ISSN 1977-088X

Amtsblatt

der Europäischen Union

C 173

European flag  

Ausgabe in deutscher Sprache

Mitteilungen und Bekanntmachungen

60. Jahrgang
31. Mai 2017


Informationsnummer

Inhalt

Seite

 

I   Entschließungen, Empfehlungen und Stellungnahmen

 

STELLUNGNAHMEN

 

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

 

523. Plenartagung des EWSA vom 22./23. Februar 2017

2017/C 173/01

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Hochwertige Bildung für alle (Sondierungsstellungnahme)

1

2017/C 173/02

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur Halbzeitbewertung des LIFE-Programms (Sondierungsstellungnahme)

7

2017/C 173/03

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur Wirksamkeit von aus dem ESF und FEAD finanzierten Maßnahmen zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung durch die Zivilgesellschaft im Rahmen der Umsetzung der Strategie Europa 2020 (Initiativstellungnahme)

15

2017/C 173/04

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Die Rolle der Landwirtschaft in multilateralen, bilateralen und regionalen Handelsverhandlungen im Lichte der WTO-Ministerkonferenz von Nairobi (Initiativstellungnahme)

20


 

III   Vorbereitende Rechtsakte

 

EUROPÄISCHER WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS

 

523. Plenartagung des EWSA vom 22./23. Februar 2017

2017/C 173/05

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über Verfahren zur Beilegung von Doppelbesteuerungsstreitigkeiten in der Europäischen Union(COM(2016) 686 final — 2016/0338 (CNS))

29

2017/C 173/06

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur Empfehlung für eine Empfehlung des Rates zur Wirtschaftspolitik des Euro-Währungsgebiets(COM(2016) 726 final) und zur Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, die Europäische Zentralbank, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Hin zu einem positiven fiskalischen Kurs für das Euro-Währungsgebiet(COM(2016) 727 final)

33

2017/C 173/07

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1303/2013 im Hinblick auf spezifische Maßnahmen zur Bereitstellung zusätzlicher Unterstützung für von Naturkatastrophen betroffene Mitgliedstaaten(COM(2016) 778 final — 2016/0384 (COD))

38

2017/C 173/08

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2014/59/EU des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf den Rang unbesicherter Schuldtitel in der Insolvenzrangfolge(COM(2016) 853 final — 2016/0363 (COD))

41

2017/C 173/09

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu folgenden Vorlagen: Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Eine neue europäische Agenda für Kompetenzen — Humankapital, Beschäftigungsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit gemeinsam stärken(COM(2016) 381 final),Vorschlag für eine Empfehlung des Rates zur Einführung einer Kompetenzgarantie(COM(2016) 382 final — 2016/0179 (NLE)),Vorschlag für eine Empfehlung des Rates über den Europäischen Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen und zur Aufhebung der Empfehlung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 zur Einrichtung des Europäischen Qualifikationsrahmens für lebenslanges Lernen(COM(2016) 383 final — 2016/0180 (NLE)),Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über einen gemeinsamen Rahmen für die Bereitstellung besserer Dienste für Kompetenzen und Qualifikationen (Europass) und zur Aufhebung der Entscheidung Nr. 2241/2004/EG(COM(2016) 625 final — 2016/0304 (COD)),Verbesserung der Qualifikationen von Erwerbstätigen auf dem Arbeitsmarkt (Sondierungsstellungnahme (maltesischer Ratsvorsitz))

45

2017/C 173/10

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Eine europäische Strategie für emissionsarme Mobilität(COM(2016) 501 final)

55

2017/C 173/11

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Einrichtung der EFSD-Garantie und des EFSD-Garantiefonds(COM(2016) 586 final)

62

2017/C 173/12

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Neuer Partnerschaftsrahmen für die Zusammenarbeit mit Drittländern im Kontext der Europäischen Migrationsagenda(COM(2016) 385 final)

66

2017/C 173/13

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, die Europäische Zentralbank, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, den Ausschuss der Regionen und die Europäische Investitionsbank — Jahreswachstumsbericht 2017(COM(2016) 725 final)

73

2017/C 173/14

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 87/217/EWG des Rates, der Richtlinie 2003/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, der Richtlinie 2009/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, der Verordnung (EU) Nr. 1257/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates, der Richtlinie 86/278/EWG des Rates und der Richtlinie 94/63/EG des Europäischen Parlaments und des Rates in Bezug auf Verfahrensvorschriften auf dem Gebiet der Umweltberichterstattung und zur Aufhebung der Richtlinie 91/692/EWG des Rates[COM(2016) 789 final — 2016/0394 COD]

82


DE

 


I Entschließungen, Empfehlungen und Stellungnahmen

STELLUNGNAHMEN

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

523. Plenartagung des EWSA vom 22./23. Februar 2017

31.5.2017   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 173/1


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Hochwertige Bildung für alle“

(Sondierungsstellungnahme)

(2017/C 173/01)

Berichterstatter:

Benjamin RIZZO

Ersuchen des maltesischen Ratsvorsitzes

16.9.2016

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

 

 

Zuständige Fachgruppe

Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft

Annahme in der Fachgruppe

3.2.2017

Verabschiedung auf der Plenartagung

22.2.2017

Plenartagung Nr.

523

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

207/1/5

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA):

1.1.

fordert die Mitgliedstaaten auf, sich stärker für eine hochwertige Bildung für alle zu engagieren, um die Ziele der EU für 2020 und die der Vereinten Nationen für 2030 zu erreichen;

1.2.

betont, wie wichtig eine staatlich geförderte allgemeine und berufliche Bildung für alle ist, und unterstreicht zugleich die Relevanz, die Bürger über Menschenrechte und ihre Rolle als Bürger zu informieren und die europäischen Werte in sämtlichen Bildungsprogrammen der Mitgliedstaaten zu stärken;

1.3.

plädiert für eine stärkere Förderung der frühkindlichen Bildung (entscheidend für Spracherwerb, Sozialisierung, Anpassung an die Grundschul- und die weiterführende Bildung) sowie des lebenslangen Lernens (entscheidend für eine erfolgreiche Eingliederung in die Gesellschaft und die Arbeitswelt);

1.4.

betont, dass Weiterbildungsmöglichkeiten für jugendliche Schulabbrecher, gering qualifizierte Arbeitnehmer und Arbeitsmigranten geschaffen und die Ergebnisse des nicht-formalen und des informellen Lernens anerkannt werden müssen;

1.5.

hält die Zukunft der Arbeit und die Herausforderungen durch die Digitalisierung für wichtige Themen, denen die EU und ihre Mitgliedstaaten einen zentralen Platz in der politischen Debatte und in dem gesellschaftlichen Dialog über hochwertige Bildung für alle einräumen müssen;

1.6.

ruft die EU und ihre Mitgliedstaaten auf, sich verstärkt um Synergien und aufeinander abgestimmte EU-weite Strategien im Bereich der Bildung für alle zu bemühen;

1.7.

erinnert die Europäische Kommission und ihre Mitgliedstaaten daran, dass Lehrkräfte und das Personal von Bildungseinrichtungen in ihren Bemühungen zur Verbesserung sämtlicher Aspekte ihrer beruflichen Entwicklung für eine bessere berufliche Leistung unterstützt werden müssen. Er empfiehlt daher, in die Qualifikation von Lehrkräften und Ausbildern zu investieren, die Geschlechtergleichheit bei der Einstellung zu gewährleisten sowie stabile Arbeits- und attraktive Aufstiegsbedingungen und Gehälter für diese Berufsgruppen zu bieten;

1.8.

fordert eine effektivere Nutzung der europäischen Fonds, insbesondere des Europäischen Sozialfonds (ESF), und von Horizont 2020, um eine hochwertige Bildung und Ausbildung, Begabtenförderung, Forschung und Innovation zu fördern unterstützen.

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1.

Der EWSA begrüßt ausdrücklich, dass der maltesische Ratsvorsitz „Hochwertige Bildung für alle“ als übergeordnetes Thema ausgewählt und den EWSA um eine Sondierungsstellungnahme dazu ersucht hat. Europa darf die grundlegende Rolle nicht außer Acht lassen, die eine allen zugängliche, hochwertige Bildung beim Aufbau einer europäischen Gesellschaft spielt, die für Grundrechte und -werte einsteht. Malta will die Inklusion in Vielfalt in der formalen und der nicht-formalen Bildung durch die Bereitstellung gerechter und vielfältiger Lernwege fördern. In diesem Sinne hat Malta im Januar 2017 eine Bildungswoche mit den Schwerpunkten „Gerechtigkeit und Lernen“ sowie „digitale Bildung“ veranstaltet.

2.2.

Der EWSA begrüßt außerdem, dass die Europäische Kommission am 7. Dezember drei Mitteilungen unter dem Titel „Jugendinitiative“ (1) vorgelegt hat. Der Schwerpunkt dieser Stellungnahme liegt auf der Mitteilung „Verbesserung und Modernisierung der Bildung: Hochwertige Bildung für alle“. Des Weiteren erwartet der EWSA als Vertreter der europäischen Zivilgesellschaft auf EU-Ebene, konsultiert zu werden und sich aktiv an den weiteren Entwicklungen in Zusammenhang mit diesen Initiativen beteiligen zu können. Als erste Reaktion muss der EWSA jedoch seine Befürchtung äußern, dass diese Initiativen wertlos sein könnten, weil viele Mitglieder unserer Gesellschaften immer noch von Sparmaßnahmen betroffen sind und daher nicht vollständig von einer hochwertigen Bildung profitieren können.

2.3.

Auch wenn die Bildung in die ausschließliche Zuständigkeit der nationalen Regierungen fällt, ist der EWSA der Ansicht, dass die EU mit ihrem Einfluss und ihrer finanziellen Leistungsfähigkeit die Mitgliedstaaten dabei unterstützen sollte, mehr in eine hochwertige Bildung für alle zu investieren.

3.   Besondere Bemerkungen

3.1.    Qualität der Bildung

3.1.1.

Eine hochwertige Bildung trägt zur Entwicklung freier, kritischer, bewusster, aktiver und selbstständiger Männer und Frauen bei und befähigt sie, an den Fortschritten der Gesellschaft, in der sie leben, teilzuhaben und die gemeinsamen Werte Freiheit und Solidarität zu verstehen. Durch eine hochwertige Bildung wird außerdem die Grundlage geschaffen, auf der die Menschen die Herausforderungen der Arbeitswelt bewältigen können.

3.1.2.

Die Verpflichtung zu einer hochwertigen Bildung erfordert konkrete Maßnahmen, u. a.:

eine bessere Förderung der frühkindlichen Bildung (entscheidend für Spracherwerb, Sozialisierung, Anpassung an die Grundschul- und die weiterführende Bildung) sowie des lebenslangen Lernens (entscheidend für eine erfolgreiche Eingliederung in die Gesellschaft und die Arbeitswelt);

dafür Sorge zu tragen, dass die Bildung den Herausforderungen der Globalisierung und Digitalisierung und den Veränderungen in der Arbeitswelt Rechnung trägt;

die Schaffung von Bildungschancen für junge Schulabbrecher, gering qualifizierte Arbeitnehmer und Arbeitsmigranten, ohne dabei die digitale Kompetenz zu vernachlässigen;

zu gewährleisten, dass Kompetenzen der Informationsauswahl als Teil des Bildungsprozesses entwickelt werden;

die Anerkennung der Ergebnisse der nicht-formalen und der informellen Bildung;

die Förderung von Bündnissen der unterschiedlichsten Bildungsakteure unter Einbeziehung des gesamten Bildungswesens;

Investitionen in die Grund- und Referendariatsausbildung und deren Verbesserung für Lehrkräfte und Personal von Bildungsweinrichtungen;

die Aufwertung des Lehrerberufs und die Schaffung besserer Arbeitsbedingungen und attraktiverer Gehälter;

darauf zu achten, dass die zur Bewältigung der Wirtschaftskrise und Staatsschulden beschlossenen Maßnahmen nicht der Qualität der allgemeinen und beruflichen Bildung schaden;

Investitionen in bessere Bildungsinfrastrukturen und -instrumente, wie etwa IKT;

bessere öffentliche Investitionen in eine hochwertige allgemeine Bildung, Forschung und Berufsbildung sowie fortgesetzte Unterstützung und Finanzierung des Programms Erasmus+;

eine bessere Nutzung der europäischen Fonds, insbesondere des Europäischen Sozialfonds (ESF), und von Horizont 2020 zur Förderung einer hochwertigen Bildung und Ausbildung, Forschung und Innovation;

die Stärkung der EU-weiten Mobilitätschancen für Studierende, Wissenschaftler, Lehrer, Ausbilder und Forscher, denen es möglich sein sollte, zeitweise in einen anderen Mitgliedstaat zu gehen — dies sollte nicht nur für die formale Bildung, sondern auch für nicht-formale Systeme, die berufliche Ausbildung und die Lehrlingsausbildung gelten;

das Streben nach mehr EU-weiten Synergien und aufeinander abgestimmten Strategien in der Bildung und

die Förderung der Zusammenarbeit und des Dialogs zwischen Unternehmen sowie Bildungs- und Berufsbildungssystemen und -anbietern, um den Qualifikationsbedarf zu ermitteln und die Beschäftigung zu fördern.

3.2.    Bildung und Menschenrechte

3.2.1.

Der EWSA ist der Ansicht, dass zwar ein wesentliches Ziel der Bildung, wie bereits ausgeführt, in der Entwicklung der Menschen besteht, die berufliche Bildung hingegen eine Disziplin und Tätigkeit ist, die eher für betriebliche Zwecke relevant und eng mit der Entwicklung der Arbeitswelt und dem Eintritt in diese verknüpft ist. Der EWSA hat bereits die Unterschiede und Verknüpfungen zwischen allgemeiner und beruflicher Bildung aufgezeigt, die eindeutig zusammenhängen, jedoch jeweils eigenen Zielen dienen. Er hat mit vielen Stellungnahmen dazu beigetragen, dass Bildung als grundlegendes Menschenrecht, öffentliches Gut und vorrangige staatliche Aufgabe anerkannt wird.

3.2.2.

In der Erklärung zur „Förderung der Bürgerrechte und der gemeinsamen Werte Freiheit, Toleranz und Nichtdiskriminierung durch Bildung“ (von den Bildungsministern im März 2015 in Paris nach den Anschlägen in Frankreich und Dänemark unterzeichnet) heißt es, dass die EU „[ihre] Entschlossenheit [bekräftigt], [sich] gemeinsam für die Stärkung unserer Grundwerte einzusetzen, die ein zentrales Anliegen der Europäischen Union sind: Achtung der Menschenwürde, Freiheit (vor allem freie Meinungsäußerung), Demokratie, Gleichheit vor dem Gesetz […], Rechtsstaat und Achtung der Menschenrechte“.

3.2.3.

Leider war 2016 geprägt von Gewalt, die aus verschiedenen Hintergründen hervorging (einschließlich politisch rechtsextremer Gruppen mit xenophoben und rassistischen Ansichten, mit Religion begründetem Terrorismus und starker Ablehnung gegenüber vor Krieg und Konflikt fliehenden Menschen) und erneut tragische Konsequenzen hatte. Daher sollte die Bildung in den Bereichen Menschenrechte und Bürgerschaft ebenso wie über die Werte der EU in sämtlichen Bildungsprogrammen der Mitgliedstaaten ausgebaut werden.

3.2.4.

In diesem Sinne müssen die Mitgliedstaaten die Bildung um neue Dimensionen erweitern: ihre Verbindungen zu den Grundrechten und zu der Zukunft der Arbeit, und sie müssen sich auf die kulturellen und funktionalen Veränderungen aufgrund umweltbedingter Entwicklungen vorbereiten und gewährleisten, dass die Ausbildungsmöglichkeiten den in einer Wirtschaft der nachhaltigen Entwicklung erforderlichen Aufgaben und Qualifikationen angemessen sind.

3.2.5.

Medienkompetenz ist eine der Herausforderungen der modernen Bildung. Der Zugang zu Informationen ist ein Bürgerrecht, doch ist die Nutzung von Informationen eine komplexe Angelegenheit. Die Fähigkeit zur Auswahl, Auslegung und Verwendung von Informationen kann und sollte — im Interesse des Einzelnen wie der Gesellschaft — durch die Bildung geformt werden. Medienkompetenz ist ein wesentliches Merkmal hochwertiger Bildung.

3.3.    Wirtschaftskrise, Armut und soziale Ausgrenzung

3.3.1.

Laut einem Bericht von Eurostat waren 2015 „rund 25 Mio. Kinder bzw. 26 % der Bevölkerung im Alter zwischen 0 und 17 Jahren in der EU von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht. […] 2015 war über ein Drittel der Kinder in sechs Mitgliedstaaten: Rumänien, Bulgarien, Griechenland, Ungarn, Spanien und Italien [von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht]“. Der höchste Anstieg war in Griechenland zu verzeichnen (von 28,7 % im Jahr 2010 auf 37,8 % im Jahr 2015, d. h. um 9,1 Prozentpunkte). Aus diesen besorgniserregenden Daten wird der Zusammenhang zwischen der Krise und der Zunahme der Armut klar ersichtlich.

3.3.2.

Die jüngsten Berichte der EU über den Bildungsbereich liefern zusätzliche Hinweise auf ein Problem, das in vielen vorhergehenden Analysen und Äußerungen der Zivilgesellschaft aufgezeigt wurde: Armut ist eng mit dem sozioökonomischen und kulturellen Hintergrund von Familien und gesellschaftlichen Gruppen verwoben. Laut Eurostat „nimmt der Anteil der von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedrohten Kinder in der EU mit steigendem Bildungsniveau ihrer Eltern ab. 2015 waren fast zwei Drittel (65,5 %) aller Kinder, deren Eltern ein geringes Bildungsniveau aufwiesen (höchstens Sekundarstufe I) […], von Armut bedroht. Im Vergleich dazu lag der Anteil bei Kindern mit Eltern, die über einen Abschluss mittlerer Bildung verfügten […], bei 30,3 % und bei Kindern von Eltern mit einem höheren Bildungsniveau […] bei 10,6 %.“

3.3.3.

Bildungsarmut bzw. der Anteil junger Menschen, die keinen minimalen Schulabschluss erreichen, ist eine der größten Herausforderungen im heutigen Europa. Gleichwohl haben die Wirtschaftskrise und die strikten Spar- und Steuermaßnahmen zu einem Verfall der Qualität der Systeme der allgemeinen und beruflichen Bildung geführt, wodurch die Gefahr von Armut und Ausgrenzung erhöht und daher das Prinzip der hochwertigen öffentlichen Bildung für alle gefährdet wird.

3.3.4.

Auch wenn einige europäische Staaten sich entschieden haben, den Bildungshaushalt zu kürzen, Gehälter zu senken, die Personaleinstellung zu beschränken, keine Schulen mehr zu bauen oder keine ausreichenden Mittel für den Erhalt von sicheren und bewohnbaren Infrastrukturen der Bildungseinrichtungen bereitzustellen, sollte diese Tendenz umgekehrt werden. 2014 betrugen die staatlichen Ausgaben für Bildung effektiv lediglich 1,1 %, und zehn Mitgliedstaaten nahmen 2014 eine Mittelkürzung im Vergleich zu 2013 vor (2). Der EWSA fordert daher die nationalen Regierungen auf, die Sparprogramme, welche die im Bildungsbereich auf europäischer und internationaler Ebene eingegangenen Verpflichtungen erheblich gefährden könnten, zu überdenken und zu überarbeiten, wie beispielsweise die Agenda 2020 und 2030.

3.4.    Bildung und Zukunft der Arbeit

3.4.1.

Die Zukunft der Arbeit ist ein grundlegendes Thema, dem eine zentrale Bedeutung in der politischen Debatte und im gesellschaftlichen Dialog über hochwertige Bildung beigemessen werden muss. Des Weiteren transformieren große Umwälzungen die Art, wie gearbeitet wird. Das Ergebnis ist eine Arbeitswelt, die trotz der Eröffnung neuer Chancen durch Umwandlung von Innovationen in neue Jobs durch ein hohes Maß an Unvorhersehbarkeit sowohl für Arbeitnehmer als auch Unternehmen gekennzeichnet ist. Und die Veränderungen durch die digitale Revolution, auch wenn sie mit neuen positiven Chancen einhergehen, verstärken noch das Gefühl der Unvorhersehbarkeit und Komplexität. Laut dem ersten, von der Kommission unter Jean-Claude Juncker vorgelegten Anzeiger für die allgemeine und berufliche Bildung „ist die Vorbereitung von Menschen für die Arbeitswelt nur ein kleiner Teil des Gesamtbildes, da Bildung eine ebenso große Bedeutung für die Schaffung einer besseren Gesellschaft hat“. Allerdings können heutzutage sogar die qualifiziertesten Arbeitskräfte ihre Anstellung verlieren. Obwohl sie unerlässlich sind, reichen allgemeine und berufliche Bildung allein nicht mehr aus, um einen guten, beständigen und gut bezahlten Arbeitsplatz zu garantieren. Auch die Ungleichheiten auf dem Arbeitsmarkt sind offenbar ein Problem geworden, dem angemessen begegnet werden muss.

3.4.2.

Die berufliche Aus- und Weiterbildung wird immer wichtiger für die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und muss verbessert, zugänglicher und relevanter werden. Es müssen angemessene personelle und finanzielle Mittel bereitgestellt werden, um hochwertige Bildungsergebnisse und die Beschäftigungsfähigkeit der betreffenden Menschen zu gewährleisten.

3.4.3.

Aus einem Kommissionsbericht zur Bewertung der Investitionen im Rahmen des Europäischen Sozialfonds (ESF) während des Zeitraums 2007-2013 geht hervor, dass bis Ende 2014 mindestens 9,4 Mio. Menschen mit Wohnsitz in der EU einen Arbeitsplatz fanden und 8,7 Mio. eine Qualifikation oder eine Bescheinigung erwarben. Über andere positive Ergebnisse, wie ein höheres Qualifikationsniveau, berichteten 13,7 Mio. Teilnehmer. Diese positiven Nachrichten sollten die Mitgliedstaaten zur kontinuierlichen Bekämpfung der Arbeitslosigkeit in Europa motivieren, die in vielen Mitgliedstaaten nach wie vor hoch ist.

3.4.4.

Außerdem empfiehlt der EWSA der EU und ihren Mitgliedstaaten, mehr in Forschung und Innovation zu investieren, um neue und bessere Arbeitsplätze für die Zukunft zu schaffen.

3.4.5.

Das geschlechtsspezifische Lohngefälle existiert nach wie vor. Kommissionsmitglied Věra Jourová betonte im November 2015: „Frauen arbeiten immer noch fast zwei Monate im Jahr quasi für nichts, da ihr Stundenlohn im Durchschnitt 16,4 % niedriger ist als der von Männern. Die Gleichstellung von Männern und Frauen ist einer der Grundwerte der Europäischen Union, dieser Tag erinnert jedoch daran, dass sie keine grundlegende Wirklichkeit ist.“ Da überproportional viele Frauen im Bildungswesen tätig sind, sollten die Gehälter überprüft und die Aufstiegsmöglichkeiten verbessert werden.

3.5.    Öffentliche Bildung

3.5.1.

Die Mitgliedstaaten müssen die Rolle der öffentlichen Bildung bei der Erreichung von Gleichstellung und sozialem Zusammenhalt stärken. Angesichts der aktuellsten EU-Daten über Armut und die Gefahr der sozialen Ausgrenzung darf die Bedeutung der öffentlichen Bildung für eine von mehr Gleichheit gekennzeichnete Gesellschaft nicht unterschätzt werden.

3.5.2.

Hochwertige Bildung sollte gerecht und ohne Gewinnstreben bereitgestellt werden. Die Regierungen haben primär die Verantwortung, angemessene Ressourcen für universal zugängliche Bildung bereitzustellen, wozu sie sich auf internationaler und auf europäischer Ebene verpflichtet haben. Investitionen in Bildung, insbesondere in die öffentliche Bildung, sollten eine politische Priorität werden.

3.5.3.

Da nicht alle Arbeitnehmer über die Instrumente verfügen, um soziale, persönliche und berufliche Risiken zu bewältigen, ist der Zugang zu öffentlichen, hochwertigen Weiterbildungs- und Umschulungsmöglichkeiten und zu angemessenem Sozialschutz während des ganzen Lebens sehr wichtig. Als Vertreter der Zivilgesellschaft auf EU-Ebene betont der EWSA, dass öffentliche Einrichtungen für die Ausbildung von Arbeitslosen und Arbeitsmigranten ausgebaut und besser finanziert werden müssen.

3.5.4.

Der EWSA vertritt darüber hinaus die Auffassung, dass die Sozialpartner und die Akteure des Bildungswesens mit Überwachungsbefugnissen ausgestattet werden und bewerten sollten, ob öffentliche Mittel effizient für Bildung ausgegeben werden.

3.6.    Sozialer Dialog und Tarifverhandlungen

3.6.1.

Überall in Europa steht der soziale Dialog im Bildungsbereich aufgrund von internen und externen Faktoren vor vielerlei Herausforderungen. Unmittelbare wirtschaftliche Anliegen haben dazu geführt, dass der soziale Dialog auf der politischen Agenda an Priorität verloren hat. Das Fehlen eines wirkungsvollen sozialen Dialogs macht sich darin bemerkbar, dass Entscheidungen, die das Personal von Bildungseinrichtungen und die Schulen betreffen, oft außerhalb formeller Konsultationen mit den Sozialpartnern getroffen werden. In vielen Ländern ist der Umfang der Tarifverhandlungen in dem Moment zurückgegangen, in dem er eigentlich erweitert werden sollte, um die vielen neuen Herausforderungen im Bildungswesen zu bewältigen.

3.6.2.

Der EWSA ruft daher die Mitgliedstaaten und die Sozialpartner auf, das Wechselspiel zwischen dem nationalen und dem europäischen sozialen Dialog zu stärken und zu erörtern, wie der Umfang von Tarifverhandlungen erweitert werden kann. Der europäische soziale Dialog im Bildungsbereich ist für die Ziele der Strategie Europa 2020 und der Agenda 2030 wesentlich, da damit europäische Arbeitgeber und Arbeitnehmer aus diesem Bereich an einen Tisch gebracht werden, um sich über die Herangehensweise an Herausforderungen der Branche einigen zu können. Alle Akteure des Bildungswesens (Eltern, Schüler, Organisationen der Zivilgesellschaft usw.) sollten darin einbezogen werden.

3.7.    IKT im Bildungsbereich

3.7.1.

In den letzten Jahren hat sich die Weltwirtschaft von einer vorrangig produktionsorientierten zu einer Dienstleistungswirtschaft gewandelt. Die Generierung von Wissen ist zu einem entscheidenden Wertfaktor sowohl für die Produktion als auch für Dienstleistungen geworden.

3.7.2.

Die Informations- und Kommunikationstechnik hat in einer globalisierten Welt die wirtschaftliche Integration und Verflechtung auf allen Ebenen verändert. Darüber hinaus führt die digitale Transformation zu großen Veränderungen in den Industriezweigen und der Dienstleistungsbranche. Dazu zählt auch der Übergang von traditionellen Arbeitsplätzen zu digitalen Stellen. Die IKT wird auf verschiedene Arten verwendet. Auch virtuelle soziale und/oder politische Netzwerke werden mit IKT unterstützt. Daher spielt die IKT eine zunehmend wichtige Rolle bei der Sozialisierung von Kindern und Jugendlichen.

3.7.3.

Obwohl die IKT Chancen in vielen Bereichen bietet, öffnet sie doch auch reellen Gefahren Tür und Tor, wie der Cyberkriminalität, gefährlichen und schädigenden Inhalten, einer immer stärkeren Kommerzialisierung der Dienste sowie Möglichkeiten der technischen Überwachung und des Missbrauchs personenbezogener Daten. Der Schutz der personenbezogenen Daten und Informationssicherheit in der Bildung müssten in einer europäischen Strategie behandelt werden. Darüber hinaus haben einige europäische Länder nationale Strategien eingeführt, um die Anwendung von IKT in verschiedenen Bereichen voranzutreiben, einschließlich einer spezifischen Bildungsstrategie, doch bestehen nach wie vor große Lücken bei der Umsetzung.

3.7.4.

Die Einführung von digitalen Geräten im Bildungsbereich ist ein zentrales Thema für die Akteure des Bildungswesens und die Gesellschaft. Die Europäische Kommission hat in ihrer digitalen Agenda und im strategischen Rahmen für die allgemeine und berufliche Bildung 2020 hervorgehoben, dass in den Mitgliedstaaten innovative Ansätze für die Lehre und die Wissensaufnahme vonnöten sind, um die digitalen Fähigkeiten zu verbessern und die Arbeitnehmer auf die digitalen Arbeitsplätze der Zukunft vorzubereiten. Studien und Berichte der OECD und der Unesco zeigen ebenfalls in dieselbe Richtung: Es ist wesentlich, schulische Einrichtungen mit IKT-Möglichkeiten auszurüsten, damit sie diese im Unterricht einsetzen können und Lehrkompetenzen in Bezug auf den pädagogischen Nutzen von IKT für alle Bildungsniveaus gestärkt werden, um sie zukunftsgestaltend anzuwenden.

3.7.5.

Die Integration neuer Technologien könnte im Bildungsbereich die Fähigkeiten fördern, die zur Anpassung an dynamische technische Entwicklungen notwendig sind, und die Menschen auf lebenslanges Lernen und die aktive Teilnahme an der demokratischen Gesellschaft vorbereiten. Obwohl die IKT im Bildungsbereich das Potenzial besitzt, den Unterricht und die Bildung zu verbessern, birgt sie auch viele Herausforderungen für Lehrkräfte und Studierende, wie die in dieser Stellungnahme genannten.

3.7.6.

Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die EU, wenn sie eine führende Position in der höheren Bildung und wissenschaftlichen Forschung beibehalten will, ihre Investitionen in Begabtenförderung, Forschung und Innovation ausbauen muss.

3.8.    Lehrer — Baumeister der Zukunft

3.8.1.

Lehrer tragen bekanntermaßen wesentlich zum Erfolg oder zum Scheitern von Bildungsinitiativen und -programmen bei. Der EWSA fordert Schulbehörden und Bildungseinrichtungen auf, ständige formale pädagogische und technische Unterstützung für Lehrkräfte bereitzustellen, um ihnen bei der Anpassung an neue digitale Systeme zu helfen und zu vermeiden, dass die IKT-Nutzung zu einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen führt. Der EWSA empfiehlt, in die Qualifikation von Ausbildern und Lehrkräften zu investieren, die Geschlechtergleichheit bei der Einstellung anzustreben, indem der beste Bewerber bzw. die beste Bewerberin in der jeweiligen beruflichen Kategorie ausgewählt wird, und stabile Arbeits- sowie attraktive Aufstiegsbedingungen und Gehälter zu bieten.

3.8.2.

Da sich nationale Standards für Bildungstechnologie voraussichtlich grundlegend ändern werden, sollten Vertreter des Bildungspersonals konsultiert werden, wenn nationale Bildungsbehörden neue Strategien und Programme planen, die Herausforderungen für ihre tägliche Arbeit darstellen. In die Grund- und Referendariatsausbildung sollten Fächer wie Medienerfassung, Medienmanipulation, Medienpräsentation und -veröffentlichung, Aufbau von Internetportalen, Dateneingabe, Verwaltung von Datenbanken, Erfassen von Informationen, kollaborative Umgebungen und gemeinsame Dateiennutzung eingeführt werden. Jede Lehrkraft muss so ausgebildet sein, dass sie diese Kompetenzen und Fähigkeiten erwerben kann.

3.8.3.

Der EWSA empfiehlt außerdem, dass die Mitgliedstaaten die Mobilitätmöglichkeiten von Lehrkräften und Bildungspersonal erleichtern, wenn diese sich in andere Mitgliedstaaten begeben, und zugleich deren Sozialversicherungs- und Pensionsansprüche zu wahren, um Lehre und Ausbildung zu einem attraktiveren Berufsfeld für kommende Generationen zu machen.

Brüssel, den 22. Februar 2017

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  COM(2016) 940 final, COM(2016) 941 final, and COM(2016) 942 final.

(2)  Anzeiger für die allgemeine und berufliche Bildung 2015.


31.5.2017   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 173/7


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur „Halbzeitbewertung des LIFE-Programms“

(Sondierungsstellungnahme)

(2017/C 173/02)

Berichterstatter:

Lutz RIBBE

Befassung

25.8.2016

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

 

 

Beschluss des Präsidiums

15.3.2016

 

 

Zuständige Fachgruppe

Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umwelt

Annahme in der Fachgruppe

6.2.2017

Verabschiedung auf der Plenartagung am

23.2.2017

Plenartagung Nr.

523

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

169/25/18

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der EWSA plädiert erneut (1) und mit Nachdruck für die Beibehaltung und Fortentwicklung eines eigenständigen EU-Finanzierungsprogramms für Umwelt, Schutz und Verbesserung der Biodiversität, Ressourceneffizienz, nachhaltige Entwicklung, Kommunikation und Information sowie die Förderung nichtstaatlicher Umweltorganisationen.

1.2.

In den vergangenen 25 Jahren war LIFE von maßgeblicher Bedeutung für die europäische Umwelt- und zunehmend auch für die Nachhaltigkeitspolitik. Es kann mittlerweile zu Recht als ein unverzichtbares Element der EU-Umweltpolitik bezeichnet werden, welche durch LIFE in hohem Maße gestärkt wurde.

1.3.

Dies ist im doppelten Sinne geschehen. LIFE-Projekte haben

a)

unmittelbar dazu beigetragen, direkte und wahrnehmbare Erfolge zu erzielen; so konnten z. B. bestimmte gefährdete Arten, die nach EU-Recht geschützt sind, durch LIFE finanzierte Projekte vor dem direkten Aussterben bewahrt werden;

b)

vor Ort der Bevölkerung veranschaulicht, welche positiven Ansätze hinter der EU-Umweltpolitik stehen und welchen Nutzen diese Politik für Mensch, Umwelt und Natur schafft. LIFE ist somit zu einem „Vermittler“ zwischen der EU-Politik und dem „Europa der Bürger und der Regionen“ geworden — dies ist in Zeiten, in denen immer häufiger die Frage gestellt wird, welchen Mehrwert Europa überhaupt hat, von besonderer Bedeutung.

1.4.

Das LIFE-Programm, dessen stetige Anpassung an neue Herausforderungen besonders gewürdigt wird, hat auch aufgezeigt, dass innerhalb der Zivilgesellschaft ein hohes Potenzial und eine große Bereitschaft bestehen, sich für die Umsetzung und die Fortentwicklung der EU-Umwelt- und Nachhaltigkeitspolitik zu engagieren. Die Umsetzung des EU-Rechtes ist weit mehr als nur ein legislativer Akt, den Mitgliedstaaten vollziehen müssen. Die Umwelt- und Nachhaltigkeitspolitik steht und fällt mit der Akzeptanz der Bürger, sie muss transparent gemacht und vermittelt werden, und auch hier leistet LIFE wertvollste Beiträge.

1.5.

LIFE-Projekte zeigen aber häufig auch direkt oder indirekt die Widersprüchlichkeiten politischer Entscheidungen, auch auf EU-Ebene, auf. Auch wenn dies für manche Entscheidungsträger unangenehm sein mag, so ist dies als wertvoller Beitrag zu werten, der letztlich zur stärkeren Integration des Umweltschutzes in andere Politikbereiche führen kann.

1.6.

Die Umsetzung der UN-Agenda 2030 (der sogenannten SDGs) in europäische Politik ist eine der großen Herausforderungen, vor denen die EU in den kommenden Jahren steht. LIFE wird hier unterstützend wirken müssen. Es geht nicht nur darum, in einem engen Dialog mit den Sozialpartnern und zivilgesellschaftlichen Gruppen die effektivsten Wege der Umsetzung zu suchen; vielmehr müssen auch viele Kommissionsdienststellen und — übertragen auf die Ebene der Mitgliedstaaten — viele Ministerien, Behörden und Ämter, für die Nachhaltigkeitspolitik bisher eher ein Randthema war, umdenken, damit die viel diskutierte Integration des Natur- und Umweltschutzes in andere Politikbereiche Realität wird.

1.7.

