32002F0584

2002/584/JI: Rahmenbeschluss des Rates vom 13. Juni 2002 über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten - Stellungnahmen bestimmter Mitgliedstaaten zur Annahme des Rahmenbeschlusses

Amtsblatt Nr. L 190 vom 18/07/2002 S. 0001 - 0020


Rahmenbeschluss des Rates

vom 13. Juni 2002

über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten

(2002/584/JI)

DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION -

gestützt auf den Vertrag über die Europäische Union, insbesondere auf Artikel 31 Buchstaben a) und b) und Artikel 34 Absatz 2 Buchstabe b),

auf Vorschlag der Kommission(1),

nach Stellungnahme des Europäischen Parlaments(2),

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1) Nach den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Tampere vom 15. und 16. Oktober 1999, insbesondere in Nummer 35 dieser Schlussfolgerungen, sollten im Verhältnis der Mitgliedstaaten untereinander die förmlichen Verfahren zur Auslieferung von Personen, die sich nach einer rechtskräftigen Verurteilung der Justiz zu entziehen suchen, abgeschafft und die Verfahren zur Auslieferung von Personen, die der Begehung einer Straftat verdächtig sind, beschleunigt werden.

(2) Im Maßnahmenprogramm zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Strafsachen, das in Nummer 37 der Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Tampere vorgesehen war und das der Rat am 30. November 2000 angenommen hat(3), wird die Frage der gegenseitigen Vollstreckung von Haftbefehlen behandelt.

(3) Die Gesamtheit der Mitgliedstaaten oder einige von ihnen sind Vertragsparteien verschiedener Übereinkünfte im Bereich der Auslieferung, unter anderem des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 und des Europäischen Übereinkommens vom 27. Januar 1977 zur Bekämpfung des Terrorismus. Die nordischen Staaten verfügen über Auslieferungsgesetze gleichen Inhalts.

(4) Darüber hinaus sind die folgenden drei Übereinkünfte, die ganz oder teilweise Auslieferungsfragen betreffen, von den Mitgliedstaaten gebilligt worden und sind Teil des Besitzstandes der Union, nämlich: das Übereinkommen vom 19. Juni 1990 zur Durchführung des Überein-kommens von Schengen vom 14. Juni 1985 betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen(4) (mit Geltung für die Mitgliedstaaten, die Vertragsparteien des genannten Übereinkommens sind), das Übereinkommen vom 10. März 1995 über das vereinfachte Auslieferungsverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union(5) und das Übereinkommen vom 27. September 1996 über die Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union(6).

(5) Aus dem der Union gesetzten Ziel, sich zu einem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu entwickeln, ergibt sich die Abschaffung der Auslieferung zwischen Mitgliedstaaten und deren Ersetzung durch ein System der Übergabe zwischen Justizbehörden. Die Ein-führung eines neuen, vereinfachten Systems der Übergabe von Personen, die einer Straftat verdächtigt werden oder wegen einer Straftat verurteilt worden sind, für die Zwecke der strafrechtlichen Verfolgung oder der Vollstreckung strafrechtlicher Urteile ermöglicht zudem die Beseitigung der Komplexität und der Verzögerungsrisiken, die den derzeitigen Auslieferungsverfahren innewohnen. Die bislang von klassischer Kooperation geprägten Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten sind durch ein System des freien Verkehrs strafrechtlicher justizieller Entscheidungen - und zwar sowohl in der Phase vor der Urteilsverkündung als auch in der Phase danach - innerhalb des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu ersetzen.

(6) Der Europäische Haftbefehl im Sinne des vorliegenden Rahmenbeschlusses stellt im strafrechtlichen Bereich die erste konkrete Verwirklichung des vom Europäischen Rat als "Eckstein" der justiziellen Zusammenarbeit qualifizierten Prinzips der gegenseitigen Anerkennung dar.

(7) Da das Ziel der Ersetzung des auf dem Europäischen Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957 beruhenden multilateralen Auslieferungssystems von den Mitgliedstaaten durch einseitiges Vorgehen nicht ausreichend erreicht werden kann und daher wegen seines Umfangs und seiner Wirkungen besser auf Unionsebene zu erreichen ist, kann der Rat gemäß dem Subsidiaritätsprinzip nach Artikel 2 des Vertrags über die Europäische Union und Artikel 5 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Maßnahmen erlassen. Entsprechend dem Verhältnismäßigkeitsprinzip nach dem letztgenannten Artikel geht der vorliegende Rahmenbeschluss nicht über das für die Erreichung des genannten Ziels erforderliche Maß hinaus.

(8) Entscheidungen zur Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls müssen ausreichender Kontrolle unterliegen; dies bedeutet, dass eine Justizbehörde des Mitgliedstaats, in dem die gesuchte Person festgenommen wurde, die Entscheidung zur Übergabe dieser Person treffen muss.

(9) Die Rolle der Zentralbehörden bei der Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls muss sich auf praktische und administrative Unterstützung beschränken.

(10) Grundlage für den Mechanismus des Europäischen Haftbefehls ist ein hohes Maß an Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten. Die Anwendung dieses Mechanismus darf nur ausgesetzt werden, wenn eine schwere und anhaltende Verletzung der in Artikel 6 Absatz 1 des Vertrags über die Europäische Union enthaltenen Grundsätze durch einen Mitgliedstaat vorliegt und diese vom Rat gemäß Artikel 7 Absatz 1 des genannten Vertrags mit den Folgen von Artikel 7 Absatz 2 festgestellt wird.

(11) Der Europäische Haftbefehl soll in den Beziehungen zwischen Mitgliedstaaten alle früheren Instrumente bezüglich der Auslieferung ersetzen, einschließlich der Bestimmungen von Titel III des Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen, die die Auslieferung betreffen.

(12) Der vorliegende Rahmenbeschluss achtet die Grundrechte und wahrt die in Artikel 6 des Vertrags über die Europäische Union anerkannten Grundsätze, die auch in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union(7), insbesondere in deren Kapitel VI, zum Ausdruck kommen. Keine Bestimmung des vorliegenden Rahmenbeschlusses darf in dem Sinne ausgelegt werden, dass sie es untersagt, die Übergabe einer Person, gegen die ein Europäischer Haftbefehl besteht, abzulehnen, wenn objektive Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der genannte Haftbefehl zum Zwecke der Verfolgung oder Bestrafung einer Person aus Gründen ihres Geschlechts, ihrer Rasse, Religion, ethnischen Herkunft, Staatsangehörigkeit, Sprache oder politischen Überzeugung oder sexuellen Ausrichtung erlassen wurde oder dass die Stellung dieser Person aus einem dieser Gründe beeinträchtigt werden kann.

Der vorliegende Rahmenbeschluss belässt jedem Mitgliedstaat die Freiheit zur Anwendung seiner verfassungsmäßigen Regelung des Anspruchs auf ein ordnungsgemäßes Gerichtsverfahren, der Vereinigungsfreiheit, der Pressefreiheit und der Freiheit der Meinungsäußerung in anderen Medien.

(13) Niemand sollte in einen Staat abgeschoben oder ausgewiesen oder an einen Staat ausgeliefert werden, in dem für sie oder ihn das ernsthafte Risiko der Todesstrafe, der Folter oder einer anderen unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe oder Behandlung besteht.

(14) Da alle Mitgliedstaaten das Übereinkommen des Europarates vom 28. Januar 1981 zum Schutz des Menschen bei der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten ratifiziert haben, sind die bei der Durchführung des vorliegenden Rahmenbeschlusses zu verarbeitenden personenbezogenen Daten gemäß den Grundsätzen dieses Übereinkommens zu schützen -

HAT FOLGENDEN RAHMENBESCHLUSS ERLASSEN:

KAPITEL I

ALLGEMEINE GRUNDSÄTZE

Artikel 1

Definition des Europäischen Haftbefehls und Verpflichtung zu seiner Vollstreckung

(1) Bei dem Europäischen Haftbefehl handelt es sich um eine justizielle Entscheidung, die in einem Mitgliedstaat ergangen ist und die Festnahme und Übergabe einer gesuchten Person durch einen anderen Mitgliedstaat zur Strafverfolgung oder zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung bezweckt.

