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Document 52015AE3940

    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: EU-Aktionsplan gegen die Schleusung von Migranten (2015-2020)“ [COM(2015) 285 final]

    ABl. C 71 vom 24.2.2016, p. 75–81 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

    24.2.2016   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 71/75


    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: EU-Aktionsplan gegen die Schleusung von Migranten (2015-2020)“

    [COM(2015) 285 final]

    (2016/C 071/12)

    Berichterstatterin:

    Brenda KING

    Die Europäische Kommission beschloss am 6. Juli 2015, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

    „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, den Ausschuss der Regionen — EU-Aktionsplan gegen die Schleusung von Migranten (2015-2020)“

    [COM(2015) 285 final].

    Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Außenbeziehungen nahm ihre Stellungnahme am 12. November 2015 an.

    Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 512. Plenartagung am 9./10. Dezember 2015 (Sitzung vom 10. Dezember 2015) mit 176 gegen 3 Stimmen bei 5 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

    1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

    1.1.

    Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt die ausdrücklichen Ziele des EU-Aktionsplans gegen die Schleusung von Migranten (1), nämlich die „Bekämpfung und Verhütung der Migrantenschleusung“ bei gleichzeitigem „Schutz der Menschenrechte der Migranten“ und das Vorgehen „gegen die Ursachen der irregulären Migration“. Der EWSA erinnert daran, dass Flüchtlinge gemäß der UN-Flüchtlingskonvention von 1951 eine besondere Rechtsstellung genießen.

    1.2.

    Der EWSA befürwortet die im Aktionsplan beschriebenen Anstrengungen zur Zerschlagung von Netzen der organisierten Kriminalität durch Geheimdienst- und Finanzermittlungen, zur Beendigung der Geldwäsche und zur Beschlagnahmung der durch illegale Aktivitäten erworbenen Vermögenswerte. Er spricht sich jedoch nachdrücklich dafür aus, dass der Plan auf einem ausgewogeneren und umfassenderen Ansatz beruhen sollte, wobei genau darzulegen wäre, wie die EU geschleuste Migranten schützen und unterstützen wird.

    1.3.

    „Wenn weniger Menschen versuchen würden, die Dienste von Schleusernetzen in Anspruch zu nehmen, könnte deren Position geschwächt werden“ — angesichts dieser Feststellung in der Mitteilung der Europäischen Kommission weist der EWSA darauf hin, dass es nach Darstellung des UN-Büros für Drogen- und Verbrechensbekämpfung heutzutage für viele Menschen aus von bewaffneten Konflikten und Instabilität heimgesuchten ärmeren Ländern oder Regionen schwierig, wenn nicht sogar unmöglich ist, ein Schengen-Visum zu bekommen, wobei profitorientierte Personen und Gruppen diese Situation ausnutzten und lukrative Geschäfte mit der Nachfrage nach Grenzübertritten betreiben (2). Der EWSA empfiehlt deshalb, Präventionsmaßnahmen zu ergreifen. In diesem Zusammenhang ist die Forderung des UN-Generalsekretär zu beherzigen, dass die EU erwägen sollte, mehr legale und sichere Wege nach Europa für Flüchtlinge und Migranten zu eröffnen, damit diese nicht Opfer krimineller Netze werden und nicht auf lebensgefährliche Reisen gehen müssen. Diese Positionen spiegeln das wider, was der EWSA bezüglich der Migration in zahlreichen Stellungnahmen empfohlen hat.

    1.4.

    Der EWSA teilt die Auffassung, dass es erforderlich ist, den Grundsatz der Solidarität und der gemeinsamen Verantwortung umzusetzen, um eine ausgewogenere Verteilung der Asylanträge auf die einzelnen Mitgliedstaaten zu erreichen. Das Dubliner Übereinkommen müsste angepasst werden, um diesem inklusiveren System Rechnung zu tragen und das Schengener Abkommen zu schützen.

    1.5.

    Der EWSA unterstützt deshalb den Standpunkt von Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, der die Mitgliedstaaten davor warnte, die Migrationskrise zu nutzen, um das Schengener Abkommen auszuhöhlen (3). Der EWSA fordert die Kommission auf, diese Entwicklungen aufmerksam zu verfolgen und eine rasche Rückkehr zum Normalzustand sicherzustellen.