Der EWSA empfiehlt einige Veränderungen:

Das LIFE-Programm sollte zum zentralen Instrument der Finanzierung des Natura-2000-Netzes werden. Der einst gewählte Ansatz, die Finanzierung des Natura-2000-Netzes vorrangig über die EU-Fonds für regionale Entwicklung sowie über die 2. Säule der Gemeinsamen Agrarpolitik zu organisieren, muss als unzulänglich angesehen werden. Der Ausschuss verweist in diesem Zusammenhang auf seine Stellungnahme (2) und spricht sich für eine entsprechende zweckgebundene Aufstockung des LIFE-Programms aus. Dabei ist auf die Kohärenz aller Fördermaßnahmen zu achten, also entgegengesetzte bzw. doppelte Förderungen zu anderen EU-Fonds müssen unterbleiben.

Es sollte geprüft werden, wie es noch besser gelingen kann, LIFE geförderte Projekt zu wirklichen „Modellprojekten“ zu machen, sie also — möglichst ohne weitere Förderungen — an anderen Orten in Europa zu replizieren.

Klassische Forschungsprojekte sollten nicht aus LIFE gefördert werden, auch um eine noch schärfere Abgrenzung zu Horizont 2020 zu gewährleisten.

1.8.

Der klimapolitische Teil sollte weiter ausgebaut werden, und zwar vorrangig hinsichtlich möglicher Anpassungsmaßnahmen, die besonders betroffene Bürger, Landwirte, Städte/Gemeinden und Regionen ergreifen können.

2.   Hintergrund

2.1.

Das 1992 geschaffene Programm LIFE ist das wichtigste Umweltförderprogramm der EU. Es dient dem Schutz der Biodiversität und der Lebensräume (insbesondere durch das Netz Natura 2000) sowie der Ressourceneffizienz, dem Klimaschutz, der Kommunikation und der Information. LIFE ist im Zeitraum 2014-2020 mit Mitteln in Höhe von ca. 3,456 Mrd. EUR ausgestattet, während im vorigen Siebenjahreszeitraum rund 2 Mrd. EUR zur Verfügung standen.

2.2.

Mit dem Programm werden folgende Hauptziele verfolgt:

Beitrag zum Aufbau einer ressourceneffizienten, kohlenstoffarmen und klimaresistenten Wirtschaft sowie zum Umweltschutz und zur Erhaltung der biologischen Vielfalt;

bessere Umweltpolitik, bessere Umsetzung und Kontrolle des EU-Umweltrechts sowie stärkere Berücksichtigung umwelt- und klimapolitischer Ziele in anderen Politikbereichen sowie in den Praktiken öffentlicher und privater Organisationen;

Förderung einer besseren Verwaltungspraxis im Umwelt- und Klimabereich auf allen Ebenen, vor allem durch die Einbeziehung von Zivilgesellschaft, nichtstaatlichen Organisationen und örtlichen Akteuren;

Unterstützung der Umsetzung des 7. Umweltaktionsprogramms sowie — zukünftig — der Umsetzung der UN-Agenda 2030 in europäische Politik.

2.3.

Im Vergleich zum Förderzeitraum 2007-2013 weist das LIFE-Programm nun etliche neue Merkmale auf:

Schaffung des Teilprogramms „Klimapolitik“;

Einführung der neuen Projektkategorie „integrierte Projekte“ neben den „traditionellen“ Projekten, Kapazitätsaufbauprojekten und vorbereitenden Projekten;

Einführung von Finanzinstrumenten, namentlich die Finanzierungsfazilität für Naturkapital (NCFF) mit Schwerpunkt auf Ökosystem-Leistungen und dem Schutz des Naturkapitals sowie das Instrument für private Finanzierungen im Bereich Energieeffizienz (PF4EE);

die nationale Zuweisung für Projekte wird schrittweise aufgegeben: Ab 2018 werden die Projekte einzig nach ihrer Eignung und ungeachtet der geografischen Verteilung ausgewählt (dies gilt für traditionelle Projekte);

die Kommission führt das Programm nunmehr über die Exekutivagentur für kleine und mittlere Unternehmen (EASME) durch.

2.4.

Im Förderzeitraum 2014-2020 hat LIFE die folgende Ausgestaltung:

das Teilprogramm „Umwelt“ mit den Schwerpunktbereichen „Umwelt und Ressourceneffizienz“, „Natur und Biodiversität“ sowie „Verwaltungspraxis und Information“, auf das etwa 75 % der Haushaltsmittel (2 592 Mio. EUR) entfallen;

das Teilprogramm „Klimapolitik“ mit den Schwerpunktbereichen „Klimaschutz“, „Anpassung an den Klimawandel“ sowie „Verwaltungspraxis und Information“, das mit etwa 25 % der Haushaltsmittel (864 Mio. EUR) ausgestattet ist.

2.5.

Die Europäische Kommission nimmt bis zum 30. Juni 2017 eine Halbzeitbewertung des LIFE-Programms vor, sie hat den EWSA und den Ausschuss der Regionen ersucht, sich vor der Veröffentlichung der Halbzeitbewertung unter Berücksichtigung der 2014 eingeführten Neuerungen zu der neuen Form von LIFE zu äußern.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Für eine qualifizierte „Halbzeitbewertung“ der jetzigen Programmphase ist es nach Auffassung des EWSA noch zu früh, da die ersten Projekte der neuen Programmphase erst im Jahr 2015 vergeben wurden und der absolut überwiegende Teil dieser Projekte noch nicht abgeschlossen, geschweige denn bereits evaluierbar ist. Dennoch möchte er im Lichte der Bewertung der bisherigen Programmphasen einen ersten Beitrag für die Ausgestaltung von LIFE in der Förderperiode 2021-2028 leisten.

Bisherige Erfolgsbilanz und Mehrwert, aber auch die Grenzen von LIFE

3.2.

In den vergangenen 25 Jahren war LIFE von maßgeblicher Bedeutung für die europäische Umwelt- und zunehmend auch für die Nachhaltigkeitspolitik. Für den Schutz der Biodiversität hat LIFE extrem wichtige Beiträge geleistet. Es kann mittlerweile zu Recht als ein unverzichtbares Element der EU-Umweltpolitik bezeichnet werden, welche durch LIFE in hohem Maße gestärkt wurde.

3.3.

Dies ist im doppelten Sinne geschehen. LIFE-Projekte haben

a)

unmittelbar dazu beigetragen, direkte und wahrnehmbare Erfolge zu erzielen. So konnten z. B. bestimmte gefährdete Arten, die nach EU-Recht geschützt sind, durch LIFE finanzierte Projekte vorm direkten Aussterben bewahrt werden — als Beispiel können die Projekte zum Schutz des Waldrapps bzw. der Großtrappe angeführt werden. LIFE war und ist oftmals die einzige Finanzierungsmöglichkeit, da die Mitgliedstaaten häufig keine entsprechenden Schutzprogramme aufgelegt haben bzw. kein Interesse daran zeigen;

b)

vor Ort der Bevölkerung veranschaulicht, welche positiven Ansätze hinter der EU-Umweltpolitik stehen und welchen Nutzen diese Politik für Mensch, Umwelt und Natur schafft. LIFE ist somit zu einem „Vermittler“ zwischen der EU-Politik und dem „Europa der Bürger und der Regionen“ geworden; dies ist in Zeiten, in denen immer häufiger die Frage gestellt wird, welchen Mehrwert Europa überhaupt hat, von besonderer Bedeutung.

3.4.

LIFE hat mit vielen der bislang geförderten Projekte aufgezeigt, dass innerhalb der Zivilgesellschaft ein hohes Potenzial und eine große Bereitschaft bestehen, sich für die Umsetzung und die Fortentwicklung der EU-Umwelt- und Nachhaltigkeitspolitik zu engagieren. Die Umsetzung des EU-Rechtes ist weit mehr als nur ein legislativer Akt, den Mitgliedstaaten vollziehen müssen. Die Umwelt- und Nachhaltigkeitspolitik steht und fällt mit der Akzeptanz der Bürger, sie muss transparent gemacht und vermittelt werden, und auch hier leistet das LIFE-Programm wertvollste und unverzichtbare Beiträge.

3.5.

LIFE-Projekte zeigen aber häufig auch direkt oder indirekt die Widersprüchlichkeiten politischer Entscheidungen, auch auf EU-Ebene, auf. Auch wenn dies für manche Entscheidungsträger unangenehm sein mag, so ist dies als wertvoller Beitrag zu werten, der letztlich zur stärkeren Integration des Umweltschutzes in andere Politikbereiche führen kann.

3.6.

Damit ist man auch direkt bei den Grenzen des LIFE-Programms: LIFE kann und sollte auch nicht den Anspruch erheben die Defizite ausgleichen zu können, die sich aus einer mangelnden Umsetzung des bestehenden Umweltrechtes bzw. aus einer mangelnden Berücksichtigung der Umweltbelange durch andere Politikbereiche ergeben. Das soll an drei Beispielen beschrieben werden:

3.6.1.

LIFE kann z. B. dazu beitragen, öffentlich deutlich zu machen, dass die Luftreinhaltepolitik der EU primär darauf abzielt, die Gesundheitsgefährdung der Bevölkerung durch Schadstoffe zu reduzieren. LIFE kann aber Konflikte, wie sie z. B. in Deutschland zwischen Umwelt- und Verkehrspolitikern existieren und bei denen es im Kern um die Frage geht, welches „Schutzgut“ höher einzustufen ist (der „Schutz der Gesundheit der Stadtbevölkerung vor Feinstaub“ oder das „Recht des Autofahrers auf freie Mobilität“), nicht lösen.

3.6.2.

LIFE hat z. B. mit dem Projekt „Urban Bees“ (3) breiten Bevölkerungsschichten die Bedeutung, die Gefährdungsursachen, aber auch die Handlungsoptionen zum Schutz von Bestäubern in herausragender Weise veranschaulicht. Die Gefährdungen, die z. B. von bestimmten landwirtschaftlichen Praktiken oder der Zulassung von Spritzmitteln, die potenziell bienengefährdend sind, ausgehen, können aber nur abgestellt werden, wenn sich andere Dienststellen der EU ausreichend darum kümmern und das geltende Vorsorgeprinzip auch konsequent angewendet wird.

3.6.3.

Seit 1999 wurde in Österreich mit öffentlichen Finanzmitteln in Höhe von mittlerweile insgesamt 45 Mio. EUR — ein Teil davon stammt aus dem LIFE-Programm — ein erfolgreiches Programm zum Schutz einer global bedrohten Fischart, des „Huchen“ (4), finanziert. Eine aktuelle Studie zeigt, dass im Huchen-Verbreitungsgebiet der Bau von rund 600 Wasserkraftwerken geplant ist; die Experten gehen davon aus, dass der Huchen-Bestand durch diese Eingriffe um bis zu 70 % zurückgehen wird. Der Bau einiger Wasserkraftwerke soll auch mit EU-Mitteln unterstützt werden.

3.7.

Deshalb wird auch begrüßt, dass LIFE sich mittlerweile verstärkt um eine verbesserte Umsetzung der Gesetzgebung kümmert, nicht nur bei den betroffenen Behörden, sondern auch im Bereich der Kontrollorgane.

Die Entwicklung des LIFE-Programms

3.8.

Der EWSA begrüßt das hohe Maß an Flexibilität und die Anpassungsfähigkeit an neue Herausforderungen sowie an gemachte Erfahrungen, durch das sich das LIFE-Programm in den letzten Jahren stets auszeichnete. Das spiegelt sich auch in der neuen Finanzperiode 2014-2020 wider:

Schwerpunkt auf den Ländern mit größeren Umsetzungsdefiziten;

Abschaffung nationaler Quoten;

bessere Beteiligungsmöglichkeiten für Unternehmen;

stärkere Gewichtung von Innovation;

mehr Synergien mit anderen Programmen, angefangen bei den neuen integrierten Projekten, die 2014 eingeführt wurden. Der EWSA begrüßt in diesem Zusammenhang, dass seine Empfehlung (5) einer klaren Aufteilung der Haushaltsmittel für „traditionelle“ und „integrierte“ Projekte berücksichtigt wurde;

Einsatz von gänzlich neuen Umweltfinanzinstrumenten (PF4EE, NCFF);

Schaffung einer Klimadimension.

4.   Empfehlungen des EWSA

LIFE beibehalten und stärken

4.1.

Kein Programm ist so gut, dass es nicht besser werden könnte. Dennoch bekräftigt (6) der EWSA zunächst seine nachdrückliche Unterstützung für die Fortführung dieses haushaltstechnisch separaten Finanzierungsprogramms über die laufende Finanzperiode hinaus. Dies ist notwendig, denn trotz vieler ermutigender Fortschritte und trotz richtungsweisender Beschlüsse (u. a. UN-Agenda 2030, Klimabeschlüsse von Paris, EU-Biodiversitätsstrategie) sind die Umweltprobleme bei Weitem noch nicht gelöst und die Transformation hin zu einer ressourcenschonenden, emissionsarmen und biodiversitätserhaltenden EU-Politik noch nicht erfolgreich auf den Weg gebracht. Im Gegenteil: Die EU-Kommission und die Europäische Umweltagentur stellen selbst in diversen Berichten dar, dass die Belastungen z. T. sogar noch zunehmen (7).

4.2.

Die Analysen im Rahmen des REFIT-Prozesses für die Naturschutz-Richtlinien haben klar gezeigt, dass der gesetzliche Rahmen angemessen gestaltet ist, dass aber die finanziellen Mittel für ein zielorientiertes Management des Natura-2000-Netzwerks bei Weitem nicht ausreichen. Diese elementare Aufgabe des Biodiversitätsschutzes in Europa benötigt dringend eine angemessene Finanzierung.

4.3.

Die Stetigkeit des LIFE-Programms ist maßgeblich für die Wirksamkeit und die Glaubwürdigkeit der EU-Umweltpolitik, was durch die horizontale Integration des 7. Umweltaktionsprogramms, der UN-Nachhaltigkeitsagenda und der Klimabeschlüsse von Paris in alle anderen europäischen Politikbereiche und Finanzierungsprogramme abgesichert werden muss. Der EWSA erinnert daran, dass er sich zudem mehrfach für ein umweltorientierteres und gerechteres Europäisches Semester ausgesprochen hat.

Auswirkungen der Änderungen von 2014

4.4.

Die Einführung zweier neuer Finanzierungsinstrumente in das LIFE-Programm als Pilotprojekte war eine Neuerung, die der EWSA begrüßt. Für eine Bewertung dieses Ansatzes ist es viel zu früh, da die ersten Projekte aus beiden Fazilitäten (der Finanzierungsfazilität für Naturkapital (NCFF) sowie aus dem Instrument für private Finanzierungen im Bereich Energieeffizienz (PF4EE)) gerade erst beschlossen, aber noch nicht umgesetzt wurden.

4.5.

Mit diesem Ansatz wird ein völlig neuer Weg beschritten, um innovative Finanzierungsmöglichkeiten für Naturschutzprojekte und Energieeffizienzprojekte bei privaten Kleininvestoren zu schaffen. Dies ist notwendig, denn vielfach sind entsprechende Projekte an den klassischen Finanzierungen gescheitert.

4.6.

Wie erfolgreich dieser Programmteil letztlich sein wird, ob die eingegangene Zusammenarbeit mit der EIB sich als zielführend erweist, ob die Beantragungsmodalitäten einfach genug und die Finanzierungsbedingungen, inkl. Risikokapitaleinsatz, passend sein werden, lässt sich derzeit nur schwer abschätzen; deshalb bittet der EWSA, gerade diesen Teil des neuen LIFE-Programms später sehr genau zu evaluieren.

4.7.

In ihrer eigenen Evaluierung möge die Kommission auch prüfen, wie es ggf. noch besser gelingen kann, LIFE geförderte Projekte zu wirklichen „Modellprojekten“ zu machen, sie also — möglichst ohne weitere Förderungen — an anderen Orten in Europa unter Hervorhebung von Know-how-Transfer und wirtschaftlicher Machbarkeit zu replizieren. Ein Schritt könnte darin bestehen, Projektträger besonders erfolgreicher Projekte in einem vertiefenden Projektschritt mit der Beantwortung dieser Fragestellung zu beauftragen.

4.8.

LIFE wird vom EWSA als eine Finanzierungsfazilität zur Umsetzung von EU-Maßnahmen und Politiken gesehen und nicht als Programm, um primär Projekte im nationalen Interesse zu finanzieren. Es kann aber durchaus der Fall eintreten, dass z. B. von zivilgesellschaftlichen Organisationen beantragte LIFE-Projekte zwar im europäischen, aber weniger im nationalen Interesse liegen. Die Kofinanzierungsfrage muss deshalb künftig so gestaltet werden, dass entsprechende Projekte nicht daran scheitern, dass nationale Kofinanzierungen verweigert werden (dem EWSA sind entsprechende Fälle bekannt). Zudem fordert der EWSA die Kommission dazu auf, zu prüfen, inwieweit besonders für NGO noch höhere Ko-Finanzierungssätze angewendet werden können; die Eigenanteile stellen insbesondere für NGO oft eine schwer zu überspringende Hürde dar. Hinzu kommt, dass diese häufig aus öffentlichen Haushalten stammen und die Kofinanzierungsgeber damit klar erkennbar eine „Auswahlpolitik“ betreiben.

Integrierte Projekte/Komplementarität mit anderen Politikbereichen der EU

4.9.

Eine besondere Form stellen die sogenannten „integrierten Projekte“ dar, die innerhalb von LIFE entwickelt wurden und deren Bedeutung der EWSA besonders würdigt. Ein herausragendes Beispiel ist das „Belgian Nature Integrated Project (BNIP)“, das die gesamte Fläche Belgiens umfasst, 28 Stakeholder integriert, 18 spezielle Schutzprojekte, 48 klar abgegrenzte Aktionen und insgesamt über 300 Managementpläne (z. B. für Natura-2000-Gebiete) fördert. Durch das Projekt wurden 52 Mitarbeiter in sieben unterschiedlichen Teams zusammengebracht; es hat erfolgreich Brücken zwischen den verschiedenen zur Verfügung stehenden EU-Finanztöpfen, aber auch nationalen Ressourcen gebaut.

Genau solche inhaltlichen und strukturellen Verknüpfungen sollten künftig noch weiter gestärkt werden, beispielsweise potenzielle Synergien zwischen LIFE und einer umweltfreundlicheren GAP geschaffen werden.

Neue Aufgaben für LIFE

4.10.

Doch nicht nur die inhaltliche Verknüpfung von LIFE und GAP ist verbesserungsfähig, es sollte in jedem Fall eine wichtige administrative bzw. budgettechnische Neuerung erfolgen.

4.11.

Bislang sind die EU-Fonds für regionale Entwicklung sowie die 2. Säule der GAP das zentrale Instrument zur Finanzierung des Natura-2000-Netzes; dies geht auf einen Vorschlag der Kommission aus dem Jahr 2004 zurück (8). Der EWSA hatte diesen Vorschlag damals unter der Maßgabe unterstützt, dass innerhalb der genannten Fonds entsprechend zweckgebundene Mittel auch in ausreichender Höhe bereitgestellt würden. Dies ist nicht erfolgt, der damalige Ansatz wird deshalb nun vom EWSA als unzulänglich angesehen (9).

4.12.

Die bislang bereitgestellten Mittel decken nicht einmal ansatzweise die für die Kompensation von Naturschutzauflagen sowie die für die Erarbeitung von Managementplänen und die Umsetzung von erforderlichen Maßnahmen notwendigen Beträge ab. Natura 2000 ist ein klassischer Aufgabenbereich in der Verantwortung der EU, weshalb der Haushalt hier auch Klarheit schaffen muss.

4.13.

Der Ausschuss schlägt stattdessen vor, ab der nächsten Finanzperiode alle mit der Umsetzung und Aufrechterhaltung des „Natura-2000-Netzes“ benötigten Mittel aus dem LIFE-Programm zu finanzieren und die entsprechenden benötigten Haushaltsmittel zusätzlich einzuplanen. Er bittet die Kommission zudem intern zu klären, ob LIFE nicht auch das geeignete Instrument für die Umsetzung der „Transeuropäischen Netze Grüne Infrastruktur“ wäre (10). Die entsprechenden Mittel müssten ermittelt und zusätzlich bereitgestellt werden. Dabei ist auf die Kohärenz aller Fördermaßnahmen zu achten, also entgegengesetzte bzw. doppelte Förderungen zu anderen EU-Fonds müssen unterbleiben.

4.14.

Der EWSA betont, dass es sich bei der Finanzierung des Natura-2000-Netzwerks um eine elementare Investition in einen wichtigen Teil der grünen Infrastruktur Europas handelt, die sich nicht nur in Form von gesteigerter Lebensqualität und einer höheren Umweltqualität, sondern auch in einer Steigerung lokaler Einkommen auszahlt.

4.15.

Die Umsetzung der SDGs, sprich der UN-Agenda 2030 in europäische Politik, wird viele sehr grundlegende Veränderungen in europäischen Politikansätzen nötig machen (11). Dies erfordert auch

a)

ein zum Teil radikales Umdenken besonders in jenen Kommissionsdienststellen, die bisher wenig zielführend im Bereich der Nachhaltigkeitspolitik aktiv waren;

b)

einen völlig neuen Governance-Ansatz dahin gehend, dass eine viel intensivere Beteiligung zivilgesellschaftlicher Akteure und viel mehr Bottom-up-Ansätze notwendig werden.

4.16.

Der EWSA empfiehlt der Kommission, in der neuen LIFE-Phase nach 2020 zur Stärkung der unter 4.15 genannten Erfordernisse neue Aktivitäten und Projektmöglichkeiten zu schaffen.

4.17.

Klassische Forschungsprojekte, wie sie in der Vergangenheit z. T. aus LIFE finanziert wurden, sollten dahin gehend hinterfragt werden, ob sich künftig hierfür nicht besser die klassischen Forschungstitel der Kommission eignen. Damit wäre eine klare Abgrenzung zu Horizont 2020 gegeben.

4.18.

Der Teil des LIFE-Programms, der sich mit Klimafragen befasst, sollte zukünftig noch stärker ausgebaut werden, und zwar besonders mögliche Anpassungsmaßnahmen, die die besonders betroffenen Bürger, Landwirte, Städte/Gemeinden und Regionen ergreifen können.

Brüssel, den 23. Februar 2017

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  Stellungnahme des EWSA in ABl. C 191 vom 29.6.2012, S. 111.

(2)  Siehe EWSA-Stellungnahme „Die Biodiversitätspolitik der EU“ (ABl. C 487 vom 28.12.2016, S. 14).

(3)  http://urbanbees.eu/.

(4)  Geschützt nach Anhang II der FFH-Richtlinie.

(5)  Stellungnahme des EWSA, ABl. C 191 vom 29.6.2012, S. 111.

(6)  Stellungnahme des EWSA, ABl. C 191 vom 29.6.2012, S. 111.

(7)  The European environment — state and outlook 2015: synthesis report, Europäische Umweltagentur, Kopenhagen, 2015.

(8)  COM(2004) 431 vom 15.7.2004 zur „Finanzierung von Natura 2000“.

(9)  Siehe die EWSA-Stellungnahme in ABl. C 487 vom 28.12.2016, S. 14.

(10)  http://ec.europa.eu/environment/nature/ecosystems/strategy/index_en.htm.

(11)  Siehe die EWSA-Stellungnahme in ABl. C 117 vom 30.4.2004, S. 22, und die EWSA-Stellungnahme in ABl. C 487 vom 28.12.2016, S. 41.


ANHANG

zu der Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Folgender abgelehnter Änderungsantrag erhielt mindestens ein Viertel der Stimmen:

Ziffer 3.6.2

Ändern:

 

LIFE hat z. B. mit dem Projekt „Urban Bees“  (12) breiten Bevölkerungsschichten die Bedeutung, die Gefährdungsursachen, aber auch die Handlungsoptionen zum Schutz von Bestäubern in herausragender Weise veranschaulicht. Die Gefährdungen, die z. B. von bestimmten ungeeigneten landwirtschaftlichen Praktiken oder der Zulassung von Spritzmitteln, die potenziellbienengefährdend sind, ausgehen, können aber nurabgestellt werden, wenn sich andere Dienststellen der EU ausreichenddarum kümmern und das geltendeVorsorgeprinzip auch angemessen konsequentangewendet wird.

Begründung

Die europäische Landwirtschaft ist ohne jeden Zweifel die strengste, was die Einhaltung von Vorschriften für Umweltschutz, Tiergesundheit und Bewirtschaftung von Böden und Gewässern anbelangt. Sie ist den weltweit höchsten Standards unterworfen und unterliegt der „Konditionalität“, d. h. die Beachtung dieser Kriterien ist für alle europäischen Landwirte obligatorisch.

Andererseits unterliegt auch die Genehmigung von Pflanzenschutzmitteln Prüfungs- und Kontrollverfahren vonseiten der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit, wofür wissenschaftliche Kriterien, die auf der Analyse der Wahrscheinlichkeit der Schadensverursachung beruhen, zu gelten haben. Dies ist die Grundlage, die als Leitschnur für die korrekte Anwendung des Vorsorgeprinzips dienen muss.

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen

75

Nein-Stimmen

95

Enthaltungen

33


(12)  http://urbanbees.eu/.


31.5.2017   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 173/15


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur „Wirksamkeit von aus dem ESF und FEAD finanzierten Maßnahmen zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung durch die Zivilgesellschaft im Rahmen der Umsetzung der Strategie Europa 2020“

(Initiativstellungnahme)

(2017/C 173/03)

Berichterstatter:

Krzysztof BALON

Beschluss des Plenums

21.1.2016

Rechtsgrundlage

Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung

 

Initiativstellungnahme

 

 

Zuständige Fachgruppe

Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft

Annahme in der Fachgruppe

3.2.2017

Verabschiedung auf der Plenartagung

22.2.2017

Plenartagung Nr.

523

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

171/1/2

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Angesichts der Tatsache, dass Armut und soziale Ausgrenzung populistischen Tendenzen in vielen Mitgliedstaaten der Europäischen Union Vorschub leisten, begrüßt der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) die Schlussfolgerungen des Rates vom 16. Juni 2016„Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung: Ein integrierter Ansatz“ (1) und spricht sich gleichzeitig dafür aus, im Rahmen der nächsten finanziellen Vorausschau ausgehend von den bisherigen Erfahrungen bei der Umsetzung des Europäischen Hilfsfonds für die am stärksten benachteiligten Personen (FEAD) und des Europäischen Sozialfonds (ESF) einen integrierten europäischen Fonds für die Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung zu schaffen.

1.2.

Angesichts der vielfältigen Probleme und Zielgruppen in den einzelnen Mitgliedstaaten, die u. a. mit unterschiedlichen Formen der Migration zusammenhängen, sollte bei der Umsetzung eines solchen Fonds in vollem Umfang auf die Erfahrungen und das Potenzial von Organisationen der Zivilgesellschaft zurückgegriffen und ihnen bei der Planung, Umsetzung, Überwachung und Bewertung eine führende Rolle eingeräumt werden. Dieser Fonds sollte auch zum Aufbau des Potenzials von Netzen zivilgesellschaftlicher Organisationen unter besonderer Berücksichtigung von Hilfsorganisationen beitragen.

1.3.

Der EWSA ist der Ansicht, dass die Europäische Kommission den Einsatz des ESF zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung sowie den Einsatz des FEAD zur Förderung von Integrationsmaßnahmen in den Mitgliedstaaten im Rahmen der derzeitigen finanziellen Vorausschau effizienter überwachen sollte. An der Überwachung sollten die Zivilgesellschaft sowie von Armut und sozialer Ausgrenzung betroffene Personen umfassend beteiligt werden.

1.4.

Nach Auffassung des EWSA ist die Zusammenarbeit der nationalen mit der Verwaltung der Fonds betrauten Stellen mit den Partnerorganisationen von ausschlaggebender Bedeutung (2). Diese Organisationen leisten einen erheblichen inhaltlichen und organisatorischen Beitrag und bringen bei der Umsetzung des ESF und des FEAD einen echten Mehrwert. Der EWSA schlägt der Europäischen Kommission deshalb vor, eine deutliche Präzisierung der Mindestanforderungen, die die Behörden der Mitgliedstaaten im Rahmen einer Partnerschaft erfüllen müssten, sowie die Verhängung von Sanktionen bei unzureichender Umsetzung in Erwägung zu ziehen.

1.5.

Der EWSA ruft die Kommission auf zu erwägen, ob die Mitgliedstaaten nicht dazu verpflichtet werden sollten, die technische Unterstützung im Rahmen des FEAD und des ESF auch für den Kapazitätenaufbau der zivilgesellschaftlichen Organisationen einzusetzen, die im Bereich der Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung tätig sind. Der EWSA spricht sich für die Stärkung des inhaltlichen und organisatorischen Potenzials der europäischen Netze jener Organisationen aus, die sich für die Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung starkmachen.

1.6.

Der EWSA ermuntert die Mitgliedstaaten, die Möglichkeiten der Vergabe von Globalzuschüssen, der Weitervergabe von Zuschüssen und ggf. einer Gleichbehandlung von Sachleistungen und finanziellen Beiträgen umfassender zu nutzen. Außerdem ist zu prüfen, ob die Europäische Kommission festlegen sollte, dass ein Großteil der Mittel im Rahmen der operationellen Programme für Projekte mit kleinerem Haushalt bereitzustellen ist. Dies würde die Unterstützung von lokal tätigen Organisationen und Selbsthilfegruppen ermöglichen.

1.7.

Der EWSA wird die Maßnahmen der Organisationen der Zivilgesellschaft sowie deren Zusammenarbeit mit öffentlichen Behörden und Einrichtungen zugunsten der Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung systematisch unterstützen. Der EWSA erklärt sich gleichzeitig bereit, eine kleine Ad-hoc-Gruppe aus EWSA-Mitgliedern und Vertretern der einschlägigen zivilgesellschaftlichen Plattformen auf europäischer Ebene einzusetzen, die noch im derzeitigen Finanzrahmen zu einer besseren Koordinierung der Maßnahmen von ESF und FEAD sowie zur Debatte über die Grundlagen für einen künftigen integrierten EU-Fonds zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung beiträgt. Nach Auffassung des EWSA ist in diesem Zusammenhang eine Zusammenarbeit mit dem Ausschuss der Regionen unverzichtbar.

2.   Einführung

2.1.

Das Ziel Nr. 1 der Agenda der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung für den Zeitraum nach 2030 (3) lautet „Armut in jeder Form und überall beenden“. Die Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung ist zudem eine der Prioritäten der Strategie Europa 2020. Indessen halten die EU-Institutionen und einige Mitgliedstaaten nach wie vor beharrlich an ihrer Sparpolitik fest, obwohl das Ausbleiben einer schnellen und spürbaren Verbesserung der Lage jener EU-Bürger, die von Armut und sozialer Ausgrenzung betroffen sind, eine der Hauptursachen für die schwindende Unterstützung für die europäische Integration in den Mitgliedstaaten zu sein scheint. Die EU-Finanzierungsinstrumente zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung — der Europäische Hilfsfonds für die am stärksten benachteiligten Personen (FEAD) sowie die Zuweisung von mindestens 20 % der Mittel aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) für die Förderung der sozialen Eingliederung — sollten in allen Mitgliedstaaten wirksam eingesetzt werden, dürfen aber nicht eine ganzheitliche, integrierte Politik zur Bekämpfung der Armut und der sozialen Ausgrenzung ersetzen.

2.2.

Die Europäische Union hat sich im Rahmen der Strategie Europa 2020 bekanntlich das Ziel gesetzt, die Anzahl der von Armut oder sozialer Ausgrenzung betroffenen oder bedrohten Personen bis 2020 um mindestens 20 Mio. zu senken. Aus den einschlägigen Zahlen (4) geht jedoch hervor, dass im Jahr 2014 immer noch ganze 24,4 % der Bevölkerung in der EU (bzw. fast 122 Mio. Menschen) von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht waren (gegenüber 24,2 % im Jahr 2011 und 23,4 % im Jahr 2010). Aus einer Analyse der einzelnen, jeweils gesondert beleuchteten Komponenten ergibt sich im Vergleich zum Jahr 2008 bei jeder Komponente ein Anstieg: Armutsrisiko nach Sozialtransfers von 16,6 % auf 17,2 %, erhebliche materielle Deprivation von 8,5 % auf 8,9 % und Anteil der Personen unter 60 Jahren, die in einem Haushalt mit sehr niedriger Erwerbstätigkeit leben, von 9,1 % auf 11,1 %. Gleichzeitig stellt der Rat der Europäischen Union fest: „Die zunehmenden Unterschiede zwischen und innerhalb der Mitgliedstaaten lassen die Bedeutung europaweiter Maßnahmen deutlich werden“ (5).

2.3.

Die Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung ist einer der wichtigsten Bereiche der Zusammenarbeit zwischen den Organisationen der Zivilgesellschaft (u. a. Vereinigungen, Stiftungen und soziale Genossenschaften sowie Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände) und den Behörden und öffentlichen Institutionen der Mitgliedstaaten. Für die Beseitigung (bzw. erhebliche Reduzierung) von Armut und sozialer Ausgrenzung ist es erforderlich, dass gemeinnützige Organisationen unterschiedliche Formen der materiellen und nichtmateriellen Unterstützung leisten (einschl. sozialer Dienstleistungen), günstige Bedingungen für die Eingliederung in den Arbeitsmarkt geschaffen (auch im Rahmen des sozialen Dialogs) und angemessene Mittel auf Ebene der Mitgliedstaaten und der EU bereitgestellt werden. Vor diesem Hintergrund ist der EWSA der Auffassung, dass dieses Ziel der Strategie Europa 2020 nur im Rahmen einer Europäischen Union verwirklicht werden kann, die als Gemeinschaft der europäischen Zivilgesellschaft, der Mitgliedstaaten und der EU-Institutionen verstanden wird.

2.4.

Insbesondere mit Blick auf das zunehmende Phänomen der Erwerbsarmut sowie die demografische Entwicklung kann die Verwirklichung der Europa-2020-Ziele im Zusammenhang mit der Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung nur durch die Umsetzung von Maßnahmen gewährleistet werden, die auf die Bekämpfung der Ursachen und nicht nur der Symptome der Armut und sozialen Ausgrenzung abzielen und im allgemeineren Kontext auch die Wirtschafts-, Familien-, Steuer- und Währungspolitik betreffen.

2.5.

Deswegen — obgleich die Frage der Unterstützung für die Bedürftigsten bereits Gegenstand zahlreicher Debatten im EWSA (6) gewesen ist — hat der Ausschuss nach Konsultation der Interessenträger und der Europäischen Kommission, die vorliegende Stellungnahme erarbeitet, die konkrete Feststellungen und Empfehlungen bezüglich der bisherigen Erfahrungen bei der Umsetzung des FEAD und des EFS im Bereich der Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung enthält.

3.   FEAD und ESF als Instrumente zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung

3.1.

Der Europäische Hilfsfonds für die am stärksten benachteiligten Personen (FEAD) ist im Gegensatz zu den bisherigen Nahrungsmittelhilfeprogrammen Teil der Kohäsionspolitik. Der Fonds trägt zur Erreichung des Ziels bei, „die schlimmsten Formen der Armut dadurch zu lindern, dass die am stärksten benachteiligten Personen nichtfinanzielle Unterstützung erhalten, und zwar in Form von Nahrungsmittelhilfe und/oder materieller Basisunterstützung sowie in Form von Maßnahmen zur Förderung der sozialen Inklusion der am stärkste benachteiligten Personen“ (7).

3.2.

Ziel des Europäischen Sozialfonds sind die Gewährleistung eines hohen Beschäftigungsniveaus und hochwertiger Arbeitsplätze, die Förderung eines hohen Niveaus der allgemeinen und beruflichen Bildung für alle, die Armutsbekämpfung, die Begünstigung der sozialen Eingliederung sowie die Förderung der Gleichstellung der Geschlechter, der Nichtdiskriminierung und der Chancengleichheit.

3.3.

