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Document 52007IE1708

    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Auswirkungen der Territorialität der Steuervorschriften auf den industriellen Wandel

    ABl. C 120 vom 16.5.2008, p. 51–57 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

    16.5.2008   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 120/51


    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Auswirkungen der Territorialität der Steuervorschriften auf den industriellen Wandel“

    (2008/C 120/14)

    Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 16. Februar 2007, gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung eine Stellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

    „Auswirkungen der Territorialität der Steuervorschriften auf den industriellen Wandel“.

    Die mit den Vorarbeiten beauftragte Beratende Kommission für den industriellen Wandel nahm ihre Stellungnahme am 13. November 2007 an. Berichterstatter war Herr SCHADECK, Ko-Berichterstatter Herr GAY.

    Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 440. Plenartagung am 12./13. Dezember 2007 (Sitzung vom 13. Dezember) mit 102 gegen 7 Stimmen bei 6 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

    Erster Teil — Schlussfolgerungen und Empfehlungen

    A.

    Die europäische Wirtschaft ist stark in die Weltwirtschaft integriert. Diese Integration ist von Branche zu Branche unterschiedlich stark; in den Wirtschaftsbereichen, die sich der Globalisierung am weitesten geöffnet haben, ist sie besonders ausgeprägt. Aus diesem Grund muss bei der Gestaltung der Wirtschafts- und der Steuerpolitik der Europäischen Union auch der Entwicklung auf internationaler Ebene Rechnung getragen werden. Obgleich im Rahmen dieser Stellungnahme die Auswirkungen der Territorialität der Steuervorschriften auf den industriellen Wandel untersucht werden sollen, darf das weltweite Umfeld dabei nicht außer Acht gelassen werden.

    B.

    Die EU und die einzelnen Mitgliedstaaten sind für die Durchführung wirtschafts-, finanz-, sozial- und umweltpolitischer Maßnahmen zur Wahrnehmung von Aufgaben verantwortlich, die nicht alleine den Marktkräften überlassen werden können. Es muss also sichergestellt werden, dass sich die Territorialität der Steuervorschriften positiv auf den industriellen Wandel in Europa auswirkt. Dieser muss zwar der Marktentwicklung entsprechen, in der Regel lassen sich mit Hilfe von Begleitmaßnahmen in den vorgenannten Bereichen aber bessere Ergebnisse erzielen. Der Lissabon-Prozess an sich beruht auf einem Gleichgewicht zwischen den einzelnen Schwerpunktbereichen (Wettbewerb, soziale Dimension, Umweltschutz), auf das auch im Zusammenhang mit dem steuerlichen Wettbewerb zwischen den EU-Mitgliedstaaten sorgfältig zu achten ist (1).

    C.

    Der Ausschuss stellt fest, dass der Steuerwettbewerb auf dem Binnenmarkt Realität ist und zu Wettbewerbsverzerrungen führen kann. Er setzt allerdings Regeln zur Schaffung von Transparenz und Instrumentarien zur Feststellung eventueller missbräuchlicher und schädlicher Praktiken (2) voraus. Außerdem sind geeignete Indikatoren für die richtige Einschätzung des Steuerwettbewerbs erforderlich. Der EWSA hat jedoch festgestellt, dass der Faktor Besteuerung in KMU keine ausschlaggebende Rolle bei Entscheidungen über Investitionen spielt. In den mobileren multinationalen Konzernen kommt ihm hingegen deutlich mehr Bedeutung zu.

    D.

    Der Steuerwettbewerb betrifft nicht nur die Unternehmensbesteuerung. Aufgrund der immer größeren Mobilität der Kapitalanlagen betrifft dieser Wettbewerb auch Kapitalerträge von Privatpersonen und die Vermögensteuer.

    E.

    Der Ausschuss vertritt den Standpunkt, dass die Koordinierung der Steuerregelungen der verschiedenen Verwaltungen eine Hebelwirkung ausüben kann, die das Funktionieren des Binnenmarktes stärkt, indem sie Funktionsstörungen beseitigt und zum Wegfall der Kosten für die Befolgung von Vorschriften auf steuerlicher Ebene, vor allem in den Grenzregionen, führt. Der EWSA unterstreicht nochmals die Empfehlungen, die er unlängst in seiner Stellungnahme zu dem Programm Fiscalis 2013 (3) abgegeben hat.

    F.

    Die fehlende Koordinierung zwischen den Mitgliedstaaten bei der einzelstaatlichen Direktbesteuerung führt nach Ansicht des EWSA zu Fällen von Nichtbesteuerung (4), Missbrauch oder Verzerrungen im Funktionieren des Binnenmarktes. Außerdem bringt dies eine Destabilisierung oder gar Aushöhlung der Gesamtsteuereinnahmen der EU mit sich.

    G.

    Der innergemeinschaftliche Steuerwettbewerb ohne Grenzen droht einerseits die verschiedenen Elemente der Bemessungsgrundlage bei den am wenigsten mobilen Steuerpflichtigen — wie kleine Unternehmen oder nicht verlagerbare Dienstleistungen — noch stärker zu belasten und andererseits zu einer Umverteilung der Steuerlast zwischen Steuerpflichtigen und Verbrauchern zur Deckung der öffentlichen Ausgaben und Sozialleistungen zu führen, was dem sozialen Zusammenhalt abträglich wäre.

    H.

    KMU und Dienstleistungsunternehmen sind am schlechtesten gerüstet, um Profit aus dem Steuerwettbewerb zu ziehen. Aus diesem Grund spricht sich der Ausschuss dafür aus, Begleitmaßnahmen vorzusehen, Schulungen für die Manager dieser Unternehmen (und die Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes) anzubieten und entsprechende Datenbanken aufzubauen, um die Unternehmen, insbesondere jene, die in den Grenzgebieten und den Gebieten in äußerster Randlage der EU angesiedelt sind, bei der Vorbereitung auf die Internationalisierung zu unterstützen.

    I.

    Der Ausschuss ist der Auffassung, dass der Bekämpfung des Steuerbetrugs Priorität eingeräumt werden muss, und verweist auf die Schlussfolgerungen der Stellungnahme, die er vor kurzem zu diesem Thema verabschiedet hat (5).

    J.

