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Document 32017H2338

Empfehlung (EU) 2017/2338 der Kommission vom 16. November 2017 für ein gemeinsames „Rückkehr-Handbuch“, das von den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten bei der Durchführung rückkehrbezogener Aufgaben heranzuziehen ist

C/2017/6505

OJ L 339, 19.12.2017, p. 83–159 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

ELI: http://data.europa.eu/eli/reco/2017/2338/oj

19.12.2017   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

L 339/83


EMPFEHLUNG (EU) 2017/2338 DER KOMMISSION

vom 16. November 2017

für ein gemeinsames „Rückkehr-Handbuch“, das von den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten bei der Durchführung rückkehrbezogener Aufgaben heranzuziehen ist

DIE EUROPÄISCHE KOMMISSION —

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf Artikel 292,

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)

In der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (1) sind gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger festgelegt.

(2)

Es muss sichergestellt werden, dass diese gemeinsamen Normen und Verfahren von allen zuständigen Behörden einheitlich angewandt werden; daher gab die Kommission mit ihrer Empfehlung C(2015) 6250 vom 1. Oktober 2015 (2) ein gemeinsames „Rückkehr-Handbuch“ mit gemeinsamen Leitlinien, bewährten Verfahren und Empfehlungen heraus, das von den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten bei der Durchführung rückkehrbezogener Aufgaben heranzuziehen ist. Aufgrund neuer Entwicklungen im Bereich der Rückkehr illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger muss das Rückkehr-Handbuch aktualisiert werden.

(3)

In der Empfehlung C(2017) 1600 der Kommission vom 7. März 2017 (3) wird eine Orientierungshilfe gegeben, wie die Bestimmungen der Richtlinie 2008/115/EG angewandt werden sollten, um die Rückkehrverfahren wirksamer zu gestalten, und die Mitgliedstaaten werden ersucht, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, damit die der Rückkehr entgegenstehenden rechtlichen und praktischen Hindernisse beseitigt werden. Das Rückkehr-Handbuch sollte daher der genannten Empfehlung Rechnung tragen.

(4)

Die jüngste Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union im Zusammenhang mit der Richtlinie 2008/115/EG sollte im Handbuch ihren Niederschlag finden.

(5)

Das Rückkehr-Handbuch sollte sich an alle Mitgliedstaaten richten, die durch die Richtlinie 2008/115/EG gebunden sind.

(6)

Im Interesse einer einheitlicheren Anwendung gemeinsamer EU-Normen für die Rückkehr sollte das Rückkehr-Handbuch bei der Durchführung rückkehrbezogener Aufgaben und zu Schulungszwecken als wichtigstes Instrument herangezogen werden —

HAT FOLGENDE EMPFEHLUNG ABGEGEBEN:

(1)

Das Rückkehr-Handbuch im Anhang sollte das Handbuch im Anhang der Empfehlung C(2015) 6250 der Kommission ersetzen.

(2)

Die Mitgliedstaaten sollten das Rückkehr-Handbuch den Behörden ihres Landes, die für die Durchführung rückkehrbezogener Aufgaben zuständig sind, übermitteln und die betreffenden Behörden anweisen, das Handbuch als wichtigstes Instrument bei der Durchführung dieser Aufgaben heranzuziehen.

(3)

Das Rückkehr-Handbuch sollte für die Schulung der für rückkehrbezogene Aufgaben eingesetzten Mitarbeiter sowie von Sachverständigen verwendet werden, die an dem mit der Verordnung (EU) Nr. 1053/2013 des Rates (4) eingeführten Evaluierungs- und Überwachungsmechanismus für die Überprüfung der Anwendung des Schengen-Besitzstands in den Mitgliedstaaten beteiligt sind.

Brüssel, den 16. November 2017

Für die Kommission

Dimitris AVRAMOPOULOS

Mitglied der Kommission


(1)  Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. L 348 vom 24.12.2008, S. 98).

(2)  Empfehlung C(2015) 6250 der Kommission vom 1. Oktober 2015 für ein gemeinsames „Rückkehr-Handbuch“, das von den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten bei der Durchführung rückkehrbezogener Aufgaben heranzuziehen ist.

(3)  Empfehlung C(2017) 1600 der Kommission vom 7. März 2017 für eine wirksamere Gestaltung der Rückkehr im Rahmen der Durchführung der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates.

(4)  Verordnung (EU) Nr. 1053/2013 des Rates vom 7. Oktober 2013 zur Einführung eines Evaluierungs- und Überwachungsmechanismus für die Überprüfung der Anwendung des Schengen-Besitzstands und zur Aufhebung des Beschlusses des Exekutivausschusses vom 16. September 1998 bezüglich der Errichtung des Ständigen Ausschusses Schengener Durchführungsübereinkommen (ABl. L 295 vom 6.11.2013, S. 27).


ANHANG

RÜCKKEHR-HANDBUCH

1.

BEGRIFFSBESTIMMUNGEN 87

1.1.

Drittstaatsangehöriger 87

1.2.

Illegaler Aufenthalt 88

1.3.

Rückkehr/Rückführung 90

1.4.

Rückkehrentscheidung 90

1.5.

Abschiebungsanordnung 91

1.6.

Fluchtgefahr 91

1.7.

Freiwillige Ausreise 93

1.8.

Schutzbedürftige Personen 94

2.

ANWENDUNGSBEREICH 94

2.1.

„Grenzfälle“ – Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe a 95

2.2.

Besondere Garantien für „Grenzfälle“ 96

2.3.

Strafrechts- und Auslieferungsfälle 97

3.

GÜNSTIGERE BESTIMMUNGEN 98

4.

SANKTIONEN BEI VERSTÖSSEN GEGEN DIE MIGRATIONSBESTIMMUNGEN 98

5.

FESTNAHME UND VERPFLICHTUNG ZUM ERLASS VON RÜCKKEHRENTSCHEIDUNGEN 100

5.1.

Festnahme während der Ausreisekontrolle 102

5.2.

Adressaten einer von einem anderen Mitgliedstaat erlassenen Rückkehrentscheidung 102

5.3.

Verhältnis zu den Dublin-Bestimmungen 103

5.4.

Illegal aufhältige Drittstaatsangehörige mit Aufenthaltsberechtigung eines anderen Mitgliedstaats 104

5.5.

Illegal aufhältige Drittstaatsangehörige im Anwendungsbereich geltender bilateraler Abkommen zwischen Mitgliedstaaten 106

5.6.

Illegal aufhältige Drittstaatsangehörige mit Aufenthaltstitel/Aufenthaltsberechtigung aus humanitären (oder sonstigen) Gründen 107

5.7.

Illegal aufhältige Drittstaatsangehörige mit anhängigem Verfahren zur Verlängerung eines Aufenthaltstitels/einer Aufenthaltsberechtigung 107

5.8.

Sonderregelungen in den Richtlinien über legale Migration in Bezug auf die Rückübernahme zwischen Mitgliedstaaten in Fällen von Mobilität innerhalb der Union 108

6.

FREIWILLIGE AUSREISE 108

6.1.

Verlängerte Frist für die freiwillige Ausreise 109

6.2.

Verpflichtungen bis zum Zeitpunkt der freiwilligen Rückkehr 110

6.3.

„Kontraindikationen“ 110

6.4.

Konforme Anwendung in der Praxis — Transit auf dem Landweg 111

6.5.

Konforme Anwendung in der Praxis — Transit auf dem Landweg 112

6.6.

Erfassung der freiwilligen Ausreise 113

7.

ABSCHIEBUNG 113

7.1.

Abschiebung auf dem Luftweg 115

7.2.

Transit auf dem Luftweg 118

7.3.

Gemeinsame Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg 118

7.4.

Von der Europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache koordinierte Rückführungsmaßnahmen (Rückkehraktionen) 119

8.

ÜBERWACHUNG VON RÜCKFÜHRUNGEN 119

9.

AUFSCHUB DER ABSCHIEBUNG 120

10.

RÜCKKEHR UNBEGLEITETER MINDERJÄHRIGER 121

10.1.

Unterstützung durch geeignete Stellen 122

10.2.

Übergabe an ein Familienmitglied, einen offiziellen Vormund oder eine geeignete Aufnahmeeinrichtung 123

11.

EINREISEVERBOTE 123

11.1.

EU-weite Wirkung 124

11.2.

Nutzung des SIS II 125

11.3.

Verfahrensbezogene Aspekte 125

11.4.

Gründe für die Verhängung von Einreiseverboten 125

11.5.

Dauer der Einreiseverbote 126

11.6.

Aufhebung, Verkürzung und Aussetzung von Einreiseverboten 127

11.7.

Sanktionen bei Nichteinhaltung eines Einreiseverbots 128

11.8.

Konsultation zwischen den Mitgliedstaaten 128

11.9.

Einreiseverbote, die vor dem 24.12.2010 verhängt wurden 129

12.

VERFAHRENSGARANTIEN 130

12.1.

Recht auf eine gute Verwaltung und auf Anhörung 130

12.2.

Entscheidungen in Bezug auf die Rückkehr 131

12.3.

Form der Entscheidungen und Übersetzung 133

12.4.

Rechtsbehelfe 134

12.5.

Sprachbeistand und unentgeltlicher Rechtsbeistand 135

13.

GARANTIEN BIS ZUR RÜCKKEHR 137

13.1.

Schriftliche Bestätigung 138

13.2.

Längere Illegalität 138

14.

INHAFTNAHME 139

14.1.

Die Inhaftnahme rechtfertigende Umstände 139

14.2.

Form und erste Überprüfung der Inhaftnahme 142

14.3.

Regelmäßige Überprüfung der Inhaftnahme 142

14.4.

Beendigung der Inhaftnahme 143

14.4.1.

Fehlende hinreichende Aussicht auf Abschiebung 144

14.4.2.

Erreichen der maximalen Haftdauer 144

14.5.

Erneute Inhaftnahme von rückzuführenden Personen 146

14.6.

Anwendung weniger intensiver Zwangsmaßnahmen nach Beendigung der Haft 146

15.

HAFTBEDINGUNGEN 146

15.1.

Anfängliche Ingewahrsamnahme 146

15.2.

Grundsätzliche Nutzung spezieller Einrichtungen 147

15.3.

Trennung von gewöhnlichen Strafgefangenen 148

15.4.

Materielle Haftbedingungen 148

16.

INHAFTNAHME VON MINDERJÄHRIGEN UND FAMILIEN 153

17.

NOTLAGEN 155

18.

UMSETZUNG, AUSLEGUNG UND ÜBERGANGSREGELUNGEN 156

19.

QUELLEN UND REFERENZDOKUMENTE 157

20.

ABKÜRZUNGEN 159

VORWORT

Das vorliegende Handbuch zum Thema Rückkehr/Rückführung gibt den für die diesbezüglichen Aufgaben zuständigen nationalen Behörden, d. h. der Polizei, den Grenzschutzbehörden und den Einwanderungsbehörden, dem Personal von Hafteinrichtungen und den Aufsichtsorganen, Orientierungshilfen für ihre Tätigkeit.

Es bezieht sich auf die Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger und stützt sich auf die diesbezüglichen Rechtsinstrumente der Union, in erster Linie auf die Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (1) („Rückführungsrichtlinie“). Rückkehrverfahren sind in der Praxis häufig mit anderen Arten von Verfahren (Asylverfahren, Grenzkontrollverfahren, Verfahren, die zu einer Einreise- oder Aufenthaltsberechtigung führen) verbunden, die in anderen einschlägigen Rechtsvorschriften der Union und der Mitgliedstaaten geregelt sind. In diesen Fällen sollten die Mitgliedstaaten eine enge Zusammenarbeit zwischen den an diesen Verfahren beteiligten Behörden gewährleisten.

Die erste Fassung des Handbuchs wurde im Oktober 2015 angenommen. (2) Die derzeitige Fassung, die 2017 überarbeitet wurde, stützt sich auf die Empfehlung der Kommission vom 7. März 2017 (3) und enthält zusätzliche Leitlinien, die den nationalen Behörden Aufschluss darüber geben, wie die Bestimmungen der Rückführungsrichtlinie im Hinblick auf wirksamere Rückkehrsysteme unter uneingeschränkter Achtung der Grundrechte anzuwenden sind.

Neben den entsprechenden Normen und Verfahren ist eine gestraffte und gut integrierte Organisation der Zuständigkeiten auf nationaler Ebene eine unerlässliche Voraussetzung für ein wirksames Rückkehrsystem. Dies bedeutet, dass es möglich sein muss, alle an rückkehrbezogenen Verfahren beteiligten Akteure (wie Strafverfolgungs- und Einwanderungsbehörden, aber auch die Justiz, Kindesschutzbehörden, medizinische und soziale Einrichtungen und das Personal von Hafteinrichtungen) zu mobilisieren und ihre Maßnahmen im Einklang mit ihren Aufgaben und Befugnissen zu koordinieren, um den jeweiligen Rückkehrfall bereichsübergreifend zügig und angemessen bearbeiten zu können. Die nationalen Rückkehrsysteme müssen auf die Unterstützung seitens einer ausreichend großen Zahl ausgebildeter und kompetenter Mitarbeiter zählen, die rasch — erforderlichenfalls rund um die Uhr — mobilisiert werden können, vor allem wenn die Belastung bei der Durchführung von Rückführungen zunimmt, und die im Bedarfsfall an den Außengrenzen der Union eingesetzt werden können, um dem Migrationsdruck mit Sofortmaßnahmen zu begegnen. Daher sollten die Systeme gewährleisten, dass kontinuierlich operative Informationen mit der Europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache und den Mitgliedstaaten ausgetauscht werden, wobei auf die technische und operative Unterstützung seitens der Agentur in Anspruch zurückgegriffen werden kann.

Damit die Herausforderungen mithilfe der Systeme bewältigt werden können, sollten die Mitgliedstaaten die im Rahmen der Rückführungsrichtlinie mögliche Flexibilität bestmöglich nutzen und ihre Strukturen und Rückführungskapazitäten regelmäßig überprüfen und anpassen, um dem tatsächlichen Bedarf auch künftig wirksam Rechnung zu tragen.

Aus diesem Handbuch ergeben sich keine rechtlich bindenden Verpflichtungen für die Mitgliedstaaten, und es werden auch keine neuen Rechte und Pflichten festgelegt. Als Grundlage diente weitestgehend die Arbeit der Mitgliedstaaten und der Kommission im Rahmen des Kontaktausschusses „Rückführungsrichtlinie 2008/115/EG“ in den Jahren 2009-2017. Im Handbuch werden die Ergebnisse der in diesem Forum geführten Diskussionen, die nicht unbedingt einen Konsens unter den Mitgliedstaaten hinsichtlich der Auslegung der Rechtsakte widerspiegeln, in systematischer, zusammengefasster Form wiedergegeben.

Der erläuternde Teil des Handbuchs wird durch Hinweise zu neuen Aspekten (zum Beispiel neue Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Union, internationale Normen) ergänzt. Nur die Rechtsakte, auf denen dieses Handbuch beruht bzw. auf die es sich bezieht, entfalten eine verbindliche Rechtswirkung und können vor einem nationalen Gericht geltend gemacht werden. Eine rechtsverbindliche Auslegung des Unionsrechts kann nur der Gerichtshof der Europäischen Union vornehmen.

1.   BEGRIFFSBESTIMMUNGEN

1.1.   Drittstaatsangehöriger

Rechtsgrundlage: Rückführungsrichtlinie — Artikel 3 Nummer 1, Schengener Grenzkodex (4) — Artikel 2 Nummer 5

Alle Personen, die nicht Unionsbürger im Sinne von Artikel 17 Absatz 1 EG-Vertrag sind und die nicht das gemäß Unionsrecht bestehende Recht auf freien Personenverkehr nach Artikel 2 Nummer 5 des Schengener Grenzkodexes genießen.

Die folgenden Personengruppen gelten nicht als „Drittstaatsangehörige“:

Personen, die Unionsbürger im Sinne von Artikel 20 Absatz 1 AEUV (früher Artikel 17 Absatz 1 EG-Vertrag) sind = Staatsangehörige eines EU-Mitgliedstaats (5);

Personen, die die Staatsangehörigkeit eines EWR-Landes/die CH-Staatsangehörigkeit besitzen;

Familienangehörige von Unionsbürgern, die ihr Recht auf Freizügigkeit gemäß Artikel 21 AEUV oder der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (6) wahrnehmen;

Familienangehörige von EWR-/CH-Bürgern, die das gleiche Recht auf Freizügigkeit genießen wie Unionsbürger.

Alle anderen Personen (Staatenlose eingeschlossen) (7) sind als „Drittstaatsangehörige“ anzusehen.

Weitere Klarstellung:

Familienangehörige von EU-/EWR-/CH-Bürgern, die ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit, ein Recht auf Einreise und auf Aufenthalt mit dem Unionsbürger im Aufnahmestaat genießen, sind:

a)

der Ehegatte bzw. der Lebenspartner, mit dem der EU-/EWR-/CH-Bürger auf der Grundlage der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats eine eingetragene Partnerschaft eingegangen ist, sofern nach den Rechtsvorschriften des Aufnahmemitgliedstaats die eingetragene Partnerschaft der Ehe gleichgestellt ist;

b)

die Verwandten in gerader absteigender Linie einschließlich derjenigen des Ehegatten oder des eingetragenen Lebenspartners, die das 21. Lebensjahr noch nicht vollendet haben oder denen von diesen Unterhalt gewährt wird;

c)

die Verwandten in gerader aufsteigender Linie einschließlich derjenigen des Ehegatten oder des eingetragenen Lebenspartners, denen von diesen Unterhalt gewährt wird.

Zusätzlich zu den unter den Buchstaben a bis c genannten Personengruppen können andere Familienmitglieder unter bestimmten Umständen ebenfalls in den Genuss des Freizügigkeitsrechts nach dem Unionsrecht kommen, insbesondere wenn ihnen das Einreise- und Aufenthaltsrecht gemäß den nationalen Rechtsvorschriften zur Umsetzung von Artikel 3 Absatz 2 der Richtlinie 2004/38/EG gewährt wurde.

Drittstaatsangehörige, deren Anspruch auf Anerkennung als Familienangehörige von Unionsbürgern, die gemäß Artikel 21 AEUV oder der Richtlinie 2004/38/EG das Unionsrecht auf Freizügigkeit genießen, von einen Mitgliedstaat abgelehnt wurde, können als Drittstaatsangehörige angesehen werden. Diese Personen können daher der Rückführungsrichtlinie unterliegen, und es sind die darin vorgesehenen Mindestnormen, Verfahren und Rechte anzuwenden. Im Hinblick auf einen möglichen Rechtsbehelf gegen die Entscheidung, mit der die Anwendbarkeit der Richtlinie 2004/38/EG abgelehnt wurde, vertritt die Kommission die Auffassung, dass für die Personen auch weiterhin — als günstigere Bestimmung im Sinne des Artikels 4 der Rückführungsrichtlinie — die Verfahrensgarantien nach Kapitel VI der Richtlinie 2004/38/EG gelten (beispielsweise in Bezug auf die Mitteilung und Begründung von Entscheidungen, die Frist zum freiwilligen Verlassen des Hoheitsgebiets und das Einlegen von Rechtsbehelfen).

1.2.   Illegaler Aufenthalt

Rechtsgrundlage: Rückführungsrichtlinie — Artikel 3 Nummer 2, Schengener Grenzkodex — Artikel 6

Die Anwesenheit von Drittstaatsangehörigen, die nicht oder nicht mehr die Einreisevoraussetzungen nach Artikel 5 des Schengener Grenzkodexes oder andere Voraussetzungen für die Einreise in einen Mitgliedstaat oder den dortigen Aufenthalt erfüllen, im Hoheitsgebiet dieses Mitgliedstaats.

Diese sehr weit gefasste Begriffsbestimmung schließt alle Drittstaatsangehörigen ein, die nicht im Besitz einer Aufenthaltsberechtigung für einen Mitgliedstaat sind. Jeder Drittstaatsangehörige, der sich physisch im Hoheitsgebiet eines EU-Mitgliedstaats aufhält, befindet sich dort entweder legal oder illegal. Eine dritte Möglichkeit gibt es nicht.

Juristische Fiktionen nach nationalem Recht, wonach Personen, die sich physisch in speziell benannten Teilen des Hoheitsgebiets eines Mitgliedstaats (zum Beispiel in Transitbereichen oder bestimmten Grenzgebieten) aufhalten, als „nicht im Hoheitsgebiet aufhältig“ angesehen werden, sind in diesem Zusammenhang nicht relevant, da andernfalls die einheitliche Anwendung der EU-Rechtsvorschriften im Bereich der Rückkehr/Rückführung gefährdet würde. Allerdings können die Mitgliedstaaten beschließen, einige dieser Bestimmungen nicht auf diese Personengruppe anzuwenden (siehe Abschnitt 2).

Nach der 2016 erfolgten Kodifizierung des Schengener Grenzkodexes (SGK) gilt die Bezugnahme auf Artikel 5 SGK in Artikel 3 Nummer 2 der Rückführungsrichtlinie als Bezugnahme auf den derzeitigen Artikel 6 SGK.

Die folgenden Kategorien von Drittstaatsangehörigen beispielsweise gelten als in dem betreffenden Mitgliedstaat illegal aufhältig:

Inhaber eines abgelaufenen Aufenthaltstitels oder Visums;

Inhaber eines entzogenen Aufenthaltstitels oder Visums;

abgelehnte Asylbewerber;

Asylbewerber, deren Aufenthaltsrecht als Asylbewerber durch eine entsprechende Entscheidung beendet wird;

Personen, denen an der Grenze die Einreise verweigert wurde;

Personen, die im Zusammenhang mit einem irregulären Grenzübertritt aufgegriffen wurden;

irreguläre Migranten, die im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufgegriffen wurden;

Personen, die aufgegriffen wurden, als sie durch das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats durchreisen, um ohne entsprechende Berechtigung in einen anderen Mitgliedstaat zu gelangen;

Personen ohne Aufenthaltsberechtigung für den Mitgliedstaat, in dem sie aufgegriffen wurden (auch wenn sie eine Aufenthaltsberechtigung für einen anderen Mitgliedstaat besitzen);

Personen, die sich während der Frist für die freiwillige Ausreise im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhalten;

Personen, deren Abschiebung aufgeschoben wurde.

Die folgenden Personengruppen gelten nicht als illegal aufhältig, da sie eine Aufenthaltsberechtigung für den betreffenden Mitgliedstaat haben (die befristet sein kann):

Asylbewerber, die sich in dem Mitgliedstaat aufhalten, in dem sie bis zum Abschluss ihres Asylverfahrens aufenthaltsberechtigt sind;

Staatenlose, die sich in dem Mitgliedstaat aufhalten, in dem sie nach nationalem Recht während eines Verfahrens zur Feststellung der Staatenlosigkeit aufenthaltsberechtigt sind;

Personen, die sich in dem Mitgliedstaat aufhalten, in dem sie eine formelle Duldung genießen (sofern dieser Status nach nationalem Recht als „legaler Aufenthalt“ angesehen wird);

Inhaber eines in betrügerischer Weise erlangten Aufenthaltstitels, solange dieser nicht aufgehoben oder entzogen wurde und weiterhin als gültiger Titel angesehen wird.

Weitere Klarstellung:

Personen mit einem anhängigen Antrag auf einen Aufenthaltstitel können je nachdem, ob sie über ein gültiges Visum oder eine andere Aufenthaltsberechtigung verfügen oder nicht, legal oder illegal aufhältig sein.

Voraussetzung für die Illegalität eines Aufenthalts ist weder eine Mindestdauer der Anwesenheit im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats noch die Absicht des Drittstaatsangehörigen zum illegalen Verbleib in diesem Hoheitsgebiet — siehe Urteil des EuGH in der Rechtssache C-47/15, Affum  (8) (Rn. 48).

Personen mit einem Antrag auf Verlängerung eines bereits abgelaufenen Aufenthaltstitels sind illegal aufhältig, sofern das nationale Recht des Mitgliedstaats nichts anderes vorsieht (siehe auch Abschnitt 5.7).

Drittstaatsangehörige, auf die das Rückkehrverfahren gemäß der Rückführungsrichtlinie angewandt wurde und die sich ohne einen Rechtfertigungsgrund für ihre Nichtrückkehr illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhalten (Verweis auf diesen Fall unter Rn. 48 des Urteils des EuGH in der Rechtssache C-329/11, Achughbabian  (9)) sind illegal aufhältig. Der spezielle Verweis des EuGH im Urteil in der Rechtssache Achughbabian bezieht sich ausschließlich auf die Vereinbarkeit von nationalen Maßnahmen strafrechtlicher Art mit der Rückführungsrichtlinie. Das Urteil enthält keine Feststellungen zum Anwendungsbereich und zur Anwendbarkeit der Rückführungsrichtlinie. Daher gilt weiterhin die allgemeine Regelung nach Artikel 2 Absatz 1, wonach eine Person entweder illegal aufhältig ist und die Rückführungsrichtlinie Anwendung findet oder die Person eine Aufenthaltsberechtigung hat und die Rückführungsrichtlinie keine Anwendung findet.

1.3.   Rückkehr/Rückführung

Rechtsgrundlage: Rückführungsrichtlinie — Artikel 3 Nummer 3

Die Rückreise von Drittstaatsangehörigen — in freiwilliger Erfüllung einer Rückkehrverpflichtung oder erzwungener Rückführung — in

1.

deren Herkunftsland oder

2.

ein Transitland gemäß gemeinschaftlichen oder bilateralen Rückübernahmeabkommen oder anderen Vereinbarungen oder

3.

ein anderes Drittland, in das der betreffende Drittstaatsangehörige freiwillig zurückkehren will und in dem er aufgenommen wird.

Diese Begriffsbestimmung enthält Beschränkungen in Bezug auf die Frage, was im Sinne der Umsetzung der Rückführungsrichtlinie als „Rückkehr“ akzeptiert werden kann und was nicht. Die Überstellung eines illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen in einen anderen Mitgliedstaat kann nach Unionsrecht nicht als „Rückkehr“ gelten. Im Rahmen von bilateralen Rückübernahmeabkommen oder der Dublin-Bestimmungen allerdings ist eine solche Vorgehensweise in Ausnahmefällen möglich, die daher, so wird empfohlen, nicht als „Rückkehr“ bezeichnet werden sollte, sondern als „Überstellung“.

Die Begriffsbestimmung impliziert auch, dass Mitgliedstaaten die Rückführung in ein Drittland nur unter den Umständen durchführen dürfen, die in einem der drei Unterpunkte erschöpfend aufgelistet sind. Daher ist es beispielsweise nicht möglich, einen Rückzuführenden ohne dessen Zustimmung in ein Drittland zu schicken, das weder das Herkunftsland noch das Transitland ist.

Weitere Klarstellung:

Das „Herkunftsland“ im ersten Gedankenstrich bezieht sich auf das Land, dessen Staatsangehörigkeit der Drittstaatsangehörige besitzt; bei einem Staatenlosen ist dies in der Regel das Land seines vorherigen gewöhnlichen Aufenthalts.

Als „Transitland“ im zweiten Gedankenstrich kommt nur ein Drittland und nicht ein EU-Mitgliedstaat in Betracht.

„Gemeinschaftliche oder bilaterale Rückübernahmeabkommen oder andere Vereinbarungen“ im zweiten Gedankenstrich beziehen sich ausschließlich auf Vereinbarungen mit Drittländern. Bilaterale Rückübernahmeabkommen zwischen Mitgliedstaaten sind in diesem Zusammenhang nicht relevant, können jedoch in bestimmten Fällen die Überstellung von irregulären Migranten in andere Mitgliedstaaten gemäß Artikel 6 Absatz 3 der Rückführungsrichtlinie ermöglichen (siehe Abschnitt 5.5).

Die Formulierung „freiwillig zurückkehren will“ im dritten Gedankenstrich ist nicht gleichbedeutend mit freiwilliger Ausreise. In diesem Zusammenhang bezieht sich „freiwillig“ auf die Wahl des Ziellandes durch den Rückkehrer. Eine solche freiwillige Wahl des Ziellandes kann auch in Vorbereitung einer Abschiebung erfolgen, wenn beispielsweise der Rückzuführende statt des Transit- oder Herkunftslands ein anderes Drittland als Zielland bevorzugt.

Bestimmung des Rückkehrlandes im Falle der Abschiebung: Wird eine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt, so muss der Rückzuführende dafür sorgen, dass er der Rückkehrverpflichtung innerhalb der dafür festgesetzten Frist nachkommt, doch ist eine Bestimmung des Rückkehrlandes grundsätzlich nicht notwendig. Nur wenn die Mitgliedstaaten Zwangsmaßnahmen (Abschiebung) anwenden müssen, muss bestimmt werden, in welches Drittland die Person abgeschoben wird (siehe Abschnitt 1.5).

1.4.   Rückkehrentscheidung

Rechtsgrundlage: Rückführungsrichtlinie — Artikel 3 Nummer 4 und Artikel 6 Absatz 6

Die behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme, mit der der illegale Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen festgestellt und eine Rückkehrverpflichtung auferlegt oder festgestellt wird.

Bei der Bestimmung des Begriffs „Rückkehrentscheidung“ liegt der Fokus auf zwei wesentlichen Elementen, die Bestandteil einer solchen Entscheidung sein müssen, nämlich

1.

Feststellung der Rechtswidrigkeit des Aufenthalts und

2.

Auferlegung einer Rückkehrverpflichtung.

Eine Rückkehrentscheidung kann darüber hinaus noch weitere Elemente enthalten, wie etwa ein Einreiseverbot, eine Frist für die freiwillige Ausreise und die Bestimmung des Rückkehrlandes. Wenn das Rückkehrland nicht angegeben ist, haben die Mitgliedstaaten dafür zu sorgen, dass der Grundsatz der Nichtzurückweisung im Einklang mit Artikel 5 der Rückführungsrichtlinie eingehalten wird.

Die Mitgliedstaaten verfügen hinsichtlich der Form, in der Rückkehrentscheidungen angenommen werden können (richterliche oder behördliche Entscheidung oder Maßnahme), über einen breiten Ermessensspielraum.

Rückkehrentscheidungen können als eigenständige Entscheidungen oder Maßnahmen erlassen werden oder aber zusammen mit anderen Entscheidungen wie einer Abschiebungsanordnung oder einer Entscheidung über die Beendigung eines legalen Aufenthalts (siehe Abschnitt 12.1).

Mit einer Rückkehrentscheidung wird zum einen die Rechtswidrigkeit des Aufenthalts in dem Mitgliedstaat festgestellt, der die Entscheidung erlässt, zum anderen die Verpflichtung zur Ausreise aus den Hoheitsgebieten der EU-Mitgliedstaaten und der assoziierten Schengen-Länder. Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass gemäß Artikel 11 Rückkehrentscheidungen mit Einreiseverboten einhergehen können, die EU-weit wirksam sind (bindend für alle Staaten, die durch die Rückführungsrichtlinie gebunden sind).

Weitere Klarstellung:

Die flexible Auslegung des Begriffs „Rückkehrentscheidung“ schließt nicht aus, dass die Entscheidung über die Auferlegung der Rückkehrverpflichtung in Form eines Strafurteils und im Rahmen von Strafverfahren getroffen wird — siehe Urteil des EuGH in der Rechtssache C-430/11, Sagor  (10) (Rn. 39).

1.5.   Abschiebungsanordnung

Rechtsgrundlage: Rückführungsrichtlinie — Artikel 3 Nummer 5 und Artikel 8 Absatz 3

Behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme zur Vollstreckung der Rückkehrverpflichtung, d. h. zur tatsächlichen Verbringung aus dem Mitgliedstaat.

Eine Abschiebungsanordnung kann entweder zusammen mit einer Rückkehrentscheidung (einstufiges Verfahren) oder getrennt (zweistufiges Verfahren) erlassen werden. Es muss darauf hingewiesen werden, dass bei Anwendung des einstufigen Verfahrens im Falle der Gewährung einer Frist für die freiwillige Ausreise die Abschiebung nur dann erfolgt, wenn der Rückkehrverpflichtung nicht innerhalb der Frist für die freiwillige Ausreise nachgekommen wird.

In Anbetracht der Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Einhaltung des Grundsatzes der Nichtzurückweisung darf die Abschiebung (die tatsächliche Verbringung aus dem Mitgliedstaat) nicht mit unbestimmtem Ziel erfolgen, sondern nur in ein benanntes Rückkehrland. Der Rückzuführende muss vorab über das Zielland der Abschiebung in Kenntnis gesetzt werden, sodass er etwaige Gründe für die Annahme, dass die Abschiebung in das vorgesehene Zielland gegen den Grundsatz der Nichtzurückweisung verstößt, vorbringen und vom Recht auf einen Rechtsbehelf Gebrauch machen kann. Die Kommission empfiehlt, dass das Rückkehrland entweder in der separaten Abschiebungsanordnung (zweistufiges Verfahren) genannt wird oder in der kombinierten Rückkehr- und Abschiebungsentscheidung (einstufiges Verfahren) angegeben wird, in welches Land im Falle der Nichterfüllung der Rückkehrverpflichtung die Abschiebung erfolgt, oder der Drittstaatsangehörige durch eine andere Entscheidung oder Maßnahme informiert wird.

1.6.   Fluchtgefahr

Rechtsgrundlage: Rückführungsrichtlinie — Artikel 3 Nummer 7, Erwägungsgrund 6

Das Vorliegen von Gründen im Einzelfall, die auf objektiven, gesetzlich festgelegten Kriterien beruhen und zu der Annahme Anlass geben, dass sich Drittstaatsangehörige einem Rückkehrverfahren durch Flucht entziehen könnten.

Das Vorhandensein (oder Nichtvorhandensein) einer „Fluchtgefahr“ entscheidet maßgeblich darüber, ob eine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt wird und ob eine Inhaftnahme notwendig ist.

Bei der Bewertung der Fluchtgefahr müssen sich die Mitgliedstaaten auf objektive Kriterien des nationalen Rechts stützen. Das Urteil des EuGH in der Rechtssache C-528/15, Al Chodor  (11), in Bezug auf die Definition des Begriffs „Fluchtgefahr“ in Artikel 2 Buchstabe n (12) der Dublin-Verordnung, dessen Wortlaut im Wesentlichen mit der Begriffsbestimmung in Artikel 3 Nummer 7 der Rückführungsrichtlinie identisch ist, bestätigt dies indirekt. In diesem Urteil hat der EuGH festgestellt, dass diese objektiven Kriterien in zwingenden Vorschriften mit allgemeiner Geltung festzulegen sind und eine gefestigte nationale Rechtsprechung, mit der eine ständige Praxis bestätigt wird, nicht genügt. Außerdem kam der EuGH zu dem Schluss, dass die Inhaftnahme für rechtswidrig zu erklären ist, wenn solche Kriterien nicht in zwingenden Vorschriften mit allgemeiner Geltung enthalten sind.

Auch wenn die Mitgliedstaaten bei der Festlegung dieser Kriterien über einen weiten Ermessensspielraum verfügen, sollten sie folgende Kriterien als Anhaltspunkte für die Fluchtgefahr eines illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen gebührend berücksichtigen:

fehlende Ausweispapiere;

kein nachweisbarer oder kein fester Wohnsitz oder keine zuverlässige Anschrift;

Verstoß gegen die Meldepflicht bei den zuständigen Behörden;

ausdrückliche Erklärung, sich nicht an rückkehrbezogene Maßnahmen (wie eine Rückkehrentscheidung oder Maßnahmen zur Verhinderung der Flucht) halten zu wollen;

Verurteilung wegen einer Straftat, auch wegen einer schweren Straftat in einem anderen Mitgliedstaat (13);

laufende strafrechtliche Ermittlungen und Verfahren;

Verstoß gegen eine Rückkehrentscheidung, einschließlich einer Verpflichtung zur Rückkehr innerhalb der Frist für die freiwillige Ausreise;

früheres Verhalten (d. h. Flucht);

unzureichende Finanzmittel;

in einem anderen Mitgliedstaat ergangene Rückkehrentscheidung;

Verstoß gegen die Verpflichtung, sich in das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats zu begeben, der ihnen einen gültigen Aufenthaltstitel oder eine sonstige Aufenthaltsberechtigung erteilt hat;

illegale Einreise in das Hoheitsgebiet eines EU-Mitgliedstaats oder assoziierten Schengen-Landes.

In den nationalen Rechtsvorschriften können weitere objektive Kriterien zur Ermittlung des Bestehens von Fluchtgefahr festgelegt werden.

Im Einklang mit den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts, insbesondere dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, müssen alle Entscheidungen nach Maßgabe der Rückführungsrichtlinie auf der Grundlage einer Einzelfallprüfung getroffen werden. Die vorstehend aufgelisteten Kriterien sollten in jeder Phase des Rückkehrverfahrens im Rahmen der allgemeinen Bewertung der individuellen Situation herangezogen werden. Sie dürfen jedoch nicht die einzige Grundlage dafür bilden, dass automatisch von Fluchtgefahr ausgegangen wird, denn häufig führt eine Kombination aus mehreren der oben genannten Kriterien zu der Schlussfolgerung, dass Fluchtgefahr besteht. Jede automatische Schlussfolgerung, zum Beispiel dass eine illegale Einreise oder das Fehlen von Ausweispapieren auf Fluchtgefahr schließen lässt, ist zu vermeiden. Bei der Einzelfallprüfung müssen alle relevanten Faktoren berücksichtigt werden, darunter das Alter, der Gesundheitszustand und die sozialen Umstände der betreffenden Person, die sich möglicherweise unmittelbar darauf auswirken, dass der Drittstaatsangehörige fliehen könnte, und die in bestimmten Fällen durchaus zu der Schlussfolgerung führen können, dass keine Fluchtgefahr besteht, obwohl mindestens eines der im nationalen Recht festgelegten Kriterien erfüllt ist.

Zusätzlich zu den oben genannten Kriterien, die möglicherweise auf das Bestehen von Fluchtgefahr schließen lassen, und unbeschadet des Rechts des betreffenden Drittstaatsangehörigen auf Anhörung und seines Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf, können in den nationalen Rechtsvorschriften auch bestimmte, im Folgenden beispielhaft aufgeführte objektive Umstände als widerlegbare Annahme des Bestehens von Fluchtgefahr festgelegt werden (d. h. der Drittstaatsangehörige muss widerlegen, dass eine solche Gefahr trotz des Vorliegens dieser Umstände nicht besteht).

Verweigerung der Kooperation bei der Identitätsfeststellung, Verwendung falscher oder gefälschter Ausweisdokumente, Vernichtung oder anderweitige Beseitigung vorhandener Dokumente oder Verweigerung der Abgabe von Fingerabdrücken;

gewaltsame oder betrügerische Widersetzung gegen die Rückführung;

Nichterfüllung einer zur Fluchtverhinderung verhängten Auflage (siehe Abschnitt 6.2);

Verstoß gegen ein bestehendes Einreiseverbot;

unerlaubte Sekundärmigration in einen anderen Mitgliedstaat.

Die Kommission schlägt vor, solche widerlegbaren Annahmen in die nationalen Rechtsvorschriften aufzunehmen.

1.7.   Freiwillige Ausreise

Rechtsgrundlage: Rückführungsrichtlinie — Artikel 3 Nummer 8

Die Erfüllung der Rückkehrverpflichtung innerhalb der dafür in der Rückkehrentscheidung festgesetzten Frist.

„Freiwillige Ausreise“ gemäß den Rechtsvorschriften der Union im Bereich der Rückkehr/Rückführung bedeutet die freiwillige Erfüllung der Verpflichtung zur Rückkehr in ein Drittland. Nicht eingeschlossen sind Fälle, in denen legal aufhältige Drittstaatsangehörige von sich aus beschließen, in ihr Heimatland zurückzukehren. Eine solche „wirklich“ freiwillige Rückkehr (Szenario 1 in der nachstehenden Abbildung) fällt nicht in den Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie, da sie legal aufhältige Drittstaatsangehörige betrifft. Die Ausreise von illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen, die noch nicht entdeckt oder aufgegriffen wurden (zum Beispiel Personen, die die zulässige Aufenthaltsdauer überschritten haben), kann als „freiwillige Ausreise“ gemäß der Definition gelten. Für diese Personen besteht bereits eine „abstrakte“ Rückkehrverpflichtung nach der Rückführungsrichtlinie, und gegen sie dürften eine Rückkehrentscheidung sowie ein Einreiseverbot erlassen werden, sobald die Behörden von ihrem illegalen Aufenthalt Kenntnis erlangen (spätestens bei der Ausreisekontrolle — siehe Abschnitte 5.1 und 11.3).

Die Rückführungsrichtlinie findet nur auf die Szenarien 2 und 3 Anwendung:

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Begeben sich Personen gemäß Artikel 6 Absatz 2 (siehe Abschnitt 5.4) vom nationalen Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats in das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats, kann dies nicht als freiwillige Ausreise angesehen werden. Definitionsgemäß erfordert eine „freiwillige Ausreise“ stets die Ausreise in ein Drittland. Spezifische Regelungen zur Durchbeförderung auf dem Landweg durch Hoheitsgebiete anderer Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit einer freiwilligen Ausreise sind im Abschnitt 6.4 dargelegt.

1.8.   Schutzbedürftige Personen

Rechtsgrundlage: Rückführungsrichtlinie — Artikel 3 Nummer 9

Minderjährige, unbegleitete Minderjährige, Menschen mit Behinderungen, ältere Menschen, Schwangere, Alleinerziehende mit minderjährigen Kindern und Personen, die Folter, Vergewaltigung oder sonstige schwere Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlitten haben.

Anders als bei der im Asylrecht verwendeten Definition (siehe beispielsweise Artikel 21 der Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates (14) („Richtinie über die Aufnahmebedingungen“) oder Artikel 20 Absatz 3 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates (15) („Anerkennungsrichtlinie“)) wird die Definition von schutzbedürftigen Personen in der Rückführungsrichtlinie als erschöpfend angesehen.

Die Notwendigkeit, der Situation von schutzbedürftigen Personen und ihren besonderen Bedürfnissen im Zusammenhang mit der Rückkehr besondere Aufmerksamkeit zu widmen, ist jedoch nicht auf die in Artikel 3 Nummer 9 ausdrücklich aufgeführten Kategorien von schutzbedürftigen Personen beschränkt. Die Kommission empfiehlt den Mitgliedstaaten, auch andere Fälle besonderer Schutzbedürftigkeit, wie sie im Asylrecht aufgeführt sind, zu berücksichtigen. Das betrifft Opfer von Menschenhandel oder weiblicher Genitalverstümmelung wie auch Personen mit schweren körperlichen Erkrankungen oder psychischen Störungen.

Die Notwendigkeit, besonderes Augenmerk auf die Lage schutzbedürftiger Personen zu richten, darf nicht auf die in der Rückführungsrichtlinie genannten Situationen (während der Frist für die freiwillige Ausreise, im Zeitraum der aufgeschobenen Rückführung und während der Inhaftnahme) beschränkt werden. Daher empfiehlt die Kommission den Mitgliedstaaten, im Rahmen der Prüfung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls den Bedürfnissen schutzbedürftiger Personen in allen Phasen des Rückkehrverfahrens mit der gebotenen Aufmerksamkeit zu begegnen.

2.   ANWENDUNGSBEREICH

Rechtsgrundlage: Rückführungsrichtlinie — Artikel 2 und Artikel 4 Absatz 4

Die Rückführungsrichtlinie hat einen breiten Anwendungsbereich und gilt für alle Drittstaatsangehörigen, die sich illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhalten. Derzeit sind die folgenden Mitgliedstaaten durch die Rückführungsrichtlinie gebunden:

alle EU-Mitgliedstaaten mit Ausnahme des Vereinigten Königreichs und Irlands;

die Schweiz, Norwegen, Island und Liechtenstein.

Die Mitgliedstaaten können beschließen, die Richtlinie nicht auf bestimmte Kategorien von Drittstaatsangehörigen anzuwenden:

„Grenzfälle“ gemäß Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe a der Rückführungsrichtlinie (siehe Abschnitt 2.1) und

„Strafrechtsfälle“ gemäß Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe b der Rückführungsrichtlinie (siehe Abschnitt 2.2).

Beschließt ein Mitgliedstaat, von der Ausnahmeregelung Gebrauch zu machen und die Richtlinie in „Grenzfällen“ oder „Strafrechtsfällen“ nicht anzuwenden, muss dies im Voraus in den nationalen Umsetzungsvorschriften (16) eindeutig festgelegt werden, da der Beschluss andernfalls keine Rechtswirkung entfaltet. Es bestehen keine besonderen formellen Anforderungen an die Bekanntgabe eines solchen Beschlusses. Allerdings muss aus den nationalen Rechtsvorschriften — explizit oder implizit — klar hervorgehen, ob und in welchem Umfang ein Mitgliedstaat die Ausnahmeregelung anwendet.

Wenn ein Mitgliedstaat seinen Beschluss, die Ausnahmeregelungen gemäß Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe a oder b der Rückführungsrichtlinie anzuwenden, nicht im Voraus bekannt gemacht hat, können diese Bestimmungen nicht später in einzelnen Fällen als Begründung für die Nichtanwendung der Rückführungsrichtlinie herangezogen werden.

Nichts hindert die Mitgliedstaaten an einer Beschränkung der Ausnahmeregelung von Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe a oder b der Rückführungsrichtlinie auf bestimmte Personengruppen (zum Beispiel nur Personen, die einem Einreiseverbot an Luft- oder Seegrenzen unterliegen), sofern dies in den nationalen Umsetzungsvorschriften klargestellt wird.

Die Mitgliedstaaten können beschließen, die Ausnahmeregelung in einer späteren Phase nach der ersten Umsetzung der Rückführungsrichtlinie in nationales Recht anzuwenden. Das darf jedoch keine nachteiligen Folgen für die Personen haben, auf die die Wirkungen der Richtlinie bereits anwendbar waren (siehe Urteil des EuGH in der Rechtssache C-297/12, Filev and Osmani  (17): „Sofern … ein Mitgliedstaat … von dieser Möglichkeit noch keinen Gebrauch gemacht hat, … kann er sich nicht auf das Recht berufen, den persönlichen Anwendungsbereich dieser Richtlinie gemäß ihrem Art. 2 Abs. 2 Buchst. b gegenüber Personen einzuschränken, auf die die Wirkungen der Richtlinie bereits anwendbar waren.“)

2.1.   „Grenzfälle“ – Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe a

Für Personen, denen die Einreise verweigert wurde und die sich in einer Transitzone oder in einem Grenzgebiet eines Mitgliedstaats aufhalten, gelten häufig besondere Regelungen: Aufgrund einer „juristischen Fiktion“ werden diese Personen zuweilen nicht als „im Hoheitsgebiet des (betreffenden) Mitgliedstaats aufhältig“ angesehen, und es finden bestimmte Regelungen Anwendung. In der Rückführungsrichtlinie wird dieser Ansatz nicht zugrunde gelegt, und es wird davon ausgegangen, dass jeder Drittstaatsangehörige, der sich physisch im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhält, in ihren Anwendungsbereich fällt.

Es bleibt jedoch den Mitgliedstaaten überlassen zu beschließen, die Richtlinie nicht auf „Grenzfälle“ anzuwenden, die definiert werden als Drittstaatsangehörige,

die einem Einreiseverbot nach Artikel 13 des Schengener Grenzkodexes  (18) unterliegen oder

die von den zuständigen Behörden in Verbindung mit dem illegalen Überschreiten der Außengrenze eines Mitgliedstaats auf dem Land-, See- oder Luftwege aufgegriffen bzw. abgefangen wurden und die nicht anschließend die Genehmigung oder das Recht erhalten haben, sich in diesem Mitgliedstaat aufzuhalten.

Die Inanspruchnahme dieser Ausnahmeregelung kann beispielsweise zweckmäßig sein, wenn Mitgliedstaaten an den EU-Außengrenzen einem erheblichen Migrationsdruck ausgesetzt sind und dadurch wirksamere Verfahren gewährleistet werden können. In solchen Fällen empfiehlt die Kommission, von dieser Ausnahmeregelung Gebrauch zu machen.

Nationale Verfahren für „Grenzfälle“ müssen den allgemeinen Grundsätzen des Völkerrechts und den Grundrechten der betroffenen Drittstaatsangehörigen sowie den Garantien nach Artikel 4 Absatz 4 der Rückführungsrichtlinie Rechnung tragen (siehe Abschnitt 2.2).

Weitere Klarstellung:

Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe a setzt einen unmittelbaren zeitlichen und räumlichen Zusammenhang zum Überschreiten der Außengrenze voraus. Er betrifft somit Drittstaatsangehörige, die von den zuständigen Behörden zum Zeitpunkt des illegalen Überschreitens der Außengrenze selbst oder nach dem Übertritt in der Nähe dieser Grenze aufgegriffen oder abgefangen worden sind — siehe Urteil des EuGH in der Rechtssache C-47/15, Affum (Rn. 72).

Die folgenden Personengruppen beispielsweise gelten als „von den zuständigen Behörden in Verbindung mit dem illegalen Überschreiten der Außengrenzeaufgegriffen bzw. abgefangen“, da noch ein UNMITTELBARER Zusammenhang zu dem illegalen Grenzübertritt besteht:

Personen, die irregulär mit einem Boot ankommen und bei ihrer Ankunft oder kurz danach aufgegriffen werden;

Personen, die nach dem Übersteigen eines Grenzzauns von der Polizei festgenommen werden;

irregulär Einreisende, die den Zug/Bus verlassen, der sie direkt in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats gebracht hat (ohne vorherigen Zwischenaufenthalt im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats).

Die folgenden Personengruppen gelten nicht als „von den zuständigen Behörden in Verbindung mit dem illegalen Überschreiten der Außengrenzeaufgegriffen bzw. abgefangen“, da kein UNMITTELBARER Zusammenhang mehr zu dem illegalen Grenzübertritt besteht:

irregulär Einreisende, die einige Zeit nach der irregulären Einreise im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats aufgegriffen werden;

irreguläre Migranten, die in einer Grenzregion aufgegriffen werden, sofern nicht noch ein unmittelbarer Zusammenhang mit dem illegalen Grenzübertritt besteht;

irreguläre Migranten, die einen aus einem Drittland kommenden Bus verlassen, wenn der Bus im Gebiet der EU bereits mehrmals gestoppt hat;

irreguläre Migranten, die nach einer früheren Ausweisung gegen ein noch gültiges Einreiseverbot verstoßen (sofern sie nicht in unmittelbarem Zusammenhang zu dem illegalen Grenzübertritt aufgegriffen werden);

irreguläre Migranten, die eine Binnengrenze überschreiten — siehe Urteil des EuGH in der Rechtssache C-47/15, Affum (Rn. 69), Artikel 2 Absatz 2 der Richtlinie, der auf die Außengrenzen Bezug nimmt, und Artikel 14 SGK, der an den Außengrenzen Anwendung findet;

illegal aufhältige Drittstaatsangehörige, die die Hoheitsgebiete der EU-Mitgliedstaaten und der assoziierten Schengen-Länder verlassen — siehe Urteil des EuGH in der Rechtssache C-47/15, Affum (Rn. 71).

Praktische Beispiele für Fälle, auf die die Klausel „und die nicht anschließend die Genehmigung oder das Recht erhalten haben, sich in diesem Mitgliedstaat aufzuhalten“ zutrifft und für die die Ausnahmeregelung nicht gilt:

Irregulär Einreisende, die — nachdem sie an der Außengrenze aufgegriffen wurden — ein Bleiberecht als Asylbewerber erhalten, dürfen selbst dann, wenn sie nach endgültiger Ablehnung des Asylantrags erneut „illegal aufhältig“ werden, nicht als „Grenzfälle“ vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgenommen werden.

Drittstaatsangehörige, die sich nach Einreiseverweigerung im Transitbereich eines Flughafens aufhalten (und damit vom Anwendungsbereich der Richtlinie ausgenommen werden können), werden aus medizinischen Gründen in ein Krankenhaus überführt und erhalten für den Zeitraum des Krankenhausaufenthalts einen kurzfristigen nationalen Aufenthaltstitel (und nicht nur einen Aufschub der Abschiebung gemäß Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe a).

Form, Inhalt und Rechtsbehelfe gegen Entscheidungen in Bezug auf Drittstaatsangehörige, die gemäß Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe a vom Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie ausgenommen sind, unterliegen dem nationalen Recht.

Einreiseverweigerungen gemäß Artikel 14 SGK betreffen alle, die nicht die Einreisevoraussetzungen nach Artikel 6 Absatz 1 SGK erfüllen.

Personen, denen die Einreise im Transitbereich eines Flughafens oder an einer Grenzübergangsstelle im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats verweigert wird, fallen in den Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie (da sie sich physisch bereits im Hoheitsgebiet aufhalten). Allerdings können die Mitgliedstaaten von der Ausnahmeregelung nach Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe a Gebrauch machen, wonach es ihnen möglich ist zu beschließen, die Richtlinie nicht auf diese Fälle anzuwenden.

Die in Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe a festgelegten Ausnahmen sind für „Grenzfälle“ nur dann anwendbar, wenn der Aufgriff an einer Außengrenze und nicht an einer Binnengrenze erfolgt — siehe Urteil des EuGH in der Rechtssache C-47/15, Affum.

Durch die vorübergehende Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen werden Binnengrenzen nicht wieder zu Außengrenzen. Dieser Umstand berührt also nicht den Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie.

„Grenzfälle“ und ähnlich gelagerte Fälle, die nach Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe a der Richtlinie von deren Anwendungsbereich ausgenommen werden können, sind nicht mit den in Artikel 12 Absatz 3 der Richtlinie genannten Fällen gleichzusetzen (vereinfachtes Verfahren im Falle der illegalen Einreise): Illegale Einreise (gemäß Artikel 12 Absatz 3) ist nicht gleichbedeutend mit den in Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe a der Rückführungsrichtlinie beschriebenen „Grenzfällen“ und ähnlich gelagerten Fällen. Beispiel: Ein illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger, der drei Monate nach seiner illegalen Einreise im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufgegriffen wird, fällt nicht unter Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe a der Rückführungsrichtlinie, möglicherweise jedoch unter Artikel 12 Absatz 3 dieser Richtlinie.