Die aus dem FEAD finanzierten Maßnahmen sollten die aus den ESF finanzierten Maßnahmen ergänzen: Während der FEAD in erster Linie auf die Unterstützung von Menschen in größter materieller Armut sowie auf die Förderung der grundlegenden gesellschaftlichen Aktivierung von langfristig ausgegrenzten Personen ausgerichtet sein sollte, sollten Maßnahmen im Rahmen des ESF u. a. darauf abzielen, diesen Menschen den Weg für die weitere berufliche und gesellschaftliche Integration zu ebnen. Zudem soll der FEAD dabei helfen, die ersten Schritte hin zu einer Überwindung der Armut und sozialen Ausgrenzung zu tätigen und Aussichten auf einen Arbeitsplatz bzw. eine Mitwirkung an sonstigen arbeitsmarktpolitischen Projekten zu schaffen. Die für die Umsetzung dieser Maßnahmen vorgesehenen Mittel sind jedoch im Verhältnis zum tatsächlichen Bedarf unzureichend.

3.4.

Alle Mitgliedstaaten haben sich verpflichtet zu gewährleisten, dass die Unterstützung mit Mitteln aus dem ESF und anderen Struktur- und Investitionsfonds mit den entsprechenden politischen Maßnahmen und Prioritäten der EU kohärent ist, und darunter auch dass der Grundsatz der Partnerschaft im Einklang mit dem Europäischen Verhaltenskodex für Partnerschaften (8) umgesetzt wird.

4.   Die bisherige praktische Umsetzung des FEAD und des ESF im Bereich der Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung im Programmplanungszeitraum 2014-2020

4.1.

Sowohl Stimmen von Organisationen der Zivilgesellschaft als auch allgemein zugängliche Informationen und statistische Daten weisen auf eine Reihe schwerwiegender Probleme bei der Umsetzung des FEAD und des ESF im in dieser Stellungnahme thematisierten Bereich hin. Zu diesen in bestimmten Mitgliedstaaten in unterschiedlichem Ausmaß auftretenden Problemen gehören folgende:

4.1.1.

Bei der Aktivierung der FEAD-Unterstützungsmaßnahmen kommt es zu Verzögerungen, und die Öffentlichkeit sowie die Zielgruppen werden über die Ziele des FEAD und die Möglichkeiten der Inanspruchnahme der Programmmaßnahmen nur unzureichend informiert.

4.1.2.

In Bezug auf die Verringerung der Armut und der sozialen Ausgrenzung ist die Bereitstellung von 20 % der Mittel aus dem Europäischen Sozialfonds ineffizient; es werden Projekte zur Förderung der Arbeitsmarktintegration begünstigt, die Verfügbarkeit und Zugänglichkeit von sozialen Dienstleistungen für ausgegrenzte Gruppen wird jedoch außer Acht gelassen (9). Obwohl bis 2016 25,6 % der ESF-Mittel für das vorgenannte Ziel bereitgestellt wurden (10), bleiben konkrete Veränderungen beim Ansatz der Maßnahmen im Rahmen des ESF aus.

4.1.3.

Die Mitgliedstaaten schöpfen die Möglichkeit, den FEAD-Begünstigten „niederschwellige“, aus dem ESF geförderte Dienstleistungen für die berufliche und soziale Eingliederung anzubieten, nur unzureichend aus.

4.1.4.

Die Anwendung des Grundsatzes der Partnerschaft im Sinne des Europäischen Verhaltenskodex für Partnerschaften ist in Bezug auf den ESF unzureichend, und es fehlt ein vergleichbares Instrument für den FEAD. Auch die Konsultation der Öffentlichkeit ist unbefriedigend, und öffentliche Institutionen werden mit Schlüsselentscheidungen betraut, ohne dass die Zivilgesellschaft dazu gehört würde. Die unzureichende Anwendung des Partnerschaftsprinzips beeinträchtigt zudem die Transparenz der Mittelverwendung und erhöht somit das Risiko von Korruption und Missbrauch (11).

4.1.5.

Die Mitgliedstaaten legen zu strenge formale und administrative FEAD- und EFS-Auflagen fest, die für die ordnungsgemäße Umsetzung der EU-Rechtsvorschriften nicht erforderlich sind. Bei diesen Auflagen, die sich oftmals auf Funktionsmechanismen der öffentlichen Sozialverwaltungen stützen, werden weder die Besonderheiten der Zielgruppen (z. B. obdachlose Personen, deren formelle Identifizierung und Registrierung oftmals nicht möglich ist) noch die Funktionsweise von Organisationen der Zivilgesellschaft berücksichtigt; in einigen Mitgliedstaaten werden gegen diese Organisationen verwaltungsrechtliche und finanzielle Sanktionen verhängt, die im Vergleich zur Schwere der Verstöße unverhältnismäßig sind.

4.1.6.

Die Koordinierung zwischen den Strukturfonds und den nationalen Strategien ist mangelhaft, die im Rahmen der Fonds eingeleiteten Programme aus den nationalen Haushalten werden nicht fortgeführt, und es fehlt ein langfristiger Ansatz für die Finanzierung aus den europäischen Struktur- und Investitionsfonds, was die wirksame Umsetzung der Fondsziele in den Mitgliedstaaten erheblich beeinträchtigen kann (12). Weitere Probleme sind eine unangemessene bzw. unklare Definition der Indikatoren, wodurch die langfristigen Ziele der Maßnahmen verfehlt werden.

4.1.7.

Das Fehlen von Mechanismen zur Stärkung und Förderung des Kapazitätsaufbaus zivilgesellschaftlicher Organisationen, einschließlich Instabilität der Partnerschaften (und im Falle des FEAD auch der Akkreditierung), fehlende Vorfinanzierung von Maßnahmen bzw. fehlende Verfügbarkeit von Mitteln der technischen Unterstützung für den Kapazitätsaufbau der Organisationen.

4.2.

Aus einer Umfrage (13), die unter den nationalen Netzen von Organisationen durchgeführt wurde, die im Bereich der Armutsbekämpfung tätig sind, geht hervor, dass das Ausmaß ihrer Beteiligung an der Vorbereitung der operationellen Programme (abgesehen von ein paar Ausnahmen) äußerst gering ist. Der Stimme der Hilfsorganisationen wird in den Begleitausschüssen nicht die gebührende Beachtung geschenkt.

4.3.

Da jedoch der FEAD im Gegensatz zum ESF ein neues Instrument ist, sollten auch die positiven Aspekte seiner bisherigen Umsetzung hervorgehoben werden. So haben im Jahr 2014 bereits acht Mitgliedstaaten FEAD-Maßnahmen auf den Weg gebracht (weitere fünfzehn Mitgliedstaaten im Jahr 2015). Allein 2014 wurden schätzungsweise 10,9 Mio. Menschen durch FEAD-Maßnahmen unterstützt (14). Darüber hinaus haben die Einführung des FEAD und die Bestimmung, dass 20 % der ESF-Mittel für die Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung bereitzustellen sind, zu einer besseren Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Kommission und den Mitgliedstaaten sowie zu einer besseren Koordinierung der Maßnahmen verschiedener Akteure geführt, die sich für die Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung einsetzen. Dadurch, dass in den meisten Mitgliedstaaten im Rahmen des FEAD sowohl finanzielle Unterstützung als auch Begleitmaßnahmen angeboten werden, entstehen gute Voraussetzungen für eine bessere soziale Eingliederung von Menschen, die bisher auf Nahrungsmittelhilfeprogramme angewiesen waren.

4.4.

In diesem Zusammenhang begrüßt der EWSA das von der Europäischen Kommission ins Leben gerufene FEAD-Netzwerk, das den Austausch von Erfahrungen, die Kontaktpflege und die Verbreitung vorbildlicher Verfahrensweisen ermöglicht. Der EWSA vertritt jedoch die Auffassung, dass er und die wichtigsten Dachorganisationen, die in den Mitgliedstaaten im Bereich des FEAD tätig sind, in einen strukturierten Dialog mit der Europäischen Kommission eingebunden werden sollten.

5.   Empfehlungen für die Umsetzung des FEAD und des ESF im Bereich der Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung

5.1.

Der EWSA spricht sich dafür aus, dass in der nächsten finanziellen Vorausschau ein integrierter europäischer Fonds zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung in Anlehnung an die bisherigen Erfahrungen bei der Umsetzung des FEAD und des ESF geschaffen wird. Im Rahmen dieses Instruments sollte die Vielfalt der Probleme und der Zielgruppen in den einzelnen Mitgliedstaaten, u. a. der Aspekte im Zusammenhang mit den verschiedenen Migrationsformen, berücksichtigt werden. Bei der Umsetzung eines solchen Fonds sollten die Erfahrungen und das Potenzial der Organisationen der Zivilgesellschaft stärker als bisher genutzt werden. Diesen Organisationen sollten erhebliche Kompetenzen im Bereich der Planung, Umsetzung, Überwachung und Bewertung der Programme übertragen werden, und dieser Fonds sollte auch zum Aufbau des Potenzials von Netzen zivilgesellschaftlicher Organisationen unter besonderer Berücksichtigung von Hilfsorganisationen beitragen. Eine Integration der Fonds darf die Mittelausstattung und Intensität des sozialen Engagements der Union für die durch die Fonds verfolgten Zwecke nicht verschlechtern.

5.2.

Der EWSA ist der Ansicht, dass die Europäische Kommission den Einsatz des ESF zur Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung sowie des FEAD zur Förderung von Integrationsmaßnahmen in den Mitgliedstaaten effizienter überwachen sollte. Insbesondere sollten bei der Überwachung die Fortschritte bei der sozialen Eingliederung, und nicht nur die Umsetzung der festgelegten quantitativen Indikatoren bewertet werden, und die Organisationen der Zivilgesellschaft sowie der von Armut und sozialer Ausgrenzung betroffenen Personen sollten umfassend daran beteiligt werden. Diese Fragen sollten auch ein wesentliches Element der Halbzeitüberprüfung darstellen.

5.3.

Der EWSA schlägt der Europäischen Kommission vor, eine deutliche Präzisierung der Mindestanforderungen, die die Behörden der Mitgliedstaaten im Rahmen einer Partnerschaft mit den Organisationen der Zivilgesellschaft erfüllen müssten, sowie die Verhängung von Sanktionen bei unzureichender Umsetzung in Erwägung zu ziehen (15).

5.4.

Der EWSA ruft die Kommission auf zu erwägen, ob die Mitgliedstaaten nicht dazu verpflichtet werden sollten, unter Inanspruchnahme der technischen Unterstützung im Rahmen des FEAD und des ESF effiziente Fördersysteme einzuführen, die auf den Aufbau inhaltlicher und organisatorischer Kapazitäten der zivilgesellschaftlichen Organisationen abzielen, die im Bereich der Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung tätig sind (16).

5.5.

Nach Auffassung des EWSA ist eine professionelle Zusammenarbeit der nationalen mit der Verwaltung der Fonds betrauten Stellen mit den Partnerorganisationen — u. a. Organisationen der Zivilgesellschaft, Regionen, Gemeinden und sonstige nachgeordnete Gebietskörperschaften — auf der Grundlage klarer Grundsätze und transparenter Verträge von ausschlaggebender Bedeutung. Diese Organisationen leisten einen inhaltlichen und organisatorischen Beitrag und bringen bei der Umsetzung des FEAD und des ESF einen echten Mehrwert. Die Verwaltungsbehörden sollten sich enger mit den Partnerorganisationen absprechen, um die operationellen Programme zu optimieren. Darüber hinaus sollten sie die Zusammenarbeit, Konsultation und den Erfahrungsaustausch untereinander unterstützen und fördern (17).

5.6.

Im Hinblick darauf, dass Partnerschaftsvereinbarungen und operationelle Programme Ergebnis von Verhandlungen zwischen der Europäischen Kommission und nationalen Stellen sind, könnte die Kommission künftig bei der Billigung dieser Vereinbarungen und Programme höhere Anforderungen stellen und Nachbesserungen einfordern, wenn dem Partnerschaftsgrundsatz darin nicht ausreichend Rechnung getragen wird (18).

5.7.

Der EWSA ermuntert die Mitgliedstaaten, die Möglichkeiten der Vergabe von Globalzuschüssen, der Weitervergabe von Zuschüssen und ggf. einer Gleichbehandlung von Sachleistungen und finanziellen Beiträgen umfassender zu nutzen. Außerdem ist zu prüfen, ob die Europäische Kommission festlegen sollte, dass ein Großteil der Mittel im Rahmen der operationellen Programme für Projekte mit kleinerem Haushalt bereitzustellen ist (19). Dies würde die Förderung kleinerer, von der Basis ausgehender Projekte, Organisationen und Selbsthilfegruppen ermöglichen und das Eingehen von Partnerschaften auf der lokalen Ebene erleichtern.

5.8.

Der EWSA vertritt die Auffassung, dass auch die unmittelbaren Begünstigten der Unterstützungsmaßnahmen einen Beitrag zur Steigerung der Effizienz dieser Maßnahmen leisten können und sollen. Hilfsorganisationen sollten zu diesem Zweck entsprechende Bewertungsinstrumente entwickeln sowie nach Möglichkeit Freiwillige aus den Reihen der unmittelbaren Begünstigten einbinden.

5.9.

Der EWSA spricht sich für die Stärkung des inhaltlichen und organisatorischen Potenzials der europäischen Netze jener Organisationen aus, die sich für die Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung stark machen.

Brüssel, den 22. Februar 2017

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  http://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-10434-2016-INIT/de/pdf.

(2)  In der Verordnung über den Europäischen Hilfsfonds für die am stärksten benachteiligten Personen (Verordnung (EU) Nr. 223/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2014 werden „Partnerorganisationen“ als öffentliche Stellen und/oder gemeinnützige Organisationen definiert, die die Nahrungsmittel und/oder die materielle Basisunterstützung vergeben und deren Vorhaben von der Verwaltungsbehörde ausgewählt wurden. In der ESF-Verordnung (Verordnung (EU) Nr. 1304/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2013) werden die Sozialpartner, nichtstaatliche Organisationen sowie weitere Organisationen genannt.

(3)  http://www.un.org/sustainabledevelopment/sustainable-development-goals/.

(4)  Eurostat-Pressemitteilung Nr. 181/2015 vom 16.10.2015.

(5)  http://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST-10434-2016-INIT/de/pdf.

(6)  Frühere Stellungnahmen: ABl. C 133 vom 14.4.2016, S. 9, ABl. C 170 vom 5.6.2014, S. 23.

(7)  Verordnung (EU) Nr. 223/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 2014 zum Europäischen Hilfsfonds für die am stärksten benachteiligten Personen. Im Einklang mit dieser Verordnung wird die Definition des Begriffs „am stärksten benachteiligte Personen“ von den Mitgliedstaaten festgelegt.

(8)  Dieser Verhaltenskodex findet aufgrund einer anderen Rechtsgrundlage auf den FEAD keine Anwendung.

(9)  http://www.eapn.eu/barometer-report-eapns-monitoring-the-implementation-of-the-20-of-the-european-social-funds-for-the-fight-against-poverty/.

(10)  http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX:52015DC0639.

(11)  Siehe die EWSA-Stellungnahme in ABl. C 487 vom 28.12.2016, S. 1.

(12)  Harnessing cohesion policy to tackle social exclusion, in-depth analysis, Wissenschaftlicher Dienst des Europäischen Parlaments 2016, http://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/IDAN/2016/583785/EPRS_IDA%282016%29583785_EN.pdf.

(13)  http://www.eapn.eu/barometer-report-eapns-monitoring-the-implementation-of-the-20-of-the-european-social-funds-for-the-fight-against-poverty/.

(14)  COM(2016) 435 final.

(15)  Siehe die EWSA-Stellungnahme in ABl. C 487 vom 28.12.2016, S. 1.

(16)  Siehe die EWSA-Stellungnahme in ABl. C 487 vom 28.12.2016, S. 1.

(17)  Siehe Schlussfolgerungen des Rates „Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung: Ein integrierter Ansatz“ vom 16. Juni 2016, Punkt 15.

(18)  Harnessing cohesion policy to tackle social exclusion, in-depth analysis, Wissenschaftlicher Dienst des Europäischen Parlaments, Mai 2016; http://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/IDAN/2016/583785/EPRS_IDA%282016%29583785_EN.pdf.

(19)  Z. B. bis zu 50 000 Euro.


31.5.2017   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 173/20


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Die Rolle der Landwirtschaft in multilateralen, bilateralen und regionalen Handelsverhandlungen im Lichte der WTO-Ministerkonferenz von Nairobi“

(Initiativstellungnahme)

(2017/C 173/04)

Berichterstatter:

Jonathan PEEL

Beschluss des Plenums

21.1.2016

Rechtsgrundlage

Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung

 

Initiativstellungnahme

 

 

Zuständige Fachgruppe

Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umwelt

Annahme in der Fachgruppe

6.2.2017

Verabschiedung auf der Plenartagung am

23.2.2017

Plenartagung Nr.

523

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

212/0/0

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

In Abwandlung eines Zitats von Mark Twain (1): Die Berichte über den Tod der WTO aufgrund des Scheiterns der Doha-Runde sind stark übertrieben. Die WTO ist nach wie vor ein tragfähiges, effektives Forum für Handelsverhandlungen, insbesondere im Agrarbereich.

1.1.1.

Auf der zehnten WTO-Ministerkonferenz im Dezember 2015 in Nairobi wurde dies noch einmal unterstrichen. Dort wurde unter anderem beschlossen, Exportsubventionen für Agrarerzeugnisse wirksam abzubauen. Der WTO-Generaldirektor bezeichnete diese Beschlüsse als „das wichtigste Ergebnis der WTO im Bereich der Landwirtschaft“ seit 20 Jahren. Grundlage hierfür sind das Übereinkommen über Handelserleichterungen und eine Reihe weiterer Vereinbarungen, die 2013 auf der vorigen WTO-Ministerkonferenz auf Bali erzielt wurden.

1.1.2.

Im Bereich des Handels mit Agrarerzeugnissen (2) gibt es große Themenbereiche, in denen Abkommen am besten auf multilateraler Ebene erreicht werden können, insbesondere in Bezug auf die allgemeine Höhe der innerstaatlichen Stützung und Subventionen, die Ausfuhrsubventionen und bestimmte Aspekte des Marktzugangs. Hierzu gehört ein besonderer Schutzmechanismus (SSM) einschließlich der differenzierten Sonderbehandlung für Entwicklungsländer, die Mitglieder der WTO sind.

1.2.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) ist der Ansicht, dass ein neuer Ansatz, neue Ideen und neue Impulse für den Handel mit Agrarerzeugnissen, über den in Verhandlungen häufig am meisten gestritten wird, erforderlich sind. Die Erklärung der WTO-Ministerkonferenz von Nairobi (3) enthält zum ersten Mal keine Bekräftigung des Bekenntnisses zum Abschluss der Doha-Runde, dafür aber „eine nachdrückliche Verpflichtung aller Mitglieder, die Verhandlungen über die verbleibenden Themen der Doha-Runde voranzubringen“, zu denen unter anderem auch die Landwirtschaft gehört.

1.2.1.

Der multilaterale Ansatz für die Landwirtschaft sollte überdacht und neu belebt, nicht aber aufgegeben werden. „Doha“ als Konzept für den Handelsdialog zwischen Industriestaaten und Entwicklungsländern muss bewahrt und verbessert werden, wobei gleichzeitig der Grundsatz der Ernährungssouveränität für alle Seiten respektiert werden muss.

1.2.2.

Die EU ist gut gerüstet, um eine führende, aktive Rolle bei der Förderung eines neuen, ausgewogenen Ansatzes zu spielen. Der EWSA fordert die EU auf, diese Rolle zu übernehmen, nicht zuletzt deshalb, weil es vielen der schnell wachsenden Schwellenländer bislang nicht gelungen ist, einen nennenswerten Beitrag zur Hilfe für andere Länder zu leisten, die in ihrer Entwicklung noch weiter zurückliegen. Es ist nach wie vor von entscheidender Bedeutung, die Kapazitäten der Entwicklungsländer weiter auszubauen und den weniger fortgeschrittenen unter ihnen mehr Spielraum zu geben, damit eine Beeinträchtigung ihrer Ernährungssicherheit oder der Entwicklung ihrer aufstrebenden Agrarsektoren verhindert wird.

1.3.

Außerdem müssen weitere Überlegungen darüber angestellt werden, was in bilateralen und regionalen Verhandlungen für den Handel mit Agrarerzeugnissen erreicht werden kann, wobei gewährleistet sein muss, dass diese Verhandlungen nicht im Widerspruch zum Multilateralismus stehen.

1.4.

Der EWSA ist der Ansicht, dass die Verabschiedung der Ziele der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung gemeinsam mit dem Klimaschutzabkommen von Paris (COP 21 (4)) die globale Handelsagenda maßgeblich verändern wird, insbesondere mit Blick auf den Handel mit Agrarerzeugnissen. Die Dringlichkeit zur Umsetzung dieser weitreichenden Abkommen muss jetzt im Mittelpunkt aller künftigen Verhandlungen stehen.

1.4.1.

Wenn die Nachhaltigkeitsziele verwirklicht werden sollen, müssen Handel und Investitionen dabei eine Schlüsselrolle spielen. Die Unctad schätzt, dass die Verwirklichung dieser Ziele zusätzliche Finanzmittel in Höhe von 2,5 Billionen US-Dollar pro Jahr erfordern wird. Die Ziele für eine nachhaltige Entwicklung sind globaler Natur und universell anwendbar — alle Länder müssen gemeinsam die Verantwortung für ihre Verwirklichung übernehmen. Sie sollten zu einer neuen Art der internationalen Zusammenarbeit führen — umfassender und stärker auf Mitwirkung und Konsultation ausgerichtet. Mehr als 90 Länder haben bereits andere Staaten um Hilfe bei der Verwirklichung dieser Ziele ersucht.

1.4.2.

Die Förderung und Umsetzung der Ziele für eine nachhaltige Entwicklung und die Propagierung der europäischen Werte in der ganzen Welt werden zu großen Synergieeffekten führen, insbesondere durch Fortschritte im Umwelt- und Sozialbereich. Der EWSA empfiehlt nachdrücklich, dass das in den Verhandlungen mit den USA letztendlich erzielte Niveau an Transparenz und Einbeziehung der Zivilgesellschaft zur Norm werden muss.

1.4.3.

In der Erklärung von Nairobi wird hervorgehoben, dass die WTO für die Verwirklichung der Nachhaltigkeitsziele eine wichtige Rolle spielt und dass dies ohne einen wirksamen multilateralen Handelsmechanismus erheblich schwieriger wäre.

1.5.

Der EWSA begrüßt die im November 2016 veröffentlichte Kommissionsmitteilung „Nächste Schritte für eine nachhaltige Zukunft Europas“ (5), die darauf abzielt, die Ziele für eine nachhaltige Entwicklung uneingeschränkt in den politischen Handlungsrahmen der EU und die aktuellen Prioritäten der Kommission zu integrieren.

1.5.1.

Dies wird insbesondere für die künftigen Verhandlungen über den Handel mit Agrarerzeugnissen von Bedeutung sein. Die Landwirtschaft spielt eine wichtige Rolle für die Verwirklichung der meisten, wenn nicht aller Nachhaltigkeitsziele, insbesondere der Ziele 2 (Beseitigung des Hungers), 12 (nachhaltiger Verbrauch und nachhaltige Produktion) und 15 (Landverödung). Handel trägt dazu bei, Ungleichgewichte zwischen Angebot und Nachfrage zu beseitigen, und ist in der Lage, durch ein höheres Nahrungsmittelangebot die Ernährungssicherheit und die Ernährung bedeutend zu verbessern, Ressourceneffizienz zu fördern, Investitionen zu steigern, Marktchancen zu verbessern und das wirtschaftliche Wachstum anzukurbeln, wodurch er gleichzeitig dafür sorgt, dass Arbeitsplätze, Einkommen und Wohlstand in ländlichen Gebieten geschaffen werden.

1.6.

Die EU ist bestens aufgestellt, dieses Programm voranzutreiben: Als weltgrößter Exporteur und Importeur landwirtschaftlicher Erzeugnisse hat ihre Stimme Gewicht, sie tritt nicht mehr als ein Verhandlungspartner in Erscheinung, der sich in Landwirtschaftsfragen in erster Linie defensiv verhält, sie hat ein nachhaltiges Interesse in den Bereichen Handel und Entwicklung an den Tag gelegt, und vor allem hat sie in Nairobi deutlich gemacht, dass sie in der Lage ist, neue und ausgewogene Ideen beizusteuern. Die EU verfügt über die Glaubwürdigkeit, um eine echte Brückenfunktion zwischen Industrie- und Entwicklungsländern auszuüben.

1.7.

Bevor sie diese Aufgabe wirksam erfüllen kann, muss die Kommission nach Ansicht des EWSA eine vollständige Folgenabschätzung durchführen und untersuchen, wie sich die Verwirklichung der Nachhaltigkeitsziele und die Umsetzung des Übereinkommens von Paris aller Voraussicht nach auf die Landwirtschaft in der EU und die EU-Handelspolitik auswirken werden.

1.7.1.

Gleichzeitig muss die EU diese Folgenabschätzung ausweiten und auch berücksichtigen, welche Auswirkungen die jüngsten Handelsabkommen der EU und die Entwicklungen im weltweiten Handel auf die Landwirtschaft in der EU haben werden. Zwar gehören Landwirtschaft und Handel seit über 40 Jahren in den Zuständigkeitsbereich der EU, doch hat es bisweilen an Kommunikation oder an gemeinsamen Überlegungen zwischen diesen beiden Kernbereichen gefehlt.

2.   Hintergrund

2.1.

In Artikel 20 des von der Uruguay-Runde im Jahr 1994 geschlossenen Übereinkommens über die Landwirtschaft vereinbarten die Mitglieder der damals neu gegründeten WTO (anstelle des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens, GATT), bis Ende 1999 weitere Verhandlungen „zur Fortführung des Reformprozesses im Agrarhandel“ ins Leben zu rufen. 2001 wurde diese „eingebaute Reformagenda“ wiederum in die weitere Doha-Runde bzw. die Doha-Entwicklungsagenda (DDA) aufgenommen. Diese Verhandlungen sollten ursprünglich bis zum 1. Januar 2005 abgeschlossen sein, doch nach 15 Jahren ist immer noch kein Ende in Sicht.

2.2.

Auf Grundlage der Verhandlungsbeiträge aus über 100 WTO-Mitgliedstaaten wurde in der Erklärung von Doha (6) das langfristige Ziel festgeschrieben, „durch grundlegende Reformen ein gerechtes und marktorientiertes Handelssystem zu schaffen“. Dies umfasste auch „strengere Regeln und besondere Verpflichtungen in Bezug auf staatliche Unterstützung und Schutz für die Landwirtschaft, um die Beschränkungen und Verzerrungen auf den internationalen Agrarmärkten zu korrigieren und zu verhindern“.

2.2.1.

Die Doha-Entwicklungsagenda erstreckte sich auf die „drei Säulen“ des Handels im Agrarsektor, wie sie in dem von der Uruguay-Runde geschlossenen Übereinkommen festgelegt wurden:

weitgehender Abbau der Hindernisse für den Marktzugang,

Verringerung und allmähliche Abschaffung aller Formen von Ausfuhrsubventionen,

erhebliche Reduzierung der innerstaatlichen Stützung der Landwirtschaft, die zu Handelsverzerrungen führt.

2.2.2.

In der Erklärung von Doha wurde eine differenzierte Sonderbehandlung für Entwicklungsländer als „fester Bestandteil der Verhandlungen“ festgeschrieben, um sie in die Lage zu versetzen, ihre Bedürfnisse zu befriedigen, insbesondere mit Blick auf die Ernährungssicherheit und die Entwicklung des ländlichen Raums. Gleichzeitig wurde auf Grundlage der Verhandlungsvorschläge seitens der Mitglieder vereinbart, nicht handelsbezogene Anliegen wie beispielsweise den Umweltschutz zu berücksichtigen.

2.3.

Die Doha-Runde wurde nach mehreren verstrichenen Fristen nie abgeschlossen, obwohl auf den WTO-Ministerkonferenzen von Bali und Nairobi bemerkenswerte Fortschritte erzielt wurden.

2.3.1.

Ein zentraler Bestandteil der Erklärung von Doha war der Grundsatz des „Gesamtpakets“, der besagt, dass nichts als beschlossen gilt, solange keine Einigung über alle Punkte vorliegt. Obwohl die Mitglieder der WTO mehrfach, zuletzt im Jahr 2008, einer Einigung sehr nahe kamen, blieben noch viele Fragen offen. Dieser Grundsatz wurde jedoch 2013 auf Bali durch das Übereinkommen über Handelserleichterungen und eine Reihe weiterer Abkommen praktisch gebrochen, was durch die in Nairobi erzielten spezifischen Vereinbarungen über die Landwirtschaft noch deutlicher zum Vorschein trat.

2.4.

Obwohl es in Ziffer 12 der WTO-Ministererklärung von Nairobi heißt: „Wir stellen fest, dass im Bereich der Landwirtschaft sehr viel weniger Fortschritte erzielt wurden“, bezeichnet der WTO-Generaldirektor den auf der Konferenz gefassten Beschluss, die Ausfuhrsubventionen für landwirtschaftliche Erzeugnisse abzuschaffen, als „das wichtigste Ergebnis der WTO im Bereich der Landwirtschaft“ (7) seit 20 Jahren. Darüber hinaus verpflichtet die Ministererklärung die Mitglieder, sich weiterhin um einen „besonderen Schutzmechanismus für die Entwicklungsländer“ und eine dauerhafte Lösung für die „öffentliche Lagerhaltung aus Gründen der Ernährungssicherung“ zu bemühen; entsprechende Beschlüsse sollen 2017 auf der nächsten, der 11. Ministerkonferenz gefasst werden. Der Beschluss der Minister zum Thema Baumwolle ist ebenfalls von Bedeutung.

3.   Besondere Bemerkungen: Künftige multilaterale Fortschritte im Agrarbereich

3.1.

Wie bereits in dem von der Uruguay-Runde erzielten Übereinkommen und der Doha-Entwicklungsagenda anerkannt wurde, können wirksame internationale Vereinbarungen über einen besonderen Schutzmechanismus, eine differenzierte Sonderbehandlung oder über die allgemeine Höhe der Subventionen in der Landwirtschaft am besten durch einen multilateralen Ansatz erzielt werden. Geht man indes wie in Nairobi nur unsystematisch vor, wird es weniger Anreize geben, um die schwierigeren Fragen zu lösen, da man denjenigen, von denen man bedeutende Zugeständnisse erwartet, weniger zu bieten hat.

3.1.1.

Der WTO-Agrarausschuss zeigt sich mehr und mehr willens, auf der für Dezember 2017 in Buenos Aires geplanten elften Ministerkonferenz auf „Ergebnisse im Bereich der Landwirtschaft“ einschließlich der „eingebauten Reformagenda“ (8) des von der Uruguay-Runde geschlossenen Übereinkommens über die Landwirtschaft hinzuwirken, um nicht zuletzt den multilateralen Ansatz zu stärken.

3.1.2.

Realistisch gesehen hat der Doha-Prozess ausgedient, und nun werden neue Ideen und neue Impulse benötigt — nicht nur für die künftigen multilateralen Verhandlungen, sondern auch mit Blick auf die Frage, welche Ergebnisse am besten durch bilaterale oder regionale Verhandlungen erzielt werden können, ohne das globale Gesamtbild dadurch zu verzerren.

3.2.

Das „Nairobi-Paket“ umfasst sechs Vereinbarungen zur Landwirtschaft. Die wichtigste davon ist die Verpflichtung zur Abschaffung von Ausfuhrsubventionen für Agrarerzeugnisse, wodurch praktisch die Fragen zu einer der „drei Säulen“ der Landwirtschaft geregelt wurden. Den Entwicklungsländern wurde dabei etwas mehr Zeit eingeräumt, um derartige Subventionen auslaufen zu lassen. Dies gehört auch zu den zentralen Zielen für eine nachhaltige Entwicklung, vgl. Nachhaltigkeitsziel Nr. 2 (Beseitigung des Hungers).

3.2.1.

Die EU war hier eine der Triebkräfte und konzipierte insbesondere im Vorfeld einen gemeinsamen Standpunkt mit wichtigen globalen Agrarexporteuren einschließlich Brasilien. Dieses Abkommen enthält auch verbindliche Vorschriften zu anderen Formen der Exportförderung, unter anderem zu Ausfuhrkrediten, Nahrungsmittelhilfen und staatlichen Handelsunternehmen, sowie zur Abschaffung der Subventionen für Baumwolle.

3.3.

In den Gesprächen in Doha über den Marktzugang standen bislang die Höhe der Zölle, Zollkontingente, die Verwaltung der Zollkontingente und besondere Schutzmechanismen einschließlich der differenzierten Sonderbehandlung für Entwicklungsländer im Mittelpunkt. Als Folge des Übereinkommens der Uruguay-Runde über die Landwirtschaft mussten nahezu alle nichttarifären Handelshemmnisse im Agrarbereich abgeschafft oder in Zölle umgewandelt werden, es sei denn, es greifen andere WTO-Vorschriften, insbesondere das Übereinkommen über die Anwendung gesundheitspolizeilicher und pflanzenschutzrechtlicher Maßnahmen (SPS-Übereinkommen) und das Übereinkommen über technische Handelshemmnisse (TBT-Übereinkommen) (9). Für die Fälle, in denen die „errechneten Zolläquivalente“ immer noch zu hoch waren, um eine echte Möglichkeit für Einfuhren zu schaffen, wurde ein System von Zollkontingenten eingeführt, wobei die Zölle innerhalb dieser Kontingente niedriger waren.

3.3.1.

Zölle und Zollkontingente können in der Tat in bilateralen Handelsverhandlungen geregelt werden, doch besondere Schutzmechanismen und eine differenzierte Sonderbehandlung für Entwicklungsländer sind multilaterale Themen. Die einzelnen Länder können ihre Zölle oder Subventionen auch einseitig senken, und viele haben das in der Vergangenheit getan.

3.4.

Die innerstaatliche Stützung der Landwirtschaft bildet den Mittelpunkt der multilateralen Verhandlungen, bei denen es jetzt Handlungsspielraum gibt und für die mit Blick auf die elfte Ministerkonferenz eine gewisse Aussicht auf Fortschritte besteht.

3.4.1.

Die meisten Länder unterstützen ihre Landwirte innerstaatlich. In einigen Ländern ist diese Unterstützung verschwindend gering (z. B. führende Agrarexporteure, insbesondere Australien und Neuseeland). Andere Industriestaaten fördern ihre Landwirte umfassend und auf unterschiedlichste Art und Weise, nicht zuletzt als Vergütung für die Dienstleistungen, die sie für die Gesellschaft erbringen. Gleiches tun die sich schnell entwickelnden Schwellenländer, in denen mit zunehmendem Reichtum der Umfang der Unterstützung offensichtlich deutlich zunimmt, in denen es aber auch zu ernsthaften Verzögerungen bei der Meldung von Daten an die WTO kommt.

3.4.2.

Im September 2016 erhoben die USA vor der WTO Klage gegen China wegen interner Stützungsmaßnahmen, insbesondere für Weizen, Mais und Reissorten. Die letzten der WTO gemeldeten Zahlen aus China bezogen sich auf das Jahr 2010, und seitdem hat diese Form der Unterstützung offensichtlich rasch zugenommen. Obwohl das Streitbeilegungsverfahren umständlich sein kann und ein vollständiges Verfahren vielleicht ausbleibt, wirft dieser Schritt doch einen langen Schatten auf die WTO-Diskussionen über die interne Stützung im Vorfeld der elften Ministerkonferenz. Es scheint auch im Widerspruch zur Vereinbarung von Bali zu stehen, Streitigkeiten über Fragen der öffentlichen Lagerhaltung unter Einbeziehung der Entwicklungsländer zu vermeiden (10).

3.4.3.

Aus neueren Zahlen, die der WTO seitens der US-amerikanischen Regierung vorgelegt wurden (11), geht hervor, dass die interne Stützung in den USA 2013 von 12 Mrd. USD auf 14 Mrd. USD gestiegen ist, was ihrer im gescheiterten „Paket vom Juli 2008“ vorgeschlagenen Obergrenze sehr nahe kommt. Davon entfallen 6,9 Mrd. USD auf die „Gelbe Box“ und 7 Mrd. USD auf „De-minimis“-Beihilfen. 132 Mrd. USD wurden an Beihilfen der „Grünen Box“ gezahlt. Insgesamt wurden demnach Beihilfen in Höhe von mehr als 140 Mrd. USD gezahlt, nahezu doppelt so viel wie im Jahr 2007. In dem Bericht heißt es darüber hinaus, dass sich die handelsverzerrenden Subventionen, wie sie in dem von der Uruguay-Runde 1994 im Rahmen des GATT geschlossenen Übereinkommen über die Landwirtschaft definiert werden, in China auf etwa 18 Mrd. USD im Jahr 2010, in Japan auf 14 Mrd. USD 2012, in Russland auf 5 Mrd. USD 2014 und in Indien auf 2 Mrd. USD in den Jahren 2010-2011 belaufen haben. Brasilien meldete weniger als 2 Mrd. USD an handelsverzerrenden Stützungen für den Zeitraum 2014-2015 (12).