    Die Verlagerung der Steuerlast auf die am wenigsten mobilen Produktionsfaktoren kann darin resultieren, dass die Wettbewerbsfähigkeit der betroffenen Unternehmen und ihrer Arbeitsplätze geringer ist als die ihrer ausländischen Konkurrenten. Die BIP-Zuwachsrate des jeweiligen Mitgliedstaates leidet unter dieser Verlagerung der Steuerlast, was zu einer Verringerung der Investitionskapazitäten der öffentlichen Hand führen kann, wenn keine neuen Haushaltsmittel erschlossen werden.

    K.

    Der Steuerwettbewerb veranlasst die einzelnen Mitgliedstaaten, ihre öffentlichen Ausgaben stärker zu zügeln. Der Ausschuss betont, dass dies weder zu Lasten des Angebots noch der Qualität ihrer öffentlichen Dienstleistungen gehen darf, da diese von entscheidender Bedeutung sind, um produktive Tätigkeiten, mit denen Wohlstand, Arbeitsplätze und letztendlich Steuereinnahmen geschaffen werden, zu erhalten und ins Land zu holen. Der Steuerwettbewerb darf die Finanzierung und den Umfang der sozialen Sicherungssysteme nicht gefährden.

    L.

    Der Ausschuss befürwortet die Bemühungen der Mitgliedstaaten um die Beseitigung des schädlichen Steuerwettbewerbs und ihre Selbstverpflichtung, eine Reihe schädlicher Steuerregelungen bis spätestens 2010 abzuschaffen, wie sie in dem Verhaltenskodex aus dem Jahr 1997 (6) niedergelegt sind. Er ersucht auch die Kommission, ihre seither unternommenen diesbezüglichen Bemühungen fortzusetzen.

    M.

    Der Ausschuss unterstützt außerdem die Politik der Kommission, die darauf abzielt, dass Beihilfen der öffentlichen Hand, einschließlich steuerlicher Vergünstigungen für einzelne Unternehmen, der Verfolgung nachhaltiger Ziele im Zusammenhang mit dem industriellen Wandel und der Regional- und Gemeindeentwicklung dienen und mit der Wettbewerbspolitik innerhalb der EU vereinbar sind.

    N.

    Der Ausschuss fordert die Einführung einer gemeinsamen konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (GKKB) (7) nach den Grundsätzen der Vereinfachung, Gerechtigkeit und Transparenz der Steuerpraktiken der Mitgliedstaaten. Dadurch würde es ermöglicht, das Potenzial des Binnenmarktes optimal auszuschöpfen, wobei die Haushalts- und Steuersouveränität der Mitgliedstaaten gewahrt bliebe und sie nicht in Konflikt mit den Bestimmungen des EG-Vertrags geraten würden. Da die GKKB wahrscheinlich aus einer verstärkten Zusammenarbeit hervorgehen würde, würde es der Ausschuss begrüßen, wenn sie von möglichst vielen Mitgliedstaaten übernommen würde.

    O.

    Der Ausschuss bittet um weitere Informationen über den Inhalt, die Modalitäten und die Entwicklung des Projekts GKKB, bevor er zu diesem komplexen und strategisch wichtigen Thema erneut Stellung nimmt; in der Zwischenzeit beschränkt er sich darauf, seine 2006 auf Ersuchen von Kommissionsmitglied KOVÁCS erarbeitete Sondierungsstellungnahme in Erinnerung zu rufen (8).

    P.

    Nichtsdestoweniger hat der Ausschuss eine Reihe von Überlegungen zu der GKKB angestellt und in diesem Zusammenhang einige Fragen aufgeworfen. Er hält es für wünschenswert, dass dieses fakultative Projekt von möglichst vielen Mitgliedstaaten übernommen wird (selbst dann, wenn Übergangsbestimmungen vorzusehen sind) und nach einem Zeitraum, in dem das gemeinsame System neben den einzelstaatlichen Systemen besteht, in allen Mitgliedstaaten eine gemeinsame Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage für sämtliche Steuerpflichtige herangezogen wird. Darüber hinaus sollte geprüft werden, ob die gemeinsame Bemessungsgrundlage für Unternehmen, die auf den Außenmärkten tätig sind, nicht besser einer zwischenstaatlichen Instanz übertragen werden sollte. Schließlich sollten auch die Auswirkungen einer solchen gemeinsamen Bemessungsgrundlage auf die Steuersätze berücksichtigt werden, deren Streuung noch breiter zu werden droht. In Hinblick darauf könnte ein Mindeststeuersatz festgelegt werden, der knapp unter dem jeweiligen Durchschnittssatz in den neuen Mitgliedstaaten liegt.

    Q.

    Der Ausschuss empfiehlt der Kommission, die Überwachung der Steuerpraktiken in bestimmten „Steueroasen“ zu intensivieren, die möglicherweise versuchen, den Steuersystemen der Mitgliedstaaten steuerbare Vermögenswerte zu entziehen.

    Zweiter Teil — Begründung

    1.   Gegenstand der Stellungnahme

    1.1

    Die Besteuerung (die Höhe der Steuerbelastung und die erhobenen Steuerbeträge) wird oft als eines der Kriterien für die Attraktivität eines Gebietes für Industrie-, Finanz- und Handelsunternehmen genannt. Es herrscht indes keine Einigkeit über die Gewichtung dieses Kriteriums gegenüber anderen Aspekten wie Nähe des potenziellen Absatzmarktes, Produktionskosten, Verfügbarkeit qualifizierter Arbeitskräfte, öffentliche Infrastrukturen und Einrichtungen, öffentliche Beihilfen usw.

    1.2

    Die Steuersysteme sind komplex, und ein Vergleich zwischen ihnen ist keine leichte Sache. Es ist jedoch von grundlegender Bedeutung, klar beurteilen zu können, ob Behörden durch steuerliche Anreize ihre Zielsetzungen erreichen können. Außerdem muss eingeschätzt werden, welche Wirkungen ein Beschluss zur Förderung positiver industrieller Umstrukturierungen in dem jeweiligen Gebiet haben könnte und wie sie sich zu den voraussichtlichen Kosten verhalten.

