2003/687/EG: Entscheidung der Kommission vom 19. März 2003 über staatliche Beihilfen Deutschlands an die Linde AG (Sachsen-Anhalt) (Text von Bedeutung für den EWR) (Bekannt gegeben unter Aktenzeichen K(2003) 647)
Amtsblatt Nr. L 250 vom 02/10/2003 S. 0024 - 0028
Entscheidung der Kommission vom 19. März 2003 über staatliche Beihilfen Deutschlands an die Linde AG (Sachsen-Anhalt) (Bekannt gegeben unter Aktenzeichen K(2003) 647) ( (Nur der deutsche Text ist verbindlich) (Text von Bedeutung für den EWR) (2003/687/EG) DIE KOMMISSION DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN - gestützt auf den Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, insbesondere auf Artikel 88 Absatz 2 Unterabsatz 1, gestützt auf das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum, insbesondere auf Artikel 62 Absatz 1 Buchstabe a), nach Aufforderung der Betroffenen zur Abgabe ihrer Bemerkungen gemäß den genannten Vorschriften, in Erwägung nachstehender Gründe: I. VERFAHREN (1) Am 17. Oktober 2002 erklärte das Gericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften (GeI) die Entscheidung 2000/524/EG der Kommission(1) für nichtig, mit der Beihilfen an die Linde AG (Linde) für mit dem Gemeinsamen Markt unvereinbar erklärt wurden. Damit entsprach das GeI dem Antrag Lindes, insoweit die Kommission der Gewährung eines wesentlichen Teils eines Investitionszuschusses (der Zuschuss) als Beihilfe an Linde nicht zugestimmt hatte. (2) Im Mai 1998 erfuhr die Kommission bei ihren Kontakten mit Deutschland von mehreren Geschäftsvorgängen zwischen der Treuhandanstalt (THA) bzw. ihrer Nachfolgeeinrichtung, der Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (BvS), den Unternehmen UCB Chemie GmbH (UCB) und Linde. Hierbei ging es im Wesentlichen um die Bedingungen für die Lieferung von Kohlenmonoxid (CO) an eine Aminproduktionsstätte, die UCB im Rahmen einer Privatisierung von der Leuna Werke GmbH (LWG) erworben hatte. (3) Mit Schreiben vom 7. August 1998 setzte Deutschland die Kommission über den Hintergrund dieser Vorgänge und die damit einhergehenden Beihilfen in Kenntnis. Mit Schreiben vom 18. September 1998 erbat die Kommission zusätzliche Auskünfte, die mit Schreiben vom 3. September 1998 erteilt wurden. Der Fall wurde am 3. Februar 1999 unter der Nummer NN 16/99 eingetragen. (4) Mit Schreiben vom 30. März 1999 teilte die Kommission Deutschland ihren Beschluss mit, ein Verfahren nach Artikel 88 Absatz 2 EG-Vertrag in Bezug auf einen Zuschuss von 9 Mio. DEM an Linde für den Bau eines neuen Werks zur Herstellung von CO und die Bedingungen, unter denen CO zu jener Zeit an UCB geliefert wurde, einzuleiten(2) (SG(99)D/2353). (5) Mit Schreiben vom 25. Mai 1999 legte Deutschland seine Bemerkungen vor. Von dritter Seite sind keine Bemerkungen bei der Kommission eingegangen. (6) Am 18. Januar 2000 erließ die Kommission die teilweise ablehnende Entscheidung 2000/524/EG. (7) Am 21. April 2000 erhob Linde (mit Unterstützung Deutschlands) eine Nichtigkeitsklage beim GeI gegen die Artikel 2 und 3 der Entscheidung 200/524/EG. Die Kommission beantragte, das Gericht möge die Klage als unbegründet abweisen. Mit Urteil vom 17. Oktober 2002 in der Rechtssache 98/00(3) gab das GeI nach einer mündlichen Verhandlung dem Antrag von Linde statt. (8) Gemäß Artikel 233 