2.2.   Besondere Garantien für „Grenzfälle“

Beschließt ein Mitgliedstaat, die Richtlinie nicht auf „Grenzfälle“ anzuwenden, muss er dennoch den Grundsatz der Nichtzurückweisung einhalten und — gemäß Artikel 4 Absatz 4 der Rückführungsrichtlinie — sicherstellen, dass den betroffenen Personen nicht ein geringeres Maß an Schutz gewährt wird, als dies in den Artikeln der Richtlinie zu den folgenden Aspekten vorgesehen ist:

Beschränkung der Anwendung von Zwangsmaßnahmen;

Aufschub der Abschiebung;

medizinische Notversorgung, erforderliche Behandlung von Krankheiten und Berücksichtigung der Bedürfnisse schutzbedürftiger Personen und

Haftbedingungen.

Außerdem sei besonders darauf hingewiesen, dass die Garantien gemäß den Asylvorschriften der Union (insbesondere Zugang zum Asylverfahren) durch den Beschluss der Mitgliedstaaten, die Rückführungsrichtlinie nicht auf „Grenzfälle“ anzuwenden, in keiner Weise außer Kraft gesetzt werden. Aus dem Asylrecht der Union ergeben sich für die Mitgliedstaaten die folgenden wesentlichen Verpflichtungen:

Bereitstellung von Informationen für Drittstaatsangehörige, die unter Umständen einen Antrag auf internationalen Schutz stellen möchten, zu den diesbezüglichen Möglichkeiten;

Sicherstellung, dass der Grenzschutz und andere zuständige Behörden über die einschlägigen Informationen verfügen, das Personal für das Erkennen von Antragstellern ausreichend geschult sowie angewiesen ist, die Antragsteller darüber zu informieren, wo und wie Anträge auf internationalen Schutz gestellt werden können;

Treffen von Sprachmittlungsvorkehrungen, soweit dies notwendig ist, um die Inanspruchnahme des Verfahrens zu erleichtern;

Sicherstellung, dass Organisationen und Personen, die Beratungsleistungen erbringen, effektiven Zugang zu Antragstellern an Grenzübergangsstellen an den Außengrenzen, einschließlich Transitzonen, erhalten.

Weitere Klarstellung:

Praktische Anwendung dieser Bestimmung im Falle der Einreiseverweigerung an der Grenze: Es bestehen zwei Möglichkeiten. Entweder hält sich die Person nach Einreiseverweigerung an der Grenze physisch im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats auf (zum Beispiel im Transitbereich eines Flughafens) oder sie hält sich nicht physisch im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats auf (zum Beispiel wenn ihr die Einreise an einer Landgrenze verweigert wird und sie sich noch im Hoheitsgebiet des Drittlandes befindet). Im ersten Fall werden die Garantien nach Artikel 4 Absatz 4 der Rückführungsrichtlinie angewandt; im zweiten Fall findet Artikel 4 Absatz 4 keine Anwendung.

Die in Artikel 4 Absatz 4 Buchstabe b der Rückführungsrichtlinie anerkannte — und in Artikel 19 Absatz 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (Grundrechtecharta — GRC) sowie in Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verankerte — Achtung des Grundsatzes der Nichtzurückweisung hat absoluten Charakter und darf unter keinen Umständen beschränkt werden, selbst wenn von Ausländern eine Gefahr für die öffentliche Ordnung ausgeht oder wenn sie eine besonders schwere Straftat begangen haben. Solche Personen können von der Anerkennung als Flüchtling oder der Gewährung subsidiären Schutzes ausgeschlossen, nicht jedoch an einen Ort rückgeführt werden, an dem sie möglicherweise gefoltert oder getötet werden.

2.3.   Strafrechts- und Auslieferungsfälle

Die Mitgliedstaaten können beschließen, die Richtlinie nicht auf Drittstaatsangehörige anzuwenden,

die nach einzelstaatlichem Recht aufgrund einer strafrechtlichen Sanktion rückkehrpflichtig sind,

die nach einzelstaatlichem Recht infolge einer strafrechtlichen Sanktion rückkehrpflichtig sind oder

gegen die ein Auslieferungsverfahren anhängig ist.

Weitere Klarstellung:

Mit dieser Bestimmung werden die Strafrechtsfälle erfasst, die in den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten normalerweise einen Straftatbestand erfüllen.

In der Rechtssache C-297/12, Filev und Osmani, stellte der EuGH ausdrücklich klar, dass Verstöße gegen die Vorschriften des nationalen Betäubungsmittelgesetzes und Verurteilungen wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln unter Umständen Fälle darstellen, auf die die Ausnahmeregelung anwendbar ist.

In der Rechtssache C-329/11, Achughbabian, bestätigte der EuGH, dass diese Ausnahmeregelung, ohne das Ziel und die Verbindlichkeit der Rückführungsrichtlinie zu vereiteln, nicht auf Drittstaatsangehörige angewandt werden kann, die nur den Rechtsverstoß des illegalen Aufenthalts begangen haben.

Geringfügige migrationsbezogene Verstöße wie die bloße irreguläre Einreise oder der bloße irreguläre Aufenthalt können die Anwendung der Ausnahmeregelung nicht rechtfertigen.

Auslieferungsverfahren stehen nicht unbedingt mit Rückkehrverfahren in Zusammenhang. Im Europäischen Auslieferungsübereinkommen von 1957 (19) wird die Auslieferung darauf begrenzt, „die Personen auszuliefern, die von den Justizbehörden des ersuchenden Staates wegen einer strafbaren Handlung verfolgt oder zur Vollstreckung einer Strafe oder einer Maßregel der Sicherung und Besserung gesucht werden“. Es kann jedoch Überschneidungen geben, und mit dieser Ausnahmeregelung soll eindeutig festgelegt werden, dass es den Mitgliedstaaten freigestellt ist, bei Rückführungen im Rahmen von Auslieferungsverfahren die in der Rückführungsrichtlinie enthaltenen Verfahrensgarantien nicht anzuwenden.

3.   GÜNSTIGERE BESTIMMUNGEN

Rechtsgrundlage: Rückführungsrichtlinie — Artikel 4

Obwohl mit der Rückführungsrichtlinie eine Harmonisierung der Rückkehrverfahren in den Mitgliedstaaten erreicht werden soll, bleiben günstigere Bestimmungen in bilateralen oder multilateralen internationalen Vereinbarungen von ihr ausdrücklich unberührt (Artikel 4 Absatz 1).

Ebenso unberührt bleiben „jede im gemeinschaftlichen Besitzstand auf dem Gebiet Asyl und Einwanderung festgelegte Bestimmung, die für Drittstaatsangehörige günstiger sein kann“ (Artikel 4 Absatz 2), sowie „das Recht der Mitgliedstaaten, Vorschriften zu erlassen oder beizubehalten, die für Personen, auf die die Richtlinie Anwendung findet, günstiger sind, sofern diese Vorschriften mit der Richtlinie im Einklang stehen“ (Artikel 4 Absatz 3).

Weitere Klarstellung:

Da die Rückführungsrichtlinie darauf abzielt, gemeinsame Mindestnormen für die Achtung der Grundrechte des Einzelnen bei Rückkehrverfahren festzulegen, muss „günstiger“ stets als günstiger für die rückzuführende Person und nicht als günstiger für den ausweisenden/rückführenden Staat ausgelegt werden.

Den Mitgliedstaaten steht es nicht frei, in den von der Rückführungsrichtlinie geregelten Bereichen strengere Normen anzuwenden. Siehe Urteil des EuGH in der Rechtssache C-61/11, El Dridi  (20) (Rn. 33): „… Richtlinie 2008/115/EG … gestattet es den Mitgliedstaaten jedoch nicht, in dem von ihr geregelten Bereich strengere Normen anzuwenden“.

Verhängung einer Geldbuße statt Erlass einer Rückkehrentscheidung: Nach der Rückführungsrichtlinie ist es nicht möglich, einen Mechanismus festzulegen, wonach im Fall eines illegalen Aufenthalts von Drittstaatsangehörigen im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats je nach den Umständen eine Geldbuße verhängt oder die Ausweisung angeordnet wird, da die beiden Maßnahmen einander ausschließen (siehe Urteil des EuGH in der Rechtssache C-38/14, Zaizoune  (21)).

Die Anwendung von Teilen der Rückführungsrichtlinie auf Personen, die nach Artikel 2 Absatz 2 Buchstaben a und b von ihrem Anwendungsbereich ausgenommen sind, ist mit der Richtlinie vereinbar und kann als durch Artikel 4 Absatz 3 abgedeckt gelten, da eine solche Praxis für den betreffenden Drittstaatsangehörigen günstiger wäre.

4.   SANKTIONEN BEI VERSTÖSSEN GEGEN DIE MIGRATIONSBESTIMMUNGEN

Rechtsgrundlage: Rückführungsrichtlinie — in der Auslegung durch den EuGH in den Rechtssachen C-61/11, El Dridi, C-329/11, Achughbabian, C-430/11, Sagor, C-297/12, Filev und Osmani, C-38/14, Zaizoune, C-290/14, Celaj, C-47/15, Affum.

Es steht den Mitgliedstaaten frei, wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen festzulegen, darunter Freiheitsentzug als strafrechtliche Sanktion bei Verstößen gegen die Migrationsbestimmungen, sofern diese Maßnahmen nicht die Anwendung der Rückführungsrichtlinie beeinträchtigen und sofern sie die uneingeschränkte Achtung der Grundrechte gewährleisten, insbesondere derjenigen, die durch die GRC in der mit den entsprechenden Bestimmungen der EMRK im Einklang stehenden Auslegung garantiert sind. Welche Art von Verstößen gegen die Migrationsbestimmungen geahndet werden sollen, ist im nationalen Recht zu regeln.

Nichts hindert die Mitgliedstaaten daran, auch in anderen Mitgliedstaaten begangene Verstöße gegen die Migrationsbestimmungen im nationalen Strafrecht zu berücksichtigen und zu ahnden.

Verstoß gegen ein Einreiseverbot: Die Mitgliedstaaten können strafrechtliche Sanktionen gegen illegal aufhältige Drittstaatsangehörige vorsehen, die rückgeführt wurden und unter Verstoß gegen ein Einreiseverbot erneut in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einreisen. Eine solche strafrechtliche Sanktion ist nur unter der Voraussetzung zulässig, dass das gegen den Drittstaatsangehörigen verhängte Einreiseverbot mit den Bestimmungen der Richtlinie im Einklang steht. Zudem müssen die Grundrechte und das Genfer Abkommen (22) von 1951, insbesondere dessen Artikel 31 Absatz 1 (23) in vollem Umfang gewahrt bleiben (siehe Urteil des EuGH in der Rechtssache C-290/14, Celaj  (24)).

Die Rückführungsrichtlinie steht strafrechtlichen Sanktionen nicht entgegen, die nach den nationalen strafverfahrensrechtlichen Vorschriften gegen Drittstaatsangehörige verhängt werden, auf die das mit dieser Richtlinie geschaffene Rückkehrverfahren angewandt wurde und die sich ohne einen Rechtfertigungsgrund für ihre Nichtrückkehr illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhalten. Bei der Verhängung strafrechtlicher Sanktionen, mit denen die betreffenden Personen vom illegalen Verbleib abgehalten werden sollen, müssen die Grundrechte, insbesondere diejenigen, die in der EMRK gewährleistet sind, in vollem Umfang gewahrt bleiben (siehe Urteil des EuGH in der Rechtssache C-329/11, Achughbabian, Rn. 48 und 49); außerdem muss dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung getragen werden.

Die Kommission empfiehlt den Mitgliedstaaten, in den nationalen Rechtsvorschriften wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen vorzusehen (zum Beispiel Geldstrafen, Beschlagnahme von Dokumenten, Kürzung/Ablehnung von Leistungen/Zulagen, Verweigerung der Arbeitserlaubnis) bei Drittstaatsangehörigen, die die Rückkehr vorsätzlich behindern (beispielsweise durch Beseitigung von Reisedokumenten, Angabe falscher Personalien, Verhinderung der Identifizierung, wiederholte Weigerung, den Flug anzutreten), sofern diese Sanktionen nicht der Verwirklichung des mit der Rückführungsrichtlinie verfolgten Ziels zuwiderlaufen und die Grundrechte in vollem Umfang gewahrt bleiben.

Kriminalisierung des bloßen illegalen Aufenthalts: Die Mitgliedstaaten dürfen nicht vor oder während Rückkehrverfahren allein wegen illegalen Aufenthalts eine Haftstrafe nach nationalem Strafrecht verhängen, da dies die Rückkehr verzögern würde (siehe Urteil des EuGH in der Rechtssache C-61/11, El Dridi). Die Rückführungsrichtlinie hindert die Mitgliedstaaten jedoch nicht daran, andere Straftatbestände als solche, die nur eine illegale Einreise zum Gegenstand haben, mit einer Freiheitsstrafe zu ahnden, und zwar auch in Fällen, in denen das Rückkehrverfahren noch nicht abgeschlossen ist (siehe Urteil des EuGH in der Rechtssache C-47/15, Affum, Rn. 65).

Geldstrafen und Geldbußen: Die Verhängung einer (angemessenen) Geldstrafe bei illegalem Aufenthalt nach einzelstaatlichem Strafrecht ist als solche mit den Zielen der Rückführungsrichtlinie nicht unvereinbar, denn sie steht dem Erlass und der Durchführung einer Rückkehrentscheidung unter voller Beachtung der in der Richtlinie genannten Voraussetzungen nicht entgegen (siehe Urteil des EuGH in der Rechtssache C-430/11, Sagor). Eine nationale Regelung, die im Falle des illegalen Aufenthalts eine Geldbuße oder alternativ die Ausweisung vorsieht, ist mit der Rückführungsrichtlinie unvereinbar, da die beiden Maßnahmen einander ausschließen und damit die praktische Wirksamkeit der Richtlinie beeinträchtigt wird (siehe Urteil des EuGH in der Rechtssache C-38/14, Zaizoune).

Im Einklang mit Artikel 5 der Richtlinie 2009/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über Sanktionen gegen Arbeitgeber (25) („Richtlinie über Sanktionen gegen Arbeitgeber“) drohen Arbeitgebern, die illegal aufhältige Drittstaatsangehörige ohne Erlaubnis beschäftigen, finanzielle Sanktionen, zu denen auch die Übernahme der Kosten der Rückführung der betreffenden Personen gehört, sofern Rückführungsverfahren durchgeführt werden. Die Mitgliedstaaten können beschließen, zumindest die durchschnittlichen Rückführungskosten bei den finanziellen Sanktionen zu berücksichtigen.

Die unverzügliche Ausweisung nach einzelstaatlichem Strafrecht (in Fällen, die nicht nach Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe b vom Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie ausgenommen sind — siehe Abschnitt 2.3.) ist nur zulässig, wenn im Urteil festgestellt wird, dass mit dieser Strafe alle Garantien der Rückführungsrichtlinie eingehalten werden (die Form der Rückkehrentscheidungen, rechtliche Garantien, frühzeitige Berücksichtigung der Möglichkeit der freiwilligen Ausreise betreffend usw.) (siehe Urteil des EuGH in der Rechtssache C-430/11, Sagor).

Hausarrest nach einzelstaatlichem Strafrecht ist nur zulässig, wenn es Garantien dafür gibt, dass der Hausarrest die Rückkehr nicht behindert und dass er beendet wird, sobald die tatsächliche Verbringung des Betroffenen aus dem entsprechenden Mitgliedstaat möglich ist (siehe Urteil des EuGH in der Rechtssache C-430/11, Sagor).

Weitere Klarstellung:

„Berechtigte Gründe für die Nichtrückkehr“ können

entweder Gründe außerhalb des Einflussbereichs des Rückzuführenden sein (wie etwa Verzögerungen bei der Übermittlung der erforderlichen Unterlagen durch Drittländer aufgrund mangelhafter Kooperation seitens der dortigen Behörden; Krisensituationen in den Rückkehrländern, die eine sichere Rückkehr unmöglich machen; Gewährung eines formellen Aufschubs der Rückkehr bestimmter Kategorien von Rückzuführenden) oder

Gründe im persönlichen Bereich des Rückzuführenden, die durch das Unionsrecht und das nationale Recht als rechtmäßig oder berechtigt anerkannt werden (zum Beispiel gesundheitliche Probleme oder familiäre Gründe, die zu einem Aufschub der Abschiebung führen, anhängige Beschwerdeverfahren mit aufschiebender Wirkung oder die Entscheidung zur Zusammenarbeit mit den Behörden als Zeuge). Allein der subjektive Wunsch nach einem Aufenthalt in der EU kann als solcher niemals als „berechtigter Grund“ gelten.

„Nicht berechtigte Gründe für die Nichtrückkehr“ können Gründe innerhalb des Einflussbereichs des Rückzuführenden sein, die durch das Unionsrecht und das nationale Recht nicht als rechtmäßig oder berechtigt anerkannt werden (wie etwa mangelnde Kooperation bei der Beschaffung der Reisedokumente, mangelnde Kooperation bei der Offenlegung der Identität, Vernichtung von Dokumenten, Flucht oder Behinderung der Abschiebung).

5.   FESTNAHME UND VERPFLICHTUNG ZUM ERLASS VON RÜCKKEHRENTSCHEIDUNGEN

Rechtsgrundlage: Rückführungsrichtlinie — Artikel 6 Absatz 1

Die Mitgliedstaaten erlassen gegen alle illegal in ihrem Hoheitsgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen eine Rückkehrentscheidung.

Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, gegen alle illegal in ihrem Hoheitsgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, sofern nicht das Unionsrecht eine ausdrückliche Ausnahme vorsieht (siehe nachstehend beschriebene Ausnahmen). Den Mitgliedstaaten ist es nicht gestattet, den illegalen Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen in ihrem Hoheitsgebiet zu tolerieren, ohne entweder ein Rückkehrverfahren einzuleiten oder eine Aufenthaltsberechtigung zu erteilen. Ziel dieser Verpflichtung der Mitgliedstaaten ist es, „Grauzonen“ zu verringern, die Ausbeutung illegal aufhältiger Personen zu verhindern und die Rechtssicherheit für alle Beteiligten zu verbessern.

Die Mitgliedstaaten müssen eine Rückkehrentscheidung erlassen, unabhängig davon, ob der betreffende Drittstaatsangehörige im Besitz eines gültigen Identitätspapiers oder Reisedokuments ist, und unabhängig davon, ob die Rückübernahme in ein Drittland möglich ist.

Rückkehrentscheidungen sollten zeitlich unbefristet gelten. Die zuständigen nationalen Behörden sollten Rückkehrentscheidungen vollstrecken können, ohne dass das Verfahren nach einer gewissen Zeit (beispielsweise nach einem Jahr) erneut in Gang gesetzt werden muss. Voraussetzung hierfür ist, dass sich die persönliche Situation des betreffenden Drittstaatsangehörigen faktisch oder rechtlich nicht wesentlich verändert hat (anderer Rechtsstatus, drohende Zurückweisung usw.). Das Recht des Drittstaatsangehörigen auf Anhörung und sein Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf bleiben davon unberührt.

Grundsätzlich gilt der Ort der Festnahme als maßgebliches Kriterium dafür, welcher Mitgliedstaat für die Durchführung von Rückkehrverfahren zuständig ist. Beispiel: Ist ein irregulärer Migrant über den Mitgliedstaat A (unentdeckt) in die EU eingereist und danach über die Mitgliedstaaten B und C (unentdeckt) in den Mitgliedstaat D weitergereist, wo er schließlich aufgegriffen wird, so ist Mitgliedstaat D für die Durchführung des Rückkehrverfahrens zuständig. Dieser Grundsatz bleibt von einer vorübergehenden Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen zwischen Schengen-Staaten unberührt. Die Ausnahmen von dieser allgemeinen Regel sind in den Abschnitten 5.2, 5.3, 5.4, 5.5 und 5.8 dargelegt.

Weitere Klarstellung:

Eine nach nationalem Recht bei illegalem Aufenthalt fällige Geldbuße kann zusammen mit einer Rückkehrentscheidung verhängt werden. Sie ist jedoch in keinem Fall ein Ersatz für die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zum Erlass einer Rückkehrentscheidung und zur Durchführung der Abschiebung (siehe Urteil des EuGH in der Rechtssache C-38/14, Zaizoune).

In einer Rückkehrentscheidung ist anzugeben, dass der betreffende Drittstaatsangehörige im Einklang mit der Definition von „Rückkehr“ (siehe Abschnitt 1.3) aus dem Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats, der die Entscheidung erlassen hat, in ein Drittland ausreisen beziehungsweise die Hoheitsgebiete der EU-Mitgliedstaaten und der assoziierten Schengen-Länder verlassen muss. Eine unzureichende Klarheit hinsichtlich dieser Verpflichtung des Drittstaatsangehörigen kann die unbeabsichtigte Folge eines Risikos unerlaubter Sekundärmigration haben.

Rückkehrentscheidungen gemäß der Rückführungsrichtlinie müssen auch dann getroffen werden, wenn dem Rückkehrverfahren ein Rückübernahmeabkommen zugrunde liegt: Die Anwendung von Rückübernahmeabkommen mit Drittländern (Regelung der Beziehungen zwischen EU-Mitgliedstaaten und Drittländern in dieser Frage) hat keine Auswirkungen auf die uneingeschränkte und umfassende Anwendung der Rückführungsrichtlinie (Regelung der Beziehung zwischen rückführendem Staat und Rückzuführendem) in jedem einzelnen Rückkehrfall. So wird bei der Anwendung von Rückübernahmeabkommen der Erlass einer Rückkehrentscheidung vorausgesetzt.

Das nationale Recht kann vorsehen, dass ein Drittstaatsangehöriger bei illegalem Aufenthalt zum Verlassen des Hoheitsgebiets der EU verpflichtet ist. Eine solche abstrakte rechtliche Verpflichtung ist kein Ersatz für eine Rückkehrentscheidung. Sie muss vielmehr in jedem einzelnen Fall durch eine individualisierte Rückkehrentscheidung konkretisiert werden.

Die einschlägigen IT-Systeme der Union wie das Schengener Informationssystem (SIS II), Eurodac und das Visa-Informationssystem (VIS) sollten von den zuständigen nationalen Behörden vollumfänglich genutzt werden, um die Identifizierung und Einzelfallprüfung zu vereinfachen sowie die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten bei Rückkehr- und Rückübernahmeverfahren zu erleichtern und zu unterstützen.

Im Hinblick auf die Erfüllung ihrer Verpflichtung zum Erlass von Rückkehrentscheidungen sollten die Mitgliedstaaten effiziente und angemessene Maßnahmen für das Ausfindigmachen, Aufspüren und Aufgreifen von Drittstaatsangehörigen, die sich illegal in ihrem Hoheitsgebiet aufhalten, festlegen. In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass die Mitgliedstaaten nach Artikel 13 Absatz 1 SGK verpflichtet sind, Drittstaatsangehörige, die die Außengrenzen unerlaubt überschritten haben und über kein Aufenthaltsrecht in der EU verfügen, aufzugreifen und Rückkehrverfahren zu unterziehen. Artikel 14 der Richtlinie über Sanktionen gegen Arbeitgeber sieht ferner vor, dass die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass in ihrem Hoheitsgebiet wirksame und angemessene Inspektionen durchgeführt werden, bei denen kontrolliert wird, ob Drittstaatsangehörige ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigt werden.

Festnahmepraktiken — Wahrung der Grundrechte

Die Verpflichtung der Mitgliedstaaten zum Erlass einer Rückkehrentscheidung gegen alle in ihrem Hoheitsgebiet illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen gilt vorbehaltlich der Wahrung der Grundrechte und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (Erwägungsgrund 24). So kann das rechtmäßige Ziel der Bekämpfung der illegalen Migration gegen andere rechtmäßige staatliche Interessen abgewogen werden, wie etwa Aspekte des öffentlichen Gesundheitswesens, das Interesse des Staates an der Kriminalitätsbekämpfung, das Interesse an einer umfassenden Geburtenregistrierung, die Achtung des Wohls des Kindes (speziell hervorgehoben in Erwägungsgrund 22), das Genfer Abkommen (auf das in Erwägungsgrund 23 hingewiesen wird) sowie andere durch die GRC anerkannte relevante Grundrechte.

Die Kommission verweist auf die von der Agentur für Grundrechte 2012 in ihrem Dokument „Apprehension of migrants in an irregular situation — fundamental rights considerations“ (Aufgriff von Migranten in einer irregulären Situation — grundrechtliche Erwägungen) (Ratsdokument 13847/12) dargelegten Erwägungen, die als Orientierungshilfe dafür dienen sollten, wie Festnahmen unter Achtung der Grundrechte der betroffenen Drittstaatsangehörigen erfolgen können und gleichzeitig die Wirksamkeit der Rückkehrverfahren gewährleistet werden kann. Praktiken der Mitgliedstaaten, die dieser Orientierungshilfe Rechnung tragen, können als mit der Verpflichtung zum Erlass von Rückkehrentscheidungen gegen illegal aufhältige Drittstaatsangehörige nach Artikel 6 Absatz 1 der Rückführungsrichtlinie vereinbar angesehen werden:

Zugang zu Gesundheitsleistungen:

Migranten in einer irregulären Situation, die medizinische Hilfe suchen, sollten in oder in der Nähe von medizinischen Einrichtungen nicht festgenommen werden.

Von medizinischen Einrichtungen sollte nicht verlangt werden, dass sie die persönlichen Daten von Migranten den Strafverfolgungsbehörden für die Zwecke einer eventuellen Rückkehr/Rückführung zur Verfügung stellen.

Zugang zu Bildung:

Migranten in einer irregulären Situation sollten in oder in der Nähe der Schule, die ihre Kinder besuchen, nicht festgenommen werden.

Von Schulen sollte nicht verlangt werden, dass sie die persönlichen Daten von Migranten den Strafverfolgungsbehörden für die Zwecke einer eventuellen Rückkehr/Rückführung zur Verfügung stellen.

Religionsfreiheit:

Migranten in einer irregulären Situation sollten in oder in der Nähe anerkannter religiöser Einrichtungen bei der Ausübung ihrer Religion nicht festgenommen werden.

Geburtenregistrierung:

Migranten in einer irregulären Situation sollten die Geburt ihrer Kinder registrieren lassen können und eine Geburtsurkunde für sie erhalten, ohne dass die Gefahr der Festnahme besteht.

Von Standesämtern sollte nicht verlangt werden, dass sie die persönlichen Daten von Migranten den Strafverfolgungsbehörden für die Zwecke einer eventuellen Rückkehr/Rückführung zur Verfügung stellen.

Zugang zur Justiz:

Im Interesse der Kriminalitätsbekämpfung können die Mitgliedstaaten neue Möglichkeiten ins Auge fassen, wie Opfer und Zeugen Straftaten zur Anzeige bringen können, ohne eine Festnahme befürchten zu müssen. In diesem Zusammenhang sind die folgenden bewährten Verfahren zu erwägen:

Einführung der Möglichkeit der anonymen oder halbanonymen Anzeigeerstattung oder anderer wirksamer Arten der Anzeigeerstattung;

Angebote für Opfer und Zeugen schwerer Straftaten, sich über Dritte (wie Migrantenbeauftragte, speziell eingesetzte Beamte) an die Polizei zu wenden;

Festlegung von Voraussetzungen, unter denen Opfern oder Zeugen von Straftaten, einschließlich häuslicher Gewalt, Aufenthaltstitel nach den in der Richtlinie 2004/81/EG des Rates (26) und der Richtlinie 2009/52/EG festgelegten Normen erteilt werden können;

Berücksichtigung einer möglicherweise notwendigen Abkopplung des Einwandererstatus von Gewaltopfern vom Inhaber des eigentlichen Aufenthaltstitels, der gleichzeitig auch der Täter ist;

Erarbeitung von Broschüren in Zusammenarbeit mit Arbeitsaufsichtsbehörden und anderen zuständigen Stellen, um am Arbeitsplatz festgenommene Migranten systematisch und objektiv über Möglichkeiten der Beschwerdeführung gegen ihre Arbeitgeber nach der Richtlinie 2009/52/EG zu informieren, und in diesem Zusammenhang Schritte zur Sicherung entsprechenden Beweismaterials.

Migranten in einer irregulären Situation, die Rechtsbeistand suchen, sollten in oder in der Nähe von Gewerkschaftseinrichtungen oder anderen Stellen, die derartige Unterstützung bieten, nicht festgenommen werden.

Außerdem empfiehlt die Kommission, dass Drittstaatsangehörige in einer irregulären Situation, die öffentliche Verwaltungen zwecks Registrierung von Anträgen auf internationalen Schutz oder auf Zuerkennung des Status der Staatenlosigkeit aufsuchen möchten, in diesen Einrichtungen oder in deren Nähe nicht festgenommen werden sollten.

Sonderfälle:

5.1.   Festnahme während der Ausreisekontrolle

Rechtsgrundlage: Rückführungsrichtlinie — Artikel 6

Nach einer Einzelfallprüfung und unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit kann eine Rückkehrentscheidung unter bestimmten Umständen auch dann erlassen werden, wenn ein illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger an der EU-Außengrenze beim Verlassen des EU-Hoheitsgebiets aufgegriffen wird. Gerechtfertigt könnte dies in Fällen sein, in denen bei der Ausreisekontrolle eine beträchtliche Überschreitung der zulässigen Aufenthaltsdauer oder ein illegaler Aufenthalt festgestellt wird. In diesen Fällen können die Mitgliedstaaten bei Kenntnisnahme eines illegalen Aufenthalts ein Rückkehrverfahren einleiten und dieses „in absentia“ bis zum Erlass einer Rückkehrentscheidung führen, die mit einem Einreiseverbot einhergeht, wobei die in den Abschnitten 11.3 und 12 genannten Verfahrensgarantien zu wahren sind.

Obwohl in einem solchen speziellen Fall die betreffende Person ohnehin im Begriff ist, die EU zu verlassen, ist der Erlass einer Rückkehrentscheidung dennoch sinnvoll, da die Mitgliedstaaten gleichzeitig ein Einreiseverbot erlassen und somit einer erneuten Einreise und der möglichen Gefahr eines illegalen Aufenthalts vorbeugen können.

Die Kommission fordert die Mitgliedstaaten auf, Verfahren festzulegen, die für spezielle Fälle den Erlass von Rückkehrentscheidungen und — gegebenenfalls — Einreiseverboten direkt am Flughafen oder an anderen Außengrenzübergangsstellen oder — im Falle von Einreiseverboten — in absentia (siehe Abschnitt 11.3) ermöglichen.

Hat ein Drittstaatsangehöriger die gemäß Visum oder Aufenthaltstitel zulässige Aufenthaltsdauer in einem ersten Mitgliedstaat überschritten und verlässt er die Union über einen zweiten Mitgliedstaat/Transitmitgliedstaat, so müssen die Rückkehrentscheidung und das Einreiseverbot vom zweiten Mitgliedstaat erlassen werden (die Person, die die zulässige Aufenthaltsdauer überschritten hat, ist normalerweise auch im zweiten Mitgliedstaat im Sinne der Rückführungsrichtlinie „illegal aufhältig“).

5.2.   Adressaten einer von einem anderen Mitgliedstaat erlassenen Rückkehrentscheidung

Rechtsgrundlage: Richtlinie 2001/40/EG des Rates (27)

Zur Erinnerung/Erläuterung: Die Auswirkungen einer von einem Mitgliedstaat erlassenen Rückkehrentscheidung in einem anderen Mitgliedstaat waren Gegenstand eines separaten Kapitels V im Vorschlag der Kommission für die Rückführungsrichtlinie von 2005 („Ergreifung in anderen Mitgliedstaaten“). Dieses Kapitel wurde jedoch ebenso wie Artikel 20 des Kommissionsvorschlags, der die Aufhebung der Richtlinie 2001/40/EG vorsah, im Zuge der Verhandlungen gestrichen, und die Richtlinie 2001/40/EG blieb in Kraft. Die Richtlinie 2001/40/EG ermöglicht ausdrücklich die Anerkennung einer Rückführungsentscheidung, die von einer zuständigen Behörde eines Mitgliedstaats gegenüber einem Drittstaatsangehörigen erlassen wurde, der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält. In Artikel 6 der Rückführungsrichtlinie wird eine solche Anerkennung einer Rückführungsentscheidung durch einen zweiten Mitgliedstaat gemäß der Richtlinie 2001/40/EG nicht ausdrücklich erwähnt. Bei einer wörtlichen Auslegung von Artikel 6, wonach in einem solchen Fall der anerkennende Mitgliedstaat auch eine vollständige zweite Rückkehrentscheidung gemäß der Richtlinie 2008/115/EG erlassen müsste, würde die Richtlinie 2001/40/EG jeglichen zusätzlichen Nutzen verlieren. Es musste daher eine Auslegung gefunden werden, die das weitere Nebeneinanderbestehen der beiden Richtlinien und damit auch den Fortbestand der Richtlinie 2001/40/EG sinnvoll macht.

Wenn Mitgliedstaat A eine Person aufgreift, gegen die bereits in Mitgliedstaat B eine Rückkehrentscheidung erlassen wurde, hat Mitgliedstaat A die folgenden Möglichkeiten:

a)

Erlass einer neuen Rückkehrentscheidung nach Artikel 6 Absatz 1 der Rückführungsrichtlinie oder

b)

Überstellung der Person in Mitgliedstaat B im Rahmen eines bestehenden bilateralen Abkommens nach Artikel 6 Absatz 3 der Rückführungsrichtlinie oder

c)

Anerkennung der von Mitgliedstaat B gemäß der Richtlinie 2001/40/EG erlassenen Rückführungsentscheidung.

Erkennt Mitgliedstaat A die von Mitgliedstaat B gemäß der Richtlinie 2001/40/EG erlassene Rückführungsentscheidung an, so ist er dennoch verpflichtet, bei Vollstreckung der anerkannten Rückkehrentscheidung die in der Rückführungsrichtlinie vorgesehenen Garantien für den Fall einer solchen Vollstreckung (Abschiebung) anzuwenden.

Die gegenseitige Anerkennung von Rückkehrentscheidungen kann bei bestimmten Konstellationen einen erheblichen zusätzlichen Nutzen haben, insbesondere im Zusammenhang mit der Durchbeförderung von Rückzuführenden auf dem Landweg (siehe Abschnitt 6.4). Die Kommission fordert die Mitgliedstaaten auf, von der Option der gegenseitigen Anerkennung Gebrauch zu machen, wenn dies dazu beiträgt, die Rückkehrverfahren zu beschleunigen und den Verwaltungsaufwand zu reduzieren.

5.3.   Verhältnis zu den Dublin-Bestimmungen

Rechtsgrundlage: Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (28) („Dublin-Verordnung“) — Artikel 19 und 24

In Artikel 6 der Rückführungsrichtlinie wird nicht ausdrücklich der Fall erwähnt, dass ein zweiter Mitgliedstaat die von der Dublin-Verordnung gebotene Möglichkeit nutzt und einen ersten Mitgliedstaat um Wiederaufnahme eines illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen ersucht. Bei einer wörtlichen Auslegung von Artikel 6, wonach in einem solchen Fall der ersuchende (zweite) Mitgliedstaat auch eine vollständige Rückkehrentscheidung gemäß der Richtlinie 2008/115/EG erlassen müsste, würden die einschlägigen Dublin-Bestimmungen ihren zusätzlichen Nutzen verlieren. In der Dublin-Verordnung wird ausdrücklich auf diese Problematik eingegangen. So enthält sie eindeutige Bestimmungen über die Anwendung von Rückführungsrichtlinie und Dublin-Verordnung.

Die Fälle, in denen Drittstaatsangehörige Asyl beantragt und als Asylbewerber im zweiten Mitgliedstaat eine Aufenthaltsberechtigung erhalten haben, fallen nicht in den Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie, da die Drittstaatsangehörigen aufgrund dieser Aufenthaltsberechtigung im zweiten Mitgliedstaat nicht als „illegal aufhältig“ gelten können.

Andererseits fallen die Fälle, in denen Drittstaatsangehörige kein Asyl beantragt und keine Aufenthaltsberechtigung als Asylbewerber im zweiten Mitgliedstaat erhalten haben, grundsätzlich in den Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie. Die folgenden Situationen (29) sind vorstellbar:

a)

Der Drittstaatsangehörige hat im ersten Mitgliedstaat den Asylbewerberstatus (laufendes Verfahren, noch keine endgültige Entscheidung): Die Dublin-Verordnung findet Anwendung, da grundsätzlich für jeden Drittstaatsangehörigen, der in einem der Mitgliedstaaten einen Asylantrag stellt, der Bedarf an internationalem Schutz von einem einzigen Mitgliedstaat umfassend zu bewerten ist. Es ist nicht möglich, dass ein Mitgliedstaat die Rückführung dieses Drittstaatsangehörigen in ein Drittland vornimmt; vielmehr kann er ihn in den nach der Dublin-Verordnung zuständigen Mitgliedstaat zurück- oder ausweisen, damit sein Anspruch dort geprüft wird.

b)

Der Drittstaatsangehörige hat seinen Asylantrag im ersten Mitgliedstaat zurückgenommen: Hat die Rücknahme des Antrags zu einer Ablehnung des Antrags geführt (gemäß Artikel 27 oder 28 der neu gefassten Asylverfahrensrichtlinie), so können die nachstehend unter Buchstabe c erläuterten Vorschriften (Wahl zwischen Dublin-Bestimmungen und Rückführungsrichtlinie) Anwendung finden. Hat die Rücknahme des Antrags nicht zu einer Ablehnung des Antrags geführt, hat die Dublin-Verordnung Vorrang (als „lex specialis“), da grundsätzlich für jeden Drittstaatsangehörigen, der in einem der Mitgliedstaaten einen Asylantrag stellt, der Bedarf an internationalen Schutz von einem einzigen Mitgliedstaat umfassend zu bewerten ist.

c)

Dem Drittstaatsangehörigen liegt im ersten Mitgliedstaat eine rechtskräftige Entscheidung über die Ablehnung seines Antrags vor: Entweder die Dublin-Verordnung oder die Rückführungsrichtlinie kann angewandt werden. Die Wahl zwischen diesen beiden Möglichkeiten ist in Artikel 24 Absatz 4 der Dublin-Verordnung ausdrücklich vorgesehen, und es wird klärend hinzugefügt, dass von dem Zeitpunkt an, ab dem sich die Behörden für ein Wiederaufnahmegesuch nach der Dublin-Verordnung entscheiden, die Anwendung der Rückführungsrichtlinie und der Rückkehrverfahren ausgesetzt ist und nur die Dublin-Bestimmungen Anwendung finden (das betrifft auch die Bestimmungen über die Inhaftnahme und über Rechtsbehelfe).

d)

Der Drittstaatsangehörige ist (nach Ablehnung oder Rücknahme eines Asylantrags) bereits erfolgreich aus dem ersten Mitgliedstaat in ein Drittland rückgeführt/abgeschoben worden: Für den Fall seiner Wiedereinreise in das Hoheitsgebiet der EU ist in der Dublin-Verordnung in Artikel 19 Absatz 3 festgelegt, dass der erste Mitgliedstaat für den Drittstaatsangehörigen nicht mehr zuständig ist — daher kann keine Überstellung in diesen Mitgliedstaat vorgenommen werden. Somit findet die Rückführungsrichtlinie Anwendung.

Praktische Beispiele:

Eine Person, die in Mitgliedstaat A internationalen Schutz beantragt hat, reist ohne Berechtigung in einen benachbarten Mitgliedstaat B (und überquert dabei Binnengrenzen), wo der Betreffende von der Polizei aufgegriffen wird. Gemäß der Dublin-Verordnung wird die betreffende Person aus dem Mitgliedstaat B in den Mitgliedstaat A überstellt. Sollte Mitgliedstaat B in dieser Situation eine Rückkehrentscheidung gegen diese Person wegen illegalen Aufenthalts in seinem Hoheitsgebiet erlassen?

Die Dublin-Bestimmungen haben Vorrang. Von Mitgliedstaat B kann keine Rückkehrentscheidung erlassen werden.

Ist es Mitgliedstaat A (im oben beschriebenen Szenario) gestattet, selbst eine Rückkehrentscheidung zu erlassen (zusammen mit einem Einreiseverbot, das bis zum Abschluss des Asylverfahrens ausgesetzt wird)?

Nein. Solange die Person als Asylbewerber das Recht auf Aufenthalt in Mitgliedstaat A besitzt, ist sie im Sinne der Rückführungsrichtlinie dort nicht illegal aufhältig, und Mitgliedstaat A kann keine Rückkehrentscheidung erlassen.

Ein Drittstaatsangehöriger, dem von Mitgliedstaat A internationaler Schutz gewährt wurde, hält sich illegal in Mitgliedstaat B auf (zum Beispiel Überschreitung der zulässigen Aufenthaltsdauer um 90 Tage). Ist die Rückführungsrichtlinie in solchen Fällen anwendbar? Wie wird vorgegangen, wenn die Person eine freiwillige Rückkehr in den ersten Mitgliedstaat, der den Schutz gewährt hat, verweigert?

Die Dublin-Verordnung enthält keine Bestimmungen über die Wiederaufnahme von Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz. Daher ist die in Artikel 6 Absatz 2 der Rückführungsrichtlinie vorgesehene allgemeine Regelung anzuwenden. Das bedeutet, dass Mitgliedstaat B die Person auffordern muss, in Mitgliedstaat A zurückzukehren und — falls die Person dem nicht freiwillig nachkommt — den Erlass einer Rückkehrentscheidung in Betracht ziehen muss, wobei alle von der Rückführungsrichtlinie gewährten Garantien, insbesondere der Grundsatz der Nichtzurückweisung, zu berücksichtigen sind. Unter bestimmten Umständen, wenn die Rückkehr/Abschiebung in ein Drittland nicht möglich ist und die „Überstellung“ in einen anderen Mitgliedstaat als „günstigere Maßnahme“ (siehe Abschnitt 3) anzusehen ist, kann Mitgliedstaat B die „Überstellung“ der Person in Mitgliedstaat A vollstrecken. Die Verfahren zur „Überstellung“ illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger in einen anderen Mitgliedstaat sind im nationalen Recht geregelt.

Ein Drittstaatsangehöriger, dem nach irregulärer Einreise in Mitgliedstaat A die Fingerabdrücke abgenommen wurden und der in Mitgliedstaat A kein Asyl beantragt hat, wird später in Mitgliedstaat B aufgegriffen. Kann Mitgliedstaat B die Person gemäß den Dublin-Bestimmungen nach Mitgliedstaat A überstellen?

Nein. Da kein Zusammenhang mit einem Asylverfahren besteht, findet die Dublin-Verordnung nicht Anwendung.

5.4.   Illegal aufhältige Drittstaatsangehörige mit Aufenthaltsberechtigung eines anderen Mitgliedstaats

Rechtsgrundlage: Rückführungsrichtlinie — Artikel 6 Absatz 2

Drittstaatsangehörige, die sich illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhalten und Inhaber eines gültigen Aufenthaltstitels oder einer sonstigen Aufenthaltsberechtigung eines anderen Mitgliedstaats sind, sind zu verpflichten, sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses anderen Mitgliedstaats zu begeben. Kommen die betreffenden Drittstaatsangehörigen dieser Verpflichtung nicht nach, oder ist die sofortige Ausreise des Drittstaatsangehörigen aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder der nationalen Sicherheit geboten, so findet Absatz 1 Anwendung.

Diese Bestimmung — die eine ähnliche Regelung in Artikel 23 Absätze 2 und 3 des Schengener Durchführungsübereinkommens (SDÜ) (30) ersetzt — sieht vor, dass keine Rückkehrentscheidung gegen einen illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen erlassen werden sollte, der über einen gültigen Aufenthaltstitel eines anderen Mitgliedstaats verfügt. In solchen Fällen sollte der Drittstaatsangehörige zunächst verpflichtet werden, unverzüglich in den Mitgliedstaat zurückzukehren, in dem er über eine Aufenthaltsberechtigung verfügt. Nur wenn der Betreffende dieser Aufforderung nicht nachkommt oder wenn eine Gefahr für die öffentliche Ordnung oder die nationale Sicherheit besteht, ist eine Rückkehrentscheidung zu erlassen.

Weitere Klarstellung:

Die Form, in der die Aufforderung, „sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses anderen Mitgliedstaats zu begeben“, ergeht, sollte im Einklang mit dem nationalen Recht festgelegt werden. Es wird empfohlen, Entscheidungen schriftlich und mit einer Begründung zu erlassen. Zur Vermeidung von Unklarheiten sollte die Entscheidung nicht als „Rückkehrentscheidung“ bezeichnet werden.

Frist für die Rückkehr in den anderen Mitgliedstaat: Es lässt sich nicht generell angeben, wie viel Zeit zwischen der Aufforderung zur Rückkehr in das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats und dem Erlass einer Rückkehrentscheidung nach Artikel 6 Absatz 1 vergehen sollte. Ein angemessener Zeitrahmen sollte im Einklang mit den nationalen Rechtsvorschriften festgelegt werden, und zwar unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände, des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit sowie der Tatsache, dass in der betreffenden Bestimmung von „unverzüglich“ die Rede ist. Die Zeit zwischen der Aufforderung zur Rückkehr in den anderen Mitgliedstaat und dem Erlass einer Rückkehrentscheidung nach Artikel 6 Absatz 1 darf auf die spätere Frist für die freiwillige Ausreise nicht angerechnet werden, da diese Frist Bestandteil der Rückkehrentscheidung ist und erst mit deren Erlass beginnt.

Kontrolle der Ausreise in den anderen Mitgliedstaat: Im Unionsrecht ist nicht konkret festgelegt, wie die Erfüllung der Rückkehrverpflichtung zu kontrollieren ist. Die Mitgliedstaaten sollten im Einklang mit den nationalen Rechtsvorschriften sicherstellen, dass ihre Entscheidungen angemessen nachverfolgt werden.

Überprüfung der Gültigkeit von Aufenthaltstiteln/Aufenthaltsberechtigungen eines anderen Mitgliedstaats: Derzeit gibt es kein zentrales System für den diesbezüglichen Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten. Die Mitgliedstaaten werden daher aufgefordert, im Einklang mit den nationalen Rechtsvorschriften und bilateralen Kooperationsvereinbarungen bilateral zusammenzuarbeiten und einander alle relevanten Informationen unverzüglich mitzuteilen. Bestehende nationale Kontaktstellen (zum Beispiel die Stellen, die in Anhang 2 des Schengen-Handbuchs (31) aufgeführt sind) können ebenfalls für diesen Zweck genutzt werden.

Die Formulierung „Aufenthaltstitel oder eine sonstige Aufenthaltsberechtigung (32) ist sehr weit auszulegen und umfasst jeglichen Status und jegliche Berechtigung, mit denen ein Mitgliedstaat das Recht auf legalen Aufenthalt gewährt und nicht nur den vorübergehenden Aufschub einer Rückkehr/Abschiebung anerkennt.

Erfasst sind:

Langzeitvisa (gewähren eindeutig eine Aufenthaltsberechtigung);

befristete Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen (sofern dadurch eine Aufenthaltsberechtigung und nicht nur ein Aufschub der Rückkehr gewährt wird);

abgelaufene Aufenthaltstitel auf der Grundlage eines nach wie vor gültigen internationalen Schutzstatus (dieser Status besteht unabhängig von der Gültigkeit des Dokuments, das ihn ausweist);

gültige Visa in ungültigen (abgelaufenen) Reisedokumenten — entsprechend den einschlägigen Rechtsvorschriften der Union dürfen keine Visa erteilt werden, deren Gültigkeitsdauer über die Gültigkeitsdauer des Reisepasses hinausgeht. Ein gültiges Visum in einem abgelaufenen Reisepass dürfte also in der Praxis gar nicht vorkommen. Ist dies dennoch der Fall, so sollte der betreffende Drittstaatsangehörige nicht übermäßig benachteiligt werden. Ausführliche Angaben zu den entsprechenden Visabestimmungen finden sich in Teil II Nummern 4.1.1 und 4.1.2 des aktuellen Visahandbuchs (33).

Nicht erfasst sind:

abgelaufene Aufenthaltstitel auf der Grundlage eines abgelaufenen Aufenthaltsstatus;

falsche, gefälschte oder verfälschte Reisepässe oder Aufenthaltstitel;

Bescheinigungen über einen vorübergehenden Aufschub der Abschiebung;

Duldung (sofern die Duldung keine Aufenthaltsberechtigung einschließt).

Grundsätzlich keine Abschiebung in andere Mitgliedstaaten: Erklärt sich ein Drittstaatsangehöriger nicht gemäß Artikel 6 Absatz 2 zur freiwilligen Rückkehr in den Mitgliedstaat bereit, für den er einen Aufenthaltstitel besitzt, so gelangt Artikel 6 Absatz 1 zur Anwendung, und es wird eine Rückkehrentscheidung erlassen werden, die eine direkte Rückkehr in ein Drittland vorsieht. Eine erzwungene Überstellung in den anderen Mitgliedstaat ist nicht möglich, essei denn, ein bestehendes bilaterales Abkommen zwischen Mitgliedstaaten, das bereits am 13. Januar 2009 in Kraft war, sieht diese Möglichkeit ausdrücklich vor (siehe Abschnitt 5.5) oder unter bestimmten Umständen ist die Rückkehr/Abschiebung in ein Drittland nicht möglich und der Mitgliedstaat, der den Aufenthaltstitel erteilt hat, ist zur Rücknahme der Person bereit.

Kein Erlass von EU-Einreiseverboten bei Anwendung von Artikel 6 Absatz 2: Bei Überstellung eines illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen in einen anderen Mitgliedstaat gemäß Artikel 6 Absatz 2 kann kein EU-Einreiseverbot gemäß Artikel 11 erlassen werden, da Artikel 11 nur im Zusammenhang mit dem Erlass einer Rückkehrentscheidung gilt und im Falle einer „Überstellung“ in einen anderen Mitgliedstaat nicht anwendbar ist. Zudem ist es aus praktischer Sicht nicht sinnvoll, ein EU-Einreiseverbot zu verhängen, wenn sich der Betreffende in einem anderen Mitgliedstaat weiterhin legal aufhält.

Notwendigkeit der sofortigen Ausreise aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder der nationalen Sicherheit: Unter den außergewöhnlichen Umständen, auf die Artikel 6 Absatz 2 Satz 2 zweiter Fall Bezug nimmt, muss gegen die Person unverzüglich eine Rückkehrentscheidung erlassen werden und die Abschiebung in ein Drittland erfolgen. Der Mitgliedstaat, in dem der Person ein Aufenthaltsrecht gewährt wurde, sollte darüber in Kenntnis gesetzt werden.

Praktisches Beispiel:

Welche Bestimmungen der Rückführungsrichtlinie sollten in Bezug auf Drittstaatsangehörige angewandt werden, die in Mitgliedstaat A aufgegriffen werden, einen gültigen Aufenthaltstitel des Mitgliedstaats B besitzen und für die im SIS eine von Mitgliedstaat C eingegebene Ausschreibung (Einreiseverbot) vorliegt?

Mitgliedstaat A sollte Artikel 6 Absatz 2 der Richtlinie anwenden und den Betreffenden zur Rückkehr in Mitgliedstaat B auffordern. Das Nebeneinanderbestehen eines von Mitgliedstaat C verhängten Einreiseverbots und eines Aufenthaltstitels von Mitgliedstaat B muss bilateral zwischen diesen beiden Mitgliedstaaten im Einklang mit Artikel 25 Absatz 2 des Schengener Durchführungsübereinkommens geklärt werden.

5.5.   Illegal aufhältige Drittstaatsangehörige im Anwendungsbereich geltender bilateraler Abkommen zwischen Mitgliedstaaten

Rechtsgrundlage: Rückführungsrichtlinie — Artikel 6 Absatz 3

Eine indikative Liste geltender bilateraler Rückübernahmeabkommen zwischen Mitgliedstaaten ist abrufbar unter: http://rsc.eui.eu/RDP/research/analyses/ra/

Die Mitgliedstaaten können davon absehen, eine Rückkehrentscheidung gegen illegal in ihrem Gebiet aufhältige Drittstaatsangehörige zu erlassen, wenn diese Personen von einem anderen Mitgliedstaat aufgrund von zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Richtlinie (13. Januar 2009) geltenden bilateralen Abkommen oder Vereinbarungen wieder aufgenommen wird. In einem solchen Fall wendet der Mitgliedstaat, der die betreffenden Drittstaatsangehörigen wieder aufgenommen hat, Absatz 1 an.

Diese Bestimmung sieht — als Ausnahme und in Form einer „Stillstandsklausel“ — für Mitgliedstaaten die Möglichkeit vor, aufgrund von am 13. Januar 2009 geltenden bilateralen Abkommen oder Vereinbarungen irreguläre Migranten in andere Mitgliedstaaten zu überstellen.

Zur Erinnerung/Erläuterung: Diese Bestimmung wurde in einer späten Phase der Verhandlungen in die Rückführungsrichtlinie aufgenommen, nachdem einige Mitgliedstaaten nachdrücklich darum ersucht hatten. Sie machten geltend, dass sie durch die Richtlinie nicht zur Änderung bewährter Vorgehensweisen verpflichtet werden dürften, wonach illegal aufhältige Drittstaatsangehörige auf der Grundlage bilateraler Abkommen von anderen Mitgliedstaaten wieder aufgenommen bzw. in diese überstellt würden.