    1.6.

    Der EWSA empfiehlt auch, dem Europäischen Unterstützungsbüro für Asylfragen (EASO) zur Ausübung seiner Arbeit mehr Befugnisse zu verleihen, insbesondere hinsichtlich seiner operativen Unterstützungstätigkeiten und der gemeinsamen Unterstützungsteams für Asylfragen in denjenigen Mitgliedstaaten, die besonderer oder dringender Unterstützung bedürfen. Die EU sollte unbedingt dafür sorgen, dass die Mitgliedstaaten — wie im gemeinsamen Visakodex festgelegt — auf einheitlichere, kohärentere, unabhängigere und flexiblere Weise von humanitären Visa Gebrauch machen.

    1.7.

    Der EWSA begrüßt den jüngsten Vorschlag der Kommission, „die externe Dimension der Flüchtlingskrise anzugehen“ (4), einschließlich der Schaffung eines Nothilfe-Treuhandfonds für Afrika. Dieser jüngste Vorschlag scheint der Tatsache Rechnung zu tragen, dass Maßnahmen hinsichtlich der wesentlichen Migrationsursachen über Inneres und Sicherheit hinausreichen und auch andere Politikbereiche berühren, wie etwa Handel, Entwicklung, Außenpolitik und Integration. Dies steht in Einklang mit dem Grundsatz der politischen Kohärenz der internationalen Entwicklungszusammenarbeit der EU.

    1.8.

    Der EWSA empfiehlt, dass die Agenda für nachhaltige Entwicklung als langfristige Lösung genutzt werden sollte, um die tiefer liegenden sozioökonomischen Ursachen der Schleusung von Migranten anzugehen. Der EWSA möchte die EU-Mitgliedstaaten an ihre Verpflichtung erinnern, 0,7 % des Bruttonationaleinkommens (BNE) für die Entwicklungshilfe bereitzustellen. In vielen Fällen wurde dieser Verpflichtung nicht nachgekommen — einige Mitgliedstaaten haben ihre offizielle Entwicklungshilfe sogar gekürzt.

    1.9.

    Angesichts der Tatsache, dass Europa wegen des schwachen Wachstums, einer alternden und schrumpfenden Bevölkerung sowie des Arbeitskräftemangels vor Herausforderungen steht, ist es auch wichtig, die EU-Migrationspolitik mit der Arbeitsmigrations- und Integrationspolitik als Aspekt des europäischen Arbeitsmarkts zu verknüpfen, zumal hinreichend nachgewiesen wurde, dass die Migration ein entscheidender Faktor für die wirtschaftliche Erholung und Entwicklung in Europa ist.

    1.10.

    Der EWSA stimmt der Auffassung zu, dass die Rückkehrpolitik innerhalb der EU verbessert werden muss, und erinnert die Kommission an ihre zahlreichen Empfehlungen, denen zufolge die Menschenrechte von Asylsuchenden jederzeit geachtet werden sollten.

    1.11.

    Mit dieser Stellungnahme wird an die Vertreter der EU-Institutionen und der nationalen Regierungen appelliert, der zentralen Rolle der Sozialpartner und der organisierten Zivilgesellschaft Rechnung zu tragen, da sie der europäischen Einwanderungspolitik eine soziale Perspektive und einen Mehrwert verleihen.

    1.12.

    Der EWSA fordert auch dazu auf, der systematischen Finanzierung jener zivilgesellschaftlichen Organisationen mehr Aufmerksamkeit zu schenken, die Migranten auf ihrer Suche nach Sicherheit sowie Integrationsbemühungen in entscheidendem Maße unterstützen, wodurch oftmals fehlende institutionelle Kapazitäten wettgemacht werden. Der EWSA begrüßt den Ansatz insofern, als die Rolle der zivilgesellschaftlichen Organisationen anerkannt wird, die zum Verständnis der Problematik der Migrantenschleusung beitragen und die als Mittler bei der Unterstützung von Menschen in Situationen fungieren, in denen weder die Nationalstaaten noch die EU an diese Menschen herankommen.

    2.   Hintergrund

    2.1.

