15.4.2011   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

L 101/1


RICHTLINIE 2011/36/EU DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES

vom 5. April 2011

zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2002/629/JI des Rates

DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION —

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf Artikel 82 Absatz 2 und Artikel 83 Absatz 1,

auf Vorschlag der Europäischen Kommission,

nach Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses (1),

nach Anhörung des Ausschusses der Regionen,

nach Zuleitung des Entwurfs des Gesetzgebungsakts an die nationalen Parlamente,

gemäß dem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren (2),

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)

Menschenhandel ist eine schwere Straftat, die häufig im Rahmen der organisierten Kriminalität begangen wird und bei der es sich um einen schwerwiegenden Verstoß gegen die Grundrechte handelt, der in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausdrücklich verboten ist. Die Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels ist für die Union und die Mitgliedstaaten ein vorrangiges Ziel.

(2)

Diese Richtlinie ist Teil umfassender Maßnahmen zur Bekämpfung des Menschenhandels, die Maßnahmen in Zusammenarbeit mit Drittstaaten umfassen, wie dies in dem vom Rat am 30. November 2009 angenommenen Dokument mit dem Titel: „Maßnahmenorientiertes Papier zur Stärkung der externen Dimension der Union in Bezug auf Maßnahmen zur Bekämpfung des Menschenhandels: Auf dem Weg zu globalen Maßnahmen der EU gegen den Menschenhandel“ festgehalten ist. In diesem Zusammenhang sollten in den Herkunfts- und Transferdrittstaaten der Opfer die Maßnahmen im Hinblick auf die Sensibilisierung, die Verringerung der Gefährdung, die Unterstützung und Betreuung der Opfer, die Bekämpfung der Ursachen des Menschenhandels sowie die Unterstützung dieser Drittstaaten bei der Ausarbeitung geeigneter Rechtsvorschriften zur Bekämpfung des Menschenhandels weitergeführt werden.

(3)

Diese Richtlinie trägt dem Umstand Rechnung, dass Menschenhandel ein geschlechterspezifisches Phänomen ist und dass Frauen und Männer von Menschenhändlern oft zu unterschiedlichen Zwecken gehandelt werden. Aus diesem Grund sollten auch die Unterstützungs- und Betreuungsmaßnahmen, sofern angebracht, geschlechterspezifisch angelegt sein. Die Schub- und Sogfaktoren können je nach den betroffenen Sektoren unterschiedlich sein, wie zum Beispiel beim Menschenhandel zur Ausbeutung in der Sexindustrie oder zur Ausbeutung der Arbeitskraft zum Beispiel in der Bauindustrie, im Agrarsektor oder im häuslichen Bereich.

(4)

Die Union hat sich der Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels sowie dem Schutz der Rechte der Opfer von Menschenhandel verpflichtet. Daher wurden der Rahmenbeschluss 2002/629/JI des Rates vom 19. Juli 2002 zur Bekämpfung des Menschenhandels (3) und ein EU-Plan über bewährte Vorgehensweisen, Normen und Verfahren zur Bekämpfung und Verhütung des Menschenhandels (4) angenommen. Außerdem wird der Bekämpfung des Menschenhandels in dem vom Europäischen Rat angenommenen Stockholmer Programm — Ein offenes und sicheres Europa im Dienste und zum Schutz der Bürger (5) eindeutige Priorität eingeräumt. Andere Maßnahmen sollten in Betracht gezogen werden, wie die Förderung der Entwicklung allgemeiner gemeinsamer Indikatoren der Union für die Ermittlung von Opfern des Menschenhandels durch den Austausch bewährter Verfahren zwischen allen einschlägigen Akteuren, insbesondere öffentlichen und privaten Sozialdiensten.

(5)

Die Vollzugsbehörden der Mitgliedstaaten sollten weiter zusammenarbeiten, um die Bekämpfung des Menschenhandels zu verstärken. In dieser Hinsicht ist eine enge grenzüberschreitende Zusammenarbeit, einschließlich des Austauschs von Informationen und bewährter Verfahren sowie eines kontinuierlichen offenen Dialogs zwischen den Polizei-, Justiz- und Finanzbehörden der Mitgliedstaaten, von wesentlicher Bedeutung. Die Koordinierung der Ermittlungen und der Verfolgung bei Menschenhandelsdelikten sollte durch eine verstärkte Zusammenarbeit mit Europol und Eurojust, die Einsetzung gemeinsamer Ermittlungsgruppen sowie die Umsetzung des Rahmenbeschlusses 2009/948/JI des Rates vom 30. November 2009 zur Vermeidung und Beilegung von Kompetenzkonflikten in Strafverfahren erleichtert werden (6).

(6)

Die Mitgliedstaaten sollten Organisationen der Zivilgesellschaft, einschließlich anerkannte und in diesem Bereich tätige Nichtregierungsorganisationen, die mit Opfern von Menschenhandel arbeiten, insbesondere bei Initiativen zur Politikgestaltung, bei Informations- und Sensibilisierungskampagnen, Forschungs- und Bildungsprogrammen und bei der Schulung sowie bei der Überwachung und Bewertung der Wirkungen von Maßnahmen zur Bekämpfung des Menschenhandels, ermutigen und eng mit ihnen zusammenarbeiten.

(7)

Diese Richtlinie sieht ein integriertes, ganzheitliches und menschenrechtsbasiertes Vorgehen bei der Bekämpfung des Menschenhandels vor, und bei der Umsetzung sollten die Richtlinie 2004/81/EG des Rates vom 29. April 2004 über die Erteilung von Aufenthaltstiteln für Drittstaatsangehörige, die Opfer des Menschenhandels sind oder denen Beihilfe zur illegalen Einwanderung geleistet wurde und die mit den zuständigen Behörden kooperieren (7) und die Richtlinie 2009/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über Mindeststandards für Sanktionen und Maßnahmen gegen Arbeitgeber, die Drittstaatsangehörige ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigen (8), berücksichtigt werden. Eine rigorosere Prävention und Strafverfolgung sowie der Schutz der Rechte der Opfer sind vorrangige Ziele der Richtlinie. Diese Richtlinie enthält auch ein situationsabhängiges Verständnis der unterschiedlichen Formen des Menschenhandels und bezweckt, dass jede Form des Menschenhandels mit den effizientesten Mitteln bekämpft wird.

(8)

Kinder sind schutzbedürftiger als Erwachsene und daher stärker gefährdet, Opfer von Menschenhandel zu werden. Bei der Anwendung der Richtlinie muss das Wohl des Kindes entsprechend der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und dem UN-Übereinkommen über die Rechte des Kindes von 1989 eine vorrangige Erwägung sein.

(9)

Das Protokoll der Vereinten Nationen von 2000 zur Verhütung, Bekämpfung und Bestrafung des Menschenhandels, insbesondere des Frauen- und Kinderhandels, zum Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität und das Übereinkommen des Europarats von 2005 zur Bekämpfung des Menschenhandels haben die internationale Zusammenarbeit im Kampf gegen den Menschenhandel entscheidend vorangebracht. Das Übereinkommen des Europarats sieht einen Bewertungsmechanismus vor, der aus der Expertengruppe für die Bekämpfung des Menschenhandels (GRETA) und dem Ausschuss der Vertragsparteien besteht. Die Koordinierung zwischen den internationalen Organisationen mit Zuständigkeit für Maßnahmen zur Bekämpfung des Menschenhandels sollte unterstützt werden, um Doppelarbeit zu vermeiden.

(10)

Diese Richtlinie gilt unbeschadet des Grundsatzes der Nichtzurückweisung gemäß dem Abkommen von 1951 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Abkommen) und steht im Einklang mit Artikel 4 und Artikel 19 Absatz 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union.