Das Prinzip, auf dem die Rückführungsrichtlinie beruht, ist die direkte Rückkehr illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger aus der EU in ein Drittland. Artikel 6 Absatz 3 der Richtlinie sieht also eine Ausnahme vor, die nur die Verpflichtung des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet sich der Drittstaatsangehörige befindet, zum Erlass einer Rückkehrentscheidung betrifft. Diese Verpflichtung fällt dann dem Mitgliedstaat zu, der den Betreffenden wieder aufnimmt. Er enthält nicht eine Ausnahme vom Anwendungsbereich der Rückführungsrichtlinie, die zu den in Artikel 2 Absatz 2 genannten Ausnahmen hinzukommt — siehe Urteil des EuGH in der Rechtssache C-47/15, Affum (Rn. 82 bis 85).

Weitere Klarstellung:

Nachfolgende Anwendung bilateraler Abkommen zwischen den Mitgliedstaaten A-B und B-C: Die Rückführungsrichtlinie, insbesondere Artikel 6 Absatz 3, untersagt nicht ausdrücklich eine Wiederaufnahme nach dem Dominoprinzip auf der Grundlage geltender bilateraler Abkommen. Wichtig ist jedoch, dass letztlich von einem einzigen Mitgliedstaat ein vollständiges Rückkehrverfahren gemäß der Richtlinie durchgeführt wird. Da diese Art von nachfolgenden Verfahren mit hohen Verwaltungskosten und mit zusätzlichen Unannehmlichkeiten für die Rückzuführenden verbunden ist, sollten die Mitgliedstaaten nach Möglichkeit von dieser Praxis absehen.

Keine EU-weiten Einreiseverbote bei Anwendung von Artikel 6 Absatz 3: Bei Überstellung eines illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen in einen anderen Mitgliedstaat gemäß Artikel 6 Absatz 3 kann kein EU-Einreiseverbot gemäß Artikel 11 erlassen werden, da Artikel 11 nur im Zusammenhang mit dem Erlass einer Rückkehrentscheidung gilt und im Falle einer einfachen „Überstellung“ in einen anderen Mitgliedstaat nicht anwendbar ist. Zudem ist es aus praktischer Sicht nicht sinnvoll, ein EU-Einreiseverbot zu verhängen, wenn der Betreffende die EU noch nicht verlässt. Zur Möglichkeit des Erlasses von rein nationalen Einreiseverboten unter außergewöhnlichen Umständen gemäß Artikel 25 Absatz 2 SDÜ wird auf Abschnitt 11.8 verwiesen.

Entscheidung zur Überstellung des Drittstaatsangehörigen in einen anderen Mitgliedstaat: Eine solche Entscheidung stellt eine der Maßnahmen dar, die die Rückführungsrichtlinie zur Beendigung des illegalen Aufenthalts vorsieht; sie ist ein vorbereitender Schritt für die Abschiebung des Betreffenden aus dem Gebiet der Union. Die Mitgliedstaaten müssen daher diese Entscheidung mit der gebotenen Sorgfalt und innerhalb kürzester Frist erlassen, damit die Überstellung in den für das Rückkehrverfahren zuständigen Mitgliedstaat so schnell wie möglich erfolgt — siehe Urteil des EuGH in der Rechtssache C-47/15, Affum (Rn. 87).

Da der Begriff „Rückkehr“ gemäß der Rückführungsrichtlinie stets die Rückkehr in ein Drittland beinhaltet, ist es empfehlenswert, diese Art der nationalen Entscheidung „Überstellungsentscheidung“ und nicht „Rückkehrentscheidung“ zu nennen.

Stillstandsklausel: Artikel 6 Absatz 3 ist eine ausdrückliche „Stillstandsklausel“. Die Mitgliedstaaten können die darin gebotene Option nur in Bezug auf bilaterale Rückübernahmeabkommen anwenden, die vor dem 13. Januar 2009 in Kraft getreten sind. Abkommen, die nach dem 13. Januar 2009 neu verhandelt oder verlängert wurden, können auch weiterhin unter Artikel 6 Absatz 3 fallen, wenn das neu verhandelte/verlängerte Abkommen eine Änderung des bereits bestehenden Abkommens darstellt und als solche klar ausgewiesen ist. Handelt es sich bei dem neu verhandelten/verlängerten Abkommen um ein Aliud (ein vollständig neues Abkommen mit anderem Inhalt) wäre Artikel 6 Absatz 3 darauf nicht mehr anwendbar.

Rückübernahmeabkommen zwischen Schengen-Mitgliedstaaten und dem Vereinigten Königreich: Für die Auslegung von Artikel 6 Absatz 3 ist das Vereinigte Königreich als Mitgliedstaat zu betrachten.

5.6.   Illegal aufhältige Drittstaatsangehörige mit Aufenthaltstitel/Aufenthaltsberechtigung aus humanitären (oder sonstigen) Gründen

Rechtsgrundlage: Rückführungsrichtlinie — Artikel 6 Absatz 4

Die Mitgliedstaaten können jederzeit beschließen, illegal in ihrem Hoheitsgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen wegen Vorliegen eines Härtefalls oder aus humanitären oder sonstigen Gründen einen eigenen Aufenthaltstitel oder eine sonstige Aufenthaltsberechtigung zu erteilen. In diesem Fall wird keine Rückkehrentscheidung erlassen. Ist bereits eine Rückkehrentscheidung ergangen, so ist diese zurückzunehmen oder für die Gültigkeitsdauer des Aufenthaltstitels oder der sonstigen Aufenthaltsberechtigung auszusetzen.

Den Mitgliedstaaten steht es frei, illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen — jederzeit — einen Aufenthaltstitel oder eine Aufenthaltsberechtigung zu erteilen. In einem solchen Fall sind alle anhängigen Rückkehrverfahren einzustellen, und eine bereits erlassene Rückkehrentscheidung oder Abschiebungsanordnung ist — je nach Art des Aufenthaltstitels — zurückzunehmen oder auszusetzen. Gleiches gilt in Fällen, in denen Mitgliedstaaten ein Aufenthaltsrecht gewähren müssen, beispielsweise nach Stellung eines Asylantrags.

Die Entscheidung über die Vorgehensweise (Rücknahme oder Aussetzung der Rückkehrentscheidung) liegt bei den Mitgliedstaaten, wobei die Art und die voraussichtliche Gültigkeitsdauer des erteilten Aufenthaltstitels bzw. der erteilten Aufenthaltsberechtigung zu berücksichtigen sind und die Wirksamkeit der Rückkehrverfahren gewährleistet werden muss. Nach dem Urteil des EuGH in der Rechtssache C-601/15, J. N.  (34) (Rn. 75 bis 80) sollte ein Mitgliedstaat, wenn er einem Drittstaatsangehörigen, der internationalen Schutz beantragt hat und gegen den vor Stellung dieses Antrags bereits eine Rückkehrentscheidung erlassen wurde, die Berechtigung zum Verbleib in seinem Hoheitsgebiet erteilt hat, die Vollstreckung der Rückkehrentscheidung aussetzen (und nicht die Entscheidung zurücknehmen), bis über den Antrag auf internationalen Schutz entschieden worden ist (siehe auch Abschnitt 7).

5.7.   Illegal aufhältige Drittstaatsangehörige mit anhängigem Verfahren zur Verlängerung eines Aufenthaltstitels/einer Aufenthaltsberechtigung

Rechtsgrundlage: Rückführungsrichtlinie — Artikel 6 Absatz 5

Ist ein Verfahren anhängig, in dem über die Verlängerung des Aufenthaltstitels oder einer anderen Aufenthaltsberechtigung von illegal im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhältigen Drittstaatsangehörigen entschieden wird, so prüft dieser Mitgliedstaat unbeschadet des Absatzes 6, ob er vom Erlass einer Rückkehrentscheidung absieht, bis das Verfahren abgeschlossen ist.

Den Mitgliedstaaten steht es frei, vom Erlass einer Rückkehrentscheidung gegen illegal aufhältige Drittstaatsangehörige abzusehen, die auf eine Entscheidung über die Verlängerung ihres Aufenthaltstitels warten. Diese Bestimmung ist als Schutz für Drittstaatsangehörige gedacht, die sich für eine gewisse Zeit legal in einem Mitgliedstaat aufgehalten haben und — wegen Verzögerungen im Verfahren zur Verlängerung des Aufenthaltstitels — zeitweilig illegal aufhältig werden.Sie bezieht sich nur auf anhängige Verfahren zur Verlängerung eines Aufenthaltstitels in dem Mitgliedstaat, in dem die Festnahme erfolgte („dieser Mitgliedstaat“). Die Mitgliedstaaten werden aufgefordert, die Bestimmung auch in Fällen anzuwenden, in denen die Verlängerungsanträge aller Wahrscheinlichkeit nach positiv beschieden werden, und den betreffenden Personen zumindest die gleiche Behandlung zuteilwerden zu lassen wie Rückzuführenden während der Frist für die freiwillige Ausreise oder im Zeitraum der aufgeschobenen Rückführung.

Diese Bestimmung gilt nicht für anhängige Verfahren zur Verlängerung eines Aufenthaltstitels in einem anderen Mitgliedstaat. Allerdings können derartige anhängige Verfahren in einem anderen Mitgliedstaat unter besonderen Umständen einen Aufschub der Rückführung gemäß Artikel 9 Absatz 2 oder die Anwendung günstigerer Maßnahmen gemäß Artikel 4 Absatz 3 rechtfertigen.

5.8.   Sonderregelungen in den Richtlinien über legale Migration in Bezug auf die Rückübernahme zwischen Mitgliedstaaten in Fällen von Mobilität innerhalb der Union

Rechtsgrundlage: Richtlinie 2014/66/EU des Europäischen Parlaments und des Rates (35) („Richtlinie über unternehmensinterne Transfers“) — Artikel 23; Richtlinie 2003/109/EG des Rates (36) („Richtlinie über langfristig Aufenthaltsberechtigte“) (in der durch die Richtlinie 2011/51/EU des Rates (37) geänderten Fassung) — Artikel 12 und 22; Richtlinie 2009/50/EG (38) („Richtlinie über die Blaue Karte“) — Artikel 18

Die genannten Richtlinien enthalten Sonderregelungen für die Rückübernahme zwischen Mitgliedstaaten in Fällen von Mobilität bestimmter Kategorien von Drittstaatsangehörigen innerhalb der EU (unternehmensintern transferierte Arbeitnehmer, Inhaber einer Blauen Karte EU, langfristig Aufenthaltsberechtigte). Diese Bestimmungen sind als leges speciales (Sonderregelungen) anzusehen, die in den von den genannten Richtlinien abgedeckten Fällen vorrangig anzuwenden sind.

6.   FREIWILLIGE AUSREISE

Rechtsgrundlage: Rückführungsrichtlinie — Artikel 7 Absatz 1

Eine Rückkehrentscheidung sieht unbeschadet der Ausnahmen nach den Absätzen 2 und 4 eine angemessene Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise vor. Die Mitgliedstaaten können in ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften vorsehen, dass diese Frist nur auf Antrag der betreffenden Drittstaatsangehörigen eingeräumt wird. In einem solchen Fall unterrichtet der Mitgliedstaat die betreffenden Drittstaatsangehörigen davon, dass die Möglichkeit besteht, einen solchen Antrag zu stellen.

Die Förderung einer freiwilligen Ausreise ist eines der Hauptziele der Rückführungsrichtlinie. Besteht keine Veranlassung zu der Annahme, dass die Rückkehr dadurch gefährdet wird, so ist die freiwillige Ausreise in Erfüllung einer Rückkehrverpflichtung der Abschiebung vorzuziehen, weil es sich dabei um eine menschenwürdigere, sicherere und häufig kostengünstigere Rückkehroption handelt.

Während der Frist für die freiwillige Ausreise ist der betreffende Drittstaatsangehörige zur Rückkehr verpflichtet, auch wenn diese Verpflichtung erst vollstreckt werden kann, wenn die Frist abgelaufen ist oder wenn Fluchtgefahr besteht oder von dem Betreffenden eine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit ausgeht oder wenn der Antrag auf einen Aufenthaltstitel als offensichtlich unbegründet oder missbräuchlich abgelehnt worden ist (siehe Abschnitt 6.3). Die Mitgliedstaaten sollten so vielen zur Rückkehr verpflichteten Personen wie möglich die freiwillige Ausreise ermöglichen und nur dann davon absehen, wenn dies dem Zweck des Rückkehrverfahrens entgegenstehen könnte.

Nach dem zweiten Satz von Artikel 7 Absatz 1 können die Mitgliedstaaten beschließen, nur auf Antrag der Drittstaatsangehörigen eine Frist für die freiwillige Ausreise einzuräumen. In diesem Fall sind die betreffenden Drittstaatsangehörigen einzeln davon zu unterrichten, dass die Möglichkeit besteht, eine solche Frist zu beantragen. Allgemeine Informationsblätter für die Öffentlichkeit (zum Beispiel die Bekanntgabe der Möglichkeit, einen derartigen Antrag zu stellen, auf der Website der Einwanderungsstellen oder der Druck von Bekanntmachungen und deren Anbringung auf Informationstafeln in den Räumlichkeiten der örtlichen Einwanderungsbehörden) können zwar hilfreich sein, sollten aber durch individuell erteilte Informationen ergänzt werden. Diese Informationen sollten Minderjährigen auf kindgerechte und ihrem Alter und den Umständen angemessene Art und Weise erteilt werden, und der Situation unbegleiteter Minderjähriger ist besondere Aufmerksamkeit zu widmen.

Die Mitgliedstaaten können zudem beschließen, bestimmten Gruppen von illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen (zum Beispiel Personen, deren Antrag auf einen Aufenthaltstitel als offensichtlich unbegründet oder missbräuchlich abgelehnt worden ist) auf Antrag eine Frist für die freiwillige Ausreise oder für den Erhalt von Unterstützung (beispielsweise in Form einer Wiedereingliederungshilfe) einzuräumen und in anderen Fällen eine solche Frist ohne Antrag zu gewähren.

Die Kommission empfiehlt, eine Frist für die freiwillige Ausreise auf Antrag der betreffenden Drittstaatsangehörigen einzuräumen und gleichzeitig sicherzustellen, dass den Drittstaatsangehörigen die für die Antragstellung erforderlichen Informationen ordnungsgemäß und systematisch erteilt werden.

Programme zur Unterstützung der freiwilligen Rückkehr: Nach der Rückführungsrichtlinie sind die Mitgliedstaaten zwar nicht verpflichtet, ein Programm zur Unterstützung der freiwillige Rückkehr aufzulegen, in Erwägungsgrund 10 wird allerdings Folgendes bekräftigt: „Zur Förderung der freiwilligen Rückkehr sollten die Mitgliedstaaten eine verstärkte Rückkehrhilfe und -beratung gewähren und die einschlägigen … Finanzierungsmöglichkeiten optimal nutzen.“ Die Mitgliedstaaten werden daher nachdrücklich ermutigt, — im Zuge der Bemühungen zur Förderung einer menschenwürdigen Rückkehr und generell im Hinblick auf eine bessere Durchsetzung der Rückkehr — im Rahmen der Verfahren Programme zur Unterstützung der freiwilligen Rückkehr bereitzustellen. Um den Zugang zu solchen Regelungen zu erleichtern und dafür zu sorgen, dass die betreffenden Drittstaatsangehörigen in Kenntnis der Sachlage eine Entscheidung treffen können, sollten die Mitgliedstaaten für eine angemessene Verbreitung von Informationen über die freiwillige Rückkehr und die Programme zur Unterstützung der freiwilligen Rückkehr sorgen. Dabei sollten sie auch mit nationalen Behörden (wie Bildungs-, Sozial- und Gesundheitseinrichtungen), Nichtregierungsorganisationen und sonstigen Stellen zusammenarbeiten, die möglicherweise direkt mit Drittstaatsangehörigen in Kontakt kommen. Minderjährige sollten auf kindgerechte und ihrem Alter und den Umständen angemessene Art und Weise informiert werden. Die nationalen Programme sollten sich an den von den Mitgliedstaaten umgesetzten unverbindlichen gemeinsamen Standards für die Programme zur Unterstützung der freiwilligen Rückkehr (und der Wiedereingliederung) (39) orientieren, die die Kommission in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten ausgearbeitet und der Rat „Justiz und Inneres“ in seinen Schlussfolgerungen vom 9./10. Juni 2016 (40) gebilligt hat.

Die Expertengruppe für Rückführung (Return Expert Group — REG) des Europäischen Migrationsnetzwerks (EMN) setzt sich für eine bessere praktische Zusammenarbeit zwischen den Staaten und Akteuren im Bereich von Programmen für Rückkehr, unterstützte freiwillige Rückkehr und Wiedereingliederung ein. Sie bietet sich für die Sammlung und den Austausch von Informationen als zentrales Gremium an, von dem die Mitgliedstaaten aktiv Gebrauch machen sollten.

Weitere Klarstellung:

Der Zeitrahmen sieben bis 30 Tage stellt einen allgemeinen Grundsatz dar. Die Mitgliedstaaten müssen eine Frist festsetzen, die sich in diesem Zeitrahmen bewegt, sofern nicht besondere Umstände des Einzelfalls eine Verlängerung gemäß Artikel 7 Absatz 2 der Rückführungsrichtlinie rechtfertigen (siehe Abschnitt 6.1).

Die Gewährung von grundsätzlich 60 Tagen wäre mit der in der Rückführungsrichtlinie festgelegten Harmonisierung und gemeinsamen Disziplin eines Zeitrahmens von sieben bis 30 Tagen unvereinbar und lässt sich daher nicht als günstigere Vorschrift gemäß Artikel 4 Absatz 3 begründen. Fristen zwischen 30 und 60 Tagen (also über den durch Absatz 1 harmonisierten Rahmen hinaus), die nur bei Vorliegen besonderer Umstände (nach Absatz 2) gewährt werden, sind jedoch durch Artikel 7 Absatz 2 der Rückführungsrichtlinie abgedeckt.

Im Einklang mit den Anforderungen, die sich aus dem in Artikel 41 Absatz 2 GRC anerkannten Recht, gehört zu werden, ergeben, sollten die Mitgliedstaaten dem Rückkehrer die Möglichkeit einräumen, individuelle Umstände und Bedürfnisse darzulegen, die bei der Festlegung der zu gewährenden Frist zu berücksichtigen sind, und zwar sowohl, wenn die Frist für die freiwillige Ausreise von Amts wegen festgesetzt wird, als auch bei Festsetzung der Frist auf Antrag des Rückkehrers.

Auch wenn die Rückführungsrichtlinie die erzwungene Rückführung eines illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen während der Frist für die freiwillige Ausreise untersagt, hindert sie die Mitgliedstaaten nicht daran, während dieser Frist die erforderlichen Verwaltungsverfahren im Hinblick auf die etwaige Vollstreckung einer Rückkehrentscheidung (wie Kontaktaufnahme mit den Behörden von Drittländern für die Beschaffung der Reisedokumente und logistische Organisation der Abschiebung) einzuleiten.

Auf der Grundlage einer Bewertung der persönlichen Situation des Drittstaatsangehörigen und unter besonderer Berücksichtigung der Rückkehraussichten und der Bereitschaft des Drittstaatsangehörigen, mit den zuständigen Behörden zu kooperieren, empfiehlt die Kommission den Mitgliedstaaten, die kürzeste Frist für die freiwillige Ausreise zu gewähren, die notwendig ist, um die Rückkehr zu organisieren und durchzuführen. Eine Frist von mehr als sieben Tagen sollte nur dann eingeräumt werden, wenn der Drittstaatsangehörige im Zuge des Rückkehrprozesses aktiv kooperiert.

6.1.   Verlängerte Frist für die freiwillige Ausreise

Rechtsgrundlage: Rückführungsrichtlinie — Artikel 7 Absatz 2

Die Mitgliedstaaten verlängern – soweit erforderlich – die Frist für die freiwillige Ausreise unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls – wie etwa Aufenthaltsdauer, Vorhandensein schulpflichtiger Kinder und das Bestehen anderer familiärer und sozialer Bindungen – um einen angemessenen Zeitraum.

Für die Verlängerung der Frist für die freiwillige Ausreise ist keine Höchstgrenze festgelegt worden, sodass jeder Einzelfall entsprechend den nationalen Durchführungsbestimmungen und der einzelstaatlichen Verwaltungspraxis separat behandelt werden sollte. Die Mitgliedstaaten verfügen über einen weiten Ermessensspielraum, wenn zu beurteilen ist, ob die Verlängerung der Frist für die freiwillige Ausreise „angemessen“ wäre. Angesichts der Bezugnahme der Richtlinie auf schulpflichtige Kinder ist eine Verlängerung der Frist für die freiwillige Ausreise bis zum Ende des Schulhalbjahres oder Schuljahres oder für die Dauer von bis zu einem Schuljahr möglich, sofern dies dem Wohl des Kindes dient und alle relevanten Umstände des Falls gebührend berücksichtigt werden.

Eine Verlängerung der Frist über 30 Tage hinaus kann bereits von vornherein (ab Erlass der Rückkehrentscheidung) gewährt werden, wenn dies aufgrund der Einzelfallprüfung gerechtfertigt ist. Es ist nicht notwendig, zunächst eine Frist von 30 Tagen einzuräumen und diese anschließend zu verlängern.

Die Formulierung „soweit erforderlich“ bezieht sich auf Umstände sowohl im Einflussbereich der zur Rückkehr verpflichteten Person als auch im Einflussbereich des rückführenden Staates. Die Mitgliedstaaten verfügen über einen Ermessensspielraum, was den Inhalt und die Regelungstiefe ihrer Durchführungsbestimmungen in dieser Frage betrifft.

Die in Artikel 7 Absatz 2 genannten drei Aspekte (Aufenthaltsdauer, Vorhandensein schulpflichtiger Kinder, familiäre Bindungen) sollten in den nationalen Durchführungsbestimmungen und in der einzelstaatlichen Verwaltungspraxis ausdrücklich beachtet werden. Die Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten können detaillierter sein und weitere Verlängerungsgründe vorsehen, sollten jedoch nicht weniger genau sein, damit die Harmonisierung nicht beeinträchtigt wird.

6.2.   Verpflichtungen bis zum Zeitpunkt der freiwilligen Rückkehr

Rechtsgrundlage: Rückführungsrichtlinie — Artikel 7 Absatz 3

Den Betreffenden können für die Dauer der Frist für die freiwillige Ausreise bestimmte Verpflichtungen zur Vermeidung einer Fluchtgefahr auferlegt werden, wie eine regelmäßige Meldepflicht bei den Behörden, die Hinterlegung einer angemessenen finanziellen Sicherheit, das Einreichen von Papieren oder die Verpflichtung, sich an einem bestimmten Ort aufzuhalten.

Die in Artikel 7 Absatz 3 der Rückführungsrichtlinie aufgeführten Verpflichtungen können auferlegt werden, wenn Fluchtgefahr zu vermeiden ist. Ergibt die Einzelfallprüfung, dass keine besonderen Umstände vorliegen, so sind diese Verpflichtungen nicht gerechtfertigt — siehe Urteil des EuGH in der Rechtssache C-61/11, El Dridi, Rn. 37: „Nach Art. 7 Abs. 3 und 4 der Richtlinie können die Mitgliedstaaten nur unter besonderen Umständen, etwa wenn Fluchtgefahr besteht, zum einen dem Adressaten einer Rückkehrentscheidung aufgeben, sich regelmäßig bei den Behörden zu melden, eine angemessene finanzielle Sicherheit zu hinterlegen, Papiere einzureichen oder sich an einem bestimmten Ort aufzuhalten, und zum anderen eine Ausreisefrist von weniger als sieben Tagen oder gar keine solche Frist vorsehen.“ Die Kommission empfiehlt den Mitgliedstaaten, von dieser Möglichkeit Gebrauch zu machen, damit während der Frist für die freiwillige Ausreise eine Fluchtgefahr vermieden wird.

Die Möglichkeit der Mitgliedstaaten, dem Betreffenden bestimmte Verpflichtungen aufzuerlegen, kann für den Rückkehrer durchaus von Vorteil sein, da sich auf diese Weise eine Frist für die freiwillige Ausreise in Fällen einräumen lässt, in denen ein solches Vorgehen ansonsten normalerweise nicht vorgesehen ist.

Die Angabe eines generell zugrunde zu legenden Betrags für eine „angemessene finanzielle Sicherheit“ ist nicht möglich. Auf jeden Fall ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren, d. h. der Betrag sollte der persönlichen Situation des Rückkehrers Rechnung tragen. In der derzeitigen Praxis der Mitgliedstaaten sind Beträge von etwa 200 bis 5 000 EUR vorgesehen.

Sollte es im Einzelfall erforderlich sein, so können die in Artikel 7 Absatz 3 genannten Verpflichtungen auch kumulativ auferlegt werden.

Legen die Mitgliedstaaten Verpflichtungen gemäß Artikel 7 Absatz 3 fest, sollten sie der persönlichen Situation des Rückkehrers Rechnung tragen und die uneingeschränkte Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gewährleisten. Sie sollten vermeiden, Verpflichtungen aufzuerlegen, die sich de facto nicht einhalten lassen (wenn beispielsweise eine Person nicht im Besitz eines Reisepasses ist, wird sie ihn auch nicht vorlegen können).

6.3.   „Kontraindikationen“

Rechtsgrundlage: Rückführungsrichtlinie — Artikel 7 Absatz 4

Besteht Fluchtgefahr oder ist der Antrag auf einen Aufenthaltstitel als offensichtlich unbegründet oder missbräuchlich abgelehnt worden oder stellt die betreffende Person eine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit dar, so können die Mitgliedstaaten davon absehen, eine Frist für die freiwillige Ausreise zu gewähren, oder sie können eine Ausreisefrist von weniger als sieben Tagen einräumen.

Den Mitgliedstaaten steht es frei, von der Gewährung einer Frist für die freiwillige Ausreise in den (in Artikel 7 Absatz 4 der Rückführungsrichtlinie erschöpfend aufgeführten) Fällen abzusehen, in denen „Kontraindikationen“ vorliegen, namentlich wenn bei dem Drittstaatsangehörigen Fluchtgefahr besteht (siehe Abschnitt 1.6) oder wenn er eine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit darstellt (zum Beispiel Verurteilung wegen schwerer Straftaten, auch wenn diese in anderen Mitgliedstaaten begangen wurden) und wenn der Antrag auf eine Aufenthaltsberechtigung (beispielsweise Asylantrag oder Antrag auf Erteilung oder Verlängerung eines Aufenthaltstitels) als offensichtlich unbegründet oder missbräuchlich abgelehnt worden ist.

Lässt sich auf der Grundlage einer Einzelfallprüfung feststellen, dass solche „Kontraindikationen“ in einem bestimmten Fall gegeben sind, so sollte keine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt werden, und eine Frist von weniger als sieben Tagen sollte nur eingeräumt werden, wenn dadurch die nationalen Behörden nicht daran gehindert werden, die Abschiebung durchzuführen.

Allerdings können die Mitgliedstaaten ihre Beurteilung der Lage jederzeit ändern (so kann ein bislang nicht kooperativer Rückzuführender seine Einstellung ändern und ein Angebot für die unterstützte freiwillige Rückkehr annehmen) und eine Frist für die freiwillige Ausreise gewähren, obwohl zunächst Fluchtgefahr bestand.

Weitere Klarstellung:

Es ist nicht möglich, generell allen illegal Einreisenden die Gewährung einer Frist für die freiwillige Ausreise zu versagen. Eine allgemeine Regelung dieser Art würde der Definition des Begriffs „Fluchtgefahr“, dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und der Pflicht zur Einzelfallprüfung zuwiderlaufen und die praktische Wirksamkeit von Artikel 7 (Förderung der freiwilligen Ausreise) untergraben.

Es ist möglich, gemäß Artikel 7 Absatz 4 Drittstaatsangehörige auszuschließen, die Anträge missbräuchlich gestellt haben. Artikel 7 Absatz 4 erstreckt sich ausdrücklich auf offensichtlich unbegründete oder missbräuchliche Anträge. Da missbräuchlichen Anträgen in der Regel ein verwerflicheres Verhalten zugrunde liegt als offensichtlich unbegründeten Anträgen, sollte Artikel 7 Absatz 4 so ausgelegt werden, dass auch missbräuchlich gestellte Anträge erfasst sind.

Es ist auch möglich, Personen auszuschließen, die eine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit darstellen. In der Rechtssache C-554/13, Zh. und O.  (41), stellte der EuGH dazu klar, dass es den Mitgliedstaaten im Wesentlichen weiterhin freisteht, nach ihren nationalen Bedürfnissen zu bestimmen, was die öffentliche Ordnung erfordert. Der Begriff der „Fluchtgefahr“ unterscheidet sich von der „Gefahr für die öffentliche Ordnung“. So setzt eine „Gefahr für die öffentliche Ordnung“ neben der Störung der gesellschaftlichen Ordnung, die jede Rechtsverletzung mit sich bringt, eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr voraus, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Ein Mitgliedstaat kann einen Drittstaatsangehörigen nicht allein deshalb als Gefahr für die öffentliche Ordnung betrachten, weil er einer nach nationalem Recht strafbaren Handlung verdächtig ist oder dafür in einem Strafverfahren verurteilt wurde. Auch andere Faktoren wie Art und Schwere der Handlung, die seit der Handlung verstrichene Zeit sowie alle Angelegenheiten, die sich auf die Stichhaltigkeit des Verdachts beziehen, dass der betreffende Drittstaatsangehörige die zur Last gelegte Straftat begangen hat, sind für die stets vorzunehmende Einzelfallprüfung von Belang.

6.4.   Konforme Anwendung in der Praxis — Transit auf dem Landweg

Anhang 39 des Schengen-Handbuchs „Standardformular für die Anerkennung einer Rückkehrentscheidung für die Zwecke des Transits auf dem Landweg“

Karte der teilnehmenden Mitgliedstaaten (verfügbar als EMN-Ad-hoc-Anfrage, Rückkehr, 2015, auf der Europa-Website des EMN)

Zur Erinnerung/Erläuterung: Eine zur Rückkehr verpflichtete Person, die innerhalb der Frist für die freiwillige Ausreise auf dem Landweg das Gebiet der EU verlassen will, besitzt — auf ihrem Weg in das Rückkehrland — für die Durchreise durch einen anderen Mitgliedstaat kein gültiges Visum oder eine andere Genehmigung und läuft daher Gefahr, dass sie unterwegs von der Polizei aufgegriffen bzw. aufgehalten wird und der Transitmitgliedstaat eine zweite Rückkehrentscheidung gegen sie erlässt. Dies läuft dem politischen Ziel der Rückführungsrichtlinie — Sicherstellung der tatsächlichen Rückkehr, unter anderem durch freiwillige Ausreise — zuwider.

Die Ausstellung eines Transitvisums für den Rückkehrer wäre eine unangemessene und ungeeignete Lösung, da die Erteilung eines Visums für ausreisepflichtige illegal aufhältige Drittstaatsangehörige gegen die EU-Vorschriften über Visa verstoßen würde. Darüber hinaus haben die Transitmitgliedstaaten offenbar keinen Anreiz, derartige Visa auszustellen (Fluchtgefahr und/oder Abschiebekosten) und lehnen in der Praxis die Ausstellung eines Visums daher häufig ab. Auch die Einführung eines „Europäischen Passierscheins“ für den Rückkehrer bietet keine Lösung: Da der Rechtscharakter und die rechtlichen Auswirkungen eines derartigen Passierscheins nicht klar festgelegt sind, würde der Rückkehrer — rein rechtlich gesehen — weiterhin als illegal aufhältig im Transitmitgliedstaat gelten, sodass gemäß Artikel 6 Absatz 1 eine neue Rückkehrentscheidung gegen ihn erlassen werden könnte.

Eine Möglichkeit zur Umgehung des Problems ist die Förderung der direkten Rückkehr in ein Drittland auf dem Luftweg. Dies kann jedoch für den Rückkehrer teuer und nicht praktikabel sein.

Eine ausdrücklich von der Kommission empfohlene Vorgehensweise besteht darin, dass die Transitmitgliedstaaten Rückkehrentscheidungen des ersten Mitgliedstaats auf der Grundlage von Anhang 39 des Schengen-Handbuchs „Standardformular für die Anerkennung einer Rückkehrentscheidung für die Zwecke des Transits auf dem Landweg“ (herausgegeben von der Kommission im September 2011 nach auf technischer Ebene geführte Konsultationen mit betroffenen Mitgliedstaaten und Gesprächen innerhalb der Gruppe „Migration und Rückführung“ des Rates der Europäischen Union) anerkennen.

Bei dieser Vorgehensweise können die Transitmitgliedstaaten die Rückkehrentscheidung des ersten Mitgliedstaats einschließlich der Frist für die freiwillige Ausreise anerkennen und ermöglichen dem Rückkehrer die Durchreise auf der Grundlage der anerkannten Entscheidung und der anerkannten Frist für die freiwillige Ausreise. Dies hat den Vorteil, dass der Transitmitgliedstaat nicht verpflichtet ist, eine neue Rückkehrentscheidung zu erlassen, und den ersten Mitgliedstaat um Erstattung aller Kosten im Zusammenhang mit einer Abschiebung ersuchen kann, falls etwas nicht wie geplant abläuft und der Rückkehrer auf Kosten des Transitstaates abgeschoben werden muss (anwendbar ist hier die Entscheidung 2004/191/EG des Rates (42)).

Mitgliedstaaten, die noch zögern, diese freiwillige Option (entweder als sendender oder als empfangender Mitgliedstaat) anzuwenden, werden ermutigt, sich zu beteiligen und die Kommission und die anderen Mitgliedstaaten von ihrer Teilnahme in Kenntnis zu setzen.

Weitere Klarstellung:

Form der Anerkennung: Die sehr breit gefasste und allgemein gehaltene Formulierung der Richtlinie 2001/40/EG lässt einen Ermessensspielraum zu, was die praktischen Modalitäten (Verfahrensdetails) der gegenseitigen Anerkennung entsprechend den praktischen Erfordernissen und nationalen Rechtsvorschriften betrifft. Das in Anhang 39 des Schengen-Handbuchs vorgeschlagene Formular ermöglicht eine, aber nicht die einzige Vorgehensweise.

Rechtlich gesehen werden alle relevanten Elemente der von Mitgliedstaat A erlassenen Rückkehrentscheidung von Mitgliedstaat B anerkannt, einschließlich der Erklärung, dass der Drittstaatsangehörige illegal aufhältig ist und ihm eine Frist für die freiwillige Ausreise gewährt wurde — mit Wirkung für das Hoheitsgebiet des anerkennenden Mitgliedstaats B.

Der anerkennende Mitgliedstaat genießt drei verschiedene „Garantien“:

1.

Die Verwendung des Standardformulars von Anhang 39 erfolgt ausschließlich auf freiwilliger Basis, was den Mitgliedstaaten stets die Möglichkeit lässt, im konkreten Einzelfall die Rückkehrentscheidung eines anderen Mitgliedstaats nicht anzuerkennen.

2.

Der erste Mitgliedstaat darf eine Frist für die freiwillige Ausreise gemäß Artikel 7 der Rückführungsrichtlinie nur dann gewähren, wenn keine „Kontraindikationen“ wie Fluchtgefahr vorliegen. Die Bewertung der persönlichen Situation von Rückkehrern gemäß Artikel 7, die vom ersten Mitgliedstaat vorzunehmen ist, kann für den anerkennenden Transitmitgliedstaat eine hilfreiche Rückversicherung darstellen.

3.

Läuft etwas nicht wie geplant und der Rückzuführende muss auf Kosten des Transitstaates abgeschoben werden, können in Anwendung der Entscheidung 2004/191/EG alle Kosten im Zusammenhang mit der Abschiebung dem ersten Mitgliedstaat in Rechnung gestellt werden.

6.5.   Konforme Anwendung in der Praxis — Transit auf dem Landweg

Die Richtlinie 2003/110/EG des Rates (43) über die Unterstützung bei der Durchbeförderung im Rahmen von Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg bietet den rechtlichen Rahmen, den die zuständigen Behörden für die Zusammenarbeit auf den Transitflughäfen der Mitgliedstaaten bei auf dem Luftweg erfolgenden unbegleiteten bzw. begleiteten Rückführungen nutzen können. Der Begriff „unbegleitete Rückführung“ in dieser Richtlinie (die fünf Jahre vor der Rückführungsrichtlinie erlassen wurde) kann so ausgelegt werden, dass er auch die „freiwillige Ausreise“ im Sinne der Rückführungsrichtlinie (44) umfasst. Die Kommission empfiehlt, von der Richtlinie 2003/110/EG bei der Organisation der Durchbeförderung auf dem Luftweg im Rahmen der freiwilligen Ausreise systematisch Gebrauch zu machen (siehe auch Abschnitt 7.2).

6.6.   Erfassung der freiwilligen Ausreise

Derzeit gibt es kein zentrales EU-System für die Erfassung freiwilliger Ausreisen. Bei der Durchbeförderung von Rückkehrern auf dem Landweg gemäß der Empfehlung in Anhang 39 des Schengen-Handbuchs sendet der entsprechende Grenzschutzbeamte eine Bestätigung per Fax an den Mitgliedstaat, der die Rückkehrentscheidung erlassen hat. In anderen Fällen melden sich Rückkehrer mitunter bei den Konsulaten der Mitgliedstaaten in den betreffenden Drittländern. Zuweilen wird die Ausreise auch von Grenzschutzbeamten bei der Ausreisekontrolle erfasst. Aufgrund des Fehlens eines zentralen Systems der Union für die Erfassung freiwilliger Ausreisen entsteht eine Lücke sowohl bei der Überprüfung der Durchsetzung als auch in statistischer Hinsicht. Der Vorschlag der Kommission für eine Verordnung über die Nutzung des Schengener Informationssystems für die Rückkehr illegal aufhältiger Drittstaatsangehörigen (45) zielt darauf ab, diese Lücke zu schließen.

Kurzfristig sollten die Mitgliedstaaten die Voraussetzungen dafür schaffen, dass nachgeprüft werden kann, ob ein Drittstaatsangehöriger die Union tatsächlich verlassen hat und ob dies innerhalb der für die freiwillige Ausreise gesetzten Frist und ohne Unterstützung geschehen ist, und dass andernfalls wirksame Folgemaßnahmen getroffen werden. Die Mitgliedstaaten werden aufgefordert, die zur Verfügung stehenden Informationskanäle bestmöglich auf folgende Weise zu nutzen:

1.

Zur Rückkehr verpflichteten Personen, denen eine Frist für die freiwillige Ausreise eingeräumt wurde, sollten dazu aufgefordert werden, die Behörden, die die Rückkehrentscheidung (und das Einreiseverbot) erlassen haben, über ihre erfolgreiche Ausreise in Kenntnis zu setzen. Der Rückkehrer kann seine Ausreise dem Grenzschutzbeamten (bei der Ausreise), in der konsularischen Vertretung eines Mitgliedstaats in seinem Herkunftsland (nach der Rückkehr) oder auch schriftlich (mit beigefügtem hinreichendem Nachweis) mitteilen. Zur Verbesserung dieser Praxis könnte der Rückkehrentscheidung oder dem Reisedokument systematisch ein Informationsblatt beigefügt werden, auf dem der Name und andere Identifikatoren des Drittstaatsangehörigen sowie Anweisungen und Kontaktangaben der erlassenden Behörde vermerkt sind, sodass es der Grenzschutzbeamte bei der Ausreise abstempeln und als Ausreisenachweis an die erlassende Behörde zurücksenden kann. In diesem Informationsblatt könnte der Rückkehrer auch auf die Vorzüge der Meldung der erfolgreichen Ausreise bei den Behörden hingewiesen werden.

2.

Die die Ausreisekontrolle durchführenden Grenzschutzbeamten sollten angewiesen werden, sich bei der Ausreise irregulärer Migranten danach zu erkundigen, ob gegen die Betreffenden eine Rückkehrentscheidung mit einer Frist für die freiwillige Rückkehr erlassen wurde, und in diesen Fällen die Behörden, die die Rückkehrentscheidung erlassen haben, systematisch über die Ausreise zu informieren.

3.

Unter Verwendung von Anhang 39 (siehe Abschnitt 6.4) sollte die Ausreise illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger, die auf dem Landweg durch das Hoheitsgebiet eines anderen als des Mitgliedstaats, der die Rückkehrentscheidung erlassen hat, durchreisen, bestätigt werden.

Die Mitgliedstaaten sollten auch erwägen, mit Fluggesellschaften Kontakt aufzunehmen, um Informationen darüber zu erhalten, ob sich die ohne Begleitung zurückkehrenden Drittstaatsangehörigen zum Zeitpunkt der voraussichtlichen Ausreise an Bord des Flugzeugs befanden.

7.   ABSCHIEBUNG

Rechtsgrundlage: Rückführungsrichtlinie — Artikel 8 Absätze 1 bis 4

(1)

Die Mitgliedstaaten ergreifen alle erforderlichen Maßnahmen zur Vollstreckung der Rückkehrentscheidung, wenn nach Artikel 7 Absatz 4 keine Frist für die freiwillige Ausreise eingeräumt wurde oder wenn die betreffende Person ihrer Rückkehrverpflichtung nicht innerhalb der nach Artikel 7 eingeräumten Frist für die freiwillige Ausreise nachgekommen ist.

(2)

Hat ein Mitgliedstaat eine Frist für die freiwillige Ausreise gemäß Artikel 7 eingeräumt, so kann die Rückkehrentscheidung erst nach Ablauf dieser Frist vollstreckt werden, es sei denn, innerhalb dieser Frist entsteht eine der Gefahren im Sinne von Artikel 7 Absatz 4.

(3)

Die Mitgliedstaaten können eine getrennte behördliche oder gerichtliche Entscheidung oder Maßnahme erlassen, mit der die Abschiebung angeordnet wird.

(4)

Machen die Mitgliedstaaten – als letztes Mittel – von Zwangsmaßnahmen zur Durchführung der Abschiebung von Widerstand leistenden Drittstaatsangehörigen Gebrauch, so müssen diese Maßnahmen verhältnismäßig sein und dürfen nicht über die Grenzen des Vertretbaren hinausgehen. Sie müssen nach dem einzelstaatlichen Recht im Einklang mit den Grundrechten und unter gebührender Berücksichtigung der Menschenwürde und körperlichen Unversehrtheit des betreffenden Drittstaatsangehörigen angewandt werden.

In der Rückführungsrichtlinie ist ein Ziel festgelegt („Vollstreckung der Rückkehrentscheidung“), das auf wirksame und verhältnismäßige Weise mit „allen erforderlichen Maßnahmen“ erreicht werden sollte, wobei die konkreten Modalitäten (das „Wie“) in den Rechtsvorschriften und der Verwaltungspraxis der Mitgliedstaaten zu regeln ist — siehe Urteil des EuGH in der Rechtssache C-329/11, Achughbabian, Rn. 36: „… die darin verwendeten Begriffe ‚Maßnahmen‘ und ‚Zwangsmaßnahmen‘ (beziehen) sich auf jegliches Vorgehen …, das auf wirksame Weise unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit zur Rückkehr des Betroffenen führt.“

Ungeachtet der Verpflichtung eines Drittstaatsangehörigen, bei seiner Identifizierung zu kooperieren und die erforderlichen Dokumente bei seinen nationalen Behörden zu beantragen, beinhaltet die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, „alle erforderlichen Maßnahmen“ zu ergreifen, auch, dass das für die Rückübernahme vorgesehene Drittland zügig aufgefordert wird, ein gültiges Identitäts- oder Reisedokument auszustellen oder das für die Rückkehr ausgestellte europäische Reisedokument (46) anzuerkennen — sofern dies in den geltenden Abkommen oder Vereinbarungen mit dem betreffenden Drittland vorgesehen ist —, um die tatsächliche Verbringung des Drittstaatsangehörigen aus dem Mitgliedstaat zu ermöglichen. Die Verwendung des europäischen Reisedokuments für die Rückkehr sollte in Verhandlungen und im Rahmen der Anwendung von bilateralen und EU-Rückübernahmeabkommen und sonstigen Vereinbarungen mit Drittländern weiter gefördert werden. In Zusammenarbeit mit Drittländern können während der Frist für die freiwillige Ausreise Verwaltungsverfahren zur Vorbereitung der Abschiebung (beispielsweise für die Beschaffung der erforderlichen Reisedokumente und Genehmigungen) eingeleitet werden, wobei der betreffende Drittstaatsangehörige keinerlei Gefahren ausgesetzt werden darf (siehe auch Abschnitt 6).

Zur Verringerung der Auswirkungen eines möglichen Missbrauchs, vor allem im Zusammenhang mit unbegründeten, mehrfachen und „in letzter Minute“ gestellten Asylanträgen sowie unbegründeten Rechtsbehelfen gegen Asylentscheidungen oder rückkehrbezogene Entscheidungen, deren Zweck einzig und allein darin besteht, die Vollstreckung von Rückkehrentscheidungen zu verzögern oder zu vereiteln, empfiehlt die Kommission den Mitgliedstaaten, Maßnahmen zu ergreifen, um nach Maßgabe der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates (47) („Asylverfahrensrichtlinie“) Modalitäten für die Prüfung von Anträgen auf internationalen Schutz in einem beschleunigten Verfahren oder gegebenenfalls einem Verfahren an der Grenze festzulegen.

Abgrenzung zwischen freiwilliger Ausreise und Abschiebung: Der Begriff „Rückkehr“ ist sehr breit gefasst und erstreckt sich auf den Prozess der Rückkehr in ein Drittland in (freiwilliger oder erzwungener) Erfüllung einer Rückkehrverpflichtung. Der Begriff „Abschiebung“ hingegen ist weitaus enger gefasst und bedeutet die Vollstreckung der Rückkehrverpflichtung, d. h. die tatsächliche Verbringung aus dem Mitgliedstaat. Der EuGH hat bereits in der Rechtssache C-61/11, El Dridi, (Rn. 41) und der Rechtssache C-329/11, Achughbabian, darauf hingewiesen, dass die Rückführungsrichtlinie eine „Abstufung von Maßnahmen“ von freiwillig bis erzwungen vorsieht. In der Praxis gibt es häufig Fälle, die Elemente sowohl der erzwungenen Rückkehr (Inhaftnahme) als auch der Freiwilligkeit (spätere freiwillige Ausreise ohne Zwangsmaßnahmen) enthalten. Die Mitgliedstaaten werden aufgefordert, in allen Phasen des Verfahrens die am wenigsten einschneidenden Maßnahmen anzuwenden. Ändern Rückzuführende, die sich in Abschiebehaft befinden, ihre Einstellung und zeigen Bereitschaft zur freiwilligen Ausreise, sind die Mitgliedstaaten gehalten und berechtigt, flexibel zu handeln.

Vollstreckung einer Rückkehrentscheidung nach Ablehnung eines Antrags auf internationalen Schutz: In seinem Urteil in der Rechtssache C-601/15, J. N. (Rn. 75, 76 und 80) hat der EuGH festgestellt, dass nach der erstinstanzlichen Ablehnung eines Asylantrags die Vollstreckung einer zuvor erlassenen Rückkehrentscheidung in dem Stadium, in dem sie unterbrochen wurde, fortgeführt werden muss und dass das Rückkehrverfahren nicht von vorne beginnen sollte: „… die praktische Wirksamkeit der Richtlinie 2008/115/EG verlangt, dass ein nach dieser Richtlinie eingeleitetes Verfahren, in dessen Rahmen eine Rückkehrentscheidung, … einhergehend mit einem Einreiseverbot, ergangen ist, in dem Stadium, in dem es wegen der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutz unterbrochen wurde, wieder aufgenommen werden kann, sobald dieser Antrag erstinstanzlich abgelehnt wurde … Insoweit ergibt sich sowohl aus der Loyalitätspflicht der Mitgliedstaaten, die aus Art. 4 Abs. 3 EUV folgt und auf die in Rn. 56 des Urteils El Dridi … hingewiesen wird, als auch aus den … Erfordernissen der Wirksamkeit, dass die den Mitgliedstaaten durch Art. 8 dieser Richtlinie auferlegte Pflicht, in den in Art. 8 Abs. 1 genannten Fällen die Abschiebung vorzunehmen, binnen kürzester Frist zu erfüllen ist … Dieser Pflicht würde aber nicht genügt, wenn die Abschiebung dadurch verzögert würde, dass nach der erstinstanzlichen Ablehnung des Antrags auf internationalen Schutz ein Verfahren … nicht in dem Stadium, in dem es unterbrochen wurde, fortgeführt würde, sondern von vorne beginnen müsste.“

Freiheitsentzug als strafrechtliche Maßnahme bei illegalem Aufenthalt kann niemals eine „erforderliche Maßnahme“ im Sinne von Artikel 8 Absatz 1 der Rückführungsrichtlinie sein (siehe Abschnitt 4). Im Einklang mit dem unter Berücksichtigung des Artikels 5 EMRK ausgelegten Artikel 6 GRC über das Recht auf Freiheit ist nach Maßgabe des Artikels 15 der Rückführungsrichtlinie Freiheitsentzug im Kontext der Rückkehr/Rückführung nur für die Zwecke der Abschiebung zulässig — siehe Urteil des EuGH in der Rechtssache C-329/11, Achughbabian (Rn. 37): „Die Verhängung und Vollstreckung einer Freiheitsstrafe während des von der Richtlinie 2008/115/EG vorgesehenen Rückkehrverfahrens trägt nicht zur Verwirklichung der mit diesem Verfahren verfolgten Abschiebung bei, d. h. zur tatsächlichen Verbringung des Betroffenen aus dem entsprechenden Mitgliedstaat. Eine derartige Strafe stellt somit keine „Maßnahme“ oder „Zwangsmaßnahme“ im Sinne von Art. 8 der Richtlinie 2008/115/EG dar.“

Gemäß Artikel 5 Buchstabe c berücksichtigen die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Rückführungsrichtlinie in gebührender Weise den Gesundheitszustand der betreffenden Drittstaatsangehörigen; außerdem wahren sie bei derVollstreckung von Rückkehrentscheidungen in Anwendung von Artikel 8 Absatz 1 der Richtlinie die Würde und körperliche Unversehrtheit der Drittstaatsangehörigen in gebührender Weise. Unter vollständiger Achtung des Rechts auf Gesundheit und angesichts dessen, dass nach der Richtlinie keine Verpflichtung zur systematischen Durchführung ärztlicher Untersuchungen oder zur Ausstellung einer „Flugtauglichkeitserklärung“ bei allen abzuschiebenden Drittstaatsangehörigen besteht, empfiehlt die Kommission den Mitgliedstaaten, Maßnahmen gegen potenziellen Missbrauch durch falsche Angaben der Drittstaatsangehörigen zu ihrem Gesundheitszustand zu ergreifen, die ungerechtfertigterweise zur Verhinderung oder Aussetzung der Abschiebung aus medizinischen Gründen führen würden (siehe auch Abschnitt 12.4), beispielsweise indem sie sicherstellen, dass von der zuständigen nationalen Behörde bestelltes qualifiziertes medizinisches Fachpersonal für eine unabhängige und objektive ärztliche Begutachtung des jeweiligen Falls zur Verfügung steht.

7.1.   Abschiebung auf dem Luftweg

Rechtsgrundlage: Rückführungsrichtlinie — Artikel 8 Absatz 5; Gemeinsame Leitlinien für Sicherheitsvorschriften bei gemeinsamen Rückführungen auf dem Luftweg im Anhang zur Entscheidung 2004/573/EG des Rates (48); Verordnung (EU) 2016/1624 des Europäischen Parlaments und des Rates (49) — Artikel 28 Absatz 3

Bei der Durchführung der Abschiebungen auf dem Luftweg tragen die Mitgliedstaaten den Gemeinsamen Leitlinien für Sicherheitsvorschriften bei gemeinsamen Rückführungen auf dem Luftweg im Anhang zur Entscheidung 2004/573/EG Rechnung.

Gemäß der Rückführungsrichtlinie haben die Mitgliedstaaten den Gemeinsamen Leitlinien für Sicherheitsvorschriften bei gemeinsamen Rückführungen auf dem Luftweg im Anhang zur Entscheidung 2004/573/EG Rechnung zu tragen, und zwar bei sämtlichen Abschiebungen auf dem Luftweg und nicht nur — wie ursprünglich in dieser Entscheidung vorgesehen — bei gemeinsamen Rückführungen.

Einige Teile dieser Leitlinien sind naturgemäß so konzipiert, dass sie nur bei Sammelflügen zu berücksichtigen sind, beispielsweise die Regeln für die Zuständigkeit und Aufgabenteilung des organisierenden Mitgliedstaats und der teilnehmenden Mitgliedstaaten. Daher sind sie in einem rein nationalen Kontext nicht maßgeblich. Alle anderen Teile der Leitlinien (siehe die wichtigsten Auszüge im nachstehenden Kasten) sollten jedoch auch bei rein nationalen Abschiebungen Berücksichtigung finden.

GEMEINSAME LEITLINIEN FÜR SICHERHEITSVORSCHRIFTEN BEI GEMEINSAMEN RÜCKFÜHRUNGEN AUF DEM LUFTWEG

(Auszüge)

1.   PHASE VOR DER RÜCKFÜHRUNG

1.1.2   Gesundheitszustand und Gesundheitsunterlagen

Der organisierende Mitgliedstaat und jeder teilnehmende Mitgliedstaat stellt sicher, dass der Gesundheitszustand der rückzuführenden Personen, für die er zuständig ist, eine rechtlich und faktisch sichere Rückführung auf dem Luftweg erlaubt. Für rückzuführende Personen, bei denen ein Gesundheitsproblem entdeckt wurde oder bei denen eine ärztliche Behandlung erforderlich ist, werden Gesundheitsunterlagen zur Verfügung gestellt. Die Gesundheitsunterlagen umfassen die Ergebnisse ärztlicher Untersuchungen, eine Diagnose und Angaben zu möglicherweise erforderlichen Arzneimitteln, damit die nötigen medizinischen Maßnahmen durchgeführt werden können. …

1.1.3   Reisedokumente

Der organisierende Mitgliedstaat und jeder teilnehmende Mitgliedstaat stellt sicher, dass für jede rückzuführende Person gültige Reisedokumente und andere erforderliche Urkunden, Nachweise oder sonstige Unterlagen vorliegen. Diese werden bis zur Ankunft im Zielland von einer dazu befugten Person unter Verschluss gehalten. …

1.2.3   Private Sicherheitsdienste als Begleitpersonal

Setzt ein teilnehmender Mitgliedstaat private Sicherheitsdienste als Begleitpersonal ein, so tragen die Behörden dieses Mitgliedstaats dafür Sorge, dass sich mindestens ein amtlicher Vertreter dieses Landes an Bord des Luftfahrzeugs befindet.