    In der am 13. Mai 2015 angenommenen europäischen Migrationsagenda (5) werden die Sofortmaßnahmen dargelegt, die die Kommission ergreifen sollte, um auf die Krisensituation im Mittelmeerraum zu reagieren, und die Bekämpfung der Migrantenschleusung als vorrangiges Ziel festgelegt, „durch dessen Verwirklichung die Ausbeutung von Migranten durch kriminelle Netze verhindert und die Anreize für irreguläre Migration verringert werden sollen“.

    2.2.

    Seit der Annahme dieser Agenda hat der drastisch hohe Zustrom von Asylsuchenden zu einer Ausnahmesituation geführt und die Europäische Kommission dazu bewogen, entschlossen zu handeln, dergestalt, dass sie am 9. September 2015 ein umfassendes Paket mit Vorschlägen zur Bewältigung der Flüchtlingskrise vorgelegt hat.

    2.3.

    Der Kommissionsvorschlag (6) ist darin begründet, dass sich der Migrationsdruck auf der zentralen und östlichen Mittelmeerroute verstärkt hat. Nach Angaben von Frontex erfolgten die meisten irregulären Grenzübertritte in die EU im Zeitraum 1. Januar bis 30. August 2015 über die zentrale und östliche Mittelmeerroute sowie über die Westbalkanroute (99 %). Frontex-Daten zeigen auch, dass auf die Westbalkanroute mehr als 30 % der gesamten irregulären Grenzübertritte im Jahr 2015 entfallen. Das entspricht einem Zustrom von ca. 500 000 Asylsuchenden, was die EU-Grenzstaaten unter erheblichen Druck setzt (7). Bei den über die zentrale Mittelmeerroute ankommenden Menschen handelt es sich überwiegend um Migranten aus Syrien und Eritrea, die Eurostat zufolge eine Asylanerkennungsquote von über 75 % haben. Die über die östliche Mittelmeerroute und die Westbalkanroute eintreffenden Migranten stammen mehrheitlich aus Syrien und Afghanistan. Dies steht im Einklang mit der Feststellung des UNODC, dass über 80 % der Personen, die dieses Jahr über den Seeweg in Europa angekommen sind, aus den zehn Ländern stammen, die die meisten Flüchtlinge hervorbringen (8).

    2.4.

    Nach Angaben des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen (UNHCR) waren am 4. Oktober 20154 185 302 Flüchtlinge aus Syrien registriert. Dieser Zahl umfasst 2,1 Mio. Syrer, die in Ägypten, Irak, Jordanien und dem Libanon registriert wurden, 1,9 Mio. Syrer, die von Regierungsstellen in der Türkei registriert wurden, sowie mehr als 26 700 syrische Flüchtlinge, die in Nordafrika registriert wurden (9).

    2.5.

    Im fünften Jahr seit Beginn des Konflikts in Syrien gibt es dem UNCHR zufolge eine rasche Verschlechterung der Lebensbedingungen der syrischen Flüchtlinge in Jordanien, wo zahlreiche Menschen wegen des Ausmaßes der Krise und der unzureichenden Unterstützung durch die internationale Gemeinschaft (nur 37 % der vom UNCHR für Syrien geforderten Mittel wurden bereitgestellt) in extreme Armut geraten sind. Der UNCHR erklärt, dass auch weiterhin Menschen nach Europa auswandern werden, bis genügend Geld bereitsteht, um die Infrastrukturen von Aufnahmeländern (EU-Nachbarländern) und damit die Lebensbedingungen und -perspektiven der Flüchtlingsgruppen zu verbessern. Während die meisten Flüchtlinge zu arm sind, um die Flüchtlingslager zu verlassen, nehmen diejenigen, die es sich leisten können, die Dienste von Schleusern in Anspruch.

    2.6.

    In ihrem Vorschlag für einen Beschluss des Rates vom 9. September 2015 (10) führt die Kommission aus, dass sie die Entwicklung der Migrationsströme weiterhin beobachten wird, einschließlich der Situation in der Ostukraine, falls diese sich noch verschlechtert.

    2.7.