EG-Vertrag muss die Kommission die erforderlichen Maßnahmen ergreifen, um dem Urteil des Gerichtes nachzukommen, d. h. eine neue Entscheidung entsprechend den Vorgaben des Urteils erlassen. II. BESCHREIBUNG DER MASSNAHMEN 1. Das begünstigte Unternehmen (9) Linde ist eine Tochtergesellschaft der international im Bereich der Technik tätigen Linde-Gruppe. Im Jahr 2001 erzielte die Gruppe einen Umsatz von 9,076 Mrd. EUR mit 46400 Beschäftigten, davon 18146 in Deutschland und 28387 in anderen Ländern. Ihr Reingewinn belief sich in diesem Jahr auf 289 Mio. EUR. Gemäß den Angaben der Linde-Gruppe nimmt Linde in den entsprechenden Märkten seiner Geschäftsbereiche Gase und Ingenieurwesen, Materialhandhabung und Kältetechnik eine führende Stellung ein(4). 2. Die Privatisierung der Aminerzeugung und die Übernahme der CO-Herstellung (10) Im Jahr 1993 veräußerte die THA die Aminherstellungsanlagen in Leuna an UCB, eine Tochtergesellschaft der Union Chimique Belge, die weltweit in den drei Industriebereichen Pharmazie, Chemie und Folien tätig ist (der Privatisierungsvertrag). Die Muttergesellschaft UCB SA umfasst weltweit rund 130 Tochtergesellschaften und verbundene Unternehmen überwiegend in Westeuropa, jedoch auch in Nord- und Südamerika und Asien. Im Jahr 2001 zählte die Gruppe rund 10000 Beschäftigte, wovon die eine Hälfte im Pharmabereich und die andere Hälfte in den Sektoren Chemie und Folien tätig waren. Beinahe ein Drittel der Beschäftigten sind in Belgien tätig, wo sich einige der wichtigsten Produktionseinheiten und die Verwaltungszentrale jedes der drei Industriebereiche nebst den Forschungs- und Entwicklungszentralen der Bereiche Pharmazie und Chemie befinden. Die Gruppe erzielte im Jahr 2001 einen Umsatz von 2,475 Mrd. EUR(5). (11) Gemäß den Angaben Deutschlands wurde die Aminproduktion in einer offenen, bedingungsfreien und transparenten Ausschreibung mit UCB als alleinigem Bieter veräußert. (12) Da CO für die Aminproduktion benötigt wird, machte UCB den Kauf dieses Produktionsbereichs von der Verpflichtung der THA zur Gewährleistung der CO-Versorgung in Leuna abhängig. Die THA erklärte sich bereit, CO zu einem Festpreis für einen Zeitraum von 10 Jahren unter der Bedingung bereit zu stellen, dass UCB keinen Liefervertrag mit einem anderen Hersteller eingeht und auch keine eigenen CO-Produktionsanlagen errichtet. Im Privatisierungsvertrag stellte die THA jedoch einen Betrag von 5 Mio. DEM für diesen Fall bereit. (13) Über die Ermittlung dieses Festpreises wurden keine Angaben gemacht. Die THA ging zu jener Zeit regelmäßig derartige langfristige Lieferverträge mit Neuinvestoren ein, da die Belieferung der Chemieindustrie eher ungewiss war. Laut Angaben Deutschlands wären ohne diese Liefergarantien die meisten Hersteller nicht bereit gewesen, an dem Standort Leuna zu investieren, sodass die THA nicht in der Lage gewesen wäre, ihren Privatisierungsauftrag zu erfuellen. (14) Als die THA den Privatisierungsvertrag über die Aminproduktionsanlage mit UCB schloss, hoffte sie, auch einen Investor für die Übernahme der CO-Erzeugung zu finden. Diese Erwartung erfuellte sich nicht. Da die CO-Anlage weder umstrukturiert noch modernisiert wurde, lagen ihre Herstellungskosten weit oberhalb der erwarteten Kosten. Die Lieferverpflichtung verursachte der