Zuständigkeiten in Strafsachen: erster und dritter Pfeiler

Durch das Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) in der Rechtssache C-176/03 wird geklärt, wie die Zuständigkeiten in Strafsachen zwischen erstem und drittem Pfeiler verteilt sind. In dieser Mitteilung legt die Europäische Kommission dar, welche Folgen sich aus diesem Urteil ergeben, und bestimmt die künftige Ausrichtung der Ausübung des Initiativrechts der Kommission.

RECHTSAKT

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat über die Folgen des Urteils des Gerichtshofs vom 13. September 2005 (Rs. C-176/03, Kommission gegen Rat) [KOM(2005) 583 endgültig - nicht im Amtsblatt veröffentlicht].

ZUSAMMENFASSUNG

In dieser Mitteilung analysiert die Europäische Kommission die Tragweite und die Folgen des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 13. September 2005. In der Rechtssache C-176/03 beantragte die Europäische Kommission mit Unterstützung des Europäischen Parlaments die Nichtigerklärung des Rahmenbeschlusses 2003/80/JI des Rates vom 27. Januar 2003 über den Schutz der Umwelt durch das Strafrecht. Der EuGH gab der Klage statt. In dem Urteil wird geklärt, wie die Zuständigkeiten in Strafsachen zwischen erstem und drittem Pfeiler verteilt sind, obwohl das Strafrecht als solches nicht in den Bereich der Gemeinschaftspolitik fällt.

Infragestellung der Rechtsgrundlage

Am 15. April 2003 reichte die Europäische Kommission beim EuGH eine Nichtigkeitsklage ein, in der sie die Nichtigerklärung des Rahmenbeschlusses 2003/80/JI des Rates vom 27. Januar 2003 über den Schutz der Umwelt durch das Strafrecht beantragte. In seinem Rahmenbeschluss verpflichtet der Rat die Mitgliedstaaten, strafrechtliche Sanktionen für Umweltstraftäter vorzusehen, und stützt sich dabei auf Artikel 29 ff. des Vertrags über die Europäische Union (EU-Vertrag). Nach Auffassung der Kommission wurde der Rahmenbeschluss somit auf der falschen Rechtsgrundlage angenommen. Die Kommission ist der Meinung, dass Artikel 175 Absatz 1 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EG-Vertrag) die angemessene Rechtsgrundlage darstellt.

Zudem hatte die Kommission auf dieser Grundlage einen Vorschlag für eine Richtlinie über den strafrechtlichen Schutz der Umwelt vorgelegt. Die beiden vom Rat (EU-Vertrag) und der Kommission (EG-Vertrag) herangezogenen unterschiedlichen Rechtsgrundlagen stehen im Zusammenhang mit verschiedenen Pfeilern, nämlich

Um die Rechtmäßigkeit der Rechtsgrundlage zu überprüfen, bezieht sich der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, wie in solchen Fällen üblich, auf das Ziel und den Inhalt des Rechtsakts. Nach Prüfung der Artikel 1 bis 7 des Rahmenbeschlusses im Hinblick darauf, inwieweit diese die Zuständigkeit der Gemeinschaft nach Artikel 175 EG berühren, stellte der Gerichtshof bezüglich der Zuweisung der Zuständigkeit der Gemeinschaft gemäß Artikel 175 unter anderem Folgendes fest:

In Anbetracht ihrer Zielsetzung und ihres Inhalts besteht der Hauptzweck der Artikel 1 bis 7 des Rahmenbeschlusses im Schutz der Umwelt. Somit hätten diese Vorschriften wirksam auf der Grundlage des Artikels 175 EG-Vertrag erlassen werden können. Aus diesem Grund erklärte der EuGH den Rahmenbeschluss 2003/80/JI dem Antrag der Kommission entsprechend für nichtig.

Bestimmung der Tragweite des Urteils

Die durch das Urteil des Gerichtshofs erfolgte Klarstellung in Bezug auf die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen erstem und drittem Pfeiler ergibt folgende Situation:

Dieses Grundsatzurteil betrifft die Gemeinschaftspolitik im Bereich des Umweltschutzes, seine Bedeutung reicht jedoch weit darüber hinaus. Dieselbe Argumentation kann auch ausnahmslos auf die übrigen gemeinsamen Politikbereiche und die vier Grundfreiheiten (Freizügigkeit sowie freier Waren-, Dienstleistungs- und Kapitalverkehr) Anwendung finden, für die es zwingende Normen gibt, deren Wirksamkeit gegebenenfalls durch strafrechtliche Maßnahmen gewährleistet werden muss.