    Diese außerordentliche Flüchtlingskrise fällt in eine Zeit, in der sich die Wirtschaftslage in der EU auf die Fähigkeit und Bereitschaft einiger Mitgliedstaaten (insbesondere der Grenzstaaten) auswirkt, humanitäre Dienstleistungen im Einklang mit der Genfer Konvention zu erbringen (11). Von Sparmaßnahmen sind auch zivilgesellschaftliche Organisationen betroffen, die Dienstleistungen für Asylsuchende erbringen. Einige Mitgliedstaaten haben mit verschärften Grenzkontrollen reagiert, während andere Gesetze erlassen haben, um diejenigen zu inhaftieren und zu bestrafen, die die Schengen-Grenzen überqueren, um Asyl zu beantragen.

    3.   Allgemeine Bemerkungen

    3.1.

    Der EWSA bekräftigt seine Botschaft an sämtliche Beschlussfassungsorgane, dass die EU als wirkliche Union agieren sollte, indem sie gemeinsame Vorschriften erlässt, achtet und umsetzt. Die neue Phase der europäischen Einwanderungspolitik muss strategisch auf mittel- bis langfristige Sicht angelegt sein und vor allem dem Ziel dienen, auf ganzheitliche und umfassende Weise offene und flexible legale Kanäle für die Aufnahme in die EU bereitzustellen (12). In Bezug auf die derzeitige Krise wird dies ein gemeinsames Konzept für das Außengrenzmanagement erfordern, wobei die Kommission und die europäischen Agenturen in die Lage versetzt werden sollten, mit den entsprechenden Finanzmitteln operationelle Aufgaben zu erfüllen.

    3.2.

    Der EWSA möchte zu diesem Zweck auf der Grundlage seiner früheren Stellungnahmen zu Fragen der Migration strategische Vorschläge unterbreiten (13). Bei den Diskussionen im Vorfeld der nächsten Phase der europäischen Einwanderungspolitik 2020 müssen die Rolle der Sozialpartner und Vertreter der organisierten Zivilgesellschaft sowie der soziale Dialog durchgehend berücksichtigt werden. Die „soziale Perspektive“ ist von entscheidender Bedeutung, wenn es darum geht, den Mehrwert dieser Politik sicherzustellen und ihre Verhältnismäßigkeit und Wirkung zu bestimmen.

    3.3.

    Der EWSA fordert, in diesem Zusammenhang der demografischen Situation und der Bevölkerungsalterung sowie der Altersstruktur der Arbeitsmärkte in den Mitgliedstaaten gebührend Rechnung zu tragen. In der Sondierungsstellungnahme von 2011 (14) zur Rolle der Einwanderung vor dem Hintergrund der demografischen Situation in Europa hebt der EWSA hervor, dass der Zuzug von Arbeitnehmern und Familien aus Drittländern gesteigert werden sollte. Die EU benötigt offene und flexible Rechtsvorschriften, die die Einwanderung von sowohl hoch qualifizierten Arbeitnehmern und solchen mit mittleren Qualifikationen als auch solchen, die einfachen Beschäftigungen nachgehen, auf legalen und transparenten Wegen ermöglichen, unter der Voraussetzung, dass die Mitgliedstaaten weiterhin selbst bestimmen können, wie viele Drittstaatsangehörige in ihr Hoheitsgebiet einreisen dürfen. Allerdings ist Einwanderung zugegebenermaßen nicht die einzige Antwort auf Arbeitsmarktengpässe ist und die Mitgliedstaaten ziehen möglicherweise andere, geeignetere Lösungen in Betracht.

    3.4.

    Der EWSA empfiehlt nachdrücklich die Überarbeitung der Dublin-Verordnung, auf deren grundlegende Mängel der Europäische Gerichtshof und der Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hingewiesen haben. Die Verpflichtung zur Prüfung des Flüchtlingsstatus führt zu einer Überlastung der an den EU-Außengrenzen gelegenen Ersteinreiseländer.

    3.5.

    Der EWSA ist äußerst besorgt über die gegenwärtige Aushöhlung des Schengener Abkommens, das zu den grundlegenden Errungenschaften für die Unionsbürger gehört. Er bedauert, dass Mitgliedstaaten dazu übergegangen sind oder beabsichtigen, innerhalb des Schengen-Raums Grenzkontrollen wieder einzuführen, und fordert die Kommission auf, diese Entwicklungen aufmerksam zu verfolgen und für eine rasche Rückkehr zum Normalzustand Sorge zu tragen.