THA Verluste von zwischen 3,5 und 5 Mio. DEM jährlich, da der Festpreis unter falschen Annahmen berechnet wurde und nicht einmal die Produktionskosten der veralteten Anlagen deckte. Somit hätte die THA bei Erfuellung des Privatisierungsvertrages bis 30. April 2002, dem Auslaufdatum, allein in dem Zeitraum nach Oktober 1998 aufgelaufene Verluste von mehr als 15 Mio. DEM tragen müssen. (15) Im Jahr 1996 beschloss die BvS, den Verlust bringenden Vertrag für die Lieferung von CO zu kündigen, weshalb sie der UCB vorschlug, das CO für ihren Eigenbedarf selbst herzustellen. Gemäß dem Privatisierungsvertrag würde UCB hierfür einen Zuschuss von 5 Mio. DEM erhalten. (16) Da UCB diesen Vorschlag jedoch zurückwies, war die BvS gezwungen, sich um einen anderen Investor zu bemühen. (17) Der einzige Investor, der interessiert und in der Lage war, die Lieferverpflichtung für CO zu übernehmen, war das Unternehmen Linde, das seit 1994 am Standort Leuna Gase erzeugt. Im Juni 1997 wurde eine Vereinbarung (die "Vereinbarung von 1997") zwischen der BvS, LWG, UCB und Linde über die Lieferung von CO geschlossen. Danach würde Linde innerhalb von 18 Monaten eine neue CO-Produktionsanlage errichten. Die neue Anlage würde in Lindes bestehenden Betrieb in Leuna integriert. Die Baukosten wurden auf 12,5 Mio. DEM angesetzt, wovon Linde 3,5 Mio. DEM aus eigenen Mitteln und die BvS die übrigen 9 Mio. DEM (den Zuschuss) aufbringen würden. (18) Da die Kommission ernsthafte Bedenken hatte, dass i) der Zuschuss von 9 Mio. DEM an Linde für die CO-Produktion und ii) der zwischen UCB und Linde vereinbarte Festpreis staatliche Beihilfeelemente enthalten könnten, beschloss sie, wegen dieser Maßnahmen das Verfahren nach Artikel 88 Absatz 2 EG-Vertrag einzuleiten. (19) Mit Schreiben vom 25. Mai 1999 wies Deutschland darauf hin, dass CO wegen seiner besonderen chemischen Merkmale als Gas an dem Ort seines Verbrauchs hergestellt werden müsse. Daher könne ein solches Erzeugnis den Handel innerhalb der Gemeinschaft nicht beeinträchtigen. Da es keinen CO-Markt nach dem herkömmlichen Verständnis gebe, könne ein Kaufpreis ausschließlich anhand der laufenden Kosten bei den bestehenden Anlagen errechnet werden. (20) Die Errichtung eines neuen CO-Werkes wäre mit 20 Mio. DEM wesentlich teurer gewesen als die Umrüstung seiner bestehenden Gaserzeugungsanlagen, die Linde 12,5 Mio. DEM gekostet haben. Eine Verpflichtung zur Ausschreibung habe nicht bestanden, da die in Frage kommenden CO-Anbieter angesprochen worden waren, und kein anderes Unternehmen sein Interesse bekundete. Eine positive Erwiderung kam nur von Linde, dessen Preisen die Investitionskosten zuzüglich eines angemessenen Gewinns zugrunde lagen. (21) LWG prüfte die Möglichkeit, CO selbst herzustellen, wofür sich jedoch zu hohe Investitionskosten ergaben. CO wird auf der Grundlage eines Synthesegases erzeugt, das in einem Dampfreformer gereinigt werden muss. Für LWG war die einzige Alternative zur Eigenerzeugung die Nutzung eines in der Nachbarschaft verfügbaren Dampfreformers. Da Linde früher einen Dampfreformer von LWG erworben hatte, schlug sie der BvS und UCB vor, der CO-Lieferant von UCB zu werden. CO würde in diesem Fall zu einem neu ausgehandelten - höheren - Preis an UCB geliefert. (22) Mit Schreiben vom 25. Mai 1999 teilte Deutschland mit, dass UCB das Angebot von Linde angenommen hatte, das zwar einen höheren Preis für CO vorsah, jedoch einige günstige Bedingungen enthielt, die über die Verpflichtung der THA hinausgingen. Linde konnte mit Hilfe der neuen Produktionsanlage über einen längeren Zeitraum hinweg mehr CO liefern als LWG. Die Möglichkeit, seine Aminerzeugung in Zukunft zu steigern, war für UCB eine wichtige Erwägung bei der Annahme der Vereinbarung von 1997. 