(11)

Damit jüngsten Entwicklungen des Menschenhandels Rechnung getragen wird, ist in dieser Richtlinie das Konzept dafür, was unter Menschenhandel zu verstehen ist, weiter gefasst als im Rahmenbeschluss 2002/629/JI des Rates; diese Richtlinie erfasst daher zusätzliche Formen der Ausbeutung. Im Rahmen dieser Richtlinie sind Betteltätigkeiten als eine Form der Zwangsarbeit oder der erzwungenen Dienstleistung im Sinne des Übereinkommens Nr. 29 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) von 1930 über Zwangs- oder Pflichtarbeit zu verstehen. Die Ausbeutung für Betteltätigkeiten, wozu auch der Einsatz abhängiger Opfer des Menschenhandels als Bettler gehört, erfüllt daher nur dann die Definition des Menschenhandels, wenn alle Merkmale der Zwangsarbeit oder der erzwungenen Dienstleistung vorhanden sind. Vor dem Hintergrund der einschlägigen Rechtsprechung sollte die Gültigkeit einer möglichen Zustimmung zur Leistung eines solchen Dienstes in jedem Einzelfall geprüft werden. Geht es jedoch um ein Kind, so sollte die mögliche Zustimmung in keinem Fall als gültig betrachtet werden. Der Ausdruck „Ausnutzung strafbarer Handlungen“ sollte als Ausnutzung einer Person zur Begehung unter anderem von Taschendiebstahl, Ladendiebstahl, Drogenhandel und sonstigen ähnlichen Handlungen verstanden werden, die unter Strafe stehen und der Erzielung eines finanziellen Gewinns dienen. Die Definition umfasst auch den Menschenhandel zum Zwecke der Organentnahme, der eine schwere Verletzung der Menschenwürde und körperlichen Unversehrtheit darstellt, sowie beispielsweise andere Verhaltensweisen wie illegale Adoption oder Zwangsheirat, soweit diese die Tatbestandsmerkmale des Menschenhandels erfüllen.

(12)

An der Höhe der Strafen in dieser Richtlinie lässt sich die zunehmende Sorge der Mitgliedstaaten angesichts der Entwicklung des Menschenhandels erkennen. Aus diesem Grund werden in dieser Richtlinie die in den Schlussfolgerungen des Rates vom 24./25. April 2002 über einen Ansatz zur Angleichung der Strafen aufgeführten Niveaus 3 und 4 als Grundlage herangezogen. Ist das Opfer der Straftat beispielsweise besonders schutzwürdig und wurde die Straftat unter bestimmten Umständen begangen, sollte eine strengere Strafe verhängt werden. Im Kontext dieser Richtlinie sollten besonders schutzbedürftige Personen zumindest alle Kinder umfassen. Andere Faktoren, die bei der Beurteilung der Schutzbedürftigkeit eines Opfers berücksichtigt werden könnten, sind beispielsweise das Geschlecht, eine Schwangerschaft, der Gesundheitszustand und Behinderung. Wenn es sich um eine besonders schwere Straftat handelt, beispielsweise wenn das Leben des Opfers gefährdet wurde oder die Straftat unter Anwendung schwerer Gewalt wie Folter, erzwungener Drogen-/Arzneimittelkonsum, Vergewaltigung oder anderer schwerwiegender Formen der psychischen, körperlichen oder sexuellen Gewalt begangen wurde oder dem Opfer auf sonstige Weise ein besonders schwerer Schaden zugefügt wurde, so sollte sich auch dies in einer strengeren Strafe niederschlagen. Wird nach dieser Richtlinie auf die Übergabe verwiesen, so sollte dieser Verweis im Einklang mit dem Rahmenbeschluss 2002/584/JI des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten (9) ausgelegt werden. Die Schwere der begangenen Straftat könnte im Rahmen der Urteilsvollstreckung berücksichtigt werden.

(13)

Bei der Bekämpfung des Menschenhandels sollte von den bestehenden Rechtsinstrumenten zur Beschlagnahme und Einziehung von Erträgen aus Straftaten in vollem Umfang Gebrauch gemacht werden, wie dem Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität und seinen Zusatzprotokollen, dem Übereinkommen des Europarates von 1990 über Geldwäsche sowie Ermittlung, Beschlagnahme und Einziehung von Erträgen aus Straftaten, dem Rahmenbeschluss 2001/500/JI des Rates vom 26. Juni 2001 über Geldwäsche sowie Ermittlung, Einfrieren, Beschlagnahme und Einziehung von Tatwerkzeugen und Erträgen aus Straftaten (10) sowie dem Rahmenbeschluss 2005/212/JI des Rates vom 24. Februar 2005 über die Einziehung von Erträgen, Tatwerkzeugen und Vermögensgegenständen aus Straftaten (11). Die Verwendung beschlagnahmter und eingezogener Tatwerkzeuge und der Erträge aus den in dieser Richtlinie genannten Straftaten zur Unterstützung und zum Schutz der Opfer, einschließlich der Entschädigung der Opfer und grenzüberschreitender Strafverfolgungsmaßnahmen der Union zur Bekämpfung des Menschenhandels, sollte gefördert werden.

(14)

Die Opfer des Menschenhandels sollten im Einklang mit den Grundprinzipien der Rechtsordnung der betreffenden Mitgliedstaaten vor strafrechtlicher Verfolgung oder Bestrafung wegen strafbarer Handlungen wie der Verwendung falscher Dokumente oder Verstößen gegen die Prostitutions- oder Einwanderungsgesetze geschützt werden, zu denen sie als unmittelbare Folge davon, dass sie dem Menschenhandel ausgesetzt waren, gezwungen wurden. Mit diesem Schutz wird das Ziel verfolgt, die Menschenrechte der Opfer zu schützen, ihre weitere Viktimisierung zu vermeiden und sie dazu zu ermutigen, in Strafverfahren als Zeugen gegen die Täter auszusagen. Dieser Schutz sollte eine strafrechtliche Verfolgung oder Bestrafung wegen Straftaten nicht ausschließen, die eine Person willentlich begangen hat oder an denen sie willentlich teilgenommen hat.

(15)

Damit die Ermittlungen und die Strafverfolgung bei Menschenhandelsdelikten erfolgreich durchgeführt werden können, sollte deren Einleitung grundsätzlich nicht von der Anzeige oder Anklage durch das Opfer abhängig gemacht werden. Soweit dies aufgrund des Charakters der Tat erforderlich ist, sollte die Strafverfolgung während eines hinreichend langen Zeitraums nach Eintritt der Volljährigkeit des Opfers möglich sein. Die Dauer des hinreichend langen Zeitraums für die Verfolgung sollte jeweils nach dem nationalen Recht bestimmt werden. Strafverfolgungsbeamte und Staatsanwälte sollten Schulungen erhalten, die insbesondere zu einer besseren internationalen Zusammenarbeit der Strafverfolgungs- und Justizbehörden beitragen sollten. Die für strafrechtliche Ermittlungen oder die Strafverfolgung zuständigen Stellen sollten auch Zugriff auf die Ermittlungsinstrumente haben, die bei der Bekämpfung organisierter Kriminalität oder sonstigen Fällen schwerer Kriminalität verwendet werden. Zu diesen Instrumenten könnten unter anderem die Überwachung des Telekommunikationsverkehrs, die verdeckte Überwachung einschließlich elektronischer Überwachung, die Überwachung von Kontobewegungen oder sonstige Finanzermittlungen gehören.

(16)

Zur Gewährleistung einer effizienten Strafverfolgung international organisierter krimineller Gruppen, deren kriminelle Aktivitäten schwerpunktmäßig in einem Mitgliedstaat liegen und die Menschenhandel in Drittstaaten betreiben, sollte der betreffende Mitgliedstaat seine gerichtliche Zuständigkeit für Menschenhandelsdelikte begründen, bei denen der Täter die Staatsangehörigkeit dieses Mitgliedstaats besitzt und die Straftat außerhalb des Hoheitsgebiets dieses Mitgliedstaats begangen wird. Gleichermaßen könnte die gerichtliche Zuständigkeit für Straftaten begründet werden, bei denen der Täter seinen gewöhnlichen Aufenthalt in einem Mitgliedstaat hat, das Opfer die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzt oder seinen gewöhnlichen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat hat oder die Straftat zugunsten einer im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats ansässigen juristischen Person verübt wird und bei denen die Tat außerhalb des Hoheitsgebiets des betreffenden Mitgliedstaats begangen wird.