(2) Die Mitgliedstaaten vollstrecken jeden Europäischen Haftbefehl nach dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung und gemäß den Bestimmungen dieses Rahmenbeschlusses.

(3) Dieser Rahmenbeschluss berührt nicht die Pflicht, die Grundrechte und die allgemeinen Rechtsgrundsätze, wie sie in Artikel 6 des Vertrags über die Europäische Union niedergelegt sind, zu achten.

Artikel 2

Anwendungsbereich des Europäischen Haftbefehls

(1) Ein Europäischer Haftbefehl kann bei Handlungen erlassen werden, die nach den Rechtsvorschriften des Ausstellungsmitgliedstaats mit einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung im Hoechstmaß von mindestens zwölf Monaten bedroht sind, oder im Falle einer Verurteilung zu einer Strafe oder der Anordnung einer Maßregel der Sicherung, deren Maß mindestens vier Monate beträgt.

(2) Bei den nachstehenden Straftaten erfolgt, wenn sie im Ausstellungsmitgliedstaat nach der Ausgestaltung in dessen Recht mit einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung im Hoechstmaß von mindestens drei Jahren bedroht sind, eine Übergabe aufgrund eines Europäischen Haftbefehls nach Maßgabe dieses Rahmenbeschlusses und ohne Überprüfung des Vorliegens der beiderseitigen Strafbarkeit:

- Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung,

- Terrorismus,

- Menschenhandel,

- sexuelle Ausbeutung von Kindern und Kinderpornografie,

- illegaler Handel mit Drogen und psychotropen Stoffen,

- illegaler Handel mit Waffen, Munition und Sprengstoffen,

- Korruption,

- Betrugsdelikte, einschließlich Betrug zum Nachteil der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften im Sinne des Übereinkommens vom 26. Juli 1995 über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften,

- Wäsche von Erträgen aus Straftaten,

- Geldfälschung, einschließlich der Euro-Fälschung,

- Cyberkriminalität,

- Umweltkriminalität, einschließlich des illegalen Handels mit bedrohten Tierarten oder mit bedrohten Pflanzen- und Baumarten,

- Beihilfe zur illegalen Einreise und zum illegalen Aufenthalt,

- vorsätzliche Tötung, schwere Körperverletzung,

- illegaler Handel mit Organen und menschlichem Gewebe,

- Entführung, Freiheitsberaubung und Geiselnahme,

- Rassismus und Fremdenfeindlichkeit,

- Diebstahl in organisierter Form oder mit Waffen,

- illegaler Handel mit Kulturgütern, einschließlich Antiquitäten und Kunstgegenstände,

- Betrug,

- Erpressung und Schutzgelderpressung,

- Nachahmung und Produktpiraterie,

- Fälschung von amtlichen Dokumenten und Handel damit,

- Fälschung von Zahlungsmitteln,

- illegaler Handel mit Hormonen und anderen Wachstumsförderern,

- illegaler Handel mit nuklearen und radioaktiven Substanzen,

- Handel mit gestohlenen Kraftfahrzeugen,

- Vergewaltigung,

- Brandstiftung,

- Verbrechen, die in die Zuständigkeit des Internationalen Strafgerichtshofs fallen,

- Flugzeug- und Schiffsentführung,

- Sabotage.

(3) Der Rat kann einstimmig und nach Anhörung des Europäischen Parlaments nach Maßgabe von Artikel 39 Absatz 1 des Vertrags über die Europäische Union (EUV) jederzeit beschließen, weitere Arten von Straftaten in die in Absatz 2 enthaltene Liste aufzunehmen. Der Rat prüft im Licht des Berichts, den die Kommission ihm nach Artikel 34 Absatz 3 unterbreitet, ob es sich empfiehlt, diese Liste auszuweiten oder zu ändern.

(4) Bei anderen Straftaten als denen des Absatzes 2 kann die Übergabe davon abhängig gemacht werden, dass die Handlungen, derentwegen der Europäische Haftbefehl ausgestellt wurde, eine Straftat nach dem Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats darstellen, unabhängig von den Tatbestandsmerkmalen oder der Bezeichnung der Straftat.

Artikel 3

Gründe, aus denen die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls abzulehnen ist

Die Justizbehörde des Vollstreckungsstaats (nachstehend "vollstreckende Justizbehörde" genannt) lehnt die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls ab,

1. wenn die Straftat, aufgrund deren der Europäische Haftbefehl ergangen ist, im Vollstreckungsstaat unter eine Amnestie fällt und dieser Staat nach seinem eigenen Strafrecht für die Verfolgung der Straftat zuständig war;

2. wenn sich aus den der vollstreckenden Justizbehörde vorliegenden Informationen ergibt, dass die gesuchte Person wegen derselben Handlung von einem Mitgliedstaat rechtskräftig verurteilt worden ist, vorausgesetzt, dass im Fall einer Verurteilung die Sanktion bereits vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsmitgliedstaats nicht mehr vollstreckt werden kann;

3. wenn die Person, gegen die der Europäische Haftbefehl ergangen ist, nach dem Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats aufgrund ihres Alters für die Handlung, die diesem Haftbefehl zugrunde liegt, nicht strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden kann.

Artikel 4

Gründe, aus denen die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls abgelehnt werden kann

Die vollstreckende Justizbehörde kann die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls verweigern,

1. wenn in einem der in Artikel 2 Absatz 4 genannten Fälle die Handlung, aufgrund deren der Europäische Haftbefehl ergangen ist, nach dem Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats keine Straftat darstellt; in Steuer-, Zoll- und Währungsangelegenheiten kann die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls jedoch nicht aus dem Grund abgelehnt werden, dass das Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats keine gleichartigen Steuern vorschreibt oder keine gleichartigen Steuer-, Zoll- und Währungsbestimmungen enthält wie das Recht des Ausstellungsmitgliedstaats;

2. wenn die Person, gegen die der Europäische Haftbefehl ergangen ist, im Vollstreckungsmitgliedstaat wegen derselben Handlung, aufgrund deren der Europäische Haftbefehl ausgestellt worden ist, strafrechtlich verfolgt wird;

3. wenn die Justizbehörden des Vollstreckungsmitgliedstaats beschlossen haben, wegen der Straftat, aufgrund deren der Europäische Haftbefehl ausgestellt worden ist, kein Verfahren einzuleiten bzw. das Verfahren einzustellen, oder wenn gegen die gesuchte Person in einem Mitgliedstaat aufgrund derselben Handlung eine rechtskräftige Entscheidung ergangen ist, die einer weiteren Strafverfolgung entgegensteht;

4. wenn die Strafverfolgung oder die Strafvollstreckung nach den Rechtsvorschriften des Vollstreckungsmitgliedstaats verjährt ist und hinsichtlich der Handlungen nach seinem eigenen Strafrecht Gerichtsbarkeit bestand;

5. wenn sich aus den der vollstreckenden Justizbehörde vorliegenden Informationen ergibt, dass die gesuchte Person wegen derselben Handlung von einem Drittstaat rechtskräftig verurteilt worden ist, vorausgesetzt, dass im Fall einer Verurteilung die Sanktion bereits vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsstaats nicht mehr vollstreckt werden kann;

6. wenn der Europäische Haftbefehl zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung ausgestellt worden ist, sich die gesuchte Person im Vollstreckungsmitgliedstaat aufhält, dessen Staatsangehöriger ist oder dort ihren Wohnsitz hat und dieser Staat sich verpflichtet, die Strafe oder die Maßregel der Sicherung nach seinem innerstaatlichen Recht zu vollstrecken;

7. wenn der Europäische Haftbefehl sich auf Straftaten erstreckt, die

a) nach den Rechtsvorschriften des Vollstreckungsmitgliedstaats ganz oder zum Teil in dessen Hoheitsgebiet oder an einem diesem gleichgestellten Ort begangen worden sind;

oder

b) außerhalb des Hoheitsgebiets des Ausstellungsmitgliedstaats begangen wurden, und die Rechtsvorschriften des Vollstreckungsmitgliedstaats die Verfolgung von außerhalb seines Hoheitsgebiets begangenen Straftaten gleicher Art nicht zulassen.