1.2.4   Qualifikation und Lehrgänge für die Begleitpersonen

Die auf Sammelflügen eingesetzten Begleitpersonen müssen zuvor einen speziellen Rückführungslehrgang absolviert haben; je nach Einsatz erhalten sie auch die nötige medizinische Unterstützung.

1.2.5   Verhaltenskodex für Begleitpersonen

Die Begleitpersonen sind nicht bewaffnet. Sie können Zivilkleidung tragen, an der ein Erkennungszwecken dienendes Zeichen angebracht ist. Das übrige ordnungsgemäß ernannte Begleitpersonal trägt ebenfalls ein spezielles Zeichen.

Die Begleitpersonen wählen ihre Plätze im Flugzeug strategisch so, dass optimale Sicherheit gewährleistet ist. Dabei ist zu beachten, dass sie neben den rückzuführenden Personen sitzen, für die sie zuständig sind.

1.2.6   Vereinbarungen in Bezug auf die Zahl der Begleitpersonen

Die Zahl der erforderlichen Begleitpersonen wird auf der Grundlage einer Analyse der potenziellen Gefahren und nach gegenseitiger Absprache fallweise festgelegt. In den meisten Fällen sollte mindestens die gleiche Anzahl von Begleitpersonen und rückzuführenden Personen an Bord sein. Erforderlichenfalls (z. B. auf Langstreckenflügen) wird ein Ersatzteam zur Unterstützung bereitgestellt.

2.   PHASE VOR DEM ABFLUG IN ABFLUG- ODER TRANSITFLUGHÄFEN

2.1   Beförderung zum und Aufenthalt im Flughafen

Hinsichtlich der Beförderung zum und des Aufenthalts im Flughafen gilt Folgendes:

a)

Die Begleitpersonen und die rückzuführenden Personen finden sich grundsätzlich mindestens drei Stunden vor dem Abflug im Flughafen ein.

b)

Die Rückzuführenden werden über den Verlauf der Rückführung informiert; ihnen wird mitgeteilt, dass die Zusammenarbeit mit den Begleitpersonen in ihrem Interesse ist. Sie werden ferner darauf hingewiesen, dass störendes Verhalten weder geduldet wird noch einen Abbruch der Rückführung nach sich zieht.

2.2   Einchecken, an Bord gehen und Sicherheitskontrollen vor dem Start

Hinsichtlich des Eincheckens, des An-Bord-Gehens und der Sicherheitskontrollen vor dem Start gilt Folgendes:

a)

Die Begleitpersonen des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet die Rückführung beginnt, begleiten die rückzuführenden Personen beim Einchecken und beim Passieren der Kontrollbereiche.

b)

Jede rückzuführende Person wird einer ausführlichen Sicherheitskontrolle unterzogen, bevor sie an Bord des für den Sammelflug vorgesehenen Luftfahrzeugs geht. Gegenstände, die die Sicherheit von Personen oder die Flugsicherheit bedrohen könnten, werden beschlagnahmt und im Gepäckraum aufbewahrt.

c)

Das Gepäck der rückzuführenden Personen wird nicht in der Passagierkabine verstaut. Die im Gepäckraum verstauten Gepäckstücke werden einer Sicherheitskontrolle unterzogen und mit dem Namen des Eigentümers versehen. Alle nach den Richtlinien der Internationalen Zivilluftfahrtorganisation (ICAO) als gefährlich eingestuften Gegenstände werden aus den Gepäckstücken herausgenommen.

d)

Geld und Wertgegenstände werden in einem mit dem Namen des Eigentümers versehenen transparenten Umschlag aufbewahrt. Die rückzuführenden Personen sind darüber zu informieren, was mit den beschlagnahmten Wertgegenständen und dem Geld geschieht.

3.   VERFAHREN WÄHREND DES FLUGS

3.2   Anwendung von Zwangsmaßnahmen

Für die Anwendung von Zwangsmaßnahmen gilt Folgendes:

a)

Bei der Anwendung von Zwangsmaßnahmen werden die Rechte des Einzelnen gebührend geachtet.

b)

Zwangsmaßnahmen können bei rückkehrunwilligen oder Widerstand leistenden Personen angewandt werden. Die Zwangsmaßnahmen müssen angemessen sein und dürfen nicht über die Grenzen des Vertretbaren hinausgehen. Die Würde und körperliche Unversehrtheit der rückzuführenden Person müssen gewahrt werden. Im Zweifelsfall ist die Rückführung, einschließlich der Anwendung rechtmäßiger Zwangsmaßnahmen, die durch den Widerstand und die Gefährlichkeit der rückzuführenden Person gerechtfertigt sind, nach dem Grundsatz „keine Rückführung um jeden Preis“ abzubrechen.

c)

Bei Zwangsmaßnahmen muss die freie Atmung des Rückzuführenden gewährleistet sein. Bei Anwendung von körperlicher Gewalt ist dafür Sorge zu tragen, dass der Rückzuführende in einer aufrechten Position verbleibt, die eine unbeeinträchtigte Atmung gewährleistet.

d)

Die Immobilisierung Widerstand leistender Personen kann durch Maßnahmen erreicht werden, die deren Würde und körperliche Unversehrtheit nicht berühren.

e)

Der organisierende Mitgliedstaat und alle teilnehmenden Mitgliedstaaten einigen sich vor der Rückführung auf eine Liste erlaubter Zwangsmaßnahmen. Die Verabreichung von Beruhigungsmitteln, mit denen die Rückführung erleichtert werden soll, ist unbeschadet etwaiger Notmaßnahmen zur Gewährleistung der Flugsicherheit verboten.

f)

Die Begleitpersonen werden über die erlaubten und verbotenen Zwangsmaßnahmen in Kenntnis gesetzt.

g)

Rückzuführende Personen, bei denen Zwangsmaßnahmen angewendet wurden, bleiben während der gesamten Flugdauer unter ständiger Kontrolle.

h)

Der Leiter der Rückführung oder sein Stellvertreter entscheidet über die vorübergehende Aufhebung von Zwangsmaßnahmen.

3.3   Medizinisch ausgebildetes Personal und Dolmetscher

Für medizinisch ausgebildetes Personal und Dolmetscher gilt Folgendes:

a)

Auf jedem Sammelflug sollte mindestens ein Arzt anwesend sein.

b)

Der Arzt hat Zugang zu den Gesundheitsunterlagen aller rückzuführenden Personen und wird vor dem Abflug über Rückzuführende mit besonderen Gesundheitsproblemen informiert. Zuvor nicht bekannte Gesundheitsprobleme, die unmittelbar vor dem Abflug entdeckt werden und die Vollstreckung der Rückführung beeinflussen können, sind in Abstimmung mit den zuständigen Behörden zu bewerten.

c)

Nur der Arzt darf den rückzuführenden Personen nach einer genauen ärztlichen Diagnose Medikamente verabreichen. Es ist dafür Sorge zu tragen, dass sich die während des Fluges benötigten Medikamente an Bord befinden.

d)

Jede rückzuführende Person muss sich unmittelbar oder mithilfe eines Dolmetschers in einer Sprache, in der sie sich verständigen kann, an den Arzt oder die Begleitpersonen wenden können.

e)

Der organisierende Mitgliedstaat stellt sicher, dass eine angemessene Zahl von medizinisch und sprachlich ausgebildeten Personen für die Rückführung zur Verfügung stehen.

3.4   Dokumentation und Überwachung von Rückführungen

3.4.1   Aufnahmen und Überwachung durch Dritte

Video- und/oder Audio-Aufnahmen oder die Überwachung von Rückführungen durch Dritte auf Sammelflügen unterliegen der vorherigen Zustimmung des organisierenden Mitgliedstaats und der teilnehmenden Mitgliedstaaten.

5.   ANKUNFTSPHASE

Bei der Ankunft gilt Folgendes:

c)

Der organisierende Mitgliedstaat und jeder teilnehmende Mitgliedstaat überstellen die aus seinem Land rückzuführenden Personen den Behörden des Ziellandes und übergeben ihnen das Gepäck und die vor dem An-Bord-Gehen beschlagnahmten Gegenstände. Die leitenden Vertreter des organisierenden Mitgliedstaats und der teilnehmenden Mitgliedstaaten sind dafür zuständig, bei der Ankunft den örtlichen Behörden die rückzuführenden Personen zu übergeben. Die Begleitpersonen verlassen das Luftfahrzeug in der Regel nicht.

d)

Im Rahmen des Angemessenen und Möglichen sollten der organisierende Mitgliedstaat und die teilnehmenden Mitgliedstaaten das Konsulatspersonal, die für Einwanderung zuständigen Verbindungsbeamten oder vorab entsandte Beamte der Mitgliedstaaten auffordern, die Übergabe der rückzuführenden Personen an die örtlichen Behörden in dem mit den nationalen Verfahren zu vereinbarenden Maß zu erleichtern.

e)

Bei der Übergabe an die örtlichen Behörden tragen die rückzuführenden Personen keine Handschellen und unterliegen auch keinen anderen Zwangsmaßnahmen.

f)

Die Überstellung der rückzuführenden Personen findet außerhalb des Luftfahrzeugs statt (entweder am Fuß der Gangway oder in einem dafür geeigneten Raum im Flughafen). Nach Möglichkeit ist zu vermeiden, dass sich die örtlichen Behörden an Bord des Luftfahrzeugs begeben.

g)

Der Aufenthalt im Flughafen des Ziellands sollte von möglichst kurzer Dauer sein.

h)

Der organisierende Mitgliedstaat und jeder teilnehmende Mitgliedstaat muss Notmaßnahmen für Begleitpersonen und Beamte (und die rückzuführenden Personen, deren Rückübernahme nicht genehmigt wurde) für den Fall vorsehen, dass sich der Abflug des Luftfahrzeugs nach dem Aussteigen der rückzuführenden Personen verzögert. Diese Maßnahmen umfassen erforderlichenfalls auch Vorkehrungen für die Übernachtung.

6.   SCHEITERN DER RÜCKFÜHRUNG

Verweigern die Behörden des Ziellandes die Einreise in ihr Hoheitsgebiet oder muss die Rückführung aus anderen Gründen abgebrochen werden, so veranlasst der organisierende Mitgliedstaat und jeder teilnehmende Mitgliedstaat auf seine Kosten die Rückkehr der rückzuführenden Personen in sein Hoheitsgebiet.

Weitere Klarstellung:

Die Begleitung von rückzuführenden Personen durch das Sicherheitspersonal der Fluggesellschaft oder Fremdpersonal ist grundsätzlich mit Artikel 8 der Rückführungsrichtlinie vereinbar. Den Mitgliedstaaten kommt jedoch eine Gesamtverantwortung für die Durchführung der Abschiebung zu (Erlass der Abschiebungsanordnung und verhältnismäßiger Einsatz von Zwangsmaßnahmen/Begleitung). So sieht Abschnitt 1.2.3 der genannten Leitlinien Folgendes vor: „Setzt ein teilnehmender Mitgliedstaat private Sicherheitsdienste als Begleitpersonal ein, so tragen die Behörden dieses Mitgliedstaats dafür Sorge, dass sich mindestens ein amtlicher Vertreter dieses Landes an Bord des Luftfahrzeugs befindet.“ Daraus ergibt sich, dass die Mitgliedstaaten in allen Fällen der „Fremdvergabe“ von Abschiebungen generell eine Aufsichtspflicht haben und der Einsatz von Sicherheitspersonal der Fluggesellschaften zu Begleitzwecken nicht ausgeschlossen ist, aber von mindestens einem Beamten des Mitgliedstaats genehmigt und begleitet werden muss.

Sammelrückkehraktionen (Drittstaatsbehörden schicken zur Rückführung ihrer Staatsangehörigen unter ihrer Aufsicht ein Flugzeug in die EU): Den Mitgliedstaaten kommt für die Durchführung der Rückführung, bis zu dem Zeitpunkt, da das Flugzeug den EU-Boden verlassen hat und die Übergabe an die Behörden des Ziellandes abgeschlossen ist, eine Gesamtverantwortung zu. Während der gesamten Rückführung müssen jedoch die Wahrung der Grundrechte sowie ein verhältnismäßiger Einsatz von Zwangsmitteln im Einklang mit den oben dargelegten gemeinsamen EU-Standards sichergestellt sein. Zu Aufsichtszwecken hat ein Vertreter des Mitgliedstaats die Rückführungsphase zu beobachten, die vom Zielland durchgeführt wird. Gemäß Artikel 28 Absatz 3 der Verordnung (EU) 2016/1624 über die Europäische Grenz- und Küstenwache („Verordnung über die Europäische Grenz- und Küstenwache“) kann die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache Unterstützung bei der Organisation von Sammelrückkehraktionen gewähren. Während dieser Aktionen gewährleisten die teilnehmenden Mitgliedstaaten und die Agentur die Achtung der Grundrechte, des Grundsatzes der Nichtzurückweisung sowie einen verhältnismäßigen Einsatz der Zwangsmittel. Zu diesem Zweck muss während der gesamten Rückkehraktion bis zur Ankunft im Zielland mindestens ein Vertreter eines an der Aktion teilnehmenden Mitgliedstaats und ein Rückkehrbeobachter (entweder eines teilnehmenden Mitgliedstaats oder aus dem nach Artikel 29 der Verordnung gebildeten Pool) an Bord des Flugzeugs zugegen sein.

7.2.   Transit auf dem Luftweg

Rechtsgrundlage: Richtlinie 2003/110/EG

Ersuchen auf Durchbeförderung zum Zweck der Rückführung auf dem Luftweg: Anhang zur Richtlinie 2003/110/EG

Liste der zentralen Behörden gemäß Artikel 4 Absatz 5 der Richtlinie 2003/110/EG für die Entgegennahme von Durchbeförderungsersuchen (verfügbar als EMN-Ad-hoc-Anfrage, Rückkehr, 2015, auf der Europa-Website des EMN)

In der Richtlinie 2003/110/EG sind detaillierte Maßnahmen zur Unterstützung zwischen den zuständigen Behörden bei unbegleiteten und begleiteten Rückführungen auf dem Luftweg auf den Transitflughäfen der Mitgliedstaaten festgelegt. Sie enthält Vorschriften zur Erleichterung der Durchbeförderung von rückzuführenden Personen auf einem Flughafen eines anderen Mitgliedstaats als dem, der den Rückführungsbeschluss erlassen und umgesetzt hat. Dazu ist festgelegt, unter welchen Bedingungen die Durchbeförderung erfolgen darf, und wird angegeben, welche Unterstützungsmaßnahmen der ersuchte Mitgliedstaat bereitstellen sollte. Durchbeförderungsersuchen sind auf dem der Richtlinie 2003/110/EG beigefügten Standardformular zu stellen. Diese Ersuchen werden den für diesen Zweck benannten zentralen Behörden der Mitgliedstaaten zugeleitet.

7.3.   Gemeinsame Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg

Rechtsgrundlage: Entscheidung 2004/573/EG

Liste der einzelstaatlichen Behörden, die gemäß Artikel 3 der Entscheidung 2004/573/EG für die Organisation von Sammelflügen und/oder die Beteiligung daran zuständig sind (verfügbar als EMN-Ad-hoc-Anfrage, Rückkehr, 2015, auf der Europa-Website des EMN)

In der Entscheidung 2004/573/EG werden insbesondere die gemeinsamen und die spezifischen Aufgaben der für die Organisation dieser Maßnahmen oder die Beteiligung daran zuständigen Behörden genannt. Dieser Entscheidung des Rates beigefügt sind Gemeinsame Leitlinien für Sicherheitsvorschriften bei gemeinsamen Rückführungen auf dem Luftweg. Nach Artikel 8 Absatz 5 der Rückführungsrichtlinie ist diesen Leitlinien bei allen Abschiebungen auf dem Luftweg — auch bei rein nationalen Rückführungen (siehe Abschnitt 7.1) — Rechnung zu tragen.

7.4.   Von der Europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache koordinierte Rückführungsmaßnahmen (Rückkehraktionen)

Rechtsgrundlage: Verordnung (EU) 2016/1624 — Artikel 28

Eine der Aufgaben der Europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache besteht darin, — nach Maßgabe der Rückkehrpolitik der Union und insbesondere der Rückführungsrichtlinie als Kernstück der Rechtsvorschriften der Union im Bereich Rückkehr/Rückführung — Unterstützung bei der Organisation und Durchführung von Rückführungsmaßnahmen der Mitgliedstaaten zu gewähren. Die Rolle der Agentur in Fragen der Rückkehr/Rückführung und die Einhaltung der Grundrechte durch die Agentur wurden im Jahr 2016 mit dem Erlass der Verordnung über die Europäische Grenz- und Küstenwache gestärkt.

Da die Durchführung von der Agentur koordinierter Rückführungsmaßnahmen einen eindeutigen Mehrwert bietet, werden die Mitgliedstaaten aufgefordert, umfassend von dieser Option Gebrauch zu machen.

Die von der Agentur koordinierten Rückführungsmaßnahmen müssen überwacht werden (siehe Abschnitt 8).

8.   ÜBERWACHUNG VON RÜCKFÜHRUNGEN

Rechtsgrundlage: Rückführungsrichtlinie — Artikel 8 Absatz 6

Liste der nationalen Stellen für die Überwachung von Rückführungen (verfügbar als EMN-Ad-hoc-Anfrage, Rückkehr, 2015, auf der Europa-Website des EMN); eine von der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA) erstellte Übersicht über die nationalen Stellen für die Überwachung von Rückführungen ist abrufbar unter: http://fra.europa.eu/en/theme/asylum-migration-borders/forced-return.

Die Mitgliedstaaten schaffen ein wirksames System für die Überwachung von Rückführungen.

Die Überwachung von Rückführungen ist ein wichtiges Instrument, das als integrierter Kontrollmechanismus den Interessen sowohl des Rückzuführenden als auch der Vollzugsbehörden in der täglichen Rückführungspraxis dienen kann. Eine wirksame Überwachung kann zur Deeskalierung beitragen. Sie gestattet eine rasche Ermittlung und Korrektur etwaiger Mängel. Außerdem schützt sie die Vollzugsbehörden — die mitunter von Medien oder NRO ungerechtfertigterweise kritisiert werden — durch eine unvoreingenommene und neutrale Berichterstattung.

In der Rückführungsrichtlinie ist nicht im Einzelnen vorgeschrieben, wie die nationalen Systeme für die Überwachung von Rückführungen gestaltet sein sollen. Sie lässt den Mitgliedstaaten einen breiten Ermessensspielraum. Ausgehend vom Wortlaut der Richtlinie und ihrem Kontext lassen sich jedoch einige Orientierungshilfen geben:

1.

Die Überwachung von Rückführungen sollte sich auf alle Tätigkeiten der Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit Abschiebungen erstrecken: von der Vorbereitung der Ausreise bis zur Aufnahme im Rückkehrland bzw. — bei fehlgeschlagener Abschiebung — bis zur Rückkehr zum Ausgangsort. Sie umfasst nicht die Überwachung nach der Rückkehr, d. h. die Zeit nach der Aufnahme des Rückkehrers im Drittland.

2.

In die Überwachungssysteme sollten Organisationen/Stellen einbezogen werden, die von den für die Vollstreckung von Rückkehrentscheidungen zuständigen Behörden unabhängig sind („nemo monitor in res sua“).

3.

Öffentliche Stellen (wie ein nationaler Bürgerbeauftragter oder eine unabhängige allgemeine Prüfstelle) können als Überwachungsinstanz fungieren. Es dürfte jedoch problematisch sein, eine Unterabteilung der Verwaltungseinheit, die Rückführungen/Abschiebungen durchführt, mit der Überwachung zu betrauen.

4.

Die bloße Existenz von Rechtsbehelfen in Einzelfällen oder von nationalen Aufsichtssystemen für die Wirksamkeit einzelstaatlicher Rückführungsstrategien kann nicht als korrekte Anwendung von Artikel 8 Absatz 6 der Rückführungsrichtlinie betrachtet werden.

5.

Die Mitgliedstaaten sind nicht automatisch verpflichtet, alle Kosten zu übernehmen, die der Überwachungseinrichtung entstehen (zum Beispiel Personalkosten), müssen aber dafür zu sorgen, dass ein System für die Überwachung von Rückführungen eingerichtet wird und funktioniert (praktische Wirksamkeit).

6.

Artikel 8 Absatz 6 der Rückführungsrichtlinie begründet keine Verpflichtung, jede einzelne Abschiebungsmaßnahme zu überwachen. Ein Überwachungssystem auf der Grundlage von Stichprobenkontrollen und der Überwachung von Zufallsstichproben kann als ausreichend gelten, solange die Überwachungsintensität die Gesamteffizienz der Überwachung hinlänglich gewährleistet.

7.

Artikel 8 Absatz 6 der Rückführungsrichtlinie bedingt kein subjektives Recht einer zur Rückkehr verpflichteten Person auf Überwachung.

Überwachung der von der Europäischen Agentur für die Grenz- und Küstenwache koordinierten Rückführungsmaßnahmen (Rückkehraktionen):

Artikel 28 Absatz 6 der Verordnung über die Europäische Grenz- und Küstenwache sieht Folgendes vor: „Jede Rückkehraktion wird gemäß Artikel 8 Absatz 6 der Richtlinie 2008/115/EG … auf der Grundlage objektiver und transparenter Kriterien (überwacht) und erstreckt sich auf die gesamte Rückkehraktion von der Phase vor Verlassen des Landes bis zur Übergabe der zur Rückkehr verpflichteten Personen im Bestimmungsdrittstaat.“ Dies bedeutet, dass jede Rückkehraktion, die von der Agentur koordiniert und mit technischer und operativer Verstärkung durch einen oder mehrere Mitgliedstaaten durchgeführt wird, gemäß den nationalen Vorschriften und Modalitäten zur Umsetzung von Artikel 8 Absatz 6 der Rückführungsrichtlinie überwacht werden muss.

Unbeschadet der im nationalen Recht vorgesehenen Berichterstattungspflichten müssen die Rückkehrbeobachter nach jeder Aktion dem Exekutivdirektor der Agentur, dem Grundrechtsbeauftragten und den zuständigen nationalen Behörden aller an der an der Aktion teilnehmenden Mitgliedstaaten Bericht erstatten.

9.   AUFSCHUB DER ABSCHIEBUNG

Rechtsgrundlage: Rückführungsrichtlinie — Artikel 9

(1)

Die Mitgliedstaaten schieben die Abschiebung auf,

a)

wenn diese gegen den Grundsatz der Nichtzurückweisung verstoßen würde oder

b)

solange nach Artikel 13 Absatz 2 aufschiebende Wirkung besteht.

(2)

Die Mitgliedstaaten können die Abschiebung unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls um einen angemessenen Zeitraum aufschieben. Die Mitgliedstaaten berücksichtigen insbesondere

a)

die körperliche oder psychische Verfassung der betreffenden Drittstaatsangehörigen;

b)

technische Gründe wie fehlende Beförderungskapazitäten oder Scheitern der Abschiebung aufgrund von Unklarheit über die Identität.

(3)

Wird eine Abschiebung gemäß den Absätzen 1 und 2 aufgeschoben, so können dem betreffenden Drittstaatsangehörigen die in Artikel 7 Absatz 3 vorgesehenen Verpflichtungen auferlegt werden.

Die Rückführungsrichtlinie schreibt zwei absolute Verbote vor: Zum einen ist es den Mitgliedstaaten nicht gestattet, eine Person abzuschieben, wenn dies gegen den Grundsatz der Nichtzurückweisung verstoßen würde. Zum anderen ist eine Abschiebung unzulässig, solange aufgrund eines eingelegten Rechtsbehelfs aufschiebende Wirkung besteht.

In anderen Fällen können die Mitgliedstaaten die Abschiebung unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls um einen angemessenen Zeitraum aufschieben. Der Katalog möglicher Gründe ist erweiterbar und erlaubt den Mitgliedstaaten, flexibel auf alle neu entstehenden oder neu festgestellten Umstände zu reagieren, die einen Aufschub der Abschiebung rechtfertigen. Die in der Rückführungsrichtlinie aufgeführten konkreten Beispiele (körperliche oder psychische Verfassung des Betreffenden, technische Gründe wie fehlende Beförderungskapazitäten) sollen lediglich als Anhaltspunkte dienen. Die Mitgliedstaaten können in ihren nationalen Durchführungsbestimmungen und/oder in der einzelstaatlichen Verwaltungspraxis weitere Fälle vorsehen.

Weitere Klarstellung:

Unterschied zwischen Frist für die freiwillige Ausreise und Aufschub der Abschiebung: In Artikel 7 der Rückführungsrichtlinie (freiwillige Ausreise) ist eine Zusatzfrist festgelegt, die eine geordnete und gut vorbereitete Ausreise ermöglichen soll; dies betrifft jedoch nur diejenigen zur Rückkehr verpflichteten Personen, bei denen davon ausgegangen wird, dass sie einer Rückkehrentscheidung freiwillig nachkommen. Artikel 9 dieser Richtlinie (Aufschub der Abschiebung) bezieht sich auf Fälle, in denen die Rückkehrverpflichtung vom Staat durchgesetzt werden muss, weil eine freiwillige Ausreise nicht möglich ist oder nicht gestattet wurde.

Rechtlicher Status bis zur aufgeschobenen Abschiebung: Bis zur aufgeschobenen Abschiebung gelten für den Rückzuführenden die in Artikel 14 der Rückführungsrichtlinie aufgeführten Garantien (schriftliche Bestätigung der aufgeschobenen Rückkehrverpflichtung sowie einige grundlegende Garantien wie Gewährung medizinischer Notfallversorgung und unbedingt erforderlicher Behandlung von Krankheiten und Aufrechterhaltung der Familieneinheit — siehe Abschnitt 13 dieses Handbuchs). Der Rückzuführende gilt jedoch nicht als legal in einem Mitgliedstaat aufhältig, es sei denn, ein Mitgliedstaat beschließt in Anwendung von Artikel 6 Absatz 4 der Rückführungsrichtlinie, dem Drittstaatsangehörigen einen Aufenthaltstitel oder eine Aufenthaltsberechtigung zu erteilen.

Verpflichtung, sich bis zur aufgeschobenen Abschiebung an einem bestimmten Ort aufzuhalten: Artikel 9 Absatz 3 enthält einen ausdrücklichen Verweis auf die in Artikel 7 Absatz 3 aufgeführten Möglichkeiten zur Vermeidung einer Fluchtgefahr (siehe Abschnitt 6.2), einschließlich der Verpflichtung, sich an einem bestimmten Ort aufzuhalten.

10.   RÜCKKEHR UNBEGLEITETER MINDERJÄHRIGER

Die Rückführungsrichtlinie gilt auch für Minderjährige einschließlich unbegleiteter Minderjähriger und enthält eine Reihe spezifischer Garantien, die von den Mitgliedstaaten einzuhalten sind. Diese Garantien gelten somit für Personen unter 18 Jahren (also für Minderjährige), die ohne Begleitung eines für sie verantwortlichen Erwachsenen in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einreisen, solange sie sich nicht tatsächlich in der Obhut eines solchen Erwachsenen befinden (dies schließt Minderjährige ein, die nach der Einreise in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats dort ohne Begleitung zurückgelassen wurden). In einigen Mitgliedstaaten ist es Heranwachsenden unter 18 Jahren gestattet, sich in Rückkehr- (und Asyl-)Verfahren selbst zu vertreten; die Garantien der Rückführungsrichtlinie sind jedoch für die Mitgliedstaaten in Bezug auf alle Minderjährigen bis zum Alter von 18 Jahren verbindlich.

Dauerhafte Lösungen sind entscheidend für die langfristige Schaffung von Normalität und Stabilität für alle Minderjährigen. Die Rückkehr bzw. Rückführung stellt nur eine der Optionen dar, die zu prüfen sind, wenn eine dauerhafte Lösung für unbegleitete Minderjährige ermittelt werden soll, und jede Maßnahme des Mitgliedstaats muss vor allem das Wohl des Kindes berücksichtigen. Bevor die Rückführung eines unbegleiteten Minderjährigen beschlossen wird, muss der betreffende Minderjährige gemäß Artikel 12 Absatz 2 des Übereinkommens über die Rechte des Kindes (50) entweder unmittelbar oder durch einen Vertreter oder eine geeignete Stelle gehört werden, und das Kindeswohl ist stets einer Einzelfallprüfung zu unterziehen, bei der auch die besonderen Bedürfnisse des Minderjährigen, die Situation der Familie zu dem betreffenden Zeitpunkt sowie die Lage und die Aufnahmebedingungen im Rückkehrland zu berücksichtigen sind. Dabei sollte systematisch beurteilt werden, ob die Rückkehr in das Herkunftsland und die Zusammenführung mit der Familie im Wohl des Minderjährigen liegen.

Die Beurteilung sollte von den zuständigen Behörden nach einem multidisziplinären Ansatz durchgeführt werden, wobei der offizielle Vormund des Minderjährigen und/oder die zuständige Kindesschutzbehörde beteiligt werden. Außerdem sollten die Mitgliedstaaten eine regelmäßige Neubewertung des Kindeswohls angesichts der Entwicklungen des jeweiligen Falles vornehmen.

Die Mitgliedstaaten werden aufgefordert, die Auslegungshilfen und operativen Hinweise der gemeinsamen Leitlinien von UNHCR und Unicef zur Bestimmung des Kindeswohls (51), die Allgemeine Bemerkung Nr. 14 des UN-Kinderrechtsausschusses zum Recht des Kindes auf vorrangige Berücksichtigung seines Wohls (52), die Leitlinien des UNHCR zur Bestimmung des Kindeswohls (53) und das praktische Handbuch für die Umsetzung der Leitlinien des UNHCR zur Bestimmung des Kindeswohls (54) zu berücksichtigen.

Das Recht des Minderjährigen, in ihn berührenden Rückkehrverfahren gehört zu werden, ist fester Bestandteil einer Beurteilung des Kindeswohls (siehe Artikel 12 des Übereinkommens über die Rechte des Kindes) und muss als Grundrecht beachtet werden, das als allgemeiner Grundsatz des EU-Rechts anerkannt und in der GRC verankert ist. Es beinhaltet, dass den Meinungen des Minderjährigen gebührende Bedeutung beigemessen wird, seinem Alter und Reifegrad sowie etwaigen Kommunikationsschwierigkeiten Rechnung getragen wird, um eine sinnvolle Beteiligung des Minderjährigen zu ermöglichen, und dass sein Recht, sich frei zu äußern, gewahrt wird (weitere Hinweise hierzu finden sich in Abschnitt 12.1).

Definition des Begriffs „unbegleiteter Minderjähriger“: In der Rückführungsrichtlinie wird der Begriff nicht definiert. Da unbegleitete Minderjährige oftmals Asylbewerber sind oder gewesen sind, wird empfohlen, die in den jüngsten Asylrichtlinien verwendeten Begriffsbestimmungen heranzuziehen, insbesondere Artikel 2 Buchstabe e der neu gefassten Aufnahmerichtlinie: Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck „unbegleiteter Minderjähriger“ einen Minderjährigen, der ohne Begleitung eines für ihn nach dem einzelstaatlichen Recht oder den Gepflogenheiten des betreffenden Mitgliedstaats verantwortlichen Erwachsenen in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einreist, solange er sich nicht tatsächlich in der Obhut eines solchen Erwachsenen befindet; dies schließt Minderjährige ein, die nach der Einreise in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats dort ohne Begleitung zurückgelassen wurden“.

Verzicht auf den Erlass einer Rückkehrentscheidung bei unbegleiteten Minderjährigen: Nach Artikel 6 Absatz 4 der Rückführungsrichtlinie ist es den Mitgliedstaaten ausdrücklich gestattet, im Einklang mit dem nationalen Recht illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen jederzeit einen Aufenthaltstitel oder eine sonstige Aufenthaltsberechtigung zu erteilen. Diese allgemeine Bestimmung gilt auch für Minderjährige. Somit steht es Mitgliedstaaten, die in ihrem Hoheitsgebiet illegal aufhältige Minderjährige aus Drittländern nicht rückführen/abschieben oder aufgrund einer Beurteilung des Kindeswohls nicht abschieben können, frei, einen Aufenthaltstitel oder eine Aufenthaltsberechtigung zu erteilen (zum Beispiel einen befristeten Aufenthaltstitel, der bis zum Alter von 18 Jahren gilt).

Artikel 6 Absatz 1 der Rückführungsrichtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten zu einer klaren Entscheidung, also entweder Erteilung eines Aufenthaltstitels bzw. einer Aufenthaltsberechtigung oder aber Durchführung des Rückkehrverfahrens (siehe Abschnitt 5). Daher sollten die Mitgliedstaaten klare Regeln für die Rechtsstellung unbegleiteter Minderjähriger festlegen, wonach entweder eine Rückkehrentscheidung erlassen und die Rückführung vorgenommen oder im Einklang mit dem nationalen Recht eine Aufenthaltsberechtigung erteilt werden kann. Die Mitgliedstaaten sollten bestrebt sein, dafür zu sorgen, dass Verfahren zur Bestimmung der Rechtsstellung für jene unbegleiteten Minderjährigen verfügbar sind, die nicht rückgeführt werden. Das ist ein sehr geradliniger Ansatz, mit dem versucht wird, „Grauzonen“ zu vermeiden und die Rechtssicherheit für alle Beteiligten zu verbessern. Folglich sollte im Hinblick auf die Vereinbarkeit mit der Rückführungsrichtlinie die Rechtslage in Bezug auf unbegleitete Minderjährige in Mitgliedstaaten, die nach einer Beurteilung des Kindeswohls Minderjährige aus Drittländern nicht rückführen oder abschieben, so sein, dass entweder in Anwendung von Artikel 6 Absatz 4 der Richtlinie ein (befristeter) Aufenthaltstitel oder eine Aufenthaltsberechtigung (beispielsweise bis zum Alter von 18 Jahren) erteilt oder im Einklang mit den Artikeln 6 und 9 der Rückführungsrichtlinie eine Rückkehrentscheidung erlassen und die Abschiebung aufgeschoben wird.

10.1.   Unterstützung durch geeignete Stellen

Rechtsgrundlage: Rückführungsrichtlinie — Artikel 10 Absatz 1

Vor Ausstellung einer Rückkehrentscheidung für unbegleitete Minderjährige wird Unterstützung durch geeignete Stellen, bei denen es sich nicht um die für die Vollstreckung von Rückkehrentscheidungen zuständigen Behörden handelt, unter gebührender Berücksichtigung des Wohles des Kindes gewährt.

Zur Erinnerung/Erläuterung: Artikel 10 Absatz 1 war im Vorschlag der Kommission nicht enthalten. Er wurde während der Verhandlungen in den Wortlaut aufgenommen und war unmittelbar angelehnt an die Leitlinie 2 Absatz 5 der 20 Leitlinien des Europarates zur Frage der erzwungenen Rückkehr (55), wonach vor Ausstellung einer Abschiebungsanordnung für ein unbegleitetes Kind Unterstützung — insbesondere Rechtshilfe — unter gebührender Berücksichtigung des Wohles des Kindes gewährt werden sollte.

Art der „geeigneten Stellen“: Die „geeignete Stelle“ sollte getrennt von der für die Vollstreckung zuständigen Behörde sein; sie könnte eine staatliche Stelle (möglicherweise eine gesonderte Dienststelle innerhalb desselben Ministeriums), eine nichtstaatliche Stelle oder eine Kombination aus beiden sein, sodass eine fachgebietsübergreifende Zusammenarbeit zwischen vom Staat unterstützten und nichtstaatlichen Vormundsystemen und/oder Kinderschutzstellen gewährleistet ist. Die für die Betreuung und den Schutz von Kindern zuständigen Stellen müssen die Standards in den Bereichen Sicherheit, Gesundheit, Eignung des Personals und kompetente Beaufsichtigung einhalten. Die verschiedenen Aufgaben und Zuständigkeiten der Akteure müssen insbesondere für die unbegleiteten Minderjährigen klar und transparent sein, damit diese sich aktiv und wirksam in alle sie betreffenden Angelegenheiten einbringen können.

Art der „Unterstützung“: Die Unterstützung sollte rechtlichen Beistand umfassen, jedoch nicht darauf beschränkt sein. Weiteren ausdrücklich in der Rückführungsrichtlinie genannten Aspekten — wie notwendige ärztliche Hilfe und Gesundheitsfürsorge, Kontakt zur Familie und Zugang zur Grundbildung — zur Förderung der Rechte des Kindes nach Maßgabe des UN-Übereinkommens über die Rechte des Kindes ist ebenfalls Rechnung zu tragen. Besonderes Augenmerk sollte darauf gelegt werden, mit den Minderjährigen im Voraus und bei allen Prozessen und Verfahren sämtliche Entscheidungen zu besprechen, die sie betreffen. Minderjährige sollten über ihre Rechte, über Verfahren und über Dienste zu ihrem Schutz informiert werden, und zwar auf kindgerechte und ihrem Alter und der Situation angemessene Art und Weise.

Zeitpunkt der „Unterstützung“: Die Unterstützung durch geeignete Stellen sollte möglichst frühzeitig und vor Erlass einer Rückkehrentscheidung beginnen. Dazu ist es erforderlich, das Alter umgehend zu bestimmen — im Zweifel zugunsten des Betreffenden. Die Unterstützung sollte kontinuierlich und beständig und auch während der Rückkehrphase erfolgen. Sie kann sich auch auf die Phase nach der Rückkehr erstrecken, um eine angemessene Nachsorge sicherzustellen. Erforderlichenfalls sollte im Einklang mit Artikel 10 Absatz 2 der Rückführungsrichtlinie die Vormundschaft von dem Mitgliedstaat auf das Rückkehrland übertragen werden.

Altersbestimmung: Die Rückführungsrichtlinie enthält keine Vorschriften zur Altersbestimmung. Ausgehend von einer systematischen Auslegung des Besitzstands der Union im Bereich Einwanderung und Asyl empfiehlt die Kommission, auf die Bestimmungen von Artikel 25 Absatz 5 der Asylverfahrensrichtlinie Bezug zu nehmen sowie die entsprechenden Dokumente zu berücksichtigen, die beispielsweise vom Europäischen Unterstützungsbüro für Asylfragen ausgearbeitet wurden (56).

Kontinuität bei der Unterstützung in Asyl- und Rückkehrverfahren: Obwohl die Vormundschaft über Asylbewerber und die unbegleiteten Minderjährigen/Kindern im Rückkehrverfahren zu gewährende „Unterstützung“ nicht auf derselben Rechtsgrundlage beruhen, bestehen zwischen den Anforderungen in Asylrechtsvorschriften und in der Rückführungsrichtlinie enge Verbindungen, sodass in Asyl- und Rückkehrverfahren Kontinuität angestrebt werden sollte.

Die bloße Bestellung eines Vormunds reicht für die Erfüllung der Verpflichtung, Minderjährige zu unterstützen, nicht aus, da die „Unterstützung durch geeignete Stellen“ mehr umfasst als die reine Vormundschaft.

10.2.   Übergabe an ein Familienmitglied, einen offiziellen Vormund oder eine geeignete Aufnahmeeinrichtung

Rechtsgrundlage: Rückführungsrichtlinie — Artikel 10 Absatz 2

Vor Abschiebung von unbegleiteten Minderjährigen aus dem Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats vergewissern sich die Behörden dieses Mitgliedstaats, dass die Minderjährigen

einem Mitglied ihrer Familie,

einem offiziellen Vormund oder

einer geeigneten Aufnahmeeinrichtung im Rückkehrstaat übergeben werden.

Es wird empfohlen, dass von den in Artikel 10 Absatz 2 der Rückführungsrichtlinie aufgeführten Optionen die Übergabe an Familienmitglieder den Vorzug erhält, außer wenn dies offensichtlich nicht dem Wohl des Kindes dient. Daher sollten sich die Mitgliedstaaten darum bemühen, die Identität und Staatsangehörigkeit von unbegleiteten Minderjährigen festzustellen und Familienmitglieder ausfindig zu machen. Die Übergabe an einen Vormund oder eine geeignete Aufnahmeeinrichtung kann unter bestimmten Voraussetzungen eine annehmbare Alternative darstellen.

Die Kommission empfiehlt den Mitgliedstaaten, geeignete Maßnahmen zur Wiedereingliederung unbegleiteter Minderjähriger, die in ihr Herkunftsland zurückkehren, einzuführen und dafür zu sorgen, dass diese Maßnahmen sowohl vor der Abreise als auch nach der Ankunft im Bestimmungsdrittland unverzüglich in Anspruch genommen werden können.

Weitere Klarstellung:

Suche nach Familienmitgliedern: Die Mitgliedstaaten sollten Verfahren einleiten, um die Eltern oder sonstige Familienmitglieder unbegleiteter Minderjähriger — unter Einbeziehung des offiziellen Vormunds und/oder einer für Kinderschutz zuständigen Person — so bald wie möglich ausfindig zu machen. Zur Erleichterung der Suche nach Familienmitgliedern sowie zur Bestimmung eines Vormunds oder einer geeigneten Einrichtung im Hinblick auf die Rückkehr sollten die zuständigen nationalen Behörden Maßnahmen ergreifen, um mit Konsularstellen, Verbindungsbeamten, Kinderschutzstellen, internationalen Organisationen und NRO im Rückkehrland unter voller Nutzung der bestehenden grenzüberschreitenden Kommunikationskanäle zusammenzuarbeiten.

Freiwillige Ausreise von Minderjährigen: Grundsätzlich gilt Artikel 10 Absatz 2 nur für Fälle, in denen der Minderjährige abgeschoben wird, und nicht bei einer freiwilligen Ausreise des Minderjährigen aus dem Mitgliedstaat. Unter Berücksichtigung der Verpflichtung der Mitgliedstaaten, die sich aus der Pflicht zur gebührenden Berücksichtigung des Kindeswohls ergibt, wird empfohlen, bei einer freiwilligen Rückkehr auch die Situation in der Familie sowie die Lage und Aufnahmebedingungen im Rückkehrland mit zu bewerten.

Die Eignung der Aufnahmeeinrichtungen im Rückkehrland muss fallweise bewertet werden, wobei den jeweiligen Umständen und dem Alter des rückzuführenden Minderjährigen Rechnung zu tragen ist. Der bloße Empfang durch die Grenzpolizei im Rückkehrland ohne notwendige Folgemaßnahmen oder flankierende Maßnahmen kann nicht als „geeignete Aufnahme“ betrachtet werden. Die Mitgliedstaaten sollten besonders darauf achten, dass im Rückkehrland eine angemessene Unterkunft zur Verfügung steht und der Zugang zur Gesundheitsfürsorge und zur Bildung gewährleistet ist. Die Mitgliedstaaten haben Artikel 20 des UN-Übereinkommens über die Rechte des Kindes zu beachten und sollten sich an die UN-Leitlinien für alternative Formen der Betreuung von Kindern (57) halten.

11.   EINREISEVERBOTE

Rechtsgrundlage: Rückführungsrichtlinie, Artikel 3 Absatz 6 und Artikel 11

Ein „Einreiseverbot“ ist eine mit einer Rückkehrentscheidung einhergehende behördliche oder richterliche Entscheidung oder Maßnahme, mit der die Einreise in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten und der dortige Aufenthalt für einen bestimmten Zeitraum untersagt wird.

Rückkehrentscheidungen gehen mit einem Einreiseverbot einher,

a)

falls keine Frist für eine freiwillige Ausreise eingeräumt wurde oder

b)

falls der Rückkehrverpflichtung nicht nachgekommen wurde.

In anderen Fällen kann eine Rückkehrentscheidung mit einem Einreiseverbot einhergehen.

Die Dauer des Einreiseverbots wird in Anbetracht der jeweiligen Umstände des Einzelfalls festgesetzt und überschreitet grundsätzlich nicht fünf Jahre. Sie kann jedoch fünf Jahre überschreiten, wenn der Drittstaatsangehörige eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit darstellt.

Die in der Rückführungsrichtlinie vorgesehenen rückführungsbezogenen Einreiseverbote sollen vorbeugende Wirkung haben und die Glaubwürdigkeit der Rückkehrpolitik der Union erhöhen, indem sie die klare Botschaft vermitteln, dass Personen, die die für die EU-Mitgliedstaaten geltenden Migrationsbestimmungen verletzen, während eines bestimmten Zeitraums nicht erneut in einen EU-Mitgliedstaat einreisen dürfen.

Die Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten in zwei konkreten Fällen zur Verhängung eines Einreiseverbots: (i) Es wurde keine Frist für eine freiwillige Ausreise eingeräumt, und (ii) der Rückkehrverpflichtung wurde nicht nachgekommen.

In allen anderen Fällen können Rückkehrentscheidungen mit einem Einreiseverbot einhergehen, müssen dies jedoch nicht.

Die Dauer des Einreiseverbots muss in Anbetracht der jeweiligen Umstände des Einzelfalls festgesetzt werden. Grundsätzlich sollte sie fünf Jahre nicht überschreiten. Nur bei einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit kann ein Einreiseverbot für einen längeren Zeitraum verhängt werden.

Von den Vorschriften der Rückführungsrichtlinie über rückführungsbezogene Einreiseverbote unberührt bleiben Einreiseverbote, die zu nichtmigrationsbedingten Zwecken erlassen werden, wie Einreiseverbote für Drittstaatsangehörige, die schwere Straftaten begangen haben oder bei denen konkrete Hinweise bestehen, dass sie eine solche Straftat planen (siehe Artikel 24 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 1987/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates (SIS II-Verordnung)) (58), oder Einreiseverbote, die eine restriktive Maßnahme darstellen und in Übereinstimmung mit Titel V Kapitel 2 AEUV verfügt wurden, einschließlich vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen verhängte Maßnahmen zur Umsetzung von Reiseverboten.

11.1.   EU-weite Wirkung

Ein Einreiseverbot untersagt die Einreise in das Hoheitsgebiet aller Mitgliedstaaten: Der Wortlaut von Erwägungsgrund 14 der Rückführungsrichtlinie und ein systematischer Vergleich aller Sprachfassungen der Richtlinie (insbesondere der englischen und der französischen Fassung) machen deutlich, dass ein Einreiseverbot die Einreise in das Hoheitsgebiet aller Mitgliedstaaten und den dortigen Aufenthalt untersagt. Die dänische Fassung, in der der Singular verwendet wird („ophold på en medlemsstats“) enthält einen offensichtlichen Übersetzungsfehler. Die EU-weite Wirkung eines Einreiseverbots ist ein wesentlicher europäischer Mehrwert der Richtlinie. Die EU-weite Wirkung eines Einreiseverbots ist in der Entscheidung über die Verhängung eines Einreiseverbots gegen einen Drittstaatsangehörigen unmissverständlich zum Ausdruck zu bringen.

Einreiseverbote sind für alle Mitgliedstaaten, die an die Rückführungsrichtlinie gebunden sind, verbindlich, also für alle EU-Mitgliedstaaten (mit Ausnahme des Vereinigten Königreichs und Irlands) sowie für die assoziierten Schengen-Länder (Schweiz, Norwegen, Island und Liechtenstein).

Unterrichtung der anderen Mitgliedstaaten über verhängte Einreiseverbote: Von entscheidender Bedeutung ist, dass die anderen Mitgliedstaaten von allen Einreiseverboten, die erlassen wurden, in Kenntnis gesetzt werden. Die Eingabe einer Ausschreibung in Anwendung von Artikel 24 Absatz 3 der SIS-II-Verordnung ist das wichtigste — wenn auch nicht das einzige — Instrument, um die anderen Mitgliedstaaten über das Vorliegen eines Einreiseverbots zu unterrichten und sicherzustellen, dass dieses erfolgreich durchgesetzt wird. Die Mitgliedstaaten sollten deshalb dafür sorgen, dass Ausschreibungen zu Einreiseverboten systematisch in das SIS eingegeben werden. Bei den Mitgliedstaaten, die keinen Zugang zum SIS haben, kann der Informationsaustausch über andere Kanäle (etwa über bilaterale Kontakte) erfolgen.

Rein nationale Einreiseverbote: Es ist mit der Rückführungsrichtlinie unvereinbar, rein nationale migrationsbedingte Einreiseverbote zu verhängen. In den nationalen Rechtsvorschriften ist festzulegen, dass im Zusammenhang mit Rückkehrentscheidungen verhängte Einreiseverbote die Einreise in alle Mitgliedstaaten und den dortigen Aufenthalt untersagen, beispielsweise durch die Verpflichtung zur systematischen Eingabe sämtlicher Verbote dieser Art in das SIS. Ist jedoch ein Drittstaatsangehöriger, gegen den von Mitgliedstaat A ein Einreiseverbot verhängt wurde, im Besitz eines von Mitgliedstaat B ausgestellten Aufenthaltstitels und hat Mitgliedstaat B nicht die Absicht, diesen Titel zu widerrufen, so hebt Mitgliedstaat A im Anschluss an eine Konsultation nach Artikel 25 SDÜ, auf die in Artikel 11 Absatz 4 der Rückführungsrichtlinie Bezug genommen wird, das EU-weite Einreiseverbot auf, es bleibt ihm jedoch unbenommen, den betreffenden Drittstaatsangehörigen nach Artikel 25 Absatz 2 letzter Satz SDÜ in die nationale Ausschreibungsliste aufzunehmen („Lex specialis“) (siehe auch Abschnitt 11.8).

11.2.   Nutzung des SIS II

Erfassung von Einreiseverboten im SIS: Nach den derzeit anwendbaren Rechtsvorschriften können die Mitgliedstaaten Ausschreibungen zu Einreiseverboten, die im Einklang mit der Rückführungsrichtlinie verhängt wurden, im SIS erfassen, sind jedoch nicht dazu verpflichtet. Um allerdings die europäische Dimension der gemäß der Rückführungsrichtlinie erlassenen Einreiseverbote voll zur Geltung zu bringen, sollten die Mitgliedstaaten dies systematisch tun.

Zusammenhang zwischen der alle drei Jahre erfolgenden Überprüfung der im SIS erfassten Ausschreibungen (nach Artikel 112 SDÜ und Artikel 29 SIS-II-Verordnung) und der gemäß der Rückführungsrichtlinie festgesetzten Dauer des Einreiseverbots: Bei der Überprüfung der im SIS erfassten Ausschreibungen handelt es sich um eine Verfahrensvorschrift, mit der sichergestellt werden soll, dass Ausschreibungen nicht länger als für den verfolgten Zweck erforderlich gespeichert werden. Die maßgebliche Entscheidung der Mitgliedstaaten, die Dauer eines Einreiseverbots entsprechend den Bestimmungen der Rückführungsrichtlinie festzusetzen, bleibt davon unberührt. Sollte zum Zeitpunkt der dreijährlichen Überprüfung ein Einreiseverbot, das gemäß der Rückführungsrichtlinie verhängt wurde, noch in Kraft sein (zum Beispiel weil das Verbot für fünf Jahre ausgesprochen und in der Zwischenzeit nicht aufgehoben wurde), so können die Mitgliedstaaten die Ausschreibung im SIS für die verbleibenden zwei Jahre aufrechterhalten, wenn diese in Anbetracht der anzuwendenden Bewertungskriterien — insbesondere Artikel 11 der Rückführungsrichtlinie in Verbindung mit Artikel 112 Absatz 4 SDÜ oder Artikel 29 Absatz 4 SIS-II-Verordnung — weiterhin erforderlich ist.

11.3.   Verfahrensbezogene Aspekte

Verhängung von Einreiseverboten bei der Ausreise an der Grenze im Abwesenheitsverfahren (zum Beispiel bei Personen, die sich nicht an die Gültigkeitsdauer ihres Visums halten und sich im Flughafen erst kurz vor dem Abflug zur Grenzkontrolle begeben): Nichts hindert die Mitgliedstaaten daran, ein Rückkehrverfahren einzuleiten, wenn sie von der Überschreitung der laut Visum zulässigen Aufenthaltsdauer Kenntnis erlangen, und eine Rückkehrentscheidung (siehe Abschnitt 5.1), verbunden mit einem Einreiseverbot, in einem Abwesenheitsverfahren zu erlassen, sofern

1.

das nationale Verwaltungsrecht die Möglichkeit von Abwesenheitsverfahren vorsieht und

2.

die betreffenden nationalen Verfahren mit den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts und mit den in der GRC verankerten Grundrechten im Einklang stehen, insbesondere mit dem Recht auf Anhörung und dem Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht.

Verhängung eines Einreiseverbots gegen Rückkehrer, die zum Zeitpunkt der Ausreise ihrer Verpflichtung zur Rückkehr innerhalb der Frist für die freiwillige Ausreise nicht nachgekommen sind: Ein Einreiseverbot wird zu einem späteren Zeitpunkt (etwa bei der Ausreise) als zusätzliches und nachträgliches Element einer bereits erlassenen Rückkehrentscheidung verhängt, wenn die zur Rückkehr verpflichtete Person ihrer Rückkehrverpflichtung nicht innerhalb der Frist für die freiwillige Ausreise nachgekommen ist.

Anwesenheit im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats: Der illegale Aufenthalt gilt als entscheidende Voraussetzung für den Erlass einer Rückkehrentscheidung und eines damit einhergehenden Einreiseverbots. Ein Mitgliedstaat kann keine Rückkehrentscheidung und kein damit einhergehendes Einreiseverbot gegen Personen erlassen, die sich nicht in seinem Hoheitsgebiet aufhalten. Ist eine Person untergetaucht (zum Beispiel nach Erhalt eines ablehnenden Bescheids zu einem Asylantrag) und kann dennoch davon ausgegangen werden, dass sie sich weiterhin im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats aufhält, so kann in einem Abwesenheitsverfahren nach nationalem Recht eine Rückkehrentscheidung (einschließlich eines Einreiseverbots) erlassen werden.