(17)

Während die Richtlinie 2004/81/EG die Erteilung von Aufenthaltstiteln für Drittstaatsangehörige, die Opfer von Menschenhandel sind, vorsieht, und die Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über die Ausübung des Rechts der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (12), die Ausübung des Rechts der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, einschließlich des Schutzes vor Ausweisung, regelt, legt diese Richtlinie spezifische Schutzmaßnahmen für die Opfer von Menschenhandel fest. Diese Richtlinie geht daher nicht auf die Bedingungen für den Aufenthalt der Opfer von Menschenhandel im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten ein.

(18)

Es ist erforderlich, dass die Opfer des Menschenhandels in der Lage sind, ihre Rechte wirksam in Anspruch zu nehmen. Daher sollte ihnen vor, während und für einen angemessenen Zeitraum nach dem Strafverfahren Unterstützung und Betreuung zur Verfügung stehen. Die Mitgliedstaaten sollten Ressourcen für die Unterstützung, die Betreuung und den Schutz der Opfer bereitstellen. Die den Opfern gewährte Unterstützung und Betreuung sollte wenigstens ein Mindestpaket von Maßnahmen umfassen, die notwendig sind, damit das Opfer sich erholen und dem Einfluss der Menschenhändler entziehen kann. Bei der praktischen Umsetzung dieser Maßnahmen sollte auf der Grundlage einer gemäß den nationalen Verfahren durchgeführten Einzelbewertung der Situation, dem kulturellen Hintergrund und den Bedürfnissen der betreffenden Person Rechnung getragen werden. Einer Person sollte Unterstützung und Betreuung zuteil werden, sobald berechtigter Grund zu der Annahme besteht, dass sie möglicherweise dem Menschenhandel ausgesetzt war, unabhängig davon, ob sie bereit ist, als Zeuge auszusagen. In Fällen, in denen das Opfer sich nicht rechtmäßig in dem betreffenden Mitgliedstaat aufhält, sollten die Unterstützung und Betreuung ohne Vorbedingung zumindest während der Bedenkzeit gewährt werden. Falls das Opfer nach Abschluss der Identifizierung oder nach Ablauf der Bedenkzeit nicht für einen Aufenthaltstitel in Frage kommt und auch ansonsten keinen rechtmäßigen Aufenthalt in dem betreffenden Mitgliedstaat hat oder falls das Opfer das Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats verlassen hat, ist der betreffende Mitgliedstaat nicht verpflichtet, dieser Person auf der Grundlage dieser Richtlinie weiterhin Unterstützung und Betreuung zu gewähren. Erforderlichenfalls sollten in Anbetracht der Umstände wie etwa des Umstands, dass das Opfer zur Zeit wegen der ernsten körperlichen oder psychischen Folgen der Straftat medizinisch behandelt wird oder dass die Sicherheit des Opfers aufgrund der Aussagen des Opfers im Strafverfahren gefährdet ist, die Unterstützung und Betreuung für einen angemessenen Zeitraum nach Abschluss des Strafverfahrens fortgesetzt werden.

(19)

Mit dem Rahmenbeschluss 2001/220/JI des Rates vom 15. März 2001 über die Stellung des Opfers im Strafverfahren (13) sind eine Reihe von Opferrechten im Strafverfahren, einschließlich des Rechtes auf Schutz und Entschädigung, festgelegt worden. Darüber hinaus sollten Opfer des Menschenhandels unverzüglich Zugang zu Rechtsberatung sowie — im Einklang mit der Stellung von Opfern in der betreffenden Rechtsordnung — zu rechtlicher Vertretung, auch zum Zweck der Geltendmachung einer Entschädigung, erhalten. Dieser rechtliche Beistand und diese rechtliche Vertretung könnten von den zuständigen Behörden auch zur Geltendmachung einer Entschädigung durch den Staat angeboten werden. Zweck der Rechtsberatung ist es, den Opfern zu ermöglichen, sich über die verschiedenen ihnen offen stehenden Möglichkeiten informieren und beraten zu lassen. Rechtsberatung sollte von Personen geleistet werden, die eine ausreichende rechtliche Ausbildung erhalten haben, ohne dass sie unbedingt Juristen sein müssen. Die Rechtsberatung sowie — im Einklang mit der Stellung von Opfern in der betreffenden Rechtsordnung — die rechtliche Vertretung sollten zumindest dann, wenn das Opfer nicht über ausreichende Mittel verfügt, unentgeltlich und in einer Weise zur Verfügung gestellt werden, die mit den internen Verfahren der Mitgliedstaaten im Einklang steht. Da insbesondere Opfer im Kindesalter wahrscheinlich über keine solchen finanziellen Mittel verfügen, würden für sie die Rechtsberatung und rechtliche Vertretung in der Praxis unentgeltlich erfolgen. Darüber hinaus sollten die Opfer auf der Grundlage einer gemäß den nationalen Verfahren durchgeführten individuellen Risikobewertung vor Vergeltung, Einschüchterung und der Gefahr, erneut Opfer des Menschenhandels zu werden, geschützt werden.

(20)

Die Opfer des Menschenhandels, die die Folgen des Missbrauchs und der erniedrigenden Behandlung wie sexuelle Ausbeutung, sexueller Missbrauch, Vergewaltigung, sklavereiähnliche Praktiken oder die Organentnahme, die gewöhnlich mit der Straftat des Menschenhandels einhergehen, zu tragen haben, sollten vor sekundärer Viktimisierung und einem weiteren Trauma während des Strafverfahrens geschützt werden. Unnötige Wiederholungen von Vernehmungen während der Ermittlungen, der Strafverfolgung und des Gerichtsverfahrens sollten vermieden werden, indem beispielsweise, sofern angebracht, Videoaufzeichnungen dieser Vernehmungen in einer möglichst frühen Stufe des Verfahrens angefertigt werden. Opfer von Menschenhandel sollten daher während der strafrechtlichen Ermittlungen und Verfahren eine geeignete Betreuung erhalten, bei der jeweils ihre individuellen Bedürfnisse zugrunde gelegt werden. Bei der Einschätzung ihrer individuellen Bedürfnisse sollten Umstände wie ihr Alter, die Möglichkeit einer Schwangerschaft, ihr Gesundheitszustand, eine mögliche Behinderung oder sonstige persönliche Gegebenheiten sowie die körperlichen und psychischen Folgen der strafbaren Handlung, der das Opfer ausgesetzt war, berücksichtigt werden. Ob und wie die Behandlung erfolgt, ist von Fall zu Fall im Einklang mit den durch das nationale Recht, richterliches Ermessen, Gepflogenheiten oder Leitlinien festgelegten Grundlagen zu entscheiden.

(21)

Unterstützungs- und Betreuungsmaßnahmen sollten zur Verfügung gestellt werden, nachdem die Opfer über die Maßnahmen aufgeklärt wurden und ihr Einverständnis dazu gegeben haben. Die Opfer sollten daher über die wichtigen Aspekte dieser Maßnahmen informiert werden; diese sollten den Opfern nicht aufgezwungen werden. Weist ein Opfer die Unterstützungs- oder Betreuungsmaßnahmen zurück, so sollten die zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaats deshalb nicht verpflichtet sein, alternative Maßnahmen für das Opfer bereitzustellen.

(22)

Jeder Mitgliedstaat sollte gewährleisten, dass neben den für alle Opfer des Menschenhandels vorgesehenen Maßnahmen besondere Hilfs-, Betreuungs- und Schutzmaßnahmen für Opfer im Kindesalter zur Verfügung stehen. Diese Maßnahmen sollten dem Wohl des Kindes Rechnung tragen und im Einklang mit dem Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes von 1989 stehen. Kann das Alter einer dem Menschenhandel ausgesetzten Person nicht festgestellt werden und besteht Grund zu der Annahme, dass diese Person unter 18 Jahre alt ist, so sollte sie als Kind eingestuft werden und unmittelbar Unterstützung, Betreuung und Schutz erhalten. Die Unterstützungs- und Betreuungsmaßnahmen für Opfer im Kindesalter sollten auf deren körperliche und psychisch-soziale Rehabilitation und auf eine dauerhafte Lösung für die betreffende Person abzielen. Zugang zur Bildung würde Kindern helfen, sich wieder in die Gesellschaft zu integrieren. Angesichts der besonderen Gefährdung von Kindern, die Opfer von Menschenhandel sind, sollten für sie zusätzliche Schutzmaßnahmen zur Verfügung stehen, um sie bei Vernehmungen im Laufe strafrechtlicher Ermittlungen und Verfahren zu schützen.