Artikel 5

Vom Ausstellungsmitgliedstaat in bestimmten Fällen zu gewährende Garantien

Die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls durch die vollstreckende Justizbehörde kann nach dem Recht dieses Staates an eine der folgenden Bedingungen geknüpft werden:

1. Ist der Europäische Haftbefehl zur Vollstreckung einer Strafe oder einer Maßregel der Sicherung ausgestellt worden, die in einem Abwesenheitsurteil verhängt worden ist, und ist die betroffene Person nicht persönlich vorgeladen oder nicht auf andere Weise vom Termin und vom Ort der Verhandlung, die zum Abwesenheitsurteil geführt hat, unterrichtet worden, so kann die Übergabe an die Bedingung geknüpft werden, dass die ausstellende Justizbehörde eine als ausreichend erachtete Zusicherung gibt, wonach die Person, gegen die der Europäische Haftbefehl ergangen ist, die Möglichkeit haben wird, im Ausstellungsmitgliedstaat eine Wiederaufnahme des Verfahrens zu beantragen und bei der Gerichtsverhandlung anwesend zu sein.

2. Ist die Straftat, die dem Europäischen Haftbefehl zugrunde liegt, mit lebenslanger Freiheitsstrafe oder einer lebenslangen freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung bedroht, so kann die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls an die Bedingung geknüpft werden, dass die Rechtsordnung des Ausstellungsmitgliedstaats eine Überprüfung der verhängten Strafe - auf Antrag oder spätestens nach 20 Jahren - oder Gnadenakte zulässt, die zur Aussetzung der Vollstreckung der Strafe oder der Maßregel führen können und auf die die betreffende Person nach dem innerstaatlichen Recht oder der Rechtspraxis des Ausstellungsmitgliedstaats Anspruch hat.

3. Ist die Person, gegen die ein Europäischer Haftbefehl zum Zwecke der Strafverfolgung ergangen ist, Staatsangehöriger des Vollstreckungsmitgliedstaats oder in diesem wohnhaft, so kann die Übergabe davon abhängig gemacht werden, dass die betreffende Person nach Gewährung rechtlichen Gehörs zur Verbüßung der Freiheitsstrafe oder der freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung, die im Ausstellungsmitgliedstaat gegen sie verhängt wird, in den Vollstrekkungsmitgliedstaat rücküberstellt wird.

Artikel 6

Bestimmung der zuständigen Behörden

(1) Ausstellende Justizbehörde ist die Justizbehörde des Ausstellungsmitgliedstaats, die nach dem Recht dieses Staats für die Ausstellung eines Europäischen Haftbefehls zuständig ist.

(2) Vollstreckende Justizbehörde ist die Justizbehörde des Vollstreckungsmitgliedstaats, die nach dem Recht dieses Staats zuständig für die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls ist.

(3) Jeder Mitgliedstaat unterrichtet das Generalsekretariat des Rates über die nach seinem Recht zuständige Justizbehörde.

Artikel 7

Beteiligung der zentralen Behörde

(1) Jeder Mitgliedstaat kann eine oder, sofern es seine Rechtsordnung vorsieht, mehrere zentrale Behörden zur Unterstützung der zuständigen Justizbehörden benennen.

(2) Ein Mitgliedstaat kann, wenn sich dies aufgrund des Aufbaus seines Justizsystems als erforderlich erweist, seine zentrale(n) Behörde(n) mit der administrativen Übermittlung und Entgegennahme der Europäischen Haftbefehle sowie des gesamten übrigen sie betreffenden amtlichen Schriftverkehrs betrauen.

Ein Mitgliedstaat, der von den in diesem Artikel vorgesehenen Möglichkeiten Gebrauch machen möchte, übermittelt dem Generalsekretariat des Rates die Angaben über die von ihm benannte(n) zentrale(n) Behörde(n). Diese Angaben sind für alle Behörden des Ausstellungsmitgliedstaats verbindlich.

Artikel 8

Inhalt und Form des Europäischen Haftbefehls

(1) Der Europäische Haftbefehl enthält entsprechend dem im Anhang beigefügten Formblatt folgende Informationen:

a) die Identität und die Staatsangehörigkeit der gesuchten Person;

b) Name, Adresse, Telefon- und Telefaxnummer sowie Email-Adresse der ausstellenden Justizbehörde;

c) die Angabe, ob ein vollstreckbares Urteil, ein Haftbefehl oder eine andere vollstreckbare justizielle Entscheidung mit gleicher Rechtswirkung nach den Artikeln 1 und 2 vorliegt;

d) die Art und rechtliche Würdigung der Straftat, insbesondere in Bezug auf Artikel 2;

e) die Beschreibung der Umstände, unter denen die Straftat begangen wurde, einschließlich der Tatzeit, des Tatortes und der Art der Tatbeteiligung der gesuchten Person;

f) im Fall eines rechtskräftigen Urteils die verhängte Strafe oder der für die betreffende Straftat im Ausstellungsmitgliedstaat gesetzlich vorgeschriebene Strafrahmen;

g) soweit möglich, die anderen Folgen der Straftat.

(2) Der Europäische Haftbefehl ist in die Amtssprache oder eine der Amtssprachen des Vollstreckungsstaats zu übersetzen. Jeder Mitgliedstaat kann zum Zeitpunkt der Annahme dieses Rahmenbeschlusses oder später in einer beim Generalsekretariat des Rates hinterlegten Erklärung angeben, dass er eine Übersetzung in eine oder mehrere weitere Amtssprachen der Organe der Europäischen Gemeinschaften akzeptiert.

KAPITEL 2

ÜBERGABEVERFAHREN

Artikel 9

Übermittlung eines Europäischen Haftbefehls

(1) Ist der Aufenthaltsort der gesuchten Person bekannt, so kann die ausstellende Justizbehörde den Europäischen Haftbefehl direkt der vollstreckenden Justizbehörde übermitteln.

(2) Die ausstellende Justizbehörde kann in allen Fällen beschließen, die gesuchte Person im Schengener Informationssystem (SIS) ausschreiben zu lassen.

(3) Eine derartige Ausschreibung erfolgt gemäß Artikel 95 des Übereinkommens vom 19. Juni 1990 zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen. Eine Ausschreibung im SIS steht einem Europäischen Haftbefehl, dem die in Artikel 8 Absatz 1 angegebenen Informationen beigefügt sind, gleich.

Während eines Übergangszeitraums, der so lange währt, bis das SIS in der Lage ist, alle in Artikel 8 genannten Informationen zu übermitteln, steht die Ausschreibung dem Europäischen Haftbefehl gleich, bis das Original bei der vollstreckenden Justizbehörde in der gebührenden Form eingegangen ist.

Artikel 10

Modalitäten der Übermittlung eines Europäischen Haftbefehls

(1) Ist der ausstellenden Justizbehörde die zuständige vollstreckende Justizbehörde nicht bekannt, so stellt sie insbesondere mit Hilfe der Kontaktstellen des Europäischen Justiziellen Netzes(8) die erforderlichen Nachforschungen an, um diese Information vom Vollstreckungsmitgliedstaat zu erlangen.

(2) Wenn die ausstellende Justizbehörde dies wünscht, kann die Übermittlung über das gesicherte Telekommunikationssystem des Europäischen Justiziellen Netzes erfolgen.

(3) Kann nicht auf das SIS zurückgegriffen werden, so kann die ausstellende Justizbehörde für die Übermittlung des Europäischen Haftbefehls die Dienste von Interpol in Anspruch nehmen.

(4) Die ausstellende Justizbehörde kann den Europäischen Haftbefehl durch jedes sichere Mittel, das die Erstellung einer schriftlichen Fassung unter Bedingungen ermöglicht, die dem Vollstreckungsmitgliedsstaat die Feststellung der Echtheit gestatten, übermitteln.