Da das Strafrecht als solches nicht in den Bereich der Gemeinschaftspolitik fällt, kann sich ein Tätigwerden der Gemeinschaft in Strafsachen nur auf eine implizite Zuständigkeit in Verbindung mit einer ganz bestimmten Rechtsgrundlage stützen. Die Annahme strafrechtlicher Maßnahmen auf der Grundlage des Gemeinschaftsrechts ist daher nur möglich, wenn diese sektorbezogen sind, und auch nur unter der Voraussetzung, dass nachweislich die Notwendigkeit besteht, schwere Defizite bei der Umsetzung der Zielsetzungen der Gemeinschaft zu beseitigen. Es obliegt der Kommission, diese Notwendigkeit in ihren Vorschlägen von Fall zu Fall und in Abhängigkeit von den ureigenen Erfordernissen der betreffenden Gemeinschaftspolitik oder Grundfreiheit zu würdigen, die die Rechtsgrundlage des EG-Vertrags darstellt. Gelangt die Kommission zu der Auffassung, dass die volle Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts in einem bestimmten Sektor nur durch strafrechtliche Maßnahmen gewährleistet werden kann, dürfen diese Folgendes einschließen:

Es obliegt der Kommission, den Grad des Eingreifens der Gemeinschaft im strafrechtlichen Bereich zu würdigen. Dabei gibt sie so weit wie möglich dem Erlass horizontaler Vorschriften den Vorzug, die für den betreffenden Sektor nicht spezifisch sind: Wenn dies die Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts erfordert, kann die den Mitgliedstaaten zuerkannte Wahlfreiheit hinsichtlich der anwendbaren Sanktionen vom Gemeinschaftsgesetzgeber eventuell gewissen Rahmenbestimmungen untergeordnet werden.

Folgen des Urteils

Die Gemeinschaft kann also auf das Strafrecht zurückgreifen, um ihre Ziele zu erreichen. Die Gewährleistung der Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts durch strafrechtliche Maßnahmen ist jedoch nur unter zwei Voraussetzungen zulässig:

Neben dem Rahmenbeschluss 2003/80/JI betrifft das Urteil des Gerichtshofes weitere Rechtsakte, die gänzlich oder zum Teil auf einer falschen Rechtsgrundlage erlassen wurden. Diese sind im Anhang dieser Mitteilung aufgeführt. Dabei handelt es sich um die folgenden Rechtsakte:

Bereinigung der rechtlichen Situation im Anschluss an das Urteil

Nach Auffassung der Kommission kann die Bereinigung der rechtlichen Situation im Anschluss an das Urteil in unterschiedlicher Form erfolgen. Zum einen könnten die vorhandenen Rechtsakte ausschließlich dahingehend überprüft werden, dass sie mit der Verteilung der Zuständigkeiten zwischen erstem und drittem Pfeiler in Einklang stehen. In diesem Fall würde die Kommission in ihren Vorschlägen auf inhaltliche Änderungen völlig verzichten. Dies wäre eine einfache und schnelle Lösung, die es erlaubt, die Gemeinschaftsgesetzgebung in ihrer Substanz beizubehalten und der Rechtssicherheit Genüge zu leisten. Bei dieser Lösung bedarf es jedoch eines vorherigen Einvernehmens zwischen Kommission, Rat und Parlament. Kommt andererseits ein solches Einvernehmen nicht zustande, macht die Kommission von ihrem Vorschlagsrecht Gebrauch und stellt dabei nicht nur die Rechtsgrundlagen richtig, sondern gibt auch inhaltlichen Lösungen den Vorzug, die ihrem Verständnis des Gemeinschaftsinteresses entsprechen. Bei den noch nicht angenommenen Vorschlägen besteht kein Grund, die erste Variante zu wählen, da die Kommission bei Bedarf die notwendigen Änderungen in ihre Vorschläge aufnehmen wird. Das weitere Verfahren richtet sich dann ausschließlich nach der anwendbaren Rechtsgrundlage.

Letzte Änderung: 02.03.2011