(23)

Besondere Aufmerksamkeit sollte unbegleiteten Kindern, die Opfer von Menschenhandel sind, gelten, da sie aufgrund ihrer besonderen Schutzbedürftigkeit spezifischer Unterstützung und Betreuung bedürfen. Ab dem Zeitpunkt der Identifizierung eines unbegleiteten Kindes, das Opfer von Menschenhandel ist, sollten die Mitgliedstaaten so lange für die Bedürfnisse solcher Kinder geeignete Aufnahmemaßnahmen anwenden und dafür sorgen, dass die einschlägigen Verfahrensgarantien Anwendung finden, bis eine dauerhafte Lösung gefunden ist. Es sollten die notwendigen Maßnahmen getroffen werden, um gegebenenfalls sicherzustellen, dass ein Vormund und/oder ein Vertreter bestellt werden, um das Wohl des Minderjährigen zu schützen. Eine Entscheidung über die Zukunft jedes einzelnen unbegleiteten Kindes, das Opfer ist, sollte innerhalb kürzestmöglicher Zeit mit dem Ziel getroffen werden, dauerhafte Lösungen zu finden, die auf einer individuellen Bewertung des Wohls des Kindes, welches eine vorrangige Erwägung sein sollte, beruhen. Eine dauerhafte Lösung könnte in der Rückkehr und Wiedereingliederung in das Herkunftsland oder das Rückkehrland, in der Integration in die Aufnahmegesellschaft, in der Gewährung des internationalen Schutzstatus oder der Gewährung eines sonstigen Status nach dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten liegen.

(24)

Wenn gemäß dieser Richtlinie ein Vormund und/oder ein Vertreter für das Kind zu benennen sind, so können diese Rollen von derselben Person oder von einer juristischen Person, einer Einrichtung oder einer Behörde wahrgenommen werden.

(25)

Jeder Mitgliedstaat sollte Verfahren zur Verhütung des Menschenhandels einführen und/oder ausbauen, einschließlich Maßnahmen, um der Nachfrage, die jegliche Form von Ausbeutung begünstigt, entgegenzuwirken und diese zu schwächen; des Weiteren sollten Forschungsmaßnahmen, einschließlich der Erforschung neuer Formen des Menschenhandels, sowie Aufklärungs-, Sensibilisierungs- und Schulungsmaßnahmen ergriffen werden, um die Gefahr, dass Menschen Opfer von Menschenhandel werden, zu verringern. Bei solchen Initiativen sollte jeder Mitgliedstaat der Geschlechterproblematik und den Rechten des Kindes Rechnung tragen. Beamte, bei denen die Wahrscheinlichkeit besteht, dass sie mit Opfern oder potenziellen Opfern in Kontakt kommen werden, sollten Schulungen erhalten, damit sie wissen, wie Opfer und potenzielle Opfer von Menschenhandel zu erkennen sind und wie mit ihnen umzugehen ist. Diese vorgeschriebenen Schulungen sollten für die Mitglieder der folgenden Kategorien vorgesehen werden, wenn die Wahrscheinlichkeit besteht, dass sie mit Opfern in Berührung kommen: Polizei- und Grenzschutzbeamte, Einwanderungsbeamte, Staatsanwälte, Juristen, Mitglieder der Justiz und Justizbedienstete, Arbeitsaufsichtsbeamte, Fachkräfte im Sozialbereich, in der Kinderbetreuung und im Gesundheitswesen sowie Konsularbedienstete, könnten aber je nach den örtlichen Gegebenheiten auch für andere Gruppen von Beamten, bei denen die Wahrscheinlichkeit besteht, dass sie im Rahmen ihrer Arbeit mit Menschenhandelsopfern zu tun haben werden, durchgeführt werden.

(26)

Die Richtlinie 2009/52/EG sieht Strafen für Personen vor, die Drittstaatsangehörige ohne legalen Aufenthalt beschäftigen, die zwar nicht des Menschenhandels beschuldigt oder dafür verurteilt wurden, die aber die von einer Person erbrachten Arbeiten oder Dienste nutzen, obwohl sie wissen, dass die betreffende Person Opfer von Menschenhandel ist. Des Weiteren sollten die Mitgliedstaaten die Möglichkeit in Betracht ziehen, Sanktionen gegen Personen zu verhängen, die von Opfern erbrachte Dienste nutzen, obwohl sie wissen, dass die Person ein Opfer des Menschenhandels ist. Diese weitergehende strafrechtliche Verfolgung könnte sich auch auf Straftaten von Personen erstrecken, die Drittstaatsangehörige mit legalem Aufenthalt und Unionsbürger beschäftigen, sowie auf Personen, die, ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit, sexuelle Dienstleistungen von einem Opfer von Menschenhandel erwerben.

(27)

Nationale Kontrollsysteme wie nationale Berichterstatter oder gleichwertige Mechanismen sollten von den Mitgliedstaaten in der ihnen nach ihrer internen Organisation geeignet erscheinenden Weise und unter Berücksichtigung des Erfordernisses einer Mindeststruktur mit festgelegten Aufgaben eingeführt werden, um Tendenzen im Menschenhandel zu bewerten, statistische Daten zu sammeln, die Ergebnisse der Maßnahmen zur Bekämpfung des Menschenhandels zu beurteilen und regelmäßig zu berichten. Diese nationalen Berichterstatter oder gleichwertigen Mechanismen sind bereits in einem informellen Unionsnetz zusammengeschlossen, das mit den Schlussfolgerungen des Rates zur Schaffung eines informellen EU-Netzes von nationalen Berichterstattern oder gleichwertigen Mechanismen zum Thema Menschenhandel vom 4. Juni 2009 eingerichtet wurde. Ein Koordinator für die Bekämpfung des Menschenhandels würde an den Arbeiten dieses Netzes teilnehmen, das die Union und die Mitgliedstaaten mit objektiven, verlässlichen, vergleichbaren und aktuellen strategischen Informationen zum Menschenhandel versorgt und Erfahrungen und bewährte Verfahren im Bereich der Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels auf Unionsebene austauscht. Das Europäische Parlament sollte berechtigt sein, an den gemeinsamen Tätigkeiten der nationalen Berichterstatter oder der gleichwertigen Mechanismen mitzuwirken.

(28)

Zur Bewertung der Ergebnisse der Maßnahmen zur Bekämpfung des Menschenhandels sollte die Union weiter an der Methodik und den Datenerhebungsmethoden im Hinblick auf die Erstellung vergleichbarer Statistiken arbeiten.

(29)

Angesichts des Stockholmer Programms sowie im Hinblick auf die Entwicklung einer konsolidierten Strategie der Union zur Bekämpfung des Menschenhandels, die darauf abzielt, das Engagement und die Anstrengungen der Union und der Mitgliedstaaten zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels weiter zu verstärken, sollten die Mitgliedstaaten die Aufgaben eines Koordinators für die Bekämpfung des Menschenhandels erleichtern; zu diesen Aufgaben können beispielsweise die Verbesserung der Koordinierung und Kohärenz, die Vermeidung von Doppelarbeit, sowohl im Verhältnis zwischen den Organen und Stellen der Union sowie zwischen den Mitgliedstaaten und internationalen Akteuren, Beiträge zur Ausgestaltung bestehender oder neuer Maßnahmen und Strategien der Union, die für die Bekämpfung des Menschenhandels von Belang sind, oder die Berichterstattung an die Organe der Union gehören.

(30)

Mit dieser Richtlinie sollen die Bestimmungen des Rahmenbeschlusses 2002/629/JI geändert und ausgeweitet werden. Da die vorzunehmenden Änderungen sowohl bezüglich der Zahl als auch hinsichtlich des Inhalts erheblich sind, sollte der Rahmenbeschluss aus Gründen der Klarheit für die sich an der Annahme dieser Richtlinie beteiligenden Mitgliedstaaten vollständig ersetzt werden.