    3.6.

    In der Mitteilung heißt es, dass der Aktionsplan im weiteren Kontext der Bemühungen der EU zu sehen ist, die Ursachen der irregulären Migration anzugehen; im nächsten Satz wird dann die Aktion zur Aufspürung, Aufbringung und Vernichtung von Schleuserschiffen behandelt. Der EWSA teilt keineswegs die Ansicht, dass der Zugang zu einem Schiff eine Ursache der irregulären Migration ist. Im Gegenteil: Die strikte Fokussierung auf die Beschlagnahmung von Schiffen erhöht lediglich das Risiko für die geschleusten Migranten, weil die Schleuser die billigsten und gefährlichsten Schiffe nutzen.

    3.7.

    Der EWSA ist der Ansicht, dass die Mängel der Entwicklungshilfepolitik für die Herkunftsländer der Migranten angegangen werden sollten und die EU-Mitgliedstaaten sich erneut dazu verpflichten müssen, die versprochenen 0,7 % des BNE für die Entwicklungshilfe bereitzustellen. Darüber hinaus sollte die EU sicherstellen, dass sich entsprechend dem Grundsatz der politischen Kohärenz der internationalen EU-Entwicklungszusammenarbeit andere relevante Politikbereiche wie internationaler Handel, Landwirtschaft, Energie und Außenpolitik positiv auf die soziale und wirtschaftliche Stabilität und Entwicklung der Herkunftsländer auswirken.

    3.8.

    Der EWSA stellt fest, dass Hilfe aus EU-Mitgliedstaaten und die Unterstützung durch die EU nur in einer sicheren Gesellschaft ohne Krieg und größere soziale Probleme ihre Ziele erreichen können. Deshalb ist es wichtig, dass die internationale Gemeinschaft die von Staats- und Regierungschefs aus aller Welt auf dem UN-Gipfel im September 2015 verabschiedeten Ziele der nachhaltigen Entwicklung umsetzt. Diese Ziele reichen von der Beendigung der Armut, der Verbesserung der Stellung von Mädchen und Frauen und der Verringerung der Ungleichheit innerhalb und zwischen Ländern bis hin zur Förderung des dauerhaften, inklusiven und nachhaltigen Wachstums, der menschenwürdigen Arbeit für alle sowie der Förderung friedlicher und inklusiver Gesellschaften.

    4.   Besondere Bemerkungen

    4.1.

    Der EWSA begrüßt die Ziele, die die Kommission in ihrer Mitteilung zum EU-Aktionsplan gegen die Schleusung von Migranten abgesteckt hat, betont aber auch, dass dieser Plan auf einem ausgewogeneren und umfassenderen Ansatz beruhen sollte, um zielführend zu sein. Der EWSA stellt fest, dass nicht näher darauf eingegangen wird, wie die EU die geschleusten Migranten schützen und ihnen helfen wird, und dass nicht ausdrücklich auf die positive Rolle der Migration für den europäischen Arbeitsmarkt und die wirtschaftliche Entwicklung hingewiesen wird.

    4.2.

    Der EWSA stellt fest, dass zwar zwischen Migrantenschleusung und Menschenhandel unterschieden wird, nicht aber zwischen Migranten und Asylsuchenden. Dies ist ein wichtiger Aspekt. So erklärte der UN-Generalsekretär gegenüber den europäischen Entscheidungsträgern: „Die überwiegende Mehrheit der Menschen, die sich auf kräftezehrende und gefährliche Reisen machen, sind Flüchtlinge aus Ländern wie Syrien, dem Irak und Afghanistan. Das internationale Recht fordert das — staatlich anerkannte — Recht von Flüchtlingen auf Schutz und Asyl. Bei der Beurteilung von Asylanträgen können Staaten keine Unterscheidungen treffen, die auf Religion oder anderen Identitätsmerkmalen beruhen; auch können sie Menschen nicht zwingen, dorthin zurückzukehren, woher sie aus begründeter Angst vor Verfolgung oder Angriffen geflohen sind. Es handelt sich hier nicht nur um eine Frage des internationalen Rechts, sondern auch um unsere Pflicht als Menschen.“ Er fügte hinzu: „Ich appelliere an alle beteiligten Regierungen, umfassende Maßnahmen zu ergreifen, sichere und legale Migrationskanäle zu eröffnen und mit Menschlichkeit und Mitgefühl und im Einklang mit ihren internationalen Verpflichtungen zu handeln“ (15). Der EWSA empfiehlt, alle Personen, die sich auf die gefährliche Reise nach Europa begeben, gemäß der Genfer Konvention von 1951 und ihrem Protokoll von 1967 so lange als Flüchtlinge zu behandeln, bis ein gegenteiliger Status nachgewiesen ist.