(5) Alle Schwierigkeiten in Verbindung mit der Übermittlung oder der Echtheit der zur Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls erforderlichen Unterlagen werden direkt zwischen den betreffenden Justizbehörden oder gegebenenfalls unter Einschaltung der Zentralbehörden der Mitgliedstaaten behoben.

(6) Ist die Behörde, bei der ein Europäischer Haftbefehl eingeht, für dessen Bearbeitung nicht zuständig, so übermittelt sie den Europäischen Haftbefehl von Amtes wegen der zuständigen Behörde in ihrem Mitgliedstaat und setzt die ausstellende Justizbehörde von diesem Umstand in Kenntnis.

Artikel 11

Rechte der gesuchten Person

(1) Wird eine gesuchte Person festgenommen, so unterrichtet die zuständige Justizbehörde des Vollstreckungsmitgliedstaats entsprechend dessen innerstaatlichem Recht die betreffende Person von dem Europäischen Haftbefehl, von dessen Inhalt sowie davon, dass sie ihrer Übergabe an die ausstellende Justizbehörde zustimmen kann.

(2) Eine gesuchte Person, die zum Zwecke der Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls festgenommen wird, hat nach Maßgabe des innerstaatlichen Rechts des Vollstreckungsmitgliedstaats Anspruch darauf, einen Rechtsbeistand und einen Dolmetscher hinzuzuziehen.

Artikel 12

Inhafthaltung der gesuchten Person

Im Fall der Festnahme einer Person aufgrund eines Europäischen Haftbefehls entscheidet die vollstreckende Justizbehörde, ob die gesuchte Person nach Maßgabe des Rechts des Vollstreckungsmitgliedstaats in Haft zu halten ist. Eine vorläufige Haftentlassung nach Maßgabe der innerstaatlichen Rechtsvorschriften des Vollstreckungsmitgliedstaats ist jederzeit möglich, sofern die zuständige Behörde dieses Mitgliedstaates die ihres Erachtens erforderlichen Maßnahmen zur Verhinderung einer Flucht der gesuchten Person trifft.

Artikel 13

Zustimmung zur Übergabe

(1) Gibt die festgenommene Person an, dass sie ihrer Übergabe zustimmt, so werden diese Zustimmung und gegebenenfalls der ausdrückliche Verzicht auf den Schutz des Grundsatzes der Spezialität nach Artikel 27 Absatz 2 vor der vollstreckenden Justizbehörde nach dem innerstaatlichen Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats erklärt.

(2) Jeder Mitgliedstaat trifft die erforderlichen Maßnahmen, damit die Zustimmung und gegebenenfalls der Verzicht nach Absatz 1 unter Bedingungen entgegengenommen werden, die erkennen lassen, dass die Person sie freiwillig und in vollem Bewusstsein der sich daraus ergebenden Folgen bekundet hat. Zu diesem Zweck hat die gesuchte Person das Recht, einen Rechtsbeistand beizuziehen.

(3) Die Zustimmung und gegebenenfalls der Verzicht nach Absatz 1 werden nach dem im innerstaatlichen Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats vorgesehenen Verfahren zu Protokoll genommen.

(4) Die Zustimmung ist grundsätzlich unwiderruflich. Jeder Mitgliedstaat kann vorsehen, dass die Zustimmung und gegebenenfalls der Verzicht nach den anwendbaren Vorschriften des innerstaatlichen Rechts widerruflich sein können. In diesem Fall wird der Zeitraum zwischen dem Zeitpunkt, zu dem die Zustimmung erklärt wurde, und dem Zeitpunkt, zu dem sie widerrufen wurde, bei der Berechnung der in Artikel 17 vorgesehenen Fristen nicht berücksichtigt. Ein Mitgliedstaat, der von dieser Möglichkeit Gebrauch machen will, teilt dies dem Generalsekretariat des Rates bei der Annahme dieses Rahmenbeschlusses mit und gibt die Modalitäten, nach denen die Zustimmung widerrufen werden kann, sowie jede Änderung dieser Modalitäten an.

Artikel 14

Vernehmung der gesuchten Person

Stimmt die festgenommene Person ihrer Übergabe nach Maßgabe des Artikels 13 nicht zu, hat sie das Recht, von der vollstreckenden Justizbehörde nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften des Vollstreckungsmitgliedstaats vernommen zu werden.

Artikel 15

Entscheidung über die Übergabe

(1) Die vollstreckende Justizbehörde entscheidet über die Übergabe der betreffenden Person nach Maßgabe dieses Rahmenbeschlusses und innerhalb der darin vorgesehenen Fristen.

(2) Ist die vollstreckende Justizbehörde der Ansicht, dass die vom Ausstellungsmitgliedstaat übermittelten Informationen nicht ausreichen, um über die Übergabe entscheiden zu können, so bittet sie um die unverzügliche Übermittlung der notwendigen zusätzlichen Informationen, insbesondere hinsichtlich der Artikel 3 bis 5 und Artikel 8; sie kann eine Frist für den Erhalt dieser zusätzlichen Informationen festsetzen, wobei die Frist nach Artikel 17 zu beachten ist.

(3) Die ausstellende Justizbehörde kann der vollstreckenden Justizbehörde jederzeit alle zusätzlichen sachdienlichen Informationen übermitteln.

Artikel 16

Entscheidung bei Mehrfachersuchen

(1) Haben zwei oder mehr Mitgliedstaaten einen Europäischen Haftbefehl gegen dieselbe Person erlassen, so entscheidet die vollstreckende Justizbehörde unter gebührender Berücksichtigung aller Umstände, welcher dieser Europäischen Haftbefehle vollstreckt wird; zu diesen Umständen gehören insbesondere die Schwere und der Ort der Straftat, der Zeitpunkt, zu dem die Europäischen Haftbefehle erlassen wurden, sowie die Tatsache, dass der Haftbefehl zur Strafverfolgung oder zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung ausgestellt wurde.

(2) Um die Entscheidung nach Absatz 1 zu treffen, kann die vollstreckende Justizbehörde Eurojust(9) um Stellungnahme ersuchen.

(3) Bei Zusammentreffen eines Europäischen Haftbefehls mit einem Auslieferungsersuchen eines Drittstaats entscheidet die zuständige Behörde des Vollstreckungsmitgliedstaats unter gebührender Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der in Absatz 1 genannten Umstände sowie der in dem anwendbaren Übereinkommen oder Abkommen beschriebenen Umstände, ob der Europäische Haftbefehl oder das Auslieferungsersuchen Vorrang hat.

(4) Diesen Artikel lässt die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten aufgrund des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs unberührt.

Artikel 17

Fristen und Modalitäten der Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls

(1) Ein Europäischer Haftbefehl wird als Eilsache erledigt und vollstreckt.

(2) In den Fällen, in denen die gesuchte Person ihrer Übergabe zustimmt, sollte die endgültige Entscheidung über die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls innerhalb von zehn Tagen nach Erteilung der Zustimmung erfolgen.

(3) In den anderen Fällen sollte die endgültige Entscheidung über die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls innerhalb von 60 Tagen nach der Festnahme der gesuchten Person erfolgen.

(4) Kann in Sonderfällen der Europäische Haftbefehl nicht innerhalb der in den Absätzen 2 bzw. 3 vorgesehenen Fristen vollstreckt werden, so setzt die vollstreckende Justizbehörde die ausstellende Justizbehörde von diesem Umstand und von den jeweiligen Gründen unverzüglich in Kenntnis. In diesem Fall können die Fristen um weitere 30 Tage verlängert werden.

(5) Solange noch keine endgültige Entscheidung über die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls durch die vollstrekkende Justizbehörde ergangen ist, stellt diese sicher, dass die materiellen Voraussetzungen für eine tatsächliche Übergabe der Person weiterhin gegeben sind.

(6) Eine Ablehnung der Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls ist zu begründen.