Illegaler Aufenthalt in der Vergangenheit: Die Mitgliedstaaten können keine Rückkehrentscheidung und kein damit einhergehendes Einreiseverbot gemäß der Rückführungsrichtlinie gegen nicht in ihrem Hoheitsgebiet aufhältige Personen erlassen; dies gilt auch für Drittstaatsangehörige, die sich zuvor (in der Vergangenheit) illegal in diesem Gebiet aufhielten und in einen Drittstaat zurückkehrten, bevor ihr illegaler Aufenthalt entdeckt wurde. Reisen solche Personen erneut in einen Mitgliedstaat ein und werden Maßnahmen gemäß der Rückführungsrichtlinie (Rückkehrentscheidung, Einreiseverbot) getroffen, so können der (die) frühere(n) illegale(n) Aufenthalt(e) in anderen Mitgliedstaaten bei der Festsetzung der Dauer des Einreiseverbots als erschwerende Umstände berücksichtigt werden.

11.4.   Gründe für die Verhängung von Einreiseverboten

Die Rückführungsrichtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten in zwei konkreten Fällen zur Verhängung eines Einreiseverbots:

1)

wenn keine Frist für eine freiwillige Ausreise eingeräumt wurde oder

2)

wenn der Rückkehrverpflichtung nicht nachgekommen wurde.

In allen anderen Fällen (alle gemäß der Rückführungsrichtlinie erlassenen Rückkehrentscheidungen, die nicht unter die beiden genannten Fälle fallen) können Rückkehrentscheidungen mit einem Einreiseverbot einhergehen, müssen dies jedoch nicht. Das bedeutet, dass ein Einreiseverbot auch dann verhängt werden kann, wenn der Betreffende freiwillig ausgereist ist. Die Mitgliedstaaten verfügen jedoch in dieser Hinsicht über einen Ermessensspielraum und sollten von diesem in einer Weise Gebrauch machen, die zur freiwilligen Ausreise motiviert.

11.5.   Dauer der Einreiseverbote

Die Dauer des Einreiseverbots ist im Einklang mit den nationalen Rechtsvorschriften zur Umsetzung der Rückführungsrichtlinie in Anbetracht der jeweiligen Umstände des Einzelfalls festzusetzen. Wenn über die Dauer des Einreiseverbots entschieden wird, sollten erschwerende oder mildernde Umstände, von denen die erlassende Behörde Kenntnis hat, besonders berücksichtigt werden. So gilt es zu klären, ob

gegen den Drittstaatsangehörigen in der Vergangenheit bereits eine Rückkehrentscheidung oder eine Abschiebungsanordnung ergangen ist,

der Drittstaatsangehörige in der Vergangenheit bereits Unterstützung bei der freiwilligen Ausreise und/oder der Wiedereingliederung erhalten hat,

der Drittstaatsangehörige während der Geltungsdauer eines Einreiseverbots ohne Berechtigung in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats eingereist ist,

der Drittstaatsangehörige sich im Rückkehrverfahren kooperativ verhielt oder aber keine Kooperationsbereitschaft erkennen ließ,

der Drittstaatsangehörige bereit war, freiwillig auszureisen.

Im Regelfall darf die Dauer des Einreiseverbots fünf Jahre nicht übersteigen. Bei der Festsetzung der konkreten Dauer eines Einreiseverbots sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, eine Einzelfallprüfung der jeweiligen Umstände vorzunehmen und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Als allgemeine Orientierungshilfe sei festgestellt, dass ein Mitgliedstaat für typische Fallkategorien voneinander abweichende zeitliche Rahmen vorsehen kann — etwa drei Jahre als allgemeine Standardregel, fünf Jahre bei Vorliegen erschwerender Umstände (zum Beispiel wiederholte Verstöße gegen das Migrationsrecht) und ein Jahr bei Vorliegen mildernder Umstände (beispielsweise lediglich aus Unwissenheit begangene Verstöße), wobei jedoch gesichert sein muss, dass jeder Fall einzeln und gemäß dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geprüft wird. Die Mitgliedstaaten können in ihren nationalen Rechts- oder Verwaltungsvorschriften die allgemeinen Kriterien festlegen, die bei der Festsetzung der Dauer des Einreiseverbots nach Artikel 11 Absatz 2 der Rückführungsrichtlinie im Einzelfall zugrunde gelegt werden.

Schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit: Bei einer schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit können Einreiseverbote auch für mehr als fünf Jahre verhängt werden. Als Faktoren, die von den Mitgliedstaaten bei der Bestimmung einer solchen Bedrohung in Betracht gezogen werden können, kommen Straftaten und auch schwerwiegende Ordnungswidrigkeiten (zum Beispiel wiederholte Benutzung falscher Ausweispapiere, wiederholte und vorsätzliche Verstöße gegen das Migrationsrecht) in Frage. Für keinen dieser Faktoren gilt jedoch, dass er automatisch und per se eine Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellt: Die Mitgliedstaaten sind stets verpflichtet, eine Einzelfallprüfung der jeweiligen Umstände vorzunehmen und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten.

Die Rückführungsrichtlinie liefert keine Definition der exakten Bedeutung dieses Terminus, und die Rechtsprechung des EuGH zur Verwendung dieses Terminus in anderen Migrationsrichtlinien und im Zusammenhang mit der Freizügigkeit lässt sich nicht unmittelbar auf den Kontext der Rückführungsrichtlinie anwenden, da die in Frage stehenden Aspekte und die Zusammenhänge andere sind. Dennoch können einige in der Rechtsprechung des EuGH enthaltene Überlegungen (insbesondere zu horizontalen Konzepten wie Verhältnismäßigkeit und Wirksamkeit der Richtlinien) eine gewisse Orientierungshilfe bieten: In Abschnitt 3 der Mitteilung Hilfestellung bei der Umsetzung und Anwendung der Richtlinie 2004/38/EG über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten  (59) lieferte die Kommission detaillierte Anhaltspunkte für die Auslegung des Begriffs der öffentlichen Ordnung und der öffentlichen Sicherheit im Zusammenhang mit der Freizügigkeit. Vergleichende Informationen dazu, wie die Mitgliedstaaten diesen Begriff im Migrationszusammenhang ausgelegt haben, können zudem den Ergebnissen der EMN-Ad-hoc-Anfrage (140) zum Verständnis der Begriffe „öffentliche Ordnung“ und „öffentliche Sicherheit“ entnommen werden. In Rn. 48 seines Urteils in der Rechtssache C-554/13, Zh. und O., in der es um den Begriff der „öffentlichen Ordnung“ im Kontext der Rückführungsrichtlinie ging (siehe Abschnitt 6.3), bekräftigte der EuGH ausdrücklich, dass Analogien zu seiner Rechtsprechung zur Richtlinie 2004/38/EG (Urteil des EuGH in der Rechtssache C-430/10, Gaydarov  (60), Rn. 32) hergestellt werden können.

Die Dauer von aus Gründen der öffentlichen Ordnung verhängten Einreiseverboten: Die Dauer von Einreiseverboten, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung verhängt werden, ist im Einzelfall festzusetzen, wobei die Schwere der von den betreffenden Drittstaatsangehörigen begangenen Verstöße, die damit verbundenen Gefahren für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit und die konkrete Situation der betroffenen Personen zu berücksichtigen sind. Dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist in jedem Fall Rechnung zu tragen. Eine systematische Verhängung lebenslanger Einreiseverbote in allen Fällen, die die öffentliche Ordnung betreffen (ohne Unterscheidung nach Schwere der Verstöße und der Gefahren), ohne dabei die Umstände im Einzelfall zu berücksichtigen, verstößt gegen die Richtlinie. Die Mitgliedstaaten könnten unterschiedliche Zeitspannen für typische Fallkategorien vorsehen – beispielsweise zehn Jahre als allgemeine Standardregel für Fälle im Zusammenhang mit der öffentlichen Ordnung und20 Jahre bei Vorliegen besonders erschwerender Umstände. Die Mitgliedstaaten sollten die Möglichkeit einräumen, dass die Entscheidung über das Einreiseverbot und insbesondere das Fortbestehen der ihr zugrunde liegenden Voraussetzungen von Amts wegen oder auf Antrag des Betreffenden überprüft werden.

Weitere Klarstellung:

 

Keine unbegrenzten Einreiseverbote: Die Dauer des Einreiseverbots ist ein entscheidender Aspekt der Entscheidung über dieses Verbot. Sie ist von Amts wegen in jedem Einzelfall vorab festzulegen. Dies wurde vom EuGH in der Rechtssache C-297/12, Filev und Osmani, (Rn. 27 und 34) ausdrücklich betont: „Es ist festzustellen, dass aus den Worten,[d]ie Dauer des Einreiseverbots wird … festgesetzt' klar hervorgeht, dass eine Verpflichtung für die Mitgliedstaaten besteht, alle Einreiseverbote — grundsätzlich auf höchstens fünf Jahre — zu befristen, unabhängig von einem hierauf gerichteten Antrag des betroffenen Drittstaatsangehörigen. … Artikel 11 Absatz 2 der Richtlinie 2008/115/EG ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Vorschrift … entgegensteht, die die Befristung eines Einreiseverbots davon abhängig macht, dass der betreffende Drittstaatsangehörige einen Antrag auf derartige Befristung stellt.“

 

Der Zeitpunkt, zu dem die Uhr zu ticken beginnt: In der Rückführungsrichtlinie ist der Zeitpunkt, ab dem die Dauer des Einreiseverbots zu berechnen ist, nicht ausdrücklich festgelegt. Allerdings hat der EuGH in der Rechtssache C-225/16, Ouhrami  (61) diesen Aspekt klargestellt.

 

Der EuGH stellte klar, dass die Bestimmung dieses Zeitpunkts nicht in das Ermessen jedes einzelnen Mitgliedstaats gestellt sein kann, da dies den Zweck gefährden würde, der mit der Rückführungsrichtlinie und den Einreiseverboten verfolgt wird. Der EuGH kam zu folgendem Schluss (Rn. 53): „Aus dem Wortlaut, der Systematik und dem Zweck der Richtlinie 2008/115/EG folgt damit, dass der Zeitraum des Einreiseverbots erst ab dem Zeitpunkt, zu dem der Betroffene tatsächlich das Territorium der Mitgliedstaaten verlassen hat, zu laufen beginnt.“ Gilt ein Einreiseverbot bereits vor der tatsächlichen Ausreise des Drittstaatsangehörigen, so wäre die Dauer des Verbots unzulässig verkürzt.

 

Der Gerichtshof hat daher entschieden, dass „die … Dauer eines Einreiseverbots … ab dem Zeitpunkt zu berechnen ist, zu dem der Betroffene tatsächlich das Territorium der Mitgliedstaaten verlassen hat“ (Rn. 58).

 

Die Mitgliedstaaten sollten die Voraussetzung dafür schaffen, dass das Datum der tatsächlichen Ausreise des Drittstaatsangehörigen (siehe Abschnitt 6.4 und 6.6) bestätigt und nachgeprüft werden kann, um sicherzustellen, dass das Einreiseverbot ab dem Zeitpunkt berechnet wird, zu dem der Drittstaatsangehörige das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten tatsächlich verlässt.

11.6.   Aufhebung, Verkürzung und Aussetzung von Einreiseverboten

Rechtsgrundlage: Rückführungsrichtlinie — Artikel 11 Absatz 3

Unterabsatz 1: Die Mitgliedstaaten prüfen die Aufhebung oder Aussetzung eines Einreiseverbots, wenn Drittstaatsangehörige, gegen die ein Einreiseverbot nach Absatz 1 Unterabsatz 2 verhängt wurde, nachweisen können, dass sie das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats unter uneingeschränkter Einhaltung einer Rückkehrentscheidung verlassen haben.

Die Möglichkeit, ein Einreiseverbot in Fällen, in denen ein Rückzuführender das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats in voller Übereinstimmung mit einer Rückkehrentscheidung verlassen hat (insbesondere im Rahmen der eingeräumten Frist für die freiwillige Ausreise), aufzuheben oder auszusetzen, ist als Anreiz und Ansporn für die freiwillige Ausreise einzusetzen. Die Mitgliedstaaten sollten in ihren nationalen Rechtsvorschriften und Verwaltungspraktiken eine Möglichkeit vorsehen, unter solchen Umständen eine Aufhebung oder Aussetzung eines Einreiseverbots vorzunehmen. Es sollte versucht werden, derartige Verfahren für den Rückzuführenden leicht zugänglich und praktisch durchführbar zu machen. Um es dem Rückzuführenden zu ermöglichen, seine Ausreise aus dem Hoheitsgebiet der EU nachzuweisen, stehen unterschiedliche Möglichkeiten zur Verfügung: ein Ausreisestempel im Pass des Rückzuführenden, Daten in den nationalen Grenzkontroll-Datensystemen oder eine Rückmeldung des Rückzuführenden in einer konsularischen Vertretung eines Mitgliedstaats im Drittland.

Verkürzung von Einreiseverboten: Den Mitgliedstaaten steht es auch frei, unter den in Artikel 11 Absatz 3 der Rückführungsrichtlinie genannten Umständen ein bestehendes Einreiseverbot zu verkürzen. Die Möglichkeit der Mitgliedstaaten, ein Einreiseverbot im Sinne von Artikel 11 Absatz 3 aufzuheben, kann auch als Möglichkeit der teilweisen Aufhebung (z. B. Verkürzung) eines Einreiseverbots ausgelegt werden.

Unterabsatz 2: Gegen Opfer des Menschenhandels, denen nach Maßgabe der Richtlinie 2004/81/EG ein Aufenthaltstitel erteilt wurde, wird unbeschadet des Absatzes 1 Unterabsatz 1 Buchstabe b kein Einreiseverbot verhängt, sofern die betreffenden Drittstaatsangehörigen keine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit darstellen.

Gegen Opfer des Menschenhandels, denen in der Vergangenheit ein Aufenthaltstitel gemäß Richtlinie 2004/81/EG erteilt wurde, wird kein Einreiseverbot verhängt, sofern die betreffende Person nicht gegen eine Verpflichtung zur Rückkehr innerhalb einer Frist für die freiwillige Ausreise verstoßen hat oder eine Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellt. Diese Regel gilt nur für illegale Aufenthalte unmittelbar nach einem legalen Aufenthalt im Sinne der Richtlinie 2004/81/EG und begründet keine lebenslange Ausnahme für vorherige Inhaber dieser Aufenthaltstitel.

Unterabsatz 3: Die Mitgliedstaaten können in Einzelfällen aus humanitären Gründen von der Verhängung eines Einreiseverbots absehen oder ein Einreiseverbot aufheben oder aussetzen.

Den Mitgliedstaaten steht es frei, insbesondere in den nach Artikel 11 Absatz 1 Buchstaben a und b der Rückführungsrichtlinie vorgeschriebenen Fällen, in Einzelfällen aus rein humanitären Gründen keine Einreiseverbote zu verhängen. Dies ist auf nationaler Ebene festzulegen. Die Mitgliedstaaten können aus humanitären Gründen ein bestehendes Einreiseverbot aufheben oder aussetzen.

Es handelt sich um eine Kann-Bestimmung, von der die Mitgliedstaaten entsprechend ihren einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Verwaltungspraktiken Gebrauch machen können.

Unterabsatz 4: Die Mitgliedstaaten können in Einzelfällen oder bestimmten Kategorien von Fällen ein Einreiseverbot aus sonstigen Gründen aufheben oder aussetzen.

Den Mitgliedstaaten steht es frei, ein bestehendes Einreiseverbot aus anderen als humanitären Gründen aufzuheben oder auszusetzen. Dies ist auf nationaler Ebene festzulegen.

Bei humanitären Katastrophen (wie Erdbeben, sonstigen Naturkatastrophen oder bewaffneten Konflikten) in Drittstaaten, die einen Massenzustrom von Flüchtlingen auslösen können, nehmen die förmlichen Verfahren für die Aufhebung von Einreiseverboten in Einzelfällen unter Umständen zu viel Zeit in Anspruch und sind nicht durchführbar. Daher besteht die Möglichkeit, dass für die betroffenen Personengruppen bestehende Einreiseverbote horizontal ausgesetzt oder ganz aufgehoben werden.

Die Aufhebung eines rechtmäßig nach Maßgabe der Rückführungsrichtlinie erlassenen Einreiseverbots kann auch dann erforderlich werden, wenn Drittstaatsangehörige zu einem späteren Zeitpunkt nachweisen, dass sie das Freizügigkeitsrecht nach Unionsrecht genießen, weil sie beispielsweise Mitglied der Familie eines EU-, EWR- oder CH-Bürgers geworden sind, für den Artikel 21 AEUV oder die Richtlinie 2004/38/EG gilt.

11.7.   Sanktionen bei Nichteinhaltung eines Einreiseverbots

Die Nichtbeachtung eines Einreiseverbots sollte von den Mitgliedstaaten bei der Prüfung der Dauer eines weiteren Einreiseverbots berücksichtigt werden. Vor diesem Hintergrund heißt es in Erwägungsgrund 14 der Rückführungsrichtlinie ausdrücklich: „Die Dauer des Einreiseverbots sollte in Anbetracht der jeweiligen Umstände des Einzelfalls festgesetzt werden und im Regelfall fünf Jahre nicht überschreiten. In diesem Zusammenhang sollte der Umstand, dass die betreffenden Drittstaatsangehörigen bereits Gegenstand von mehr als einer Rückkehrentscheidung oder Abschiebungsanordnung gewesen oder während eines Einreiseverbots in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats eingereist sind, besonders berücksichtigt werden.“

Die Rückführungsrichtlinie gestattet es den Mitgliedstaaten, vorbehaltlich der praktischen Wirksamkeit der Richtlinie und der einschlägigen Rechtsprechung des EuGH im Rahmen des nationalen Verwaltungsrechts weitere Sanktionen (Ordnungsstrafen) vorzusehen. Wenn die Mitgliedstaaten in dieser Weise verfahren, sollten sie keinen Unterschied machen zwischen Einreiseverboten, die von den eigenen Behörden verhängt wurden, und solchen der Behörden anderer Mitgliedstaaten, da dies das in der Rückführungsrichtlinie vorgesehene harmonisierte Konzept eines EU-Einreiseverbots untergraben würde.

Die Mitgliedstaaten können strafrechtliche Sanktionen gegen illegal aufhältige Drittstaatsangehörige vorsehen, die nach ihrer Rückführung unter Verstoß gegen ein gültiges Einreiseverbot wieder eingereist sind (Urteil des EuGH in der Rechtssache C-290/14, Celaj, siehe Abschnitt 4).

In Artikel 11 Absatz 5 der Rückführungsrichtlinie wird klargestellt, dass die Bestimmungen über rückkehrbezogene Einreiseverbote unbeschadet des Rechts auf internationalen Schutz im Rahmen des Asyl-Besitzstands der EU gelten: Zu einem früheren Zeitpunkt im Rahmen der Rückführungsrichtlinie verhängte Einreiseverbote dürfen also auf keinen Fall zur Rechtfertigung der Rückführung oder Bestrafung von Drittstaatsangehörigen herangezogen werden, die berechtigt sind, als Asylbewerber oder als Personen mit internationalem Schutzstatus in die EU einzureisen oder sich dort aufzuhalten — siehe Urteil des EuGH in der Rechtssache C-290/14, Celaj (Rn. 32). Solche Einreiseverbote sind auszusetzen (bei schwebenden Asylverfahren) oder aufzuheben (sobald der internationale Schutzstatus zuerkannt wurde).

11.8.   Konsultation zwischen den Mitgliedstaaten

Rechtsgrundlage: Rückführungsrichtlinie – Artikel 11 Absatz 4; Schengener Durchführungsübereinkommen — Artikel 25

Erwägt ein Mitgliedstaat, einen Aufenthaltstitel oder eine sonstige Aufenthaltsberechtigung für Drittstaatsangehörige auszustellen, gegen die ein Einreiseverbot eines anderen Mitgliedstaats besteht, so konsultiert er zunächst den Mitgliedstaat, der das Einreiseverbot verhängt hat, und berücksichtigt dessen Interessen gemäß Artikel 25 des Schengener Durchführungsübereinkommens.

In Artikel 25 des Schengener Durchführungsübereinkommens heißt es:

(1)

Beabsichtigt ein Mitgliedstaat, einen Aufenthaltstitel zu erteilen, so ruft er systematisch die Daten im Schengener Informationssystem ab. Beabsichtigt ein Mitgliedstaat, einem zur Einreiseverweigerung ausgeschriebenen Drittausländer einen Aufenthaltstitel zu erteilen, so konsultiert er vorab den ausschreibenden Mitgliedstaat und berücksichtigt dessen Interessen; der Aufenthaltstitel wird nur bei Vorliegen gewichtiger Gründe erteilt, insbesondere aus humanitären Gründen oder aufgrund internationaler Verpflichtungen.

Wird der Aufenthaltstitel erteilt, so zieht der ausschreibende Mitgliedstaat die Ausschreibung zurück, wobei es ihm unbenommen bleibt, den betroffenen Drittausländer in die nationale Ausschreibungsliste aufzunehmen.

(1a)

Vor einer Ausschreibung zum Zwecke der Einreiseverweigerung im Sinne von Artikel 96 prüfen die Mitgliedstaaten ihre nationalen Register von erteilten Visa für den längerfristigen Aufenthalt oder Aufenthaltstiteln.

(2)

Stellt sich heraus, dass der Drittausländer, der über einen von einer der Vertragsparteien erteilten gültigen Aufenthaltstitel verfügt, zum Zwecke der Einreiseverweigerung ausgeschrieben ist, konsultiert die ausschreibende Vertragspartei die Vertragspartei, die den Aufenthaltstitel erteilt hat, um zu prüfen, ob ausreichende Gründe für die Einziehung des Aufenthaltstitels vorliegen.

Wird der Aufenthaltstitel nicht eingezogen, so zieht die ausschreibende Vertragspartei die Ausschreibung zurück, wobei es ihr unbenommen bleibt, den betroffenen Drittausländer in die nationale Ausschreibungsliste aufzunehmen.

(3)

Die Absätze 1 und 2 finden auch auf Visa für den längerfristigen Aufenthalt Anwendung.

Artikel 25 SDÜ ist eine unmittelbar anwendbare Bestimmung und kann von den Mitgliedstaaten ohne für die Umsetzung in innerstaatliches Recht erlassene Vorschriften angewendet werden.

Nur der Mitgliedstaat, der das Einreiseverbot verhängt hat (Mitgliedstaat A), kann es auch aufheben. Entschließt sich ein anderer Mitgliedstaat (Mitgliedstaat B), der betreffenden Personen einen Aufenthaltstitel zu erteilen oder einen vorhandenen nicht einzuziehen (nach Konsultation des Mitgliedstaats, der das Einreiseverbot verhängt hat), so ist Mitgliedstaat A verpflichtet, die Ausschreibung zurückzuziehen (Artikel 25 Absatz 2 SDÜ), wobei es ihm dennoch unbenommen bleibt, den betroffenen Drittstaatsangehörigen in seine nationale Ausschreibungsliste aufzunehmen. Die Gründe für das bestehende Einreiseverbot, das Mitgliedstaat A verhängt hat, sowie die Interessen des Mitgliedstaats A sind von Mitgliedstaat B zu prüfen und zu berücksichtigen, bevor er einen Aufenthaltstitel erteilt oder sich entscheidet, diesen nicht einzuziehen (beispielsweise zum Zwecke der Familienzusammenführung). Damit Mitgliedstaat B die Gründe für das Einreiseverbot angemessen würdigen kann, ist es erforderlich, dass Mitgliedstaat A die entsprechende Information rechtzeitig an Mitgliedstaat B übermittelt.

Diejenigen Mitgliedstaaten, in denen die Schengen-Regelungen noch nicht in vollem Umfang zur Anwendung kommen und die daher Artikel 25 SDÜ (noch) nicht unmittelbar anwenden können, sollten dennoch im Sinne des Artikels 11 Absatz 4 der Rückführungsrichtlinie verfahren und die Behörden, von denen das Einreiseverbot verhängt wurde, kontaktieren, wenn ihnen zur Kenntnis gelangt (durch welche Informationsquelle auch immer, unter anderem auch durch Informationen vom Antragsteller selbst), dass von einem anderen Mitgliedstaat ein Einreiseverbot gegen eine bestimmte Person verhängt wurde. Bevor dieser Person ein Einreisetitel ausgestellt wird, sollte der Mitgliedstaat bestrebt sein, „die Interessen des Mitgliedstaats“, von dem das Einreiseverbot verhängt wurde, „zu berücksichtigen“.

11.9.   Einreiseverbote, die vor dem 24.12.2010 verhängt wurden

Einreiseverbote, die vor dem 24. Dezember 2010 verhängt wurden, sind an die in Artikel 11 der Rückführungsrichtlinie festlegten Standards anzupassen (höchstens fünf Jahre, Einzelfallprüfung, Pflicht zur Aufhebung/Prüfung der Aufhebung bei Vorliegen besonderer Umstände), wenn sie Wirkung nach dem 24. Dezember 2010 entfalten und den materiellen Garantien des Artikels 11 noch nicht entsprechen.

Die Anpassung sollte entweder jederzeit auf Antrag der betreffenden Person oder aber von Amts wegen zum frühestmöglichen Zeitpunkt erfolgen, keinesfalls jedoch später als bei der regelmäßigen (alle drei Jahre stattfindenden) Überprüfung der Einreiseverbote, die für SIS-Ausschreibungen vorgesehen ist.

In der Rechtssache C-297/12, Filev und Osmani, (Rn. 39-41 und 44) bestätigte der EuGH ausdrücklich: „Hierzu ist zunächst festzustellen, dass die genannte Richtlinie keine Übergangsbestimmungen für Einreiseverbote enthält, die erlassen wurden, bevor sie anwendbar wurde. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs gilt indessen eine neue Vorschrift, soweit nichts Abweichendes bestimmt ist, unmittelbar für die künftigen Auswirkungen eines Sachverhalts, der unter der Geltung der alten Vorschrift entstanden ist… Daraus ergibt sich, dass die Richtlinie 2008/115/EG auf nach dem Zeitpunkt, ab dem sie in dem betreffenden Mitgliedstaat anwendbar war, eingetretene Wirkungen von Einreiseverboten, die gemäß den vor diesem Zeitpunkt geltenden innerstaatlichen Vorschriften erlassen wurden, Anwendung findet. … Daraus folgt, dass Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115/EG es verbietet, die Wirkungen unbefristeter Einreiseverbote wie der im Ausgangsverfahren fraglichen, die vor dem Zeitpunkt der Anwendbarkeit der Richtlinie 2008/115/EG verhängt wurden, über die in dieser Bestimmung vorgesehene Höchstdauer des Verbots hinaus aufrechtzuerhalten, es sei denn, diese Verbote wurden gegen Drittstaatsangehörige verhängt, die eine schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung, die öffentliche Sicherheit oder die nationale Sicherheit darstellen.“

12.   VERFAHRENSGARANTIEN

12.1.   Recht auf eine gute Verwaltung und auf Anhörung

Das Recht auf eine gute Verwaltung ist ein als allgemeiner Grundsatz des EU-Rechts anerkanntes und in der GRC verankertes Recht, das fester Bestandteil der EU-Rechtsordnung ist. Dazu gehört das Recht jeder Person, gehört zu werden, bevor ihr gegenüber eine für sie nachteilige oder ihre Interessen stark beeinträchtigende individuelle Maßnahme getroffen wird, wobei dieses Recht auch Teil der Achtung der Verteidigungsrechte ist, d. h. eines weiteren allgemeinen Grundsatzes des EU-Rechts.

In seinen Urteilen in den Rechtssachen C-383/13, G. und R.  (62), und C-249/13, Boudjlida  (63), nahm der EuGH eine wichtige Klarstellung zu dem Recht vor, zu Abschiebungs- und Haftentscheidungen gehört zu werden. Diese Urteile bedeuten, dass die Mitgliedstaaten stets die nachstehenden Garantien beachten müssen, wenn sie Entscheidungen im Zusammenhang mit der Rückkehr/Rückführung treffen (d. h. Rückkehrentscheidungen, Entscheidungen über Einreiseverbote, Abschiebungsentscheidungen, Inhaftnahme usw.), auch wenn dies in den entsprechenden Artikeln der Rückführungsrichtlinie nicht ausdrücklich vorgeschrieben ist:

1.

das Recht jeder Person, gehört zu werden, bevor ihr gegenüber eine für sie nachteilige individuelle Maßnahme getroffen wird;

2.

das Recht jeder Person auf Zugang zu den sie betreffenden Akten und auf Analyse der ihr entgegengehaltenen Beweise, auf die die zuständige nationale Behörde ihre Entscheidung unter Wahrung des berechtigten Interesses der Vertraulichkeit sowie des Berufs- und Geschäftsgeheimnisses stützt;

3.

das Recht einer jeden Person auf Hinzuziehung eines Rechtsberaters vor Erlass einer Rückkehrentscheidung, sofern durch die Wahrnehmung dieses Rechts nicht der ordnungsgemäße Ablauf des Rückkehrverfahrens und die wirksame Durchführung der Richtlinie beeinträchtigt werden. Dies ist nicht dahin gehend auszulegen, dass die Mitgliedstaaten zur Übernahme der Kosten dieses Beistands verpflichtet sind;

4.

die Pflicht der Verwaltung, die entsprechenden Erklärungen der betroffenen Person mit aller gebotenen Sorgfalt zur Kenntnis zu nehmen, indem sie sorgfältig und unparteiisch alle relevanten Gesichtspunkte des Einzelfalls untersucht;

5.

die Verpflichtung der Verwaltung, ihre Entscheidungen zu begründen.

Die Mitgliedstaaten verfügen über einen beachtlichen Ermessensspielraum, wie das Recht auf Anhörung in der Praxis gewährt wird: Die Missachtung dieses Rechts macht eine Entscheidung jedoch nur ungültig, wenn das Ergebnis des Verfahrens bei Beachtung dieses Rechts ein anderes gewesen wäre (Urteil des EuGH in der Rechtssache C-383/13, G. und R., Rn. 38).

Eine Behörde eines Mitgliedstaats kann darüber hinaus auf die Anhörung eines Drittstaatsangehörigen zu einer Rückkehrentscheidung verzichten, wenn sie in einem vorangegangenen Asylverfahren, in dem das Recht auf Anhörung in vollem Umfang gewahrt wurde, die Rechtswidrigkeit des Aufenthalts dieser Person im Hoheitsgebiet festgestellt hat und beabsichtigt, eine solche Rückkehrentscheidung zu erlassen (Urteil des EuGH in der Rechtssache C-166/13, Mukarubega  (64)). In der Rechtssache Mukarubega heißt es: „Das Recht auf Anhörung vor Erlass einer Rückkehrentscheidung darf … nicht instrumentalisiert werden, um das Verwaltungsverfahren immer wieder zu eröffnen, und zwar zur Wahrung des Gleichgewichts zwischen dem Grundrecht des Betroffenen auf Anhörung vor Erlass einer ihn belastenden Entscheidung und der Verpflichtung der Mitgliedstaaten, illegale Zuwanderung zu bekämpfen.“

Diese Argumentation lässt sich auch auf andere Fallkonstellationen, wie jene nach Maßgabe des Artikels 6 Absatz 6 der Rückführungsrichtlinie (Entscheidung über die Beendigung eines legalen Aufenthalts oder Rückkehrentscheidung) anwenden. Folglich ist eine wiederholte Abschätzung der Gefahr, dass der Grundsatz der Nichtzurückweisung verletzt wird, nicht erforderlich, wenn die Einhaltung dieses Grundsatzes bereits in früheren Verfahren bewertet wurde, die Bewertung endgültig ist und sich die persönliche Situation des betreffenden Drittstaatsangehörigen nicht geändert hat. In gleicher Weise sollte eine wiederholte Bewertung anderer Elemente, die geltend gemacht werden könnten, um eine Rückführung zu verhindern, vermieden werden. Die Mitgliedstaaten sollten Maßnahmen ergreifen, um wiederholte Bewertungen zu vermeiden, indem beispielsweise die Anhörungen vor den zuständigen Behörden für verschiedene Zwecke (etwa im Hinblick auf die Verlängerung oder die Erteilung eines Aufenthaltstitels, die Feststellung des Rechts auf Einreise in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats, die endgültige ablehnende Entscheidung eines Antrags auf internationalen Schutz) soweit als möglich in einem Verfahrensschritt zusammengefasst werden, sofern das Recht auf Anhörung in vollem Umfang gewahrt bleibt. Auch könnten zu diesem Zweck innovative Verfahren wie Videokonferenzen genutzt werden. Die Mitgliedstaaten müssen sicherstellen, dass sich derartige Maßnahmen nicht nachteilig auf die Verfahrensgarantien auswirken; und sie sollten vor allem auf Personen achten, die besondere Verfahrensgarantien benötigen, darunter insbesondere Minderjährige (siehe im Folgenden).

Das Recht auf Anhörung schließt das Recht ein, zur möglichen Anwendung des Artikels 5 und des Artikels 6 Absätze 2 bis 5 der Rückführungsrichtlinie und zu den Einzelheiten der Rückkehrmodalitäten gehört zu werden, d. h. zur Ausreisefrist und dazu, ob die Rückkehr freiwillig erfolgen oder zwangsweise durchgesetzt werden soll. Die Behörde braucht den Drittstaatsangehörigen jedoch vor der Anhörung nicht darauf hinzuweisen, dass sie die Annahme einer Rückkehrentscheidung in Erwägung zieht, noch ihm die Gründe, auf die sie diese zu stützen gedenkt, mitzuteilen, noch ihm vor Einholung seiner Stellungnahme eine Bedenkzeit zu gewähren, sofern der Drittstaatsangehörige die Möglichkeit hat, seinen Standpunkt zur Rechtswidrigkeit seines Aufenthalts sowie Gründe, die es nach dem nationalen Recht rechtfertigen können, dass diese Behörde vom Erlass einer Rückkehrentscheidung absieht, sachdienlich und wirksam vorzutragen (Urteil des EuGH in der Rechtssache C-249/13, Boudjlida).

Die in den Artikeln 12 und 13 der Rückführungsrichtlinie enthaltenen Verfahrensgarantien sind auf alle Entscheidungen im Zusammenhang mit der Rückkehr anzuwenden und dürfen nicht auf die drei Entscheidungsarten beschränkt werden, die in Artikel 12 Absatz 1 der Richtlinie erwähnt werden.

Das Recht des Minderjährigen, in ihn berührenden Rückkehrverfahren gehört zu werden, muss geachtet werden. Nach Artikel 12 des Übereinkommens über die Rechte des Kindes und unter Berücksichtigung der Allgemeinen Bemerkung Nr. 12 des UN-Kinderrechtsausschusses zum Recht des Minderjährigen auf Anhörung (65) muss der betreffende Minderjährige entweder unmittelbar oder durch einen Vertreter oder eine geeignete Stelle gehört werden. Es gilt, das Recht des Minderjährigen auf freie Meinungsäußerung zu achten und seiner Meinung gebührende Bedeutung beizumessen sowie seinem Alter und Reifegrad sowie etwaigen Kommunikationsschwierigkeiten Rechnung zu tragen, um eine sinnvolle Beteiligung von Minderjährigen zu ermöglichen.

Um die Wahrung des Rechts auf Anhörung des Minderjährigen in der Praxis zu gewährleisten, sollten sich die von den Mitgliedstaaten erlassenen Maßnahmen an folgenden wichtigen Grundsätzen orientieren:

die Meinungsäußerung ist freiwillig und stellt keine Verpflichtung dar;

das Recht auf Anhörung sollte keiner Altersgrenze oder sonstigen willkürlichen Einschränkungen — gesetzlicher oder praktischer Art — unterliegen;

ein Minderjähriger sollte in einem Umfeld gehört werden, das auf seine Bedürfnisse abgestimmt ist;

ein Minderjähriger sollte nicht öfter als nötig befragt werden, um der Notwendigkeit, Minderjährige vor Schaden zu schützen, umfassend Rechnung zu tragen;

unter umfassender Berücksichtigung der Notwendigkeit, Minderjährige vor Schaden zu schützen, sollte ein Minderjähriger nicht öfter als nötig befragt werden;

um Minderjährigen, insbesondere in schutzbedürftiger Lage, die Meinungsäußerung zu erleichtern, sind gegebenenfalls besondere Maßnahmen erforderlich, dazu gehören auch Dolmetschleistungen und Übersetzungen.

Sammlung von Informationen über Schleusung: Entsprechend den im EU-Aktionsplan gegen die Schleusung von Migranten 2015-2020  (66) angegebenen Prioritäten, insbesondere der Notwendigkeit einer besseren Sammlung und Weitergabe von Informationen, empfiehlt die Kommission, dass die Mitgliedstaaten angemessene Mechanismen einführen, um unter voller Achtung der Grundrechte und des Asyl-Besitzstands der EU die systematische Informationserhebung bei Drittstaatsangehörigen, die in vorschriftswidrigen Situationen aufgegriffen wurden, sicherzustellen: Wird von den Mitgliedstaaten vor der Annahme einer Rückkehrentscheidung das Recht auf Anhörung eingeräumt, so sollten sie die Rückzuführenden zur Offenlegung der Informationen auffordern, über die diese möglicherweise in Bezug auf den Modus operandi und die Routen der Schleusernetze, aber auch auf Querverbindungen zu Menschenhandel und anderen Straftaten sowie zum Finanztransfer verfügen. Die auf diese Weise erlangten Informationen sollten dem nationalen Recht und den in einschlägigen EU-Foren ausgetauschten besten Praktiken entsprechend gesammelt und unter den zuständigen Behörden (Einwanderungs-, Grenz- und Polizeibehörden) und Agenturen auf nationaler Ebene und auch auf EU-Ebene ausgetauscht werden.

12.2.   Entscheidungen in Bezug auf die Rückkehr

In der Rückführungsrichtlinie finden sich ausdrücklich Bestimmungen, die die verschiedenen Arten von Entscheidungen in Bezug auf die Rückkehr betreffen:

1.

Rückkehrentscheidungen (Artikel 3 Nummer 4 und Artikel 6 Absatz 1),

2.

Entscheidungen über die Frist für die freiwillige Ausreise wie auch Verlängerungen dieser Frist (Artikel 7),

3.

Abschiebungsentscheidungen (Artikel 8 Absatz 3),

4.

Entscheidungen über die Aufschiebung der Abschiebung (Artikel 9),

5.

Entscheidungen über Einreiseverbote sowie über die Aufhebung oder Aussetzung eines Einreiseverbots (Artikel 11),

6.

Entscheidungen über die Inhaftnahme und die Verlängerung der Haftdauer (Artikel 15).

Die meisten vorgenannten Entscheidungen erfolgen zusätzlich zu der Rückkehrentscheidung und sollten normalerweise in ein und demselben Verwaltungsakt zusammen mit der Rückkehrentscheidung erlassen werden: Rückkehrentscheidungen können eine Frist für die freiwillige Ausreise (Artikel 7), ein Einreiseverbot (Artikel 11) und gegebenenfalls eine Entscheidung über die Anordnung einer Abschiebung (im Falle der Nichteinhaltung einer Frist für die freiwillige Ausreise) beinhalten.

Spätere Änderungen dieser zusätzlichen Entscheidungen sind in bestimmten Fällen möglich:

Ein Einreiseverbot kann zu einem späteren Zeitpunkt als zusätzlicher und nachträglicher Bestandteil der bereits verhängten Rückkehrentscheidung erlassen werden, wenn die betreffende Person ihrer Rückkehrverpflichtung nicht innerhalb der Frist für die freiwillige Ausreise nachgekommen ist (Artikel 11 Absatz 1 Buchstabe b).

Ein bereits verhängtes Einreiseverbot kann aufgehoben oder ausgesetzt werden (Artikel 11 Absätze 3-5).

Eine bereits eingeräumte Frist für die freiwillige Ausreise kann verlängert werden (Artikel 7 Absatz 2).

Eine bereits vollstreckbare Rückkehrentscheidung (oder Abschiebungsanordnung) kann aufgeschoben werden (Artikel 9).

In Artikel 6 Absatz 6 der Rückführungsrichtlinie wird der allgemeine Grundsatz bekräftigt, der es den Mitgliedstaaten gestattet, mehrere unterschiedliche Entscheidungen (darunter Entscheidungen ohne unmittelbaren Bezug zur Rückkehr/Rückführung) im Rahmen einer einzigen behördlichen oder richterlichen Entscheidung zusammenzufassen, sofern die einschlägigen Verfahrensgarantien und Vorschriften bei jeder Einzelentscheidung beachtet werden. Entscheidungen über die Beendigung des legalen Aufenthalts (wie die endgültige Ablehnung eines Asylantrags, die Aufhebung eines Visums oder die Ablehnung der Verlängerung eines Aufenthaltstitels) können somit entweder gesondert oder aber in ein und derselben behördlichen oder richterlichen Entscheidung zusammen mit einer Rückkehrentscheidung erlassen werden.

Die Mitgliedstaaten sollten mit der gebotenen Sorgfalt und umgehend eine Entscheidung bezüglich des rechtlichen Status von Drittstaatsangehörigen treffen (siehe Urteil des EuGH in der Rechtssache C-329/11, Achughbabian (Rn. 31): „Dabei sind die zuständigen Behörden verpflichtet, zügig zu handeln, um nicht … das Ziel der Richtlinie 2008/115/EG zu gefährden, und sie müssen umgehend darüber entscheiden, ob der Aufenthalt der betroffenen Person illegal ist oder nicht.“ Die Mitgliedstaaten sollten daher Rückkehrentscheidungen und Entscheidungen über die Beendigung eines legalen Aufenthalts in einer einzigen behördlichen oder richterlichen Entscheidung zusammen erlassen. Ist dies nicht möglich (weil beispielsweise die für die Verweigerung der Verlängerung des Aufenthaltstitels zuständige Behörde nicht befugt ist, Rückkehrentscheidung zu erlassen), sollten Mitgliedstaaten schnelle und wirksame Verfahren unter Einbeziehung der zuständigen Behörden einrichten, um sicherzustellen, dass Informationen rasch ausgetauscht werden und Rückkehrentscheidungen unverzüglich erlassen werden, nachdem eine Entscheidung über die Beendigung des legalen Aufenthalts ergangen ist; davon unberührt bleibt jedoch das Recht auf Erteilung eines Aufenthaltstitels oder einer sonstigen Aufenthaltsberechtigung im Einklang mit Artikel 6 Absatz 4 der Rückführungsrichtlinie.

Konkrete Beispiele:

Wenn ein Mitgliedstaat entscheidet, ein Visum zu annullieren und dem betreffenden Drittstaatsangehörigen eine Frist von maximal sieben Tagen zur freiwilligen Ausreise aus dem Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats einzuräumen, handelt es sich dann um eine Rückkehrentscheidung im Sinne der Rückführungsrichtlinie? Oder ist sie durch andere EU-Visavorschriften abgedeckt?

Eine solche Entscheidung kann aus zwei Teilen bestehen: einer Entscheidung über die Aufhebung des Visums und einer Rückkehrentscheidung im Sinne der Rückführungsrichtlinie. Wird das Visum mit unmittelbarer Wirkung aufgehoben, so ist der Drittstaatsangehörige „illegal aufhältig“ im Sinne des Artikels 3 Nummer 2 der Rückführungsrichtlinie, und es kommt Artikel 6 der Richtlinie (Verpflichtung zum Erlass einer Rückkehrentscheidung) zur Anwendung. Die Aufhebung des Visums kann in Übereinstimmung mit den Visavorschriften des Visakodexes (67) Gegenstand eines Rechtsbehelfs sein (die Möglichkeit der Annahme mehrerer Entscheidungen zusammen mit der Rückkehrentscheidung ist in Artikel 6 Absatz 6 der Rückführungsrichtlinie ausdrücklich vorgesehen).

Wird ein Drittstaatsangehöriger mit dem erforderlichen Visum im Hoheitsgebiet angetroffen, erfüllt aber nicht (oder nicht mehr) die Voraussetzungen für einen Aufenthalt (Artikel 6 SGK), so sollte der Mitgliedstaat eine Rückkehrentscheidung erlassen können. Würde diese Rückkehrentscheidung (vielleicht mit einem Einreiseverbot einhergehend) automatisch bedeuten, dass das Visum nicht mehr gültig ist?

In Artikel 34 Absatz 2 des Visakodexes heißt es: „Ein Visum wird aufgehoben, wenn sich herausstellt, dass die Voraussetzungen (= die Einreisevoraussetzungen im Sinne des SGK) für die Erteilung des Visums nicht mehr erfüllt sind.“ Die Behörden, die eine Rückkehrentscheidung erlassen, müssen auch sicherstellen, dass das Visum aufgehoben wird. Beide Entscheidungen können jedoch im Rahmen ein und desselben Verwaltungsakts getroffen werden. Zu vermeiden ist, dass eine Rückkehrentscheidung getroffen wird, die betreffende Person jedoch mit ihrem gültigen (einheitlichen) Visum ausreisen darf.

Kann eine Entscheidung über die Ablehnung eines Asylantrags mit einer Rückkehrverpflichtung verbunden werden?

Ja. Gemäß Artikel 6 Absatz 6 der Rückführungsrichtlinie können die endgültige Ablehnung eines Asylantrags und eine Rückkehrentscheidung mit einer einzigen Entscheidung erlassen werden. Eine solche kombinierte Entscheidung besteht, streng logisch betrachtet, aus zwei aufeinanderfolgenden und miteinander in Zusammenhang stehenden Entscheidungen, die durch ein „logisches Moment“ getrennt werden.

12.3.   Form der Entscheidungen und Übersetzung

Rechtsgrundlage: Rückführungsrichtlinie — Artikel 12 Absätze 1-3

1.

Rückkehrentscheidungen sowie — gegebenenfalls — Entscheidungen über ein Einreiseverbot oder eine Abschiebung ergehen schriftlich und enthalten eine sachliche und rechtliche Begründung sowie Informationen über mögliche Rechtsbehelfe. Die Information über die Gründe kann begrenzt werden, wenn nach einzelstaatlichem Recht eine Einschränkung des Rechts auf Information vorgesehen ist, insbesondere um die nationale Sicherheit, die Landesverteidigung, die öffentliche Sicherheit oder die Verhütung, Ermittlung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten zu gewährleisten.

Eine schriftliche Entscheidung bildet den Eckstein der Verfahrensgarantien, die in der Rückführungsrichtlinie vorgesehen sind. Auf diese Anforderung kann nicht verzichtet werden. Die Information, die dem Rückkehrer gegeben wird, sollte sich jedoch nicht auf Hinweise auf mögliche Rechtsbehelfe beschränken: Den Mitgliedstaaten wird empfohlen, darüber hinaus weitere Auskünfte zu erteilen, die die praktische Einhaltung der Entscheidung betreffen. So sollte dem Rückzuführenden beispielsweise mitgeteilt werden, ob der Mitgliedstaat einen Beitrag zu den Beförderungskosten leistet, ob der Rückzuführende in ein Programm zur Unterstützung der freiwilligen Rückkehr aufgenommen oder eine Verlängerung der Frist, innerhalb derer die Rückkehrentscheidung zu befolgen ist, erlangt werden kann. Um die betreffende Person zur freiwilligen Ausreise zu veranlassen, sollte der Rückzuführende auch auf die Verpflichtung zur Ausreise aus den Hoheitsgebieten der EU-Mitgliedstaaten und der assoziierten Schengen-Länder sowie auf die Folgen hingewiesen werden, die die Nichteinhaltung der Rückkehrverpflichtung nach sich zieht.

Nach Artikel 6 Absatz 2 Unterabsatz 2 der Richtlinie über Sanktionen gegen Arbeitgeber werden Rückzuführende über ihr in dieser Richtlinie verbrieftes Recht, einen Anspruch gegen den Arbeitgeber für alle ausstehenden Vergütungen geltend zu machen, sowie über die zur Verfügung stehenden Beschwerdemechanismen unterrichtet. Diese Information könnte ebenfalls in die Rückkehrentscheidung aufgenommen bzw. ihr beigefügt werden.

2.

Die Mitgliedstaaten stellen den betreffenden Drittstaatsangehörigen auf Wunsch eine schriftliche oder mündliche Übersetzung der wichtigsten Elemente einer Entscheidung in Bezug auf die Rückkehr nach Absatz 1 einschließlich von Informationen über mögliche Rechtsbehelfe in einer Sprache zur Verfügung, die die Drittstaatsangehörigen verstehen oder bei der vernünftigerweise davon ausgegangen werden kann, dass sie sie verstehen.

Der Antrag auf Aushändigung einer Übersetzung kann vom Rückzuführenden oder dessen gesetzlichen Vertreter gestellt werden. Dem Mitgliedstaat steht die Entscheidung frei, ob eine schriftliche oder eine mündliche Übersetzung erfolgt, wobei zu gewährleisten ist, dass der Drittstaatsangehörige Sinnzusammenhang und Inhalt verstehen kann. Es ist nicht möglich, für die Übersetzung eine Gebühr zu fordern, da dies dem Geist der Bestimmung zuwiderliefe, wonach dem Rückzuführenden die notwendigen Informationen zur Verfügung zu stellen sind, damit er seine rechtliche Situation in all ihren Aspekten versteht und letztlich der Rückkehrentscheidung nachkommt.

Die Entscheidung, welche Sprache der betreffende Drittstaatsangehörige mutmaßlich versteht, richtet sich nach den einzelstaatlichen Durchführungsvorschriften und Verwaltungspraktiken. Diese Einschätzung kann in der gleichen Weise und nach denselben Kriterien wie in Asylverfahren (Artikel 12 der Asylverfahrens-Richtlinie, Artikel 22 der Neufassung der Anerkennungsrichtlinie und Artikel 5 der Richtlinie über die Aufnahmebedingungen) vorgenommen werden, wobei zu berücksichtigen ist, dass aufgrund des komplexen Charakters der Asylverfahren möglicherweise höhere Anforderungen an Übersetzungen in diesem Bereich als im Bereich der Rückkehr/Rückführung zu stellen sind. Das Asylrecht verpflichtet die Mitgliedstaaten, mit allen vertretbaren Maßnahmen dafür zu sorgen, dass eine Übersetzung in eine Sprache angefertigt wird, die von der betreffenden Person tatsächlich verstanden wird, wobei nur für extrem seltene Sprachen, bei denen ein objektiver Mangel an Übersetzern/Dolmetschern herrscht, die Nichtverfügbarkeit von Übersetzern/Dolmetschern als triftiger Grund gelten kann. Eine Situation, in der Übersetzer in die entsprechende Zielsprache vorhanden sind, jedoch aus verwaltungsinternen Gründen nicht verfügbar sind, rechtfertigt nicht das Unterbleiben einer Übersetzung.

Die Möglichkeit der Verwendung von Dokumentenvorlagen zur rationelleren Gestaltung der Arbeit der Verwaltung beschränkt sich nicht auf den Anwendungsbereich des Artikels 12 Absatz 3 (siehe im Folgenden). Solange die Dokumentenvorlage eine auf den Einzelfall zugeschnittene Übersetzung der Entscheidung in eine Sprache, die der Betreffende versteht oder von der vernünftigerweise davon ausgegangen werden kann, dass er sie versteht, erlaubt, befindet sich diese Übersetzung in Einklang mit Artikel 12 Absatz 2 der Rückführungsrichtlinie, und es besteht keine Notwendigkeit, die in Artikel 12 Absatz 3 genannte Ausnahme anzuwenden.

3.

Die Mitgliedstaaten können beschließen, Absatz 2 nicht auf Drittstaatsangehörige anzuwenden, die illegal in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats eingereist sind und die in der Folge nicht die Genehmigung oder das Recht erhalten haben, sich weiterhin dort aufzuhalten.

In solchen Fällen ergehen Entscheidungen in Bezug auf die Rückkehr nach Absatz 1 anhand des in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften vorgesehenen Standardformulars.

Die Mitgliedstaaten halten allgemeine Informationsblätter mit Erläuterungen zu den Hauptelementen des Standardformulars in mindestens fünf der Sprachen bereit, die von den illegal in den betreffenden Mitgliedstaat eingereisten Migranten am häufigsten verwendet oder verstanden werden.

Die Verwendung eines Standardformulars für die Rückkehr nach Artikel 12 Absatz 3 der Rückführungsrichtlinie ist eine Ausnahme von den allgemeinen Regelungen, auf die nur dann zurückgegriffen werden kann, wenn ein Drittstaatsangehöriger illegal in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats eingereist ist.

In diesen Fällen steht den Mitgliedstaaten die Verwendung eines Standardformulars als Option offen. Hierbei gilt zu beachten, dass die durch Artikel 12 Absatz 3 der Rückführungsrichtlinie abgedeckten Fälle illegaler Einreise nicht immer die gleichen sind wie die „Grenzfälle“ gemäß Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe a der Richtlinie — siehe Abschnitt 2.1. Ein illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger, der drei Monate nach seiner illegalen Einreise im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufgegriffen wird, fällt nicht unter die Ausnahme nach Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe a der Rückführungsrichtlinie, jedoch kann für ihn die in Artikel 12 Absatz 3 genannte Ausnahme gelten.

Illegale Überschreitung der Binnengrenzen: Absatz 3 wird auf Drittstaatsangehörige angewendet, „die illegal in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats eingereist sind und die in der Folge nicht die Genehmigung oder das Recht erhalten haben, sich weiterhin dort aufzuhalten“. Vor dem besonderen Hintergrund dieser Bestimmung der Rückführungsrichtlinie kann der Begriff „illegale Einreise“ auch Fälle abdecken, in denen ein illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger unter Verstoß gegen die in dem betreffenden Mitgliedstaat geltenden Einreise- und Aufenthaltsbedingungen aus einem anderen Mitgliedstaat eingereist ist. Hierbei ist zu beachten, dass in diesen besonderen Fällen (Einreise aus einem anderen Mitgliedstaat) Artikel 6 Absatz 2 oder Artikel 6 Absatz 3 der Rückführungsrichtlinie anwendbar sein kann.