    4.3.   Schärferes polizeiliches und justizielles Vorgehen

    4.3.1.

    Der EWSA ist der Ansicht, dass ein umfassenderer Ansatz zur Bekämpfung der Schleusung darin besteht, dass Asylsuchenden einen Zugang zu sicheren und legalen Migrationskanälen eröffnen wird. Ein solcher Ansatz wird in Verbindung mit der Aushebelung von Netzen der organisierten Kriminalität durch Geheimdienst- und Finanzermittlungen eine wirksamere, humanere und kosteneffizientere Maßnahme sein.

    4.3.2.

    Der EWSA empfiehlt den EU-Entscheidungsträgern sicherzustellen, dass sie „keinen Schaden anrichten“ und sowohl die beabsichtigten als auch unbeabsichtigten Konsequenzen ihrer Eingriffe bedenken. Der Beschluss der EU, von Mare Nostrum (Schwerpunkt: Suche und Rettung) auf Triton (Schwerpunkt: Grenzkontrollen) umzustellen, hat keine Verringerung der Zahl von Menschen bewirkt, die sich auf gefährliche Reisen nach Europa begeben. Sehr wohl hat dieser Beschluss aber zu einem dramatischen Anstieg der Zahl der Todesopfer im Mittelmeer geführt. Bis zum 31. Mai 2015 waren bereits 1 865 Menschen beim Versuch der Überquerung des Mittelmeers ums Leben gekommen — im Vergleich zu 425 im selben Zeitraum 2014 (16). Das erklärt auch die Verlagerung der Migrationsströme hin zur Landroute über den Westbalkan nach Ungarn. Die Personen, die auf beiden Seiten der ungarischen Grenze befragt wurden, gaben an, dass sie die Balkanroute gewählt hätten, weil sie preiswerter gewesen und von Schleusern empfohlen worden sei.

    4.3.3.

    Der EWSA stellt fest, dass die Schleuser in der Lage sind, sich auf politische Entscheidungen der EU wie intensivere Grenzpatrouillen im Mittelmeer oder die Zerstörung von Schiffen einzustellen. Die nicht beabsichtigten Folgen des EU-Konzepts des „Feldzugs gegen Schleuser“ sind Chaos an den EU-Außengrenzen, der Tod von Menschen auf europäischen Straßen und auf See sowie Spannungen zwischen Mitgliedstaaten.

    4.4.   Verstärkte Vorbeugung gegen die Migrantenschleusung und Unterstützung schutzbedürftiger Migranten

    4.4.1.

    Der EWSA teilt die Ansicht, dass die Kommission mehr tun muss, um der Schleusung vorzubeugen und schutzbedürftige Migranten zu unterstützen; da die Rettung von Menschenleben höchste Priorität hat, muss das allerdings auf kohärentere Weise geschehen.

    4.4.2.

    Frontex-Daten zeigen, dass 70 % der Personen, die auf Schleuser zurückgreifen, um über die EU-Außengrenzen zu gelangen, aus Syrien, Eritrea und dem Irak stammen. Eurostat zufolge haben Staatsangehörige dieser Länder eine EU-Asylanerkennungsquote von 75 % und mehr. Angesichts der Tatsache, dass diese Einzelpersonen und Familien wegen Angst vor Verfolgung oder Angriffen fliehen, ist jedwede Medienkampagne über die Risiken des Schleusens müßig.

    4.4.3.

    Der EWSA erinnert die Kommission daran, dass es bereits Instrumente gibt, um gegen die Beschäftigung irregulärer Migranten auf nationaler Ebene vorzugehen. Der Vorschlag der Kommission, begrenzte Ressourcen einzusetzen, um bestimmte Wirtschaftsbereiche in der EU ins Visier zu nehmen, wird kostspielig sein und nichts bringen.