    1.3

    In der vorliegenden Stellungnahme sollen Denkanstöße für die Antizipation und Bewältigung des industriellen Wandels, die im Rahmen der Zielsetzungen von Lissabon angestrebte stetige Stärkung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit und den Aufbau eines funktionierenden Binnenmarktes gegeben werden, der sich durch einen gesunden und unverfälschten — oder zumindest „zulässigen“ (mit den Binnenmarktregeln zu vereinbarenden) — Wettbewerb gekennzeichnet ist.

    2.   Steuerwettbewerb und Mobilität der Wirtschaftsfaktoren

    2.1

    Gründe für die Zunahme dieser Mobilität in der EU:

    Große Unternehmen sehen den EU-Binnenmarkt als einen einzigen Markt — ihren heimischen Markt — an;

    der elektronische Handel kennt keine nationalen Grenzen;

    sowohl bei den Produktions- als auch den Vertriebsfaktoren geht der Trend zu einer immer stärkeren Segmentierung der Wertschöpfungsketten, wobei deren einzelne Glieder immer mobiler werden (9);

    aufgrund der besseren Verkehrsinfrastruktur und der dank Frachtbündelung gesunkenen Transportkosten ist es für Unternehmen und deren Tochterbetriebe einfacher geworden, sich an unterschiedlichen Standorten niederzulassen;

    Übernahmen und Fusionen finden immer stärker in einem multinationalen Kontext statt;

    schließlich trägt die EU-Erweiterung zusätzlich zur Mobilität von Investitionen, Personen und Kapital bei;

    das höhere Bildungsniveau und die besseren Fremdsprachenkenntnisse führen zu mehr Mobilität der Bürger.

    2.2

    Die einzelnen Mitgliedstaaten nutzen sämtliche Besonderheiten bzw. die Struktur ihres jeweiligen Steuersystems, um Investitionen anzuziehen und die Ansiedlung von Betrieben zu fördern und auf diese Weise für ein höheres Beschäftigungspotenzial und eine breitere Steuerbasis zu sorgen.

    Die Steuerpflichtigen (Unternehmen und natürliche Personen) sehen sich wiederum im Ausland nach Möglichkeiten um, ihre wirtschaftliche Situation zu optimieren. Die durch die unterschiedlichen nationalen Steuersysteme geprägten Steueraufwendungen sind zwangsläufig Teil der strategischen Variablen.

    2.3

    Der beschriebene Steuerwettbewerb mit dem Ziel, für Investoren attraktiv zu sein, ist Realität und existiert auch innerhalb der einzelnen Staaten.

    2.4

    Sein Ausmaß und seine tatsächlichen Auswirkungen auf die Mobilität der Produktionsfaktoren und des Kapitals lassen sich nur schwer einschätzen. Zu diesem Thema gibt es zahlreiche Studien, in denen die Fachwelt jedoch abgesehen davon, dass bei mobilen Investitionen das Steuerkriterium nur einer der entscheidenden Faktoren für die Standortwahl ist, nicht wirklich zu einheitlichen Schlüssen gelangt. Dieser Aspekt wird im Folgenden näher ausgeführt.

    2.5

    Mit der Erweiterung von 15 auf 27 Mitgliedstaaten ist die Vielfalt innerhalb der EU zweifellos größer geworden. Die neuen Mitgliedstaaten zeichnen sich durch jeweils unterschiedliche geografische, historische, kulturelle, soziale, politische und wirtschaftliche Gegebenheiten aus. Außerdem weisen der industrielle Sektor und die Steuergesetzgebung jeweils landestypische Eigenheiten auf.

    3.   Auswirkungen der Besteuerung auf den industriellen Wandel

    a)   Besteuerung von Arbeit und Anlagekapital

    3.1

    Insgesamt beläuft sich das durchschnittliche Steueraufkommen einschließlich Sozialabgaben in der EU auf ca. 39 % des (EU-weiten) BIP. Dabei verteilen sich die Steuereinnahmen wie folgt (10):

    Körperschaftsteuer

    10 %

    Einkommensteuer der natürlichen Personen

    25 %

    Sozialversicherungsbeiträge

    26 %

    indirekte Steuern

    30 %

    andere Steuern

    9 %

    gesamtes Steueraufkommen einschließlich Sozialabgaben

    100 %

    3.2

    Bei den indirekten Steuern handelt es sich hauptsächlich um allgemeine Verbrauchsteuern, insbesondere um die auf EU-Ebene harmonisierte Mehrwertsteuer (MwSt), sowie um einige teilweise EU-weit harmonisierte Steuern und Abgaben auf bestimmte Güter und Dienstleistungen, wie z. B. die Alkohol-, die Mineralöl- oder die Tabaksteuer. Da indirekte Steuern für die Standortwahl von Unternehmen nur von zweitrangiger Bedeutung sind, konzentriert sich die vorliegende Stellungnahme in erster Linie auf die Besteuerung von Arbeit (Ziffer 3.2.1) und Anlagekapital der Unternehmen (Ziffer 3.2.2).

    3.2.1

    Die Steuern auf das Einkommen von nichtselbstständig Beschäftigten einschließlich der Sozialversicherungsbeträge machen zusammengenommen etwa die Hälfte des gesamten Steuer- und Abgabenaufkommens aus. Diese Steuern und Abgaben führen logischerweise zu einer Verteuerung des Einsatzes von Arbeitnehmern, werden sie doch direkt auf die Arbeit erhoben. Da die Arbeitskosten für die Industrie von ganz entscheidender Bedeutung sind, muss in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen werden, dass sich die Höhe der auf dem Einkommen von Arbeitnehmern lastenden Steuern und steuerähnlichen Abgaben einschließlich der Sozialversicherungsbeiträge direkt oder indirekt auf die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrieunternehmen auswirkt. Direkte Auswirkungen hat die Unternehmensbesteuerung und die Erhebung des Arbeitgeberbeitrags zur Sozialversicherung durch die öffentliche Hand. Werden die Steuern und Sozialabgaben von den Arbeitnehmern erhoben, führt dies zunächst zu einer Verringerung des Nettoeinkommens der Beschäftigten. In der Folge kann sich dies aber auch indirekt auf die Verhandlungen über die Bruttolöhne auswirken und sogar zur Abwanderung in andere Regionen führen bzw. sich negativ auf die Ansiedlung von Betrieben auswirken, die nicht im Niedriglohnbereich des verarbeitenden Gewerbes tätig sind.

