern der zuständigen Behörde erstelltes detailliertes Protokoll der Zusammenkunft.
Die zuständige Behörde gibt dem Hinweisgeber die Möglichkeit, das Protokoll der Zusammenkunft zu überprüfen, gegebenenfalls zu korrigieren und durch seine Unterschrift zu bestätigen.
Artikel 12
Überprüfung der Verfahren durch die zuständigen Behörden
Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass ihre zuständigen Behörden ihre Verfahren für die Entgegennahme und Nachverfolgung von Meldungen regelmäßig und mindestens alle zwei Jahre überprüfen. Bei dieser Überprüfung tragen die zuständigen Behörden den Erfahrungen Rechnung, die sie und andere zuständige Behörden gesammelt haben, und passen ihre Verfahren entsprechend an.
KAPITEL IV
SCHUTZ VON HINWEISGEBERN UND BETROFFENEN PERSONEN
Artikel 13
Bedingungen für den Schutz von Hinweisgebern
(1)Ein Hinweisgeber hat Anspruch auf Schutz im Rahmen dieser Richtlinie, wenn er hinreichenden Grund zu der Annahme hat, dass die von ihm gemeldeten Informationen zum Zeitpunkt ihrer Übermittlung der Wahrheit entsprachen und in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallen.
(2)Ein Hinweisgeber, der extern Meldung erstattet, hat Anspruch auf Schutz im Rahmen dieser Richtlinie, wenn eine der nachfolgenden Bedingungen erfüllt ist:
a)Er hat ursprünglich intern Meldung erstattet, aber zu seiner Meldung wurden binnen des in Artikel 5 genannten angemessenen Zeitrahmens keine geeigneten Maßnahmen ergriffen;
b)ihm standen keine internen Meldekanäle zur Verfügung, oder von ihm konnte nach vernünftigem Ermessen nicht erwartet werden, dass ihm diese Kanäle bekannt waren;
c)er war gemäß Artikel 4 Absatz 2 nicht verpflichtet, auf interne Meldekanäle zurückzugreifen;
d)ein Rückgriff auf interne Meldekanäle konnte von ihm wegen des Inhalts seiner Meldung nach vernünftigem Ermessen nicht erwartet werden;
e)er hatte hinreichenden Grund zu der Annahme, dass im Falle eines Rückgriffs auf interne Meldekanäle die Wirksamkeit etwaiger Ermittlungen der zuständigen Behörden beeinträchtigt werden könnte;
f) er war nach dem Unionsrecht berechtigt, seine Meldung auf direktem Wege durch externe Kanäle an eine zuständige Behörde zu übermitteln.
(3)Hinweisgeber, die in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallende Verstöße den zuständigen Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union melden, haben unter den gleichen Bedingungen Anspruch auf Schutz im Rahmen dieser Richtlinie wie Hinweisgeber, die in Übereinstimmung mit den in Absatz 2 genannten Bedingungen extern Meldung erstatten.
(4)Ein Hinweisgeber, der in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallende Informationen über Verstöße publik macht, hat Anspruch auf Schutz im Rahmen dieser Richtlinie, wenn
a)er ursprünglich intern und/oder extern Meldung gemäß den Kapiteln II und III und gemäß Absatz 2 dieses Artikels erstattet hat, aber zu seiner Meldung binnen des in Artikel 6 Absatz 2 Buchstabe b und Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe b genannten Zeitrahmens keine geeigneten Maßnahmen ergriffen wurden, oder
b)von ihm wegen einer unmittelbaren oder offenkundigen Gefährdung des öffentlichen Interesses, aufgrund der besonderen Umstände des Falls oder wegen der Gefahr eines irreparablen Schadens nach vernünftigem Ermessen kein Rückgriff auf interne und/oder externe Meldekanäle erwartet werden konnte.
Artikel 14
Verbot von Repressalien gegen Hinweisgeber
Die Mitgliedstaaten ergreifen die erforderlichen Maßnahmen, um jede Form von Repressalien direkter oder indirekter Art gegen Hinweisgeber, die die in Artikel 13 genannten Bedingungen erfüllen, zu untersagen; dies schließt insbesondere folgende Repressalien ein:
a)Suspendierung, Entlassung oder vergleichbare Maßnahmen,
b)Herabstufung oder Versagung einer Beförderung,
c)Aufgabenverlagerung, Verlagerung des Arbeitsplatzes, Gehaltsminderung, Änderung der Arbeitszeiten,
d)Versagung der Teilnahme an Weiterbildungsmaßnahmen,
e)negative Leistungsbeurteilung oder Ausstellung eines schlechten Arbeitszeugnisses,
f)disziplinarischer Verweis, Rüge oder sonstige Sanktion (auch finanzieller Art),
g)Nötigung, Einschüchterung, Mobbing oder Ausgrenzung am Arbeitsplatz,
h)Diskriminierung, Benachteiligung oder Ungleichbehandlung,
i)Nichtumwandlung eines Zeitarbeitsvertrags in einen unbefristeten Arbeitsvertrag,
j)Nichtverlängerung oder vorzeitige Beendigung eines Zeitarbeitsvertrags,
k)Schädigung (einschließlich Rufschädigung) oder Herbeiführung finanzieller Verluste (einschließlich Auftrags- oder Einnahmenverluste),
l)Erfassung des Hinweisgebers auf einer schwarzen Liste auf Basis einer informellen oder formellen sektor- oder branchenspezifischen Vereinbarung mit der Folge, dass der Hinweisgeber sektor- oder branchenweit keine Beschäftigung mehr findet,
m)vorzeitige Kündigung oder Aufhebung eines Vertrags über Waren oder Dienstleistungen,
n)Entzug einer Lizenz oder einer Genehmigung.