(7) Kann ein Mitgliedstaat bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände die in diesem Artikel vorgesehenen Fristen nicht einhalten, so setzt er Eurojust von diesem Umstand und von den Gründen der Verzögerung in Kenntnis. Außerdem teilt ein Mitgliedstaat, der wiederholt Verzögerungen bei der Vollstreckung von Europäischen Haftbefehlen durch einen anderen Mitgliedstaat ausgesetzt gewesen ist, diesen Umstand dem Rat mit, damit eine Beurteilung der Umsetzung dieses Rahmenbeschlusses auf Ebene der Mitgliedstaaten erfolgen kann.

Artikel 18

Lage in Erwartung der Entscheidung

(1) Wurde der Europäische Haftbefehl zum Zwecke der Strafverfolgung erlassen, so muss die vollstreckende Justizbehörde

a) entweder akzeptieren, dass die gesuchte Person nach Artikel 19 vernommen wird;

b) oder akzeptieren, dass die gesuchte Person vorübergehend überstellt wird.

(2) Die Bedingungen und die Dauer der vorübergehenden Überstellung werden in gegenseitigem Einvernehmen zwischen der ausstellenden und der vollstreckenden Justizbehörde festgelegt.

(3) Im Falle der vorübergehenden Überstellung muss die betreffende Person Gelegenheit haben, in den Vollstreckungsmitgliedstaat zurückzukehren, um dort den sie betreffenden Gerichtsverhandlungen, die im Rahmen des Übergabeverfahrens stattfinden, beizuwohnen.

Artikel 19

Vernehmung der Person in Erwartung der Entscheidung

(1) Die Vernehmung der gesuchten Person erfolgt durch eine Justizbehörde mit Unterstützung einer Person, die nach dem Recht des Mitgliedstaats der ersuchenden Justizbehörde bestimmt wird.

(2) Die Vernehmung der gesuchten Person erfolgt nach dem Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats und nach den im gegenseitigen Einvernehmen zwischen der ausstellenden und der vollstreckenden Justizbehörde festgelegten Bedingungen.

(3) Die zuständige vollstreckende Justizbehörde kann eine andere Justizbehörde ihres Mitgliedstaats anweisen, an der Vernehmung der gesuchten Person teilzunehmen, um die ordnungsgemäße Anwendung dieses Artikels und der festgelegten Bedingungen zu gewährleisten.

Artikel 20

Vorrechte und Immunitäten

(1) Genießt die gesuchte Person im Vollstreckungsmitgliedstaat ein Vorrecht oder eine Strafverfolgungs- oder -vollstrekkungsimmunität, so beginnen die Fristen nach Artikel 17 nur zu laufen, wenn die vollstreckende Justizbehörde davon unterrichtet worden ist, dass das Vorrecht oder die Immunität aufgehoben wurde; in diesem Fall beginnt die Frist am Tag der Unterrichtung.

Der Vollstreckungsmitgliedstaat trägt dafür Sorge, dass die materiellen Voraussetzungen für eine tatsächliche Übergabe weiterhin gegeben sind, wenn die Person kein solches Vorrecht oder keine solche Immunität mehr genießt.

(2) Ist eine Behörde des Vollstreckungsmitgliedstaats für die Aufhebung des Vorrechts oder der Immunität zuständig, befasst die vollstreckende Justizbehörde sie unverzüglich mit einem entsprechenden Ersuchen. Ist eine Behörde eines anderen Staates oder eine internationale Organisation für die Aufhebung des Vorrechts oder der Immunität zuständig, ist sie von der ausstellenden Justizbehörde mit einem entsprechenden Ersuchen zu befassen.

Artikel 21

Konkurrierende internationale Verpflichtungen

Von diesem Rahmenbeschluss unberührt bleiben die Verpflichtungen des Vollstreckungsmitgliedstaats in den Fällen, in denen die gesuchte Person an diesen Mitgliedstaat durch einen Drittstaat ausgeliefert worden ist, und wenn auf diese Person aufgrund der ihrer Auslieferung zugrunde liegenden Vereinbarung der Grundsatz der Spezialität anzuwenden ist. Der Vollstrekkungsmitgliedstaat trifft die erforderlichen Maßnahmen, um unverzüglich die Zustimmung des Drittstaates einzuholen, der die gesuchte Person ausgeliefert hat, damit sie dem Ausstellungsstaat übergeben werden kann. Die Fristen nach Artikel 17 beginnen erst an dem Tage zu laufen, an dem der Grundsatz der Spezialität nicht mehr anzuwenden ist. Bis die Entscheidung des Staates vorliegt, aus dem die gesuchte Person ausgeliefert wurde, überzeugt sich der Vollstreckungsmitgliedstaat davon, dass die materiellen Voraussetzungen für eine tatsächliche Übergabe weiterhin gegeben sind.

Artikel 22

Mitteilung der Entscheidung

Die vollstreckende Justizbehörde teilt der ausstellenden Justizbehörde unverzüglich ihre Entscheidung über die Vollstreckung oder Nichtvollstreckung des Europäischen Haftbefehls mit.

Artikel 23

Frist für die Übergabe der Person

(1) Die Übergabe der gesuchten Person erfolgt so bald wie möglich zu einem zwischen den betreffenden Behörden vereinbarten Zeitpunkt.

(2) Die Übergabe erfolgt spätestens zehn Tage nach der endgültigen Entscheidung über die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls.

(3) Ist die Übergabe der gesuchten Person innerhalb der in Absatz 2 genannten Frist aufgrund von Umständen, die sich dem Einfluss der Mitgliedstaaten entziehen, unmöglich, setzen sich die vollstreckende und die ausstellende Justizbehörde unverzüglich miteinander in Verbindung und vereinbaren ein neues Übergabedatum. In diesem Fall erfolgt die Übergabe binnen zehn Tagen nach dem vereinbarten neuen Termin.

(4) Die Übergabe kann aus schwerwiegenden humanitären Gründen, z. B. wenn ernsthafte Gründe für die Annahme bestehen, dass die Vollstreckung offensichtlich eine Gefährdung für Leib oder Leben der gesuchten Person darstellt, ausnahmsweise ausgesetzt werden. Die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls erfolgt, sobald diese Gründe nicht mehr gegeben sind. Die vollstreckende Justizbehörde setzt die ausstellende Justizbehörde unverzüglich davon in Kenntnis und vereinbart ein neues Übergabedatum. In diesem Fall erfolgt die Übergabe binnen zehn Tagen nach dem vereinbarten neuen Termin.

(5) Befindet sich die betreffende Person nach Ablauf der in den Absätzen 2 bis 4 genannten Fristen noch immer in Haft, wird sie freigelassen.

Artikel 24

Aufgeschobene oder bedingte Übergabe

(1) Die vollstreckende Justizbehörde kann nach der Entscheidung zur Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls die Übergabe der gesuchten Person aufschieben, damit diese im Vollstreckungsstaat gerichtlich verfolgt werden oder, falls sie bereits verurteilt worden ist, im Hoheitsgebiet des Vollstreckungsstaats eine Strafe verbüßen kann, die wegen einer anderen als der im Europäischen Haftbefehl genannten Handlung gegen sie verhängt wurde.

(2) Statt die Übergabe aufzuschieben, kann die vollstreckende Justizbehörde die gesuchte Person dem Ausstellungsstaat vorübergehend unter Bedingungen übergeben, die von der vollstreckenden und der ausstellenden Justizbehörde vereinbart werden. Die Vereinbarung muss in Schriftform erfolgen, und die Bedingungen sind für alle Behörden des Ausstellungsmitgliedstaats verbindlich.

Artikel 25

Durchlieferung

(1) Jeder Mitgliedstaat bewilligt die Durchlieferung einer gesuchten Person zu Zwecken der Übergabe durch sein Hoheitsgebiet, es sei denn, er macht von der Möglichkeit der Ablehnung Gebrauch, wenn die Durchlieferung eines seiner Staats- oder Gebietsangehörigen zum Zwecke der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung beantragt wird; die Genehmigung hängt von der Übermittlung folgender Angaben ab:

a) die Identität und die Staatsangehörigkeit der Person, gegen die ein Europäischer Haftbefehl erlassen wurde,

b) das Vorliegen eines Europäischen Haftbefehls,

c) die Art und die rechtliche Würdigung der Straftat,

d) die Beschreibung der Umstände, unter denen die Straftat begangen wurde, einschließlich der Tatzeit und des Tatortes.