(31)

Nach Nummer 34 der Interinstitutionellen Vereinbarung über bessere Rechtsetzung (14) sind die Mitgliedstaaten aufgefordert, für ihre eigenen Zwecke und im Interesse der Union eigene Tabellen aufzustellen, aus denen im Rahmen des Möglichen die Entsprechungen zwischen dieser Richtlinie und ihren Umsetzungsmaßnahmen zu entnehmen sind, und diese zu veröffentlichen.

(32)

Da das Ziel dieser Richtlinie, nämlich die Bekämpfung des Menschenhandels, von den Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht werden kann und daher wegen des Umfangs und der Wirkungen der Maßnahmen besser auf Unionsebene zu verwirklichen ist, kann die Union im Einklang mit dem in Artikel 5 des Vertrags über die Europäische Union niedergelegten Subsidiaritätsprinzip tätig werden. Entsprechend dem in demselben Artikel genannten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geht diese Richtlinie nicht über das zur Erreichung dieses Ziels erforderliche Maß hinaus.

(33)

Diese Richtlinie steht im Einklang mit den Grundrechten und Grundsätzen, die insbesondere mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannt wurden; dazu gehören vor allem die Achtung der Würde des Menschen, das Verbot der Sklaverei, der Zwangsarbeit und des Menschenhandels, das Verbot der Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe, die Rechte des Kindes, das Recht auf Freiheit und Sicherheit, die Freiheit der Meinungsäußerung und die Informationsfreiheit, der Schutz personenbezogener Daten, das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht sowie die Grundsätze der Gesetzmäßigkeit und der Verhältnismäßigkeit im Zusammenhang mit Straftaten und Strafen. Diese Richtlinie, die insbesondere darauf abzielt, die uneingeschränkte Wahrung dieser Rechte und Grundsätze zu gewährleisten, ist entsprechend umzusetzen.

(34)

Gemäß Artikel 3 des dem Vertrag über die Europäische Union und dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union beigefügten Protokolls über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands hinsichtlich des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts hat Irland mitgeteilt, dass es sich an der Annahme und Anwendung dieser Richtlinie beteiligen will.

(35)

Gemäß den Artikeln 1 und 2 des dem Vertrag über die Europäische Union und dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union beigefügten Protokolls über die Position des Vereinigten Königreichs und Irlands hinsichtlich des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts beteiligt sich das Vereinigte Königreich unbeschadet des Artikels 4 dieses Protokolls nicht an der Annahme dieser Richtlinie und ist weder durch diese Richtlinie gebunden noch zu ihrer Anwendung verpflichtet.

(36)

Gemäß den Artikeln 1 und 2 des dem Vertrag über die Europäische Union und dem Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union beigefügten Protokolls über die Position Dänemarks beteiligt sich Dänemark nicht an der Annahme dieser Richtlinie und ist weder durch diese Richtlinie gebunden noch zu ihrer Anwendung verpflichtet —

HABEN FOLGENDE RICHTLINIE ERLASSEN:

Artikel 1

Gegenstand

Mit dieser Richtlinie werden Mindestvorschriften zur Definition von Straftaten und Strafen im Bereich Menschenhandel festgelegt. Des Weiteren werden gemeinsame Bestimmungen zur Stärkung der Prävention und des Opferschutzes unter Berücksichtigung der Geschlechterperspektive eingeführt.

Artikel 2

Straftaten im Zusammenhang mit dem Menschenhandel

(1)   Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit die nachstehenden vorsätzlich begangenen Handlungen unter Strafe gestellt werden:

Die Anwerbung, Beförderung, Verbringung, Beherbergung oder Aufnahme von Personen, einschließlich der Übergabe oder Übernahme der Kontrolle über diese Personen, durch die Androhung oder Anwendung von Gewalt oder anderer Formen der Nötigung, durch Entführung, Betrug, Täuschung, Missbrauch von Macht oder Ausnutzung besonderer Schutzbedürftigkeit oder durch Gewährung oder Entgegennahme von Zahlungen oder Vorteilen zur Erlangung des Einverständnisses einer Person, die die Kontrolle über eine andere Person hat, zum Zwecke der Ausbeutung.

(2)   Eine besondere Schutzbedürftigkeit liegt vor, wenn die betreffende Person keine wirkliche oder für sie annehmbare andere Möglichkeit hat, als sich dem Missbrauch zu beugen.

(3)   Ausbeutung umfasst mindestens die Ausnutzung der Prostitution anderer oder andere Formen sexueller Ausbeutung, Zwangsarbeit oder erzwungene Dienstleistungen, einschließlich Betteltätigkeiten, Sklaverei oder sklavereiähnliche Praktiken, Leibeigenschaft oder die Ausnutzung strafbarer Handlungen oder die Organentnahme.

(4)   Das Einverständnis eines Opfers von Menschenhandel zur beabsichtigten oder tatsächlich vorliegenden Ausbeutung ist unerheblich, wenn eines der in Absatz 1 aufgeführten Mittel vorliegt.

(5)   Betrifft die Handlung nach Absatz 1 ein Kind, so ist sie auch dann als Menschenhandel unter Strafe zu stellen, wenn keines der in Absatz 1 aufgeführten Mittel vorliegt.

(6)   Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Begriff „Kind“ Personen im Alter von unter 18 Jahren.

Artikel 3

Anstiftung, Beihilfe und Versuch

Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die Anstiftung oder Beihilfe zur Begehung einer Straftat nach Artikel 2 sowie die versuchte Begehung einer Straftat nach Artikel 2 unter Strafe gestellt werden.

Artikel 4

Strafen

(1)   Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass eine Straftat nach Artikel 2 mit einer Freiheitsstrafe im Höchstmaß von mindestens fünf Jahren bedroht ist.

(2)   Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass eine Straftat nach Artikel 2 mit einer Freiheitsstrafe im Höchstmaß von mindestens zehn Jahren bedroht ist, wenn:

a)

sie gegen ein Opfer begangen wurde, das besonders schutzbedürftig war; dazu gehören im Kontext dieser Richtlinie zumindest Opfer im Kindesalter;

b)

sie im Rahmen einer kriminellen Vereinigung im Sinne des Rahmenbeschlusses 2008/841/JI des Rates vom 24. Oktober 2008 zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität (15) begangen wurde;

c)

durch sie das Leben des Opfers vorsätzlich oder grob fahrlässig gefährdet wurde; oder

d)

sie unter Anwendung schwerer Gewalt begangen oder dem Opfer durch die Straftat ein besonders schwerer Schaden zugefügt wurde.

(3)   Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass es als erschwerender Umstand gilt, wenn eine Straftat nach Artikel 2 von einem öffentlichen Bediensteten in Ausübung seines Amtes begangen wurde.

(4)   Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass Straftaten nach Artikel 3 mit wirksamen, angemessenen und abschreckenden Strafen bedroht sind, die mit einer Übergabe verbunden sein können.

Artikel 5

Verantwortlichkeit juristischer Personen

(1)   Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass eine juristische Person für Straftaten nach den Artikeln 2 und 3 verantwortlich gemacht werden kann, die zu ihren Gunsten von einer Person begangen wurde, die entweder allein oder als Teil eines Organs der juristischen Person gehandelt hat und die eine Führungsposition innerhalb der juristischen Person innehat aufgrund:

a)

der Befugnis zur Vertretung der juristischen Person,

b)

der Befugnis, Entscheidungen im Namen der juristischen Person zu treffen oder

c)

einer Kontrollbefugnis innerhalb der juristischen Person.

(2)   Die Mitgliedstaaten stellen auch sicher, dass eine juristische Person verantwortlich gemacht werden kann, wenn mangelnde Überwachung oder Kontrolle durch eine in Absatz 1 genannte Person die Begehung von Straftaten nach den Artikeln 2 und 3 zugunsten der juristischen Person durch eine ihr unterstellte Person ermöglicht hat.

(3)   Die Verantwortlichkeit einer juristischen Person nach den Absätzen 1 und 2 schließt die strafrechtliche Verfolgung natürlicher Personen als Täter, Anstifter oder Gehilfen bei Straftaten nach den Artikeln 2 und 3 nicht aus.