    3.2.1.1

    Die Verteuerung von Arbeitskraft führt natürlich dazu, dass die Unternehmen versuchen, die Arbeitsproduktivität durch die Erhöhung der Kapitalintensität zu steigern. Dies gilt insbesondere für jene Mitgliedstaaten, in denen die Arbeitskosten am höchsten sind. Umgekehrt sind die relativen Kosten des Faktors Arbeit aber auch eine Variable (neben anderen), die Unternehmen dazu veranlassen kann, ihre arbeitsintensiven Investitionen eher in den Mitgliedstaaten mit den geringsten Arbeitskosten zu tätigen. Da die Steuern und Sozialabgaben in den Mitgliedstaaten, in denen die Löhne bzw. Gehälter von Arbeitnehmern (einschließlich der Arbeitgeberbeiträge und Steuerabgaben) über dem europäischen Durchschnitt liegen, tendenziell höher sind, trägt die steuerliche Belastung von Arbeit zu einem weiteren Auseinanderklaffen der Arbeitskosten bei und führt daher dazu, dass neue Arbeitsplätze eher in den Mitgliedstaaten mit einer günstigeren Kostenstruktur geschaffen werden.

    3.2.1.2

    Der letztlich vom Verbraucher für Industrieprodukte zu bezahlende Preis hängt natürlich von den einzelnen Kostenfaktoren ab, so auch von der Steuerlast. Indirekte Steuern werden ganz neutral beim Verkauf an den Verbraucher erhoben. Im Mitgliedstaat des Verbrauchers wird immer derselbe MwSt-Satz angewandt, unabhängig davon, ob das Produkt von einem Unternehmen mit Sitz in demselben Mitgliedstaat, in einem anderen Mitgliedstaat oder in einem Drittstaat hergestellt wurde. Die innerhalb der EU in den einzelnen Herstellungsphasen eines Produkts zu entrichtenden Steuern, insbesondere Steuern und steuerähnliche Abgaben auf Arbeit, werden hingegen ausschließlich auf einzelstaatlicher Ebene und somit am Erzeugungsort selbst fällig. Daraus folgt, dass die Verbraucher zwischen je nach Ursprungsland steuerlich stärker bzw. geringer belasteten Produkten wählen können. Abgesehen davon hätten die Verbraucher selbst dann, wenn es innerhalb der EU einheitliche Steuern und Abgaben auf Arbeit gäbe, noch immer die Wahl zwischen in der EU hergestellten, steuerlich mehr oder weniger stark belasteten Produkten und Drittlandserzeugnissen, die anders — und oftmals deutlich geringer — besteuert sind. Daher muss nicht nur die Struktur der in der EU zu entrichtenden Steuern und Abgaben auf Arbeit koordiniert werden, sondern es müssen auch die verschiedenen Aspekte im Zusammenhang mit dem Handelsaustausch zwischen der EU und dem Rest der Welt in die Analyse einbezogen werden.

    3.2.1.3

    Der Ausschuss empfiehlt der Kommission, die Überwachung der Steuerpraktiken in bestimmten „Steueroasen“ zu intensivieren, die möglicherweise versuchen, den Steuersystemen der Mitgliedstaaten steuerbare Vermögenswerte zu entziehen.

    3.2.2

    Die Besteuerung von Anlagekapital wird zunächst auf Ebene des Unternehmens und in zweiter Linie auf Ebene des Anlegers, d. h. im Wesentlichen des Anteilseigners, analysiert.

    3.2.2.1

    Die nominalen Körperschaftsteuersätze (11) schwanken von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat erheblich (s. Tabelle in Anhang 2). Belgien, Deutschland, Spanien und Malta wenden Steuersätze zwischen 34 % und 38 % an, während es in Zypern, Irland, Litauen und Lettland zwischen 10 % und 15 % sind.

    Generell sind die Steuersätze in den neuen Mitgliedstaaten viel niedriger als in den alten: Der Durchschnitt beträgt 29,5 % für die EU-15 und 20,3 % für die EU-10 (12).

    3.2.2.2

    Allerdings bieten die nominalen Steuersätze allein keinen vollständigen Indikator für die Steuerbelastung. Bei der effektiven Steuerbelastung muss auch berücksichtigt werden, wie das steuerbare Einkommen festgelegt wird und welche Methoden zur Festsetzung des Steuerbetrags angewandt werden. Daher erscheint es sinnvoll, auch den impliziten Steuersatz auf Kapital heranzuziehen, bei dem die zu Lasten der Unternehmen erhobenen Steuern mit dem Bruttobetriebsergebnis verglichen werden (13) (s. Tabelle in Anhang 3).

    3.2.2.3

    Der Unterschied zwischen den beiden Berechnungsweisen ist frappierend:

    Einige Mitgliedstaaten wenden einen sehr hohen nominalen Steuersatz an, während die steuerliche Belastung der Unternehmen offenbar verhältnismäßig gering ist.

    In anderen Mitgliedstaaten wiederum gilt ein „attraktiver“ (sehr niedriger) nominaler Steuersatz, doch die steuerliche Belastung für Unternehmen ist offenbar relativ hoch.

    Es stellt sich heraus, dass einige Mitgliedstaaten einen hohen Steuersatz auf eine schmale Besteuerungsgrundlage anwenden, andere hingegen einen niedrigeren Satz auf eine breitere Grundlage. Die effektive Steuerlast ergibt sich selbstverständlich aus beiden Variablen, so dass eine Analyse sich nicht auf die Prüfung der nominalen Steuersätze beschränken kann. Diese These wird etwa durch die Zahlen für Irland und Deutschland bestätigt (14).