Ist die Person, gegen die ein Europäischer Haftbefehl zum Zwecke der Strafverfolgung ergangen ist, Staatsangehöriger des Durchlieferungsstaats oder in diesem wohnhaft, so kann die Durchlieferung davon abhängig gemacht werden, dass die Person nach Gewährung rechtlichen Gehörs zur Verbüßung der Freiheitsstrafe oder der freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung, die im Ausstellungsmitgliedstaat gegen sie verhängt wird, in den Durchlieferungsmitgliedstaat rücküberstellt wird.

(2) Jeder Mitgliedstaat bezeichnet eine zuständige Behörde für die Entgegennahme der Durchlieferungsersuchen und der erforderlichen Unterlagen sowie des sonstigen amtlichen Schriftverkehrs im Zusammenhang mit Durchlieferungsersuchen. Die Mitgliedstaaten teilen die bezeichneten Behörden dem Generalsekretariat des Rates mit.

(3) Das Durchlieferungsersuchen und die Informationen nach Absatz 1 können der nach Absatz 2 bezeichneten Behörde in jeder Form, die einen schriftlichen Nachweis ermöglicht, übermittelt werden. Der Durchlieferungsmitgliedstaat teilt seine Entscheidung auf dem gleichen Wege mit.

(4) Dieser Rahmenbeschluss findet keine Anwendung auf die Durchlieferung auf dem Luftweg ohne eingeplante Zwischenlandung. Wenn es jedoch zu einer außerplanmäßigen Landung kommt, übermittelt der Ausstellungsmitgliedstaat der nach Absatz 2 bezeichneten Behörde die Informationen nach Absatz 1.

(5) Betrifft die Durchlieferung eine Person, die aus einem Drittstaat an einen Mitgliedstaat ausgeliefert werden soll, so findet dieser Artikel entsprechende Anwendung. Insbesondere gilt in diesem Fall der Ausdruck "Europäischer Haftbefehl" als ersetzt durch "Auslieferungsersuchen".

KAPITEL 3

WIRKUNG DER ÜBERGABE

Artikel 26

Anrechnung der im Vollstreckungsstaat verbüßten Haft

(1) Der Ausstellungsmitgliedstaat rechnet die Dauer der Haft aus der Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls auf die Gesamtdauer des Freiheitsentzugs an, die im Ausstellungsmitgliedstaat aufgrund der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung zu verbüßen wäre.

(2) Dazu sind der ausstellenden Justizbehörde zum Zeitpunkt der Übergabe von der vollstreckenden Justizbehörde oder der nach Artikel 7 bezeichneten Zentralbehörde alle Angaben zur Dauer der Haft der aufgrund des Europäischen Haftbefehls gesuchten Person zu übermitteln.

Artikel 27

Etwaige Strafverfolgung wegen anderer Straftaten

(1) Jeder Mitgliedstaat kann dem Generalsekretariat des Rates mitteilen, dass in seinen Beziehungen zu anderen Mitgliedstaaten, die die gleiche Mitteilung gemacht haben, die Zustimmung dazu, dass eine Person wegen einer anderen vor der Übergabe begangenen Handlung als derjenigen, die der Übergabe zugrunde liegt, verfolgt, verurteilt oder zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung in Haft gehalten wird, als erteilt gilt, sofern die vollstreckende Justizbehörde im Einzelfall in ihrer Übergabeentscheidung keine anders lautende Erklärung abgibt.

(2) Außer in den in den Absätzen 1 und 3 vorgesehenen Fällen dürfen Personen, die übergeben wurden, wegen einer vor der Übergabe begangenen anderen Handlung als derjenigen, die der Übergabe zugrunde liegt, weder verfolgt noch verurteilt noch einer freiheitsentziehenden Maßnahme unterworfen werden.

(3) Absatz 2 findet in folgenden Fällen keine Anwendung:

a) wenn die Person das Hoheitsgebiet des Mitgliedstaates, dem sie übergeben worden ist, innerhalb von 45 Tagen nach ihrer endgültigen Freilassung nicht verlassen hat, obwohl sie dazu die Möglichkeit hatte, oder wenn sie nach Verlassen dieses Gebiets dorthin zurückgekehrt ist;

b) wenn die Straftat nicht mit einer Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung bedroht ist;

c) wenn die Strafverfolgung nicht zur Anwendung einer die persönliche Freiheit beschränkenden Maßnahme führt;

d) wenn die Person der Vollstreckung einer Strafe oder Maßregel der Sicherung ohne Freiheitsentzug, insbesondere einer Geldstrafe bzw. einer vermögensrechtlichen Maßnahme oder der an deren Stelle tretenden Maßnahme unterzogen wird, selbst wenn diese Strafe oder Maßnahme die persönliche Freiheit einschränken kann;

e) wenn die Person ihre Zustimmung zur Übergabe und gegebenenfalls den Verzicht auf die Anwendung des Grundsatzes der Spezialität gemäß Artikel 13 erklärt hat;

f) wenn die Person nach ihrer Übergabe ausdrücklich auf die Anwendung des Grundsatzes der Spezialität in Bezug auf bestimmte vor der Übergabe begangene Handlungen verzichtet hat. Die Verzichterklärung wird vor den zuständigen Justizbehörden des Ausstellungsmitgliedstaats abgegeben und nach dessen innerstaatlichem Recht zu Protokoll genommen. Die Verzichterklärung ist so abzufassen, dass aus ihr hervorgeht, dass die betreffende Person sie freiwillig und in voller Kenntnis der sich daraus ergebenden Folgen abgegeben hat. Zu diesem Zweck hat die Person das Recht, einen Rechtsbeistand hinzuzuziehen;

g) wenn die vollstreckende Justizbehörde, die die Person übergeben hat, ihre Zustimmung nach Absatz 4 gibt.

(4) Das Ersuchen um Zustimmung ist unter Beifügung der in Artikel 8 Absatz 1 erwähnten Angaben und einer Übersetzung gemäß Artikel 8 Absatz 2 an die vollstreckende Justizbehörde zu richten. Die Zustimmung wird erteilt, wenn die Straftat, derentwegen um Zustimmung ersucht wird, nach diesem Rahmenbeschluss der Verpflichtung zur Übergabe unterliegt. Die Zustimmung wird verweigert, wenn die in Artikel 3 genannten Gründe vorliegen; ansonsten kann sie nur aus den in Artikel 4 genannten Gründen verweigert werden. Die Entscheidung ist spätestens 30 Tage nach Eingang des Ersuchens zu treffen.

In den Fällen des Artikels 5 sind die dort vorgesehenen Garantien vom Ausstellungsmitgliedstaat zu geben.

Artikel 28

Weitere Übergabe oder Auslieferung

(1) Jeder Mitgliedstaat kann dem Generalsekretariat des Rates mitteilen, dass in seinen Beziehungen zu anderen Mitgliedstaaten, die die gleiche Mitteilung gemacht haben, die Zustimmung dazu, dass eine Person einem anderen Mitgliedstaat als dem Vollstreckungsmitgliedstaat aufgrund eines Europäischen Haftbefehls, dem eine vor ihrer Übergabe begangene Handlung zugrunde liegt, übergeben wird, als erteilt gilt, sofern die vollstreckende Justizbehörde im Einzelfall in ihrer Übergabeentscheidung keine anders lautende Erklärung abgibt.