3. Die Entscheidung 2000/524/EG (23) Im Juli 1999 leitete die Kommission ein förmliches Untersuchungsverfahren ein, da sie vermutete, dass es sich bei dem Zuschuss von 9 Mio. DEM an Linde um eine staatliche Beihilfe handelte. Eine Erwiderung auf die Veröffentlichung der Verfahrenseinleitung durch die Kommission ging nur von Deutschland ein. Im Januar 2000 beendete die Kommission das Verfahren mit der teilweise ablehnenden Entscheidung 2000/524/EG. (24) Darin befand sie, dass es sich bei dem Zuschuss von 9 Mio. DEM um eine staatliche Beihilfe handelte. Gemäß den Leitlinien für staatliche Beihilfen mit regionaler Zielsetzung(6) war der Teil des Betrages, der 35 % der förderbaren Investitionskosten, entsprechend 4,4 Mio. DEM, übertraf, mit dem Gemeinsamen Markt nicht zu vereinbaren und deshalb zurückzuzahlen. (25) Das Hauptargument für die Einstufung der Maßnahme als staatliche Beihilfe war, dass der Zuschuss Linde in die Lage versetzte, eine neue Produktionsanlage zu errichten, ohne dafür sämtliche Kosten tragen zu müssen. Für die Bewertung durch die Kommission war die Tatsache unerheblich, dass es aus bestimmten Gründen vorteilhafter war, CO am Ort des Verbrauchers herzustellen. Linde war gegenüber seinen potenziellen Wettbewerbern insofern im Vorteil, als es bereits an diesem Standort war und damit bessere Investitionsvoraussetzungen für die Errichtung der neuen Anlage hatte. (26) Die Kommission ging davon aus, dass sich der Zuschuss auf die Enderzeugnisse anderer Hersteller auswirken könnte, für die CO ein Zwischenerzeugnis ist. Es besteht ein Handel in der Gemeinschaft mit diesen Enderzeugnissen. (27) Hinzu kam, dass UCB zwar der einzige Abnehmer von CO an diesem Standort war, man jedoch nicht ausschließen konnte, dass Linde in Zukunft auch an andere Unternehmen in der Region liefern würde. (28) Schließlich legte Deutschland keine hinreichenden Beweise dafür vor, dass außer Linde kein anderes Unternehmen bereit gewesen wäre, die Belieferung von UCB zu übernehmen. Nach ihrer Aussage war Linde der einzige interessierte Investor - eine Ausschreibung wurde hierbei nicht durchgeführt. (29) Im April 2000 erhob Linde mit Unterstützung Deutschlands Klage gegen die Entscheidung 2000/524/EG. 4. Das Urteil des Gerichts erster Instanz (30) Dem Urteil des GeI lagen im Wesentlichen folgende Erwägungen zugrunde: "(42) Aus den Akten geht hervor, dass die BvS, die Nachfolgeorganisation der THA und Eigentümerin der von LWG in Leuna betriebenen Kohlenmonoxid-Produktionseinheit, wegen des Zusammentreffens nachstehender Umstände vor einem finanziellen Problem stand: - Durch den Liefervertrag vom 22. April 1993 hatten sich die THA und LWG verpflichtet, UCB über einen auf unbestimmte Zeit verlängerbaren Zeitraum von zehn Jahren zu einem als marktgerecht definierten Preis mit Kohlenmonoxid zu beliefern. - Später