    4.4.4.

    Der EWSA begrüßt die Feststellung im Aktionsplan, „geschleusten Migranten und insbesondere schutzbedürftigen Gruppen wie Kindern und Frauen Unterstützung und Schutz zu bieten“. Der EWSA stellt jedoch fest, dass ansonsten aus dem Aktionsplan nicht genau hervorgeht, was konkret getan werden soll. Dies wäre aber wichtig, weil sehr viele der in Europa Schutz suchenden Menschen unbegleitete und von ihren Eltern getrennte Kinder sind. Allein in Italien, Ungarn und Malta sind in den ersten neun Monaten des Jahres 2015 etwa 19 000 unbegleitete und von ihren Eltern getrennte Kindern angekommen. Einige EU-Grenzstaaten erfüllen nicht vollkommen die internationalen Standards und bieten nur schlechte Aufnahmebedingungen, unzureichende Statusfeststellungsverfahren, geringe Anerkennungsquoten sowie einen mangelnden Zugang zu dauerhaften Lösungen im Gesundheits- und Wohnungswesen. Im Aktionsplan sollte genau dargelegt werden, wie die Mitgliedstaaten künftig mit den notwendigen Mittel unterstützt werden sollen, damit sie ihren Pflichten und Aufgaben gemäß dem internationalen humanitären Recht und den internationalen Menschenrechten, insbesondere im Einklang mit dem UN-Übereinkommen über die Rechte des Kindes, nachkommen (17).

    4.4.5.

    Der Ausschuss ist der Auffassung, dass die wirksamste Methode, um Unterstützung zu leisten und gleichzeitig die Schleusernetze zu schwächen, in einer Begrenzung der Zahl der Personen besteht, die diese Dienste in Anspruch nehmen möchten. Dazu sollten alternative, legale Wege zur Einreise nach Europa aus Drittstaaten in Europas Nachbarschaft eröffnet werden. Auf diese Weise werden die in der EU-Charta verankerten Grundrechte gewahrt.

    4.4.6.

    Der EWSA bekräftigt, dass unbedingt zwischen gewinnorientierten Schleusern und Menschen, die Migranten Hilfe leisten, unterschieden werden muss. Tausende europäischer Bürger haben Migranten Transport und Unterkunft geboten — entweder ohne Bezahlung oder für ein übliches oder reduziertes Entgelt. Humanitäre Hilfe und Solidarität sollten im Rahmen der EU-Agenda gegen die Schleusung von Migranten angeregt und nicht etwa bestraft werden.

    4.4.7.

    Der EWSA teilt die Ansicht, dass die Wirksamkeit der EU-Rückkehrpolitik verbessert werden muss, und möchte bei dieser Gelegenheit die Kommission an ihre zahlreichen Empfehlungen erinnern, denen zufolge die Menschenrechte von Asylsuchenden jederzeit — ab dem Augenblick ihrer Rettung oder Aufnahme — geachtet werden sollten, während ihr Antrag dahin gehend geprüft wird, ob sie im Einzelfall einen Schutzstatus benötigen oder sich in einer irregulären Situation befinden. Die Rückführung von Migranten muss im Einklang mit den geltenden Bestimmungen erfolgen, die gewährleisten, dass niemand in einen Staat ausgewiesen, abgeschoben oder an einen Staat ausgeliefert werden darf, in dem für die betreffende Person das ernsthafte Risiko der Todesstrafe, der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung besteht. Das ist das Prinzip der Nichtzurückweisung (non-refoulement). Der EWSA spricht sich erneut gegen die Rückführung von unbegleiteten Minderjährigen, ärztliche Versorgung benötigenden Personen oder Schwangeren aus.

    4.5.   Engere Zusammenarbeit mit Drittländern

    4.5.1.

    Der EWSA befürwortet nachdrücklich eine engere Zusammenarbeit mit den an der gesamten Schleuserroute gelegenen Drittländern. Der Ausschuss teilt die Ansicht, dass der Schwerpunkt auf der Förderung des Grenzmanagements liegen sollte, ist jedoch der Auffassung, dass gerade dabei Zusammenarbeit und Absprache auf EU-Ebene zwischen dem bestehenden Netz von Verbindungsbeamten für Einwanderungsfragen Priorität haben sollte.