(4)   Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Begriff „juristische Person“ jedes Rechtssubjekt, das nach dem jeweils anwendbaren Recht Rechtspersönlichkeit besitzt, mit Ausnahme von Staaten oder sonstigen Körperschaften des öffentlichen Rechts in der Ausübung ihrer hoheitlichen Rechte und von öffentlich-rechtlichen internationalen Organisationen.

Artikel 6

Sanktionen gegen juristische Personen

Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass gegen eine im Sinne des Artikels 5 Absätze 1 oder 2 verantwortliche juristische Person wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen verhängt werden können, zu denen strafrechtliche oder nichtstrafrechtliche Geldsanktionen gehören und zu denen andere Sanktionen gehören können, beispielsweise:

a)

Ausschluss von öffentlichen Zuwendungen oder Hilfen;

b)

vorübergehendes oder ständiges Verbot der Ausübung einer Handelstätigkeit;

c)

richterliche Aufsicht;

d)

richterlich angeordnete Auflösung;

e)

vorübergehende oder endgültige Schließung von Einrichtungen, die zur Begehung der Straftat genutzt wurden.

Artikel 7

Beschlagnahme und Einziehung

Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass ihre zuständigen Behörden berechtigt sind, die Tatwerkzeuge für die Begehung von und Erträge aus Straftaten im Sinne der Artikel 2 und 3 zu beschlagnahmen und einzuziehen.

Artikel 8

Verzicht auf Strafverfolgung oder Straffreiheit der Opfer

Die Mitgliedstaaten treffen im Einklang mit den Grundsätzen ihrer Rechtsordnung die Maßnahmen, die erforderlich sind, um sicherzustellen, dass die zuständigen nationalen Behörden die Befugnis haben, Opfer des Menschenhandels wegen ihrer Beteiligung an strafbaren Handlungen, zu der sie sich als unmittelbare Folge davon, dass sie Straftaten im Sinne des Artikels 2 ausgesetzt waren, gezwungen sahen, nicht strafrechtlich zu verfolgen oder von einer Bestrafung abzusehen.

Artikel 9

Ermittlung und Strafverfolgung

(1)   Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass strafrechtliche Ermittlungen oder die Strafverfolgung in Bezug auf Straftaten nach den Artikeln 2 und 3 nicht von der Anzeige oder Anklage durch das Opfer abhängig gemacht werden und dass das Strafverfahren auch dann fortgesetzt werden kann, wenn das Opfer eine Aussage widerrufen hat.

(2)   Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit Straftaten nach den Artikeln 2 und 3, bei denen dies aufgrund ihres Charakters erforderlich ist, während eines hinreichend langen Zeitraums, nachdem das Opfer die Volljährigkeit erreicht hat, strafrechtlich verfolgt werden können.

(3)   Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die für strafrechtliche Ermittlungen oder die Strafverfolgung in Bezug auf die Straftaten nach den Artikeln 2 und 3 zuständigen Personen, Stellen oder Dienste die geeigneten Schulungen erhalten.

(4)   Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass den für die Ermittlung oder strafrechtliche Verfolgung von Straftaten nach den Artikeln 2 und 3 zuständigen Personen, Stellen oder Diensten effiziente Ermittlungsinstrumente, wie sie beispielsweise bei der Bekämpfung organisierter Kriminalität oder in Fällen anderer schwerer Straftaten verwendet werden, zur Verfügung stehen.

Artikel 10

Gerichtliche Zuständigkeit

(1)   Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um ihre gerichtliche Zuständigkeit für Straftaten nach den Artikeln 2 und 3 in den Fällen zu begründen, in denen

a)

die Straftat ganz oder teilweise in ihrem Hoheitsgebiet begangen wird oder

b)

es sich bei dem Straftäter um einen ihrer Staatsangehörigen handelt.

(2)   Ein Mitgliedstaat unterrichtet die Kommission über seine Entscheidung, eine weitere gerichtliche Zuständigkeit für Straftaten nach den Artikeln 2 und 3, die außerhalb seines Hoheitsgebiets begangen wurden, zu begründen, unter anderem in Fällen, in denen

a)

es sich bei dem Opfer der Straftat um einen seiner Staatsangehörigen handelt oder der gewöhnliche Aufenthalt des Opfers in seinem Hoheitsgebiet liegt,

b)

die Straftat zugunsten einer in seinem Hoheitsgebiet niedergelassenen juristischen Person begangen wird oder

c)

der gewöhnliche Aufenthalt des Straftäters in seinem Hoheitsgebiet liegt.

(3)   Jeder Mitgliedstaat trifft zur strafrechtlichen Verfolgung der Straftaten im Sinne der Artikel 2 und 3, die außerhalb seines Hoheitsgebiets begangen werden, in Fällen nach Absatz 1 Buchstabe b und fakultativ in Fällen nach Absatz 2 die Maßnahmen, die erforderlich sind, um sicherzustellen, dass seine gerichtliche Zuständigkeit nicht an eine der folgenden Bedingung geknüpft ist:

a)

die Straftat ist an dem Ort, an dem sie begangen wurde, strafbar oder

b)

die Strafverfolgung kann nur nach einem Bericht des Opfers an dem Ort, an dem die Straftat begangen wurde, oder einer Anzeige durch den Staat, in dem sich der Ort der Begehung der Straftat befindet, eingeleitet werden.

Artikel 11

Unterstützung und Betreuung von Opfern des Menschenhandels

(1)   Jeder Mitgliedstaat stellt sicher, dass Opfern vor, während sowie für einen angemessenen Zeitraum nach Abschluss des Strafverfahrens Unterstützung und Betreuung erhalten, damit sie in der Lage sind, die in dem Rahmenbeschluss 2001/220/JI und in der vorliegenden Richtlinie festgelegten Rechte in Anspruch zu nehmen.

(2)   Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass eine Person Unterstützung und Betreuung erhält, sobald den zuständigen Behörden berechtigte Gründe für die Annahme vorliegen, dass gegen diese Person eine der Straftaten gemäß Artikel 2 und 3 verübt worden sein könnte.

(3)   Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Unterstützung und Betreuung eines Opfers nicht von dessen Bereitschaft, bei den strafrechtlichen Ermittlungen, der strafrechtlichen Verfolgung oder beim Gerichtsverfahren zu kooperieren, abhängig gemacht wird, unbeschadet der Richtlinie 2004/81/EG oder vergleichbarer nationaler Vorschriften.

(4)   Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um in Zusammenarbeit mit den einschlägigen Opferbetreuungsorganisationen geeignete Verfahren für die frühzeitige Erkennung, Unterstützung und Betreuung von Opfern festzulegen.

(5)   Die Unterstützungs- und Betreuungsmaßnahmen im Sinne der Absätze 1 und 2 werden bereitgestellt, nachdem die Opfer über die Maßnahmen aufgeklärt wurden und dazu ihr Einverständnis gegeben haben, und umfassen mindestens die Mittel zur Sicherstellung des Lebensunterhalts der Opfer durch Maßnahmen wie die Bereitstellung einer geeigneten und sicheren Unterbringung und materielle Unterstützung sowie die notwendigen medizinischen Behandlungen einschließlich psychologischer Hilfe, Beratung und Information sowie bei Bedarf Übersetzungs- und Dolmetschleistungen.

(6)   Die Informationen nach Absatz 5 umfassen, soweit von Belang, Informationen über eine Bedenk- und Erholungszeit aufgrund der Richtlinie 2004/81/EG und Informationen über die Möglichkeit zur Gewährung internationalen Schutzes aufgrund der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (16) und der Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft (17) oder aufgrund anderer internationaler Rechtsinstrumente oder vergleichbarer nationaler Vorschriften.

(7)   Dabei schenken die Mitgliedstaaten Opfern mit besonderen Bedürfnissen besondere Beachtung, wenn diese besonderen Bedürfnisse sich insbesondere aus der Möglichkeit einer Schwangerschaft, ihrem Gesundheitszustand, einer Behinderung, einer geistigen oder psychischen Störungen oder aus anderen schwerwiegenden Formen der psychologischen, körperlichen oder sexuellen Gewalt, denen sie ausgesetzt waren, herleiten.

Artikel 12

Schutz der Opfer von Menschenhandel bei Strafermittlungen und Strafverfahren

(1)   Die in diesem Artikel genannten Schutzmaßnahmen werden zusätzlich zu den im Rahmenbeschluss 2001/220/JI festgelegten Rechten angewandt.