3.4.4.

Nach den Zahlen, die der WTO gemeldet wurden (13), betrug die Unterstützung der EU in den Jahren 2012-2013 etwa 80 Mrd. EUR jährlich — ein Wert, der seit Beginn der Doha-Runde konstant geblieben war. Über 70 Mrd. EUR davon zählten jedoch zu den Beihilfen der „Grünen Box“. Die „handelsverzerrende“ Unterstützung der EU kam einschließlich der „Gelben Box“, der „Blauen Box“ und der „De-minimis“-Beihilfen insgesamt auf nur 10 Mrd. EUR. Die EU-Beihilfen der „Grünen Box“ (die nicht oder nur geringfügig handelsverzerrend wirken) umfassen Umweltschutz- und Regionalentwicklungsprogramme.

3.4.5.

Die von der EU vollzogene Kehrtwende von der handelsverzerrenden Unterstützung (die 2001 mehr als 60 Mrd. EUR betrug) hin zu Beihilfen der „Grünen Box“ steht im Einklang mit den „Luxemburger Beschlüssen“ der GAP von 2003, denen zufolge die Betriebsprämien der EU nicht mehr als direkte Prämien für bestimmte Anbaukulturen, sondern als „entkoppelte Einkommensunterstützung“ gezahlt werden. Durch diesen wichtigen einseitigen Schritt hin zur Verwirklichung eines zentralen Ziels der Doha-Entwicklungsagenda im Bereich der Landwirtschaft erhält die EU mehr Glaubwürdigkeit als künftiger Vermittler in Agrarverhandlungen.

3.4.6.

Die USA und andere Länder werden jedoch nur dann erhebliche Zugeständnisse bezüglich der internen Stützung machen, wenn auch von anderer Seite bedeutende Zugeständnisse gemacht werden, auch in Bezug auf multilaterale, nicht mit der Landwirtschaft verknüpfte Fragen — doch die Aussichten diesbezüglich sind nicht ermutigend. Manche Länder könnten die Ansicht vertreten, dass nach der Unterzeichnung megaregionaler Handelsabkommen keine Veranlassung bestehe, weitere Schritte zu unternehmen.

3.4.7.

Andere Fragen sind unter den Entwicklungsländern nach wie vor höchst umstritten, insbesondere die „öffentliche Lagerhaltung aus Gründen der Ernährungssicherung“, ein Thema, das Nachbarn gegen Nachbarn aufbringt. In Nairobi wurde vereinbart, die Bemühungen um eine dauerhafte Lösung für dieses Problem fortzuführen, dass bereits auf Bali diskutiert wurde, wo es von Indien vorgebracht worden war. Nach dem Beschluss von Bali dürfen Entwicklungsländer weiterhin Programme für eine Lagerhaltung aus Gründen der Ernährungssicherung durchführen, die ansonsten gegen die von der WTO festgesetzten Obergrenzen für die interne Stützung verstoßen würden.

3.5.

In der Mitteilung der Europäischen Kommission „Handel für alle“ heißt es jedoch, dass der multilaterale Ansatz den Kern des weltweiten Handels bildet und weiterhin „der Eckpfeiler der EU-Handelspolitik bleiben“ (14) muss. Die WTO konzipiert die Regeln des Welthandels und setzt sie durch, und sie gewährleistet weltweite Kompatibilität. Unterstützung erfährt sie durch ihr Streitbeilegungssystem (15), das weithin geschätzt und zunehmend angewandt wird. Sowohl die Nachhaltigkeitsziele als auch die COP-21-Ziele enthalten klare Zielvorgaben. Die WTO verfügt dagegen lediglich über einen klaren Mechanismus gegen den weitverbreiteten Protektionismus und die Handelsstörungen, die die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg und der darauf folgenden Gründung des GATT kennzeichneten.

3.5.1.

Die Regulierungsfunktion der WTO ist für den Handel mit Agrarerzeugnissen besonders wichtig. Dies gilt vor allem für das Übereinkommen über die Anwendung gesundheitspolizeilicher und pflanzenschutzrechtlicher Maßnahmen (SPS-Übereinkommen) und den äußerst komplexen Bereich der Ursprungsregeln, obwohl diese nicht zur Doha-Entwicklungsagenda gehören. Es besteht nach wie vor die reale Gefahr, dass durch bilaterale Abkommen Regelungen in Kraft gesetzt werden, die sich potenziell überschneiden oder sogar im Widerspruch zueinander stehen, wodurch die Welthandelsregeln eher komplizierter als klarer würden.

3.5.2.

Das SPS-Übereinkommen der WTO von 1995 bezieht sich auf die Anwendung der Vorschriften über die Lebensmittelsicherheit sowie die Tier- und Pflanzengesundheit. Gegenstand von Artikel 5.7 ist das Vorsorgeprinzip, das nunmehr auch im Vertrag von Lissabon verankert ist. Jeder Versuch, dieses Übereinkommen auf einer anderen als der multilateralen Ebene zu verändern, hätte tief greifende Folgen für die Welthandelsordnung und die künftige Glaubwürdigkeit des SPS-Übereinkommens selbst.

4.   Aussichten für bilaterale oder regionale Handelsabkommen

4.1.

Durch bilaterale Freihandelsabkommen muss sowohl im Agrarsektor als auch in anderen Bereichen ein echter Mehrwert geschaffen werden. Sie bieten mehr Raum für regionale und nationale Unterschiede sowie für kulturelle Befindlichkeiten. Sie müssen auch daran gemessen werden, ob sie den Multilateralismus stärken.

4.2.

Zollsenkungen und Zollkontingente sind für bilaterale Handelsabkommen von wesentlicher Bedeutung. In Japan sind die Einfuhrzölle für Lebensmittel nach wie vor sehr hoch, während in China die Zölle viel niedriger sind. Die EU könnte bei einigen Zollkontingenten über Handlungsspielraum verfügen, möglicherweise bei denen, die in der Zeit des Übereinkommens der Uruguay-Runde festgelegt wurden und die mittlerweile in einem anderen Licht betrachtet werden.

4.2.1.

Ein weiterer wichtiger Bereich, in dem die EU im eigenen Interesse in bilateralen Verhandlungen möglichst viel erreichen muss, sind die geografischen Angaben (GA), deren Wert auf 5,6 Mrd. EUR jährlich (16) beziffert wird. Den Verhandlungsführern der EU ist es gelungen, in das Abkommen zwischen der EU und Kanada (CETA) (17) etwa 145 anerkannte geografische Angaben der EU einzubinden, und in das Abkommen mit Vietnam noch mehr, doch wird diese Zahl in Abhängigkeit von den Besonderheiten eines jeden Freihandelsabkommens immer variieren. Andere Länder, insbesondere in Ostasien, sind nicht so schnell, wenn es um die geografischen Herkunftsangaben geht, während in den USA viele derartig gekennzeichnete Produkte als Generika angesehen werden.

4.2.2.

Die EU muss in bilateralen Verhandlungen zudem ihre landwirtschaftlichen Interessen umfassend wahren und so weit wie möglich fördern, insbesondere wenn sie mit wichtigen Agrarexporteuren wie beispielsweise dem Mercosur, Australien oder Neuseeland verhandelt. Die EU muss jeder Versuchung widerstehen, Zugeständnisse im Bereich der Landwirtschaft im Gegenzug für Vorteile an anderer Stelle zu machen.

4.3.

Bilaterale Abkommen sollten dazu dienen, die Anwendung unterschiedlicher Maßstäbe in der Landwirtschaft der Partnerländer zu beseitigen, insbesondere in Verbindung mit dem SPS- und dem TBT-Übereinkommen. Die EU wird auch ihre eigenen Standards im Bereich der Tiergesundheit und des Tierschutzes sowie im Einklang mit den Nachhaltigkeitszielen ihre umweltbezogenen, sozialen und umfassenderen Standards der nachhaltigen Entwicklung verbreiten wollen. Der EWSA begrüßt, dass in den Verhandlungen über die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft letztendlich eine Einigung über das Maß an Transparenz und Einbindung der Zivilgesellschaft von Verhandlungsbeginn an erzielt wurde, und empfiehlt, das hier erreichte Niveau für künftige Verhandlungen zur Norm zu machen.

4.3.1.

Die EU (und andere) müssen eine verbindliche Zusage für den Kapazitätsaufbau machen, um anderen, weniger entwickelten Ländern zu helfen, diese Standards zu erfüllen, beispielsweise bei der Entwicklung eines annehmbaren zertifizierenden Veterinärwesens, wobei Normen im Bereich der Lebensmittelsicherheit äußerst wichtig sind.

4.4.

In der EWSA-Stellungnahme zum Thema Agrarhandel/Sicherung der Welternährung  (18) wird darauf hingewiesen, dass die Gewährleistung und Verbesserung der Ernährungssicherheit ebenfalls eine grundlegende politische Triebkraft für alle bilateralen Verhandlungen im Agrarbereich sein wird. Weiter heißt es, dass der Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen darauf ausgerichtet sein soll, „zum einen zahlungskräftige Nachfrage [derer, die sich das womöglich erstmals leisten können] zu befriedigen und zum anderen Hilfe und Unterstützung dort zu geben, wo Hunger und Mangel aus eigener Kraft nicht beseitigt werden können“. Ebenso wichtig ist es, ein ausreichendes Maß an Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln zu erhalten, um nicht zuletzt die importierenden Länder vor großen Preisschwankungen bei den eingeführten Produkten zu schützen.

4.4.1.

In dieser Stellungnahme wird darauf hingewiesen, dass es außerhalb Europas eine große potenzielle Nachfrage nach Lebensmitteln und Getränken aus der EU gibt. Etwa zwei Drittel des landwirtschaftlichen Ertrags der EU gehen in die weitere Verarbeitung, und die Agrar- und Lebensmittelausfuhren der EU stiegen 2015 auf 129 Mrd. EUR — ein Anstieg von 27 % gegenüber 2011. Im zweiten Quartal 2016 beliefen sich die EU-Exporte insgesamt auf 25,4 Mrd. EUR, während die Einfuhren von Lebensmitteln und Getränken in die EU 17,8 Mrd. EUR betrugen. Die wichtigsten Ausfuhrprodukte waren Fleisch, Alkohol, Wein, Milchprodukte sowie Schokolade und Süßwaren.

5.   Handel, Landwirtschaft und die Ziele für eine nachhaltige Entwicklung

5.1.

Die Verabschiedung der Nachhaltigkeitsziele durch die Vereinten Nationen im September 2015, die das Kernstück ihrer Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung bilden, und die Umsetzung des Übereinkommens von Paris (COP 21) (19) werden weitreichende Auswirkungen auf den Welthandel haben. Die Sorge um die dringend erforderliche Umsetzung dieser Beschlüsse muss nun im Mittelpunkt aller künftigen Handelsverhandlungen stehen, insbesondere der Verhandlungen über den Handel mit Agrarerzeugnissen.

5.2.

Die Nachhaltigkeitsziele werden sich verstärkt unmittelbar auf den Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen auswirken. Die Nachhaltigkeitsziele bauen auf den Millenniums-Entwicklungszielen auf, aber sie werden Folgen für jedes einzelne Land haben. Die Ziele für eine nachhaltige Entwicklung sind globaler Natur und universell anwendbar — alle Länder müssen gemeinsam die Verantwortung für ihre Verwirklichung übernehmen. Die Nachhaltigkeitsziele sind eng mit dem Übereinkommen von Paris verknüpft: Mindestens 13 dieser Ziele beziehen sich auf den Klimawandel.

5.2.1.

Mehr als 90 Länder haben bereits andere Staaten um Hilfe bei der Erfüllung der Ziele für eine nachhaltige Entwicklung ersucht. Die Nachhaltigkeitsziele stehen im Mittelpunkt der globalen Debatte, die auch durch die EU gefördert wurde. Sie sollten zu einer neuen Art der internationalen Zusammenarbeit führen — umfassender und stärker auf Mitwirkung und Konsultation ausgerichtet.

5.2.2.

Der EWSA begrüßt die im November 2016 veröffentlichte Kommissionsmitteilung „Nächste Schritte für eine nachhaltige Zukunft Europas“ (20), die darauf abzielt, die Ziele für eine nachhaltige Entwicklung uneingeschränkt in den politischen Handlungsrahmen der EU und die aktuellen Prioritäten der Kommission zu integrieren, wozu die EU nach dem Vertrag von Lissabon (21) auch verpflichtet ist. Die Nachhaltigkeitsziele werden Querschnittscharakter für die Umsetzung der globalen Strategie der EU haben. Die EU hat, so wird hervorgehoben, entscheidend an der Gestaltung dieser Agenda mitgewirkt. Die Förderung und Umsetzung der Ziele für eine nachhaltige Entwicklung und die Propagierung der europäischen Werte in der ganzen Welt werden zu großen Synergieeffekten führen, auch wenn die Nachhaltigkeitsziele nicht unmittelbar eine verantwortungsvolle Regierungsführung und Rechtsstaatlichkeit fördern.

5.2.3.

Die Nachhaltigkeitsziele gehen auch weit über die Millenniums-Entwicklungsziele hinaus, da ausdrücklich darauf hingewiesen wird, mit welchen Instrumenten oder „Mitteln der Umsetzung“ alle 17 Nachhaltigkeitsziele und ihre 169 konkret genannten Zielvorgaben erfüllt werden sollen. Der Handel wird in Verbindung mit neun Nachhaltigkeitszielen ausdrücklich erwähnt (in den Millenniums-Entwicklungszielen hingegen nur einmal).

5.2.4.

Wenn die Nachhaltigkeitsziele effektiv verwirklicht werden sollen, müssen Handel und Investitionen eine grundlegende Rolle spielen, nicht zuletzt weil die Unctad schätzt, dass die Verwirklichung dieser Ziele zusätzliche Finanzmittel in Höhe von 2,5Billionen US-Dollar pro Jahr erfordern wird, die zu einem Großteil aus dem Privatsektor kommen müssten. Der Generaldirektor der WTO hat darauf hingewiesen, dass die Millenniums-Entwicklungsziele bereits das „Umgestaltungspotenzial des Handels“ unter Beweis gestellt haben (22).

5.3.

Der Handel mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen muss ebenfalls eine Schlüsselrolle bei der Verwirklichung der meisten, wenn nicht gar aller Nachhaltigkeitsziele spielen und insbesondere für die Ziele 2 (Hunger/Ernährungssicherheit), 12 (nachhaltige Verbrauchs- und Produktionsmuster) und 15 (Landverödung) entscheidend sein.

5.3.1.

Der Agrarhandel wird auch für die Ziele 1 (Armut/Unterernährung), 8 (integratives, nachhaltiges Wirtschaftswachstum), 9 (Infrastruktur), 10 (Abbau von Ungleichheiten), 13 (Klimawandel), 3 (Wohlergehen), 5 (Gleichstellung der Geschlechter) und 7 (Energie) von ausschlaggebender Bedeutung sein. Er muss zur Erzielung von umfassenden Synergieeffekten mit anderen Maßnahmen einschließlich der Entwicklung einhergehen.

5.4.

In der Erklärung der WTO-Ministerkonferenz von Nairobi heißt es, dass der internationale Handel dazu beitragen kann, ein nachhaltiges, stabiles und ausgewogenes Wachstum für alle zu erzielen (23). Gleichzeitig wird hervorgehoben, dass die WTO für die Verwirklichung der Nachhaltigkeitsziele eine wichtige Rolle spielt und dass dies ohne einen wirksamen multilateralen Handelsmechanismus erheblich schwieriger wäre.

5.4.1.

Die Auswirkungen des Handels mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen und der Agrarinvestitionen auf den Klimawandel müssen angemessen berücksichtigt werden, und die Verhandlungen über ein plurilaterales Abkommen über den Handel mit Umweltschutzgütern (EGA) lassen einen wichtigen Schritt für die Integration des Klimawandels in die multilaterale Handelspolitik erhoffen, doch werden weitere multilaterale Maßnahmen erforderlich sein, um die Kohärenz zu fördern.

5.4.2.

Der internationale Handel kann die Ernährungssicherheit und Ernährung durch ein höheres Nahrungsmittelangebot und die Förderung von Investitionen und Wachstum wesentlich verbessern. Umgekehrt können protektionistische Maßnahmen die erforderliche Flexibilität beeinträchtigen und die Entwicklung regionaler Märkte untergraben. Handelsabkommen müssen darüber hinaus wirksame Maßnahmen enthalten, um weniger fortgeschrittenen Entwicklungsländern mehr Spielraum zu geben, damit eine Beeinträchtigung ihrer Ernährungssicherheit oder der Entwicklung ihrer aufstrebenden Agrarsektoren verhindert wird.

5.5.

Die EU hat eine Vorreiterrolle übernommen und die Belange einer nachhaltigen Entwicklung in Freihandelsabkommen aufgenommen. Seit 2010 wurden erfolgreich sechs Freihandelsabkommen — das erste mit Südkorea — und ein Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (WPA) geschlossen. Weitere Abkommen, unter anderem mit Kanada, Singapur und Vietnam, müssen noch ratifiziert werden. Diese enthalten jeweils ein eigenes Kapitel über Handel und nachhaltige Entwicklung, flankiert von einem Mechanismus für die Einbeziehung der Zivilgesellschaft, um die Umsetzung dieser Kapitel zu überwachen. Dem EWSA kommt dabei eine wichtige Rolle zu.

5.5.1.

Er hat bereits früher gefordert (24), derartige Kapitel auch in die laufenden und künftigen Verhandlungen der EU über eigenständige Investitionsabkommen aufzunehmen. Das TPP-Abkommen enthält auch eigene Kapitel zu Sozial- und Umweltfragen.

5.6.

Der EWSA stellt darüber hinaus fest, dass viele der „von Ernährungsarmut betroffenen Menschen“ in der Welt landwirtschaftliche Arbeitnehmer sind, und zu Recht ist die Bekämpfung des Hungers ein wichtiger Bestandteil der Millenniums-Entwicklungsziele und nunmehr von Ziel 2 für eine nachhaltige Entwicklung. 70 % der von Ernährungsunsicherheit betroffenen Menschen leben in ländlichen Gebieten, was zum Teil auf den schrittweisen Rückgang der Agrarinvestitionen und chronisch niedrige landwirtschaftliche Erträge in armen Ländern zurückgeht, aber auch auf das Fehlen einer wirksamen Agrar- und Handelspolitik, die den Besonderheiten der landwirtschaftlichen Erzeugung (einschließlich des Klimas, der Ressourcen, des lebenden Inventars und der Marktvolatilität) nicht genügend Rechnung trägt. In diesem Zusammenhang ist auf die Erwägungen der Organisation der Vereinten Nationen für Ernährung und Landwirtschaft (FAO), insbesondere in Bezug auf den Sozialschutz, hinzuweisen.

5.6.1.

Der innerafrikanische Handel ist sehr schwach entwickelt und macht nur etwa 10 % bis 15 % des gesamten Handels Afrikas aus. Die Verbesserung der Fähigkeit afrikanischer Länder zur Ausweitung ihres Handels mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen in Verbindung mit den Nachhaltigkeitszielen im Infrastrukturbereich, die regionale Integration und die Vertiefung der Inlandsmärkte, auch durch einen Ausbau der Sekundärverarbeitung, werden von ausschlaggebender Bedeutung dafür sein, dass Afrika sich im positiven Sinne am Agrarhandel beteiligen und die Ernährungssicherheit erhöhen kann.

6.   Die Rolle der EU in den künftigen Verhandlungen über den Handel mit Agrarerzeugnissen

6.1.

Wie Nairobi gezeigt hat, wo sich die Teilnehmer entgegen allen Erwartungen auf eine bedeutsame Ministererklärung verständigt haben, ist die EU gut dazu aufgestellt, eine führende Rolle in den künftigen Verhandlungen über den Handel mit Agrarerzeugnissen zu übernehmen. Dies beruht auf der Vorreiterrolle der EU bei der Förderung von Nachhaltigkeit und Entwicklung (die sie in Nairobi ausübte), und auch aufgrund der früheren GAP-Reformen befindet sich die EU in den Augen der Verhandlungspartner nicht länger in der Defensive.

6.1.1.

In der neuen Kommissionsmitteilung verpflichtet sich die EU, bei der Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele zusammen mit dem Pariser Übereinkommen „eine Vorreiterrolle zu übernehmen“. Alle Handelsinitiativen der EU müssen nun die in diesen eng miteinander verflochtenen Vereinbarungen enthaltenen Anforderungen erfüllen.

6.2.

Die Kommission hat auch eine Studie über die Auswirkungen künftiger Handelsabkommen auf die Landwirtschaft vorgelegt (25). In dieser Studie wird ein Blick auf zwölf künftige Freihandelsabkommen geworfen und untersucht, welches Potenzial die EU-Agrarerzeugnisse auf dem Weltmarkt haben. Sie deckt jedoch weder die volle Palette landwirtschaftlicher Erzeugnisse noch verarbeitete Lebensmittel im Allgemeinen ab. Die Kommission räumt selbst ein, dass diese Studie insofern unvollständig ist, als bei den Untersuchungen nichttarifäre Hemmnisse, die den Handel wesentlich beeinflussen, nicht berücksichtigt wurden.

6.2.1.

Um die Kommission in die Lage zu versetzen, eine umfassende und wirksame Strategie für den Agrarhandel auszuarbeiten, sollte diese ausgeweitet werden und eine umfassende Abschätzung der möglichen Auswirkungen enthalten, die die Verwirklichung der Nachhaltigkeitsziele und das Übereinkommen von Paris auf die Landwirtschaft in der EU haben werden. Außerdem sollte eine weitere Folgenabschätzung zu den Auswirkungen der jüngsten Entwicklungen im weltweiten Handel auf die Landwirtschaft in der EU durchgeführt werden. Dabei sollten die jüngsten Freihandelsabkommen der EU sowie mittelbare Entwicklungen berücksichtigt werden, beispielsweise Fälle, in denen die Abwertung der Währungen der Partnerländer erhebliche Auswirkungen gehabt hat.

6.2.2.

Auch die Übereinkommen, die vor der Mitteilung „Das globale Europa“ (26) von 2006 geschlossen wurden, sollten berücksichtigt werden, insbesondere die Abkommen mit Südafrika, Mexiko und Chile, zumal die letzten beiden für eine Überprüfung anstehen.

6.3.

Bei der Durchführung dieser Folgenabschätzungen muss sich die Kommission vor Augen halten, dass sie dafür Sorge tragen muss, dass die Landwirte in angemessener Weise von derartigen Handelsabkommen profitieren. Landwirte spielen eine wichtige Rolle für die Ernährung nicht nur der örtlichen Bevölkerung, sondern auch der rasch wachsenden Weltbevölkerung. Es ist von wesentlicher Bedeutung, dass lebensfähige ländliche Gemeinschaften erhalten bleiben und die Entvölkerung ländlicher Gebiete in ganz Europa nach Möglichkeit eingedämmt wird.

6.3.1.

Ressourcenschonende landwirtschaftliche Verfahren sind unabdingbar. Die Bewirtschaftung der Ressourcen und der Zugang zu ihnen müssen verbessert werden, indem die Fähigkeit von Kleinbauern erhöht wird, sich an den Klimawandel anzupassen und ihm zu widerstehen, sowie durch den Ausbau von Qualifikationen und die Erhöhung der Produktivität auf Grenzertragsböden.

6.4.

Die Landwirtschaft ist durch den Klimawandel ernsthaft gefährdet. Weltweit sind die Ressourcen an Land und im Wasser begrenzt, extremere Klimabedingungen führen langfristig zu Veränderungen der Wachstumsbedingungen, und die Preisschwankungen nehmen mehr und mehr zu. Ein starker und tragfähiger Agrarsektor ist von großer Bedeutung, um eine stabile und sichere Versorgung mit Lebensmitteln aufrechtzuerhalten oder zu erhöhen. Der Handel trägt freilich dazu bei, die Ungleichgewichte zwischen Angebot und Nachfrage zu beseitigen, Ressourceneffizienz zu fördern, Marktchancen zu verbessern und das wirtschaftliche Wachstum anzukurbeln, wodurch er gleichzeitig dafür sorgt, dass Arbeitsplätze, Einkommen und Wohlstand in ländlichen Gebieten geschaffen werden.

6.4.1.

Die weltweite „Mittelklasse“ der Bevölkerung wird bis 2030 schätzungsweise um rund zwei Milliarden ansteigen, und auch diese Menschen werden Lebensmittel in einer Auswahl und Vielfalt wollen, die sie nie zuvor gekannt haben. Dazu gehört auch ein starker Anstieg der Nachfrage nach Proteinen und anderen landschaftlichen Erzeugnissen.

6.4.2.

In diesem Zusammenhang ist die Cork-2.0-Erklärung von großer Bedeutung. Landwirte schützen das Land und die anderen Ressourcen des ländlichen Raums, und außerdem ist der Tierschutz ihnen ein zentrales Anliegen. Hier ist die Stellungnahme des EWSA zum Thema Die integrierte Produktion in der EU  (27) von Belang.

Brüssel, den 23. Februar 2017

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  Autor der klassischen US-amerikanischen Literatur.

(2)  WTO-Bezeichnung, durchgehend verwendet.

(3)  https://www.wto.org/english/thewto_e/minist_e/mc10_e/mindecision_e.htm.

(4)  Die Vertragsstaatenkonferenz (COP 21) der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC) in Paris.

(5)  SWD(2016) 390 final, nur auf Englisch verfügbar.

(6)  https://www.wto.org/english/thewto_e/minist_e/min01_e/mindecl_e.htm.

(7)  https://www.wto.org/english/news_e/spra_e/spra108_e.htm.

(8)  https://www.wto.org/english/news_e/news16_e/agng_09mar16_e.htm; Bridges-Bericht des Internationalen Zentrums für Handel und nachhaltige Entwicklung (ICTSD), Vol. 20, Nr. 40 vom 24.11.2016.

(9)  Wichtig nicht zuletzt für die Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit.

(10)  Die WTO muss UN-Klassifizierungen nutzen und zu den Entwicklungsländern alle Länder zählen, die weder zu den Industriestaaten noch zu den am wenigsten entwickelten Ländern gehören. Für ihr Allgemeines Präferenzsystem (APS und APS+) kann die EU die präziseren Kategorien der Weltbank verwenden, die auf dem Einkommensniveau des jeweiligen Landes beruhen.

(11)  Bridges-Bericht des ICTSD, Vol. 20, Nr. 20 vom 2. Juni 2016.

(12)  Bridges-Bericht des ICTSD, Vol. 20, Nr. 37 vom 3. November 2016.

(13)  Bridges-Bericht des ICTSD, Vol. 19, Nr. 38 vom 12. November 2015.

(14)  COM(2015) 497 final, Ziffer 5.1.

(15)  Derzeit wird der 513. Fall behandelt.

(16)  Aussage von Beamten der Europäischen Kommission in einer Sitzung des EWSA im März 2016.

(17)  Umfassendes Wirtschafts- und Handelsabkommen, das noch ratifiziert werden muss.

(18)  ABl. C 13 vom 15.1.2016, S. 97.

(19)  Die Vertragsstaatenkonferenz (COP 21) der Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC) in Paris.

(20)  SWD(2016) 390 final, nur auf Englisch verfügbar.

(21)  Art. 21 Abs. 3 AEUV.

(22)  Rede vor den Vereinten Nationen, 21. September 2016.

(23)  https://www.wto.org/english/thewto_e/minist_e/mc10_e/mindecision_e.htm.

(24)  Stellungnahme des EWSA in ABl. C 268 vom 14.8.2015, S. 19.

(25)  http://publications.jrc.ec.europa.eu/repository/bitstream/JRC103602/lb-na-28206-en-n_full_report_final.pdf (nur auf Englisch verfügbar).

(26)  COM(2006) 567 final.

(27)  ABl. C 214 vom 8.7.2014, S. 8.


III Vorbereitende Rechtsakte

EUROPÄISCHER WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS

523. Plenartagung des EWSA vom 22./23. Februar 2017

31.5.2017   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 173/29


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über Verfahren zur Beilegung von Doppelbesteuerungsstreitigkeiten in der Europäischen Union“

(COM(2016) 686 final — 2016/0338 (CNS))

(2017/C 173/05)

Berichterstatter:

Krister ANDERSSON

Befassung

Rat der Europäischen Union, 16.2.2017

Rechtsgrundlage

Artikel 115 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt

Annahme in der Fachgruppe

2.2.2017

Verabschiedung auf der Plenartagung

22.2.2017

Plenartagung Nr.

523

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

174/0/2

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt den Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Rates zur Verbesserung der Verfahren zur Beilegung von Doppelbesteuerungsstreitigkeiten in der Europäischen Union.

1.2.

Der EWSA teilt die Auffassung der Kommission, dass die Doppelbesteuerung zu den größten steuerlichen Hemmnissen des Binnenmarktes gehört. Es werden dringend Verfahren benötigt, die gewährleisten, dass Fälle von Doppelbesteuerung zwischen Mitgliedstaaten schneller und entschiedener beigelegt werden.

1.3.

Der EWSA räumt ein, dass die Beseitigung der Doppelbesteuerung allein nicht ausreicht, um gleiche Bedingungen auf dem Gebiet der Besteuerung zu schaffen. Seiner Auffassung nach benötigt die EU einen gemeinsamen positiven und zukunftsorientierten Rahmen für die Unternehmensbesteuerung.

1.4.

Der EWSA begrüßt, dass die vorgeschlagene Richtlinie gezielte Vollstreckungshemmnisse enthält, um die wichtigsten Unzulänglichkeiten des Übereinkommens der Union über die Beseitigung der Doppelbesteuerung (1) zu beseitigen.

1.5.

Der EWSA begrüßt zudem nachdrücklich, dass der Steuerpflichtige dann, wenn der Mitgliedstaat nicht automatisch das Schlichtungsverfahren einleitet, sein nationales Gericht auffordern kann, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um einen entsprechenden Schlichtungsausschuss einzusetzen, der innerhalb einer festgelegten Frist eine abschließende und verbindliche Entscheidung trifft.

1.6.

Der EWSA unterstützt die Initiative der Kommission, die alljährliche Überwachung der Ergebnisse in den Ländern auf alle Fälle von Streitigkeiten wegen Doppelbesteuerung in grenzübergreifenden Fällen auszudehnen, und so zu prüfen, ob die mit der Richtlinie angestrebten Ziele erreicht werden.

1.7.

Der EWSA begrüßt ferner, dass den Mitgliedstaaten Spielraum gelassen wird, um im Einzelfall auf bilateraler Ebene alternative Verfahren zur Beilegung von Streitigkeiten zu vereinbaren. Dies erleichtert Lösungen in multilateralen Konstellationen, wenn es gilt, Streitigkeiten sowohl auf EU-Ebene als auch in Bezug auf Drittstaaten durch bilaterale Verträge beizulegen.

1.8.

Der EWSA unterstützt die Bestimmung, wonach die zuständigen Behörden die abschließende Entscheidung veröffentlichen können, wenn die Steuerpflichtigen damit einverstanden sind.

1.9.

Der EWSA betont, dass dieser Vorschlag unverzüglich umgesetzt werden sollte. Die Zahl der Fälle von Doppel- oder Mehrfachbesteuerung nimmt derzeit an Zahl und Umfang zu. Es ist also rasches Handeln geboten.

2.   Hintergrund des Kommissionsvorschlags

2.1.

Zu den größten Problemen, mit denen grenzübergreifend tätige Unternehmen heute konfrontiert sind, zählt die Doppelbesteuerung. Es gibt bereits Verfahren für die Beilegung von Doppelbesteuerungsstreitigkeiten. Diese Verständigungsverfahren sind in von den Mitgliedstaaten geschlossenen Doppelbesteuerungsabkommen sowie im Übereinkommen der Union über die Beseitigung der Doppelbesteuerung im Falle von Gewinnberichtigungen zwischen verbundenen Unternehmen vorgesehen.

2.2.

Obgleich die bestehenden Verfahren in vielen Fällen gut funktionieren, müssen sie in Bezug auf den Zugang der Steuerpflichtigen zu diesen Verfahren, ihre Tragweite, ihre Dauer und ihre Eignung zur Herbeiführung einer abschließenden Lösung noch verbessert werden. Darüber hinaus entsprechen die traditionellen Methoden der Streitbeilegung nicht mehr in vollem Umfang der Komplexität und den Risiken des aktuellen internationalen Steuerumfelds.

2.3.

Im Mittelpunkt der vorgeschlagenen Richtlinie stehen die Wirtschaft und die Unternehmen als wichtigste Betroffene von Doppelbesteuerung. Sie stützt sich auf das geltende Übereinkommen der Union über die Beseitigung der Doppelbesteuerung, das bereits ein verpflichtendes und verbindliches Verständigungsverfahren vorsieht, dessen Anwendungsbereich jedoch auf bisher nicht abgedeckte Gebiete ausgedehnt wird; zudem wurden gezielte Vollstreckungshemmnisse aufgenommen, um die wichtigsten Unzulänglichkeiten hinsichtlich der Vollstreckung und der Effektivität des Verfahrens zu beseitigen. Im Ergebnis fallen alle Doppelbesteuerungsstreitigkeiten, die grenzüberschreitende Transaktionen in der EU betreffen und Auswirkungen auf Unternehmensgewinne haben, in den Anwendungsbereich des Vorschlags.

2.4.

Ergänzend dazu enthält der Vorschlag jedoch eine ausdrückliche Erfolgspflicht für die Mitgliedstaaten sowie eine klar definierte Frist. Fälle von doppelter Nichtbesteuerung, Betrug, vorsätzlicher Unterlassung oder grober Fahrlässigkeit werden ausgeschlossen.

2.5.

Die Richtlinie ermöglicht ein Verständigungsverfahren, das durch die Beschwerde eines Steuerpflichtigen eingeleitet wird und in dem die Mitgliedstaaten frei zusammenarbeiten und binnen zwei Jahren eine Einigung erzielen müssen.

2.6.

Nach der anfänglichen Phase des Verständigungsverfahrens folgt ein Schlichtungsverfahren, in dem der Streit binnen 15 Monaten geschlichtet werden soll, wenn die Mitgliedstaaten zuvor im Güteverfahren keine Einigung erzielt haben. Das Schlichtungsverfahren ist obligatorisch und wird automatisch eingeleitet. Es endet mit einer abschließenden und verbindlichen Entscheidung der zuständigen Behörden der betroffenen Mitgliedstaaten.

2.7.

Ein Ziel der vorgeschlagenen Richtlinie ist mehr Transparenz. Die zuständigen Behörden können die abschließende Schlichtungsentscheidung und weitere Detailinformationen veröffentlichen, wenn der Steuerpflichtige damit einverstanden ist. Ist ein betroffener Steuerpflichtiger nicht einverstanden, so veröffentlichen die zuständigen Behörden eine Zusammenfassung der Entscheidung.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Der EWSA begrüßt den Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Rates zur Verbesserung der Verfahren zur Beilegung von Doppelbesteuerungsstreitigkeiten in der Europäischen Union, der Teil des Pakets zur Körperschaftssteuer ist. Es werden dringend Verfahren benötigt, die gewährleisten, dass Fälle von Doppelbesteuerung zwischen Mitgliedstaaten schneller und entschiedener beigelegt werden.

3.2.

Der EWSA teilt die Auffassung der Kommission, dass Europa ein Steuersystem braucht, das dem Binnenmarkt gerecht wird und das Wirtschaftswachstum und Wettbewerbsfähigkeit fördert, Investitionen ankurbelt, zur Schaffung von Arbeitsplätzen beiträgt, die Innovation voranbringt und das europäische Sozialmodell bewahrt. Die Besteuerung sollte für stabile Einnahmen sorgen, um öffentliche Investitionen und Wachstumsmaßnahmen zu finanzieren. Es sollte sicherstellt werden, dass für alle Unternehmen bei grenzüberschreitenden Tätigkeiten gleiche Bedingungen und Rechtssicherheit herrschen und sie dabei möglichst wenig behindert werden.