    4.5.2.

    Ziel dieser Koordinierung sollte für die EU-Institutionen — Europäische Kommission, Europäischer Auswärtiger Dienst (EAD) — und die Mitgliedstaaten sein, vereinbarte Verfahren umzusetzen, die es Menschen ermöglichen, von ihren Heimatländern oder einem sicheren Nachbarstaat aus humanitäre Visa oder Asyl zu beantragen, um so eine alternative, humane und legale Route zur Einreise nach Europa zu bieten. In Nachbarländern wie der Türkei, dem Libanon, Jordanien oder Libyen könnten Hotspots eingerichtet werden, in denen die Fälle geprüft und bei Erfüllung der EU-Asylanerkennungsquote humanitäre Visa ausgestellt werden könnten (wie dies inzwischen in Brasilien praktiziert wird). Es ist auch wichtig, den Dialog anzuregen und die Organisationen der Zivilgesellschaft einzubeziehen, die bei diesen Tätigkeiten in unmittelbarem Kontakt mit Flüchtlingen stehen, um sowohl den Schutz der Menschenrechte als auch eine größere Effizienz der Antragsbearbeitung zu gewährleisten.

    4.5.3.

    Diese humanitären Visa haben den Vorteil, dass sie den Druck auf die EU-Grenzstaaten verringern, die Behandlung von Asylsuchenden im Einklang mit den EU-Grundrechten und der UN-Kinderrechtskonvention gewährleisten und die Schleusung von Migranten zu einem hochriskanten, wenig profitablen Geschäft machen. Das Bleiberecht könnte zeitlich befristet und davon abhängig gemacht werden, ob eine Rückkehr in das Herkunftsland sicher ist, oder an den Arbeitsmarkt geknüpft werden — angesichts des Mangels an qualifizierten Arbeitskräften und den demografischen Herausforderungen, die auch für das Wachstum in Europa relevant sind.

    Brüssel, den 10. Dezember 2015.

    Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Georges DASSIS


    (1)  COM(2015) 285 final.

    (2)  Martina Hanke, Vertreterin des UN-Büros für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC); aus einer Rede in der öffentlichen Anhörung des EWSA zum Thema „Schleusung von Migranten“ am 12. Oktober 2015 in Brüssel.

    (3)  http://ec.europa.eu/commission/2014-2019/president/announcements/call-collective-courage_en.

    (4)  Flüchtlingskrise: die Europäische Kommission handelt — 9. September 2015, Straßburg.

    (5)  COM(2015) 240 final.

    (6)  COM(2015) 451 final.

    (7)  Siehe Fußnote 6.

    (8)  Siehe Fußnote 2.

    (9)  http://data.unhcr.org.

    (10)  Pressemitteilung „Flüchtlingskrise; die Europäische Kommission handelt“ (http://europa.eu/rapid/press-release_IP-15-5596_de.htm).

    (11)  http://www.unhcr.org/.

    (12)  Stellungnahme des EWSA zum Thema „Die europäische Einwanderungspolitik“, Hauptberichterstatter: Giuseppe Iuliano (ABl. C 458, 19.12.2014, S. 7).

    (13)  EWSA, „Immigration: Integration and Fundamental Rights“, 2012, (http://www.eesc.europa.eu/resources/docs/qe-30-12-822-en-c.pdf).

    (14)  Sondierungsstellungnahme des EWSA zum Thema „Die legale Einwanderung vor dem Hintergrund des demografischen Wandels“, Berichterstatter: Luis Miguel Pariza Castaños (ABl. C 48, 15.2.2011, S. 6).

    (15)  Erklärung vom 28. August 2015, New York (Anm. d. Übers.: Aus dem englischen Original übersetzte Textstelle).

    (16)  Daten der Internationalen Organisation für Migration (abrufbar unter: http://missingmigrants.iom.int/incidents). „Migration Read All About It, Mediterranean Update: 101 900 migrant arrivals in Europe in 2015“ (abrufbar unter: http://weblog.iom.int/mediterranean-flash-report-0) (Zugriff in beiden Fällen am 10. Juni 2015).

    (17)  http://www.ohchr.org/Documents/ProfessionalInterest/crc.pdf.


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