Artikel 12 Absatz 3 enthält keine Ausnahme in Bezug auf die anwendbaren Rechtsbehelfe. Die Rechtsbehelfe nach Artikel 13 Absatz 1 der Rückführungsrichtlinie sind daher auch dann zu gewähren, wenn das in Artikel 12 Absatz 3 genannte Standardformular verwendet wird.

12.4.   Rechtsbehelfe

Rechtsgrundlage: Rückführungsrichtlinie — Artikel 13 Absätze 1 und 2

1.

Die betreffenden Drittstaatsangehörigen haben das Recht, bei einer zuständigen Justiz- oder Verwaltungsbehörde oder einem zuständigen Gremium, dessen Mitglieder unparteiisch sind und deren Unabhängigkeit garantiert wird, einen wirksamen Rechtsbehelf gegen Entscheidungen in Bezug auf die Rückkehr nach Artikel 12 Absatz 1 einzulegen oder die Überprüfung solcher Entscheidungen zu beantragen.

Wirksame Rechtsbehelfe sollten für alle Entscheidungen in Bezug auf die Rückkehr angeboten werden. Der Begriff „Entscheidungen in Bezug auf die Rückkehr“ ist in einem weiteren Sinne so zu verstehen, dass er Entscheidungen zu allen durch die Rückführungsrichtlinie geregelten Fragen abdeckt, Rückkehrentscheidungen ebenso wie Entscheidungen, mit denen eine Frist für die freiwillige Ausreise eingeräumt oder verlängert wird, Abschiebungsentscheidungen, Entscheidungen über einen Aufschub der Abschiebung, Entscheidungen über Einreiseverbote wie auch über die Aussetzung oder Aufhebung von Einreiseverboten (siehe Abschnitt 12.2). Ausführlicher geregelt sind in Artikel 15 der Rückführungsrichtlinie die Rechtsbehelfe, die bei Entscheidungen über die Inhaftnahme oder über die Verlängerung der Haftdauer anwendbar sind (siehe Abschnitt 14).

Art der Überprüfungsinstanz: In Übereinstimmung mit Artikel 6 und 13 EMRK und Artikel 47 GRC muss die Überprüfungsinstanz ein im Wesentlichen unabhängiges und unparteiisches Gericht sein. Artikel 13 Absatz 1 der Rückführungsrichtlinie orientiert sich eng an der Leitlinie 5.1 des Europarats und sollte der einschlägigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) entsprechend ausgelegt werden. Nach dieser Rechtsprechung kommt als Überprüfungsinstanz unter der Voraussetzung, dass die Behörde aus unparteiischen Mitgliedern besteht, deren Unabhängigkeit garantiert wird, und in den nationalen Rechtsvorschriften die Möglichkeit der Überprüfung der Entscheidung durch eine Justizbehörde gemäß den in Artikel 47 GRC über das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf festgelegten Standards vorgesehen ist, auch eine Verwaltungsbehörde in Frage.

Es gibt verschiedene Garantien, um der Gefahr des Missbrauchs der Möglichkeit der Einlegung eines Rechtsbehelfs zu begegnen: Artikel 13 entfaltet eine automatische aufschiebende Wirkung nicht unter allen Umständen (Absatz 2), und die Gewährung kostenloser Rechtsberatung kann eingeschränkt werden, wenn der Rechtsbehelf nicht erfolgversprechend ist (Absatz 4). Zudem ist der im Unionsrecht geltende allgemeine Grundsatz der rechtskräftig entschiedenen Sache (res judicata) zu beachten.

Die Fristen für Rechtsbehelfe gegen rückkehrbezogene Entscheidungen sind in nationalen Rechtsvorschriften festzulegen. Um einen möglichen Missbrauch von Rechten und Verfahren und insbesondere das Einlegen von Rechtsbehelfen kurz vor dem geplanten Abschiebetermin zu verhindern, empfiehlt die Kommission den Mitgliedstaaten, für Rechtsbehelfe gegen Rückkehrentscheidungen die kürzestmögliche Frist zu setzen, die das nationale Recht für vergleichbare Situationen vorsieht, sofern dies keinen unverhältnismäßigen Eingriff in das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf darstellt. Gerichtliche Entscheidungen sollten ohne unnötige Verzögerungen erlassen werden.

2.

Die in Absatz 1 genannte Behörde oder dieses Gremium ist befugt, Entscheidungen in Bezug auf die Rückkehr nach Artikel 12 Absatz 1 zu überprüfen, und hat auch die Möglichkeit, ihre Vollstreckung einstweilig auszusetzen, sofern eine einstweilige Aussetzung nicht bereits im Rahmen der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften anwendbar ist.

Aufschiebende Wirkung: Die Überprüfungsinstanz muss befugt sein, die Vollstreckung einer Rückkehrentscheidung in Einzelfällen auszusetzen. In den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften sollte eindeutig festgelegt sein, dass die Überprüfungsinstanz selbst (die Instanz, die die Entscheidung in Bezug auf die Rückkehr überprüft) die Befugnis zur Aussetzung der Vollstreckung im Rahmen eines Verfahrens besitzt.

Verpflichtung zur Gewährung einer automatischen aufschiebenden Wirkung bei drohender Zurückweisung: In der Rechtsprechung des EGMR wird eine automatische aufschiebende Wirkung in den Fällen gefordert, in denen berechtigte Gründe für die Annahme bestehen, dass die rückgeführte Person der Gefahr einer Artikel 3 EMRK (Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung im Anschluss an die Rückkehr/Rückführung) widersprechenden Behandlung ausgesetzt sein könnte (siehe Artikel 39 der Verfahrensordnung des EGMR). Somit verpflichtet Artikel 13 der Rückführungsrichtlinie in Verbindung mit den Artikeln 5 und 9 der Rückführungsrichtlinie die Überprüfungsinstanz, wenn es um den Grundsatz der Nichtzurückweisung geht, kraft Gesetzes eine aufschiebende Wirkung im Sinne dieser Anforderung einzuräumen.

Verpflichtung zur Gewährung einer automatischen aufschiebenden Wirkung im Falle der Gefahr einer schweren und irreversiblen Verschlechterung des Gesundheitszustands: In seinem Urteil in der Rechtssache C-562/13, Abdida  (68), bekräftigte der EuGH unter Rn. 53, „dass die Art. 5 und 13 der Richtlinie 2008/115/EG in Verbindung mit Art. 19 Abs. 2 und Art. 47 der Charta dahin auszulegen sind, dass sie nationalen Rechtsvorschriften entgegenstehen, die keinen Rechtsbehelf mit aufschiebender Wirkung gegen eine Rückkehrentscheidung vorsehen, deren Vollzug den betroffenen Drittstaatsangehörigen einer ernsthaften Gefahr einer schweren und irreversiblen Verschlechterung seines Gesundheitszustands aussetzt“.

Die Kommission empfiehlt, nur in den oben genannten zwingenden Fällen eine automatische aufschiebende Wirkung gegen eine Rückkehrentscheidung einzuräumen, um ein ausgewogenes Verhältnis zwischen wirksamem Rechtsbehelf und der Wirksamkeit der Rückkehrverfahren zu gewährleisten. Wird bei einem Rechtsbehelf auf andere Gründe verwiesen (etwa Verfahrensmängel, die Wahrung der Einheit der Familie oder sonstige Rechte und Interessen) und steht das Leben des Betreffenden nicht auf dem Spiel bzw. ist er keiner ernsthaften Gefahr einer schweren und irreversiblen Verschlechterung seines Gesundheitszustands ausgesetzt, so kann der Mitgliedstaat entscheiden, keine aufschiebende Wirkung zu gewähren. Allerdings müssen die zuständigen nationalen Behörden oder Stellen in jedem Fall weiterhin befugt sein, die Vollstreckung einer Entscheidung in Einzelfällen vorübergehend aussetzen zu können, wenn dies aus anderen Gründen (etwa dem Familienleben, der Gesundheit oder dem Wohl des Kindes) notwendig erscheint.

12.5.   Sprachbeistand und unentgeltlicher Rechtsbeistand

Rechtsgrundlage: Rückführungsrichtlinie — Artikel 13 Absätze 3 und 4; Richtlinie 2013/32/EU („Asylverfahrens-Richtlinie“) — Artikel 20 und 21, die Artikel 15 Absätze 3 bis 6 der Richtlinie 2005/85/EG des Rates (69) ersetzen

3.

Die betreffenden Drittstaatsangehörigen können rechtliche Beratung, rechtliche Vertretung und erforderlichenfalls Sprachbeistand in Anspruch nehmen.

Sprachbeistand bedeutet nicht nur, dass für die Übersetzung einer Entscheidung gesorgt werden muss (diese Pflicht besteht bereits nach Artikel 12 Absatz 2 der Rückführungsrichtlinie), sondern dass auch Dolmetscher bereitgestellt werden müssen, damit der Drittstaatsangehörige die Verfahrensrechte in Anspruch nehmen kann, die ihm gemäß Artikel 13 der Richtlinie zustehen.

Es sei daran erinnert, dass der EGMR in der Rechtssache Conka gegen Belgien  (70) die Verfügbarkeit von Dolmetschern als einen der Faktoren bezeichnet hat, die Einfluss auf die Zugänglichkeit eines wirksamen Rechtsbehelfs haben. Der Anspruch von Drittstaatsangehörigen auf Sprachbeistand sollte von den Mitgliedstaaten in einer Weise gewährt werden, der der betreffenden Person die konkrete und praktische Möglichkeit bietet, davon Gebrauch zu machen („praktische Wirksamkeit“ der Bestimmung).

4.

Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass auf Antrag die erforderliche Rechtsberatung und/oder -vertretung gemäß einschlägigen einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Bestimmungen zur Prozesskostenhilfe kostenlos gewährt wird, und sie können vorsehen, dass kostenlose Rechtsberatung und/oder -vertretung nach Maßgabe der Bestimmungen nach Artikel 15 Absätze 3 bis 6 der Richtlinie 2005/85/EG bereitgestellt wird.

Rechtsberatung und Rechtsvertretung: In Absatz 4 ist festgelegt, in welchen Fällen und unter welchen Umständen die Mitgliedstaaten die Kosten für die Rechtsberatung und -vertretung zu übernehmen haben, wobei im Wesentlichen auf die in der Asylverfahrens-Richtlinie genannten Bestimmungen verwiesen wird. Sind die in der Richtlinie und in den einzelstaatlichen Durchführungsbestimmungen genannten Voraussetzungen erfüllt, so haben die Mitgliedstaaten sowohl für die Rechtsberatung als auch für die Rechtsvertretung unentgeltlich aufzukommen.

Der Antrag auf kostenlose Rechtsberatung und/oder Rechtsvertretung kann vom Rückzuführenden oder dessen Vertreter zu jedem angebrachten Zeitpunkt im Verlauf des Verfahrens gestellt werden.

Bereitstellung von Rechtsberatung durch die Verwaltungsbehörden: Die Rechtsberatung kann grundsätzlich auch von den Verwaltungsbehörden angeboten werden, die für die Verhängung der Rückkehrentscheidungen zuständig sind („praktische Wirksamkeit“), sofern die bereitgestellten Informationen objektiv und unvoreingenommen erteilt werden. Um etwaige Interessenkonflikte zu vermeiden, kommt es darauf an, dass die Informationen von einer unparteiisch/unabhängig handelnden Person vermittelt werden. Diese Informationen können daher nicht von der Person gegeben werden, die den Fall beispielsweise entscheidet oder überprüft. Eine gute Methode, die in einigen Mitgliedstaaten bereits gebräuchlich ist, besteht darin, eine Trennung zwischen den mit der Entscheidungsbefugnis ausgestatteten Behörden und denjenigen, die Rechts- und Verfahrensinformationen bereitstellen, vorzunehmen. Sollte sich ein Mitgliedstaat jedoch entschließen, die letztgenannte Zuständigkeit den mit der Entscheidungsbefugnis ausgestatteten Behörden zu übertragen, so ist bei den beteiligten Mitarbeitern eine klare Aufgabentrennung zu gewährleisten (etwa indem eine gesonderte und unabhängige Abteilung gebildet wird, die lediglich für die Bereitstellung von Rechts- und Verfahrensinformationen zuständig ist).

Bedingungen für kostenlose Rechtsberatung/Rechtsvertretung — Verweis auf Artikel 15 Absätze 3 bis 6 der Richtlinie 2005/85/EG: Bei dem Verweis auf bestimmte Bedingungen/Einschränkungen, die die Mitgliedstaaten in Bezug auf die kostenlose Rechtsberatung vorsehen können, handelt es sich um einen dynamischen Verweis, der jetzt als Verweis auf die geltenden Artikel 20 und 21 der derzeit geltenden Asylverfahrens-Richtlinie zu verstehen ist und die Richtlinie 2005/85/EG ersetzt. Den vorgenannten Bedingungen entsprechend können die Mitgliedstaaten vorsehen, dass kostenlose Rechtsberatung und -vertretung nur gewährt wird,

wenn die Auffassung herrscht, dass die Prüfung des Rechtsbehelfs durch ein Gericht oder eine andere zuständige Behörde konkrete Aussicht auf Erfolg hat,

für Personen, die nicht über die nötigen finanziellen Mittel verfügen,

durch Rechtsanwälte oder sonstige Rechtsberater, die nach nationalem Recht eigens zur Unterstützung und Vertretung von Antragstellern bestimmt wurden,

für erstinstanzliche Rechtsbehelfsverfahren, jedoch nicht für weitere Rechtsbehelfe oder Überprüfungen.

Ferner können die Mitgliedstaaten

für die kostenlose Rechtsberatung und -vertretung eine finanzielle und/oder zeitliche Begrenzung vorsehen, soweit dadurch der Zugang zu diesem Recht nicht willkürlich eingeschränkt wird,

vorsehen, dass Antragstellern hinsichtlich der Gebühren und anderen Kosten keine günstigere Behandlung zuteilwird, als sie den eigenen Staatsangehörigen in Fragen der Rechtsberatung im Allgemeinen gewährt wird,

verlangen, dass der Antragsteller ihnen die entstandenen Kosten ganz oder teilweise zurückerstattet, wenn sich seine finanzielle Lage beträchtlich verbessert hat oder wenn die Entscheidung über die Übernahme solcher Kosten aufgrund falscher Angaben des Antragstellers getroffen wurde.

Wirksamer Rechtsbehelf gegen die Verweigerung unentgeltlichen Rechtsbeistands: Wird die Entscheidung, dass keine unentgeltliche Rechtsberatung und -vertretung gewährt wird, nicht von einem Gericht getroffen, so gewährleisten die Mitgliedstaaten, dass der Antragsteller das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf gegen diese Entscheidung vor einem Gericht hat. Das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht zählt zu den Grundrechten, die Bestandteil der Unionsrechtsordnung sind, und die auch dann zu wahren sind, wenn die anwendbare Regelung solche Verfahrensrechte nicht ausdrücklich vorsieht.

13.   GARANTIEN BIS ZUR RÜCKKEHR

Rechtsgrundlage: Rückführungsrichtlinie — Artikel 14 Absatz 1

Die Mitgliedstaaten stellen außer in Fällen nach Artikel 16 und 17 sicher, dass innerhalb der nach Artikel 7 für die freiwillige Ausreise gewährten Frist und der Fristen, während derer die Vollstreckung einer Abschiebung nach Artikel 9 aufgeschoben ist, die folgenden Grundsätze in Bezug auf Drittstaatsangehörige soweit wie möglich beachtet werden:

a)

Aufrechterhaltung der Familieneinheit mit den in demselben Hoheitsgebiet aufhältigen Familienangehörigen;

b)

Gewährung medizinischer Notfallversorgung und unbedingt erforderlicher Behandlung von Krankheiten;

c)

Gewährleistung des Zugangs zum Grundbildungssystem für Minderjährige je nach Länge ihres Aufenthalts;

d)

Berücksichtigung der spezifischen Bedürfnisse schutzbedürftiger Personen.

Zur Erinnerung/Erläuterung: Gemäß der Rückführungsrichtlinie können die Mitgliedstaaten gegen illegal aufhältige Drittstaatsangehörige entweder eine Rückkehrentscheidung erlassen oder ihnen einen Aufenthaltstitel erteilen. Ziel ist die Beseitigung von Grauzonen. In der Praxis kann dies jedoch zu einer Erhöhung der absoluten Anzahl der Fälle führen, in denen die Mitgliedstaaten Rückkehrentscheidungen erlassen, die aufgrund praktischer oder rechtlicher Hindernisse nicht vollstreckbar sind (beispielsweise wegen Verzögerungen bei der Übermittlung der erforderlichen Unterlagen durch Drittstaaten und Fälle, die dem Grundsatz der Nichtzurückweisung unterliegen). Damit diese illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen, bei denen die Vollstreckung der Rückkehrentscheidung aufgeschoben wurde oder die nicht rückgeführt werden können, sich nicht in einem rechtlichen Vakuum befinden, hatte die Kommission vorgeschlagen, ihnen bestimmte Mindestaufenthaltsbedingungen zu gewähren und sich dabei auf bestimmte Bedingungen bezogen, die bereits in den Artikeln 7 bis 10 bzw. 15 und 17 bis 20 der Richtlinie 2003/9/EG des Rates (71) (Richtlinie über die Aufnahmebedingungen) festgelegt sind und die im Wesentlichen folgende vier Grundrechte umfassen: 1. Wahrung der Einheit der Familie; 2. medizinische Versorgung; 3. Grundschulerziehung und weiterführende Bildung Minderjähriger und 4. Berücksichtigung der spezifischen Bedürfnisse von besonders schutzbedürftigen Personen. Auf gemäß der Richtlinie über die Aufnahmebedingungen bestehende andere wichtige Rechte wie den Zugang zur Beschäftigung und die materiellen Aufnahmebedingungen wurde nicht Bezug genommen. Im Anschluss an die Verhandlungen, in deren Verlauf Bedenken dahin gehend geäußert wurden, dass Verweise auf die Richtlinie über die Aufnahmebedingungen als „Aufwertung“ der Situation irregulärer Migranten angesehen werden könnten, wurde eine „eigenständige“ Liste der Rechte aufgestellt.

Die Situationen, für die Artikel 14 Absatz 1 gilt, sind vielfältig: Sie umfassen sowohl die Frist, die für die freiwillige Ausreise gewährt wird, als auch die Frist, für die die Rückführung formell oder de facto gemäß Artikel 9 der Rückführungsrichtlinie aufgeschoben wurde (Rechtsbehelf mit aufschiebender Wirkung; möglicher Verstoß gegen den Grundsatz der Nichtzurückweisung; gesundheitliche Gründe, technische Gründe, Scheitern der Rückführungsbemühungen aufgrund fehlender Ausweispapiere). Haftzeiten sind ausdrücklich ausgenommen — da die entsprechenden Garantien anderweitig geregelt sind (siehe Abschnitt 15).

Die Gewährung medizinischer Notfallversorgung und die erforderliche Behandlung von Krankheiten stellt ein Mindestgrundrecht dar, weshalb der Zugang zu ihr nicht gebührenpflichtig gemacht werden darf.

Zugang zur Bildung: Die Einschränkung „je nach Länge ihres Aufenthalts“ ist restriktiv auszulegen. Bestehen Zweifel hinsichtlich der wahrscheinlichen Aufenthaltsdauer bis zur Rückkehr/Rückführung, ist der Zugang zur Bildung eher zu gestatten als abzulehnen. Eine nationale Regelung, wonach der Zugang zur Bildung üblicherweise nur ermöglicht wird, wenn die Aufenthaltsdauer mehr als zwei Wochen beträgt, kann als zulässig angesehen werden. Bei praktischen Problemen, wenn Minderjährigen beispielsweise kein Nachweis für ihre bereits in anderen Ländern erworbene Bildung vorliegt oder sie keine Sprache sprechen, in der sie im betreffenden Mitgliedstaat am Unterricht teilnehmen können, müssen auf nationaler Ebene geeignete Lösungen gefunden werden, die den Geist der Richtlinie und einschlägiger internationaler Rechtsinstrumente wie das Übereinkommen über die Rechte des Kindes von 1989 und die dazugehörige Allgemeine Bemerkung Nr. 6 (72) berücksichtigen. Eine Orientierungsmöglichkeit bietet auch das Asylrecht (insbesondere Artikel 14 der Richtlinie 2013/33/EU über die Aufnahmebedingungen).

Sonstige Grundbedürfnisse: In seinem Urteil in der Rechtssache C-562/13, Abdida, stellte der EuGH fest, dass die Mitgliedstaaten auch sonstige Grundbedürfnisse befriedigen müssen, um zu gewährleisten, dass die medizinische Notfallversorgung und die unbedingt erforderliche Behandlung von Krankheiten in dem Zeitraum gewährt wird, in dem der betreffende Mitgliedstaat die Abschiebung aufschieben muss. Die Form, in der die Befriedigung der Grundbedürfnisse des betreffenden Drittstaatsangehörigen zu erfolgen hat, wird dabei von den Mitgliedstaaten festgelegt.

Die der Einführung dieser Verpflichtung seitens des EuGH zugrunde liegende Logik bestand darin, dass das Erfordernis der Gewährung medizinischer Notfallversorgung und der unbedingt erforderlichen Behandlung von Krankheiten gemäß Artikel 14 Absatz 1 Buchstabe b der Rückführungsrichtlinie ihre Wirkung verlieren könnte, wenn nicht zugleich das Erfordernis bestehen würde, die Grundbedürfnisse des betreffenden Drittstaatsangehörigen zu befriedigen. Ausgehend von dieser Logik des EuGH und den Hinweisen in der einschlägigen Rechtsprechung des EGMR kann geschlussfolgert werden, dass die Inanspruchnahme der übrigen in Artikel 14 Absatz 1 der Rückführungsrichtlinie genannten Rechte (wie insbesondere der Zugang zur Bildung und die Berücksichtigung der Bedürfnisse schutzbedürftiger Personen) auch bedingt, dass die Grundbedürfnisse des betroffenen Drittstaatsangehörigen befriedigt werden müssen.

Auch wenn gemäß Unionsrecht keine allgemeine rechtliche Verpflichtung zur Befriedigung der Grundbedürfnisse aller Drittstaatsangehörigen bis zur Rückkehr/Rückführung besteht, ruft die Kommission die Mitgliedstaaten dazu auf, diese in das nationale Recht aufzunehmen, um für die rückzuführenden Personen humane und würdige Lebensbedingungen zu gewährleisten.

13.1.   Schriftliche Bestätigung

Rechtsgrundlage: Rückführungsrichtlinie — Artikel 14 Absatz 2

Die Mitgliedstaaten stellen den in Absatz 1 genannten Personen eine schriftliche Bestätigung gemäß den innerstaatlichen Rechtsvorschriften zur Verfügung, der zufolge die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß Artikel 7 Absatz 2 verlängert worden ist oder die Rückkehrentscheidung vorläufig nicht vollstreckt wird.

In Erwägungsgrund 12 der Rückführungsrichtlinie heißt es dazu konkret: „Die betreffenden Personen sollten eine schriftliche Bestätigung erhalten, damit sie im Falle administrativer Kontrollen oder Überprüfungen ihre besondere Situation nachweisen können. Die Mitgliedstaaten sollten hinsichtlich der Gestaltung und des Formats der schriftlichen Bestätigung über einen breiten Ermessensspielraum verfügen und auch die Möglichkeit haben, sie in aufgrund dieser Richtlinie getroffene Entscheidungen in Bezug auf die Rückkehr aufzunehmen.“

Form der schriftlichen Bestätigung: Die Mitgliedstaaten verfügen hier über einen breiten Ermessensspielraum. Die Bestätigung kann entweder ein von den nationalen Behörden ausgestelltes separates Papier oder Teil einer formellen Rückkehrentscheidung sein. Maßgeblich ist, dass die rückzuführenden Personen — im Falle einer Polizeikontrolle — mit der Bestätigung eindeutig nachweisen können, dass gegen sie bereits ein Rückkehrverfahren anhängig ist und dass für sie eine Frist für die freiwillige Ausreise besteht, die Abschiebung formell aufgeschoben wurde oder ihre Rückkehrentscheidung vorübergehend nicht vollstreckt werden kann. Sofern möglich, sollten in der Bestätigung die Dauer der Frist für die freiwillige Ausreise oder des Aufschubs angegeben werden.

In Mitgliedstaaten, deren Datenaustauschsysteme bei Polizeikontrollen eine schnelle Überprüfung des Status irregulärer Migranten anhand bestimmter personenbezogener Daten oder Referenznummern ermöglichen, gilt die Pflicht hinsichtlich der schriftlichen Bestätigung als erfüllt, wenn die betreffende Person Dokumente oder Papiere mit diesen personenbezogenen Daten oder Referenznummern erhält (oder bereits besitzt).

13.2.   Längere Illegalität

Keine Pflicht zur Ausstellung eines Aufenthaltstitels für nicht rückführbare Personen: Die Mitgliedstaaten sind nicht verpflichtet, rückzuführenden Personen einen Aufenthaltstitel auszustellen, wenn sich herausstellt, dass keine hinreichende Aussicht auf Abschiebung mehr besteht, können dies aber nach Artikel 6 Absatz 4 der Rückführungsrichtlinie (siehe Abschnitt 5.6) jederzeit tun.

Hierzu hat der EuGH in der Rechtssache Mahdi  (73) (C-146/14, Rn. 87 und 88) ausdrücklich klargestellt, dass die Richtlinie „… nicht zum Zweck [hat], die Voraussetzungen für den Aufenthalt illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger, gegen die eine Rückkehrentscheidung nicht vollzogen werden kann oder konnte, im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats zu regeln. Art. 6 Abs. 4 der Richtlinie 2008/115/EG erlaubt den Mitgliedstaaten jedoch, illegal in ihrem Hoheitsgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen wegen des Vorliegens eines Härtefalls oder aus humanitären oder sonstigen Gründen einen eigenen Aufenthaltstitel oder eine sonstige Aufenthaltsberechtigung zu erteilen“.

Kriterien für die Ausstellung von Aufenthaltstiteln: Wie bereits dargestellt, sind die Mitgliedstaaten rechtlich nicht zur Ausstellung von Aufenthaltstiteln für nicht rückführbare Personen verpflichtet und verfügen hier über einen breiten Ermessensspielraum. In diesem Zusammenhang wird empfohlen, in die von den Mitgliedstaaten heranzuziehenden Bewertungskriterien sowohl individuelle (fallbezogene) als auch horizontale (politikbezogene) Aspekte aufzunehmen, beispielsweise:

die Kooperationsbereitschaft/mangelnde Kooperationsbereitschaft der rückzuführenden Person;

die Dauer ihres tatsächlichen Aufenthalts im betreffenden Mitgliedstaat;

ihre Integrationsbemühungen;

ihr persönliches Verhalten;

familiäre Bindungen;

humanitäre Gesichtspunkte;

die Wahrscheinlichkeit der Rückkehr in absehbarer Zeit;

die unbedingte Vermeidung der Belohnung der Illegalität;

die Auswirkungen der Legalisierungsmaßnahmen auf das Migrationsverhalten künftiger (irregulärer) Migranten;

die Wahrscheinlichkeit von Sekundärmigration innerhalb des Schengen-Raums.

14.   INHAFTNAHME

Die Verfahrensgarantien nach Artikel 12 (Form und Übersetzung) bzw. Artikel 13 (wirksamer Rechtsbehelf und unentgeltlicher Rechtsbeistand) der Rückführungsrichtlinie greifen das Recht auf eine gute Verwaltung sowie das Grundrecht auf Anhörung, auf einen wirksamen Rechtsbehelf und auf ein unparteiisches Gericht ausdrücklich auf und bilden somit einen festen Bestandteil der Rechtsordnung der Europäischen Union. Die Einhaltung dieser Rechte ist somit auch in Bezug auf Haftentscheidungen erforderlich.

Neben diesen allgemeinen Bedingungen werden in Artikel 15 der Rückführungsrichtlinie bestimmte speziell für Haftentscheidungen geltende Bedingungen festgelegt.

14.1.   Die Inhaftnahme rechtfertigende Umstände

Rechtsgrundlage: Rückführungsrichtlinie — Artikel 15 Absatz 1

Sofern in dem konkreten Fall keine anderen ausreichenden, jedoch weniger intensiven Zwangsmaßnahmen wirksam angewandt werden können, dürfen die Mitgliedstaaten Drittstaatsangehörige, gegen die ein Rückkehrverfahren anhängig ist, nur in Haft nehmen, um deren Rückkehr vorzubereiten und/oder die Abschiebung durchzuführen, und zwar insbesondere dann, wenn

a)

Fluchtgefahr besteht oder

b)

die betreffenden Drittstaatsangehörigen die Vorbereitung der Rückkehr oder das Abschiebungsverfahren umgehen oder behindern.

Die Haftdauer hat so kurz wie möglich zu sein und sich nur auf die Dauer der laufenden Abschiebungsvorkehrungen zu erstrecken, solange diese mit der gebotenen Sorgfalt durchgeführt werden.

Die Inhaftnahme für die Zwecke der Abschiebung stellt einen schwerwiegenden Eingriff in das Grundrecht der persönlichen Freiheit dar und unterliegt daher strengen Einschränkungen.

Verpflichtung, von der Inhaftnahme ausschließlich als letztes Mittel Gebrauch zu machen: Artikel 8 Absatz 1 der Rückführungsrichtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten, „alle erforderlichen Maßnahmen zur Vollstreckung von Rückkehrentscheidungen zu ergreifen. Die Möglichkeit der Inhaftnahme stellt eine der möglichen Maßnahmen dar, die die Mitgliedstaaten als letztes Mittel ergreifen können. In diesem Zusammenhang hat der EuGH in der Rechtssache El Dridi (C-61/11, Rn. 41) ausdrücklich betont, dass die Rückführungsrichtlinie eine ‚Abstufung der zur Vollstreckung der Rückkehrentscheidung zu treffenden Maßnahmen, die von der die Freiheit des Betroffenen am wenigsten beschränkenden Maßnahme — der Setzung einer Frist für die freiwillige Ausreise — bis zu den diese Freiheit am stärksten beschränkenden Maßnahmen — der Inhaftnahme in einer speziellen Einrichtung — reichen“ vorsieht.

Eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur Inhaftnahme besteht also nur in Fällen, in denen eindeutig nur auf diese Weise sichergestellt werden kann, dass der Rückkehrprozess vorbereitet und die Abschiebung durchgeführt werden kann (Notwendigkeit der Inhaftnahme). Die Haftdauer sollte auf einer Einzelfallprüfung gründen und hat so kurz wie möglich zu sein und sich nur auf die Dauer der laufenden Abschiebungsvorkehrungen zu erstrecken, solange diese mit der gebotenen Sorgfalt durchgeführt werden (Verhältnismäßigkeit der Inhaftnahme).

Gründe für die Inhaftnahme: Das einzige legitime Ziel der Inhaftnahme besteht nach Maßgabe der Rückführungsrichtlinie in der Vorbereitung der Rückkehr und/oder der Durchführung der Abschiebung, insbesondere wenn 1) Fluchtgefahr besteht oder 2) die Vorbereitung der Rückkehr oder das Abschiebungsverfahren durch die rückzuführende Person umgangen oder behindert wird. Liegen Gründe für eine Inhaftnahme vor und können in einem bestimmten Fall (als letztes Mittel) keine weniger intensiven Zwangsmaßnahmen wirksam angewandt werden, so sind die Mitgliedstaaten berechtigt, eine Inhaftnahme für den notwendigen Zeitraum zu veranlassen (und sollten dies auch tun), um sicherzustellen, dass das Rückführungsverfahren im Einklang mit den Bestimmungen des Artikels 8 der Rückführungsrichtlinie erfolgreich durchgeführt werden kann.

Auch wenn die Rückführungsrichtlinie eine unverbindliche Aufzählung beinhaltet („insbesondere“), decken diese beiden konkreten Fallkonstellationen die wichtigsten in der Praxis auftretenden Szenarien ab und können als Begründung für die Inhaftnahme zur Vorbereitung und Organisation der Rückkehr und zur Durchführung der Abschiebung herangezogen werden. Das Vorliegen eines speziellen Inhaftierungsgrunds und die Unmöglichkeit, wirksame und ausreichende weniger intensive Zwangsmaßnahmen anzuwenden, sind in jedem Fall individuell zu prüfen. Bei der Prüfung, ob Fluchtgefahr besteht und eine Inhaftnahme vorzunehmen ist, ist neben weiteren entsprechenden Anzeichen/Kriterien zu berücksichtigen, ob ein Einreiseverbot besteht, ein Eintrag zwecks Einreiseverbot im SIS vorliegt, Ausweispapiere fehlen, kein Wohnsitz nachweisbar ist und die rückzuführende Person es an Kooperationsbereitschaft mangeln lässt, sodass eine Inhaftnahme gegebenenfalls begründet ist (siehe Abschnitt 1.6).

Keine Inhaftnahme aus Gründen der öffentlichen Ordnung: Die Möglichkeit der Fortsetzung oder Verlängerung der Haft aus Gründen der öffentlichen Ordnung ist in der Rückführungsrichtlinie nicht vorgesehen, auch dürfen die Mitgliedstaaten die Inhaftnahme für die Zwecke der Abschiebung nicht in Form einer „Haft zu erleichterten Bedingungen“ durchführen. Mit der Inhaftnahme im Vorfeld der Abschiebung soll vor allem verhindert werden, dass rückzuführende Personen sich ihrer Rückkehrverpflichtung durch Flucht entziehen. Es ist nicht Ziel von Artikel 15, die Gesellschaft vor Personen zu schützen, die die öffentliche Ordnung oder Sicherheit gefährden. Das legitime Ziel des Schutzes der Gesellschaft sollte vielmehr in andere Rechtsvorschriften, insbesondere das Strafrecht, das Verwaltungsstrafrecht und die Rechtsvorschriften über die Beendigung des legalen Aufenthalts aus Gründen der öffentlichen Ordnung aufgenommen werden. Siehe dazu auch das Urteil des EuGH in der Rechtssache Kadzoev  (74) (C-357/09, Rn. 70): „Die Möglichkeit, eine Person aus Gründen der öffentlichen Ordnung und Sicherheit zu inhaftieren, kann ihre Grundlage nicht in der Richtlinie 2008/115/EG finden. Deshalb kann keiner der vom vorlegenden Gericht angeführten Gründe (aggressives Verhalten, keine eigenen Unterhaltsmittel, keine eigenen Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts, keine Unterkunft) für sich einen Haftgrund gemäß den Bestimmungen der Richtlinie bilden.“„Das die öffentliche Ordnung und Sicherheit gefährdende Verhalten einer Person in der Vergangenheit (beispielsweise der Verstoß gegen das Verwaltungsrecht in anderen Bereichen als dem Migrationsrecht oder Verstöße gegen das Strafrecht) kann jedoch bei der Beurteilung der Fluchtgefahr herangezogen werden (siehe Abschnitt 1.6): Legt dieses Verhalten den Schluss nahe, dass die betreffende Person aller Wahrscheinlichkeit rechtswidrig handeln und die Rückkehr/Rückführung umgehen wird, kann dies die Entscheidung rechtfertigen, dass Fluchtgefahr besteht.

Pflicht zur Schaffung von Alternativen zur Inhaftnahme: Artikel 15 Absatz 1 ist so auszulegen, dass jeder Mitgliedstaat in seinen nationalen Rechtsvorschriften Alternativen zur Inhaftnahme vorsehen muss; dies entspricht auch den Bedingungen von Erwägungsgrund 16 der Richtlinie („… wenn weniger intensive Zwangsmaßnahmen ihren Zweck nicht erfüllen“). In der Rechtssache El Dridi (C-61/11, Rn. 39) bestätigte der EuGH dies folgendermaßen: ‚… Hierzu ergibt sich aus dem 16. Erwägungsgrund der Richtlinie und aus dem Wortlaut ihres Art. 15 Abs. 1, dass die Mitgliedstaaten die Abschiebung unter Einsatz möglichst wenig intensiver Zwangsmaßnahmen vornehmen müssen. Nur wenn die Vollstreckung der Rückkehrentscheidung mittels Abschiebung nach einer anhand jedes Einzelfalls vorzunehmenden Beurteilung durch das Verhalten des Betroffenen gefährdet zu werden droht, können die Mitgliedstaaten ihm durch Inhaftnahme die Freiheit entziehen.“ Dies bedeutet jedoch nicht, dass ein Drittstaatsangehöriger zwingend in Haft zu nehmen ist, wenn gegen ihn bereits weniger intensive Zwangsmaßnahmen getroffen wurden.

Nach Artikel 15 Absatz 1 der Rückführungsrichtlinie müssen weniger intensive Zwangsmaßnahmen „ausreichen“ und es sollte möglich sein, diese „wirksam“ auf den betreffenden Drittstaatsangehörigen anzuwenden. Um seiner Verpflichtung zur Schaffung wirksamer Alternativen zur Inhaftnahme nachzukommen, muss der Mitgliedstaat Alternativen zur Inhaftnahme in den nationalen Rechtsvorschriften vorsehen, mithilfe derer die gleichen Ziele wie mit einer Inhaftnahme erreicht werden können (z. B. zur Verhinderung der Flucht oder dass der Drittstaatsangehörige die Rückkehr/Rückführung umgeht oder behindert) und gleichzeitig Maßnahmen anwenden, die das Grundrecht der Freiheit der Person weniger stark einschränken. Nationale Behörden, die über eine Inhaftnahme oder alternative Maßnahmen entscheiden, müssen in jedem Einzelfall prüfen, ob weniger intensive Zwangsmaßnahmen wirksam und ausreichend wären.

Zu den Alternativen zur Inhaftnahme gehören Aufenthaltsbeschränkungen, offene Häuser für Familien, Unterstützung durch Sachbearbeiter, regelmäßiges Melden, Überlassung des Ausweises/von Reisedokumenten, Bürgschaft und elektronische Überwachung. Der UNHCR führt einige praktische Beispiele bewährter Verfahren (75) als Alternativen zur Inhaftnahme an.

Vorteile und Risiken — Alternativen zur Inhaftnahme

Zu den Vorteilen von Alternativen zur Inhaftnahme gehören höhere Rückkehrquoten (einschließlich freiwillige Ausreise), bessere Zusammenarbeit mit den rückzuführenden Personen bei der Erlangung der erforderlichen Unterlagen, finanzielle Vorteile (geringere Kosten für den Staat) und geringere menschliche Kosten (Vermeidung haftbedingter Unannehmlichkeiten).

Die Risiken umfassen eine höhere Fluchtwahrscheinlichkeit, die potenzielle Schaffung von Pull-Faktoren (alternative Aufnahmeeinrichtungen wie Familienhäuser können sich für potenzielle illegale Einwanderer als attraktiv erweisen) und mögliche soziale Spannungen in der Nachbarschaft offener Zentren.

Empfehlung: Die Herausforderung besteht im Finden intelligenter Lösungen mit einer angemessenen Mischung aus belohnenden und abschreckenden Maßnahmen. Gibt es keinerlei Abschreckungsmaßnahmen, kann dies niedrige Abschiebungsquoten nach sich ziehen. Zugleich kann eine zu repressive Regelung mit systematischen Inhaftnahmen ebenfalls ineffizient sein, da für die rückzuführenden Personen kaum Anreize für Kooperationsbereitschaft im Rückführungs-/Rückkehrverfahren bestehen. Die Mitgliedstaaten sollen umfangreiche Alternativen ausarbeiten und anwenden, um die Situation verschiedener Kategorien von Drittstaatsangehörigen anzugehen. Als erfolgreich erwiesen hat sich eine maßgeschneiderte individuelle Betreuung, bei der die Betroffenen ihre Rückkehr/Rückführung selbst in die Hand nehmen können, sowie ein frühzeitiges Engagement und eine ganzheitliche Fallbearbeitung mit dem Fokus auf der Falllösung. Es sollte eine systematische horizontale Betreuung aller potenziellen Rückzuführenden angestrebt werden, bei der frühzeitig (und nicht erst nach Erlass eines Zwangsabschiebungsbescheids) eine Beratung zu den Möglichkeiten legalen Aufenthalts/Asyls sowie zu einer freiwilligen/erzwungenen Rückkehr erfolgt.

Weitere Klarstellung:

Personen, gegen die ein Rückkehrverfahren anhängig ist: Die formelle Bedingung in Artikel 15 Absatz 1 der Rückführungsrichtlinie, Drittstaatsangehöriger zu sein, „gegen den ein Rückkehrverfahren anhängig ist“, ist nicht dasselbe wie eine Person zu sein, gegen die „eine Rückkehrentscheidung ergehen kann“. Die Inhaftnahme kann bereits erfolgen — sofern alle Bedingungen von Artikel 15 erfüllt sind —, bevor eine formelle Rückkehrentscheidung getroffen wird (beispielsweise während die Vorbereitungen für die Rückkehrentscheidung noch laufen und noch keine Rückkehrentscheidung getroffen wurde).

Konkrete Beispiele:

Illegal aufhältige Drittstaatsangehörige können ihre Identität verheimlichen (nicht offenlegen), um ihre Abschiebung zu umgehen. Ist in diesem Fall die Fortsetzung der Haft zulässig, um Druck auf die betreffenden Drittstaatsangehörigen auszuüben, damit sie kooperieren und so ihre eigene Abschiebung ermöglichen?

Diese Art der Inhaftnahme ist in Artikel 15 Absatz 1 Buchstabe b der Rückführungsrichtlinie geregelt, in der „das Abschiebungsverfahren umgehen oder behindern“ ausdrücklich als Grund für die Inhaftnahme genannt wird. In Artikel 15 Absatz 6 Buchstabe a wird „mangelnde Kooperationsbereitschaft“ als einer der beiden Fälle genannt, in denen eine Verlängerung der Haftdauer um höchstens zwölf Monate gerechtfertigt ist, und als übergeordnetes Ziel dieser Art der Haft („Beugehaft“ oder „Durchsetzungshaft“) die Abschiebung — nicht die Bestrafung — angeführt. Selbstverständlich ist bei einer Inhaftnahme für die Zwecke der Abschiebung Artikel 15 Absatz 4 der Rückführungsrichtlinie einzuhalten: „Stellt sich heraus, dass aus rechtlichen oder anderweitigen Erwägungen keine hinreichende Aussicht auf Abschiebung mehr besteht oder dass die Bedingungen gemäß Absatz 1 nicht mehr gegeben sind, so ist die Haft nicht länger gerechtfertigt und die betreffende Person unverzüglich freizulassen.“ Dies bedeutet, dass in Fällen, in denen sich herausstellt, dass keine hinreichende Aussicht auf Abschiebung mehr besteht, die Haft zu beenden ist — wenn beispielsweise klar wird, dass die von einem Drittstaat auszustellenden Papiere zu spät eintreffen oder gar nicht ausgestellt werden, selbst wenn der Inhaftierte kooperationsbereit wäre.

Kann die Haft fortgesetzt werden, wenn eine rückzuführende Person einen Asylantrag stellt?

Die Antwort auf diese Frage liefert der EuGH in der Rechtssache Arslan  (76) (C-534/11, Rn. 49 und 63): „Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115/EG (ist) dahin auszulegen …, dass diese Richtlinie auf einen Drittstaatsangehörigen, der im Sinne der Richtlinie 2005/85/EG um internationalen Schutz ersucht hat, im Zeitraum zwischen der Antragstellung bis zum Erlass der erstinstanzlichen Entscheidung über diesen Antrag oder gegebenenfalls bis zur Entscheidung über einen allfälligen Rechtsbehelf gegen diese Entscheidung keine Anwendung findet.“„Die Richtlinie 2003/9/EG und die Richtlinie 2005/85/EG (stehen) dem nicht entgegen …, dass die Inhaftierung eines Drittstaatsangehörigen, der im Sinne der Richtlinie 2005/85EG um internationalen Schutz ersucht hat, nachdem er gemäß Art. 15 der Richtlinie 2008/115/EG in Haft genommen worden war, auf der Grundlage einer nationalen Rechtsvorschrift aufrechterhalten wird, wenn sich nach einer fallspezifischen Beurteilung sämtlicher relevanter Umstände herausstellt, dass dieser Antrag einzig und allein zu dem Zweck gestellt wurde, den Vollzug der Rückführungsentscheidung zu verzögern oder zu gefährden, und es objektiv erforderlich ist, dieHaftmaßnahme aufrechtzuerhalten, um zu verhindern, dass sich der Betreffende endgültig seiner Rückführung entzieht.“ Hinweis: Der Verweis auf eine „nationale Rechtsvorschrift“ bezieht sich auf die die Inhaftnahme als Asylbewerber betreffenden nationalen Rechtsvorschriften, mit denen — gegebenenfalls — die haftbezogenen Anforderungen des EU-Asylrechts umgesetzt werden.

14.2.   Form und erste Überprüfung der Inhaftnahme

Rechtsgrundlage: Rückführungsrichtlinie — Artikel 15 Absatz 2

Die Inhaftnahme wird von einer Verwaltungs- oder Justizbehörde angeordnet.

Die Inhaftnahme wird schriftlich unter Angabe der sachlichen und rechtlichen Gründe angeordnet.

Wurde die Inhaftnahme von einer Verwaltungsbehörde angeordnet, so gilt Folgendes:

a)

entweder lässt der betreffende Mitgliedstaat die Rechtmäßigkeit der Inhaftnahme so schnell wie möglich nach Haftbeginn innerhalb kurzer Frist gerichtlich überprüfen,

b)

oder der Mitgliedstaat räumt den betreffenden Drittstaatsangehörigen das Recht ein zu beantragen, dass die Rechtmäßigkeit der Inhaftnahme innerhalb kurzer Frist gerichtlich überprüft wird, wobei so schnell wie möglich nach Beginn des betreffenden Verfahrens eine Entscheidung zu ergehen hat. In einem solchen Fall unterrichtet der Mitgliedstaat die betreffenden Drittstaatsangehörigen unverzüglich über die Möglichkeit, einen solchen Antrag zu stellen.

Ist die Inhaftnahme nicht rechtmäßig, so werden die betreffenden Drittstaatsangehörigen unverzüglich freigelassen.

Justizbehörden können, müssen aber nicht notwendigerweise Richter angehören. Gemäß der einschlägigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte müssen sie Merkmale der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit aufweisen und Rechtsgarantien eines kontradiktorischen Verfahrens bieten.

Umfang der gerichtlichen Überprüfung: Bei der Überprüfung sind sämtliche in Artikel 15 der Rückführungsrichtlinie genannten Aspekte zu prüfen, sowohl die rechtlichen Fragen (etwa die Ordnungsmäßigkeit des Haftverfahrens und der Haftanordnung aus verfahrensrechtlicher/rechtlicher Sicht) als auch die Tatsachen (beispielsweise die persönliche Lage des Inhaftierten, familiäre Bindungen im betreffenden Land, Garantien für die Ausreise aus dem jeweiligen Hoheitsgebiet, hinreichende Aussicht auf Abschiebung).

Maximale Dauer der „innerhalb kurzer Frist“ vorzunehmenden gerichtlichen Überprüfung: Die Rückführungsrichtlinie orientiert sich am Wortlaut von Artikel 5 Absatz 4 der EMRK, wonach die Überprüfung durch ein Gericht „innerhalb kurzer Frist“ durchzuführen ist. In der einschlägigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte wird klargestellt, dass die zulässige Höchstdauer (etwa ein angemessener Zeitraum) nicht abstrakt festgelegt werden kann. Sie muss vor dem Hintergrund eines jeden Falls individuell festgelegt werden, wobei die Komplexität des Verfahrens sowie das Verhalten der Behörden und des Antragstellers zu berücksichtigen sind. In weniger als einer Woche eine Entscheidung zu treffen, kann hier sicherlich als bewährtes Verfahren gelten, das der rechtlichen Anforderung der kurzen Frist entspricht.

Das Erfordernis der Vorlage der Entscheidung in Schriftform gilt auch für Entscheidungen über die Haftverlängerung: Das Erfordernis, eine mit Gründen versehene Entscheidung schriftlich zu erlassen, gilt auch für Entscheidungen über die Haftverlängerung. In der Rechtssache Mahdi (C-146/14) stellte der EuGH in Rn. 44 ausdrücklich Folgendes klar: „Dieses Erfordernis des Erlasses einer schriftlichen Entscheidung ist so zu verstehen, dass es sich zwangsläufig auf jede Entscheidung über die Haftverlängerung bezieht, denn zum einen sind die Inhaftnahme und die Haftverlängerung vergleichbar, weil dem betreffenden Drittstaatsangehörigen durch beide zur Vorbereitung seiner Rückführung und/oder zur Durchführung seiner Abschiebung die Freiheit entzogen wird, und zum anderen muss dieser Drittstaatsangehörige in beiden Fällen in der Lage sein, die Gründe für die ihm gegenüber getroffene Entscheidung zu erfahren.“

Sämtliche mit dem Recht auf Anhörung verbundenen Garantien gelten für Haftentscheidungen und Entscheidungen über die Haftverlängerung. Die Missachtung dieses Rechts macht eine Entscheidung jedoch nur ungültig, wenn das Ergebnis des Verfahrens bei Erfüllung dieses Rechts ein anderes gewesen wäre. Sie dazu das Urteil des EuGH in der Rechtssache G. und R. (C-383/13): „…das Unionsrecht, insbesondere Art. 15 Abs. 2 und 6 der Richtlinie 2008/115, (ist) dahin auszulegen …, dass das nationale Gericht, das mit der Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer in einem Verwaltungsverfahren unter Missachtung des Anspruchs auf rechtliches Gehör beschlossenen Verlängerung einer Haftmaßnahme betraut ist, die Haftmaßnahme nur dann aufheben darf, wenn es aufgrund aller tatsächlichen und rechtlichen Umstände des jeweiligen Falles der Ansicht ist, dass dieser Verstoß demjenigen, der sich darauf beruft, tatsächlich die Möglichkeit genommen hat, sich in solchem Maße besser zu verteidigen, dass dieses Verwaltungsverfahren zu einem anderen Ergebnis hätte führen können.“ (Siehe Abschnitt 12).

14.3.   Regelmäßige Überprüfung der Inhaftnahme

Rechtsgrundlage: Rückführungsrichtlinie — Artikel 15 Absatz 3

Die Inhaftnahme wird in jedem Fall — entweder auf Antrag der betreffenden Drittstaatsangehörigen oder von Amts wegen — in gebührenden Zeitabständen überprüft.

Nach Artikel 15 Absatz 3 erster Satz ist eine schriftliche Überprüfungsentscheidung nicht erforderlich: Dies wurde im Urteil des EuGH in der Rechtssache Mahdi (C-146/14, Rn. 47) klargestellt: „Art. 15 der Richtlinie 2008/115/EG verlangt jedoch nicht, dass eine schriftliche ‚Maßnahme der Überprüfung‘ erlassen wird … Die Behörden, die die Inhaftnahme eines Drittstaatsangehörigen gemäß Art. 15 Abs. 3 Satz 1 dieser Richtlinie in gebührenden Zeitabständen überprüfen, sind nicht verpflichtet, bei jeder Überprüfung eine ausdrückliche Maßnahme zu erlassen, die in schriftlicher Form ergeht und eine Darstellung ihrer tatsächlichen und rechtlichen Gründe enthält.“ Es steht den Mitgliedstaaten jedoch frei, entsprechend ihrem nationalen Recht eine schriftliche Überprüfungsentscheidung zu treffen.

Kombinierte Entscheidungen über die Überprüfung und Verlängerung der Haft müssen schriftlich erlassen werden: In seinem Urteil in der Rechtssache Mahdi (C-146/14) stellte der EuGH in Rn. 48 ausdrücklich Folgendes klar: „In einem solchen Fall erfolgen die Überprüfung der Inhaftnahme und der Erlass einer Entscheidung über die Fortdauer der Haft im selben Verfahrensabschnitt. Folglich muss diese Entscheidung die Erfordernisse des Art. 15 Abs. 2 der Richtlinie 2008/115/EG erfüllen.“

Bei längerer Haftdauer müssen die Überprüfungen der Aufsicht einer Justizbehörde unterliegen.

Bedeutung der „längeren Haftdauer“: Artikel 15 Absatz 3 Satz 2 der Rückführungsrichtlinie schreibt bei „längerer Haftdauer“ eine Aufsicht einer Justizbehörde von Amts wegen vor. Dies bedeutet, dass die Justizbehörden auch in den Fällen tätig werden müssen, in denen die betreffende Person keine Berufung eingelegt hat. Anhand eines Vergleichs des Begriffs „prolonged detention“ in verschiedenen Sprachen (DE: „Bei längerer Haftdauer“; FR: „En cas de périodes de rétention prolongées“; NL: „In het geval van een lange periode van bewaring“; ES: „En caso de periodos de internamiento prolongados“; IT: „Nel caso di periodi di trattenimento prolungati“) wird deutlich, dass er im Wesentlichen eine lange Haftdauer bezeichnet, unabhängig davon, ob bereits eine formelle Entscheidung über die Haftverlängerung getroffen wurde. Nach Ansicht der Kommission ist ein zeitlicher Abstand von sechs Monaten bis zur ersten gerichtlichen Überprüfung der Haftentscheidung von Amts wegen sicherlich zu lang, während drei Monate die Untergrenze dessen darstellen, was noch mit Artikel 15 Absatz 3 der Richtlinie vereinbar ist, sofern auch die Möglichkeit besteht, auf Antrag gegebenenfalls individuelle Überprüfungen vorzunehmen.