3.3.

Der EWSA teilt die Sorge der Kommission, dass Unstimmigkeiten zwischen den Mitgliedstaaten darüber, wer bestimmte Gewinne besteuern darf, oft dazu führen, dass Unternehmen für Erträge doppelt oder gar mehrfach besteuert werden. Jüngsten Zahlen der Kommission zufolge sind in der EU etwa 900 Doppelbesteuerungsstreitigkeiten anhängig, bei denen es um insgesamt 10,5 Mrd. EUR geht.

3.4.

Der EWSA begrüßt die Arbeit der Kommission, die sicherstellen will, dass alle Unternehmen in der EU ihre Steuern dort entrichten, wo Gewinne und Wert erwirtschaftet werden, und dass diese Gewinne nicht doppelt oder mehrfach besteuert werden. Dieser Grundsatz ist von entscheidender Bedeutung für ein faires und effizientes Steuersystem. Der EWSA teilt die Auffassung der Kommission, dass die Doppelbesteuerung zu den größten steuerlichen Hemmnissen des Binnenmarktes gehört.

3.5.

Der EWSA begrüßt nachdrücklich die Initiative der Kommission, in der EU koordiniert gegen Doppelbesteuerung vorzugehen. Er teilt die Auffassung der Kommission, dass im Interesse der Förderung von Beschäftigung, Wachstum und Investitionen ein für die Unternehmen günstiges steuerliches Umfeld geschaffen werden muss, mit dem Befolgungskosten und Verwaltungsaufwand verringert und für Rechtssicherheit im Steuerbereich gesorgt wird. Die Staats- und Regierungschefs der G20 haben erst kürzlich festgestellt, wie wichtig Rechtssicherheit im Steuerbereich für die Förderung von Investitionen und Wachstum ist, womit diese Frage weltweit in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt ist. Die Mitgliedstaaten müssen ein ausgewogenes Verhältnis zwischen den nötigen Reformen und einem stabilen, klaren und vorhersehbaren steuerlichen Umfeld herstellen.

3.6.

Der EWSA räumt ein, dass die Beseitigung der Doppelbesteuerung allein nicht ausreicht, um gleiche Bedingungen auf dem Gebiet der Besteuerung zu schaffen. Seiner Auffassung nach benötigt die EU einen gemeinsamen positiven und zukunftsorientierten Rahmen für die Unternehmensbesteuerung. Dieser Gedanke liegt dem Kommissionsvorschlag zugrunde, die gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (GKKB) erneut zu behandeln.

3.7.

Der EWSA weist darauf hin, dass die meisten Mitgliedstaaten untereinander bilaterale Verträge zur Entlastung von der Doppelbesteuerung geschlossen haben und dass Verfahren zur Streitbeilegung existieren. Allerdings sind diese Verfahren lang, teuer und führen nicht immer zu einer Einigung. Das Übereinkommen der Union über die Beseitigung der Doppelbesteuerung bietet hier in gewissem Grade Abhilfe. Sein Geltungsbereich beschränkt sich jedoch auf Streitigkeiten in Bezug auf Verrechnungspreise, und es gibt keinen Rechtsbehelf in Bezug auf die Auslegung der Regeln.

3.8.

Der EWSA begrüßt, dass die vorgeschlagene Richtlinie gezielte Vollstreckungshemmnisse enthält, um die wichtigsten Unzulänglichkeiten des Übereinkommens der Union über die Beseitigung der Doppelbesteuerung zu beseitigen, etwa Verweigerung des Zugangs zu solchen Verfahren, sei es implizit oder explizit, sowie Verfahrensverzögerungen oder blockierte Verfahren.

3.9.

Der EWSA begrüßt zudem, dass das Instrument, das ein obligatorisches und verbindliches Verständigungsverfahren vorsieht, bei einem breiteren Spektrum an Fällen angewandt werden kann. Mit diesen Verbesserungen der Streitbeilegungsverfahren sparen sowohl Unternehmen als auch Verwaltungen sehr viel Zeit, Geld und Ressourcen, und auch die Steuersicherheit für Unternehmen in der EU wird gestärkt.

3.10.

Der EWSA begrüßt zudem nachdrücklich, dass der Steuerpflichtige dann, wenn der Mitgliedstaat nicht automatisch das Schlichtungsverfahren einleitet, sein nationales Gericht auffordern kann, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um einen entsprechenden Schlichtungsausschuss einzusetzen, der innerhalb einer festgelegten Frist eine abschließende und verbindliche Entscheidung trifft. Dies wird dazu beitragen, die Unsicherheit für die betroffenen Unternehmen abzubauen, und beruht auf Instrumenten und bewährten Verfahren, die für grenzüberschreitende Streitigkeiten auf anderen Gebieten als der Besteuerung bereits in allen Mitgliedstaaten angewandt werden. Der EWSA betont allerdings, dass die Mitgliedstaaten dafür sorgen müssen, dass diese Gerichtsverfahren rasch abgeschlossen werden, damit es nicht zu erheblichen Verzögerungen bei der Streitbeilegung kommt.

3.11.

Der EWSA unterstützt die Initiative der Kommission, die alljährliche Überwachung der Ergebnisse in den Ländern auf alle Fälle von Streitigkeiten wegen Doppelbesteuerung in grenzübergreifenden Fällen auszudehnen, und so zu prüfen, ob die mit der Richtlinie angestrebten Ziele erreicht werden. Dabei hat sich gezeigt, dass es Fälle gibt, in denen kein Streitbeilegungsverfahren eingeleitet werden kann, die weder unter das Übereinkommen der Union über die Beseitigung der Doppelbesteuerung noch unter ein Doppelbesteuerungsabkommen fallen, in denen das Verfahren festgefahren ist und der Steuerpflichtige dennoch nicht über den Grund informiert wird, oder in denen es überhaupt nicht zu einer Streitbeilegung kommt. In dieser Phase betrachtet der EWSA die Leistung auf der Ebene der Mitgliedstaaten als unzureichend und fordert, dass die Kommission die Umsetzung der Richtlinie eingehend prüft und die Analyse der Ergebnisse veröffentlicht.

3.12.

Der EWSA teilt die Auffassung, dass die Beseitigung der Doppelbesteuerung mittels eines Verfahrens erfolgen soll, in dem in einem ersten Schritt die Steuerbehörden der betroffenen Mitgliedstaaten mit dem Fall befasst werden, damit sie die Streitigkeit in einem Verständigungsverfahren beilegen können. Kommt es innerhalb einer bestimmten Frist nicht zu einer solchen Einigung, so sollte mit dem Fall ein Beratender Ausschuss oder Ausschuss für die alternative Streitbeilegung befasst werden, dem sowohl Vertreter der betroffenen Steuerbehörden als auch unabhängige Personen angehören. Die Steuerbehörden sollten unter Bezugnahme auf die Stellungnahme des Beratenden Ausschusses oder Ausschusses für die alternative Streitbeilegung eine abschließende und verbindliche Entscheidung treffen.

3.13.

Der EWSA stellt fest, dass ein wirksamer Mindeststandard für Streitbeilegungsverfahren in der EU geschaffen werden muss, wobei die Verfahrensschritte zur Gewährleistung einer einheitlichen und wirksamen Anwendung umfassend und ausreichend detailliert festzulegen sind.

3.14.

Der EWSA begrüßt ferner, dass den Mitgliedstaaten Spielraum gelassen wird, um im Einzelfall auf bilateraler Ebene alternative Verfahren zur Beilegung von Streitigkeiten zu vereinbaren. Dies erleichtert Lösungen in multilateralen Konstellationen, wenn es gilt, Streitigkeiten sowohl auf EU-Ebene als auch in Bezug auf Drittstaaten durch bilaterale Verträge beizulegen.

3.15.

Der EWSA unterstützt die Bestimmung, wonach die zuständigen Behörden die abschließende Entscheidung veröffentlichen können, wenn die Steuerpflichtigen damit einverstanden sind.

3.16.

Der EWSA betont, dass dieser Vorschlag unverzüglich umgesetzt werden sollte. Die Zahl der Fälle von Doppel- oder Mehrfachbesteuerung nimmt derzeit an Zahl und Umfang zu. Es ist also rasches Handeln geboten.

Brüssel, den 22. Februar 2017

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  Übereinkommen über die Beseitigung der Doppelbesteuerung im Falle von Gewinnberichtigungen zwischen verbundenen Unternehmen (90/436/EWG).


31.5.2017   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 173/33


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur „Empfehlung für eine Empfehlung des Rates zur Wirtschaftspolitik des Euro-Währungsgebiets“

(COM(2016) 726 final)

und zur

„Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, die Europäische Zentralbank, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Hin zu einem positiven fiskalischen Kurs für das Euro-Währungsgebiet“

(COM(2016) 727 final)

(2017/C 173/06)

Berichterstatter:

Javier DOZ ORRIT

Mitberichterstatter:

Petr ZAHRADNÍK

Befassung

Europäische Kommission, 27.1.2017

Rechtsgrundlage

Artikel 304 AEUV

 

 

Zuständige Fachgruppe

Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt

Annahme in der Fachgruppe

2.2.2017

Verabschiedung auf der Plenartagung

22.2.2017

Plenartagung Nr.

523

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

218/4/4

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt die Bemühungen der Europäischen Kommission um eine Wirtschaftspolitik, die auf die Förderung eines starken, nachhaltigen, ausgewogenen und integrativen Wachstums im Euro-Währungsgebiet ausgerichtet ist und zu diesem Zweck auf eine ausgewogene Mischung aus geld-, fiskal- und strukturpolitischen Instrumenten einschließlich eines positiven fiskalischen Kurses setzt.

1.2.

Der EWSA begrüßt daher die Empfehlung der Europäischen Kommission für einen positiven fiskalpolitischen Kurs im Euro-Währungsgebiet, der auch dem Ziel der langfristigen Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen Rechnung trägt.

1.3.

Der EWSA möchte die Europäische Kommission darin bestärken, ihre Rolle als „Hüterin der Verträge“ in vollem Umfang zu erfüllen und unter anderem ihrer Verpflichtung nachzukommen, Wohlergehen, sozialen Fortschritt und soziale Gerechtigkeit einerseits und wirtschaftlichen Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit andererseits zu fördern sowie ihre vor kurzem erweiterten Befugnisse zur flexiblen Auslegung der haushaltspolitischen Regelungen zu nutzen, um eine erhebliche Aufstockung der öffentlichen Investitionen zu ermöglichen, die unter bestimmten Bedingungen nicht bei der Berechnung der Defizitziele für den Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP) berücksichtigt werden sollten.

1.4.

Der EWSA begrüßt, dass die Kommission schwerpunktmäßig das Investitionsvolumen erhöhen und dabei auf der bestehenden Investitionsoffensive aufbauen will. Dazu müssen ausreichende Mittel zur Verfügung stehen, damit die EIB im Vergleich zu den vergangenen Jahren deutlich mehr Kredite vergeben kann. Die Verwaltungsstrukturen sollten gewährleisten, dass die Mittel in angemessener Weise in die Länder fließen, in denen die Investitionen besonders stark zurückgegangen sind. Diese Maßnahmen müssen mit angemessenen Strukturreformen zur Förderung von Wachstum, Beschäftigung und sozialem Zusammenhalt einhergehen.

1.5.

Der EWSA begrüßt den Aufruf der Europäischen Kommission zu einer symmetrischen Anpassung der Leistungsbilanzdefizite innerhalb des Euro-Währungsgebiets. Dies sollte sowohl von den Mitgliedstaaten mit Defiziten als auch jenen mit Überschüssen mitgetragen werden. Die Mitgliedstaaten sollten entscheiden, wie diese Anpassungen im Einklang mit den gemeinsamen allgemeinen Leitlinien vollzogen werden sollten.

1.6.

Besonderes Augenmerk sollte, auch kurzfristig, auf Strukturreformen zur Stimulierung von Nachfrage und Wachstum gelegt werden, wobei Maßnahmen vermieden werden müssen, die durch die Zunahme von prekären Beschäftigungsverhältnissen und Einkommensunsicherheiten das Wachstum untergraben. Mit Hilfe der eingeleiteten Strukturreformen sollte es möglich sein, die Geschäftsbedingungen spürbar zu verbessern, Investitionshemmnisse abzubauen und einen Beitrag zur Vollendung des EU-Binnenmarktes in all seinen Aspekten zu leisten.

1.7.

Ein vorrangiges Ziel der Strukturreformen sollte das Produktivitätswachstum sein. Mit den Reformen sollte dafür Sorge tragen werden, dass Produktivitätsgewinne gerecht verteilt werden, um eine stärkere Nachfrage und Verbesserungen auf der Angebotsseite zu gewährleisten.

1.8.

Die Wiederherstellung und Zunahme des Wachstums von Produktivität und BIP sollten als wichtigstes Mittel angesehen werden, damit sich die unter einer sehr hohen Verschuldung leidenden Volkswirtschaften wieder erholen können.

1.9.

Reformen, durch die hochwertige (d. h. dauerhafte und angemessen bezahlte) Arbeitsplätze geschaffen werden, sollten Vorrang haben.

1.10.

Der EWSA betont, dass eine Stärkung und Förderung des sozialen und zivilgesellschaftlichen Dialogs sowohl auf nationaler Ebene als auch auf Ebene des Euro-Währungsraums von entscheidender Bedeutung ist, um die für eine Erholung und auf lange Sicht nachhaltige Gestaltung der Wirtschaft erforderlichen Maßnahmen zu vereinbaren und erfolgreich durchzuführen.

1.11.

Wirksame Maßnahmen gegen Geldwäsche, Steuervergehen, die Nutzung von Steueroasen und unlauteren Steuerwettbewerb zwischen den Mitgliedstaaten werden auch dazu beitragen, die Ziele des Stabilitäts- und Wachstumspakts zu verwirklichen.

1.12.

Der EWSA befürwortet die Einrichtung eines europäischen Einlagensicherungssystems und dringt darauf, die Schaffung einer gemeinsamen Letztsicherung für den einheitlichen Abwicklungsfonds der Bankenunion voranzutreiben. Entscheidende Schritte sollten unternommen werden, um das Problem fauler Kredite zu lösen und gleichzeitig die Verbraucherrechte zu schützen und die einschlägigen Grundsätze der europäischen Säule sozialer Rechte zu wahren.

1.13.

Der EWSA unterstützt die Initiativen zur Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion einschließlich einer starken europäischen Säule sozialer Rechte, einer größeren fiskalpolitischen Flexibilität und einer Fiskalkapazität für das Euro-Währungsgebiet, insbesondere durch die Förderung der Einrichtung eines Schatzamtes für den Euroraum, das letztendlich unter strenger demokratischer und politischer Kontrolle gemeinsame Anleihen ausgeben würde.

1.14.

Der EWSA fordert eine weitere Verbesserung des Europäischen Semesters mit einer verstärkten Koordinierungsrolle für die Europäische Kommission und einem klaren Bekenntnis der Mitgliedstaaten zur Umsetzung der auf Ratsebene vereinbarten Maßnahmen, um auf diese Weise Unsicherheit zu vermeiden und ein günstiges Umfeld für Investitionen zu schaffen.

2.   Hintergrund

2.1.

Aufbauend auf dem Bericht der fünf Präsidenten gibt es im Rahmen des Europäischen Semesters eine Verpflichtung zur Stärkung der Integration zwischen dem Euro-Währungsgebiet und den einzelnen nationalen Ebenen. Wie schon 2016, so wird auch der Jahreswachstumsbericht 2017 von einer Empfehlung für eine Empfehlung des Rates zur Wirtschaftspolitik des Euro-Währungsgebiets begleitet. Damit soll im Vorfeld der Diskussionen über die einzelnen Länder Gelegenheit für eine frühzeitige und gezielte Diskussion über das Euro-Währungsgebiet insgesamt geboten werden, sodass die gemeinsamen Herausforderungen bei den länderspezifischen Maßnahmen in vollem Umfang berücksichtigt werden können.

2.2.

Für das Europäische Semester 2017 legte die Kommission folgende fünf Empfehlungen für die Wirtschaftspolitik des Euro-Währungsgebiets vor:

Es sollten Maßnahmen zur Unterstützung von Wachstum und Konvergenz und zur Beseitigung von Hindernissen für Investitionen und die Schaffung von Arbeitsplätzen ergriffen werden. Länder mit einem Leistungsbilanzdefizit oder hoher Auslandsverschuldung sollten ihre Produktivität steigern, während Mitgliedstaaten mit einem Leistungsbilanzüberschuss die Binnennachfrage und die Investitionen fördern sollten.

Es sollte ein positiver fiskalischer Kurs verfolgt werden, der Reformen fördert und die Erholung stärkt. Die unterschiedlichen Anstrengungen auf nationaler Ebene zur Sicherung der langfristigen Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen sollten mit einer makroökonomischen Stabilisierung kombiniert werden. Die Zusammensetzung der öffentlichen Finanzen sollte verbessert werden.

Es sollten Reformen durchgeführt werden, die der Schaffung von Arbeitsplätzen, der sozialen Gerechtigkeit und der Konvergenz förderlich sind. Der Faktor Arbeit sollte steuerlich entlastet werden, insbesondere im Falle von Geringverdienern.

Es sollte ein europäisches Einlagensicherungssystem (EDIS) vereinbart und mit den Arbeiten an der gemeinsamen Letztsicherung für den einheitlichen Abwicklungsfonds begonnen werden. Die Risiken für den Bankensektor sollten angegangen werden, und bei hoher Verschuldung des Privatsektors sollte ein geordneter Schuldenabbau vorangetrieben werden.

Die Initiativen zur Vollendung der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion sollten beschleunigt werden, auch durch Umsetzung der noch ausstehenden Maßnahmen auf Stufe 1 des Berichts der fünf Präsidenten.

2.3.

Eine Neuerung beim Europäischen Semester 2017 ist die Mitteilung „Hin zu einem positiven fiskalischen Kurs für das Euro-Währungsgebiet“. Darin betont die Kommission, dass ein positiver fiskalischer Kurs nötig ist und dass derzeit auch die Gelegenheit dazu besteht. Um einen solchen fiskalischen Kurs einschlagen zu können, muss das Euro-Währungsgebiet einen kollektiveren Ansatz verfolgen, bei dem die Unterschiede zwischen den Gegebenheiten der einzelnen Länder berücksichtigt werden. Für 2017 empfiehlt die Kommission eine fiskalische Lockerung um bis zu 0,5 % des BIP auf Ebene des Euroraums. Um dabei eine Differenzierung der Länder mit unterschiedlichen Risiken in Bezug auf ihre makroökonomische Stabilität und die Tragfähigkeit ihrer öffentlichen Finanzen zu ermöglichen, kann dieser Wert in einer Bandbreite zwischen 0,3 % und 0,8 % liegen.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Der EWSA begrüßt den Aufruf der Europäischen Kommission zu einem insgesamt positiven fiskalischen Kurs für das Euro-Währungsgebiet. Er ist allerdings besorgt darüber, dass eine Beschränkung der finanzpolitischen Expansion auf die zwei oder drei Mitgliedstaaten, die derzeit über den haushaltspolitischen Spielraum gemäß den Haushaltsvorschriften der EU verfügen, wahrscheinlich nicht ausreichen wird, den vorgeschlagenen allgemeinen fiskalischen Kurs zu gewährleisten. Die Stärkung des Wirtschaftswachstums im Euroraum und in der EU ist von entscheidender Bedeutung in dieser Zeit der politischen Krise und der Ungewissheiten, die durch den Brexit und die Politik der neuen US-Regierung, insbesondere deren protektionistische Handelspolitik, befeuert werden. Eine expansivere Haushaltspolitik und eine stärkere Zunahme der öffentlichen und privaten Investitionen werden die Binnennachfrage ankurbeln — ein für ein solides Wachstum ausschlaggebender Faktor. Ebenfalls dazu beitragen werden Strukturreformen, die auf die Produktivitätssteigerung, die Verbesserung der Bedingungen für die Entwicklung der unternehmerischen Tätigkeit und die Beseitigung von Investitionshemmnissen abzielen.

3.2.

Dieser Wandel in der Beurteilung der wirtschaftlichen Lage des Euro-Währungsgebiets durch die Europäische Kommission steht im Einklang mit der früheren Stellungnahme des EWSA zur Wirtschaftspolitik des Euro-Währungsgebiets (1), in der zu verstärkten fiskalpolitischen Maßnahmen zur Wiederankurbelung der Wirtschaft im Euro-Währungsgebiet insgesamt aufgerufen wurde. Der von der Europäischen Kommission vorgeschlagene positive fiskalische Kurs ist bescheiden, doch könnte er unter der Voraussetzung, dass er mit einer effizienten Nutzung der Investitionsoffensive und des EFSI einhergeht, dazu beitragen, die tieferen Probleme, die dem schwachen Wachstum, der partiellen Stagnation und der anhaltenden Unterschiede in der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Staaten des Euroraums zugrunde liegen, zu lösen.

3.3.

Der EWSA stellt fest, dass ein positiver fiskalischer Kurs für das Euro-Währungsgebiet insgesamt als ein kurz- oder mittelfristiges Instrument angesehen werden sollte, das mit der langfristigen Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen vereinbar sein muss. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sollten die Defizit- und Schuldenstandsziele flexibel angewandt und dabei die Ziele und Zwecke der EU im Allgemeinen sowie der WWU und des Stabilitäts- und Wachstumspakts nach Artikel 119 und 120 AEUV berücksichtigt werden.

3.4.

Der EWSA fordert die Europäische Kommission auf, ihrer Rolle als Hüterin der Verträge gerecht zu werden, insbesondere mit Blick auf Artikel 3 EUV, in dem die Förderung des Wohlstands, des Zusammenhalts und der sozialen Gerechtigkeit als Ziel festgeschrieben ist, und erkennt an, dass die spezifischen, durch den Stabilitäts- und Wachstumspakt und seine strikte Umsetzung festgelegten Obergrenzen unter den gegebenen Umständen, d. h. angesichts der Stagnation und der historisch niedrigen Zinssätze, weder geeignet noch notwendig sind — ein Standpunkt, der u. a. auch von der OECD vertreten wird. Die Förderung des Wohlstands, des Zusammenhalts und der sozialen Gerechtigkeit ist uneingeschränkt auch mit dem Wachstum von Wirtschaft und Produktivität vereinbar.

3.5.

Der EWSA schlägt vor, bei der Umsetzung des Stabilität- und Wachstumspakts die goldene Regel anzuwenden und öffentliche Investitionen zur Förderung des Wachstumspotenzials und der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit bei den Defizitzielen des Stabilitäts- und Wachstumspakts nicht zu berücksichtigen. Der EWSA bekräftigt seine Aussagen aus den Stellungnahmen zur Investitionsoffensive für Europa, zum Europäischen Fonds für strategische Investitionen (EFSI) und zur Verlängerung der Laufzeit des EFSI (2): Höhere öffentliche Investitionen sind zur Stimulierung des kurz- und langfristigen Wachstums notwendig, ohne die eine Konsolidierung der öffentlichen Haushalte nicht möglich ist.

3.6.

Der EWSA warnt: Wenn es nicht gelingt, die Wirtschaftspolitik auf die Förderung der allgemeinen Ziele der EU und der WWU hin auszurichten — auch in dem angekündigten Weißbuch zur Zukunft Europas —, könnte auch die Eindämmung der erstarkenden EU- und WWU-feindlichen Stimmung in der Bevölkerung scheitern. Besonders problematisch wäre dies angesichts der derzeitigen Herausforderungen, die sich unter anderem aus den geopolitischen Entwicklungen in der Nachbarschaft der EU, den Flüchtlings- und Migrantenströmen und dem Klimawandel ergeben. Nur ein geeintes und wirtschaftlich starkes Europa mit einem starken Rückhalt in der Bevölkerung wird in der Lage sein, derartige Herausforderungen in Chancen zu verwandeln. Die EU-Institutionen sollten sich in Zusammenarbeit mit den zivilgesellschaftlichen Organisationen, die sich dem Projekt Europa verschrieben haben, dafür einsetzen, durch geeignete Mittel allen Bürgern in Europa all das Positive klar vor Augen zu führen, das die EU in Politik und Wirtschaft für sie leisten soll.

3.7.

Die Investitionsoffensive für Europa sollte ein Instrument sein, das einen Beitrag zur Wiederherstellung des Wachstums und zum Abbau der Unterschiede leisten kann. Die Höhe der bisher aufgewendeten Finanzierungsmittel war so berechnet, dass damit lediglich die Höhe der früher von der EIB vergebenen Kredite beibehalten werden konnte, wobei eine starke Tendenz zu verzeichnen war, Investitionen vor allem in die Länder mit den geringsten Problemen zu lenken. Dies sollte dringend angegangen werden, wobei im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspakts genügend Flexibilität in Bezug auf die notwendigen öffentlichen Investitionen gewährleistet werden sollte, um dadurch die Höhe der Investitionen in die Energiewende, in Bildung und Qualifikationen, die Infrastruktur und EFSI-geförderte Projekte im gesamten Euro-Währungsgebiet wesentlich zu erhöhen und gleichzeitig Investitionen in innovative Projekte des Privatsektors zu fördern.

3.8.

Eine Steuerpolitik mit einer progressiven Besteuerung ist ein wichtiger Faktor für die Förderung der sozialen Gerechtigkeit. In diesem Zusammenhang ist ein optimales, angemessenes und wachstumsförderndes Steuersystem von größter Bedeutung. Eine geringere Besteuerung der niedrigsten Einkommen kann sowohl zur makroökonomischen Stabilität beitragen, als auch einen größeren Anreiz für eine bezahlte Beschäftigung schaffen. Steuerermäßigungen sollten jedoch mit Einnahmen aus alternativen Steuerquellen einhergehen, um Haushaltsdefizite zu vermeiden.

3.9.

Der EWSA begrüßt die Forderung der Europäischen Kommission, dass die Mitgliedstaaten mit Leistungsbilanzdefiziten oder hoher Auslandsverschuldung in erster Linie ihre Produktivität steigern sollten. Er stellt in diesem Zusammenhang fest, dass eine gerechte Umverteilung der Einkommen und des Reichtums aus Produktivitätsgewinnen zu mehr Gleichheit führen und eine positive Wirkung auf die Binnen- und Gesamtnachfrage im Euro-Währungsgebiet haben dürfte. Die Ankurbelung der Binnennachfrage ist eine unabdingbare Voraussetzung für die Förderung des Wachstums und die Überwindung der Krise.

3.10.

Der EWSA ist der Ansicht, dass bei den strukturellen Veränderungen solchen Reformen Vorrang eingeräumt werden sollte, durch die das Produktivitätswachstum angekurbelt wird und die auf der anderen Seite auch dazu beitragen, die Arbeitsplatzsicherheit und die Sozialschutzsysteme im Rahmen angemessener Unternehmensbedingungen zu stärken. Kein Land des Euro-Währungsgebiets kann in der modernen Welt auf der Grundlage niedriger Löhne und prekärer Beschäftigungsverhältnisse konkurrieren. Der Schwerpunkt sollte auf Reformen liegen, die die vereinbarte Flexibilität mit Sicherheit verbinden, um Anreize für mehr Qualifikationen und Innovationen zu schaffen und zu fördern. Arbeitsmarktreformen sollten zu mehr Stabilität bei der Beschäftigung führen, die ihrerseits selbst auf kurze Sicht der Wirtschaft des Euro-Währungsgebiets sowohl auf der Angebots- als auch auf der Nachfrageseite zugutekommen würde.

3.11.

Der EWSA betont erneut (3), dass die gegenwärtigen Probleme des Euroraums nicht auf unzureichende Reformanstrengungen der Mitgliedstaaten, sondern auf eine schwache Nachfrage zurückzuführen sind, die ihrerseits die Folge der Haushaltspolitik und der asymmetrischen Anpassung der Leistungsbilanz (im Wesentlichen auf der Grundlage der Arbeitskosten) in den vergangenen Jahren während der größten Rezession der Nachkriegszeit ist. Der EWSA weist erneut darauf hin, dass Strukturreformen zur Verbesserung der Angebotsseite der Wirtschaft nicht ausreichen werden, um Investitionen und Wachstum anzukurbeln, sofern nicht eine expansive Fiskalpolitik für den Euroraum vereinbart und so lange beibehalten wird, bis die wirtschaftliche Erholung gut vorangekommen ist.

3.12.

Der EWSA bedauert, dass der soziale und zivilgesellschaftliche Dialog während der Krise in den Mitgliedstaaten vernachlässigt, wenn nicht völlig an den Rand gedrängt wurde, insbesondere in den Ländern, die finanziell unterstützt werden mussten und in denen weitreichende Sozial- und Arbeitsmarktreformen stattgefunden haben. Einige Schlüsselindikatoren, die die europäische Säule sozialer Rechte in einer zwischen den Sozialpartnern ausgewogenen Weise widerspiegeln, sollten für die Aufnahme in das Konzept des Europäischen Semesters empfohlen werden. Der EWSA stellt fest, dass die Verfahren für den sozialen Dialog gegenwärtig in der EU und vielen Mitgliedstaaten nicht garantiert sind, wodurch die Sozialpartner daran gehindert werden, effektiv an der Gestaltung des Europäischen Semesters mitzuwirken.

3.13.

Der EWSA ist darüber hinaus der Ansicht, dass die Koordinierung der Wirtschaftspolitik im Rahmen des Europäischen Semesters verbessert und die Rolle der Europäischen Kommission dabei gestärkt werden sollte. Um die Glaubwürdigkeit dieses Prozesses zu erhöhen, sollten die Mitgliedstaaten ihren Verpflichtungen, die sie auf den Ratstagungen eingegangen sind, ordnungsgemäß nachkommen.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.

Der EWSA unterstützt die Initiative der Europäischen Kommission zur Vollendung der Bankenunion, insbesondere durch die Schaffung eines gemeinsamen Einlagensicherungssystems und einer gemeinsamen Letztsicherung für den einheitlichen Abwicklungsfonds. Diese Maßnahmen sind von wesentlicher Bedeutung, um die Belastung der nationalen Haushalte im Zusammenhang mit der Gewährleistung der Stabilität des Bankensystems zu verringern, das ein öffentliches Gut darstellt. Sie sind umso wichtiger, als eine Entwicklung hin zu einer politischen Union in absehbarer Zeit nicht auf der Tagesordnung stehen wird.

4.2.

Der EWSA stellt auch fest, dass das Problem der faulen Kredite der Banken von größter Bedeutung ist, um die Maßnahmen zur Wiederankurbelung des Wachstums zu ergänzen. Es sollten umgehend Schritte unternommen werden, um dieses Problem anzugehen, wobei gleichzeitig Fragen des Verbraucherschutzes zu berücksichtigen sind.

4.3.

Steuerbetrug und Steuerhinterziehung führen zu einem erheblichen Rückgang der öffentlichen Einnahmen, was sich ausgesprochen negativ auf die Verwirklichung der Ziele des Stabilitäts- und Wachstumspaktes sowie die Fähigkeit zur Erhöhung der öffentlichen Investitionen auswirkt. Insbesondere Steueroasen leisten Steuerhinterziehungen in großem Stil und den damit zusammenhängenden Straftaten (z. B. Geldwäsche) Vorschub. Eine Priorität sollte darin bestehen, die Nutzung von Steueroasen zu unterbinden. Der EWSA fordert alle Organe der EU und des Euro-Währungsgebiets auf, unverzüglich Richtlinien zu diesem Zweck anzunehmen und umzusetzen.

4.4.

Ein unfairer Steuerwettbewerb zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigt die Kapazitäten einer Reihe von Mitgliedstaaten zur Steuererhebung und somit ihre Fähigkeit, die Ziele des Stabilitäts- und Wachstumspakts zu verwirklichen. Der EWSA ist der Auffassung, dass die Behörden der EU vernünftige und ausgewogene Maßnahmen einleiten sollten, um den Praktiken unlauteren Steuerwettbewerbs gemäß den Empfehlungen der OECD und des IWF ein Ende zu setzen.

4.5.

Obwohl der EWSA die enormen Anstrengungen zur weiteren Stärkung und Entwicklung des Euro sieht, die jetzt und in naher Zukunft zur langfristigen Sicherung von Wohlstand und Stabilität des Euroraums erforderlich sein werden, hält er unter anderem folgende Ziele für erstrebenswert:

Schaffung einer einheitlichen Außenvertretung des Euro-Währungsgebiets in internationalen Foren (Internationaler Währungsfonds, OECD usw.) (4);

Entwicklung finanzpolitischer Flexibilität und einer Fiskalkapazität für das Euro-Währungsgebiet einschließlich der Möglichkeit, durch mögliche institutionelle Maßnahmen wie etwa die Schaffung eines gemeinsamen Schatzamtes für den Euroraum Euroanleihen auszugeben (5);

Stärkung der europäischen Säule sozialer Rechte durch einen angemessenen sozialen Dialog und unter Beteiligung der Sozialpartner an allen Rechtsetzungsinitiativen (6);

Etablierung eines spezifischen makroökonomischen Dialogs für das Euro-Währungsgebiet, wie es der EWSA in früheren Stellungnahmen vorgeschlagen hat (7).

Stärkung der demokratischen Kontrolle über die EU-Politik (8).

Brüssel, den 22. Februar 2017

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  ABl. C 177 vom 18.5.2016, S. 41.

(2)  ABl. C 268 vom 14.8.2015, S. 27 und ABl. C 75 vom 10.3.2017, S. 57.

(3)  ABl. C 177 vom 18.5.2016, S. 41.

(4)  ABl. C 177 vom 18.5.2016, S. 16.

(5)  ABl. C 451 vom 16.12.2014, S. 10, ABl. C 268 vom 14.8.2015, S. 33 und ABl. C 332 vom 8.10.2015, S. 8.

(6)  Vgl. ABl. C 451 vom 16.12.2014, S. 10 und die Stellungnahme des EWSA zum Thema Eine europäische Säule sozialer Rechte, (ABl. C 125 vom 21.4.2017, S. 10).

(7)  ABl. C 13 vom 15.1.2016, S. 33 und ABl. C 177 vom 18.5.2016, S. 35.

(8)  ABl. C 332 vom 8.10.2015, S. 8.


31.5.2017   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 173/38


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1303/2013 im Hinblick auf spezifische Maßnahmen zur Bereitstellung zusätzlicher Unterstützung für von Naturkatastrophen betroffene Mitgliedstaaten“

(COM(2016) 778 final — 2016/0384 (COD))

(2017/C 173/07)

Berichterstatter:

Pietro Vittorio BARBIERI

Befassung

Rat der Europäischen Union, 11.1.2017

Europäisches Parlament, 15.12.2016

Rechtsgrundlage

Artikel 177 und 304 AEUV

Zuständige Fachgruppe

Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt

Annahme in der Fachgruppe

2.2.2017

Verabschiedung auf der Plenartagung

22.2.2017

Plenartagung Nr.

523

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

183/0/2

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) unterstützt den Kommissionsvorschlag 2016/0384 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1303/2013 (1) im Hinblick auf spezifische Maßnahmen zur Bereitstellung zusätzlicher Unterstützung für von Naturkatastrophen betroffene Mitgliedstaaten.

1.2.

Der EWSA begrüßt den Vorschlag der Kommission, ergänzend zu den im Rahmen des Solidaritätsfonds der Europäischen Union verfügbaren Mitteln den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) zur Unterstützung von Mitgliedstaaten und Regionen heranzuziehen, die von Naturkatastrophen größeren Ausmaßes betroffen sind.

1.3.

Der EWSA stimmt der Einführung einer gesonderten Prioritätsachse für durch den EFRE im Rahmen eines operationellen Programms geförderte Wiederaufbauvorhaben zu, ohne die Notwendigkeit einer nationalen Kofinanzierung gemäß der Verordnung (EG) Nr. 2012/2002 zur Errichtung des Solidaritätsfonds der Europäischen Union.

1.4.

Der EWSA billigt die Ausweitung der Förderfähigkeit dahingehend, dass Ausgaben für Vorhaben ab dem Datum förderfähig sind, an dem sich die Naturkatastrophe ereignet hat, auch wenn dieses Datum vor dem Inkrafttreten dieser Verordnung liegt.

1.5.

Der EWSA befürwortet den Vorschlag, es Mitgliedstaaten, die durchgeführte Vorhaben bereits in einen vorherigen Zahlungsantrag an die Kommission aufgenommen hatten, zu gestatten, die erforderlichen Anpassungen im nächsten Zahlungsantrag vorzunehmen.