ergab sich jedoch, dass dieser Lieferpreis die Kosten der Kohlenmonoxid-Produktion durch LWG nicht deckte; - Diese Kosten waren nämlich besonders hoch, weil die Anlagen und die in diesen zum Einsatz kommende Technologie veraltet waren. - Außerdem war der Lieferpreis im Hinblick auf die - letztlich nie realisierte - Ansiedlung eines zweiten Abnehmers von Kohlenmonoxid am Standort Leuna festgelegt worden, die einen wirtschaftlicheren Betrieb der Produktionseinseinheit von LWG ermöglicht hätte. - Die der BvS und LWG durch die Durchführung dieses Liefervertrags entstandenen Verluste beliefen sich auf jährlich etwa 3,5 Mio. DEM und sollen ab 1998 jährlich 5 Mio. DEM betragen. - Wenn dieser Vertrag also nicht im Oktober 1998 gekündigt, sondern bis zum Ende seiner Laufzeit, d. h. bis 30. April 2003, durchgeführt worden wäre, hätten die BvS und LWG seit Oktober 1998 Verluste von insgesamt etwa 15 Mio. DEM zu tragen gehabt. - LWG konnte den Liefervertrag vom 22. April 1993 nicht nach dessen Artikel 6 Absatz 4 (siehe oben Randnummer 3) kündigen, da keiner der beiden in dieser Bestimmung vorgesehenen Fälle vorlag. - Zum einen hatte nämlich UCB die Möglichkeit ausgeschlossen, eine eigene Kohlenmonoxid-Produktionsanlage zu errichten und zu betreiben. - Zum anderen gab es am Standort Leuna keinen weiteren Hersteller von Kohlenmonoxid, bei dem UCB dieses Gas hätte beziehen können. - UCB hätte sich Kohlenmonoxid auch nicht außerhalb von Leuna beschaffen können, da dieses Gas in der Nähe des Abnehmers erzeugt werden muss (siehe die 22. Begründungserwägung der angefochtenen Entscheidung)." (31) Ein weiterer wichtiger Gesichtspunkt war der Plan von Linde, seine Produktionskapazität auf den Bedarf von UCB zu beschränken(7). Die Belieferung anderer Abnehmer mit Kohlenmonoxid wurde wegen der geringen Produktionsreserve ausgeschlossen. Am Standort Leuna gibt es keine anderen potenziellen Abnehmer von CO. Die Beförderung zu den nächstgelegenen chemischen Produktionsstätten in Bitterfeld oder Buna war wegen der technischen Merkmale von CO unmöglich. III. WÜRDIGUNG DER MASSNAHME 1. Der relevante Markt (32) Der sachlich relevante Markt ist der Markt für CO, ein giftiges in der Chemieindustrie verwendetes Gas. Da sein Transport teuer und gefährlich ist, muss die Produktion nahe beim Abnehmer gelegen sein. (33) Der räumlich relevante Markt ist immer ein lokaler Markt, da sich Erzeugung und Verbrauch wegen der Transportkosten und -risiken an demselben Standort befinden müssen. 2. Beihilfetatbestand (34) Der Zuschuss von 9 Mio. DEM stellte keine Beihilfe im Sinne von Artikel 87 Absatz 1 EG-Vertrag dar, da diese Maßnahme weder den Wettbewerb verzerrte noch den Handel beeinträchtigte. (35) Wegen der Besonderheiten des Produktmarktes und seines durch die Privatisierungsbemühungen in den neuen Bundesländern Anfang der 90er Jahre charakterisierten Hintergrunds wirkte sich der Zuschuss weder auf die Wettbewerbslage in der CO-Produktion noch auf die weitere Verwendung von CO in der Aminproduktion aus. (36) Die besonderen wirtschaftlichen und rechtlichen Fakten sind vor dem Hintergrund des Industriekombinatsystems der ehemaligen DDR zu würdigen. Der Gedanke der Bündelung der gesamten Branche an ein oder zwei Standorten gipfelte in der Konzentration auf die beiden großen