(2)   Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Opfer von Menschenhandel unverzüglich Zugang zu Rechtsberatung sowie — gemäß der Stellung von Opfern in der betreffenden Rechtsordnung — zu rechtlicher Vertretung, auch zum Zweck der Geltendmachung einer Entschädigung, haben. Rechtsberatung und rechtliche Vertretung sind unentgeltlich, wenn das Opfer nicht über ausreichende finanzielle Mittel verfügt.

(3)   Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Opfer von Menschenhandel auf der Grundlage einer individuellen Risikoabschätzung angemessen geschützt werden, unter anderem indem sie gegebenenfalls und im Einklang mit den nationalen Rechts und Verfahrensvorschriften Zugang zu Zeugenschutzprogrammen oder vergleichbaren Maßnahmen erhalten.

(4)   Unbeschadet der Verteidigungsrechte stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass Opfer von Menschenhandel entsprechend einer von den zuständigen Behörden vorgenommenen Einschätzung ihrer persönlichen Umstände eine besondere Behandlung zur Verhinderung sekundärer Viktimisierung erhalten, wobei im Einklang mit den durch das nationale Recht, richterliches Ermessen, Gepflogenheiten oder Leitlinien festgelegten Grundlagen Folgendes so weit wie möglich zu vermeiden ist:

a)

nicht erforderliche Wiederholungen von Vernehmungen während der Ermittlungen, der Strafverfolgung und des Gerichtsverfahrens;

b)

Sichtkontakt zwischen Opfer und Beschuldigten, auch während der Beweisaufnahme, zum Beispiel bei Gesprächen und kontradiktorischen Befragungen, durch geeignete Mittel, einschließlich Kommunikationstechnologie;

c)

Zeugenaussagen in öffentlichen Gerichtsverhandlungen und

d)

nicht erforderliche Fragen zum Privatleben.

Artikel 13

Allgemeine Bestimmungen über Unterstützungs-, Betreuungs- und Schutzmaßnahmen für Kinder, die Opfer von Menschenhandel sind

(1)   Kinder, die Opfer von Menschenhandel sind, erhalten Unterstützung, Betreuung und Schutz. Bei der Anwendung dieser Richtlinie ist das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist.

(2)   Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass eine Person, die Opfer von Menschenhandel ist, deren Alter aber nicht festgestellt werden konnte und bei der es Gründe für die Annahme gibt, dass es sich bei der Person um ein Kind handelt, als Kind eingestuft wird und unmittelbar Zugang zu Unterstützung, Betreuung und Schutz nach den Artikeln 14 und 15 erhält.

Artikel 14

Unterstützung und Betreuung von Kindern, die Opfer sind

(1)   Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die besonderen Maßnahmen, mit denen Kinder, die Opfer des Menschenhandels sind, kurz- und langfristig bei ihrer körperlichen und psychisch-sozialen Rehabilitation unterstützt und betreut werden sollen, ergriffen werden, nachdem die besonderen Umstände des Kindes unter gebührender Berücksichtigung seiner Ansichten, Bedürfnisse und Sorgen mit dem Ziel, eine langfristige Lösung für das Kind zu finden, geprüft worden sind. Die Mitgliedstaaten gewähren Kindern, die Opfer des Menschenhandels sind, und Kindern von Opfern, die Unterstützung und Betreuung nach Artikel 11 erhalten, innerhalb eines angemessenen Zeitraums Zugang zur Bildung gemäß ihrem nationalen Recht.

(2)   Die Mitgliedstaaten bestellen in den Fällen, in denen die Träger der elterlichen Verantwortung nach nationalem Recht aufgrund eines Interessenkonflikts zwischen ihnen und dem Kind, das Opfer ist, nicht für das Wohl des Kindes sorgen dürfen und/oder das Kind nicht vertreten dürfen, von dem Zeitpunkt an, in dem es von den Behörden identifiziert ist, einen Vormund oder einen Vertreter für das Kind, das Opfer von Menschenhandel ist.

(3)   Die Mitgliedstaaten treffen, sofern dies angemessen und möglich ist, Maßnahmen zur Unterstützung und Betreuung der Familie des Kindes, das Opfer von Menschenhandel ist, sofern sich diese in seinem Hoheitsgebiet aufhält. Insbesondere wendet jeder Mitgliedstaat Artikel 4 des Rahmenbeschlusses 2001/220/JI auf die Familie an, sofern dies angemessen und möglich ist.

(4)   Dieser Artikel gilt unbeschadet des Artikels 11.

Artikel 15

Schutz von Kindern, die Opfer von Menschenhandel sind, bei Strafermittlungen und Strafverfahren

(1)   Die Mitgliedstaaten ergreifen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die zuständigen Behörden im Einklang mit der Stellung der Opfer in der betreffenden Rechtsordnung in den Fällen, in denen die Träger der elterlichen Verantwortung nach einzelstaatlichem Recht ein Kind aufgrund eines Interessenkonflikts zwischen ihnen und dem Opfer nicht in Strafverfahren vertreten dürfen, für die strafrechtlichen Ermittlungen und Verfahren einen Vertreter des Kindes, das Opfer von Menschenhandel ist, benennen.

(2)   Die Mitgliedstaaten stellen im Einklang mit der Stellung der Opfer in der betreffenden Rechtsordnung sicher, dass Opfer von Menschenhandel im Kindesalter unverzüglich Zugang zu unentgeltlicher Rechtsberatung sowie zu unentgeltlicher rechtlicher Vertretung, auch zum Zweck der Geltendmachung einer Entschädigung, haben, sofern sie nicht über ausreichende Mittel verfügen.

(3)   Unbeschadet der Verteidigungsrechte treffen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass bei strafrechtlichen Ermittlungen und Strafverfahren wegen einer Straftat im Sinne der Artikel 2 und 3 Folgendes beachtet wird:

a)

Die Vernehmung des Opfers im Kindesalter findet statt, sobald der Sachverhalt den zuständigen Behörden gemeldet wurde, wobei ungerechtfertigte Verzögerungen vermieden werden.

b)

Die Vernehmung des Opfers im Kindesalter findet erforderlichenfalls in Räumen statt, die für diesen Zweck ausgestattet sind oder entsprechend angepasst wurden.

c)

Die Vernehmung des Opfers im Kindesalter wird erforderlichenfalls von oder unter Einschaltung von speziell ausgebildeten Fachleuten durchgeführt.

d)

Sofern dies möglich und angezeigt ist, werden sämtliche Vernehmungen des Opfers im Kindesalter von denselben Personen durchgeführt.

e)

Es sollten möglichst wenige Vernehmungen durchgeführt werden; zudem sollten Vernehmungen nur dann durchgeführt werden, wenn sie für die strafrechtlichen Ermittlungen und das Strafverfahren unabdingbar sind.

f)

Das Opfer im Kindesalter kann von einem Vertreter oder gegebenenfalls einem Erwachsenen nach Wahl des Kindes begleitet werden, es sei denn, dass in Bezug auf diese Person eine begründete gegenteilige Entscheidung getroffen wurde.

(4)   Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass bei strafrechtlichen Ermittlungen wegen einer Straftat im Sinne der Artikel 2 und 3 sämtliche Vernehmungen des Opfers im Kindesalter oder gegebenenfalls eines Zeugen im Kindesalter auf Videoband aufgenommen und diese Aufnahmen gemäß den Vorschriften seines nationalen Rechts als Beweismaterial in Gerichtsverhandlungen verwendet werden können.

(5)   Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass bei Strafverfahren wegen einer Straftat nach den Artikeln 2 und 3 Folgendes angeordnet werden kann:

a)

Die Vernehmung findet unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt und

b)

die Vernehmung des Opfers im Kindesalter im Gerichtssaal kann stattfinden, ohne dass das Opfer im Gerichtssaal anwesend ist, insbesondere durch Einsatz geeigneter Kommunikationstechnologie im Gerichtssaal.

(6)   Dieser Artikel gilt unbeschadet des Artikels 12.