(2) In jedem Fall können Personen, die dem Ausstellungsmitgliedstaat aufgrund eines Europäischen Haftbefehls übergeben wurden, ohne die Zustimmung des Vollstreckungsmitgliedstaats einem anderen Mitgliedstaat als dem Vollstreckungsmitgliedstaat aufgrund eines Europäischen Haftbefehls, dem eine vor der Übergabe begangene Handlung zugrunde liegt, in den folgenden Fällen übergeben werden:

a) wenn die gesuchte Person das Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats, dem sie übergeben worden ist, innerhalb von 45 Tagen nach ihrer endgültigen Freilassung nicht verlassen hat, obwohl sie dazu die Möglichkeit hatte, oder wenn sie nach Verlassen dieses Gebiets dorthin zurückgekehrt ist;

b) wenn die gesuchte Person ihrer Übergabe an einen anderen Mitgliedstaat als den Vollstreckungsmitgliedstaat aufgrund eines Europäischen Haftbefehls zustimmt. Die Zustimmung wird vor den zuständigen Justizbehörden des Ausstellungsmitgliedstaats erklärt und nach dessen innerstaatlichem Recht zu Protokoll genommen. Die Zustimmungserklärung ist so abzufassen, dass aus ihr hervorgeht, dass die betreffende Person sie freiwillig und in voller Kenntnis der sich daraus ergebenden Folgen gegeben hat. Zu diesem Zweck hat die gesuchte Person das Recht, einen Rechtsbeistand hinzuzuziehen;

c) wenn der Grundsatz der Spezialität auf die gesuchte Person gemäß Artikel 22 Absatz 3 Buchstaben a), e), f) und g) nicht anzuwenden ist.

(3) Die vollstreckende Justizbehörde stimmt der Übergabe an einen anderen Mitgliedstaat gemäß den folgenden Bestimmungen zu:

a) Das Ersuchen um Zustimmung ist gemäß Artikel 9 unter Beifügung der in Artikel 8 Absatz 1 erwähnten Informationen und der in Artikel 8 Absatz 2 vorgesehenen Übersetzung zu stellen.

b) Die Zustimmung wird erteilt, wenn die Straftat, derentwegen um Zustimmung ersucht wird, nach diesem Rahmenbeschluss der Verpflichtung zur Übergabe unterliegt.

c) Die Entscheidung ist spätestens 30 Tage nach Eingang des Ersuchens zu treffen.

d) Die Zustimmung wird verweigert, wenn die in Artikel 3 genannten Gründe vorliegen; ansonsten kann sie nur aus den in Artikel 4 genannten Gründen verweigert werden.

In den in Artikel 5 genannten Fällen sind die dort vorgesehenen Garantien vom Ausstellungsstaat zu geben.

(4) Ungeachtet des Absatzes 1 darf eine Person, die aufgrund eines Europäischen Haftbefehls übergeben wurde, nicht ohne die Zustimmung der zuständigen Behörden des Mitgliedstaats, der die Person übergeben hat, an einen Drittstaat ausgeliefert werden. Die Zustimmung ist gemäß den Übereinkommen, die diesen Mitgliedstaat binden, sowie gemäß seinen innerstaatlichen Rechtsvorschriften zu geben.

Artikel 29

Übergabe von Gegenständen

(1) Auf Verlangen der ausstellenden Justizbehörde oder von Amtes wegen beschlagnahmt und übergibt die vollstreckende Justizbehörde nach Maßgabe ihres innerstaatlichen Rechts die Gegenstände,

a) die als Beweisstücke dienen können oder

b) die die gesuchte Person aus der Straftat erlangt hat.

(2) Die in Absatz 1 erwähnten Gegenstände sind selbst dann zu übergeben, wenn der Europäische Haftbefehl infolge des Todes oder der Flucht der gesuchten Person nicht vollstreckt werden kann.

(3) Unterliegen die in Absatz 1 genannten Gegenstände im Hoheitsgebiet des Vollstreckungsmitgliedstaats der Beschlagnahme oder Einziehung, so kann er sie, wenn sie für ein anhängiges Strafverfahren benötigt werden, vorübergehend zurückbehalten oder unter der Bedingung der Rückgabe an den Ausstellungsmitgliedstaat herausgeben.

(4) Rechte des Vollstreckungsmitgliedstaats oder Dritter an den in Absatz 1 genannten Gegenständen bleiben vorbehalten. Bestehen solche Rechte, so sind die Gegenstände vom Ausstellungsmitgliedstaat nach Abschluss des Strafverfahrens unverzüglich und kostenlos dem Vollstreckungsmitgliedstaat zurückzugeben.

Artikel 30

Kosten

(1) Kosten, die durch die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls im Hoheitsgebiet des Vollstreckungsmitgliedstaats entstehen, gehen zu dessen Lasten.

(2) Alle sonstigen Kosten gehen zulasten des Ausstellungsmitgliedstaats.

KAPITEL 4

ALLGEMEINE SCHLUSSBESTIMMUNGEN

Artikel 31

Verhältnis zu anderen Übereinkommen

(1) Dieser Rahmenbeschluss ersetzt am 1. Januar 2004 die entsprechenden Bestimmungen der folgenden in den Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten im Bereich der Auslieferung geltenden Übereinkommen, unbeschadet von deren Anwendbarkeit in den Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und Drittstaaten:

a) das Europäische Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957, das dazugehörige Zusatzprotokoll vom 15. Oktober 1975, das dazugehörige Zweite Zusatzprotokoll vom 17. März 1978 und das Europäische Übereinkommen zur Bekämpfung des Terrorismus vom 27. Januar 1977, soweit es sich auf die Auslieferung bezieht;

b) das Übereinkommen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften über die Vereinfachung und Modernisierung der Verfahren zur Übermittlung von Auslieferungsersuchen vom 26. Mai 1989;

c) das Übereinkommen vom 10. März 1995 über das vereinfachte Auslieferungsverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union und

d) das Übereinkommen vom 27. September 1996 über die Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union;

e) den Titel III Kapitel 4 des Übereinkommens vom 19. Juni 1990 zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen.

(2) Es steht den Mitgliedstaaten frei, auch weiterhin die zum Zeitpunkt der Annahme dieses Rahmenbeschlusses geltenden bilateralen oder multilateralen Abkommen oder Übereinkünfte anzuwenden, sofern diese die Möglichkeit bieten, über die Ziele dieses Beschlusses hinauszugehen, und zu einer weiteren Vereinfachung oder Erleichterung der Verfahren zur Übergabe von Personen beitragen, gegen die ein Europäischer Haftbefehl vorliegt.

Es steht den Mitgliedstaaten frei, nach Inkrafttreten dieses Rahmenbeschlusses bilaterale oder multilaterale Abkommen oder Übereinkünfte zu schließen, sofern diese die Möglichkeit bieten, über die Vorschriften dieses Beschlusses hinauszugehen, und zu einer Vereinfachung oder Erleichterung der Verfahren zur Übergabe von Personen beitragen, gegen die ein Europäischer Haftbefehl vorliegt, insbesondere indem kürzere Fristen als nach Artikel 17 festgelegt werden, die Liste der in Artikel 2 Absatz 2 angeführten Straftaten ausgeweitet wird, die Ablehnungsgründe nach den Artikeln 3 und 4 zusätzlich eingeschränkt werden oder der Schwellenwert nach Artikel 2 Absatz 1 oder Absatz 2 gesenkt wird.

Die Abkommen und Übereinkünfte nach Unterabsatz 2 dürfen auf keinen Fall die Beziehungen zu den Mitgliedstaaten beeinträchtigen, die nicht Vertragspartei dieser Übereinkünfte sind.

Die Mitgliedstaaten unterrichten den Rat und die Kommission binnen drei Monaten nach Inkrafttreten dieses Rahmenbeschlusses von den bestehenden Abkommen oder Übereinkünften nach Unterabsatz 1, die sie auch weiterhin anwenden wollen.

Die Mitgliedstaaten unterrichten den Rat und die Kommission ferner über alle neuen Abkommen oder Übereinkünfte im Sinne von Unterabsatz 2 binnen drei Monaten nach deren Unterzeichnung.

(3) Soweit die in Absatz 1 genannten Abkommen oder Übereinkünfte für Hoheitsgebiete der Mitgliedstaaten oder für Hoheitsgebiete, deren auswärtige Beziehungen ein Mitgliedstaat wahrnimmt, gelten, auf die dieser Rahmenbeschluss keine Anwendung findet, sind diese Instrumente weiterhin für die Beziehungen zwischen diesen Hoheitsgebieten und den übrigen Mitgliedstaaten maßgebend.