Befugnisse der überwachenden Justizbehörde: Ein Überprüfungsmechanismus, bei dem nur rechtliche Fragen und keine Tatsachenfragen geprüft werden, reicht nicht aus. Die Justizbehörde muss befugt sein, sowohl zu den Tatsachenfragen als auch zu den rechtlichen Fragen Entscheidungen zu treffen. Siehe dazu das Urteil des EuGH in der Rechtssache Mahdi (C-146/14, Rn. 62): „… die zuständige Justizbehörde (muss) in der Lage sein, die Entscheidung der Verwaltungsbehörde oder gegebenenfalls der Justizbehörde, die die erstmalige Inhaftnahme angeordnet hat, durch ihre eigene Entscheidung zu ersetzen und über die Möglichkeit zu befinden, eine Ersatzmaßnahme oder die Freilassung des betreffenden Drittstaatsangehörigen anzuordnen. Zu diesem Zweck muss die Justizbehörde, die über einen Antrag auf Haftverlängerung entscheidet, in der Lage sein, sowohl die tatsächlichen Umstände und Beweise zu berücksichtigen, die von der Verwaltungsbehörde angeführt werden, die die erstmalige Inhaftnahme angeordnet hat, als auch jede etwaige Stellungnahme des Drittstaatsangehörigen. Außerdem muss es ihr möglich sein, jeden anderen für ihre Entscheidung relevanten Umstand zu ermitteln, falls sie dies für erforderlich hält…“

14.4.   Beendigung der Inhaftnahme

Rechtsgrundlage: Rückführungsrichtlinie — Artikel 15 Absätze 4 bis 6

4.

Stellt sich heraus, dass aus rechtlichen oder anderweitigen Erwägungen keine hinreichende Aussicht auf Abschiebung mehr besteht oder dass die Bedingungen gemäß Absatz 1 nicht mehr gegeben sind, so ist die Haft nicht länger gerechtfertigt und die betreffende Person unverzüglich freizulassen.

5.

Die Haft wird so lange aufrechterhalten, wie die in Absatz 1 dargelegten Umstände gegeben sind und wie dies erforderlich ist, um den erfolgreichen Vollzug der Abschiebung zu gewährleisten. Jeder Mitgliedstaat legt eine Höchsthaftdauer fest, die sechs Monate nicht überschreiten darf.

6.

Die Mitgliedstaaten dürfen den in Absatz 5 genannten Zeitraum nicht verlängern; lediglich in den Fällen, in denen die Abschiebungsmaßnahme trotz ihrer angemessenen Bemühungen aufgrund der nachstehend genannten Faktoren wahrscheinlich länger dauern wird, dürfen sie diesen Zeitraum im Einklang mit dem einzelstaatlichen Recht um höchstens zwölf Monate verlängern:

a)

mangelnde Kooperationsbereitschaft seitens der betroffenen Drittstaatsangehörigen oder

b)

Verzögerungen bei der Übermittlung der erforderlichen Unterlagen durch Drittstaaten.

Unter bestimmten Umständen ist die Haft zu beenden und die rückzuführende Person freizulassen, insbesondere wenn

aus rechtlichen oder anderweitigen Erwägungen keine hinreichende Aussicht auf Abschiebung mehr besteht;

die Abschiebungsvorkehrungen von den Behörden nicht ordnungsgemäß weiterverfolgt werden;

die Höchsthaftdauer erreicht ist.

Darüber hinaus sollte im Einzelfall die Haft beendet werden, wenn sich geeignete Alternativen bieten.

14.4.1.   Fehlende hinreichende Aussicht auf Abschiebung

Fehlende hinreichende Aussicht auf Abschiebung: In seinem Urteil in der Rechtssache Kadzoev (C-357/09, Rn. 67) lieferte der EuGH folgende klärende Auslegung des Begriffs „hinreichende Aussicht“: „… nur eine tatsächliche Aussicht auf erfolgreichen Vollzug der Abschiebung unter Berücksichtigung der in Art. 15 Abs. 5 und 6 festgelegten Zeiträume (stellt) eine hinreichende Aussicht auf Abschiebung dar… (Hinreichende Aussicht) besteht (nicht), wenn es wenig wahrscheinlich erscheint, dass der Betreffende unter Berücksichtigung der genannten Zeiträume in einem Drittstaat aufgenommen wird.“

Eine „fehlende hinreichende Aussicht“ ist nicht dasselbe wie die „Unmöglichkeit des Vollzugs“: Die „Unmöglichkeit des Vollzugs“ ist eine kategorischere Behauptung und schwieriger nachzuweisen als die „fehlende hinreichende Aussicht“, die sich nur auf ein gewisses Maß an Wahrscheinlichkeit bezieht.

Bei der Beurteilung der „hinreichenden Aussicht auf Abschiebung“ zu berücksichtigende Haftzeiten: Da in Artikel 15 (sowie in Erwägungsgrund 6) der Rückführungsrichtlinie eine konkrete Einzelfallbeurteilung zur Bestimmung der Verhältnismäßigkeit des Freiheitsentzugs in den Mittelpunkt gestellt wird, ist im konkreten Fall stets die Höchsthaftdauer des betroffenen Drittstaatsangehörigen zu berücksichtigen. Folglich ist die im nationalen Recht des betreffenden Mitgliedstaats vorgeschriebene maximale Dauer maßgeblich. Dies bedeutet daher auch, dass eine rückzuführende Person in einem Mitgliedstaat nicht in Haft genommen werden sollte, wenn es von Anfang an unwahrscheinlich ist, dass sie innerhalb der nach den Rechtsvorschriften dieses Staates geltenden maximalen Haftdauer in einem Drittstaat aufgenommen wird. (In der Rechtssache Kadzoev (C-357/09) bezog sich der EuGH auf die maximale Haftdauer gemäß der Richtlinie, da diese genau der in den Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats geltenden maximalen Haftdauer entsprach.)

Die Kommission empfiehlt eine anfängliche Höchsthaftdauer von sechs Monaten, die nach den jeweiligen Umständen des Falls angepasst und in gebührenden Zeitabständen unter der Aufsicht einer Justizbehörde überprüft und in den in Artikel 15 Absatz 6 der Rückführungsrichtlinie genannten Fällen auf bis zu 18 Monate verlängert werden kann.

Sobald die Höchsthaftdauer erreicht ist, ist Artikel 15 Absatz 4 der Rückführungsrichtlinie nicht mehr anwendbar und die betreffende Person in jedem Fall unverzüglich freizulassen. Siehe dazu das Urteil des EuGH in der Rechtssache Kadzoev (C-357/09, Rn. 60 und 61): „Wenn die in Art. 15 Abs. 6 der Richtlinie 2008/115/EG vorgesehene maximale Haftdauer erreicht ist, stellt sich nicht die Frage, ob keine ‚hinreichende Aussicht auf Abschiebung‘ im Sinne von Art. 15 Abs. 4 mehr besteht. In einem solchen Fall muss die betreffende Person nämlich auf jeden Fall unverzüglich freigelassen werden. Art. 15 Abs. 4 der Richtlinie 2008/115/EG ist daher nur anwendbar, soweit die in Art. 15 Abs. 5 und 6 der Richtlinie vorgesehenen maximalen Haftzeiträume nicht abgelaufen sind.“

Weitere Klarstellung:

Die besondere Lage von Staatenlosen, die gegebenenfalls keine konsularische Unterstützung von Drittstaaten im Hinblick auf die Erlangung gültiger Ausweispapiere oder Reisedokumente erhalten, sollte beachtet werden. In Anbetracht des Urteils des EuGH in der Rechtssache C-457/09, Kadzoev, sollten die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass eine hinreichende Aussicht auf Abschiebung besteht, die eine Inhaftnahme oder deren Verlängerung rechtfertigt.

Darf die Haft verlängert werden, wenn der Drittstaatsangehörige in dieser Zeit aufgrund des Grundsatzes der Nichtzurückweisung vor einer Abschiebung geschützt ist?

Wird die Abschiebung unwahrscheinlich (beispielsweise aufgrund einer wahrscheinlich dauerhaft bestehenden Nichtzurückweisung), sind die Drittstaatsangehörigen nach Artikel 15 Absatz 4 der Rückführungsrichtlinie freizulassen. Gilt die Nichtzurückweisung nur begrenzt und vorübergehend (beispielsweise wenn das Bestimmungsland in Kürze wahrscheinlich eine glaubwürdige diplomatische Zusicherung ausstellen wird oder die betreffende Person vorübergehend eine lebensnotwendige medizinische Behandlung benötigt, die im Bestimmungsland nicht zur Verfügung steht), kann die Haft verlängert werden — sofern noch eine hinreichende Aussicht auf Abschiebung besteht.

14.4.2.   Erreichen der maximalen Haftdauer

Nach Artikel 15 Absätze 5 und 6 der Rückführungsrichtlinie sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, in ihren nationalen Rechtsvorschriften (77) eine Höchsthaftdauer festzulegen, die sechs Monate (in regulären Fällen) bzw. 18 Monate nicht überschreiten darf (in zwei konkreten Fällen: bei mangelnder Kooperationsbereitschaft seitens der rückzuführenden Person oder bei Verzögerungen bei der Übermittlung der erforderlichen Unterlagen durch Drittstaaten).

Die kürzere Höchsthaftdauer nach nationalem Recht hat Vorrang vor den in der Rückführungsrichtlinie vorgesehenen sechs/achtzehn Monaten: Bei der Bearbeitung konkreter Fälle ist die im nationalen Recht (in Übereinstimmung mit derRückführungsrichtlinie) vorgeschriebene Höchsthaftdauer und nicht die in der Rückführungsrichtlinie festgelegte Höchstdauer anzuwenden. Folglich kann ein Mitgliedstaat, der für nicht kooperationsbereite rückzuführende Personen eine nationale Höchsthaftdauer von beispielsweise 60 Tagen festgelegt hat, diese nicht länger als 60 Tage inhaftieren, obwohl in Artikel 15 Absatz 6 bis zu 18 Monate vorgesehen sind.

In nationalen Rechtsvorschriften sollte eine Höchsthaftdauer vorgesehen werden, damit die zuständigen nationalen Behörden alle erforderlichen Maßnahmen zur Vollstreckung der Rückkehrentscheidung ergreifen können, und somit die notwendigen Verfahren für eine erfolgreiche Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger abgeschlossen und die Rückübernahme im Bestimmungsdrittland gewährleistet werden. Die Kommission empfiehlt den Mitgliedstaaten, die Zeitspannen nach Artikel 15 der Rückführungsrichtlinie anzuwenden, der eine Höchsthaftdauer von sechs Monaten vorsieht und eine Verlängerung der Inhaftnahme auf bis zu 18 Monaten in Fällen nach Artikel 15 Absatz 6 dieser Richtlinie gestattet. Es sei daran erinnert, dass die tatsächliche Haftdauer auf Einzelfallbasis festzulegen und der Rückzuführende freizulassen ist, wenn die Bedingungen für die Inhaftnahme (beispielsweise eine hinreichende Aussicht auf Abschiebung) nicht mehr gegeben sind.

Beispiele für Gründe, die eine längere Haftdauer nach Artikel 15 Absatz 6 rechtfertigen/nicht rechtfertigen:

Das Fehlen von Identitätsdokumenten an sich rechtfertigt keine längere Haftdauer. Siehe dazu das Urteil in der Rechtssache Mahdi (C-146/14, Rn. 73): „… der Umstand, dass der betreffende Drittstaatsangehörige keine Identitätsdokumente besitzt, (kann) nicht bereits eine Haftverlängerung nach Art. 15 Abs. 6 der Richtlinie 2008/115/EG rechtfertigen.“

Mangelnde Kooperationsbereitschaft bei der Erlangung von Identitätsdokumenten kann eine längere Haftdauer rechtfertigen, wenn ein kausaler Zusammenhang zwischen der mangelnden Kooperationsbereitschaft und dem Verbleib im Aufnahmeland besteht. Siehe dazu das Urteil des EuGH in der Rechtssache Mahdi (C-146/14, Rn. 85): „nur dann, … wenn die Prüfung des Verhaltens des Drittstaatsangehörigen während der Haft ergibt, dass er nicht bei der Durchführung der Abschiebung kooperiert hat und dass diese wegen dieses Verhaltens wahrscheinlich länger dauern wird als vorgesehen …“

Weitere Klarstellung:

 

Berücksichtigung der Haftzeiten als Asylbewerber: Bei der Berechnung der Dauer der Inhaftierung für die Zwecke der Abschiebung brauchen Haftzeiten als Asylbewerber nicht berücksichtigt zu werden, da für die Inhaftnahme für die Zwecke der Abschiebung und die Ingewahrsamnahme von Asylbewerbern unterschiedliche Rechtsvorschriften und Regelungen gelten. Siehe dazu das Urteil des EuGH in der Rechtssache Kadzoev (C-357/09, Rn. 45 und 48): „Die Inhaftierung für die Zwecke der Abschiebung gemäß der Richtlinie 2008/115/EG und die Ingewahrsamnahme eines Asylbewerbers insbesondere gemäß den Richtlinien 2003/9/EG und 2005/85/EG sowie den anwendbaren nationalen Vorschriften unterliegen somit unterschiedlichen rechtlichen Regelungen. Folglich (ist) … die Zeit, während deren eine Person auf der Grundlage einer gemäß den nationalen und den gemeinschaftlichen Bestimmungen über Asylbewerber getroffenen Entscheidung in einem Zentrum für die vorübergehende Unterbringung untergebracht war, nicht als Inhaftierung für die Zwecke der Abschiebung im Sinne von Art. 15 der Richtlinie 2008/115/EG anzusehen …“

 

Unter Randnummer 47 heißt es weiter: „Sollte sich herausstellen, dass im Rahmen der Verfahren, die auf die in Randnr. 19 des vorliegenden Urteils erwähnten Asylanträge von Herrn Kadzoev hin eingeleitet wurden, keine Entscheidung bezüglich der Unterbringung von Herrn Kadzoev im Zentrum für die vorübergehende Unterbringung getroffen wurde und dass seine Haft damit auf die frühere nationale Regelung über die Inhaftierung für die Zwecke der Abschiebung oder die Regelung der Richtlinie 2008/115/EG gestützt blieb, müsste die der Dauer dieser Asylverfahren entsprechende Haftzeit von Herrn Kadzoev bei der Berechnung der in Art. 15 Abs. 5 und 6 der Richtlinie 2008/115/EG genannten Dauer der Inhaftierung für die Zwecke der Abschiebung berücksichtigt werden.“

 

Berücksichtigung von Haftzeiten während der Vorbereitung einer Überstellung nach der Dublin-Verordnung: Hier gilt dieselbe Herangehensweise wie oben (in Bezug auf Zeiten der Ingewahrsamnahme als Asylbewerber).

 

Berücksichtigung von Haftzeiten, die während eines Rechtsbehelfs mit aufschiebender Wirkung zurückgelegt werden: Diese Zeiten müssen berücksichtigt werden (siehe Urteil des EuGH in der Rechtssache Kadzoev (C-357/09, Rn. 53-54). „Die Haftzeit, die die betreffende Person während des Verfahrens zurücklegt, in dem die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsentscheidung gerichtlich überprüft wird, ist … bei der Berechnung der in Art. 15 Abs. 5 und 6 der Richtlinie 2008/115/EG vorgesehenen maximalen Haftdauer zu berücksichtigen. Andernfalls könnte die Dauer der Inhaftierung für die Zwecke der Abschiebung von einem Fall zum anderen im selben Mitgliedstaat oder aber von einem Mitgliedstaat zum anderen aufgrund der jeweiligen Besonderheiten und Umstände der nationalen Gerichtsverfahren schwanken — unter Umständen erheblich —, was dem Ziel von Art. 15 Abs. 5 und 6 der Richtlinie 2008/115/EG zuwiderliefe, eine allen Mitgliedstaaten gemeinsame maximale Haftdauer zu gewährleisten.“

 

Berücksichtigung von in (einem anderen) Mitgliedstaat A für die Zwecke der Abschiebung zurückgelegten Haftzeiten, an die sich direkt eine Inhaftnahme vor der Abschiebung in Mitgliedstaat B anschließt (eine solche Situation kann beispielsweise entstehen, wenn ein Drittstaatsangehöriger im Rahmen eines bilateralen Rückübernahmeabkommens nach Artikel 6 Absatz 3 der Rückführungsrichtlinie von Mitgliedstaat A nach Mitgliedstaat B überstellt wird): Nach Ansicht der Kommission sollte die absolute Grenze von 18 Monaten ununterbrochener Inhaftnahme vor der Abschiebung in Anbetracht der notwendigen Einhaltung des Effektivitätsgrundsatzes der in Artikel 15 Absatz 6 der Rückführungsrichtlinie festgelegten Höchsthaftdauer nicht überschritten werden. Die Fragen des Informationsaustauschs zwischen den betreffenden Mitgliedstaaten über in dem anderen Mitgliedstaat bereits zurückgelegte Haftzeiten sowie der Möglichkeit, dass Mitgliedstaat B die Überstellung von Mitgliedstaat A ablehnt, wenn Mitgliedstaat A den entsprechenden Antrag mit übermäßiger Verzögerung stellt, sollten in den einschlägigen bilateralen Rückübernahmeabkommen geregelt werden.

 

Berücksichtigung von vor Inkrafttreten der Bestimmungen der Rückführungsrichtlinie zurückgelegten Haftzeiten: Diese Zeiten müssen berücksichtigt werden (siehe Urteil des EuGH in der Rechtssache Kadzoev, C-357/09, Rn. 36-38).

14.5.   Erneute Inhaftnahme von rückzuführenden Personen

Die in der Rückführungsrichtlinie vorgesehene Höchsthaftdauer darf nicht durch eine erneute Inhaftnahme von rückzuführenden Personen unmittelbar nach deren Freilassung aus der Haft untergraben werden.

Eine erneute Inhaftnahme einer Person zu einem späteren Zeitpunkt ist nur zulässig, wenn sich die maßgeblichen Umstände wesentlich geändert haben (zum Beispiel durch die Ausstellung der erforderlichen Papiere durch den Drittstaat oder die Verbesserung der Lage im Herkunftsland, die eine sichere Rückkehr ermöglicht), wenn diese Änderung eine „hinreichende Aussicht auf Abschiebung“ gemäß Artikel 15 Absatz 4 der Rückführungsrichtlinie eröffnet und alle anderen Bedingungen für eine Inhaftnahme nach Artikel 15 der Richtlinie erfüllt sind.

14.6.   Anwendung weniger intensiver Zwangsmaßnahmen nach Beendigung der Haft

Weniger intensive Zwangsmaßnahmen, wie die regelmäßige Meldepflicht bei den Behörden, die Hinterlegung einer angemessenen finanziellen Sicherheit, die Überlassung von Papieren oder die Verpflichtung, sich an einem bestimmten Ort aufzuhalten, können so lange und in dem Umfang auferlegt werden, wie sie noch als „erforderliche Maßnahme“ zur Vollstreckung der Rückführung angesehen werden können. Während für weniger intensive Zwangsmaßnahmen keine absolute Höchstdauer festgelegt ist, sollten Umfang und Dauer solcher Maßnahmen gründlich auf ihre Verhältnismäßigkeit hin geprüft werden.

Ähneln die Art und Intensität einer weniger intensiven Zwangsmaßnahme zudem einem Freiheitsentzug oder kommen sie diesem gleich (wie die Pflicht zum uneingeschränkten Aufenthalt in einer bestimmten Einrichtung, ohne diese verlassen zu können), so ist dies de facto als Fortsetzung der Haft anzusehen, und es gelten die Fristen nach Artikel 15 Absätze 5 und 6 der Rückführungsrichtlinie.

15.   HAFTBEDINGUNGEN

Rechtsgrundlage: Rückführungsrichtlinie — Artikel 16

1.

Die Inhaftierung erfolgt grundsätzlich in speziellen Hafteinrichtungen. Sind in einem Mitgliedstaat solche speziellen Hafteinrichtungen nicht vorhanden und muss die Unterbringung in gewöhnlichen Haftanstalten erfolgen, so werden in Haft genommene Drittstaatsangehörige gesondert von den gewöhnlichen Strafgefangenen untergebracht.

2.

In Haft genommenen Drittstaatsangehörigen wird auf Wunsch gestattet, zu gegebener Zeit mit Rechtsvertretern, Familienangehörigen und den zuständigen Konsularbehörden Kontakt aufzunehmen.

3.

Besondere Aufmerksamkeit gilt der Situation schutzbedürftiger Personen. Medizinische Notfallversorgung und die unbedingt erforderliche Behandlung von Krankheiten wird gewährt.

4.

Einschlägig tätigen zuständigen nationalen und internationalen Organisationen sowie nicht-staatlichen Organisationen wird ermöglicht, in Absatz 1 genannte Hafteinrichtungen zu besuchen, soweit diese Einrichtungen für die Inhaftnahme von Drittstaatsangehörigen gemäß diesem Kapitel genutzt werden. Solche Besuche können von einer Genehmigung abhängig gemacht werden.

5.

In Haft genommene Drittstaatsangehörige müssen systematisch Informationen erhalten, in denen die in der Einrichtung geltenden Regeln erläutert und ihre Rechte und Pflichten dargelegt werden. Diese Information schließt eine Unterrichtung über ihren nach einzelstaatlichem Recht geltenden Anspruch auf Kontaktaufnahme mit den in Absatz 4 genannten Organisationen und Stellen ein.

15.1.   Anfängliche Ingewahrsamnahme

Die anfängliche Ingewahrsamnahme durch die Polizei zu Identifikationszwecken ist durch das national Recht geregelt, worauf in Erwägungsgrund 17 der Rückführungsrichtlinie ausdrücklich hingewiesen wird: „Unbeschadet desursprünglichen Aufgriffs durch Strafverfolgungsbehörden, für den einzelstaatliche Rechtsvorschriften gelten, sollte die Inhaftierung grundsätzlich in speziellen Hafteinrichtungen erfolgen.“ Damit ist klargestellt, dass während einer Anfangszeit das einzelstaatliche Recht weiterhin gelten kann. Obwohl rechtlich nicht dazu verpflichtet, sollten die Mitgliedstaaten trotzdem bereits in dieser Phase dafür sorgen, dass Drittstaatsangehörige gesondert von den gewöhnlichen Strafgefangenen untergebracht werden.

Dauer der Phase des ursprünglichen Aufgriffs, während der verdächtige irreguläre Migranten in Polizeigewahrsam gehalten werden können: Eine kurze, jedoch angemessene Zeit, um die Identität der kontrollierten Personen festzustellen und um die Fakten zu recherchieren, auf deren Grundlage entschieden werden kann, ob es sich um einen illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen handelt. Siehe dazu das Urteil des EuGH in der Rechtssache Achughbabian (C-329/11, Rn. 31): „Zu berücksichtigen ist dabei, dass die zuständigen Behörden über eine zwar kurze, aber angemessene Zeit verfügen müssen, um die Identität der kontrollierten Personen festzustellen und um die Fakten zu recherchieren, auf deren Grundlage entschieden werden kann, ob es sich bei dieser Person um einen illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen handelt. Die Feststellung des Namens und der Staatsangehörigkeit kann sich bei mangelnder Kooperationsbereitschaft des Betroffenen als schwierig erweisen. Die Prüfung, ob ein illegaler Aufenthalt vorliegt, kann sich ebenfalls als sehr komplex erweisen, insbesondere, wenn der Betroffene den Status eines Asylbewerbers oder eines Flüchtlings geltend macht. Dabei sind die zuständigen Behörden verpflichtet, zügig zu handeln, um nicht, wie in der vorangehenden Randnummer ausgeführt, das Ziel der Richtlinie 2008/115/EG zu gefährden, und sie müssen umgehend darüber entscheiden, ob der Aufenthalt der betroffenen Person illegal ist oder nicht.“ Obwohl im Einzelnen kein verbindlicher Zeitrahmen festgelegt ist, fordert die Kommission die Mitgliedstaaten auf, dafür Sorge zu tragen, dass irreguläre Migranten normalerweise innerhalb von 48 Stunden nach Aufgriff in eine spezielle Hafteinrichtung überstellt werden (im Ausnahmefall können bei abgelegenen Standorten längere Zeiten zulässig sein).

15.2.   Grundsätzliche Nutzung spezieller Einrichtungen

Die Nutzung spezieller Einrichtungen ist die allgemeine Regel: Rückzuführende sind keine Straftäter und verdienen eine andere Behandlung als gewöhnliche Strafgefangene, weshalb die Rückführungsrichtlinie grundsätzlich eine Unterbringung in speziellen Einrichtungen vorsieht. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, illegal aufhältige Drittstaatsangehörige für die Zwecke der Abschiebung in speziellen Hafteinrichtungen und nicht in gewöhnlichen Haftanstalten zu inhaftieren. Im Zusammenhang damit sind die Mitgliedstaaten verpflichtet sicherzustellen, dass in speziellen Einrichtungen ausreichende Kapazitäten zur Verfügung stehen; sie müssen daher die Haftkapazitäten mit den tatsächlichen Bedürfnissen in Einklang bringen und für angemessene materielle Haftbedingungen sorgen.

Ausnahmen von der allgemeinen Regel: Die in Artikel 16 Absatz 1 der Rückführungsrichtlinie vorgesehene Ausnahmeregelung, wonach Abschiebungshäftlinge in Ausnahmefällen auch in gewöhnlichen Haftanstalten untergebracht werden können, ist eng auszulegen. Ausdrücklich bestätigt wurde dies vom EuGH in den verbundenen Rechtssachen Bero (C-473/13) und Bouzalmate  (78) (C-514/13) (Rn. 25): „Art. 16 Abs. 1 Satz 2 sieht eine Ausnahme von diesem Grundsatz vor, die als solche eng auszulegen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil Kamberaj, C-571/10, EU:C:2012:233, Rn. 86)“. Wird von dieser Ausnahme Gebrauch gemacht, so ist das Augenmerk in vollem Umfang auf die Grundrechte zu richten, aber auch Aspekte wie Überbelegung, Vermeidung wiederholter Überstellungen und mögliche negative Auswirkungen auf das Wohlbefinden des Rückzuführenden insbesondere im Falle schutzbedürftiger Personen sind gebührend zu berücksichtigen.

Unvorhersehbare sprunghafte Anstiege bei den Inhaftiertenzahlen: Die in Artikel 16 Absatz 1 der Rückführungsrichtlinie enthaltene Ausnahmeregelung kann angewandt werden, wenn sich aufgrund unvorhersehbarer quantitativer Schwankungen bei den illegalen Migrationsströmen — was dieser Erscheinung durchaus eigen ist — auch die Zahl der Inhaftierten sprunghaft erhöht (dabei jedoch noch keine „Notlage“ entsteht, die durch Artikel 18 der Rückführungsrichtlinie ausdrücklich geregelt wird) und die Unterbringung der Inhaftierten in speziellen Einrichtungen auch für einen Mitgliedstaat zu einem Problem wird, der normalerweise über eine angemessene/ausreichende Zahl von Plätzen in solchen Einrichtungen verfügt.

Aggressive Inhaftierte: Gemäß der einschlägigen Rechtsprechung des EGMR sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, Rückzuführende in Hafteinrichtungen vor aggressivem oder unangemessenem Verhalten anderer Häftlinge zu schützen. Die Mitgliedstaaten werden aufgefordert, nach praktischen Möglichkeiten für den Umgang mit dieser Problematik innerhalb der speziellen Einrichtungen zu suchen, ohne dass eine Unterbringung in gewöhnlichen Haftanstalten vorgenommen wird. Denkbar wäre beispielsweise, dass bestimmte Teile/Flügel der Hafteinrichtungen ausschließlich für aggressive Personen genutzt werden oder ganze Einrichtungen nur mit dieser Personengruppe belegt werden.

Fehlen von speziellen Hafteinrichtungen in einzelnen Regionen eines Mitgliedstaats: Ist in einer bestimmten Region eines Mitgliedstaats keine spezielle Hafteinrichtung vorhanden — sehr wohl aber in einem anderen Teil dieses Mitgliedstaats —, so rechtfertigt das an sich nicht die Unterbringung in einer gewöhnlichen Haftanstalt. Ausdrücklich bestätigt wurde dies vom EuGH in den verbundenen Rechtssachen Bero (C-473/13) und Bouzalmate (C-514/13) (Rn. 32): „Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115/EG [ist] dahin auszulegen …, dass ein Mitgliedstaat auch dann verpflichtet ist, illegal aufhältige Drittstaatsangehörige grundsätzlich in einer speziellen Hafteinrichtung dieses Staates in Abschiebungshaft zu nehmen, wenn er föderal strukturiert ist und die nach nationalem Recht für die Anordnung und Vollziehung einer solchen Haft zuständige föderale Untergliederung über keine solche Hafteinrichtung verfügt.“

Kurze Haftdauer: Die Tatsache, dass die Inhaftierung wahrscheinlich nur für einen kurzen Zeitraum (etwa sieben Tage oder weniger) erfolgt, ist kein legitimer Grund, die Unterbringung in einer gewöhnlichen Haftanstalt vorzunehmen.

Unterbringung in geschlossenen medizinischen/psychiatrischen Einrichtungen: Eine Unterbringung in geschlossenen medizinischen/psychiatrischen Einrichtungen im Vorfeld der Abschiebung oder zusammen mit Personen, die aus medizinischen Gründen dort untergebracht sind, ist durch Artikel 16 Absatz 1 der Rückführungsrichtlinie nicht vorgesehen und würde seiner praktischen Wirksamkeit zuwiderlaufen, sofern nicht im Interesse der Verhinderung der Verschlechterung des Gesundheitszustandes aus medizinischer Sicht angesichts des Allgemeinbefindens des Betreffenden die Überweisung in eine spezielle oder dafür hergerichtete Einrichtung oder der Aufenthalt dort angeraten ist, um eine ausreichende und ständige medizinische Fachüberwachung, -unterstützung und -betreuung zu gewährleisten.

15.3.   Trennung von gewöhnlichen Strafgefangenen

Die getrennte Unterbringung von Rückkehrern und Strafgefangenen ist zwingend vorgeschrieben: Gemäß der Rückführungsrichtlinie sind die Mitgliedstaaten grundsätzlich verpflichtet, illegal aufhältige Drittstaatsangehörige immer gesondert von den gewöhnlichen Strafgefangenen unterzubringen, wenn ausnahmsweise eine Unterbringung dieser Drittstaatsangehörigen in speziellen Hafteinrichtungen nicht möglich ist.

Ehemalige Strafgefangene mit nachfolgender Rückkehr: Von dem Zeitpunkt an, da die Freiheitsstrafe abgelaufen ist und die Person normalerweise entlassen werden könnte, gelten die Bestimmungen für die Inhaftnahme für die Zwecke der Abschiebung (einschließlich der Verpflichtung nach Artikel 16 Absatz 1 der Rückführungsrichtlinie zur Inhaftierung in speziellen Einrichtungen). Werden die Vorbereitungen auf die Abschiebung und möglicherweise die Abschiebung selbst in einem Zeitraum vorgenommen, der noch in die Haftzeit fällt, kann die Unterbringung weiterhin in einer gewöhnlichen Haftanstalt erfolgen (da zu dieser Zeit die im strafrechtlichen Urteil verhängte Freiheitsstrafe noch nicht verbüßt ist). Die Mitgliedstaaten werden aufgefordert, die für die Abschiebung notwendigen Verfahren frühzeitig einzuleiten, wenn die betreffenden Personen noch ihre Freiheitsstrafe in einer Haftanstalt verbüßen, um sicherzustellen, dass Drittstaatsangehörige spätestens zum Zeitpunkt ihrer Haftentlassung erfolgreich rückgeführt werden können.

Aggressive Inhaftierte: Aggressives oder unangemessenes Verhalten von Rückkehrern rechtfertigt nicht eine gemeinsame Unterbringung mit gewöhnlichen Strafgefangenen, sofern nicht ein aggressiver Übergriff als Straftat eingestuft und von einem Gericht mit einer Freiheitsstrafe geahndet wurde.

Der Begriff „gewöhnliche Strafgefangene“ umfasst sowohl verurteilte Straftäter als auch Untersuchungshäftlinge: Das wird durch Richtlinie 10 Punkt 4 der vom Ministerkomitee des Europarates am 4. Mai 2005 angenommenen „20 Leitlinien zur Frage der erzwungenen Rückkehr“ bestätigt, indem es ausdrücklich heißt, dass „bis zu ihrer Abschiebung aus dem Hoheitsgebiet in Haft befindliche Personen normalerweise nicht mit gewöhnlichen Strafgefangenen — seien es verurteilte Straftäter oder Untersuchungshäftlinge — untergebracht werden sollten“. Die Häftlinge sind daher auch getrennt von Untersuchungshäftlingen unterzubringen.

Ein Einverständnis des Rückkehrers zur gemeinsamen Unterbringung mit Strafgefangenen ist nicht möglich: In der Rechtssache Pham  (79) (C-474/13, Rn. 21 und 22) bestätigte der EuGH ausdrücklich: „Insoweit geht das in Art. 16 Abs. 1 Satz 2 dieser Richtlinie vorgesehene Gebot der Trennung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger von gewöhnlichen Strafgefangenen über eine bloße spezifische Durchführungsmodalität der Inhaftierung von Drittstaatsangehörigen in gewöhnlichen Haftanstalten hinaus und stellt eine materielle Voraussetzung für diese Unterbringung dar, ohne deren Erfüllung die Unterbringung grundsätzlich nicht mit der Richtlinie in Einklang stünde. In diesem Zusammenhang darf ein Mitgliedstaat nicht auf den Willen des betroffenen Drittstaatsangehörigen abstellen.“

15.4.   Materielle Haftbedingungen

Rückführungsrichtlinie — Artikel 16 Leitlinie des Europarates zur Frage der erzwungenen Rückkehr Nr. 10 („Bedingungen der Abschiebehaft“); CPT-Standards und Factsheet über die Inhaftnahme von Immigranten Europäische Strafvollzugsgrundsätze 2006

Die Rückführungsrichtlinie selbst sieht eine Reihe konkreter Garantien vor. So sind die Mitgliedstaaten verpflichtet,

medizinische Notfallversorgung und unbedingt erforderliche Behandlung von Krankheiten zu gewähren;

der Situation schutzbedürftiger Personen besondere Aufmerksamkeit zu schenken, wozu allgemein gesagt auch die gebührende Beachtung von Aspekten wie Alter, Grad der Behinderung und Gesundheitszustand des Betreffenden (darunter auch der geistige Zustand) gehören;

Inhaftierte mit Informationen zu versorgen, in denen die in der Einrichtung geltenden Regeln erläutert und ihre Rechte und Pflichten dargelegt werden. Dies, so wird empfohlen, sollte schnellstmöglich geschehen, auf keinen Fall später als 24 Stunden nach Ankunft;

Inhaftierten zu gestatten, mit Rechtsvertretern, Familienangehörigen und den zuständigen Konsularbehörden Kontakt aufzunehmen;

einschlägig tätigen zuständigen nationalen und internationalen Organisationen sowie nichtstaatlichen Organisationen zu ermöglichen, Hafteinrichtungen zu besuchen. Dieses Recht muss den betreffenden Stellen direkt eingeräumt werden, unabhängig von einer konkreten Aufforderung durch die inhaftierte Person.

Bei den Aspekten, die nicht ausdrücklich durch die Rückführungsrichtlinie geregelt sind, müssen die Mitgliedstaaten die entsprechenden Standards des Europarates einhalten, insbesondere die „CPT-Standards“: In der Rückführungsrichtlinie finden sich keine Festlegungen zu den materiellen Haftbedingungen wie beispielsweise Größe der Räume, Zugang zu sanitären Einrichtungen, Freigang und Ernährung. In Erwägungsgrund 17 wird jedoch bekräftigt, dass in Haft genommene Drittstaatsangehörige eine „menschenwürdige Behandlung“ unter Beachtung ihrer Grundrechte und im Einklang mit dem Völkerrecht erfahren müssen. In den Fällen, in denen Mitgliedstaaten eine Inhaftnahme für die Zwecke der Abschiebung anordnen, muss dies unter Bedingungen erfolgen, die in Einklang mit Artikel 4 GRC stehen, wonach niemand unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung unterworfen werden darf. Die praktischen Auswirkungen dieser Verpflichtung der Mitgliedstaaten sind detaillierter aufgeführt in:

1.

Leitlinie des Europarates zur Frage der erzwungenen Rückkehr Nr. 10 („Bedingungen der Abschiebehaft“);

2.

Den Standards des Komitees des Europarates zur Verhütung von Folter (CPT-Standards, Dokument CPT/Inf/E (2002) 1 — Rev. 2013; CPT-Factsheet über die Inhaftnahme von Immigranten, Dokument CPT/Inf(2017)3), in denen insbesondere die speziellen Bedürfnisse und der Status von inhaftierten irregulären Migranten (Immigrationshäftlingen) angesprochen wird;

3.

Den Europäischen Strafvollzugsgrundsätzen 2006 (Empfehlung Rec(2006)2 des Ministerkomitees an die Mitgliedstaaten) als grundlegende Mindeststandards zu allen Aspekten, die bei den oben genannten Standards nicht berücksichtigt werden;

4.

Den UN-Mindestgrundsätzen für die Behandlung Gefangener (gebilligt durch die Resolutionen 663 C (XXIV) und 2076(LXII) des Wirtschafts- und Sozialrates der Vereinten Nationen vom 31. Juli 1957 bzw. 13. Mai 1977).

Diese Standards stellen eine allgemein anerkannte Beschreibung der Verpflichtungen im Zusammenhang mit der Inhaftnahme dar, die die Mitgliedstaaten in jedem Falle als absolutes Minimum einhalten müssen, damit die Wahrung der sich aus der Europäischen Menschenrechtskonvention und der GRC herleitenden Verpflichtungen bei der Durchführung des Unionsrechts gewährleistet ist.

Europarat- Leitlinie 10 — Bedingungen der Abschiebehaft

1.

In Abschiebehaft genommene Personen sollten normalerweise schnellstmöglich in speziell für diesen Zweck vorgesehenen Einrichtungen untergebracht werden, in denen die materiellen Bedingungen und das Regime ihrem rechtlichen Status angemessen und die mit hinreichend qualifiziertem Personal besetzt sind.

2.

Solche Einrichtungen sollten über Unterbringungsmöglichkeiten verfügen, die ausreichend möbliert, sauber und in einem guten Erhaltungszustand sind und genügend Wohnraum für die Zahl der Insassen bieten. Darüber hinaus sollte bei dem Entwurf und der Gestaltung der Räumlichkeiten dafür Sorge getragen werden, dass, soweit möglich, jeder Eindruck einer Gefängnisumgebung vermieden wird. Zu den organisierten Aktivitäten sollte Bewegung an der frischen Luft gehören, ebenso Zugang zu einem Tagesraum und zu einem Radio/Fernseher, zu Zeitungen/Zeitschriften, sowie zu anderen geeigneten Freizeitartikeln.

3.

Das Personal in solchen Einrichtungen sollte sorgfältig ausgesucht werden und eine angemessene Ausbildung erhalten. Die Mitgliedstaaten werden aufgefordert, bei dieser Ausbildung weitestgehend sicherzustellen, dass das Personal nicht nur gut entwickelte Qualitäten im Bereich zwischenmenschlicher Kommunikation besitzt, sondern auch mit den verschiedenen Kulturen der Inhaftierten vertraut ist. Nach Möglichkeit sollten einige von ihnen über einschlägige Sprachkenntnisse verfügen und in der Lage sein, mögliche Symptome von Stressreaktionen, die inhaftierte Personen zeigen, zu erkennen und geeignete Maßnahmen zu ergreifen. Im Bedarfsfalle sollte auch Hilfe von außen zur Verfügung, insbesondere im medizinischen und sozialen Bereich.

4.

Bis zu ihrer Abschiebung aus dem Hoheitsgebiet sollten in Haft befindliche Personen normalerweise nicht mit gewöhnlichen Strafgefangenen — seien es verurteilte Straftäter oder Untersuchungshäftlinge — untergebracht werden. Männer und Frauen sollten getrennt voneinander untergebracht werden, falls sie dies wünschen. Jedoch sollte der Grundsatz der Einheit der Familie respektiert und Familien eine entsprechende Unterbringung gewährleistet werden.

5.

Die nationalen Behörden sollten sicherstellen, dass die in diesen Einrichtungen inhaftierten Personen gemäß den geltenden nationalen Vorschriften Zugang zu Rechtsanwälten, Ärzten, Nichtregierungsorganisationen, Mitgliedern ihrer Familien und dem UNHCR haben und den Kontakt mit der Außenwelt wahren können. Zudem sollte die Funktionsweise dieser Einrichtungen regelmäßig kontrolliert werden, unter anderem durch anerkannte unabhängige Beobachter.

6.

Die Inhaftierten haben das Recht, wegen angeblicher Misshandlung oder fehlenden Schutzes vor gewaltsamen Übergriffen anderer Inhaftierter Beschwerde einzureichen. Beschwerdeführer und Zeugen sind gegen alle Formen der Misshandlung oder Einschüchterung zu schützen, die aus der Beschwerde oder der Zeugenaussage resultieren.

7.

Die Inhaftierten sollten systematisch Informationen erhalten, in denen die in der Einrichtung geltenden Regeln und das für sie anwendbare Verfahren erläutert und ihre Rechte und Pflichten dargelegt werden. Diese Informationen sollten in den bei den Betroffenen gebräuchlichsten Sprachen verfügbar sein, und, falls erforderlich, sollten die Dienste eines Dolmetschers in Anspruch genommen werden. Die Inhaftierten sollten über ihr Recht unterrichtet sein, mit einem Anwalt ihrer Wahl, der zuständigen diplomatischen Vertretung ihres Landes, internationalen Organisationen wie dem UNHCR und der Internationalen Organisation für Migration (IOM) sowie Nichtregierungsorganisationen Kontakt aufzunehmen. Hierbei sollte Unterstützung gewährt werden.

CPT-Standards für ausländerrechtliche Haft — Auszüge

29.

(Hafteinrichtungen). … Offenkundig sollten solche Zentren über Unterbringungsmöglichkeiten verfügen, die ausreichend möbliert, sauber und in einem guten Erhaltungszustand sind und genügend Wohnraum für die Zahl der Insassen bieten. Darüber hinaus sollte bei dem Entwurf und der Gestaltung der Räumlichkeiten dafür Sorge getragen werden, dass, soweit möglich, jeder Eindruck einer Gefängnisumgebung vermieden wird. Zum Aktivitätenregime sollte Bewegung an der frischen Luft gehören, ebenso Zugang zu einem Tagesraum und zu einem Radio/Fernseher, zu Zeitungen/Zeitschriften, sowie zu anderen geeigneten Freizeitartikeln (z. B. Brettspiele, Tischtennis). Je länger der Zeitraum ist, für den Personen festgehalten werden, desto weiter sollten die Betätigungsmöglichkeiten entwickelt sein, die ihnen angeboten werden.

Das Personal in Zentren für Immigrationshäftlinge hat eine besonders schwere Aufgabe. Zum einen werden zwangsläufig Kommunikationsschwierigkeiten aufgrund von Sprachbarrieren auftreten. Zum zweiten wird es für viele inhaftierte Personen schwierig sein, die Tatsache zu akzeptieren, dass ihnen die Freiheit entzogen wird, obwohl sie keiner Straftat verdächtigt werden. Drittens besteht das Risiko von Spannungen zwischen Häftlingen verschiedener Nationalitäten oder ethnischer Gruppen. Folglich legt das CPT besonders Wert darauf, dass das Aufsichtspersonal in solchen Zentren sorgfältig ausgesucht wird und eine angemessene Ausbildung erhält. Die Mitglieder des Personals sollten gut entwickelte Qualitäten im Bereich zwischenmenschlicher Kommunikation besitzen sowie mit den verschiedenen Kulturen der Inhaftierten vertraut sein, und zumindest einige von ihnen sollten über einschlägige Sprachkenntnisse verfügen. Darüber hinaus sollten sie darin unterrichtet werden, mögliche Symptome von Stressreaktionen, die inhaftierte Personen zeigen, zu erkennen (seien sie nun post-traumatisch oder durch soziokulturelle Veränderungen verursacht) und geeignete Maßnahmen zu ergreifen.

79.

Die Haftbedingungen für Immigrationshäftlinge sollte die Natur ihres Freiheitsentzuges widerspiegeln, mit wenigen Einschränkungen und vielfältigen Aktivitäten. So sollten Immigrationshäftlinge z. B. die Möglichkeit haben, in wesentlichem Umfang Kontakte mit der Außenwelt zu pflegen (was häufige Gelegenheiten, Telefonate zu führen oder Besucher zu empfangen, beinhaltet) und sollten so wenig wie möglich in ihrer Bewegungsfreiheit innerhalb der Hafteinrichtung eingeschränkt sein. Selbst wenn die Haftbedingungen in Gefängnissen diese Auflagen erfüllen — und dies ist sicherlich nicht immer der Fall — hält das CPT die Inhaftierung von Immigrationshäftlingen in Gefängnissen, aus bereits erwähnten Gründen, grundsätzlich für fragwürdig.

82.

Das Recht auf einen Rechtsanwalt sollte das Recht beinhalten, unter vier Augen mit einem Anwalt zu sprechen, sowie den Zugang zu einer Rechtsberatung bei Fragen, die sich auf Aufenthaltsort, Haft und Abschiebung beziehen. Dies impliziert, dass, wenn Immigrationshäftlinge nicht in der Lage sind, selbst für einen Anwalt zu zahlen, sie Rechtsbeihilfe erhalten sollten.

Des Weiteren sollten alle neu eingetroffenen Häftlinge unverzüglich von einem Arzt untersucht werden, oder von einer qualifizierten Krankenschwester, die wiederum einem Arzt Bericht erstattet. Das Recht auf Zugang zu einem Arzt sollte das Recht einschließen, wenn ein Immigrationshäftling dies wünscht, von einem Arzt seiner/ihrer Wahl untersucht zu werden; allerdings kann von dem Häftling erwartet werden, die Kosten einer solchen Untersuchung zu zahlen. Die Benachrichtigung eines Angehörigen oder einer anderen Person eigener Wahl hinsichtlich der Inhaftierung wird erheblich erleichtert, wenn den Immigrationshäftlingen gestattet wird, ihre Handys während des Freiheitsentzugs zu behalten oder diese zumindest zu benutzen.

90.

Die Beurteilung des Gesundheitszustands von Immigrationshäftlingen während ihres Freiheitsentzugs ist eine wichtige Verantwortung in Bezug auf jeden Inhaftierten und in Bezug auf eine Gruppe Immigrationshäftlinge als Ganzes. Die psychische und körperliche Gesundheit von Immigrationshäftlingen kann durch vorausgegangene traumatische Erlebnisse beeinträchtigt sein. Des Weiteren kann der Verlust vertrauter Menschen und der kulturellen Umgebung und die Unsicherheit über die eigene Zukunft zu einer psychischen Beeinträchtigung führen, einschließlich der Verstärkung bereits bestehender Symptome von Depression, Angst und einer posttraumatischen Störung.

91.

Zumindest eine Person mit einer anerkannten Qualifikation als Krankenschwester muss täglich in allen Gewahrsamseinrichtungen für Immigrationshäftlinge vor Ort sein. Diese Person sollte insbesondere die erste medizinische Untersuchung aller Neuankömmlinge durchführen (insbesondere auf übertragbare Krankheiten, inkl. Tuberkulose), Anträge auf Konsultation eines Arztes entgegennehmen, die Bereitstellung und Ausgabe von rezeptpflichtigen Medikamenten sicherstellen, Krankenakten führen und die allgemeinen Hygienebedingungen überwachen.

Europäische Strafvollzugsgrundsätze 2006 — Auszüge

Unterbringung

18.1

Alle für Gefangene, insbesondere für deren nächtliche Unterbringung vorgesehenen Räume haben den Grundsätzen der Menschenwürde zu entsprechen, die Privatsphäre so weit wie möglich zu schützen und den Erfordernissen der Gesundheit und der Hygiene zu entsprechen; dabei sind die klimatischen Verhältnisse und insbesondere die Bodenfläche, die Luftmenge sowie die Beleuchtung, Heizung und Belüftung zu berücksichtigen.

18.2

In allen Gebäuden, in denen Gefangene leben, arbeiten oder sich aufhalten,

a.

müssen die Fenster groß genug sein, damit die Gefangenen unter normalen Bedingungen bei Tageslicht lesen und arbeiten können und Frischluft einströmen kann, es sei denn, eine entsprechende Klimaanlage ist vorhanden;

b.

muss das künstliche Licht den anerkannten technischen Normen entsprechen; und

c.

muss es eine Alarmanlage geben, mit der Gefangene unverzüglich das Personal kontaktieren können.

Hygiene

19.1

Alle Bereiche einer Anstalt müssen jederzeit ordentlich in Stand gehalten werden und sauber sein.

19.2

Bei der Aufnahme von Gefangenen sollen die Hafträume oder andere Räumlichkeiten, in denen sie untergebracht werden, sauber sein.

19.3

Gefangene müssen jederzeit Zugang zu sanitären Einrichtungen haben, die hygienisch sind und die Intimsphäre schützen.

19.4

Es sind angemessene Einrichtungen vorzusehen, damit alle Gefangenen bei einer dem Klima angemessenen Temperatur möglichst täglich, mindestens jedoch zweimal wöchentlich (oder, wenn nötig, häufiger) im Interesse der allgemeinen Hygiene baden oder duschen können.

19.5

Gefangene haben sich, ihre Kleidung und den Raum für ihre nächtliche Unterbringung sauber und ordentlich zu halten.

19.6

Die Vollzugsbehörden stellen ihnen die Mittel hierfür zur Verfügung, einschließlich Toilettenartikel und allgemeiner Reinigungsgeräte und Reinigungsmittel.

19.7

Spezielle Vorkehrungen sind für die sanitären Bedürfnisse von Frauen zu treffen.

Kleidung und Bettzeug

20.1

Gefangene, die nicht über angemessene eigene Kleidung verfügen, sind mit Kleidung auszustatten, die dem Klima angepasst ist.

20.2

Diese Kleidung darf nicht herabsetzend oder erniedrigend sein.

20.3

Alle Kleidungsstücke sind in gutem Zustand zu halten und, wenn nötig, zu ersetzen.

20.4

Von Gefangenen, die die Erlaubnis erhalten, die Justizvollzugsanstalt zu verlassen, darf nicht verlangt werden, Kleidung zu tragen, die sie als Gefangene erkennbar macht.

21.

Allen Gefangenen ist ein eigenes Bett mit angemessenem, eigenem Bettzeug zur Verfügung zu stellen, das in gutem Zustand zu halten und oft genug zu wechseln ist, um den Erfordernissen der Sauberkeit zu genügen.

Ernährung

22.1

Gefangene erhalten eine nährstoffreiche Nahrung, die ihrem Alter, ihrer Gesundheit, ihrem körperlichen Zustand, ihrer Religion und Kultur sowie der Art ihrer Arbeit Rechnung trägt.

22.2

Die Anforderungen an eine nährstoffreiche Nahrung einschließlich ihres Mindestgehalts an Energie und Eiweiß sind im innerstaatlichen Recht festzulegen.

22.3

Die Nahrung ist unter hygienischen Bedingungen zuzubereiten und auszugeben.

22.4

Es sind täglich drei Mahlzeiten in angemessenen Zeitabständen auszugeben.

22.5

Den Gefangenen muss jederzeit sauberes Trinkwasser zur Verfügung stehen.

22.6

Der Arzt/die Ärztin oder medizinisches Fachpersonal hat eine Umstellung der Ernährung für bestimmte Gefangene anzuordnen, wenn dies aus medizinischen Gründen notwendig ist.

Gestaltung des Vollzugs

25.1

Der Vollzug hat allen Gefangenen ein ausgewogenes Programm an Aktivitäten zu bieten.

25.2

Der Vollzug ist so zu gestalten, dass er allen Gefangenen ermöglicht, sich täglich so viele Stunden außerhalb ihrer Hafträume aufzuhalten, wie dies für ein angemessenes Maß an zwischenmenschlichen und sozialen Beziehungen notwendig ist.

25.3

Der Vollzug hat auch den Bedürfnissen der Gefangenen nach Unterstützung Rechnung zu tragen.

25.4

Besondere Beachtung ist auf Bedürfnisse von Gefangenen zu richten, die körperliche oder seelische Misshandlungen oder sexuellen Missbrauch erfahren haben.

Bewegung und Erholung

27.1

Allen Gefangenen wird täglich ermöglicht, sich mindestens eine Stunde im Freien zu bewegen, wenn es die Witterung zulässt.

27.2

Bei ungünstiger Witterung sind alternative Maßnahmen vorzusehen, um Gefangenen Bewegung zu ermöglichen.

27.3

Bestandteil des Vollzuges müssen sinnvoll gestaltete Angebote zur Förderung der körperlichen Leistungsfähigkeit und eine angemessene Auswahl an Bewegungs- und Erholungsmöglichkeiten sein.

27.4

Die Vollzugsbehörden haben solche Aktivitäten zu ermöglichen, indem sie geeignete Einrichtungen und Geräte zur Verfügung stellen.

27.5

Die Vollzugsbehörden haben auf Besonderheiten der Freizeitgestaltung einzugehen, wenn hierfür ein Bedarf besteht.

27.6

Es sind Angebote, die der Erholung dienen, z. B. Sport, Spiele und kulturelle Aktivitäten vorzusehen sowie Hobbys und andere Freizeitbeschäftigungen zu ermöglichen. Den Gefangenen ist so weit wie möglich zu gestatten, diese selbst zu organisieren.

27.7

Gefangenen ist zu gestatten, sich gemeinsam zu bewegen und an Freizeitaktivitäten teilzunehmen.

Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit

29.1

Die Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit der Gefangenen ist zu respektieren.