Chemiestandorte Leuna und Bitterfeld. Nach der deutschen Wiedervereinigung stellte sich heraus, dass diese großen Industriekomplexe unter Marktbedingungen nicht wirtschaften konnten. Die Privatisierungsverfahren für diese Industriestandorte berücksichtigten die Besonderheiten des früheren Wirtschaftssystems. (37) Im Zuge der Privatisierung der Chemieindustrie am Standort Leuna ging Deutschland 1993 die Verpflichtung ein, für einen ziemlich langen Zeitraum CO an UCB zu einem Festpreis zu liefern. Ohne diese Lieferzusage hätte UCB die Aminproduktion in Leuna nicht übernommen(8). (38) Deutschland hat seine vertraglichen Zusagen an UCB eingehalten und CO pflichtgemäß - unter Verlust - geliefert, sich aber um eine Verringerung der damit verbundenen Finanzlast bemüht und eine wirtschaftlichere Lösung angestrebt. Die Entscheidung von THA/BvS für Linde war in dieser besonderen Situation objektiv die wirtschaftlichste Lösung für die öffentliche Hand, da Linde bereits ein Chemiewerk am Standort Leuna unterhielt. 1994 hatte Linde das weltweit größte Industriegaszentrum in Leuna eingeweiht, und 1998 übernahm sie die gesamte Industriegasversorgung der Mitteldeutschen Erdölraffinerie (MIDER) in Leuna. Die neue CO-Produktionsanlage konnte in die bestehende Struktur integriert werden, wodurch sich die Investitionskosten gegenüber dem Bau einer völlig neuen Fabrik beträchtlich verringerten. (39) Da kein anderes in Leuna ansässiges Unternehmen solche objektiven strukturellen Vorteile aufwies oder auch nur Interesse am Bau einer Produktionsanlage für die Übernahme der CO-Lieferungen zeigte, verfügte Linde für den Bau der neuen Anlage über einen bedeutenden Kostenvorteil. (40) Linde erhielt den Zuschuss für den Bau der neuen CO-Anlage. Ohne den Zuschuss hätte Linde die Investition nicht vorgenommen. In den Verhandlungen über den Zuschuss wurde der für den Bau der Anlage notwendige Mindestbetrag vereinbart. Da Linde als einziges Unternehmen in Leuna bereits über ein in Betrieb befindliches Chemiegaswerk verfügte, hätte kein anderes Unternehmen den Bau einer solchen Anlage mit diesem Betrag finanzieren können. Der Zuschuss von 9 Mio. DEM stellte demnach die beste, wirtschaftlichste Lösung für die öffentliche Hand dar, da ein vollständig neues Werk ansonsten 20 Mio. DEM und nicht 12,5 Mio. DEM wie im Falle von Linde gekostet hätte. Zum Ausgleich für die höheren Baukosten hätte jedes andere Unternehmen entweder einen erheblich höheren Zuschuss verlangt oder die Preise für die Belieferung von UCB erheblich anheben müssen. Dies wäre von UCB abgelehnt worden, das sich auf sein Bezugsrecht aus dem ursprünglichen Privatisierungsvertrag berufen konnte, und das gesamte Projekt wäre gescheitert. (41) Die besondere Stellung von Linde als bestgeeigneter Lieferant von CO für UCB ergab sich auch aus der Tatsache, dass während des gesamten Untersuchungsverfahrens der Kommission mit Ausnahme Deutschlands weder ein anderer Wettbewerber noch ein sonstiger Betroffener reagierte. Diese Gründe bilden zusammengenommen einen ausreichenden Beleg dafür, dass ein anderes Auswahlverfahren keinen geringeren Zuschussbetrag erbracht hätte als den in der Vereinbarung von 1997 festgelegten. (42) Der Zuschuss wirkte sich nicht auf den CO-Markt aus, da die technischen Merkmale des Werkes