Artikel 32

Übergangsbestimmung

(1) Für die vor dem 1. Januar 2004 eingegangenen Auslieferungsersuchen gelten weiterhin die im Bereich der Auslieferung bestehenden Instrumente. Für die nach diesem Zeitpunkt eingegangenen Ersuchen gelten die von den Mitgliedstaaten gemäß diesem Rahmenbeschluss erlassenen Bestimmungen. Jeder Mitgliedstaat kann jedoch zum Zeitpunkt der Annahme dieses Rahmenbeschlusses eine Erklärung abgegeben, dass er als Vollstreckungsmitgliedstaat auch weiterhin Ersuchen im Zusammenhang mit Handlungen, die vor einem von ihm festzulegenden Zeitpunkt begangen wurden, nach der vor dem 1. Januar 2004 geltenden Auslieferungsregelung behandeln wird. Der betreffende Zeitpunkt darf nicht nach dem 7. August 2002 liegen. Diese Erklärung wird im Amtsblatt veröffentlicht. Sie kann jederzeit zurückgezogen werden.

Artikel 33

Bestimmung betreffend Österreich und Gibraltar

(1) Solange Österreich Artikel 12 Absatz 1 seines Auslieferungs- und Rechtshilfegesetzes nicht geändert hat, spätestens jedoch bis zum 31. Dezember 2008, darf Österreich seinen vollstreckenden Justizbehörden gestatten, die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls abzulehnen, wenn es sich bei der gesuchten Person um einen österreichischen Staatsbürger handelt und wenn die Handlung, derentwegen der Europäische Haftbefehl erlassen worden ist, nach österreichischem Recht nicht strafbar ist.

(2) Dieser Rahmenbeschluss findet auch auf Gibraltar Anwendung.

Artikel 34

Durchführung

(1) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um diesem Rahmenbeschluss bis zum 31. Dezember 2003 nachzukommen.

(2) Die Mitgliedstaaten teilen dem Generalsekretariat des Rates und der Kommission den Wortlaut der Bestimmungen mit, die sie zur Umsetzung der sich aus diesem Rahmenbeschluss ergebenden Verpflichtungen in ihr innerstaatliches Recht erlassen haben. Dabei kann jeder Mitgliedstaat angeben, dass er diesen Rahmenbeschluss in seinen Beziehungen zu den Mitgliedstaaten, die die gleiche Mitteilung gemacht haben, unverzüglich anwendet.

Das Generalsekretariat des Rates übermittelt den Mitgliedstaaten und der Kommission die nach Artikel 7 Absatz 2, Artikel 8 Absatz 2, Artikel 13 Absatz 4 und Artikel 25 Absatz 2 eingegangenen Informationen. Es trägt auch für die Veröffentlichung im Amtsblatt Sorge.

(3) Auf der Grundlage von Informationen, die das Generalsekretariat des Rates vorlegt, übermittelt die Kommission dem Europäischen Parlament und dem Rat bis zum 31. Dezember 2004 einen Bericht über die Anwendung dieses Rahmenbeschlusses, dem sie gegebenenfalls Gesetzgebungsvorschläge beifügt.

(4) Der Rat überprüft in der zweiten Hälfte des Jahres 2003 insbesondere die praktische Umsetzung der Bestimmungen des vorliegenden Rahmenbeschlusses in den Mitgliedstaaten sowie die Funktionsweise des SIS.

Artikel 35

Inkrafttreten

Dieser Rahmenbeschluss tritt am zwanzigsten Tag nach seiner Veröffentlichung im Amtsblatt in Kraft.

Geschehen zu Luxemburg am 13. Juni 2002.

Im Namen des Rates

Der Präsident

M. Rajoy Brey

(1) ABl. C 332 E vom 27.11.2001, S. 305.

(2) Stellungnahme vom 9. Januar 2002 (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht).

(3) ABl. C E 12 vom 15.1.2001, S. 10.

(4) ABl. L 239 vom 22.9.2000, S. 19.

(5) ABl. C 78 vom 30.3.1995, S. 2.

(6) ABl. C 313 vom 13.10.1996, S. 12.

(7) ABl. C 364 vom 18.12.2000, S. 1.

(8) Gemeinsame Maßnahme vom 29. Juni 1998 zur Einrichtung eines Europäischen Justiziellen Netzes (ABl. L 191 vom 7.7.1998, S. 4).

(9) Beschluss 2002/187/JI des Rates vom 28. Februar 2002 über die Errichtung von Eurojust zur Verstärkung der Bekämpfung der schweren Kriminalität (ABl. L 63 vom 6.3.2002, S. 1).

ANHANG

EUROPÄISCHER HAFTBEFEHL(1)

Dieser Haftbefehl ist von einer zuständigen Justizbehörde ausgestellt worden. Ich beantrage, dass die unten genannte Person zum Zwecke der Strafverfolgung oder der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder eine freiheitsentziehenden Maßregel der Sicherung festgenommen und übergeben wird.

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(1) Dieser Haftbefehl ist in einer der Amtssprachen des Vollstreckungsstaats oder in einer von diesem Staat akzeptierten Sprache auszufertigen bzw. in eine solche Sprache zu übersetzen, wenn dieser Staat bekannt ist.

Stellungnahmen bestimmter Mitgliedstaaten zur Annahme des Rahmenbeschlusses

Erklärungen nach Artikel 32

Erklärung Frankreichs:

Frankreich erklärt gemäß Artikel 32 des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten, dass es als Vollstreckungsmitgliedstaat Ersuchen in Zusammenhang mit Handlungen, die vor dem 1. November 1993, dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des am 7. Februar 1992 in Maastricht unterzeichneten Vertrags über die Europäische Union, begangen wurden, weiterhin nach der vor dem 1. Januar 2004 geltenden Auslieferungsregelung behandeln wird.

Erklärung Italiens:

Italien wird alle Anträge betreffend Handlungen, die vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl begangen wurden, weiterhin gemäß den geltenden Auslieferungsbestimmungen behandeln, wie dies in Artikel 32 des Rahmenbeschlusses vorgesehen ist.

Erklärung Österreichs:

Österreich erklärt gemäß Artikel 32 des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedsstaaten, dass es als Vollstreckungsstaat Ersuchen betreffend strafbare Handlungen, die vor dem Zeitpunkt des Inkrafttretens des Rahmenbeschlusses begangen worden sind, weiterhin nach den vor diesem Zeitpunkt geltenden Auslieferungsregelungen behandeln wird.

Erklärungen nach Artikel 13 Absatz 4

Erklärung Belgiens:

Die Zustimmung der betreffenden Person zu ihrer Übergabe ist bis zum Zeitpunkt der Übergabe widerruflich.

Erklärung Dänemarks:

Die Zustimmung zur Übergabe und der ausdrückliche Verzicht auf die Anwendung des Grundsatzes der Spezialität können gemäß den jeweils geltenden einschlägigen Bestimmungen des dänischen Rechts widerrufen werden.

Erklärung Irlands:

In Irland kann die Zustimmung zur Übergabe und gegebenenfalls der ausdrückliche Verzicht auf den Schutz des Grundsatzes der Spezialität nach Artikel 27 Absatz 2 widerrufen werden. Bis zum Zeitpunkt der Vollstreckung der Übergabe kann die Zustimmung nach den Vorschriften des innerstaatlichen Rechts widerrufen werden.

Erklärung Finnlands:

In Finnland kann die Zustimmung zur Übergabe und gegebenenfalls der ausdrückliche Verzicht auf den Schutz des Grundsatzes der Spezialität nach Artikel 27 Absatz 2 widerrufen werden. Bis zum Zeitpunkt der Vollstreckung der Übergabe kann die Zustimmung nach den Vorschriften des innerstaatlichen Rechts widerrufen werden.

Erklärung Schwedens:

Die Partei, um deren Übergabe ersucht wurde, kann die Zustimmung oder den Verzicht im Sinne von Artikel 13 Absatz 1 widerrufen. Der Widerruf muss vor der Vollstreckung der Übergabeentscheidung erfolgen.