    3.2.2.4

    Allein diese statistischen Angaben zeigen schon die Vielschichtigkeit der Steuerproblematik (15). Im gegenwärtigen Stadium sollen hieraus keine voreiligen Schlüsse gezogen werden, sondern es soll lediglich auf die Unterschiede zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten hingewiesen werden, die im konkreten Fall dazu führen können, dass ein Unternehmen, das eine industrielle Tätigkeit auf dem europäischen Markt ausübt, von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat mit stark variierenden Abgabenbelastungen — einschließlich der Sozialversicherungsbeiträge — konfrontiert sein kann.

    b)   Die Wertschöpfungskette des Unternehmens

    3.3

    Die kleinen und mittleren Unternehmen (KMU), vor allem diejenigen, die in Grenz- und Randgebieten der EU ansässig sind, sind immer stärker von der Globalisierung der Märkte betroffen: teils beteiligen sie sich aktiv daran, teils erleiden sie sie passiv. Diese häufig mit Privat- oder Familienkapital gegründeten KMU kommen nicht in demselben Maß in den Genuss des Steuerwettbewerbs wie die großen multinationalen Unternehmen, da sie weder über die Organisation, noch das Management, noch die Mittel, noch das erforderliche Wissen verfügen, um den größtmöglichen Nutzen aus diesem Wettbewerb zu ziehen. Die Einhaltung der unterschiedlichen einzelstaatlichen Vorschriften für Steuererklärungen, die Unterschiede bei den Bemessungsgrundlagen, Steuersätzen, Befreiungen, Abschreibungsregeln usw. bedeuten für die KMU vielmehr zusätzliche Kosten, die ihren Zugang zu ausländischen Märkten behindern. Dennoch stellt das Segment der internationalisierten (oder zu internationalisierenden) KMU eine der stärksten Wachstumskräfte für die Schaffung von Wohlstand, Mehrwert, Innovation und natürlich Arbeitsplätzen im Einklang mit dem Lissabon-Prozess dar. Es müssen Begleitmaßnahmen vorgesehen werden, um den KMU dabei zu helfen, mit diesen unterschiedlichen Vorschriften zurecht zu kommen. Sowohl Manager als auch die Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung müssen daher eine entsprechende Ausbildung erhalten.

    3.4

    Viele Unternehmen, die eine signifikante Rolle im innergemeinschaftlichen Handel spielen — und erst recht die im internationalen Handel außerhalb der EU tätigen Unternehmen — operieren im Allgemeinen auf der Grundlage eines anderen Wirtschaftsmodells, d. h.:

    Diese Unternehmen sind als Kapitalgesellschaften konstituiert und die Anteilseigner leben nicht unbedingt in der Region oder in dem Mitgliedstaat, in dem sich die Hauptniederlassung des Unternehmens befindet.

    Es handelt sich in der Regel um Mutter- und Tochtergesellschaften, die einen mehr oder weniger integrierten Konzern bilden.

    Die einzelnen Unternehmen des Konzerns sind in mehreren Mitgliedstaaten tätig, wobei

    jedes einzelne eine bestimmte Funktion ausübt und zur Wertschöpfung beiträgt, die Wertschöpfungskette klar nach den einzelnen Unternehmen segmentiert ist und jedem von ihnen eine spezifische Aufgabe innerhalb eines Gesamtkonzepts zukommt.

    3.5

    Moderne Industriekonzerne nehmen ein breites Spektrum von miteinander verzahnten Wirtschaftsfunktionen wahr (Steuerung der Wertschöpfungs- und Lieferkette, Organisation der verschiedenen Produktionsphasen, Einsatz immaterieller Aktiva wie Know-how, Patente, Warenzeichen usw.) und vermarkten ihre Produktion schließlich mit Hilfe einer auf systematischen Marktanalysen basierenden Strategie. Die Standortwahl für die einzelnen Wirtschaftsfunktionen richtet sich nach einer Gesamtlogik, zu deren Variablen die Besteuerung gehört.

    3.6

    In einer solchen Konzernstruktur sollten gleichzeitig jede juristische Einheit und der Konzern als ganzer analysiert werden. Der Konzern weist jeder dieser Einheiten nach Maßgabe der wirtschaftlichen Gegebenheiten des Marktes bestimmte Wirtschaftsfunktionen zu, um so die Effizienz und Rentabilität des Gesamtkonzerns unter einem globalen Blickwinkel zu optimieren. Es ist legitim, dass die Mitgliedstaaten ihre Steuerregelungen so ausfeilen, dass die Wirtschaftstätigkeit stimuliert wird. Ebenso legitim ist es, dass die Unternehmen die Steuerabgaben genauso behandeln wie andere Unternehmenskosten.

    3.7

    Jede juristische Einheit unterliegt dem Steuerrecht ihres Niederlassungsortes und die steuerrechtlichen Gegebenheiten werden genauso wie die übrigen Entscheidungsvariablen in das Managementkonzept für den Gesamtkonzern einbezogen.

    3.8

    Die Realität der auf den EU-Märkten tätigen Industriekonzerne ist folglich äußerst komplex. Statt sich mit der Standortfindung, Standortverlegung oder Standortverlagerung eines Konzerns zu befassen, wäre es angesichts dieser Gegebenheiten sinnvoller, eine funktionale Analyse der Industriestrukturen vorzunehmen und die Standortfaktoren zu ermitteln, die für die verschiedenen Wirtschaftsfunktionen innerhalb eines Mitgliedstaates, auf Ebene der EU oder noch über deren Grenzen hinaus entscheidend sind. Einige Wirtschaftsfunktionen sind mobiler als andere und für manche mobilen Funktionen ist die Besteuerung eher ein Standortkriterium als für andere. Auch wenn die Besteuerung eindeutig Teil der Entscheidungsvariablen ist, sollte ihre Bedeutung für die Standortwahl nicht überschätzt werden.

    4.   Rahmen für den Wettbewerb zwischen den Mitgliedstaaten im Bereich der Unternehmensbesteuerung

    4.1

    Dem Steuerwettbewerb innerhalb der Europäischen Union werden derzeit durch drei Maßnahmenserien Grenzen gezogen:

    mit dem Verhaltenskodex und dem 1997 eingeführten Mitteilungssystem für Änderungen des Steuerrechts wurde ein aktiver Dialog zwischen den Finanzministerien eingeführt, um sicherzustellen, dass gesetzliche Maßnahmen nicht zu einem schädlichen Steuerwettbewerb führen (Ziffern 4.2 bis 4.4);

    das Europäische Wettbewerbsrecht und insbesondere die Vorschriften über staatliche Beihilfen sollen verhindern, dass bestimmte Unternehmen durch die Einführung bestimmter Steuerregelungen oder die Anwendung des Steuerrechts auf konkrete Fälle in den Genuss staatlicher Beihilfen kommen, die dem reibungslosen Funktionieren des Gemeinsamen Markts zuwiderlaufen (Ziffern 4.5 bis 4.7);

    die meisten Mitgliedstaaten haben gesetzliche Maßnahmen ergriffen, die verhindern sollen, dass künstliche und missbräuchliche Strukturen geschaffen werden, die darauf abzielen, dass die Unternehmen in den Genuss steuerlicher Sonderbehandlungen kommen (Ziffer 4.8).