und die Produktionskapazitäten extra auf den Bedarf von UCB zugeschnitten waren. Das neue Linde-Werk war dazu bestimmt, ausschließlich für UCB zu produzieren. Einen zweiten Abnehmer von CO, der vom "subventionierten" CO hätte profitieren können, hat es nie gegeben. Unter den gegebenen Umständen bestand deswegen keine Möglichkeit, dass "subventioniertes" CO den Standort Leuna verließ oder einen anderen Abnehmer an diesem Standort fand. Eine Auswirkung der Zuschüsse auf andere Produkte oder Märkte kann somit ausgeschlossen werden. (43) Aus diesen Entwicklungen ergibt sich, dass die Unterstützung Deutschlands für das neue Linde-Werk lediglich dazu diente, die vertraglichen Verpflichtungen gegenüber UCB auf die kostengünstigste Weise zu erfuellen. Der Zuschuss an Linde entsprach dem zum Erreichen dieses Ziels notwendigen Mindestbetrag. Unter Berücksichtigung der besonderen Umstände in diesem Fall bewirkte diese Unterstützung keine Verzerrung des Wettbewerbs auf den Märkten, auf denen Linde oder UCB vertreten sind. (44) Auch auf dem Aminmarkt dürfte eine Wettbewerbsverzerrung ausgeschlossen sein, da der CO-Preis von Linde sogar über dem ursprünglich von UCB aufgrund des Privatisierungsvertrags entrichteten Preis lag und somit sicherlich nicht seine Wettbewerbsstellung verbesserte. Der Preis wurde zwischen Linde und UCB nach rein geschäftlichen Kriterien ausgehandelt. UCB akzeptierte den höheren Preis im Austausch für die Verlängerung der Liefergarantie über die ursprünglich im Privatisierungsvertrag festgelegte Frist - 2003 - hinaus. Deswegen hatte der Zuschuss keinen Einfluss auf einem nachgelagerten Markt. IV. SCHLUSSFOLGERUNG (45) Wegen der einzigartigen sachlichen Umstände und des geschichtlichen Hintergrunds kann eine Wettbewerbsverzerrung auf dem relevanten Markt (oder auch nur das Risiko einer solchen Verzerrung) ausgeschlossen werden. Linde war als einziges Unternehmen objektiv geeignet, CO an UCB zu liefern, und hat seine Erzeugung ausschließlich an UCB geliefert. Für Deutschland bot Linde die Gewährleistung, seiner Verpflichtung zur Belieferung von UCB mit CO weiterhin nachzukommen. Der Zuschuss beschränkte sich auf den hierfür erforderlichen Mindestbetrag - HAT FOLGENDE ENTSCHEIDUNG ERLASSEN: Artikel 1 Der Zuschuss Deutschlands an die Linde AG für den Bau eines Kohlenmonoxidwerkes in Leuna in Höhe von 9 Mio. DEM ist keine Beihilfe im Sinne von Artikel 87 Absatz 1 des EG-Vertrags. Artikel 2 Diese Entscheidung ist an die Bundesrepublik Deutschland gerichtet. Brüssel, den 19. März 2003 Für die Kommission Mario Monti Mitglied der Kommission (1) ABl. L 211 vom 22.8.2000, S. 7. (2) ABl. C 194 vom 10.7.1999, S. 14. (3) Noch nicht veröffentlicht. (4) http://www.linde.com/en/en.jsp, 3. Dezember 2002. (5) http://www.ucb-group.com/corp/ default.htm, 3. Dezember 2002. (6) ABl. C 74 vom 10.3.1998, S. 9. (7) Von Linde in seiner Klage vom 19. April 2000 dem GeI unter Ziffer 21 vorgetragen. Dies wurde von der Kommission nicht bestritten. (8) Der Umstand, dass der von UCB an THA/BvS entrichtete Kaufpreis für das CO nicht einmal die Produktionskosten deckte, kann auf ein Beihilfeelement hindeuten. Da es aber höchstwahrscheinlich unter die genehmigten Ausnahmeregeln fällt (Treuhandregime), hat sich die Kommission mit diesem Punkt nicht näher befasst.