1.6.

Im Einklang mit seinen bereits in früheren Stellungnahmen vertretenen Standpunkten würdigt der EWSA die vorgenannten Bestrebungen der Kommission zur Vereinfachung und Beschleunigung der Hilfen, um schneller, wirksamer und von der Öffentlichkeit stärker wahrgenommen auf Naturkatastrophen reagieren zu können.

1.7.

Zugleich hält er es für notwendig, eine weitere Überprüfung des Fonds auf den Weg zu bringen, um den Anwendungsbereich des Fonds — ohne Ausklammerung von Katastrophen aufgrund von Klimaveränderungen und Terroranschlägen — genauer festzulegen und die nach Ansicht des EWSA zu hohen Schwellenwerte zu ändern.

1.8.

Der EWSA vertritt die Auffassung, dass der Fonds ein wichtiges Zeugnis europäischer Solidarität ist und bei den Unionsbürgern bekannt gemacht werden muss.

2.   Begründung der Stellungnahme und besondere Bemerkungen

2.1.

Europa hat leidvolle Erfahrungen mit einer Reihe von Naturkatastrophen gemacht. Im Lauf der Jahre waren leider zahlreiche EU-Mitgliedstaaten in irgendeiner Form von schweren Katastrophen betroffen.

2.1.1.

2002 wurde Mitteleuropa — und in besonderem Maße Deutschland, Österreich, die Tschechische Republik und die Slowakei — von schweren Überschwemmungen heimgesucht. Im selben Jahr entschloss sich die EU zur Einrichtung des Solidaritätsfonds der Europäischen Union, um auf große Naturkatastrophen reagieren zu können und von Katastrophen heimgesuchten Regionen Europas die europäische Solidarität auszudrücken. Seither wurde dieser Fonds zur Bewältigung vieler verschiedener Arten von Katastrophen genutzt, u. a. Überschwemmungen, Waldbrände, Erdbeben und Dürrekatastrophen (2).

2.2.

Der EWSA hält es für eine geeignete Lösung, den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) (3) bei schweren Katastrophen zur Ergänzung des EU-Solidaritätsfonds zu nutzen. Den beiden Fonds liegen die selben ethischen Prinzipien als auch bestimmte programmspezifische Handlungskriterien zugrunde. Beide Fonds sind zum einen ein weiterer Beweis europäischer Solidarität, zum andern verfolgen die verschiedenen im Rahmen dieser Fonds üblicherweise finanzierten Maßnahmen dasselbe Ziel — das Wirtschaftswachstum sowie eine ausgewogene und nachhaltige Entwicklung in den Regionen der EU zu fördern (4).

2.3.

Der Ausschuss hat bereits in der Vergangenheit darauf hingewiesen, dass die Rechtzeitigkeit der Hilfen wesentlich ist, damit sie wirksam sind und von der Öffentlichkeit angemessen wahrgenommen werden. Insbesondere hat sich der EWSA bereits zu dem zeitraubenden Verwaltungsaufwand der EUSF-Verfahren (5) sowie zu den übermäßig langen Fristen für die Auszahlung der Hilfen (6) geäußert.

2.4.

Der EWSA bekräftigt seine früheren Vorschläge zur Funktionsweise des Fonds:

definitive Klärung des Anwendungsbereichs des Fonds, um keine unbegründeten Erwartungen zu wecken und seine Instrumentalisierung für die politische Kommunikation zu verhindern;

Neufestlegung des Schwellenwerts für die wirtschaftlichen Auswirkungen, ab dem das Ausmaß einer Katastrophe als groß genug einzustufen ist, damit der Fonds nur bei außergewöhnlichen Belastungen genutzt wird;

weitere Verschlankung der Durchführungsverfahren und Verkürzung der Zeiträume für die Bereitstellung der Hilfen, um eine wirkliche Soforthilfe zu gewährleisten.

2.4.1.

Darüber hinaus ist der EWSA über die steigende Zahl von Natur- und anderen Katastrophen besorgt und unterstreicht, dass die Präventionsmaßnahmen verstärkt werden müssen.

2.5.

Der EWSA billigt die Aufnahme eines zusätzlichen Absatzes 8 in Artikel 120 der Verordnung (EU) Nr. 1303/2013, um eine gesonderte Prioritätsachse mit einem Kofinanzierungssatz von bis zu 100 % für die Unterstützung im Rahmen des EFRE zu schaffen, unter der Voraussetzung, dass die betreffenden Vorhaben:

von den Verwaltungsbehörden als Reaktion auf Naturkatastrophen größeren Ausmaßes ausgewählt werden;

im Zusammenhang mit dem Wiederaufbau als Reaktion auf Naturkatastrophen stehen;

im Rahmen einer EFRE-Investitionspriorität unterstützt werden.

2.6.

Der EWSA billigt die Ausnahmeregelung, der zufolge abweichend von Artikel 65 Absatz 9 der Verordnung (EU) Nr. 1303/2013 Ausgaben für Vorhaben im Rahmen dieser Prioritätsachse ab dem Datum förderfähig sind, an dem sich die Naturkatastrophe ereignet hat.

3.   Der Standpunkt des EWSA

3.1.

Der EWSA vertritt die Auffassung, dass der Verordnungsvorschlag zusammen mit der Verordnung (EG) Nr. 2012/2002 und den nachfolgenden Änderungen betrachtet werden muss, da er diese ergänzt und ändert. Die vorgeschlagenen Änderungen gehen in die in früheren EWSA-Stellungnahmen empfohlene Richtung, d. h. die Funktionsmechanismen des Fonds zu beschleunigen und zu vereinfachen. Einige Kritikpunkte müssen jedoch wieder aufgegriffen werden.

3.2.

Der EWSA bekräftigt daher, dass die Verordnung eine besonders wichtige Maßnahme ist, da es sich um einen Beweis europäischer Solidarität handelt. Sie entspricht dem Subsidiaritätsprinzip, da sie die politischen Maßnahmen der Mitgliedstaaten ergänzt, und vorgesehen ist die Koordinierung mit verschiedenen anderen Maßnahmen der Europäischen Union, u. a. mit anderen Programmen im Rahmen den Strukturfonds und der Europäischen Investitionsbank (EIB). Nach Auffassung des EWSA müsste sie auch mit den Ausnahmen vom Stabilitätspakt abgestimmt werden, die für die von Natur- und anderen Katastrophen betroffenen Mitgliedstaaten vorgesehen sind.

3.3.

Die Verordnung sieht vor, dass es sich um Naturkatastrophen größeren Ausmaßes handelt, und soll nicht für die Mitgliedstaaten in Fällen von Katastrophen einstehen, in denen die geschätzten Schäden unter einem bestimmten Schwellenwert liegen — der nach Ansicht des EWSA zu hoch ist und daher überdacht werden muss.

3.4.

Zu den förderfähigen Vorhaben zählen Wohngebäude nur dann, wenn es um provisorische Notunterkünfte handelt. In diesem Fall müssen der Staat oder Versicherungen intervenieren. Die Existenz historischer Ortschaften hängt mitunter von Wirtschaftstätigkeiten ab, die dem Zweitwohnsitztourismus zuzuschreiben sind. Nach Ansicht des EWSA muss etwas gegen die Zweiteilung zwischen Wohngebäuden und Wirtschaftstätigkeiten unternommen werden.

3.5.

Die Verordnung legt außerdem fest, dass es keine Überschneidungen mit anderen EU-Maßnahmen zur Bewältigung regionaler Notlagen aufgrund von Natur- und anderen Katastrophen geben darf. Eine der wichtigsten Anforderungen für den Zugang zu dem Fonds ist ein Plan mit Präventivmaßnahmen gegen die Gefahren von Naturkatastrophen. Der EWSA ist der Auffassung, dass die EU-Institutionen und die Mitgliedstaaten der Prävention nicht genügend Gewicht geben.

3.6.

Die Verordnung sieht vor, dass Maßnahmen, die Gegenstand einer Finanzierung durch den Fonds sind, dem Vertrag und den aufgrund des Vertrags erlassenen Rechtsakten entsprechen müssen. Dies gilt insbesondere für ein solides Finanzmanagement, transparente Ausschreibungsverfahren sowie den Umweltschutz und die Anpassung an den Klimawandel mit Investitionen in umweltverträgliche Infrastrukturmaßnahmen. Zum Zeitpunkt der Verabschiedung der Verordnung war noch keine Richtlinie speziell zur Barrierefreiheit (7) in Kraft. Da die Nachfrage nach barrierefreien Produkten und Dienstleistungen aufgrund der Bevölkerungsalterung in der EU (8) noch weiter gestiegen ist, muss die Barrierefreiheit nach Ansicht des EWSA bei Nothilfe- und Wiederaufbaumaßnahmen zu den wichtigsten Kriterien zählen.

Brüssel, den 22. Februar 2017

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  COM(2016) 778 final — 2016/0384 (COD).

(2)  Die von der Kommission über den EU-Solidaritätsfonds gewährten Hilfen waren beispielsweise entscheidend, um die Naturkatastrophen in Bulgarien, Italien und Rumänien im Jahr 2014 zu bewältigen.

(3)  Der Europäische Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) ist einer der Strukturfonds der Europäischen Union. Er dient dem Ziel, das Entwicklungsgefälle zwischen den europäischen Regionen unter Berücksichtigung der natürlichen und demografischen Nachteile bestimmter Regionen zu verringern. Mit den Maßnahmen im Rahmen des EU-Solidaritätsfonds soll das Wirtschaftswachstum mithilfe der strukturellen Anpassung der Regionen mit Entwicklungsrückstand angekurbelt werden.

(4)  Um die Erholung der Wirtschaftstätigkeit in den betroffenen Regionen zu fördern, wurde beschlossen, den Schwerpunkt auf ganz konkrete Nothilfe- und Wiederaufbaumaßnahmen zu legen, z. B. den Bau von Notunterkünften für die Bevölkerung und den Wiederaufbau der wichtigsten zerstörten Infrastrukturen.

(5)  ABl. C 181 vom 21.6.2012, S. 52.

(6)  ABl. C 170 vom 5.6.2014, S. 45.

(7)  Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Barrierefreiheitsanforderungen für Produkte und Dienstleistungen, COM(2015) 615 final — 2015/0278 (COD).

(8)  Es wird davon ausgegangen, dass im Jahr 2020 rund 120 Mio. Menschen in der Europäischen Union mehrfache und/oder leichte Behinderungen haben werden. Außerdem ist hervorzuheben, dass in den ländlichen Gemeinden und Bergdörfern, die in jüngster Zeit von Naturkatastrophen getroffen wurden, hauptsächlich ältere Menschen wohnen.


31.5.2017   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 173/41


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2014/59/EU des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf den Rang unbesicherter Schuldtitel in der Insolvenzrangfolge“

(COM(2016) 853 final — 2016/0363 (COD))

(2017/C 173/08)

Hauptberichterstatter:

Daniel MAREELS

Befassung

Rat der Europäischen Union, 3.1.2017

Europäisches Parlament, 16.1.2017

Rechtsgrundlage

Artikel 114 und Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

 

 

Zuständige Fachgruppe

Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt

Verabschiedung auf der Plenartagung am

22.2.2017

Plenartagung Nr.

523

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

169/0/3

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt den Vorschlag der Kommission zur Änderung der BRRD (1), genauer gesagt zur Schaffung einer harmonisierten nationalen Rangfolge unbesicherter Schuldtitel im Rahmen eines Insolvenzverfahrens. Dieser Vorschlag ist Teil eines umfangreicheren Pakets kürzlich veröffentlichter Vorschläge für die weitere Reformierung des Bankensektors (2). Im Wesentlichen werden mit diesem Paket Vorlagen umgesetzt, die nach Arbeiten in einem internationalen Kontext wie dem G20, dem Basler Ausschuss und dem Rat für Finanzstabilität erstellt worden waren.

1.2.

Für den EWSA ist es weiterhin sehr wichtig, dass das Bankensystem widerstandsfähig und ausreichend mit Kapital ausgestattet ist, denn das ist die Voraussetzung und Grundlage für die Aufrechterhaltung der Finanzstabilität. Gleichzeitig ist es entscheidend, dass im Falle von Krisen bei einer Bank zunächst das private Kapital der Anteilseigner und Gläubiger herangezogen wird („Bail-in“ — Gläubigerbeteiligung), damit keine staatlichen Mittel oder Mittel der Steuerzahler in Anspruch genommen werden müssen. Auch die Löhne und Gehälter sowie die Rentenansprüche von Arbeitnehmern sollten uneingeschränkt gesichert werden.

1.3.

Der EWSA begrüßt die Tatsache, dass der jetzt vorliegende Vorschlag aus dem genannten Paket (siehe 1.1) herausgelöst und vorrangig und als Eilsache behandelt wird. Denn die jüngste Entwicklung, dass einzelne Mitgliedstaaten auf der Grundlage ihrer eigenen Auslegung auf diesem Gebiet Rechtsvorschriften erlassen können, kann zu Schwierigkeiten führen, z. B. bei der Anwendung der Regelung für die Gläubigerbeteiligung. Es ist jetzt an der Zeit, das Ruder herumzureißen und anstelle des individuellen Ansatzes einen harmonisierten Ansatz auf EU-Ebene anzunehmen, damit überall dieselben BRRD-Regeln gelten.

1.4.

Ein harmonisierter Ansatz verhindert auch weitere Verzerrungen zwischen den Mitgliedstaaten und unerwünschten Wettbewerb auf dem Markt. Dem EWSA ist daran gelegen, dass gleiche Ausgangsbedingungen zwischen den Institutionen und den Mitgliedstaaten hergestellt und die Risiken im Finanzsektor gemindert werden.

1.5.

Der EWSA begrüßt, dass mit dem Vorschlag die Zuverlässigkeit des Abwicklungsmechanismus gestärkt und gleichzeitig dessen praktische Anwendbarkeit verbessert und möglicherweise auch beschleunigt werden.

1.6.

Nach Ansicht des EWSA sollte eine Verlustausgleichsregelung für alle Banken gelten. In diesem Zusammenhang ist zu begrüßen, dass der vorliegende Vorschlag zur Umsetzung spezifischer Maßnahmen für global tätige, systemrelevante Banken beiträgt. Dies bedeutet, dass die global tätigen, systemrelevanten Banken (G-SIB) (3) über eine bessere Verlustdeckungsfähigkeit verfügen müssen, die im Falle einer Krise aktiviert werden kann — die so genannte TLAC (4). Dieser Vorschlag trägt auch zur Umsetzung der Regelung für eine Gläubigerbeteiligung für andere Banken bei, indem gegebenenfalls auch die Gefahr einer rechtlichen Auseinandersetzung vermindert wird.

1.7.

Der EWSA begrüßt die Aufnahme der vorgenannten TLAC-Regelung in die geltenden EU-Vorschriften für alle Banken, die sogenannten MREL-Anforderungen (5), die so erfolgt, dass alle G-SIB den harmonisierten Vorschriften unterworfen werden. Diese Aufnahme in eine einzige Regelung wird im Übrigen auch die Wirksamkeit und Effizienz der Abwicklung erhöhen.

1.8.

Die Banken haben bei der Finanzierung der Wirtschaft und vor allem der privaten Haushalte und der mittelständischen Unternehmen eine wichtige Rolle zu spielen. Daher sollten die möglichen negativen Auswirkungen auf die Finanzierungskosten der Banken so gering wie möglich gehalten werden. Gleichzeitig soll mit den neuen Vorschriften nicht nur die Ausgabe der unbesicherten Schuldtitel erleichtert und möglichst weit gefasst, sondern auch die größtmögliche Klarheit und Rechtssicherheit für alle Beteiligten, einschließlich der Anleger, hergestellt werden. Es ist natürlich wichtig, dass die Verbraucherschutzvorschriften uneingeschränkt weiter gelten und angewandt werden.

1.9.

Der vorgeschlagene Ansatz, d. h. dass die neuen Bestimmungen nur für die künftigen Emissionen dieser Schuldtitel Anwendung finden, erscheint die realistischste Option zu sein und ist daher auch zu unterstützen.

2.   Hintergrund  (6)

2.1.

Der vorliegende Vorschlag (7) ist Teil des Pakets von fünf Legislativvorschlägen, die die Kommission vor kurzem (8) zum Thema Bankenregulierung veröffentlicht hat, wobei das Paket auf den bereits bestehenden Rechtsvorschriften in diesem Bereich aufbaut (9). Im Hinblick auf eine schnellere Annahme und Umsetzung wird der Vorschlag aus dem Paket herausgelöst und vorgezogen.

2.2.

Das Paket dient der Umsetzung der Vorlagen, die nach Arbeiten im Basler Ausschuss für Bankenaufsicht und dem Rat für Finanzstabilität erstellt worden waren, wobei auch die Ergebnisse des „Aufrufs zur Sondierung von Beweismaterial“ berücksichtigt wurden, den die Europäische Kommission zur Beurteilung der Wirksamkeit und Effizienz der derzeitigen Bankenrechtsvorschriften durchgeführt hatte.

2.3.

Insgesamt soll mit diesem Vorschlagspaket vor allem Folgendes erreicht werden:

2.3.1.

höhere Widerstandsfähigkeit der Finanzinstitute in der EU und Förderung der Stabilität des Finanzsystems,

2.3.2.

Verbesserung der Kreditvergabekapazität der Banken zur Unterstützung der Wirtschaft in der Europäischen Union sowie

2.3.3.

Förderung der Rolle der Banken bei der Errichtung stärker verflochtener europäischer Kapitalmärkte mit größerer Liquidität, um so die Schaffung einer Kapitalmarktunion zu unterstützen.

2.3.4.

Gleichzeitig, und darauf kann an dieser Stelle durchaus verwiesen werden, laufen Arbeiten, um den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zugunsten der kleinen und/oder weniger komplexen Banken präziser und weitergehend anzuwenden.

2.4.

Vor diesem Hintergrund zielt der vorliegende Vorschlag auf die Schaffung einer harmonisierten nationalen Rangfolge unbesicherter Schuldtitel. Dies ist wichtig bei der Abwicklung einer Bank im Rahmen der BRRD-Regelung.

2.5.

Bei solchen Abwicklungen müssen die Verluste zunächst vom privaten Kapital und nicht durch die Steuerzahler oder die öffentliche Hand getragen werden. Dies wird erreicht durch die Gläubigerabwicklung, d. h. die Abschreibung von Außenständen oder deren Umwandlung in Risikokapital.

2.6.

Zu diesem Zweck müssen alle Banken über ein Mindestniveau an Eigenmitteln und abschreibungsfähigen Verbindlichkeiten verfügen, mit anderen Worten: Sie müssen den „MREL-Anforderungen“ genügen.

2.7.

Neu ist jetzt, dass im Rahmen der Maßnahmen zur Frage der für einen Konkurs zu großen Institute internationale Übereinkünfte über zusätzliche Anforderungen für global systemrelevante Banken (G-SIB) erzielt wurden. Einer der bereits erwähnten Vorschläge des Pakets sind Maßnahmen, um gerade diese Anforderung, die als „Gesamt-Verlustabsorptionskapazität“ (TLAC) bekannt ist, in das bestehende MREL-System für diese Banken aufzunehmen.

2.8.

Beide Verpflichtungen haben bereits früher eine Reihe von Mitgliedstaaten (10) veranlasst, auf nationaler Ebene ihr Insolvenzrecht so anzupassen, dass eine Rangfolge bestimmter Gläubiger festgelegt wird.

2.9.

Diese Anpassungen sind in den einzelnen Mitgliedstaaten auf unterschiedliche und gegensätzliche Weise erfolgt, was nicht optimal und im Hinblick auf die verfolgten Ziele keinesfalls als wünschenswert anzusehen ist. Mit dem vorliegenden Vorschlag soll hier Abhilfe geschaffen und dazu ein harmonisiertes System eingeführt werden (siehe 2.4).

3.   Bemerkungen und Kommentare

3.1.

Das Paket der Maßnahmen insgesamt und der vorliegende Vorschlag sind zu begrüßen. Sie bedeuten eine weitere Ergänzung und Präzisierung der wichtigsten Reformen, die zur Stärkung des Finanzsektors nach der Krise durchgeführt wurden. Sie tragen zudem zur weiteren Verringerung der Risiken in dieser Branche bei.

3.2.

Insgesamt muss weiterhin dafür gesorgt werden, dass das Bankensystem widerstandsfähig und ausreichend mit Kapital ausgestattet ist. Und das wiederum ist wichtig für den Erhalt der Stabilität des Finanzsystems. Für diese Stabilität ist es entscheidend, dass im Falle von Krisen bei einer Bank zunächst das private Kapital der Anteilseigner und Gläubiger („Bail-in“ — Gläubigerbeteiligung), herangezogen wird. Damit soll verhindert werden, dass staatliche Mittel oder Mittel der Steuerzahler in Anspruch genommen werden. Darüber hinaus müssen die Ansprüche der Beschäftigten aufgrund ausstehender Lohnforderungen, Rentenleistungen oder anderer fester Vergütungen in jedem Fall gewahrt werden (11).

3.3.

Dieser Ansatz sollte uneingeschränkt auf alle Banken angewandt werden. In diesem Zusammenhang begrüßt der EWSA, dass im Einklang mit den auf der G20-Ebene getroffenen Vereinbarungen auch an einer strikteren Regelung für global systemrelevante Institute (G-SIB) gearbeitet wird.

3.4.

Der EWSA begrüßt, dass mit diesem Vorschlag die TLAC-Regelung in die bestehenden MREL-Anforderungen nach Maßgabe der BRRD integriert wird. Dies verbessert nicht nur die Anwendung der geltenden Vorschriften, sondern schafft gleichzeitig die Grundlage für eine harmonisierte Regelung für die größten und wichtigsten Banken. Dies wiederum wird positive Auswirkungen auf die konkrete Anwendbarkeit des Systems haben.

3.5.

Angesichts der überaus wichtigen Rolle, die Banken bei der Finanzierung der Wirtschaft, vor allem der privaten Haushalte und der kleinen und mittelständischen Unternehmen spielen, sollten solche Instrumente unter guten Bedingungen und so umfassend wie möglich emittiert werden können. Das neue System sollte größtmögliche Klarheit und Rechtssicherheit für alle Beteiligten, einschließlich der Anleger, bieten. Außerdem ist auch auf die Kosten zu achten. Mit den neuen Vorschriften müssen die unter Umständen negativen Auswirkungen auf die Finanzierungskosten der Banken so gering wie möglich gehalten werden.

3.6.

Es ist grundsätzlich sehr zu begrüßen, dass eine Reihe von Mitgliedstaaten sehr rasch damit begonnen haben, auf nationaler Ebene ihr Insolvenzrecht anzupassen, um auf die Entwicklungen auf europäischer und internationaler Ebene zu reagieren (siehe oben).

3.7.

Leider erfolgte dies ohne Abstimmung, was zu erheblichen Unterschieden zwischen den Mitgliedstaaten mit einer Reihe unerwünschter Nebenwirkungen geführt hat, wie z. B. der Unsicherheit für Emittenten und Anleger und ihrer Behandlung im Falle der Anwendung der Regelung für die Gläubigerbeteiligung. Dies kann auch die Anwendung der BRRD-Regelung für Banken erschweren, die in mehr als einem Land tätig sind.

3.8.

Der EWSA erachtet es als nicht erstrebenswert, dass hier weiterhin unbesicherte Schuldtitel ungleich behandelt werden, was im Übrigen zu Verzerrungen zwischen den Finanzinstituten und den Mitgliedstaaten führen würde und einen unerwünschten Wettbewerb auf dem Markt zur Folge hätte.

3.9.

Ein schnelles Vorgehen ist daher wünschenswert, und dabei sollte nicht nur das individuelle Vorgehen der einzelnen Mitgliedstaaten beendet, sondern in noch stärkerem Maße ein Übergang zu einem harmonisierten Konzept erreicht werden. Damit können nicht nur die Wettbewerbsbedingungen für die Institute und die Mitgliedstaaten besser harmonisiert, sondern gleichzeitig auch die Verfolgung der grundlegenden Ziele der Wahrung der Finanzstabilität und der Verringerung der Risiken im Finanzsektor optimal unterstützt werden.

3.10.

Die neue Regelung enthält keine Bestimmungen darüber, welche Anleger und Investoren die Möglichkeit erhalten, solche unbesicherten Schuldtitel zu kaufen bzw. zu erwerben. Eine solche Regelung ist wahrscheinlich in der BRRD-Richtlinie weniger sinnvoll, und darüber hinaus kommt es letzten Endes darauf an, dass der Verbraucherschutz (12) in diesem Bereich uneingeschränkt zum Tragen kommt und in der Praxis seine volle Wirkung entfalten kann.

3.11.

Diese Regelung gilt nur für genehmigte künftige Emissionen und nicht für den vorhandenen Bestand ausgegebener Papiere. Im Sinne der Rechtssicherheit und wegen der — möglicherweise unbeabsichtigten — Auswirkungen auf die Märkte, Emittenten und Anleger erscheint dies als ein akzeptabler Ansatz, obgleich er gewisse (vorübergehende) Folgen für die Aufsichtsbehörden nach sich ziehen kann.

3.12.

Schließlich scheint es auch angebracht zu sein, ein realistisches Datum des Inkrafttretens festzulegen (13).

Brüssel, den 22. Februar 2017

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  Akronym des englischen Titels der Richtlinie „Bank Recovery and Resolution Directive“. Auf Deutsch: „Richtlinie über die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten“ (und Wertpapierfirmen).

(2)  Das Gesetzgebungspaket umfasst neben dem vorstehend genannten Vorschlag auch Änderungen der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 (Eigenkapitalverordnung, CRR), der Richtlinie 2013/36/EU (Eigenkapitalrichtlinie, CRD) und der Verordnung (EU) Nr. 806/2014 (Verordnung über den einheitlichen Abwicklungsmechanismus, SRMR). Zu den Verweisen siehe nachstehend die Fußnoten 8 bis 10. Zu diesen Vorschlägen wird derzeit (Februar 2017) auch die Stellungnahme ECO/424 des EWSA erarbeitet.

(3)  Englische Abkürzung für den Begriff „Global Systemically Important Banks“.

(4)  Englische Abkürzung für den Begriff „Total Loss Absorption Capacity“ (Gesamtverlustabsorptionsfähigkeit).

(5)  Nach der englischen Abkürzung für den Begriff „Minimum Requirement for Own Funds and Eligible Liabilities“. Im Deutschen spricht man von der „Mindestanforderung an Eigenmittel und berücksichtigungsfähige Verbindlichkeiten“.

(6)  Dieser Text stützt sich unter anderem auf die von der Kommission zu dem Paket und dem hier erörterten Vorschlag bereitgestellten Informationen (z. B. Pressemitteilung, Fragen und Antworten usw.).

(7)  COM(2016) 853 final.

(8)  Am 23. November 2016. Siehe http://europa.eu/rapid/press-release_IP-16-3731_de.htm.

(9)  Dieses Paket enthält Änderungen an:

der Eigenkapitalverordnung (CRR) und der Eigenkapitalrichtlinie (CRD) aus dem Jahr 2013, die aufsichtsrechtliche Vorschriften für Kreditinstitute (Banken) und Wertpapierfirmen sowie Anforderungen an Führung und Beaufsichtigung der Institute enthalten;

der Richtlinie über die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten (BRRD) und die Verordnung über den einheitlichen Abwicklungsmechanismus (SRMR) aus dem Jahr 2014. Sie enthalten die Regeln für die Sanierung und Abwicklung ausfallender Institute und begründen den einheitlichen Abwicklungsmechanismus.

(10)  Andere wiederum bereiten derzeit eine solche Anpassung vor.

(11)  Gemäß Art. 44 Abs. 2 Buchst. g Unterabs. i) der BRRD.

(12)  Es kann auf die Regelungen MiFID und MiFID 2 für Finanzinstrumente und Programme verwiesen werden. Die letztgenannte Regelung tritt Anfang 2018 in Kraft.

(13)  In den jetzt vorliegenden Texten ist der 1. Juli 2017 festgelegt. Es stellt sich die Frage, ob das machbar ist.


31.5.2017   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 173/45


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu folgenden Vorlagen: „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Eine neue europäische Agenda für Kompetenzen — Humankapital, Beschäftigungsfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit gemeinsam stärken“

(COM(2016) 381 final),

„Vorschlag für eine Empfehlung des Rates zur Einführung einer Kompetenzgarantie“

(COM(2016) 382 final — 2016/0179 (NLE)),

„Vorschlag für eine Empfehlung des Rates über den Europäischen Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen und zur Aufhebung der Empfehlung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 zur Einrichtung des Europäischen Qualifikationsrahmens für lebenslanges Lernen“

(COM(2016) 383 final — 2016/0180 (NLE)),

„Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates über einen gemeinsamen Rahmen für die Bereitstellung besserer Dienste für Kompetenzen und Qualifikationen (Europass) und zur Aufhebung der Entscheidung Nr. 2241/2004/EG“

(COM(2016) 625 final — 2016/0304 (COD)),

„Verbesserung der Qualifikationen von Erwerbstätigen auf dem Arbeitsmarkt“

(Sondierungsstellungnahme (maltesischer Ratsvorsitz))

(2017/C 173/09)

Berichterstatterin:

Indrė VAREIKYTĖ

Mitberichterstatterin:

Tatjana BABRAUSKIENĖ

Befassung

Europäisches Parlament, 6.10.2016

Europäische Kommission, 17.2.2017

Rat der Europäischen Union, 21.10.2016

Maltesischer EU-Ratsvorsitz, 16.9.2016

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

 

 

Zuständige Fachgruppe

Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft

Annahme in der Fachgruppe

3.2.2017

Verabschiedung auf der Plenartagung

22.2.2017

Plenartagung Nr.

523

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

196/0/6

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt die von der Kommission vorgeschlagene neue europäische Agenda für Kompetenzen und sieht in ihr einen positiven Schritt auf dem Weg zu mehr Ausgewogenheit zwischen dem Kompetenzbedarf des Einzelnen, des Arbeitsmarkts und der Gesellschaft. Außerdem dürfte nach Ansicht des EWSA eine bessere Abstimmung von Kompetenzbedarf und -nachfrage kompetenten Fachkräften den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtern.

1.2.

Nachvollziehbarerweise liegt der Schwerpunkt der neuen Agenda und ihrer Maßnahmen auf der Lösung der aktuellen Probleme hauptsächlich durch Änderungen bestehender Instrumente und Maßnahmen, um ihre Anwendung und Wirkungsweise zu verbessern. Jedoch besteht die Notwendigkeit, innovativere Lösungen in den Bereichen Bildung und Kompetenzentwicklung einzuführen, da Europa einen echten Paradigmenwechsel in Bezug auf die Ziele und das Funktionieren des Bildungssektors und das Verständnis seiner Stellung und Rolle in der Gesellschaft benötigt.

1.3.

Der EWSA betont, dass die Erhöhung der Erwerbsquote und die Deckung des Bedarfs sich wandelnder, unsicherer und komplexer Arbeitsmärkte sowie die Bekämpfung von Armut, Ungleichheit und Diskriminierung in der EU nur richtig angegangen werden können, wenn auch die damit verbundenen sozialen und geschlechtsspezifischen Aspekte berücksichtigt werden.

1.4.

Der EWSA fordert die Kommission auf, eine umfassendere Perspektive für das Funktionieren und Ineinandergreifen der Bildungs- und Berufsbildungs-, Arbeits- und Sozialsysteme insgesamt und ihrer individuellen Maßnahmen vorzulegen, insbesondere im Hinblick auf Fragen im Zusammenhang mit höheren Bildungsebenen, der Rolle des lebenslange Lernens, grenzüberschreitender Mobilität, unternehmerischem Denken, Kreativität, Innovation und sozialen und interkulturellen Kompetenzen.

1.5.

Ferner würde sich der EWSA deutlichere Verbindungen der neuen Agenda zum Europäischen Semester und zu der Strategie Europa 2020 — insbesondere in Bezug auf ihre bildungs- und beschäftigungspolitischen Ziele — wünschen; auch sollte die Rolle der neuen Agenda für Kompetenzen bezüglich der Agenda 2030, der Strategie für den digitalen Binnenmarkt, der Strategie für die Kreislaufwirtschaft, des Strategischen Engagements für die Gleichstellung der Geschlechter 2016-2019, der europäischen Säule sozialer Rechte und der Nachhaltigkeitszielen eingeordnet werden.

1.6.

Der EWSA bedauert, dass in der neuen Agenda spezifische Maßnahmen bezüglich der zentralen Rolle des nichtformalen und informellen Lernens bei der Vorbereitung junger Menschen auf das Leben vernachlässigt werden. Daneben wird unternehmerische Kompetenz im weiteren Sinne (d. h. als Unternehmungsgeist) in der neuen Agenda nicht als Lebenskompetenz herausgestellt, die jedem Einzelnen zugutekommt. In diesem Zusammenhang sollte die Kommission ferner besonderes Augenmerk auf den speziellen Kompetenzbedarf der freien Berufe richten (1).

1.7.

Für den EWSA ist das Fehlen eines Finanzierungsplans für die Durchführung der neuen Agenda nicht hinnehmbar und er ist überzeugt, dass auch die bestmögliche Nutzung bestehender Finanzierungsprogramme nicht ausreichen wird, um die Ziele der Agenda zu erreichen. Zudem werden die vorgeschlagenen Finanzierungsquellen für die Agenda — der ESF und Erasmus+ — bereits auf nationaler Ebene eingeplant und aufgeteilt, was ihre Verwendung für die Umsetzung der Agenda noch unsicherer macht.

1.8.

Der EWSA begrüßt die starke Betonung des Dialogs mit den Sozialpartnern und der Wirtschaft in der Agenda und ruft zu einer weiteren Stärkung dieses Dialogs sowie des Dialogs mit einschlägigen zivilgesellschaftlichen Organisationen und Organisationen auf, die unmittelbar mit den potenziell Begünstigten arbeiten und benachteiligte Menschen erreichen können.

1.9.

Nach Auffassung des EWSA wird die vorgeschlagene Kompetenzgarantie nur dann spürbar etwas bewirken, wenn die Lehren aus der Umsetzung der Jugendgarantie berücksichtigt werden.

1.10.

Die Entwicklung von Kompetenzen findet im digitalen Zeitalter im Kontext eines raschen und gelegentlich disruptiven Wandels statt, in dem sich Geschäftsmodelle grundlegend ändern können. Der EWSA ist deshalb der Auffassung, dass es nicht ausreicht, den Einzelnen dabei zu unterstützen, ein Mindestmaß an Kompetenzen zu erwerben, und dass unbedingt sicherzustellen ist, dass die Kompetenzgarantie zu einem garantierten Ausbildungsweg wird, der den Menschen Anreize zur Weiterbildung bietet und ihnen Fortschritte und den Aufstieg bis zum höchsten jeweils erreichbaren Qualifikationsniveau ermöglicht. Der EWSA drängt auf weitere Lösungen für die Aufstockung der für die Sicherstellung einer raschen Vermittlung von Kompetenzen erforderlichen Finanzmittel, wie etwa öffentliche und private Investitionen. Auch die in einigen Mitgliedstaaten eingesetzten Instrumente, z. B. Tarifverträge zur Regelung von bezahlter Bildungsfreistellung, sollten geprüft werden.

1.11.

Zugleich sollte berücksichtigt werden, dass der Ausbau individueller Kompetenzen allein nicht den gewünschten Effekt der Beschäftigungsfähigkeit erzielen wird, wenn nicht eng miteinander verknüpfte sozial-, wirtschafts- und gleichstellungspolitische Unterstützungsmaßnahmen ebenfalls weiter ausgebaut werden.

1.12.

Nach Auffassung des EWSA sollte der Schwerpunkt bei der Weiterentwicklung des EQR auf die Stärkung der Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten und aller Interessenträger, auf die Bedeutung der Anerkennung von Kompetenzen und Weiterbildungsqualifikationen sowie auf die Validierung von durch nichtformales und informelles Lernen erworbenen Qualifikationen unter besonderer Berücksichtigung von Querschnittskompetenzen gelegt werden. Außerdem ist es insbesondere mit dem Ziel eines hohen Qualifikationsniveaus vor Augen wichtig, das nichtformale und informelle Lernen so zu stärken, dass es problemlos in bestehende formale Systeme der allgemeinen und beruflichen Bildung auf eine Art und Weise einfließen kann, die für alle einschlägigen Akteure akzeptabel ist.