    4.2

    Ein rechtlich nicht bindender Verhaltenskodex hält die Mitgliedstaaten dazu an, die Grundsätze eines gesunden Steuerwettbewerbs zu achten. Vor diesem Hintergrund wurde eine Reihe steuerlicher Maßnahmen rechtlicher und administrativer Art ermittelt, die spürbare Auswirkungen auf die Standortfindung für die Wirtschaftstätigkeiten der Unternehmen in der EU haben oder haben könnten. Die betroffenen Mitgliedstaaten haben ihr Einverständnis bekundet und sind die konkrete Verpflichtung eingegangen, diese Regelungen so zu ändern, dass diejenigen Elemente, die zu schädlichem Steuerwettbewerb führen, bis spätestens 2010 (mit einigen Ausnahmen (16)) beseitigt werden.

    4.3

    Der Ausschuss begrüßt die Ergebnisse dieses Verhaltenskodexes, da die Mitgliedstaaten durch die Abschaffung der schädlichen Steuerpraktiken (17) den gesunden Steuerwettbewerb in der EU fördern und zur Vollendung des Binnenmarktes beitragen.

    Der Ausschuss ermuntert die Kommission, diese Initiative fortzusetzen, den Geltungsbereich des Verhaltenskodexes auszuweiten und bestimmte in den letzten Jahren eingeführte Steuersonderregelungen zu prüfen.

    4.4

    Parallel dazu wurde ein Mitteilungssystem zwischen den Mitgliedstaaten und der Kommission geschaffen, um zu verifizieren, dass steuerrechtliche Änderungen mit der EU-Politik übereinstimmen. Die Mitgliedstaaten haben sich verpflichtet, keine neuen steuerlichen Maßnahmen einzuführen, die als den Interessen der EU zuwiderlaufend eingestuft werden.

    4.5

    Schon der Vertrag von Rom beinhaltete Bestimmungen, die den Mitgliedstaaten untersagten, Unternehmen Beihilfen — auch in Form steuerlicher Vergünstigungen — zu gewähren, die den Wettbewerb im Gemeinsamen Markt verfälschen oder zu verfälschen drohen; außerdem übertrug er der Kommission die Zuständigkeit für die Überwachung und die Folgemaßnahmen in diesem Bereich. 1997 initiierten die im Rat „Wirtschaft und Finanzen“ vereinigten Finanzminister die Erarbeitung des Verhaltenskodex und beauftragten die Kommission somit ausdrücklich, ihre Tätigkeit auf dem Gebiet der staatlichen Beihilfen fortzusetzen und gegen Steuervorschriften der Mitgliedstaaten vorzugehen, die den vorgenannten Vertragsbestimmungen zuwiderlaufen.

    4.6

    In den letzten zehn Jahren hat die Kommission ihre Tätigkeit auf diesem Gebiet schrittweise verstärkt. Sie nahm nicht nur einen Klärungsprozess in Absprache mit den Mitgliedstaaten auf, in dessen Verlauf sie die Kriterien für ihr Vorgehen in einer Reihe von Bereichen darlegte, sondern leitete auch Schritte gegen bestimmte steuerliche Maßnahmen einiger Mitgliedstaaten ein.

    4.7

    Anders als der nicht verbindliche Verhaltenskodex, der politischen Charakter hat, sind die Rechtsvorschriften über staatliche Beihilfen rechtlich bindend. Die Kommission verfügt über große Autorität und kann das Inkraftsetzen von mit dem Gemeinsamen Markt nicht zu vereinbarenden Beihilfen untersagen, ihre Änderung verlangen und den betreffenden Mitgliedstaat sogar zwingen, solche Beihilfen wieder einzuziehen, wenn sie vor ihrem Inkrafttreten nicht angemeldet wurden. In diesem Fall müssen die begünstigten Unternehmen die ihnen gewährten Steuervergünstigungen erstatten.

    4.8

    In den meisten Mitgliedstaaten existieren Steuervorschriften, die auf die Bekämpfung der Steuerumgehung und der Verlegung von Tätigkeiten in Steueroasen abzielen. Alle Mitgliedstaaten möchten Wirtschaftstätigkeiten in ihr Gebiet lenken, auf dieser Grundlage Steuereinnahmen erzielen und verhindern, dass die steuerbaren Tätigkeiten ins Ausland verlagert werden.

    4.8.1

    Wenn das von allen Mitgliedstaaten angewandte Steuerrecht mit dem Gemeinschaftsrecht übereinstimmt, stellt sich angesichts der verschiedenen steuerlichen Maßnahmen in den einzelnen Mitgliedstaaten manchmal die Frage, ob derartige Vorschriften mit dem Binnenmarkt und dem freien Verkehr innerhalb der EU vereinbar sind. Der Europäische Gerichtshof hatte Gelegenheit, seinen diesbezüglichen Standpunkt darzulegen: Im Wesentlichen sind die Vorschriften, die auf die Bekämpfung der Steuerumgehung und der Verlagerung der Einnahmen in Steueroasen abzielen, grundsätzlich mit dem freien Verkehr innerhalb der EU unvereinbar; sie können allerdings gerechtfertigt sein, wenn sie sich darauf beschränken, die Einführung künstlicher und missbräuchlicher Strukturen unter Einhaltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu bekämpfen.

    4.9

    Der Ausschuss ist der Auffassung, dass der Bekämpfung des Steuerbetrugs Priorität eingeräumt werden muss, und verweist auf die Schlussfolgerungen der Stellungnahme, die er vor kurzem zu diesem Thema verabschiedet hat (18).

    4.10

    Artikel 93 des EG-Vertrags sieht vor, dass die „Bestimmungen zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften über die Umsatzsteuern (…), soweit diese Harmonisierung für die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes (…) notwendig ist“, vom Rat einstimmig erlassen werden.