29.2

Das Vollzugssystem ist so weit wie möglich so zu organisieren, dass den Gefangenen gestattet ist, ihre Religion auszuüben und ihrem Glauben zu folgen, Gottesdienste oder Zusammenkünfte, die von zugelassenen Vertretern/Vertreterinnen dieser Religions- oder Glaubensgemeinschaft geleitet werden, zu besuchen, persönliche Einzelbesuche von solchen Vertretern/Vertreterinnen ihrer Religions- oder Glaubensgemeinschaft zu erhalten und Bücher oder Schriften ihrer Religions- oder Glaubensgemeinschaft zu besitzen.

29.3

Gefangene dürfen nicht gezwungen werden, eine Religion oder einen Glauben auszuüben, Gottesdienste oder religiöse Zusammenkünfte zu besuchen, an religiösen Handlungen teilzunehmen oder den Besuch eines Vertreters/einer Vertreterin einer Religions- oder Glaubensgemeinschaft zu

Ethnische oder sprachliche Minderheiten

38.1

Für die Bedürfnisse von Gefangenen, die ethnischen oder sprachlichen Minderheiten angehören, sind besondere Vorkehrungen zu treffen.

38.2

Die verschiedenen Gruppen dürfen ihre kulturellen Gebräuche im Vollzug so weit wie möglich weiterpflegen.

38.3

Sprachlichen Unzulänglichkeiten ist durch den Einsatz kompetenter Dolmetscher/innen und die Bereitstellung schriftlichen Materials in den Sprachen, die in der betreffenden Anstalt gesprochen werden, zu begegnen.

Gesundheitsfürsorge

40.3

Gefangenen ist unabhängig von ihrem rechtlichen Status Zugang zur Gesundheitsfürsorge des betreffenden Staates zu gewähren.

40.4

Der anstaltsärztliche Dienst soll körperliche oder geistige Krankheiten oder Beschwerden, an denen Gefangene möglicherweise leiden, aufdecken und behandeln.

40.5

Zu diesem Zweck müssen den Gefangenen alle erforderlichen ärztlichen, chirurgischen und psychiatrischen Einrichtungen auch außerhalb der Anstalt zur Verfügung gestellt werden.

Ärztliches und sonstiges medizinisches Personal

41.1

In jeder Justizvollzugsanstalt muss mindestens ein/e anerkannte/r Arzt/Ärztin für Allgemeinmedizin zur Verfügung stehen.

41.2

Es ist sicherzustellen, dass diese/r Arzt/Ärztin in dringenden Fällen jederzeit ohne Verzögerung zur Verfügung steht.

41.3

Verfügen Anstalten nicht über eine/n vollzeitbeschäftigte/n Arzt/Ärztin, muss ein/e teilzeitbeschäftigte/r Arzt/Ärztin die Justizvollzugsanstalt regelmäßig aufsuchen.

41.4

Jede Justizvollzugsanstalt muss im Bereich der Gesundheitsfürsorge über angemessen ausgebildetes Personal verfügen.

41.5

Die Versorgung durch anerkannte Zahnärzte/Zahnärztinnen und durch Augenoptiker/innen ist allen Gefangenen zu gewährleisten.

Pflichten des/der anerkannten Arztes/Ärztin für Allgemeinmedizin

42.1

Dem ärztlichen oder dem diesem zugeordneten ausgebildeten pflegerischen Personal sind alle Gefangenen so bald wie möglich nach der Aufnahme vorzustellen. Es erfolgt eine Untersuchung, sofern dies nicht offensichtlich unnötig ist.

42.2

Das ärztliche oder das diesem zugeordnete ausgebildete pflegerische Personal hat die Gefangenen auf Verlangen bei der Entlassung oder wenn immer nötig zu untersuchen.

42.3

Bei der Untersuchung der Gefangenen hat das ärztliche oder das diesem zugeordnete ausgebildete pflegerische Personal ein besonderes Augenmerk zu richten auf:

a.

die Einhaltung der allgemeinen ärztlichen Schweigepflicht;

b.

die Feststellung körperlicher oder geistiger Krankheiten und das Ergreifen aller notwendigen Maßnahmen zu deren Behandlung und zur Fortführung bestehender ärztlicher Behandlungen;

c.

die Protokollierung und den Bericht jedes Anzeichens oder Hinweises darauf, dass gegen Gefangene möglicherweise Gewalt angewandt wurde, an die zuständigen Behörden;

d.

die Behandlung von Entzugserscheinungen infolge des Gebrauchs von Drogen, Arzneimitteln oder Alkohol;

e.

die Feststellung von psychischem oder sonstigem Stress, der durch den Freiheitsentzug bedingt ist;

f.

die notwendige Behandlung und Isolierung von Gefangenen mit Verdacht auf eine ansteckende Krankheit für die Dauer der Inkubationszeit;

g.

die Sicherstellung, dass mit HIV-infizierte Gefangene nicht allein aus diesem Grund isoliert werden;

h.

das Feststellen körperlicher Beschwerden oder geistiger Einschränkungen, die der Wiedereingliederung nach der Entlassung hinderlich sein können;

i.

die Feststellung der Tauglichkeit aller Gefangener für Arbeit und körperliche Betätigung und

j.

das Treffen von Vereinbarungen mit Einrichtungen außerhalb des Vollzuges über die Fortführung notwendiger ärztlicher und psychiatrischer Behandlungen nach der Entlassung, soweit die Gefangenen dem zustimmen.

Gesundheitsfürsorgeleistungen

46.1

Kranke Gefangene, die fachärztlicher Behandlung bedürfen, sind in entsprechend spezialisierte Vollzugseinrichtungen oder in öffentliche Krankenhäuser zu verlegen, soweit die Behandlung im Vollzug nicht möglich ist.

46.2

Verfügt eine Anstalt über eigene Krankenstationen, müssen diese personell und sachlich so ausgestattet sein, dass die dorthin verlegten Gefangenen angemessen ärztlich versorgt und behandelt werden können.

16.   INHAFTNAHME VON MINDERJÄHRIGEN UND FAMILIEN

Rechtsgrundlage: Rückführungsrichtlinie — Artikel 17

1.

Bei unbegleiteten Minderjährigen und Familien mit Minderjährigen wird Haft nur im äußersten Falle und für die kürzestmögliche angemessene Dauer eingesetzt.

2.

Bis zur Abschiebung in Haft genommene Familien müssen eine gesonderte Unterbringung erhalten, die ein angemessenes Maß an Privatsphäre gewährleistet.

3.

In Haft genommene Minderjährige müssen die Gelegenheit zu Freizeitbeschäftigungen einschließlich altersgerechter Spiel- und Erholungsmöglichkeiten und, je nach Dauer ihres Aufenthalts, Zugang zur Bildung erhalten.

4.

Unbegleitete Minderjährige müssen so weit wie möglich in Einrichtungen untergebracht werden, die personell und materiell zur Berücksichtigung ihrer altersgemäßen Bedürfnisse in der Lage sind.

5.

Dem Wohl des Kindes ist im Zusammenhang mit der Abschiebehaft bei Minderjährigen Vorrang einzuräumen.

In der Rückführungsrichtlinie ist vorgesehen, dass unbegleitete Minderjährige und Familien mit Minderjährigen im Hinblick auf eine Abschiebung nur im äußersten Falle und für die kürzestmögliche angemessene Dauer in Haft genommen werden dürfen, sofern spezifische Garantien ordnungsgemäß eingehalten werden.

Zusätzlich zu den Garantien nach Artikel 17 der Rückführungsrichtlinie sind die für die allgemeinen Regeln zur Inhaftnahme geltenden Grundsätze nach Artikel 15 der Richtlinie einzuhalten. So darf insbesondere die Inhaftnahme nur im äußersten Falle erfolgen, es müssen genügend brauchbare wirksame Alternativen zur Inhaftnahme verfügbar sein, und es muss eine Einzelfallprüfung erfolgen (siehe Abschnitt 14). Bei der Inhaftnahme von Minderjährigen und Familien ist dem Wohl des Kindes stets Vorrang einzuräumen. Die Mitgliedstaaten sind aufgefordert, Kinderschutzstellen in alle Fragen der Inhaftnahme einzubinden und wenn Gründe für eine Inhaftnahme vorliegen, ist alles zu tun, was möglich ist, damit genügend brauchbare wirksame Alternativen zur Inhaftnahme von Minderjährigen (sowohl für unbegleitete als auch in Begleitung ihrer Familien) zur Verfügung stehen und in Anspruch genommen werden können.

Der UNHCR (80) und die FRA (81) führen einige Beispiele für bewährte Verfahren mit Blick auf Alternativen für die Inhaftnahme von unbegleiteten Minderjährigen und Familien mit Kindern an.

Die Kommission empfiehlt, dass die Möglichkeit der Inhaftnahme von Minderjährigen in nationalen Rechtsvorschriften nicht ausgeschlossen werden sollte, sofern dies unabdingbar ist, um die Durchführung einer endgültigen Rückkehrentscheidung sicherzustellen, und soweit im Einzelfall weniger intensive Zwangsmaßnahmen nicht wirksam angewandt werden können.

Artikel 17 der Rückführungsrichtlinie lehnt sich in ihrem Wortlaut eng an die Leitlinie 11 des Europarates — Kinder und Familien — an. Weitere konkrete Hinweise finden sich im Kommentar zu dieser Leitlinie:

Europarat — Leitlinie 11 — Kinder und Familien

Kommentar

1.

Die Ziffern 1, 3 und 5 dieser Leitlinien sind an die entsprechenden Bestimmungen des Übereinkommens über die Rechte des Kindes angelehnt, das von der UN-Generalversammlung mit Resolution 44/25 vom 20. November 1989 angenommen und zur Unterzeichnung, Ratifizierung und zum Beitritt aufgelegt und von allen Mitgliedstaaten des Europarates ratifiziert wurde. In Bezug auf Ziffer 2 sei daran erinnert, dass das Recht auf Schutz des Familienlebens gemäß Artikel 8 EMRK auch im Zusammenhang mit der Inhaftnahme gültig ist.

2.

Im Hinblick auf den Freiheitsentzug bei Kindern heißt es in Artikel 37 des Übereinkommens über die Rechte des Kindes insbesondere, dass „Festnahme, Freiheitsentziehung oder Freiheitsstrafe … bei einem Kind im Einklang mit dem Gesetz nur als letztes Mittel und für die kürzeste angemessene Zeit angewendet werden (darf)“ (Artikel 37 Buchstabe b). Artikel 20 Absatz 1 des Übereinkommens lautet: „Ein Kind, das vorübergehend oder dauernd aus seiner familiären Umgebung herausgelöst wird oder dem der Verbleib in dieser Umgebung im eigenen Interesse nicht gestattet werden kann, hat Anspruch auf den besonderen Schutz und Beistand des Staates.“

3.

Anregungen wurden ebenfalls in Ziffer 38 der Regeln der Vereinten Nationen zum Schutz von Jugendlichen unter Freiheitsentzug gefunden, die von der Generalversammlung mit Resolution 45/113 vom 14. Dezember 1990 angenommen wurden. Diese Regeln gelten für jeden Freiheitsentzug, der zu verstehen ist als „jede Form von Haft, Gefangenschaft oder Unterbringung einer Person, angeordnet durch ein Justizorgan, eine Verwaltungsbehörde oder andere öffentliche Stelle, in einer staatlichen oder privaten Einrichtung, welche diese Person nicht nach Belieben verlassen darf“ (Ziffer 11 Buchstabe b). Ziffer 38 lautet: „Jeder Jugendliche im schulpflichtigen Alter hat nach Maßgabe seiner Bedürfnisse und Fähigkeiten Anspruch auf Unterricht, der darauf ausgerichtet ist, ihn auf die Rückkehr in die Gesellschaft vorzubereiten. Wo immer möglich, soll dieser Unterricht außerhalb der freiheitsentziehenden Einrichtung in örtlichen Schulen stattfinden; in jedem Fall ist er durch qualifizierte Lehrkräfte nach Plänen zu erteilen, die dem staatlichen Ausbildungssystem entsprechen, sodass der Jugendliche nach der Entlassung ohne Schwierigkeiten den Schulbesuch fortsetzen kann. Besondere Aufmerksamkeit hat die Verwaltung der Einrichtungen der Schulausbildung Jugendlicher ausländischer Herkunft oder mit eigenen kulturellen oder ethnischen Bedürfnissen zuzuwenden. Jugendliche Analphabeten oder solche mit Auffassungsschwierigkeiten oder Lernschwächen haben ein Recht auf speziellen Unterricht.“

4.

In der letzten Ziffer findet sich das Leitprinzip des Übereinkommens über die Rechte des Kindes wieder, wo es in Artikel 3 Absatz 1 heißt: „Bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, gleichviel ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorganen getroffen werden, ist das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist.“ Dies gilt selbstverständlich auch für Entscheidungen, die die Festhaltung von Kindern betreffen, die aus dem Gebiet abgeschoben werden sollen.

Was die Inhaftnahme von Minderjährigen betrifft, enthalten die CPT-Standards die folgenden Regeln, die von den Mitgliedstaaten stets einzuhalten sind, wenn sie eine Inhaftnahme — im Ausnahmefall und als letztes Mittel — anwenden:

CPT-Standards zur Inhaftierung von Minderjährigen — Auszüge

97.

Das CPT erklärt, dass alles Erdenkliche unternommen werden sollte, um den Freiheitsentzug eines minderjährigen irregulären Migranten zu vermeiden. Nach dem Grundsatz des „besten Kindeswohls“, wie in Artikel 3 der UN-Kinderrechtskonvention formuliert, ist der Freiheitsentzug bei Kindern, einschließlich unbegleiteten und getrennt reisenden Kindern, selten gerechtfertigt und kann, nach Meinung des Komitees, sicherlich nicht allein mit dem Fehlen einer Aufenthaltsgenehmigung gerechtfertigt werden. Wenn ein Kind ausnahmsweise inhaftiert wurde, sollte der Freiheitsentzug möglichst kurz sein; alle erdenklichen Schritte müssen durchgeführt werden, um die umgehende Freilassung von unbegleiteten oder getrennt reisenden Kindern aus der Hafteinrichtung und die Unterbringung an einem geeigneteren Ort zu bewirken. Des Weiteren sollten, angesichts der Schutzbedürftigkeit eines Kindes, zusätzliche Schutzmaßnahmen angewendet werden, wenn ein Kind inhaftiert ist, insbesondere in jenen Fällen, in denen Kinder von ihren Eltern oder anderen Betreuern getrennt wurden oder ohne Eltern, Betreuer oder Verwandte reisen.

98.

Sobald den Behörden bekannt wird, dass ein Kind betroffen ist, sollte eine beruflich qualifizierte Person in der Sprache, die das Kind versteht, ein erstes Gespräch mit dem Kind führen. Er sollte eine Beurteilung über die speziellen Bedürfnisse des Kindes erstellt werden, einschließlich im Hinblick auf Alter, Gesundheit, psychosoziale Faktoren und andere Schutzbedürfnisse, einschließlich jenen, die sich aus Gewalt, Menschenhandel oder Traumata ergeben. Unbegleitete oder allein reisende Kinder, denen die Freiheit entzogen wird, sollten prompt freien Zugang zu einer rechtlichen oder anderen angemessenen Unterstützung erhalten, einschließlich der Zuweisung eines Vormunds oder gesetzlichen Vertreters. Es sollten außerdem Überprüfungsmechanismen eingeführt werden, um laufend die Qualität der Vormundschaft zu überwachen.

99.

Es sollten Schritte unternommen werden, um in Einrichtungen, in denen Kindern die Freiheit entzogen wird, die regelmäßige Anwesenheit eines Sozialarbeiters und eines Psychologen und den persönlichen Kontakt mit diesen sicherzustellen. Eine gemischtgeschlechtliche Zusammensetzung des Personals ist eine weitere Schutzmaßnahme gegen Misshandlungen; die Anwesenheit von Frauen und Männern im Personal kann sich positiv im Hinblick auf den Überwachungsethos auswirken und einen gewissen Grad von Normalität in den Inhaftierungseinrichtungen schaffen. Kindern, denen die Freiheit entzogen wurde, sollten konstruktive Aktivitäten angeboten werden (insbesondere im Hinblick auf die schulische Ausbildung der Kinder).

100.

Um das Risiko von Ausbeutung zu begrenzen, sollten besondere Vorkehrungen für die Unterkünfte getroffen werden, die für Kinder geeignet sind, z. B. durch eine von den Erwachsenen getrennte Unterbringung, außer wenn zum Wohle des Kindes etwas Anderes angeraten erscheint. Dies würde z. B. zutreffen, wenn Kinder von ihren Eltern oder anderen engen Angehörigen begleitet werden. In diesem Fall sollte eine Trennung der Familie unbedingt vermieden werden.

131.

Wirksame Beschwerde- und Inspektionsverfahren stellen eine grundlegende Schutzmaßnahme gegen Misshandlung in allen Inhaftierungseinrichtungen, einschließlich Inhaftierungseinrichtungen für Jugendliche, dar. Jugendlichen (sowie deren Eltern oder gesetzlichen Vertretern) sollten Möglichkeiten der Beschwerde innerhalb des Verwaltungssystems der Einrichtung zur Verfügung stehen, und sie sollten Anspruch darauf haben, Beschwerden — vertraulich — an eine unabhängige Stelle zu richten. Beschwerdeverfahren sollten einfach, wirksam und kinderfreundlich sein, insbesondere im Hinblick auf die verwendeten sprachlichen Formulierungen. Jugendliche (sowie deren Eltern oder gesetzliche Vertreter) sollten Anspruch auf Einholung von Rechtsberatung zu ihren Beschwerden haben und Prozesskostenhilfe erhalten, wenn dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist.

132.

Besondere Bedeutung misst das CPT regelmäßigen Visiten aller Inhaftierungseinrichtungen für Jugendliche durch eine unabhängige Stelle bei, bei der es sich um einen Fachbeirat, einen Richter, einen Bürgerbeauftragten für Kinder oder den nationalen Präventionsmechanismus (eingerichtet im Rahmen des Fakultativprotokolls zum Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Folter) handeln kann und die befugt ist, Beschwerden der Jugendlichen oder deren Eltern oder gesetzlicher Vertreter entgegenzunehmen und gegebenenfalls zu verfolgen, die Unterbringung und die Anlagen zu inspizieren und zu bewerten, ob diese Einrichtungen den Anforderungen des nationalen Rechts und einschlägiger internationaler Standards entsprechend betrieben werden. Die Mitglieder der Prüfstelle sollten initiativ vorgehen und direkten Kontakt zu den Jugendlichen aufnehmen, auch in Form von Vier-Augen-Gesprächen mit inhaftierten Jugendlichen.

17.   NOTLAGEN

Rechtsgrundlage: Rückführungsrichtlinie — Artikel 18

1.

Führt eine außergewöhnlich große Zahl von Drittstaatsangehörigen, deren Rückkehr sicherzustellen ist, zu einer unvorhersehbaren Überlastung der Kapazitäten der Hafteinrichtungen eines Mitgliedstaats oder seines Verwaltungs- oder Justizpersonals, so kann der betreffende Mitgliedstaat, solange diese außergewöhnliche Situation anhält, die für die gerichtliche Überprüfung festgelegten Fristen über die in Artikel 15 Absatz 2 Unterabsatz 3 genannten Fristen hinaus verlängern und dringliche Maßnahmen in Bezug auf die Haftbedingungen ergreifen, die von den Haftbedingungen nach den Artikeln 16 Absatz 1 und 17 Absatz 2 abweichen.

2.

Ein Mitgliedstaat, der auf diese außergewöhnlichen Maßnahmen zurückgreift, setzt die Kommission davon in Kenntnis. Er unterrichtet die Kommission ebenfalls, sobald die Gründe für die Anwendung dieser außergewöhnlichen Maßnahmen nicht mehr vorliegen.

3.

Dieser Artikel ist nicht so auszulegen, als gestatte er den Mitgliedstaaten eine Abweichung von ihrer allgemeinen Verpflichtung, alle geeigneten — sowohl allgemeinen als auch besonderen — Maßnahmen zu ergreifen, um zu gewährleisten, dass sie ihren aus dieser Richtlinie hervorgehenden Verpflichtungen nachkommen.

Umfang möglicher Abweichungen auf drei Bestimmungen begrenzt: In Artikel 18 ist die Möglichkeit festgelegt, dass die Mitgliedstaaten in Notlagen, die mit der plötzlichen Ankunft einer großen Zahl von irregulären Migranten zusammenhängen, drei Inhaftnahme-Bestimmungen der Richtlinie nicht anwenden: (i) die Verpflichtung zur zügigen Erstüberprüfung der Inhaftnahme durch eine Justizbehörde, (ii) die Verpflichtung zur Inhaftnahme nur in speziellen Hafteinrichtungen und (iii) die Verpflichtung zur gesonderten Unterbringung von Familien, die ein angemessenes Maß an Privatsphäre gewährleistet). Abweichungen von anderen Vorschriften der Rückführungsrichtlinie sind nicht möglich.

Umsetzung in nationales Recht ist Voraussetzung für mögliche Anwendung der Notlagenklausel: Artikel 18 beschreibt und begrenzt die Anwendungsfälle sowie den Umfang möglicher Abweichungen und die Informationspflichten gegenüber der Kommission. Wenn ein Mitgliedstaat diese Schutzklausel in Notlagen anwenden will, muss er sie vorher (82) — als Möglichkeit und im Einklang mit den Kriterien von Artikel 18 — in nationales Recht umsetzen. Hinweis: Im Gegensatz zu Schutzklauseln in Verordnungen (beispielsweise im Schengener Grenzkodex im Zusammenhang mit der Wiedereinführung von Grenzkontrollen an den Binnengrenzen) müssen Schutzklauseln in Richtlinien in nationales Recht umgesetzt werden, bevor ihre Anwendung möglich ist.)

Die Mitgliedstaaten müssen der Kommission mitteilen, wenn sie zu diesen Mitteln greifen und wenn diese nicht mehr zur Anwendung kommen. Informationen sollten der Kommission auf dem üblichen Dienstweg, d. h. über die Ständige Vertretung an das Generalsekretariat der Europäischen Kommission, übermittelt werden.

18.   UMSETZUNG, AUSLEGUNG UND ÜBERGANGSREGELUNGEN

Direkte Wirkung der Rückführungsrichtlinie bei unzureichender oder verspäteter Umsetzung: Nach der Rechtsprechung des EuGH erlangen Bestimmungen einer Richtlinie, mit denen Rechte auf Einzelpersonen übertragen werden und die hinreichend eindeutig und vorbehaltlos sind, mit Ablauf der Umsetzungsfrist für die Richtlinie direkte Geltung. Viele Bestimmungen der Rückführungsrichtlinie erfüllen diese Voraussetzungen und müssen von den nationalen Verwaltungs- und Justizbehörden direkt angewendet werden, wenn die Mitgliedstaaten bestimmte Bestimmungen der Richtlinie nicht (oder unzureichend) umgesetzt haben. Dies gilt insbesondere auf die Bestimmungen zu folgenden Punkten:

Achtung des Grundsatzes der Nichtzurückweisung (Artikel 5 und 9 der Rückführungsrichtlinie);

die Bestimmung, dass rückzuführenden Personen normalerweise eine angemessene Frist zwischen sieben und 30 Tagen für die freiwillige Ausreise angeboten werden sollte (Artikel 7 der Rückführungsrichtlinie);

Einschränkungen beim Rückgriff auf Zwangsmaßnahmen im Zusammenhang mit der erzwungenen Rückkehr (Artikel 8 der Rückführungsrichtlinie);

das Recht unbegleiteter Minderjähriger, gegen die ein Rückkehrverfahren eingeleitet wurde, Unterstützung durch geeignete Stellen zu erhalten, bei denen es sich nicht um die für die Vollstreckung von Rückkehrentscheidungen zuständigen Behörden handelt, und die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, dafür Sorge zu tragen, dass unbegleitete Minderjährige nur einem Mitglied ihrer Familie, einem offiziellen Vormund oder einer geeigneten Aufnahmeeinrichtung im Rückkehrstaat übergeben werden (Artikel 10 der Rückführungsrichtlinie);

Einschränkungen bei der Dauer von Einreiseverboten sowie Notwendigkeit der Einzelfallprüfung (Artikel 11 der Rückführungsrichtlinie) (Dies wurde vom EuGH in der Rechtssache C-297/12, Filev und Osmani (Rn. 55) ausdrücklich bestätigt);

Verfahrensgarantien, darunter das Recht auf eine schriftliche, begründete Rückkehrentscheidung sowie das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und auf Rechts- und Sprachbeistand (Artikel 12 und 13 der Rückführungsrichtlinie);

Einschränkungen für den Einsatz des Mittels der Inhaftnahme und Höchstfristen für die Inhaftnahme (Artikel 15 der Rückführungsrichtlinie) und Recht auf menschenwürdige Haftbedingungen (Artikel 16 der Rückführungsrichtlinie) (Dies wurde vom EuGH in der Rechtssache C-61/11, El Dridi (Rn. 46 und 47) ausdrücklich bestätigt);

Einschränkungen und besondere Schutzvorkehrungen bei der Inhaftnahme von Minderjährigen und Familien (Artikel 17 der Rückführungsrichtlinie).

Vorabentscheidung durch den EuGH: Gemäß Artikel 267 AEUV entscheidet der EuGH im Wege der Vorabentscheidung über die Auslegung und die Gültigkeit der Rückführungsrichtlinie. Wird eine derartige Frage einem Gericht eines Mitgliedstaats gestellt und hält dieses Gericht eine Entscheidung darüber zum Erlass seines Urteils für erforderlich, so kann es diese Frage dem EuGH zur Entscheidung vorlegen. Wird eine derartige Frage in einem schwebenden Verfahren bei einem einzelstaatlichen Gericht gestellt, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können, so ist dieses Gericht zur Anrufung des Gerichtshofs verpflichtet. Wird eine derartige Frage in einem schwebenden Verfahren, das eine inhaftierte Person betrifft, bei einem einzelstaatlichen Gericht gestellt, so entscheidet der EuGH im Wege eines beschleunigten Verfahrens. Vorabentscheidungen haben bereits eine wichtige Rolle für die Gewährleistung einer harmonisierten Auslegung mehrerer zentraler Bestimmungen der Rückführungsrichtlinie gespielt.

Die Gerichte der Mitgliedstaaten werden aufgefordert, die Überweisung zur Vorabentscheidung kontinuierlich zu nutzen und um eine authentische Auslegung durch den EuGH zu ersuchen, wann immer dies notwendig erscheint.

Übergangsregelungen für Fälle/Verfahren mit Bezug auf Zeiträume vor dem 24. Dezember 2010: Die Mitgliedstaaten müssen dafür sorgen, dass alle vom Anwendungsbereich der Richtlinie erfassten Personen vom 24. Dezember 2010 an (bei neuen Mitgliedstaaten vom Tag des Beitritts an) in den Genuss der durch die Richtlinie zuerkannten materiellen Garantien und Rechte kommen. Obgleich es legitim sein kann, nationale Rückkehrverfahren unter Anwendung von einzelstaatlichen Rechtsvorschriften fortzusetzen, die vor Umsetzung der Richtlinie gültig waren, dürfen dadurch die durch die Richtlinie gewährten Rechte nicht wesentlich untergraben werden, wie z. B. die Einschränkung der Inhaftnahme und der Anwendung von Zwangsmaßnahmen, Verfahrensgarantien, einschließlich das Recht auf eine schriftliche Entscheidung und Rechtsbehelf dagegen, Vorrang der freiwilligen Ausreise. Für jede nicht bis zum 24. Dezember 2010 vollzogene Rückkehr ist eine schriftliche Rückkehrentscheidung nach Maßgabe der Bestimmungen von Artikel 12 der Richtlinie zu erlassen, zugleich ist gegen diese Entscheidung ein wirksamer Rechtsbehelf gemäß Artikel 13 der Richtlinie zu gewähren.

Vor dem 24. Dezember 2010 erteilte Einreiseverbote müssen den Anforderungen der Rückführungsrichtlinie angepasst werden (siehe den entsprechenden Abschnitt 11.9) Haftzeiten vor dem Inkrafttreten der Bestimmungen der Richtlinie müssen in die Berechnung der in der Rückführungsrichtlinie festgelegten Höchsthaftdauer einfließen (siehe Abschnitt 14.4.2).

Abweichung vom Anwendungsbereich zu einem späteren Zeitpunkt (nach 2010): Die Mitgliedstaaten können sich entschließen, die in Artikel 2 vorgesehene Ausnahmeregelung („Grenzfälle“ und „Strafrechtsfälle“) zu einem späteren Zeitpunkt anzuwenden. Eine Änderung der nationalen Rechtsvorschriften darf keine nachteiligen Folgen für die Personen haben, die bereits in den Nutzen der Wirkungen der Rückführungsrichtlinie kommen konnten (siehe Abschnitt 2).

19.   QUELLEN UND REFERENZDOKUMENTE

Als Grundlage für dieses Handbuch dienen die folgenden Quellen:

1.

Protokolle der Sitzungen der Kontaktgruppe zur Rückführungsrichtlinie.

2.

Auszüge aus der einschlägigen Rechtsprechung des EuGH (unter Angabe der Schlüsselbegriffe und des Namens des betreffenden Mitgliedstaats in Klammern):

Urteil vom 30. November 2009, Kadzoev (C-357/09 PPU) ECLI:EU:C:2009:741 (Inhaftnahme — Gründe für die Verlängerung; Verbindung zur asylbezogene Inhaftnahme — BG)

Urteil vom 28. April 2011, El Dridi (C-61/11 PPU) ECLI:EU:C:2011:268 (Kriminalisierung — Bestrafung des illegalen Aufenthalts mit einer Freiheitsstrafe — IT)

Urteil vom 6. Dezember 2011, Achughbabian (C-329/11) ECLI:EU:C:2011:807 (Kriminalisierung — Bestrafung des illegalen Aufenthalts mit einer Freiheitsstrafe — FR)

Urteil vom 6. Dezember 2012, Sagor (C-430/11) ECLI:EU:C:2012:777 (Kriminalisierung — Bestrafung des illegalen Aufenthalts mit einer Geldbuße; Ausweisungsverfügung; Hausarrest — IT)

Beschluss vom 21. März 2013, Mbaye (C-522/11) ECLI:EU:C:2013:190 (Kriminalisierung illegalen Aufenthalts — IT)

Urteil vom 30. Mai 2013, Arslan (C-534/11) ECLI:EU:C:2013:343 (Rückkehr oder asylbezogene Inhaftnahme — CZ)

Urteil vom 10. September 2013, G. und R. (C-383/13 PPU) ECLI:EU:C:2013:533 (Recht auf Anhörung vor einer Haftverlängerung — NL)

Urteil vom 19. September 2013, Filev und Osmani (C-297/12) ECLI:EU:C:2013:569 (Einreiseverbote — Notwendigkeit der Bestimmung der Dauer von Amts wegen; frühere Einreiseverbote — DE)

Urteil vom 5. Juni 2014, Mahdi (C-146/14 PPU) ECLI:EU:C:2014:1320 (Haft — Gründe für die Haftverlängerung und Aufsicht einer Justizbehörde — BG)

Urteil vom 3. Juli 2014, Da Silva (C-189/13) ECLI:EU:C:2014:2043 (Kriminalisierung — illegale Einreise — FR)

Urteil vom 17. Juli 2014, Bero (C-473/13) und Bouzalmate (C 514/13) ECLI:EU:C:2014:2095 (Haftbedingungen — Pflicht zur Errichtung spezieller Hafteinrichtungen — DE)

Urteil vom 17. Juli 2014, Pham (C-474/13) ECLI:EU:C:2014:2096 (Haftbedingungen — Fehlen spezieller Hafteinrichtungen — DE)

Urteil vom 6. November 2014, Mukarubega (C-166/13) ECLI:EU:C:2014:2336 (Recht auf Anhörung vor dem Erlass einer Rückkehrentscheidung — FR)

Urteil vom 11. Dezember 2014, Boudjlida (C-249/13) ECLI:EU:C:2014:2431 (Recht auf Anhörung vor dem Erlass einer Rückkehrentscheidung — FR)

Urteil vom 18. Dezember 2014, Abdida (C-562/13) ECLI:EU:C:2014:2453 (Rechte bis zur aufgeschobenen Rückführung — BE)

Urteil vom 23. April 2015, Zaizoune (C-38/14) ECLI:EU:C:2015:260 (Verpflichtung zum Erlass von Rückkehrentscheidungen — ES)

Urteil vom 11. Juni 2015, Zh. und O. (C-554/13) ECLI:EU:C:2015:377 (Kriterien für die Bestimmung der Frist für die freiwillige Ausreise — NL)

Urteil vom 1. Oktober 2015, Skerdjan Celaj (C-290/14) ECLI:EU:C:2015:640 (Kriminalisierung der Nichteinhaltung eines Einreiseverbots — IT)

Urteil vom 15. Februar 2016, J.N. (C-601/15 PPU), ECLI:EU:C:2016:84 (Vollzug der Rückführungsentscheidung nach Ablehnung eines Antrags auf internationalen Schutz — NL)

Urteil vom 7. Juni 2016,Affum (C-47/15) ECLI:EU:C:2016:408 (Bestimmung des Begriffs „illegaler Aufenthalt“; Kriminalisierung — illegale Einreise — FR)

Urteil vom 15. März 2017, Al Chodor und andere (C-528/15), ECLI:EU:C:2017:213 (Bestimmung des Begriffs „Fluchtgefahr“ nach der Dublin-Verordnung — CZ)

Urteil vom 26. Juli 2017, Ouhrami (C-225/16) ECLI:EU:C:2017:590 (Anfangszeitpunkt der Dauer eines Einreiseverbots — NL)

3.

Besitzstand der EU:

Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger

Richtlinie 2001/40/EG des Rates vom 28. Mai 2001 über die gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen über die Rückführung von Drittstaatsangehörigen

Richtlinie 2003/110/EG des Rates vom 25. November 2003 über die Unterstützung bei der Durchbeförderung im Rahmen von Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg

Entscheidung 2004/191/EG des Rates vom 23. Februar 2004 zur Festlegung der Kriterien und praktischen Einzelheiten zum Ausgleich finanzieller Ungleichgewichte aufgrund der Anwendung der Richtlinie 2001/40/EG

Entscheidung des Rates 2004/573/EG vom 29. April 2004 betreffend die Organisation von Sammelflügen zur Rückführung von Drittstaatsangehörigen, die individuellen Rückführungsmaßnahmen unterliegen, aus dem Hoheitsgebiet von zwei oder mehr Mitgliedstaaten

Verordnung (EU) 2016/1624 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. September 2016 über die Europäische Grenz- und Küstenwache und zur Änderung der Verordnung (EU) 2016/399 des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 863/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates, der Verordnung (EG) Nr. 2007/2004 des Rates und der Entscheidung des Rates 2005/267/EG

Empfehlung der Kommission vom 7. März 2017 für eine wirksamere Gestaltung der Rückkehr im Rahmen der Durchführung der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, C(2017) 1600.

Mitteilung der Kommission vom 12. April 2017 an das Europäische Parlament und den Rat „Schutz minderjähriger Migranten“, COM(2017) 211 final.

4.

Einschlägige Dokumente des Europarates:

„20 Leitlinien zur Frage der erzwungenen Rückkehr“ des Ministerkomitees des Europarates vom 4. Mai 2005 plus Anmerkungen (September 2005, ISBN 92-871-5809-6)

Normen des „Europäischen Komitees zur Verhütung von Folter“ des Europarates („CPT Standards“) (Dokument CPT/Inf/E (2002) 1 — Rev. 2013)

CPT factsheet on immigration detention (Dokument CPT/Inf(2017)3 von März 2017)

Empfehlung Rec(2006)2 des Ministerkomitees an die Mitgliedstaaten zu den europäischen Strafvollzugsvorschriften (vom Ministerkomitee auf seiner 952. Sitzung am 11. Januar 2006 auf der Ebene der stellvertretenden Minister angenommen)

5.

Einschlägige Dokumente der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte (FRA):

Leitfaden „Apprehension of migrants in an irregular situation — fundamental rights considerations“ (Oktober 2012)

Handbuch zu den europarechtlichen Grundlagen im Bereich Asyl, Grenzen und Migration (gemeinsam von FRA und EGMR herausgegeben) (2014)

Alternatives to detention for asylum seekers and people in return procedures, Oktober 2015

Hinweis: „Fundamental rights of migrants in an irregular situation who are not removed“, abrufbar unter: http://fra.europa.eu/en/Non-removed-migrants-rights

European legal and policy framework on immigration detention of children (Juni 2017), abrufbar unter: http://fra.europa.eu/en/publication/2017/child-migrant-detention.

6.

Berichte zu Schengen Evaluierungen im Bereich der Rückkehr

20.   ABKÜRZUNGEN

 

GRC Die Charta der Grundrechte der Europäischen Union

 

CoE: Europarat

 

EMRK: Europäische Menschenrechtskonvention

 

EGMR: Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte

 

EuGH: Gerichtshof der Europäischen Union

 

EWR: Europäischer Wirtschaftsraum

 

FRA: Agentur der Europäischen Union für Grundrechte

 

Mitgliedstaaten: Die Mitgliedstaaten, die an die Rückkehrrichtlinie gebunden sind, d. h. alle EU-Mitgliedstaaten mit Ausnahme des Vereinigten Königreichs und Irlands sowie die Schweiz, Norwegen, Island und Liechtenstein

 

SGK: Schengener Grenzkodex

 

SDÜ: Schengener Durchführungsübereinkommen

 

SIS: Schengener Informationssystem

 

EUV: Vertrag über die Europäische Union

 

AEUV: Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union


(1)  Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. L 348 vom 24.12.2008, S. 98).

(2)  C(2015) 6250.

(3)  C(2017) 1600 final.

(4)  Verordnung (EU) 2016/399 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex) (ABl. L 77 vom 23.3.2016, S. 1).

(5)  Von den britischen Staatsbürgern sind aufgrund einer besonderen Bestimmung im Beitrittsvertrag des Vereinigten Königreichs nur die „Staatsangehörigen des Vereinigten Königreichs im Sinne des Rechts der Europäischen Union“ („United Kingdom nationals for European Union purposes“) Bürger der Europäischen Union.

(6)  Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (ABl. L 158 vom 30.4.2004, S. 77).

(7)  Nach Artikel 1 Absatz 1 des Übereinkommens von 1954 über die Rechtsstellung der Staatenlosen ist ein Staatenloser „eine Person, die kein Staat auf Grund seines Rechtes als Staatsangehörigen ansieht“.

(8)  Urteil des Gerichtshofs vom 7. Juni 2016, Affum, C-47/15, ECLI:EU:C:2016:408.

(9)  Urteil des Gerichtshofs vom 6. Dezember 2011, Achughbabian, C-329/11, ECLI:EU:C:2011:807.

(10)  Urteil des Gerichtshofs vom 6. Dezember 2012, Sagor, C-430/11, ECLI:EU:C:2012:777.

(11)  Urteil des Gerichtshofs vom 15. März 2017, Al Chodor u. a., C-528/15, ECLI:EU:C:2017:213.

(12)  Artikel 2 Buchstabe n der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 vom 29.6.2013, S. 31): „Fluchtgefahr“ das Vorliegen von Gründen im Einzelfall, die auf objektiven gesetzlich festgelegten Kriterien beruhen und zu der Annahme Anlass geben, dass sich ein Antragsteller, ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser, gegen den ein Überstellungsverfahren läuft, diesem Verfahren möglicherweise durch Flucht entziehen könnte.“

(13)  Diese Information ist über das Europäische Strafregisterinformationssystem erhältlich, das eingerichtet wurde durch den Rahmenbeschluss 2009/315/JI des Rates vom 26. Februar 2009 über die Durchführung und den Inhalt des Austauschs von Informationen aus dem Strafregister zwischen den Mitgliedstaaten (ABl. L 93 vom 7.4.2009, S. 23) und den Beschluss 2009/316/JI des Rates vom 6. April 2009 zur Einrichtung des Europäischen Strafregisterinformationssystems (ECRIS) gemäß Artikel 11 des Rahmenbeschlusses 2009/315/JI (ABl. L 93 vom 7.4.2009, S. 33). Am 19. Januar 2016 unterbreitete die Kommission den Vorschlag COM(2016) 7 final zur Vereinfachung des Austauschs von Strafregistereinträgen von Nicht-EU-Bürgern in der EU.

(14)  Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (ABl. L 180 vom 29.6.2013, S. 96).

(15)  Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. L 337 vom 20.12.2011, S. 9).

(16)  Im Gegensatz zu den EU-Mitgliedstaaten sind die Schweiz, Norwegen, Island und Liechtenstein nicht auf der Grundlage von Artikel 288 AEUV durch EU-Richtlinien gebunden, sondern erst, nachdem sie sie nach den allgemeinen Grundsätzen des Völkerrechts angenommen haben. Folglich gilt für diese vier Länder auch nicht die Rechtsprechung des EuGH im Zusammenhang mit der Umsetzung von Richtlinien in nationales Recht, und sie können die Modalitäten der Umsetzung der in der Rückführungsrichtlinie festgelegten Verpflichtung unter Einhaltung ihrer völkerrechtlichen Verpflichtungen frei wählen (zum Beispiel durch unmittelbare Bezugnahme auf den Wortlaut der Richtlinie).

(17)  Urteil des Gerichtshofs vom 19. September 2013, Filev und Osmani, C-297/12, ECLI:EU:C:2013:569.

(18)  Nach der Kodifizierung des Schengener Grenzkodexes von 2016 gilt die Bezugnahme auf Artikel 13 des Schengener Grenzkodexes als Bezugnahme auf Artikel 14 der Verordnung (EU) 2016/399.

(19)  Europarat, Europäisches Auslieferungsübereinkommen, 1957.

(20)  Urteil des Gerichtshofs vom 28. April 2011, El Dridi, C-61/11 PPU, ECLI:EU:C:2011:268.

(21)  Urteil des Gerichtshofs vom 23. April 2015, Zaizoune, C-38/14, ECLI:EU:C:2015:260.

(22)  Vereinte Nationen, Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge, 1951.

(23)  Artikel 31 Absatz 1 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge: „1. Die vertragschließenden Staaten werden wegen unrechtmäßiger Einreise oder Aufenthalts keine Strafen gegen Flüchtlinge verhängen, die unmittelbar aus einem Gebiet kommen, in dem ihr Leben oder ihre Freiheit im Sinne von Artikel 1 bedroht waren und die ohne Erlaubnis in das Gebiet der vertragschließenden Staaten einreisen oder sich dort aufhalten, vorausgesetzt, dass sie sich unverzüglich bei den Behörden melden und Gründe darlegen, die ihre unrechtmäßige Einreise oder ihren unrechtmäßigen Aufenthalt rechtfertigen.

(24)  Urteil des Gerichtshofs vom 1. Oktober 2015, Skerdjan Celaj, C-290/14, ECLI:EU:C:2015:640.

(25)  Richtlinie 2009/52/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über Mindeststandards für Sanktionen und Maßnahmen gegen Arbeitgeber, die Drittstaatsangehörige ohne rechtmäßigen Aufenthalt beschäftigen (ABl. L 168 vom 30.6.2009, S. 24). Dänemark, die Schweiz, Norwegen, Island und Liechtenstein sind nicht durch diese Richtlinie gebunden.

(26)  Richtlinie 2004/81/EG des Rates vom 29. April 2004 über die Erteilung von Aufenthaltstiteln für Drittstaatsangehörige, die Opfer des Menschenhandels sind oder denen Beihilfe zur illegalen Einwanderung geleistet wurde und die mit den zuständigen Behörden kooperieren (ABl. L 261 vom 6.8.2004, S. 19).

(27)  Richtlinie 2001/40/EG des Rates vom 28. Mai 2001 über die gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen über die Rückführung von Drittstaatsangehörigen (ABl. L 149 vom 2.6.2001, S. 34).

(28)  Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung der Kriterien und Verfahren zur Bestimmung des Mitgliedstaats, der für die Prüfung eines von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen in einem Mitgliedstaat gestellten Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist (ABl. L 180 vom 29.6.2013, S. 31).

(29)  Die angeführten Beispiele wurden zum Zwecke der Erläuterung vereinfacht. In der Praxis muss jeder Fall anhand der jeweiligen Umstände bewertet werden.

(30)  Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen (ABl. L 239 vom 22.9.2000, S. 19).

(31)  Empfehlung K(2006) 5186 der Kommission vom 6. November 2006 über einen gemeinsamen „Leitfaden für Grenzschutzbeamte (Schengen-Handbuch)“, der von den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten bei der Durchführung von Grenzkontrollen bei Personen heranzuziehen ist, und spätere Änderungen.

(32)  Es handelt sich um eine umfassende „Auffangbestimmung“, die auch all jene Fälle erfasst, die nach Artikel 2 Nummer 16 Buchstabe b Ziffern i und ii SGK von der Definition des „Aufenthaltstitels“ ausdrücklich ausgenommen sind.

(33)  Beschluss K(2010) 1620 der Kommission vom 19. März 2010 über ein Handbuch für die Bearbeitung von Visumanträgen und die Änderung von bereits erteilten Visa und spätere Änderungen.

(34)  Urteil des Gerichtshofs vom 15. Februar 2016, J. N., C-601/15 PPU, ECLI:EU:C:2016:84.

(35)  Richtlinie 2014/66/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen im Rahmen eines unternehmensinternen Transfers (ABl. L 157 vom 27.5.2014, S. 1).

(36)  Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen (ABl. L 16 vom 23.1.2004, S. 44).

(37)  Richtlinie 2011/51/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2011 zur Änderung der Richtlinie 2003/109/EG des Rates zur Erweiterung ihres Anwendungsbereichs auf Personen, die internationalen Schutz genießen (ABl. L 132 vom 19.5.2011, S. 1).

(38)  Richtlinie 2009/50/EG des Rates vom 25. Mai 2009 über die Bedingungen für die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen zur Ausübung einer hochqualifizierten Beschäftigung (ABl. L 155 vom 18.6.2009, S. 17).

(39)  Ratsdokument 8829/16.

(40)  Ratsdokument 9979/16.

(41)  Urteil des Gerichtshofs vom 11. Juni 2015, Zh. und O., C-554/13, ECLI:EU:C:2015:377.

(42)  Entscheidung 2004/191/EG des Rates vom 23. Februar 2004 zur Festlegung der Kriterien und praktischen Einzelheiten zum Ausgleich finanzieller Ungleichgewichte aufgrund der Anwendung der Richtlinie 2001/40/EG über die gegenseitige Anerkennung von Entscheidungen über die Rückführung von Drittstaatsangehörigen (ABl. L 60 vom 27.2.2004, S. 55).

(43)  Richtlinie 2003/110/EG des Rates vom 25. November 2003 über die Unterstützung bei der Durchbeförderung im Rahmen von Rückführungsmaßnahmen auf dem Luftweg (ABl. L 321 vom 6.12.2003, S. 26).

(44)  Hinweis: Diese Auslegung bedeutet nicht, dass die unbegleitete Rückführung mit der freiwilligen Ausreise gleichzusetzen ist. Der Begriff „unbegleitete Rückführung“ kann sich auch auf Fälle erzwungener Rückkehr (Abschiebung) ohne polizeiliche Begleitung erstrecken.

(45)  

COM(2016) 881 final.

(46)  Verordnung (EU) 2016/1953 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Oktober 2016 über die Einführung eines europäischen Reisedokuments für die Rückkehr illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger und zur Aufhebung der Empfehlung des Rates vom 30. November 1994 (ABl. L 311 vom 17.11.2016, S. 13).

(47)  Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (ABl. L 180 vom 29.6.2013, S. 60).

(48)  Entscheidung 2004/573/EG des Rates vom 29. April 2004 betreffend die Organisation von Sammelflügen zur Rückführung von Drittstaatsangehörigen, die individuellen Rückführungsmaßnahmen unterliegen, aus dem Hoheitsgebiet von zwei oder mehr Mitgliedstaaten (ABl. L 261 vom 6.8.2004, S. 28).

(49)  Verordnung (EU) 2016/1624 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. September 2016 über die Europäische Grenz- und Küstenwache und zur Änderung der Verordnung (EU) 2016/399 des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 863/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates, der Verordnung (EG) Nr. 2007/2004 des Rates und der Entscheidung 2005/267/EG des Rates (ABl. L 251 vom 16.9.2016, S. 1).

(50)  Vereinte Nationen, Übereinkommen über die Rechte des Kindes, 1989.

(51)  UNHCR-Unicef, Safe and Sound, 2014, abrufbar unter: http://www.refworld.org/cgi-bin/texis/vtx/rwmain?docid=574fd31f4.

(52)  United Nations, General comment No. 14 (2013) on the right of the child to have his or her best interests taken as a primary consideration (Art. 3, para. 1)*, 2013, abrufbar unter: http://www2.ohchr.org/English/bodies/crc/docs/GC/CRC_C_GC_14_ENG.pdf.

(53)  UNHCR, Guidelines on Determining the Best Interests of the Child, 2008, http://www.unhcr.org/4566b16b2.pdf.

(54)  UNHCR, Field Handbook for the Implementation of UNHCR BID Guidelines, 2011, abrufbar unter: http://www.refworld.org/pdfid/4e4a57d02.pdf.

(55)  Europarat, 20 Leitlinien zur Frage der erzwungenen Rückkehr, 2005.

(56)  Europäisches Unterstützungsbüro für Asylfragen, Age assessment practice in Europe, 2014, abrufbar unter: https://www.easo.europa.eu/sites/default/files/public/EASO-Age-assessment-practice-in-Europe.pdf. Ein neuer Leitfaden wird derzeit ausgearbeitet.

(57)  Vereinte Nationen, Leitlinien für alternative Formen der Betreuung von Kindern, 2010, abrufbar unter: http://www.refworld.org/cgi-bin/texis/vtx/rwmain/opendocpdf.pdf?reldoc=y&docid=4c3acd802.

(58)  Verordnung (EG) Nr. 1987/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über die Einrichtung, den Betrieb und die Nutzung des Schengener Informationssystems der zweiten Generation (SIS II) (ABl. L 381 vom 28.12.2006, S. 4).

(59)  KOM(2009) 313 endg.

(60)  Urteil des Gerichtshofs vom 17. November 2011, Gaydarov, C-430/10, ECLI:EU:C:2011:749.

(61)  Urteil des Gerichtshofs vom 26. Juli 2017, Ouhrami, C-225/16, ECLI:EU:C:2017:590.

(62)  Urteil des Gerichtshofs vom 10. September 2013, G. und R., C-383/13 PPU, ECLI:EU:C:2013:533.

(63)  Urteil des Gerichtshofs vom 11. Dezember 2014, Boudjlida, C-249/13, ECLI:EU:C:2014:2431.

(64)  Urteil des Gerichtshofs vom 6. November 2014, Mukarubega, C-166/13, ECLI:EU:C:2014:2336.

(65)  United Nations, General Comment No. 12 (2009): The right of the child to be heard, 2009, abrufbar unter: http://www.refworld.org/docid/4ae562c52.html.

(66)  COM(2015) 285 final.

(67)  Verordnung (EG) Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über einen Visakodex der Gemeinschaft (Visakodex) (ABl. L 243 vom 15.9.2009, S. 1).

(68)  Urteil des Gerichtshofs vom 18. Dezember 2014, Abdida, C-562/13, ECLI:EU:C:2014:2453.

(69)  Richtlinie 2005/85/EG des Rates vom 1. Dezember 2005 über Mindestnormen für Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Zuerkennung und Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft (ABl. L 326 vom 13.12.2005, S. 13), aufgehoben durch die Richtlinie 2013/32/EU.

(70)  Urteil des EGMR vom 5. Februar 2002, Conka gegen Belgien, Antrag Nr. 51564/99.

(71)  Richtlinie 2003/9/EG des Rates vom 27. Januar 2003 zur Festlegung von Mindestnormen für die Aufnahme von Asylbewerbern in den Mitgliedstaaten (ABl. L 31 vom 6.2.2003, S. 18).

(72)  Vereinte Nationen, General comment No. 6 (2005): Treatment of Unaccompanied and Separated Children Outside their Country of Origin, 2005, abrufbar unter: http://www.refworld.org/docid/42dd174b4.html.

(73)  Urteil des Gerichtshofs vom 5. Juni 2014, Mahdi, C-146/14, ECLI:EU:C:2014:1320.

(74)  Urteil des Gerichtshofs vom 30. November 2009, Kadzoev, C-357/09, ECLI:EU:C:2009:741.

(75)  UNHCR, Options paper 2: Options for governments on open reception and alternatives to detention, 2015, abrufbar unter: http://www.unhcr.org/protection/detention/5538e53d9/unhcr-options-paper-2-options-governments-open-reception-alternatives-detention.html.

(76)  Urteil des Gerichtshofs vom 30. Mai 2013, Arslan, C-534/11, ECLI:EU:C:2013:343.

(77)  Ein Überblick über die unterschiedliche Höchsthaftdauer nach nationalem Recht findet sich unter: http://ec.europa.eu/smart-regulation/evaluation/search/download.do?documentId=10737855 (Seiten 44-50). Dieser gibt den Stand von Dezember 2013 wieder; die nationalen Vorschriften sind seither zum Teil geändert worden.

(78)  Urteil vom 17. Juli 2014Bero, C-473/13, und Bouzalmate, C 514/13, ECLI:EU:C:2014:2095.

(79)  Urteil des Gerichtshofs vom 17. Juli 2014, Pham, C-474/13, ECLI:EU:C:2014:2096.

(80)  UNHCR, Options paper 1: Options for governments on care arrangements and alternatives to detention for children and families, 2015, abrufbar unter: http://www.unhcr.org/553f58509.pdf.

(81)  Agentur der Europäischen Union für Grundrechte, European legal and policy framework on immigration detention of children, 2017, abrufbar unter: http://fra.europa.eu/sites/default/files/fra_uploads/fra-2017-immigration-detention-children_en.pdf.

(82)  Zur spezifischen Situation der Schweiz, Norwegens, Islands und Liechtensteins siehe die entsprechende Fußnote in Abschnitt 2.


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