1.13.

Es muss unbedingt darauf geachtet werden, dass die Bemühungen um eine Aufwertung des EQR nicht zu aufwendig und bürokratisch werden, auch sollte mehr Kohärenz zwischen den Qualifikationsinstrumenten der EU — d. h. EQR, ECVET und EQAVET — angestrebt werden. Die ESCO sollte die Entwicklung des EQR und seine Nutzung unterstützen, aber zunächst muss die Zuordnung abgeschlossen werden, damit die ESCO einsatzfähig werden kann.

1.14.

Der EWSA unterstützt den neuen Europass-Rahmen nachdrücklich, insbesondere die Weiterentwicklung des Europasses von einem Angebot von Dokumenten hin zu einer Dienstleistungsplattform. Transparenz, Nutzerfreundlichkeit, Zugänglichkeit und Effizienz sollten die wesentlichen Impulsgeber für seine Entwicklung sein. Es muss unbedingt dafür gesorgt werden, dass der Zugang von Menschen mit Behinderungen zum neuen Europass-Rahmen sichergestellt ist.

1.15.

Der EWSA hat jedoch Bedenken, ob es ethisch gerechtfertigt ist, Finanzmittel aus dem Erasmus+-Programm als Anfangsfinanzierungsquelle zu nutzen. Gleichzeitig sollte die Kommission die Auswirkungen auf den Haushalt erneut und diesmal realistischer bewerten, insbesondere in Bezug auf die finanziellen Auswirkungen für die Mitgliedstaaten und die mit der Verbreitung des neuen Europass-Rahmens in der Öffentlichkeit verbundenen Auswirkungen auf den Haushalt.

2.   Wesentlicher Inhalt des Kommissionsvorschlags

2.1.

Die Kommission hat eine neue europäische Agenda für Kompetenzen angenommen, um zu gewährleisten, dass die Menschen vom frühesten Kindesalter an ein breites Spektrum von Kompetenzen erwerben, sodass das Humankapital Europas optimal genutzt wird, was wiederum Beschäftigungsfähigkeit, Wettbewerbsfähigkeit und Wachstum in Europa fördern soll.

2.2.

Schätzungen der Kommission zufolge verfügen 70 Mio. Europäerinnen und Europäer nicht über ausreichende Kompetenzen im Lesen, Schreiben oder Rechnen, und mehr als 20 % verfügen über praktisch keine digitalen Kompetenzen (2) und sind dadurch von Arbeitslosigkeit, Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht. Umgekehrt stecken 30 % der hoch qualifizierten jungen Menschen in Jobs fest, die nicht ihren Talenten und Zielvorstellungen entsprechen, während 40 % der europäischen Arbeitgeber berichten, dass sie keine Arbeitskräfte mit den für Wachstum und Innovation benötigten Kompetenzen finden. Außerdem verfügen zu wenige Menschen über den Unternehmergeist und die Kompetenzen, die für die Gründung eines eigenen Unternehmens und für die kontinuierliche Anpassung an die sich wandelnden Anforderungen auf dem Arbeitsmarkt notwendig sind.

2.3.

Nach Auffassung der Kommission ist es wichtig, das Kompetenzniveau anzuheben, Querschnittskompetenzen zu fördern und Methoden zu entwickeln, um die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes besser zu antizipieren — auch im Dialog mit der Wirtschaft. Denn dies sind entscheidende Faktoren, um den Menschen bessere Chancen im Leben zu bieten, faires, inklusives und nachhaltiges Wachstum zu fördern und den Zusammenhalt der Gesellschaft zu stärken. Als Beitrag zur Bewältigung der Herausforderungen im Bereich Kompetenzen schlägt die Kommission zehn Initiativen vor, die in den nächsten zwei Jahren umgesetzt werden sollen:

Die Kompetenzgarantie soll gering qualifizierten Erwachsenen dabei helfen, ein Mindestniveau an Lese-, Schreib- und Rechenkompetenzen sowie digitalen Kompetenzen zu erreichen, und ihnen letztlich den Erwerb eines Abschlusses der Sekundarstufe II ermöglichen.

Der Europäische Qualifikationsrahmen wird überarbeitet, damit Qualifikationen verständlicher und vorhandene Fertigkeiten auf dem europäischen Arbeitsmarkt besser genutzt werden.

Die Kommission ruft die „Koalition für digitale Kompetenzen und Arbeitsplätze“ ins Leben, die es den Mitgliedstaaten und Akteuren aus dem Bildungswesen, dem Arbeitsmarkt und der Wirtschaft ermöglichen soll, gemeinsam ein großes Reservoir an IT-Fachkräften zu schaffen und dafür zu sorgen, dass die Bürgerinnen und Bürger und insbesondere die Arbeitskräfte in Europa über angemessene digitale Kompetenzen verfügen.

Die „Blaupause zur Branchenzusammenarbeit für Kompetenzen“ soll die Erfassung von Daten über Kompetenzen verbessern und dem Fachkräftemangel in spezifischen Wirtschaftszweigen entgegenwirken.

Das „Instrument zur Erstellung von Kompetenzprofilen für Drittstaatsangehörige“ soll die frühzeitige Ermittlung und Erfassung der Kompetenzen und Qualifikationen von Asylbewerbern, Flüchtlingen und anderen Migranten fördern.

Durch die Überarbeitung des Europass-Rahmens sollen den Menschen bessere, leichter nutzbare Instrumente an die Hand gegeben werden, um ihre Kompetenzen zu präsentieren und nützliche aktuelle Informationen über den Kompetenzbedarf und dessen Entwicklung abzurufen, die ihnen dann als Orientierungshilfe bei Entscheidungen innerhalb des Berufs- und Bildungswegs dienen können.

Die Berufsausbildung soll zur „ersten Wahl“ werden; zu diesem Zweck sollen Lernende in der Berufsbildung mehr Möglichkeiten erhalten, um berufspraktische Erfahrungen am Arbeitsplatz zu sammeln, und die Erfolge der Berufsbildung auf dem Arbeitsmarkt sollen stärker in den Vordergrund gerückt werden.

Die Empfehlung zu Schlüsselkompetenzen soll überarbeitet werden, um mehr Menschen den Erwerb bestimmter grundlegender Kompetenzen zu ermöglichen, die im 21. Jahrhundert zum Leben und Arbeiten benötigt werden. Besonderes Augenmerk wird dabei auf die Förderung des Unternehmer- und Innovationsgeistes und entsprechender Kompetenzen gelegt.

Eine Initiative zur Nachverfolgung des Werdegangs von Hochschulabsolventinnen und -absolventen soll die Datenlage über deren Vorankommen auf dem Arbeitsmarkt verbessern.

Es wird ein Vorschlag vorgelegt, um die Abwanderung qualifizierter Fachkräfte („Brain Drain“) eingehender zu analysieren und bewährte Vorgehensweisen bei der Eindämmung dieses Phänomens auszutauschen.

3.   Geltungsbereich des Dokuments

3.1.

In dieser Stellungnahme konzentriert sich der EWSA auf die eigentliche Agenda sowie auf drei bereits zusammen mit der Agenda vorgeschlagene Initiativen: die Kompetenzgarantie, die Überprüfung des Europäischen Qualifikationsrahmens und die Überarbeitung des Europass-Rahmens.

3.2.

Daneben geht der EWSA auf ein Ersuchen des maltesischen EU-Ratsvorsitzes um eine Sondierungsstellungnahme zum Thema Verbesserung der Qualifikationen von Erwerbstätigen im Arbeitsmarkt ein. Aufgrund der Überschneidungen beim Gegenstand und beim Themenspektrum wird die Reaktion des EWSA auf dieses Ersuchen in diese Stellungnahme eingebaut und bereichert diese durch die Ausweitung der Standpunkte des EWSA auf die soziale Dimension und geschlechtsspezifische Aspekte in Bezug auf Kompetenzen und Beschäftigungsfähigkeit.

4.   Allgemeine Bemerkungen zu der Agenda

4.1.

Der EWSA begrüßt die von der Kommission vorgeschlagene neue europäische Agenda für Kompetenzen und sieht in ihr einen positiven Schritt auf dem Weg zu mehr Ausgewogenheit zwischen dem Kompetenzbedarf der Gesellschaft und der Wirtschaft. Auch wenn nachvollziehbar ist, dass der Schwerpunkt der neuen Agenda und ihrer Maßnahmen auf der Lösung der aktuellen Probleme hauptsächlich durch Änderungen bestehender Instrumente und Maßnahmen liegt, um ihre Anwendung und Wirkungsweise zu verbessern, betont der EWSA die Notwendigkeit, innovativere Lösungen in den Bereichen Bildung und Kompetenzentwicklung einzuführen. Viele EU-Mitgliedstaaten und EWR-Staaten verfolgen bereits verschiedene innovative Ansätze; diese werden jedoch in der Agenda nicht untersucht bzw. erwähnt, geschweige denn den Mitgliedstaaten nahegelegt.

4.2.

Der EWSA ist der festen Überzeugung (und wird in dieser Überzeugung durch die relativ geringe Wirkung der seit 2009 von der EU im Bildungs- und Jugendbeschäftigungsbereich ergriffenen Maßnahmen bestätigt (3)), dass es nun an der Zeit für einen echten Paradigmenwechsel in Bezug auf die Ziele und das Funktionieren des Bereichs der allgemeinen und beruflichen Bildung und ihren verschiedenen Komponenten — der formalen, nichtformalen und informellen Bildung — und das Verständnis seiner Stellung und Rolle in der Gesellschaft ist; ferner muss die Bildung selbst als Faktor für Produktivität anerkannt werden. Künftig muss in Europa unbedingt mehr in die Entwicklung des Menschen investiert werden; daher sollte die neue Agenda nicht nur Teillösungen für bestehende Ungleichheiten auf den Arbeitsmärkten, sondern Maßnahmen anbieten, die jeden Einzelnen in der EU befähigen, besser, qualifizierter und flexibler bei der Auswahl einer Erwerbstätigkeit zu werden.

4.3.

Die Verbesserung der Qualifikationen und die Abstimmung von Kompetenzbedarf und -nachfrage sowie Umschulungen und kontinuierliche berufliche Weiterbildung sind äußerst relevant für die sozialen und politischen Verpflichtungen der Europäischen Union, um die Erwerbsquote zu erhöhen und den Bedarf der sich wandelnden Arbeitsmärkte zu decken, sowie zur Bekämpfung von Armut, Ungleichheit und Diskriminierung in der EU. Diese Fragen können jedoch nur richtig angegangen werden, wenn auch die damit verbundenen sozialen und geschlechtsspezifischen Aspekte berücksichtigt werden. Der EWSA bedauert, dass der Schwerpunkt der neuen Agenda auf Qualifikationen und Beschäftigungsfähigkeit im Allgemeinen liegt, jedoch keine spezifischen Maßnahmen für die Erschließung des Potenzials von Teilzeitbeschäftigten, prekär Beschäftigten und nicht erwerbstätigen Frauen, älteren Menschen und Menschen mit Behinderungen aufgelistet werden, die einen maßgeblichen Beitrag zu Entwicklung und Wirtschaftswachstum in der EU leisten könnten.

4.4.

Nach Auffassung des EWSA wurden die Hauptaspekte geschlechtsspezifischer Ungleichheiten (4) in Bezug auf die Entwicklung von Kompetenzen in der Planungsphase der Agenda unberücksichtigt gelassen. Hierzu zählen: der Druck, der auf Frauen lastet, die Pflege- und Betreuungsarbeit leisten und ihre familiären und beruflichen Verpflichtungen miteinander vereinbaren müssen, Diskriminierung, Stereotype, ein höherer Frauenanteil in atypischen Arbeitsverhältnissen, begrenzte berufliche Möglichkeiten für Teilzeitbeschäftigung (was die Gefahr von Überqualifizierung birgt, insbesondere im Fall einer „beruflichen Verschlechterung“) und Studienrichtungen, in denen Frauen oder Männer stark vertreten sind, was wiederum die Gefahr einer Überqualifizierung für den Arbeitsmarkt birgt.

4.5.

Die Agenda ist im Wesentlichen auf die Bereitstellung eines Mindestmaßes an Kompetenzen und den Erwerb geringer bis mittlerer Qualifikationen ausgerichtet, doch stellt der EWSA das Fehlen einer umfassenderen Perspektive der Kommission für das Funktionieren und Ineinandergreifen der Bildungs-, Arbeits- und Sozialsysteme und ihrer individuellen Maßnahmen fest. Eine solchermaßen eingeschränkte Perspektive lässt ebenso wichtige Probleme auf höheren Ebenen der allgemeinen und beruflichen Bildung, die Rolle des lebenslangen Lernens, der grenzüberschreitenden Mobilität, von Unternehmergeist, Kreativität, Innovation, sozialen Kompetenzen und der interkulturellen Bildung, um nur einige Beispiele zu nennen, außer Acht. In diesem Zusammenhang sollte die Kommission ferner besonderes Augenmerk auf den speziellen Kompetenzbedarf der freien Berufe richten (5).

4.6.

Daher fordert der EWSA die Kommission auf, bei ihren politischen Initiativen einen koordinierten, kohärenten und konsequenten Ansatz zu verfolgen, vor allem wenn es um die Entwicklung von Kompetenzen geht. Bei den von verschiedenen Generaldirektionen vorgeschlagenen, parallelen und eng miteinander verknüpften Initiativen mangelt es an Abstimmung. Durch eine bessere Koordinierung könnten die Wirksamkeit und Wirkung solcher Maßnahmen erheblich gesteigert werden.

4.7.

Angesichts der erheblichen Auswirkungen der Entwicklung von Kompetenzen auf das Wirtschaftswachstum und zur Gewährleistung einer echten Wirkung wäre es nach Auffassung des EWSA außerdem wünschenswert, mehr direkte Verbindungen zwischen der neuen Agenda und dem Europäischen Semester (insbesondere zu den länderspezifischen Empfehlungen) sowie der Strategie Europa 2020 aufzuzeigen. Dies betrifft vor allem ihre bildungs- und beschäftigungspolitischen Ziele sowie die Rolle der Agenda in Bezug auf die Agenda 2030, die Strategie für den digitalen Binnenmarkt, die Strategie für die Kreislaufwirtschaft, das Strategische Engagement für die Gleichstellung der Geschlechter 2016-2019, die europäische Säule sozialer Rechte (insbesondere die vorgeschlagenen Benchmark-Systeme) und die Nachhaltigkeitsziele. Die Herstellung solcher Verbindungen würde die Stellung der Agenda unter den langfristigen Zielen und übergeordneten politischen Rahmen der EU stärken und damit auch ihren Status als strategische Initiative garantieren.

4.8.

Der EWSA ist sich der maßgeblichen Bedeutung einer wirksamen Abstimmung von Angebot und Nachfrage bei Kompetenzen bewusst, da der Anteil von 30 % junger Europäerinnen und Europäer, die aufgrund ihrer formalen Qualifikationen für ihre Tätigkeit überqualifiziert sind, nicht tragbar ist, wenn gleichzeitig 40 % der europäischen Arbeitgeber über einen Mangel an Arbeitnehmern mit den notwendigen Kompetenzen berichten. Für eine voll funktionsfähige und effektive Gesellschaft ist es jedoch von größter Bedeutung, die Abstimmung von Kompetenzangebot und -nachfrage mit der Schaffung hochwertiger Arbeitsplätze in Einklang zu bringen und die Bedeutung der grenzüberschreitenden Mobilität als Möglichkeit für diese Abstimmung hervorzuheben.

4.9.

In der neuen Agenda wird die Bedeutung sowohl der Inklusion als auch des Erwerbs von Kompetenzen zur Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit hervorgehoben. Zudem liegt ihr Schwerpunkt hauptsächlich auf dem Bedarf der Wirtschaft, während der EWSA eine stärkere Berücksichtigung der Kompetenzen für erforderlich hält, die für die Gesellschaft im weiteren Sinne relevant sind. Von solchen Kompetenzen profitiert sowohl der Einzelne als auch die Gesellschaft insgesamt; dazu zählen u. a. bereichsübergreifende oder Querschnittskompetenzen oder persönliche Kompetenzen (z. B. kritisches und kreatives Denken, soziale, bürgerschaftliche und kulturelle Kompetenzen) (6). Der EWSA bedauert ferner, dass in der neuen Agenda unternehmerische Kompetenz (im weiteren Sinne, d. h. als Unternehmungsgeist) nicht als Lebenskompetenz herausgestellt wird, die jedem Einzelnen zugutekommt.

4.10.

Außerdem verweist der EWSA erneut auf eine verpasste Gelegenheit, die mehrere Milliarden Euro gekostet hat, nämlich die mangelnde Unterstützung für Unternehmerinnen (7). Frauen schaffen als Unternehmerinnen Arbeitsplätze, Innovationen und neue Kompetenzen in allen Wirtschaftszweigen. Daneben fördern sie das soziale Unternehmertum, die Gemeinschaft und soziale Innovation (8).

4.11.

Der EWSA ist sich bewusst, dass unbedingt dafür gesorgt werden muss, dass alle jungen Menschen über Grundkompetenzen verfügen, bedauert jedoch, dass in der neuen Agenda keine spezifischen Maßnahmen enthalten sind, die der zentralen Rolle des nichtformalen und informellen Lernens bei der Vorbereitung junger Menschen auf das Leben gerecht werden. Außerhalb des formalen Systems der allgemeinen und beruflichen Bildung erworbene Fähigkeiten und Kompetenzen befähigen junge Menschen, einen Arbeitsplatz und ihren Platz in der Gesellschaft zu finden und ihren Beitrag zur Gesellschaft im weiteren Sinne zu leisten. Die meisten der kommunikativen, kulturellen, persönlichen und Führungskompetenzen, die Arbeitgeber suchen, werden über das nichtformale und informelle Lernen erworben, weswegen diese Kompetenzen validiert und anerkannt werden müssen (9).

4.12.

In Anbetracht der Vorrangstellung für Investitionen in Bildungsdisziplinen, die eher für die Stärkung der nationalen Volkswirtschaften relevant sind, ist der EWSA der Ansicht, dass die neue Agenda die Regierungen nicht dazu ermuntern sollte, sich den im Bukarester Kommuniqué zum Bologna-Prozess eingegangenen Verpflichtungen für eine angemessene Finanzierung der Hochschulbildung zu entziehen. Solche Differenzierungen könnten zu Lasten anderer Bereiche der Bildung gehen und den allgemeinen Zugang zu Bildung und allgemeinen Kompetenzen einschränken.

4.13.

Um jungen Menschen die Integration in den heutigen Arbeitsmarkt weiter zu erleichtern, sollten die Mitgliedstaaten ferner zu dem strategischen Rahmen für die europäische Zusammenarbeit auf dem Gebiet der allgemeinen und beruflichen Bildung („ET 2020“) auf der Grundlage der nach wie vor gültigen Oslo-Agenda aus dem Jahr 2006 zurückkehren. Ohne weitere Fortschritte in den MINT-Fächern und im Bereich der praktischen Fähigkeiten wird es schwer werden, die berufliche Aus- und Weiterbildung sowie die Lehrlingsausbildung zu verbessern.

4.14.

Der EWSA hebt hervor, dass in erster Linie die nationalen Bildungssysteme für eine effiziente und gut funktionierende allgemeine und berufliche Bildung zuständig sind; die Verantwortung für die Sicherstellung eines Mindestmaßes an Grundfertigkeiten liegt also bei den Regierungen der Mitgliedstaaten. Daher sollte die Kommission unbedingt prüfen, ob die neue Agenda die erforderlichen Änderungen auf der nationalen Ebene ermöglicht und fördert und die Mitgliedstaaten tatsächlich dabei unterstützt, die vorhandenen Mittel besser einzusetzen. Dennoch sollte ein nationales System für die Konsultation zwischen Regierungen und Interessenträgern unterstützt werden, um den sozialen Dialog zu stärken, die Zusammenarbeit zu fördern und die wirksame Verbreitung bewährter Verfahren sowie die rasche Einholung von Rückmeldungen und Sammlung von einschlägigen Daten sicherzustellen.

4.15.

Der EWSA ist jedoch besorgt, dass die vorgeschlagenen Initiativen ins Leere laufen könnten, da sich viele Länder in Europa noch in der Krise befinden. Die Korrektur der ungleichen Ausgangsbedingungen für junge Menschen und die Förderung einer hochwertigen lebenslangen allgemeinen und beruflichen Bildung für alle könnten durch die Haushaltskürzungen, insbesondere bei den Mitteln für die allgemeine und berufliche Bildung, erschwert werden.

4.16.

Für den EWSA ist das Fehlen eines neuen Finanzierungsplans für die Durchführung der neuen Agenda nicht hinnehmbar. Er schlägt vor, die Agenda in einen unterstützenden makroökonomischen Rahmen einzubetten, bei dem Investitionen in die Kompetenzen und Fertigkeiten der Menschen nicht als Kosten betrachtet werden, sondern als Anfangsinvestition, die sich im Laufe der Zeit amortisiert.

4.17.

Der EWSA ist überzeugt, dass auch die bestmögliche Nutzung bestehender Finanzierungsprogramme nicht ausreichen wird, um die Ziele der Agenda zu erreichen. Daher werden über die in dem Dokument angekündigten möglichen Anpassungen im Zuge der Halbzeitüberprüfung des mehrjährigen Finanzrahmens 2014-2020 hinaus zusätzliche Finanzmittel erforderlich sein. Der EWSA fordert die Mitgliedstaaten ferner auf, ihre Bildungsausgaben aufzustocken und dafür zu sorgen, dass die Mittel wirksam eingesetzt werden. Seiner Ansicht nach sollten die Beiträge der Mitgliedstaaten zu den Ausgaben für die allgemeine und berufliche Bildung nicht in die Berechnung ihres Haushaltsdefizits einfließen.

4.18.

Zudem unterstreicht der EWSA, dass die vorgeschlagenen Finanzierungsquellen für die neue Agenda — der ESF und Erasmus+ — bereits auf nationaler Ebene eingeplant und aufgeteilt werden, was ihre Verwendung für die Umsetzung der Agenda noch unsicherer macht.

4.19.

Der EWSA begrüßt die starke Betonung des Dialogs und der Abstimmung mit den Sozialpartnern und den Unternehmen in der neuen Agenda und ruft zu einer weiteren Stärkung dieses Dialogs auf, um die Abstimmung von Kompetenzbedarf und -nachfrage zu verbessern und Fachkräften einen besseren Zugang zum Arbeitsmarkt zu sichern, beides sowohl im Rahmen des Neubeginns für den sozialen Dialog  (10) als auch in den Mitgliedstaaten. Ferner muss auch die Rolle anerkannt und unterstützt werden, die den zivilgesellschaftlichen Organisationen aufgrund ihrer umfangreichen Erfahrung als Dienstleistungserbringer im sozialunternehmerischen Kontext und ihrer Bereitschaft zukommt, sozialunternehmerische Kompetenzen einzubringen, die einen wichtigen Baustein der Agenda bilden. Daneben ist es insbesondere mit Blick auf die Ausschöpfung des Potenzials von unternehmerischer Initiative und Kompetenz wichtig, die berufsständischen Vertretungsorgane an dem Dialog zu beteiligen.

4.20.

Ferner betont der EWSA die Notwendigkeit, einen stärkeren Schwerpunkt auf gezielte Maßnahmen zu legen, um benachteiligte Gruppen, darunter auch Menschen mit Behinderungen, zu erreichen. Dies umfasst auch die Erhebung von Daten auf der nationalen Ebene, um die Wirkung der derzeitigen Maßnahmen auf die Zielgruppen zu bewerten und um sicherzustellen, dass die Maßnahmen auf die spezifischen Bedürfnisse der Lernenden in Bezug auf Zugang, Dauer und Ergebnis zugeschnitten sind. Dies bedeutet eine partnerschaftliche Zusammenarbeit mit Entscheidungsträgern, Organisationen und Verbänden, die unmittelbar mit den potenziell Begünstigten arbeiten. Einige dieser Verbände sind u. U. recht klein, weswegen sie keinen Zugang zu EU-Fördermitteln haben. Daher sollten Lösungen gesucht werden, um ihnen den Zugang zu einer solchen finanziellen Unterstützung zu erleichtern.

5.   Zu dem Vorschlag zur Einführung einer Kompetenzgarantie

5.1.

Nach Auffassung des EWSA wird die vorgeschlagene Kompetenzgarantie nur dann spürbar etwas bewirken, wenn die Lehren aus der Umsetzung der Jugendgarantie berücksichtigt werden (d. h. Vermeidung von Überschneidungen, Sicherstellung von mehr Kohärenz). Insbesondere sollte die Sicherstellung einer rascheren Umsetzung der Kompetenzgarantie angestrebt werden, sie sollte über einen integrierten Ansatz mit begleitenden sozialen Diensten einhergehen, offener sein für Partnerschaften mit Unternehmen, Sozialpartnern und zivilgesellschaftlichen Organisationen und flexibler sein, um Begünstigten mit besonderem Integrationsbedarf gerecht zu werden. Die Kompetenzgarantie sollte eher als Mehrwert schaffende Interventionsmaßnahme und weniger als reine Maßnahme zur Schaffung von Arbeitsplätzen betrachtet werden.

5.2.

Der EWSA hat schon früher betont (11), dass die Entwicklung von Kompetenzen im digitalen Zeitalter im Kontext eines raschen und gelegentlich disruptiven Wandels stattfindet, in dem sich Geschäftsmodelle grundlegend ändern können. Einige Auswirkungen der Digitalisierung auf die Beschäftigung sind bereits sichtbar, wobei verschiedene Schätzungen darauf hindeuten, dass etwa 50 % der heutigen Arbeitsplätze mit mittlerem Qualifikationsniveau in den nächsten 20 Jahren durch digitale Technik ersetzt werden und dass die Arbeitnehmer künftig alle fünf Jahre umfassende Umschulungsmaßnahmen benötigen werden (12). Daher sind ein Konzept für kontinuierliche Umschulungen und lebenslanges Lernen sowie ein enger Dialog mit den Unternehmen, den Sozialpartnern und den Interessenträgern umso wichtiger. Der EWSA drängt auf weitere Lösungen für die Aufstockung der für die Sicherstellung einer raschen Vermittlung von Kompetenzen erforderlichen Finanzmittel, wie etwa öffentliche und private Investitionen. Auch die in einigen Mitgliedstaaten eingesetzten Instrumente, z. B. Tarifverträge zur Regelung von bezahlter Bildungsfreistellung, sollten geprüft werden.

5.3.

Der EWSA ist deshalb der Auffassung, dass es nicht ausreicht, den Einzelnen dabei zu unterstützen, ein Mindestmaß an Kompetenzen zu erwerben, und dass unbedingt sicherzustellen ist, dass die Kompetenzgarantie zu einem garantierten Ausbildungsweg wird, der den Menschen Fortschritte und den Aufstieg bis zum höchsten jeweils erreichbaren Qualifikationsniveau ermöglicht. Ziel der Garantie sollte nicht nur die Verbesserung der Grundkompetenzen sein, sondern sie sollte auch den Erwerb höherer Qualifikationen und umfassenderer Kompetenzen ermöglichen. Andernfalls bleiben diese Personen, insbesondere Frauen (13) und ältere Menschen, in Arbeitslosigkeit oder gering qualifizierten Tätigkeiten gefangen, die in einer digitalisierten Welt zunehmend weniger werden.

5.4.

Zugleich sollte berücksichtigt werden, dass der Ausbau individueller Kompetenzen allein nicht den gewünschten Effekt der Beschäftigungsfähigkeit erzielen wird, wenn nicht eng miteinander verknüpfte sozial-, wirtschafts- und gleichstellungspolitische Unterstützungsmaßnahmen ebenfalls weiterentwickelt werden. Dies gilt insbesondere für Maßnahmen in folgenden Bereichen: Dienstleistungen, die eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf ermöglichen, die Förderung von unternehmerischer Initiative, Unterstützung für Alleinerziehende in Schwierigkeiten, die Bereitstellung von qualitativ hochwertiger, zugänglicher und bezahlbarer Ganztagskinderbetreuung als wesentlicher Impulsgeber für die Steigerung der Erwerbsbeteiligung von sowohl Frauen als auch von Männern sowie die Verfügbarkeit guter Pflege- und Betreuungsdienste für ältere Menschen usw (14).

5.5.

Der EWSA verweist auf die wesentliche Rolle der Sozialpartner und ihrer Tätigkeiten (15) für die Kompetenzförderung und die Entwicklung der einschlägigen Politik. Nach Auffassung des EWSA sollte ferner die Rolle der einschlägigen zivilgesellschaftlichen Organisationen angesichts ihrer weitreichenden Erfahrung mit Qualifizierungsmaßnahmen für Menschen, die derzeit keinen Zugang zum Arbeitsmarkt haben, stärker hervorgehoben werden. Diese Gruppen weisen gewöhnlich ein niedrigeres Qualifikationsniveau auf, daneben sind ihre Verbindungen zu anderen Bildungsträgern wie etwa öffentliche Arbeitsverwaltungen, Anbieter von formaler allgemeiner und beruflicher Bildung usw. schwächer ausgeprägt. Zudem macht die Vielfalt der Dienstleistungsnutzer, die sich bei gemeinnützigen Anbietern von Diensten für die Arbeitsintegration sammeln und die teilweise komplexe Bedürfnisse haben, die zivilgesellschaftlichen Organisationen zu geeigneten Akteuren für maßgeschneiderte Lernangebote, die eine der drei Säulen der Kompetenzgarantie bilden. Wenn Geringqualifizierte die wichtigste Zielgruppe der Kompetenzgarantie sind, sollten die zivilgesellschaftlichen Organisationen als mit die wichtigsten Akteure bei ihrer Umsetzung anerkannt werden.

5.6.

Der EWSA ist der Auffassung, dass sich Staat, Unternehmen, Lernende und Bildungsanbieter die Aufgaben und Zuständigkeiten für den Erwerb von Qualifikationen und Bildungsmöglichkeiten der zweiten Chance sowie für Weiterbildungsprogramme teilen und die Tätigkeiten auf einer erfolgreichen Zusammenarbeit aufbauen sollten. Doch ist noch nicht klar, wie die für Arbeitgeber und Arbeitnehmer erforderlichen Anreize geschaffen werden sollen, damit sie solche Aufgaben und Zuständigkeiten zur Steigerung des Kompetenzniveaus akzeptieren und sich daran beteiligen.

6.   Zu dem Vorschlag zur Überarbeitung des Europäischen Qualifikationsrahmens

6.1.

Nach Auffassung des EWSA sollte der Schwerpunkt bei der Weiterentwicklung des EQR auf die Stärkung der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten, den Sozialpartnern und anderen Interessenträgern gelegt werden, was das gegenseitige Vertrauen in die jeweiligen Qualifikationsrahmen und Qualitätssicherungssysteme im Bildungsbereich stärken würde. Im Sinne der Grundsätze des lebenslangen Lernens sollte berücksichtigt werden, wie wichtig die Anerkennung von Kompetenzen und Qualifikationen für die Weiterbildung und nicht nur für den Arbeitsmarkt ist. Bei formalen Qualifikationen müssen Wege zur Validierung von Kompetenzen gefunden werden, die über nichtformales und informelles Lernen erworben wurden, wobei Querschnittskompetenzen besonders zu berücksichtigen sind. Dies ist nur eine Möglichkeit zum Wissenserwerb über alternative und flexiblere Lernpfade, für die die Grundprinzipien von Lernergebnissen und Qualifikationsrahmen eine solide Grundlage schaffen.

6.2.

Diesbezüglich ist anzumerken, dass die ESCO zwar über großes Potenzial verfügt, sich aber noch in der Entwicklungsphase befindet und Unsicherheit unter den Mitgliedstaaten hervorruft. Die ESCO sollte die Entwicklung des EQR und seine Nutzung unterstützen, aber zunächst muss die Zuordnung abgeschlossen werden, damit die ESCO einsatzfähig werden kann.

6.3.

Der EWSA stimmt zu, dass die Verständlichkeit und Vergleichbarkeit der verschiedenen Qualifikationen verbessert werden müssen. Vor diesem Hintergrund ist sehr zu begrüßen, dass der Schwerpunkt der vorgeschlagenen Überarbeitung auf der Stärkung von Transparenz und Kohärenz des EQR liegt. Dennoch muss unbedingt darauf geachtet werden, dass die Bemühungen um eine Aufwertung des EQR nicht zu aufwendig und bürokratisch werden.

6.4.

Der EWSA betont, dass insbesondere mit dem Ziel eines hohen Qualifikationsniveaus vor Augen noch viel getan werden muss, um das nichtformale und informelle Lernen so zu stärken, dass es problemlos in bestehende formale Systeme der allgemeinen und beruflichen Bildung auf eine Art und Weise einfließen kann, die für alle einschlägigen Akteure akzeptabel ist. Derzeit findet eine solche Integration nur sehr begrenzt statt, da allgemein anerkannte Begriffsbestimmungen in Bezug auf die Äquivalenz fehlen, das gegenseitige Vertrauen in die nationalen Qualifikationsrahmen gering ist und große Unterschiede bei den Referenzwerten zwischen den nationalen Qualifikationsrahmen und dem EQR bestehen.

6.5.

Der EWSA empfiehlt ferner mehr Kohärenz zwischen den Qualifikationsinstrumenten der EU — d. h. EQR, ECVET und EQAVET.

7.   Zu dem Vorschlag zur Überarbeitung des Europass-Rahmens

7.1.

Der EWSA unterstützt den neuen Europass-Rahmen nachdrücklich, insbesondere die Weiterentwicklung des Europasses von einem Angebot von Dokumenten hin zu einer Dienstleistungsplattform.

7.2.

Nach Ansicht des EWSA sollte die Einrichtung einer EU-weiten Plattform, über die die Bürgerinnen und Bürger Zugang zu verschiedenen Diensten erhalten, vor allem auf Transparenz, Nutzerfreundlichkeit, Zugänglichkeit und Effizienz ausgerichtet sein. Es muss unbedingt dafür gesorgt werden, dass der Zugang von Menschen mit Behinderungen zum Europass-Rahmen sichergestellt ist. Ferner muss der Zugang zu Informationen auch unter dem Gesichtspunkt des räumlichen Umfelds berücksichtigt werden, da manche Behinderungen die Fähigkeit zur Nutzung von IT-Systemen einschränken; für diese Fälle sollten spezielle Zugangspunkte und andere alternative Zugangsmöglichkeiten bereitgestellt werden.

7.3.

Der EWSA hat jedoch Bedenken, ob es ethisch gerechtfertigt ist, Finanzmittel aus dem Erasmus+-Programm zu nutzen — vorgesehen sind Anfangsinvestitionen in Höhe von 2 500 000 EUR in die Entwicklung von Webdiensten zur Beschreibung von Kompetenzen und Qualifikationen. Gleichzeitig fordert der EWSA die Kommission zu einer realistischeren Neubewertung der Auswirkungen auf den Haushalt auf, da sich für die Mitgliedstaaten finanzielle Auswirkungen ergeben werden, die dem erweiterten Ausmaß der gesammelten Informationen und der infolge dessen erforderlichen Aufrüstung ihrer eigenen Instrumente und Kanäle für die Übermittlung von Daten geschuldet sind.

7.4.

Der EWSA hält es ferner für wichtig, auch die Auswirkungen auf den Haushalt zu bewerten, die mit der Verbreitung des neuen Europasses in der Öffentlichkeit verbunden sind, da der Erfolg des neuen Rahmens nicht nur stark von der allgemeinen Verbesserung der Qualität und Anzahl der Dienste, sondern auch von einer deutlichen Erhöhung der Nutzerzahl abhängt.

Brüssel, den 22. Februar 2017

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  http://ec.europa.eu/growth/smes/promoting-entrepreneurship/we-work-for/liberal-professions_en.

(2)  Dieser Anteil ist in der Altersgruppe zwischen 55 und 65 Jahren höher, in der 50 % der Erwachsenen keine grundlegenden IKT-Kompetenzen haben. OECD, Studie zu den Kompetenzen Erwachsener im Rahmen des Programms für die internationale Kompetenzmessung bei Erwachsenen (PIAAC), Juni 2015.