    4.11

    Die Europäische Kommission hat mehrere interessante Initiativen eingeleitet, deren Ziel die Vollendung des Binnenmarktes durch Maßnahmen auf dem Gebiet der Unternehmensbesteuerung ist. Insbesondere hat die Kommission am 3. Mai 2007 bestätigt, dass sie ihre Arbeiten mit Blick auf die Einführung einer gemeinsamen konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (GKKB) fortsetzt. Das für Steuern zuständige Mitglied der Kommission plant, im ersten Halbjahr 2008 einen Richtlinienvorschlag vorzulegen, dem zufolge die GKKB ab 2010 anzuwenden wäre. Der Ausschuss teilt die Überzeugung der Kommission, dass die GKKB einen bedeutenden Beitrag zum Erfolg des Binnenmarktes darstellen kann, auch wenn sie mehr Transparenz und damit einen aktiveren Steuerwettbewerb mit sich bringt. Der Ausschuss fordert die Kommission auf, ihre Arbeiten trotz der Vielschichtigkeit der Probleme fortzusetzen. Im gegenwärtigen Stadium scheint es jedoch verfrüht, ausführlicher zu diesem Projekt Stellung zu nehmen, zumal die Kommission noch kein detailliertes Modell für die Festlegung der gemeinsamen konsolidierten Bemessungsgrundlage und für die Einführung eines auf Ebene der 27 EU-Mitgliedstaaten konsolidierten Besteuerungssystems vorgelegt hat. Nichtsdestoweniger hat der Ausschuss eine Reihe von Überlegungen im Hinblick auf die geplante GKKB zur Besteuerung von Unternehmen angestellt und in diesem Zusammenhang einige Fragen aufgeworfen.

    5.   Überlegungen und Fragen des Ausschusses zu der gemeinsamen konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (GKKB)

    5.1

    Da die Anwendung der GKKB für die Mitgliedstaaten möglicherweise fakultativ (und wahrscheinlich das Ergebnis einer verstärkten Zusammenarbeit) sein wird, würde es der Ausschuss begrüßen, wenn sie von möglichst vielen Mitgliedstaaten übernommen würde, und zwar auch dann, wenn Übergangsbestimmungen vorgesehen werden müssen.

    5.2

    Wenn die Unternehmen zwischen der Anwendung bzw. Nichtanwendung der geplanten GKKB wählen können, bedeutet das für die Mitgliedstaaten, die diese Möglichkeit vorsehen, dass ihre Verwaltungen mit zwei verschiedenen Systemen der Steuererklärung und Steuerberechnung arbeiten müssten. Ist dies denkbar zu einem Zeitpunkt, zu dem sich die meisten Mitgliedstaaten um eine Steigerung der Produktivität ihrer öffentlichen Dienste bemühen?

    5.3

    Gesetzt den Fall, multinationale Unternehmen entscheiden sich für die Anwendung der geplanten GKKB, besteht dann nicht die Gefahr der Ungleichbehandlung (Formalitäten, Buchführungs- und Steuerregelungen) zwischen den Unternehmen innerhalb eines Mitgliedstaats, der die Anwendung der GKKB zulässt?

    5.4

    Sollte in Anbetracht der beiden vorgenannten Punkte nicht die Auffassung vertreten werden, dass innerhalb eines Mitgliedstaates ein einheitliches System schrittweise auf sämtliche Steuerpflichtigen angewandt werden sollte?

    5.5

    Wenn die geplante GKKB mehr Transparenz schaffen soll, muss die deklarative Bemessungsgrundlage dann einem zwischenstaatlichen Gremium übertragen werden?

    5.6

    Mit der geplanten GKKB werden sich die in den Bemessungsgrundlagen verborgenen Steuerberechnungsunterschiede auf die Steuersätze in den Mitgliedstaaten niederschlagen, die sich für die GKKB entschieden haben. Wird die Anwendung einer gemeinsamen Bemessungsgrundlage nicht zu einer noch breiteren Streuung der Sätze (zumindest der Nominalsätze) führen? Der Steuerwettbewerb bei der Festsetzung der „sichtbaren“ Sätze droht härter zu werden. Eine Studie der Kommission (von 2001) hat gezeigt, dass in erster Linie die Streuung der Nominalsätze für die durch den Steuerwettbewerb verursachten wirtschaftlichen Verzerrungen verantwortlich war.

    5.7

    Könnte in dem Fall, dass (entgegen der in der letzten Zeit beobachteten Tendenz zur Annäherung) der Abstand bei den Steuersätzen zwischen den Staaten, die sich für die GKKB entschieden haben, fortbesteht bzw. noch zunimmt, die Festsetzung eines Mindeststeuersatzes in den betreffenden Mitgliedstaaten vorgesehen werden? Dieser Satz könnte knapp unter demjenigen liegen, der z. B. von den neuen Mitgliedstaaten angesetzt wird. Für die betreffenden Länder würde sich im Hinblick auf den Zustrom von ausländischem Kapital nichts ändern. Die anderen Mitgliedstaaten könnten einen höheren Steuersatz festsetzen, ohne befürchten zu müssen, dass andere Staaten durch eine zu aggressive Steuerpolitik ihr Wirtschaftskapital gefährden.

    Brüssel, den 13. Dezember 2007

    Der Präsident

    des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Dimitris DIMITRIADIS


    (1)  Steuerwettbewerb liegt nach der Definition der OECD dann vor, wenn sich die Entscheidungen einer )(nationalen, regionalen oder lokalen) Verwaltung unmittelbar auf den Handlungsspielraum anderer Verwaltungen auswirken und sich die Marktmechanismen als unzureichend erweisen, um diese Interaktion zu regeln (nähere Einzelheiten siehe Anhang 1).

    (2)  Schädliche Steuerpraktiken werden im Verhaltenskodex für die Unternehmensbesteuerung allgemein als Maßnahmen definiert, „die einen merklichen Einfluss auf die Standortwahl von Unternehmen innerhalb der Europäischen Union haben oder haben können“. Als „potenziell schädliche Maßnahmen“ werden in dem Kodex jene Maßnahmen bezeichnet, die „gemessen an den üblicherweise in dem betreffenden Mitgliedstaat geltenden Besteuerungsniveaus eine deutlich niedrigere Effektivbesteuerung“ — bis hin zur Nullbesteuerung — bewirken

    (siehe http://ec.europa.eu/taxation_customs/taxation/company_tax/harmful_tax_practices/index_de.htm).