Artikel 15
Maßnahmen zum Schutz von Hinweisgebern vor Repressalien
(1)Die Mitgliedstaaten ergreifen die erforderlichen Maßnahmen, um Hinweisgeber, die die in Artikel 13 genannten Bedingungen erfüllen, vor Repressalien zu schützen. Dabei handelt es sich insbesondere um die in den nachfolgenden Absätzen 2 bis 8 genannten Maßnahmen.
(2)Der Öffentlichkeit werden in leicht zugänglicher Weise und kostenlos umfassende und unabhängige Informations- und Beratungsmöglichkeiten über die verfügbaren Abhilfemöglichkeiten und Verfahren gegen Repressalien geboten.
(3)Hinweisgeber erhalten Zugang zu wirksamer Unterstützung vonseiten der zuständigen Behörden beim Kontakt mit etwaigen für ihren Schutz vor Repressalien zuständigen Behörden einschließlich sofern nach nationalem Recht vorgesehen einer Bescheinigung, dass sie die Voraussetzungen für einen Schutz gemäß dieser Richtlinie erfüllen.
(4)Hinweisgeber, die nach dieser Richtlinie extern Meldung an die zuständigen Behörden erstatten oder Informationen publik machen, gelten nicht als Personen, die eine vertraglich oder durch Rechts- oder Verwaltungsvorschriften geregelte Offenlegungsbeschränkung verletzt haben und für diese Offenlegung haftbar gemacht werden können.
(5)In Gerichtsverfahren, die sich auf eine vom Hinweisgeber erlittene Benachteiligung beziehen und in denen der Hinweisgeber glaubhaft machen kann, dass diese Benachteiligung eine Vergeltungsmaßnahme für seine Meldung oder Informationsoffenlegung war, obliegt es der Person, die die Vergeltungsmaßnahme ergriffen hat, nachzuweisen, dass die Benachteiligung keineswegs aufgrund der Meldung erfolgte, sondern ausschließlich auf hinreichenden sonstigen Gründen basierte.
(6)Hinweisgeber erhalten Zugang zu geeigneten Abhilfemaßnahmen gegen Repressalien einschließlich einstweiligen Rechtsschutzes während laufender Gerichtsverfahren nach Maßgabe des nationalen Rechts.
(7) Zusätzlich zu der Ausnahme von den in der Richtlinie (EU) 2016/943 vorgesehenen Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfen haben Hinweisgeber in Gerichtsverfahren (einschließlich privatrechtlicher, öffentlich-rechtlicher oder arbeitsrechtlicher Gerichtsverfahren wegen vermeintlicher Verleumdung, Verletzung des Urheberrechts oder Verletzung des Geschäftsgeheimnisses sowie Schadensersatzverfahren) das Recht, unter Verweis auf den Umstand, dass sie die betreffende Meldung oder Offenlegung in Übereinstimmung mit dieser Richtlinie vorgenommen haben, die Abweisung der Klage zu beantragen.
(8)
Zusätzlich zu der Bereitstellung von Prozesskostenhilfe für Hinweisgeber in Strafverfahren und in grenzüberschreitenden Zivilverfahren nach der Richtlinie (EU) 2016/1919 und der Richtlinie 2008/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates können die Mitgliedstaaten nach Maßgabe ihres nationalen Rechts weitere Unterstützungsmaßnahmen rechtlicher oder finanzieller Art und sonstige Unterstützung für Hinweisgeber in Gerichtsverfahren vorsehen.
Artikel 16
Maßnahmen zum Schutz betroffener Personen
(1)
Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass betroffene Personen ihr Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und auf ein faires Gerichtsverfahren und die Wahrung der Unschuldsvermutung sowie ihre Verteidigungsrechte einschließlich des Rechts auf Anhörung und des Rechts auf Einsicht in ihre Akte gemäß der Charta der Grundrechte der Europäischen Union in vollem Umfang ausüben können.
(2)
Bei betroffenen Personen, deren Identität der Öffentlichkeit nicht bekannt ist, stellen die zuständigen Behörden sicher, dass ihre Identität während der Dauer der Untersuchung geschützt bleibt.
(3)
Die in den Artikeln 9 und 11 festgelegten Verfahren gelten auch für den Schutz der Identität der betroffenen Personen.