Artikel 16

Unterstützung, Betreuung und Schutz von unbegleiteten Kindern, die Opfer von Menschenhandel sind

(1)   Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die in Artikel 14 Absatz 1 genannten besonderen Maßnahmen, mit denen Kinder, die Opfer von Menschenhandel sind, unterstützt und betreut werden sollen, den persönlichen und besonderen Umständen von unbegleiteten Kindern, die Opfer von Menschenhandel sind, Rechnung tragen.

(2)   Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit eine auf die Einzelbewertung des Kindeswohls gestützte dauerhafte Lösung gefunden wird.

(3)   Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass, sofern angebracht, ein Vormund für unbegleitete Kinder, die Opfer von Menschenhandel sind, bestellt wird.

(4)   Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die zuständigen Behörden bei strafrechtlichen Ermittlungen und Strafverfahren in den Fällen, in denen das Kind unbegleitet oder von seiner Familie getrennt ist, im Einklang mit der Stellung von Opfern in der betreffenden Rechtsordnung einen Vertreter bestellen.

(5)   Dieser Artikel gilt unbeschadet der Artikel 14 und 15.

Artikel 17

Entschädigung der Opfer

Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Opfer von Menschenhandel Zugang zu bestehenden Regelungen für die Entschädigung der Opfer von vorsätzlich begangenen Gewalttaten erhalten.

Artikel 18

Prävention

(1)   Die Mitgliedstaaten treffen geeignete Maßnahmen wie Ausbildung und Schulung, um der Nachfrage, die jegliche Form von Ausbeutung im Zusammenhang mit Menschenhandel begünstigt, entgegenzuwirken und diese zu schwächen.

(2)   Die Mitgliedstaaten treffen gegebenenfalls in Zusammenarbeit mit einschlägigen Organisationen der Zivilgesellschaft und anderen Akteuren geeignete Maßnahmen — auch über das Internet —, wie beispielsweise Informations- und Aufklärungskampagnen, Forschungs- und Schulungsprogramme, um Menschen, insbesondere Kinder, zu sensibilisieren und die Gefahr, dass sie Opfer des Menschenhandels werden, zu verringern.

(3)   Die Mitgliedstaaten fördern die regelmäßige Schulung von Beamten, bei denen die Wahrscheinlichkeit besteht, dass sie mit Opfern und potenziellen Opfern von Menschenhandel in Kontakt kommen, einschließlich der an vorderster Front tätigen Polizeibeamten, damit sie wissen, wie Opfer und potenzielle Opfer von Menschenhandel zu erkennen sind und wie mit ihnen umzugehen ist.

(4)   Um Menschenhandel dadurch, dass der Nachfrage entgegengewirkt wird, wirksamer zu verhüten und zu bekämpfen, erwägen die Mitgliedstaaten die Einleitung von Maßnahmen, mit denen die Inanspruchnahme von Diensten, die Gegenstand einer Ausbeutung im Sinne des Artikels 2 sind, in dem Wissen, dass die betreffende Person Opfer einer Straftat nach Artikel 2 ist, als strafbare Handlung eingestuft wird.

Artikel 19

Nationale Berichterstatter oder gleichwertige Mechanismen

Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um nationale Berichterstatter einzusetzen oder gleichwertige Mechanismen einzuführen. Diese Mechanismen haben unter anderem die Aufgabe, die Entwicklungen beim Menschenhandel zu bewerten, die Ergebnisse der Maßnahmen zur Bekämpfung des Menschenhandels zu messen, wozu auch die Sammlung statistischer Daten in enger Zusammenarbeit mit einschlägigen Organisationen der Zivilgesellschaft, die auf diesem Gebiet tätig sind, gehört, und Bericht zu erstatten.

Artikel 20

Koordinierung der Strategie der Union zur Bekämpfung des Menschenhandels

Um zu einer koordinierten und konsolidierten Strategie der Union zur Bekämpfung des Menschenhandels beizutragen, unterstützen die Mitgliedstaaten einen Koordinator für die Bekämpfung des Menschenhandels bei seinen Aufgaben. Insbesondere übermitteln die Mitgliedstaaten dem Koordinator für die Bekämpfung des Menschenhandels die Informationen nach Artikel 19, anhand derer der Koordinator zu einer Berichterstattung über die Fortschritte bei der Bekämpfung des Menschenhandels beiträgt, welche die Kommission alle zwei Jahre durchführt.

Artikel 21

Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2002/629/JI

Der Rahmenbeschluss 2002/629/JI zur Bekämpfung des Menschenhandels wird in Bezug auf die Mitgliedstaaten ersetzt, die sich an der Annahme dieser Richtlinie beteiligen, unbeschadet der Verpflichtungen der Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit den Fristen für die Umsetzung des Rahmenbeschlusses in innerstaatliches Recht.

In Bezug auf die Mitgliedstaaten, die sich an der Annahme dieser Richtlinie beteiligen, gelten Verweise auf den ersetzten Rahmenbeschluss 2002/629/JI als Verweise auf die vorliegende Richtlinie.

Artikel 22

Umsetzung

(1)   Die Mitgliedstaaten setzen die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft, um dieser Richtlinie vor dem 6. April 2013 nachzukommen.

(2)   Die Mitgliedstaaten übermitteln der Kommission den Wortlaut der innerstaatlichen Rechtsvorschriften zur Umsetzung ihrer Verpflichtungen aus dieser Richtlinie.

(3)   Bei Erlass dieser Vorschriften nehmen die Mitgliedstaaten in den Vorschriften selbst oder durch einen Hinweis bei der amtlichen Veröffentlichung auf diese Richtlinie Bezug. Die Mitgliedstaaten regeln die Einzelheiten dieser Bezugnahme.

Artikel 23

Berichterstattung

(1)   Die Kommission berichtet dem Europäischen Parlament und dem Rat bis zum 6. April 2015, inwieweit die Mitgliedstaaten die zur Einhaltung dieser Richtlinie notwendigen Maßnahmen ergriffen haben, wobei sie auch die nach Artikel 18 Absatz 4 ergriffenen Maßnahmen beschreibt, und unterbreitet erforderlichenfalls Gesetzgebungsvorschläge.

(2)   Die Kommission berichtet dem Europäischen Parlament und dem Rat bis zum 6. April 2016 darüber, wie sich die bestehenden nationalen Rechtsvorschriften, mit denen die Inanspruchnahme von Diensten, die Gegenstand einer Ausbeutung durch Menschenhandel sind, unter Strafe gestellt wird, auf die Verhütung des Menschenhandels auswirken, und unterbreitet erforderlichenfalls geeignete Vorschläge.

Artikel 24

Inkrafttreten

Diese Richtlinie tritt am Tag ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Union in Kraft.

Artikel 25

Adressaten

Diese Richtlinie ist gemäß den Verträgen an die Mitgliedstaaten gerichtet.

Geschehen zu Straßburg am 5. April 2011.

Im Namen des Europäischen Parlaments

Der Präsident

J. BUZEK

Im Namen des Rates

Die Präsidentin

GYŐRI E.


(1)  Stellungnahme vom 21. Oktober 2010 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht).

(2)  Standpunkt des Europäischen Parlaments vom 14. Dezember 2010 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht) und Beschluss des Rates vom 21. März 2011.

(3)  ABl. L 203 vom 1.8.2002, S. 1.

(4)  ABl. C 311 vom 9.12.2005, S. 1.

(5)  ABl. C 115 vom 4.5.2010, S. 1.

(6)  ABl. L 328 vom 15.12.2009, S. 42.

(7)  ABl. L 261 vom 6.8.2004, S. 19.

(8)  ABl. L 168 vom 30.6.2009, S. 24.

(9)  ABl. L 190 vom 18.7.2002, S. 1.

(10)  ABl. L 182 vom 5.7.2001, S. 1.

(11)  ABl. L 68 vom 15.3.2005, S. 49.

(12)  ABl. L 158 vom 30.4.2004, S. 77.

(13)  ABl. L 82 vom 22.3.2001, S. 1.

(14)  ABl. C 321 vom 31.12.2003, S. 1.

(15)  ABl. L 300 vom 11.11.2008, S. 42.

(16)  ABl. L 304 vom 30.9.2004, S. 12.

(17)  ABl. L 326 vom 13.12.2005, S. 13.