    (3)  ABl. C 93 vom 27.4.2007.

    (4)  Doppelte Nichtbesteuerung kann das Ergebnis fehlender Abstimmung der einzelstaatlichen Steuersysteme sein, „z. B. auch in Bezug auf die Einstufung von Fremd- und Eigenkapital in den einzelnen Mitgliedstaaten (…) So kann in einem Mitgliedstaat ein Vorgang als Erhöhung des Eigenkapitals angesehen werden, so dass der daraus entstehende Kapitalertrag als nicht steuerpflichtig betrachtet wird, während er in einem anderen Mitgliedstaat als Darlehen behandelt wird und die Zinsen von dem betreffenden Unternehmen steuermindernd geltend gemacht werden können. Dies kann dazu führen, dass in einem Mitgliedstaat ein Abzug erfolgt, ohne dass es in einem anderen Mitgliedstaat zu einer entsprechenden Besteuerung kommt. Ein anderer Bereich betrifft die Verwendung“ hybrider „Rechtsformen, also von Rechtsformen, die in einem Mitgliedstaat als (nicht transparente) Kapitalgesellschaft und in einem anderen als (transparente) Personengesellschaft angesehen werden; diese unterschiedliche Einstufung durch die einzelnen Mitgliedstaaten kann zu doppelten Steuerbefreiungen bzw. zum doppelten Steuerabzug führen“ (Quelle: Mitteilung der Kommission zum Thema „Koordinierung der Regelungen der Mitgliedstaaten zu den direkten Steuern im Binnenmarkt“ KOM(2006) 823 endg., Ziffer 3).

    (5)  Stellungnahme zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat, an das Europäische Parlament und an den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss hinsichtlich der Notwendigkeit der Entwicklung einer koordinierten Strategie zur Verbesserung der Bekämpfung des Steuerbetruges“ABl C 161 vom 13.7.2007, S. 8.

    (6)  Abrufbar unter http://ec.europa.eu/taxation_customs/taxation/company_tax/harmful_tax_practices/index_de.htm (siehe auch Anlage 4).

    (7)  Siehe die jüngste Mitteilung der Kommission „Umsetzung des Programms der Gemeinschaft für mehr Wachstum und Beschäftigung und eine Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit von EU-Unternehmen: Weitere Fortschritte im Jahr 2006 und nächste Schritte zu einem Vorschlag einer gemeinsamen konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (GKKB)“, KOM(2007) 223 endg. vom 2.5.2007.

    (8)  ECO/165 — CESE 241/2006, ABl. C 88 vom 11.4.2006.

    (9)  Siehe die EWSA-Stellungnahme „Entwicklung der Wertschöpfungs- und Lieferketten: europäische und globale Tendenzen“ (CCMI/037 — ABl C 168 vom 20.7.2007, S. 7).

    (10)  Quelle: OECD, „Revenue Statistics 1965-2005, 2006 Edition“. Die Daten beziehen sich auf die EU-15.

    (11)  Der Regelsteuersatz ist der gesetzlich vorgeschriebene Steuersatz.

    Der effektive Steuersatz ist der unter Berücksichtigung sämtlicher Steuerfreibeträge bzw. -zahlungen von einer natürlichen Person oder einem Unternehmen zu entrichtende Steuerbetrag dividiert durch das Gesamteinkommen bzw. die steuerpflichtigen Einkünfte der Person bzw. des Unternehmens.

    Implizite Steuersätze (iStS) werden für die verschiedenen Sektoren wirtschaftlicher Aktivität errechnet. Dabei werden die Gesamtsteuereinnahmen in den einzelnen Bereichen (Konsum, Arbeit und Kapital) auf der Grundlage der gesamtwirtschaftlichen Produktions- und Einkommenskonten als Prozentsatz der möglichen Bemessungsgrundlage ausgedrückt.

    Der globale implizite Steuersatz auf Kapital drückt die Gesamteinnahmen aus Kapitalsteuern als Prozentsatz sämtlicher (prinzipiell) steuerpflichtiger Kapital- und Unternehmensgewinne in der Gesamtwirtschaft aus. Er soll die durchschnittliche Steuerbelastung von Kapitaleinkommen verdeutlichen.

    (Die vorstehenden Definitionen stammen aus: Europäische Kommission, GD Steuern und Zollunion: Structures of the taxation systems in the EU, 1995-2004 — Anm. d. Ü.: nur in engl. Sprache verfügbar).

    In den Anlagen 2 und 3 ist je eine Tabelle mit den Regelsteuersätzen und den impliziten Steuersätzen auf Kapital in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten wiedergegeben. Aufgrund von Unterschieden bei den Berechnungsmethoden kann für die effektiven Steuersätze keine Vergleichstabelle erstellt werden.

    (12)  Quelle: Europäische Kommission, Structures of the taxation system in the European Union: 1995-2004, S. 83 (Dok. TAXUD E4/2006/DOC/3201). Zu Bulgarien und Rumänien sind derzeit keine Daten verfügbar.

    (13)  Genauere methodische Analyse und detaillierte Präsentation der Daten: a.a.O., S. 84 ff.

    (14)  Was Deutschland und Irland betrifft, so scheint ein weiterer Indikator das oben beschriebene Paradox zu bestätigen. So macht die Kapitalsteuer in Deutschland 15 % der gesamten Steuerlast aus, während es in Irland 28 % sind (Quelle: Structures of the taxation systems in the EU, 1995-2004, European Commission, table C.3_T).

    (15)  Im Rahmen dieser Stellungnahme ist es nicht möglich, die betreffenden Daten aller Mitgliedstaaten auszuwerten und für jeden Mitgliedstaat nach der genauen Erklärung zu suchen oder die statistischen Indikatoren mit anderen Datengrundlagen abzugleichen.

    (16)  Für einige Regelungen wurden Fristen festgesetzt, die bis 2016 reichen können.

    (17)  Siehe Definition des Begriffs in Fußnote 2.

    (18)  Stellungnahme zu der „Mitteilung der Kommission an den Rat, an das Europäische Parlament und an den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss hinsichtlich der Notwendigkeit der Entwicklung einer koordinierten Strategie zur Verbesserung der Bekämpfung des Steuerbetruges“ (ECO/187 — ABl C 161 vom 13.7.2008, S. 8).


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