Artikel 17
Sanktionen
(1)
Die Mitgliedstaaten legen wirksame, angemessene und abschreckende Sanktionen für natürliche oder juristische Personen fest, die
a)Meldungen behindern oder zu behindern versuchen,
b)Repressalien gegen Hinweisgeber ergreifen,
c)mutwillige Gerichtsverfahren gegen Hinweisgeber anstrengen,
d)gegen die Pflicht verstoßen, die Vertraulichkeit der Identität von Hinweisgebern zu wahren.
(2)
Die Mitgliedstaaten legen wirksame, angemessene und abschreckende Sanktionen für Personen fest, die in böswilliger oder missbräuchlicher Absicht Informationen melden oder offenlegen, darunter Maßnahmen zur Entschädigung von Personen, die durch böswillige oder missbräuchliche Meldungen oder Offenlegungen geschädigt wurden.
Artikel 18
Verarbeitung personenbezogener Daten
Die nach dieser Richtlinie vorgenommene Verarbeitung personenbezogener Daten einschließlich des Austauschs oder der Übermittlung personenbezogener Daten durch die zuständigen Behörden, sollte im Einklang mit der Verordnung (EU) 2016/679 und der Richtlinie (EU) 2016/680 erfolgen. Der Austausch oder die Übermittlung von Informationen durch die zuständigen Behörden auf Unionsebene sollte im Einklang mit der Verordnung (EG) Nr. 45/2001 erfolgen. Personenbezogene Daten, die für die Fallbearbeitung nicht relevant sind, werden unverzüglich gelöscht.
KAPITEL V
SCHLUSSBESTIMMUNGEN
Artikel 19
Günstigere Behandlung
Die Mitgliedstaaten können unbeschadet von Artikel 16 und Artikel 17 Absatz 2 für die Rechte von Hinweisgebern günstigere Bestimmungen als jene in dieser Richtlinie einführen oder beibehalten.
Artikel 20
Umsetzung
(1)
Die Mitgliedstaaten setzen die Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft, die erforderlich sind, um dieser Richtlinie spätestens am 15. Mai 2021 nachzukommen. Sie teilen der Kommission unverzüglich den Wortlaut dieser Vorschriften mit.
(2)
Bei Erlass dieser Vorschriften nehmen die Mitgliedstaaten in den Vorschriften selbst oder durch einen Hinweis bei der amtlichen Veröffentlichung auf diese Richtlinie Bezug. Die Mitgliedstaaten regeln die Einzelheiten dieser Bezugnahme.
Artikel 21
Berichterstattung, Bewertung und Überprüfung
(1)
Die Mitgliedstaaten stellen der Kommission alle relevanten Informationen über die Umsetzung und Anwendung dieser Richtlinie zur Verfügung. Auf der Grundlage der übermittelten Informationen legt die Kommission dem Europäischen Parlament und dem Rat bis zum 15. Mai 2023 einen Bericht über die Umsetzung und Anwendung dieser Richtlinie vor.
(2)
Unbeschadet der in anderen Rechtsakten der Union festgelegten Berichtspflichten legen die Mitgliedstaaten der Kommission jährlich die folgenden statistischen Angaben in Bezug auf die in Kapitel III genannten Meldungen vor, soweit sie auf zentraler Ebene in dem betreffenden Mitgliedstaat verfügbar sind:
a)Zahl der bei den zuständigen Behörden eingegangenen Meldungen,
b)Zahl der Untersuchungen und Gerichtsverfahren, die infolge dieser Meldungen eingeleitet wurden, sowie deren endgültige Ergebnisse,
c)geschätzter finanzieller Schaden (sofern festgestellt) sowie im Anschluss an Untersuchungen und Gerichtsverfahren zu den gemeldeten Verstößen (wieder)eingezogene Beträge.
(3)
Die Kommission legt dem Europäischen Parlament und dem Rat bis zum 15. Mai 2027 einen Bericht vor, in dem sie unter Berücksichtigung ihres gemäß Absatz 1 vorgelegten Berichts und der von den Mitgliedstaaten gemäß Absatz 2 übermittelten Statistiken die Auswirkungen der von den Mitgliedstaaten zur Umsetzung dieser Richtlinie erlassenen nationalen Rechtsvorschriften bewertet. Sie bewertet in dem Bericht, wie die Richtlinie funktioniert hat und prüft, ob zusätzliche Maßnahmen einschließlich etwaiger geeigneter Änderungen zur Ausweitung des Anwendungsbereichs dieser Richtlinie auf zusätzliche Bereiche oder Rechtsakte der Union erforderlich sind.
Artikel 22
Inkrafttreten
Diese Richtlinie tritt am zwanzigsten Tag nach ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft.
Artikel 23
Adressaten
Diese Richtlinie ist an die Mitgliedstaaten gerichtet.
Geschehen zu Brüssel am […]
Im Namen des Europäischen Parlaments
Im Namen des Rates
Der Präsident
Der Präsident