(3)  Z. B. Europäische Kommission, Anzeiger für die allgemeine und berufliche Bildung 2016, September 2016; European Policy Centre, „Towards a Europeanisation of Youth Employment Policies? A Comparative Analysis of Regional Youth Guarantee Policy Designs“, September 2016.

(4)  Internationale Arbeitsorganisation, „Skills mismatch in Europe“ Statistics Brief, September 2014.

(5)  http://ec.europa.eu/growth/smes/promoting-entrepreneurship/we-work-for/liberal-professions_en.

(6)  Stellungnahme des EWSA zum Thema Förderung von Kreativität, unternehmerischer Kompetenz und Mobilität in der allgemeinen und beruflichen Bildung (ABl. C 332 vom 8.10.2015, S. 20).

(7)  Stellungnahme des EWSA zum Thema Unternehmerinnen (ABl. C 299 vom 4.10.2012, S. 24).

(8)  10 Länderfallstudien zur Wirkung von Sozialunternehmertum von Frauen in Europa wurden im Rahmen des Projekts WEStart der Europäischen Frauenlobby untersucht.

(9)  Stellungnahme des EWSA zu EU-Politik und Freiwilligentätigkeit, (ABl. C 181 vom 21.6.2012, S. 150).

(10)  Ein Neubeginn für den sozialen Dialog, Erklärung des Vorsitzes des Rates der Europäischen Union, der Europäischen Kommission und der europäischen Sozialpartner, 27. Juni 2016.

(11)  EWSA-Stellungnahme „Auswirkungen der Digitalisierung auf die Dienstleistungsbranche und die Beschäftigung“ (ABl. C 13 vom 15.1.2016, S. 161).

(12)  Z. B. Bowles, J. „The computerisation of European jobs — who will win and who will lose from the impact of new technology onto old areas of employment?“, 2014, „The computerisation of European jobs“, Frey, C. M., Osborne, M. „The future of employment: How susceptible are jobs to computerisation?“, 2013, Pajarinen, M., Rouvinen, P., Ekeland, A. „Computerization Threatens One-Third of Finnish and Norwegian Employment“, ETLA, 2015.

(13)  Fahrplan der Europäischen Kommission „Neubeginn zur Bewältigung der Herausforderungen bei der Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben für Erwerbstätige mit Familie“ (liegt nur auf Englisch vor), August 2015.

(14)  Stellungnahme des EWSA zu der Beziehung zwischen Frauenerwerbsquote und Wachstum, (ABl. C 341 vom 21.11.2013, S. 6).

(15)  Gemeinsame Aktivitäten der europäischen Sozialpartner mit Schwerpunkt auf Berufsbildung und insbesondere Lehrlingsausbildung, Investitionen in die allgemeine und berufliche Bildung, Senkung der Schulabbrecherquote und Erzielung besserer Lernergebnisse.


ANHANG

Beispiele relevanter EWSA-Stellungnahmen

SOC/555

Hochwertige Bildung für alle, (2017)

SOC/552

Halbzeitbewertung des Programms Erasmus+, läuft (2017)

SOC/524

Hochschulen engagieren sich für Europa, 2015

SOC/523

Verbesserung der Leistungsfähigkeit nationaler dualer Ausbildungssysteme, (2015)

SOC/521

Die Validierung der durch nichtformales und informelles Lernen erworbenen Kompetenzen und Qualifikationen — der praktische Beitrag der organisierten Zivilgesellschaft, 2015

SOC/518

Förderung von Kreativität, unternehmerischer Kompetenz und Mobilität in der allgemeinen und beruflichen Bildung, (2015)

CCMI/136

Auswirkungen der Digitalisierung auf die Dienstleistungsbranche und die Beschäftigung, 2015

SOC/502

Frauen in der Wissenschaft, 2014

SOC/499

Qualitätsrahmen für Praktika, (2014)

SOC/493

Die Bildung öffnen, 2014

CCMI/118

Beschäftigungsfähigkeit junger Menschen — Anpassung der Ausbildung an den Bedarf der Industrie in Zeiten der Sparpolitik, 2014

SOC/486

Beziehung zwischen Frauenerwerbsquote und Wachstum, 2013

SOC/476

Neue Denkansätze für die Bildung, (2013)

INT/679

Aktionsplan Unternehmertum 2020, 2013

SOC/469

Die Rolle der Wirtschaft für die Bildung in der EU, (2013)

SOC/446

Unternehmerinnen, 2012

SOC/439

Junge Menschen mit Behinderungen, 2012

SOC/438

Erasmus für alle, 2012

SOC/431

EU-Politik und Freiwilligentätigkeit, 2012

SOC/429

Modernisierung von Europas Hochschulsystemen, 2012

SOC/421

Jugendbeschäftigung, technische Fertigkeiten und Mobilität, (2012)

SOC/409

Postsekundäre berufliche Aus- und Weiterbildung als attraktive Alternative zur Hochschulbildung, 2012

SOC/404

Agenda für neue Kompetenzen und neue Beschäftigungsmöglichkeiten, (2011)


31.5.2017   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 173/55


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Eine europäische Strategie für emissionsarme Mobilität“

(COM(2016) 501 final)

(2017/C 173/10)

Berichterstatter:

Stefan BACK

Befassung

Europäische Kommission, 20.7.2016

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft

Annahme in der Fachgruppe

10.2.2017

Verabschiedung auf der Plenartagung

23.2.2017

Plenartagung Nr.

523

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

128/0/2

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) stimmt der europäischen Strategie für emissionsarme Mobilität (1) (im Folgenden „Strategie“) zu, einschließlich ihrer Ziele und Methoden, die im Einklang mit dem Weißbuch Verkehr von 2011 (im Folgenden „Weißbuch“) (2) und den von der EU und ihren Mitgliedstaaten auf der Weltklimakonferenz (COP 21) vorgelegten nationalen Minderungszielen (INDC) stehen, die auch vom EWSA befürwortet (3) werden und auf der Klimakonferenz von Marrakesch (COP 22) unterstützt wurden.

1.2.

Der EWSA bekräftigt die Aussagen seiner Stellungnahmen zu dem Weißbuch und seiner Umsetzung und zu den Auswirkungen der auf der COP 21 getroffenen Vereinbarungen auf die europäische Verkehrspolitik insofern, als die in dem Weißbuch enthaltenen Ziele für die Reduzierung der Treibhausgasemissionen zwar nach wie vor gelten, aber die Methoden für ihre Erreichung aktualisiert und gestärkt werden müssen.

1.3.

Er begrüßt die in der Strategie enthaltenen, über das Weißbuch hinausgehenden Maßnahmen, insbesondere die Förderung der Innovation, einschließlich der europäischen Strategie für kooperative intelligente Verkehrssysteme (4), der Entwicklung vernetzter, integrierter und automatisierter Fahrzeuge und der Integration der Elektrofahrzeuge und des Energiesystems über intelligente Netze sowie der Entwicklung neuer Geschäftsmodelle und neuer Verkehrsmuster infolge des Aufbaus einer Sharing Economy sowie des allgemeinen Ausbaus der digitalen Wirtschaft.

1.4.

Der EWSA befürwortet den ganzheitlichen Ansatz der Strategie, der für Kohärenz zwischen der Verkehrspolitik und anderen Politikbereichen sorgt, wie etwa dem Ausbau des Strommarkts, der Förderung von Forschung und Entwicklung, der Entwicklung neuer Verkehrslösungen und neuer Qualifikationen sowie einer verbesserten Mobilitätsplanung, einschließlich des Ausbaus des öffentlichen Verkehrs. Dieser Ansatz hätte jedoch im Hinblick auf die zwischen der Strategie und der Mitteilung über den weiteren Ausbau des Binnenmarkts bestehenden Verbindungen, u. a. auch Synergien zwischen Marktöffnung und Effizienz, weiter ausgestaltet werden können. Dies gilt auch für die Aussichten der digitalen Wirtschaft, einschließlich der digitalen Mobilität, und die Entwicklung einer Sharing Economy und einer Kreislaufwirtschaft.

1.5.

Der EWSA unterstreicht die potenziellen Auswirkungen der in Ziffer 1.4 beschriebenen Entwicklungen auf die Verkehrsmuster und macht auf ihre sozialen Folgen, auch die Auswirkungen auf die Nutzer und die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten, sowie die Situation der als Unterauftragnehmer eingesetzten Kleinstunternehmen aufmerksam. All diese Fragen erfordern eine zeitnahe Beachtung, um eventuelle Probleme möglichst frühzeitig lösen zu können. Ebenso sollte den Auswirkungen auf isolierte Gebiete Rechnung getragen werden.

1.6.

Der EWSA betont, wie überaus wichtig es ist, das Vertrauen in die Fahrzeugemissionsdaten der Hersteller wiederherzustellen, und begrüßt die dazu vorgesehenen Maßnahmen. Darüber hinaus unterstreicht er, wie wichtig die Unterstützung seitens der Akteure und der Öffentlichkeit, der Dialog mit ihnen sowie die Schritte sind, die unternommen wurden, um die für die früheren falschen Daten Verantwortlichen zu ermitteln und eine Wiederholung zu verhindern.

1.7.

Er begrüßt effizienzsteigernde Maßnahmen wie die Erleichterung der Verwirklichung des transeuropäischen Verkehrsnetzes, eine Überprüfung des Schienennetzes mit Blick auf einen wettbewerbsfähigen Güterverkehr und die Bedeutung, die der Förderung der Multimodalität und der Schaffung von Anreizen für eine Verlagerung auf emissionsärmere Verkehrsträger wie den Schienenverkehr und den kombinierten Verkehr beigemessen wird. Er nimmt die Forderung der Kommission nach einem Marktzugang für Stadt- und Fernbusse zur Kenntnis, empfiehlt der Kommission jedoch, auch andere politische Maßnahmen zur Ausweitung öffentlicher Verkehrsnetze und zur Förderung einer Verkehrsverlagerung weg von Privatfahrzeugen zu erwägen. Daher sollten die verfügbaren Optionen eingehender geprüft werden. Zu seinem Bedauern vermisst er jedoch Aussagen über bessere Regeln für den Marktzugang im Güterkraftverkehr und zu einer höheren Energieeffizienz dank des europäischen modularen Systems für Lastzugkombinationen (EMS). In diesem Zusammenhang verweist der EWSA auch auf seine Stellungnahme zum Thema „Der Binnenmarkt für den internationalen Straßengüterverkehr: Sozialdumping und Kabotage“ (TEN/575) und unterstreicht erneut die Wichtigkeit klarer, durchsetzbarer Vorschriften ebenso wie die Notwendigkeit, alle Formen von Sozialdumping sowie Betrug und Missbrauch in Verbindung mit der Entsendung von Arbeitnehmern und dem Zugang zu Sozialleistungen zu bekämpfen.

1.8.

Der EWSA begrüßt außerdem die Pläne für eine Überarbeitung der Eurovignetten-Richtlinie, weist jedoch erneut darauf hin, wie wichtig Flexibilität ist, um unverhältnismäßige Kostenauswirkungen in entlegenen und dünn besiedelten Gebieten, einschließlich Inseln und Berggebieten, zu vermeiden. Er unterstreicht darüber hinaus, wie wichtig gleiche Wettbewerbsbedingungen zwischen den einzelnen Verkehrsträgern im Hinblick auf Wegeentgelte und externe Kosten sind, um einen fairen Wettbewerb zwischen den Verkehrsträgern sicherzustellen.

1.9.

Er nimmt zur Kenntnis, dass die Frage des europäischen Systems zur elektronischen Mauterhebung (EETS) wieder aufgenommen wird, erinnert jedoch daran, dass dieses System schon 2004 beschlossen und immer noch nicht eingeführt wurde, was ein Indiz dafür ist, dass das gesamte System überprüft werden muss, um die der Umsetzung im Wege stehenden Hindernisse zu beseitigen.

1.10.

Der EWSA begrüßt unter Verweis auf bereits vom ihm geäußerte Ansichten die Aufmerksamkeit, die alternativen Brennstoffen geschenkt wird und in deren Mittelpunkt die Bedeutung der Innovationsförderung und die Notwendigkeit eines geeigneten Rahmens steht, der die grenzüberschreitende Nutzung von Elektrizität, Erdgas, Wasserstoff und nicht die Lebensmittelproduktion beeinträchtigenden Biobrennstoffen ermöglicht. Er begrüßt, dass das Gewicht auf die Interoperabilität und die Standardisierung in der Elektromobilität gelegt wird.

1.11.

Ebenso begrüßt er, dass der wesentlichen Frage der Finanzierungslösungen Beachtung geschenkt wird, und weist darauf hin, dass für Kleinprojekte Kofinanzierungslösungen gefunden werden müssen.

1.12.

Der EWSA begrüßt die Bedeutung, die in der Strategie der Unterstützung seitens der Zivilgesellschaft beigemessen wird. Er betont das Potenzial des partizipativen Dialogs bei der Gewinnung von Unterstützung und der Problemlösung sowie die Möglichkeiten zur Schaffung eines Bündnisses der Zivilgesellschaft und der subnationalen Gebietskörperschaften (5).

1.13.

Im Sinne der Transparenz schlägt der EWSA vor, dass die Kommission einen jährlichen Emissionsanzeiger für den Verkehrssektor veröffentlicht.

1.14.

Er befürwortet die geplanten Maßnahmen der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation (ICAO) und der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation (IMO) und schlägt vor, weitere Maßnahmen zu ergreifen, wie die Führung eines strukturierten Dialogs mit Nachbarländern über einen emissionsarmen Verkehr im Vorfeld spezifischer Projekte.

1.15.

Der EWSA stellt fest, dass bei der vorgeschlagenen Lastenteilung jeder einzelne Mitgliedstaat frei entscheiden kann, wie er die Senkung der Treibhausgasemissionen bewerkstelligt, und empfiehlt, die an den Verkehr gestellten Anforderungen innerhalb der im Weißbuch vorgegebenen Grenzen zu halten.

1.16.

Der EWSA bedauert, dass die Kommission keine Aktualisierung des Weißbuchs mehr beabsichtigt, denn die Digitalisierung, die Entwicklung der Energiepolitik und der von der derzeitigen Kommission bei der Konzipierung und Umsetzung politischer Maßnahmen verfolgte ganzheitliche Ansatz rechtfertigen eine Aktualisierung.

2.   Hintergrund

Emissionsreduktionsverpflichtungen der EU und das Verkehrsweißbuch von 2011

2.1.

Die Europäische Kommission verabschiedete am 20. Juli 2016 ein Maßnahmenpaket zur Verringerung der Emissionen in den nicht unter das Emissionshandelssystem der EU (EHS) fallenden Sektoren („das Paket“).

2.2.

Das Paket ist Teil der Umsetzung der am 23./24. Oktober 2014 vom Europäischen Rat beschlossenen 40 %-igen Verringerung der Treibhausgasemissionen bis 2030 gegenüber dem Stand von 1990 und der von der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten auf der COP 21 in Paris im Dezember 2015 gemachten Zusagen (nationale Minderungsziele, INDC).

2.3.

Gemäß den Schlussfolgerungen vom Oktober 2014 sollen die vom EHS erfassten Sektoren ihre Emissionen um 43 % und die nicht darunter fallenden Sektoren, wie etwa der Verkehrssektor ohne den Luftverkehr, um 30 % senken, wobei die Emissionssenkungen auf der Grundlage von Fairness und Solidarität auf die Mitgliedstaaten aufgeteilt werden sollen. In den Schlussfolgerungen wird der Verkehrssektor nicht ausdrücklich genannt.

2.4.

In dem Verkehrsweißbuch von 2011 [COM(2011) 144] wird festgestellt, dass die Industrieländer ihre Treibhausgasemissionen „bis 2050 um 80 bis 95 % gegenüber 1990 verringern“ müssen, um die Erderwärmung auf unter 2 oC zu begrenzen. Beim Verkehrssektor würde es genügen „bis 2050 [den] Treibhausgasausstoß […] um mindestens 60 % gegenüber 1990“ bzw. bis 2030 um 20 % unter den Stand von 2008 (8 % über dem Stand von 1990) zu senken.

2.5.

Die Kommission hat bestätigt, dass diese Ziele mit dem 2014 beschlossenen Rahmen für die Klima- und Energiepolitik 2020-2030, dem Rahmen für die Energieunion von 2015 und den von der EU eingegangenen INDC-Verpflichtungen vereinbar sind (6).

2.6.

Darüber hinaus hat sie festgestellt, dass in der Zeit nach 2020 weitere Anstrengungen erforderlich sein werden, um diese Ziele zu erreichen (7).

2.7.

Der jüngst durchgeführten Bewertung der bei der Umsetzung des Weißbuchs erzielten Fortschritte zufolge ist es für Schlussfolgerungen noch zu früh; der Schwerpunkt müsse weiter auf der Umsetzung liegen (8).

Das Paket

2.8.

Das Paket besteht aus folgenden Teilen:

der übergeordneten Mitteilung „Beschleunigung des Übergangs Europas zu einer CO2-armen Wirtschaft“ [COM(2016) 500] (im Folgenden „die Mitteilung“);

einem Legislativvorschlag zur Festlegung verbindlicher nationaler Jahresziele für die Reduzierung der Treibhausgasemissionen im Zeitraum 2021-2030 [COM(2016) 482] (im Folgenden „der Lastenteilungsvorschlag“);

einem Legislativvorschlag über die Einbeziehung der Emissionen und des Abbaus von Treibhausgasen aus Landnutzung, Landnutzungsänderungen und Forstwirtschaft (LULUCF) in den Rahmen für die Klima- und Energiepolitik bis 2030 (COM(2016) 479) und

einer europäischen Strategie für emissionsarme Mobilität (COM(2016) 501) (im Folgenden „die Strategie“).

2.9.

Die Mitteilung der Kommission enthält die wesentlichen Grundsätze für die Umsetzung, wie die Lastenverteilung entsprechend den Volkswirtschaften der Mitgliedstaaten (Gerechtigkeit und Solidarität), Flexibilität durch die Nutzung von Emissionsrechten in nicht unter das EHS fallenden Sektoren und die Aufrechterhaltung ehrgeiziger Emissionsreduktionsziele durch eine getrennte Betrachtung der einzelnen Sektoren (Umweltintegrität). In der Mitteilung wird hervorgehoben, wie wichtig es ist, den Übergang durch entsprechende Rahmenbedingungen zu fördern.

2.10.

In dem Lastenteilungsvorschlag wird die Verantwortung für die im Rahmen des COP 21-Übereinkommens von Paris zugesagten INDC unter den Mitgliedstaaten aufgeteilt. Jeder Mitgliedstaat entscheidet selbst, wie er seine Ziele erreicht.

2.11.

Mit der Strategie werden die Emissionssenkungsziele des Weißbuchs umgesetzt. In ihrem Mittelpunkt steht der Straßenverkehr mit folgenden Hauptpunkten:

a)

Effizienz, Verhalten, Anlastung der Wegekosten

Optimierung der Verkehrssysteme

Beeinflussung des Verhaltens durch Mautgebühren

Förderung der Multimodalität

b)

Alternative Kraftstoffe

Förderung emissionsarmer alternativer Energieträger im Verkehrssektor

Entwicklung von Biokraftstoffen der zweiten Generation

Richtlinie über den Aufbau der Infrastruktur für alternative Kraftstoffe (2014/94/EU)

c)

Emissionsarme Fahrzeuge

gemeinsame Normen für den grenzüberschreitenden Reiseverkehr

Förderung emissionsfreier Fahrzeuge, u. a. durch die Vergabe öffentlicher Aufträge

Bescheinigung der CO2-Emissionen und des Kraftstoffverbrauchs von Bussen und Lkw

Wiederherstellung des Vertrauens in die Messung der Abgasemissionen im praktischen Fahrbetrieb

d)

Schaffung entsprechender Rahmenbedingungen: Synergien, neue Geschäftsmodelle, Innovation, digitale Wirtschaft, Weiterentwicklung der Qualifikationen, Investitionen und Förderung

Schaffung günstiger Rahmenbedingungen für emissionsarme Mobilität durch Synergien mit anderen Politikbereichen, Forschung, Innovation und Kompetenzaufbau

e)

Luft- und Seeverkehr — internationale Maßnahmen

Die Internationale Zivilluftfahrt-Organisation (ICAO) hat nun eine globale marktgestützte Maßnahme für den Luftverkehr vorgeschlagen und die Internationale Seeschifffahrtsorganisation (IMO) entwickelt derzeit Gestaltungskriterien für die Energieeffizienz in der Schifffahrt, angefangen bei der Emissionsüberwachung.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Der EWSA befürwortet entsprechend seinem Standpunkt zu dem Weißbuch und den INDC der EU (9) die Ziele der Strategie.

3.2.

Der EWSA bekräftigt, dass er die Ziele des Weißbuchs unterstützt, und bedauert wie bereits in seiner 2015 verabschiedeten Stellungnahme zur Umsetzung des Weißbuchs erneut, dass der Verkehrsbinnenmarkt bei weitem noch nicht vollendet ist und dahingehende Maßnahmen begrüßenswert wären (10). Durch die Vollendung des Binnenmarkts ließen sich die Ressourceneffizienz verbessern und die Emissionen senken. Dies muss durch klare, durchsetzbare Vorschriften erreicht und von Maßnahmen zur Bekämpfung aller Formen von Sozialdumping sowie von Betrug und Missbrauch in Verbindung mit der Entsendung von Arbeitnehmern und dem Zugang zu Sozialleistungen flankiert werden.

3.3.

Der EWSA unterstützt auch die neuen, innovativen Elemente der Strategie, wie kooperative intelligente Verkehrssysteme (C-ITS), einschließlich der Entwicklung kooperativer, vernetzter und automatisierter Fahrzeuge und der Integration der Elektrofahrzeuge in das Energiesystem über intelligente Netze, der Konzipierung neuer Geschäftsmodelle und Verkehrsmuster infolge des Aufbaus einer Sharing Economy durch IT-Plattformen sowie des generellen Ausbaus der digitalen Wirtschaft. Die digitalen Systeme werden sich außerdem sowohl auf den Personen- als auch den Güterverkehr auswirken und beispielsweise die Verkehrsströme und die Möglichkeit, eine ressourcenschonende Wahl zur Emissionssenkung zu treffen, verbessern (11).

3.4.

Er betont, wie überaus wichtig es ist, das Vertrauen in die Fahrzeugemissionsdaten der Hersteller wiederherzustellen, und begrüßt die dazu vorgesehene Maßnahme. Er unterstreicht, wie wichtig die Unterstützung seitens der Akteure und der Öffentlichkeit, der Dialog mit ihnen sowie die Schritte sind, die unternommen wurden, um die für die früheren falschen Daten Verantwortlichen zu ermitteln und eine Wiederholung zu verhindern.

3.5.

Er bekräftigt, dass viele der vorgeschlagenen Maßnahmen Flexibilität und eine Anpassung an die örtlichen Bedingungen, einschließlich Straßenbenutzungsgebühren, erfordern (12).

3.6.

Er befürwortet weiterhin die Ziele des auf der COP 21 in Paris geschlossenen Übereinkommens und die INDC der EU und bleibt bei seiner Auffassung, dass diese Verpflichtungen nicht über die im Weißbuch festgelegten Ziele hinausgehen (13). Er nimmt zur Kenntnis, dass die Vertragsparteien in der „Proklamation von Marrakesch“ die Umsetzung des Übereinkommens von Paris und die Schaffung einer Marrakesch-Partnerschaft für globales Handeln unter Einbeziehung auch anderer Interessenträger als nur der Vertragsparteien unterstützen.

3.7.

Der EWSA bekräftigt seine Auffassung, dass die Umsetzung des Weißbuchs und die Rahmenstrategie für eine krisenfeste Energieunion (COM(2015) 80 final) überprüft und gegebenenfalls um neue Maßnahmen ergänzt werden müssen, um ihre Ziele zu erreichen (14).

3.8.

Der EWSA betont, dass ein der Umsetzung der Strategie förderliches Umfeld bzw. günstige Rahmenbedingungen geschaffen werden müssen, und verweist in diesem Zusammenhang auf die Mitteilung der Kommission „Nach Paris“ (15), in der es heißt: „Das fragmentierte System mit unkoordinierten nationalen Strategien, Markthemmnissen und in Bezug auf die Energieversorgung isolierten Gebieten muss der Vergangenheit angehören“. Die Energieunion bildet einen Rahmen zur Schaffung eines der Energiewende förderlichen Umfelds, und mit der künftigen Strategie für Forschung, Innovation und Wettbewerbsfähigkeit werden sich die Synergien nutzen lassen, die zwischen den Bereichen Energie, Verkehr, Kreislaufwirtschaft sowie industrielle und digitale Innovation bestehen, um die Wettbewerbsfähigkeit der bestehenden und künftigen europäischen CO2-armen und Energieeffizienztechnologien zu steigern. Wie bereits in Ziffer 3.3 erwähnt, umfasst dies auch Maßnahmen zur Verbesserung der Qualifikationen und die Förderung von Forschung und Entwicklung.

Die Aktivierung breiter Kreise der Zivilgesellschaft — Bürger, Verbraucher, Sozialpartner, KMU, innovative Start-up-Unternehmen und weltweit wettbewerbsfähige Branchen — ist erforderlich. Intelligente Städte und städtische Ballungsgebiete und ihre Rolle bei der Weiterentwicklung des öffentlichen Verkehrs und der Verkehrsplanung werden als ein Umfeld genannt, in dem die künftige Transformation zu großen Teilen Gestalt annehmen wird (16).

3.9.

Die Strategie stützt sich auf einen sektorübergreifenden Ansatz, z. B. wenn die Notwendigkeit günstiger Rahmenbedingungen erwähnt und auf digitale Mobilitätslösungen und Verbindungen zur Energiepolitik verwiesen wird. Dieser Ansatz steht mit der Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen über die Umsetzung des Weißbuchs und mit der Mitteilung der Kommission zum Ausbau des Binnenmarkts in Einklang. Mit beiden wird angestrebt, die Öffentlichkeitswirksamkeit sektorspezifischer Maßnahmen zu erhöhen und sie verständlicher zu machen, indem sie in übergreifende EU-Strategien eingebettet werden (17).

3.10.

Der EWSA befürwortet den in der Strategie gegenüber der Verkehrspolitik verfolgten ganzheitlichen Ansatz, hätte sich aber eine tiefere Ausgestaltung gewünscht, z. B. im Hinblick auf die Kohärenz zwischen der Strategie und der Mitteilung über den Ausbau des Binnenmarkts, auch in Bezug auf die Synergien zwischen Marktöffnung und Effizienz, die vom digitalen Binnenmarkt ausgehenden Chancen, die Sharing Economy und die Kreislaufwirtschaft, einschließlich der Auswirkungen auf die Verkehrsmuster sowie sozialer Aspekte (18).

3.11.

In der Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen zu der Strategie wird eine Reihe neuer „gesellschaftlicher“ Entwicklungen wie die Sharing Economy im Verkehrssektor, selbstfahrende und vernetzte Fahrzeuge, Digitalisierung und Mobilität als Dienstleistung erwähnt. Diese Entwicklungen, einschließlich der zunehmenden Nutzung von Internetplattformen, sollten in der Strategie erwähnt werden.

3.12.

Der EWSA bedauert, dass in der Strategie nicht auf die sozialen Aspekte — darunter auch die Verbraucherrechte, Arbeitsmarktbeziehungen und die Rolle von Mikrounternehmen — einiger geplanter Initiativen, wie etwa des Vorhabens betreffend kooperative intelligente Verkehrssysteme (C-ITS), der digitalen Wirtschaft, neuer Verkehrsmuster oder einer weiteren Marktöffnung in verschiedenen Verkehrssektoren eingegangen wird. Er hält es für wichtig, sich frühzeitig mit diesen Fragen zu befassen, um unnötige Spannungen zu vermeiden.

3.13.

Der EWSA begrüßt, dass in der Strategie die Frage der Finanzierung angesprochen wird, da sie für die Umsetzung der Strategie ausschlaggebend ist. Er macht auf den Finanzierungsbedarf von Gebieten mit begrenzten finanziellen Mitteln und von Projekten aufmerksam, die nicht groß genug sind, um die Schwellenwerte für eine EU-Kofinanzierung zu erreichen. Wie im Energiesektor sollte auch im Verkehrssektor die Möglichkeit bestehen, kleine Projekte zu finanzieren.

3.14.

Der EWSA hält es für wichtig, das Weißbuch — wie von der Kommission bereits für 2016 geplant (19) — zu überarbeiten. Er teilt nicht die Auffassung, dass es für eine Bewertung der Umsetzung noch zu früh ist (20), da Entwicklungen wie die Digitalisierung, die Entwicklung der Energiepolitik und der ganzheitliche Politikgestaltungs- und Umsetzungsansatz der derzeitigen Kommission eine Aktualisierung des Weißbuchs rechtfertigen.

3.15.

Der EWSA unterstützt die in der Strategie für auswärtiges Handeln enthaltenen Vorschläge, insbesondere die weiteren Maßnahmen im Rahmen der ICAO und der IMO im Luft- und Seeverkehr. Er bedauert, dass in der Strategie keine anderen Formen auswärtigen Handelns erwähnt werden, wie strukturierte Dialoge und Vergleiche mit Nachbarländern in Osteuropa und Nordafrika.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.

Der EWSA begrüßt vorbehaltlich der nachstehenden Anmerkungen den der Strategie beigefügten Aktionsplan:

Er bedauert, dass in dem Aktionsplan zwar die Erleichterung der Verwirklichung der transeuropäischen Verkehrsnetze, eine Überprüfung des europäischen Schienennetzes für einen wettbewerbsfähigen Güterverkehr sowie die Marktzugangsregeln für Stadt- und Fernbusdienste erwähnt werden, von den geplanten Vorschlägen für bessere Regeln über den Zugang zum Straßengüterverkehrsmarkt jedoch keine Rede ist. Hierdurch wird ein Element der Verkehrsmarktregulierung ausgeklammert, bei dem ein erhebliches Potenzial dafür besteht, die Funktionsweise des Marktes zu verbessern, sodass er sich zu einem energie- und ressourceneffizienteren Verkehrssystem entwickeln kann. Der EWSA verweist auf seine Stellungnahme zum Thema „Der Binnenmarkt für den internationalen Straßengüterverkehr: Sozialdumping und Kabotage“ (TEN/575) und unterstreicht erneut die Wichtigkeit klarer, durchsetzbarer Vorschriften ebenso wie die Notwendigkeit, alle Formen von Sozialdumping sowie Betrug und Missbrauch in Verbindung mit der Entsendung von Arbeitnehmern und dem Zugang zu Sozialleistungen zu bekämpfen.

Der EWSA begrüßt die Absicht, die Eurovignetten-Richtlinie (1999/62/EG), die Richtlinie über europäische elektronische Mautsysteme (2004/52/EG) und die Entscheidung der Kommission von 2009 über technische Aspekte des Mautdienstes zu überarbeiten.

Er bekräftigt seine Ansicht, dass Flexibilität und die Vermeidung unangemessener Kostenauswirkungen in abgelegenen, dünn besiedelten Gebieten, einschließlich Inseln und Berggebieten, wichtige Elemente etwaiger kommender Vorschläge sein sollten (21).

Die Richtlinie über europäische elektronische Mautsysteme (EETS) wurde 2004 erlassen, ist aber trotz verschiedener Versuche noch immer nicht umgesetzt worden. Nach Ansicht des EWSA bedarf dieses Konzept einer Überarbeitung, um es für Betreiber und Nutzer attraktiver zu machen.

4.2.

Er teilt die Auffassung, dass die europäische Strategie für kooperative intelligente Verkehrssysteme großes Potenzial für die Erbringung eines Mehrwerts durch höhere Effizienz birgt, und weist auf die Veränderungen hin, die solche Systeme für die Verkehrsmuster, die Marktstruktur, das Vertragsrecht und die sozialen Aspekte mit sich bringen, beispielsweise die zunehmende Zahl von Kleinstunternehmen, die ihre Dienste auf Internetplattformen anbieten. Diesen Aspekten sollte gebührend Rechnung getragen werden (22).

4.3.

Der EWSA befürwortet das Ziel der Strategie, die Multimodalität zu fördern, und betont, dass in jedem Einzelfall den ressourceneffizientesten Verkehrslösungen Vorrang gegeben werden sollte. Er hofft ferner, dass die Bewertung der Richtlinie über den kombinierten Verkehr zu einer nützlichen Aktualisierung mit ausreichender Flexibilität im Interesse einer höchstmöglichen Effizienz führen wird, ohne jedoch einen parallelen Marktzugang für den Straßenverkehr vorzusehen. Er betont, wie wichtig es ist, Anreize für eine Verlagerung hin zu emissionsarmen Verkehrsträgern, einschließlich des Schienen- und des kombinierten Verkehrs, zu schaffen und in diesem Zusammenhang die Wegeentgelte und externen Kosten so zu regeln, dass ein fairer Wettbewerb zwischen den Verkehrsträgern gewährleistet ist.

4.4.

Der EWSA macht auf die verbesserte Ressourceneffizienz aufmerksam, die bei Lastzugkombinationen mit einer Länge von 25,25 Metern (europäisches modulares System, EMS) erreicht wurde. Zwei EMS-Lastzugkombinationen haben das gleiche Ladevermögen wie drei herkömmliche Kombinationen, was eine bessere Energieeffizienz und geringere Emissionen je Einheit bedeutet. Nach dem Ermessen der einzelnen Mitgliedstaaten sollten EMS-Lastzugkombinationen daher überall dort zulässig sein, wo die Bedingungen es erlauben, auch im grenzüberschreitenden Verkehr.

4.5.

Er befürwortet den in der Strategie gegenüber alternativen Kraftstoffen verfolgten Ansatz einschließlich der Notwendigkeit einer Marktstützung und des Infrastrukturausbaus je nach den unterschiedlichen Erfordernissen der verschiedenen Verkehrsträger, aus heutiger Sicht hauptsächlich a) Elektroantrieb, in erster Linie für Pkw, b) Erdgas in unterschiedlicher Form, am meisten genutzt in Lkw, Bussen und Schiffen und c) Biokraftstoffe. Der EWSA betont, dass sich der Sektor der alternativen Kraftstoffe ständig weiterentwickelt und sich sowohl das Angebot als auch die Nachfrage ändern kann.

4.6.

Der EWSA begrüßt im Einklang mit seinen früheren Standpunkten (23) die Pläne für die Weiterentwicklung von Biokraftstoffen, die nicht aus landwirtschaftlichen Erzeugnissen oder durch eine Flächennutzung gewonnen werden, die die Lebensmittelproduktion beeinträchtigt, sondern aus anderen Quellen wie z. B. Rest-, Neben- und Abfallprodukten, auch aus der Forstwirtschaft.

4.7.

Er unterstreicht die Wichtigkeit einer Einbindung der Zivilgesellschaft und der nachgeordneten Gebietskörperschaften in die Umsetzung der Strategie. Eine wichtige Komponente davon wäre die verstärkte Nutzung des partizipativen Dialogs mit der Zivilgesellschaft, wie der EWSA in seiner Sondierungsstellungnahme „Verkehrs-Weißbuch: Einbindung und Teilhabe der Zivilgesellschaft“ vom 11. Juli 2012 (24) vorgeschlagen hat, die in zwei Konferenzen — in Malmö 2015 und in Mailand 2016 — zur Zukunft der europäischen Kernnetzkorridore mündete, auf denen es um Umsetzungs-, Steuerungs- und Finanzierungsfragen ging.

4.8.

Zur Verbesserung der Transparenz schlägt der EWSA vor, dass die Kommission einen jährlichen Emissionssenkungsanzeiger veröffentlicht.

4.9.

Er weist darauf hin, dass es wichtig ist, wie in der einschlägigen EWSA-Stellungnahme vorgeschlagen (25), Bündnisse zu schaffen, um die Umsetzung zu fördern und Probleme zu lösen.

4.10.

Der EWSA bedauert, dass in dem Lastenteilungsvorschlag keine sektorspezifischen Ziele für die Emissionssenkung angesprochen werden. Laut der Strategie ist das Weißbuch auf den Verkehr ausgerichtet, basierend auf einer soliden Bewertung dessen, was ohne negative Auswirkungen auf die Verkehrsfunktionen machbar ist. Die weiteren, in der Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen zu dieser Strategie beschriebenen Schritte sind zurückhaltend und würden die verkehrsbedingten Emissionen bis 2030 um 18-22 % senken (26), statt der jetzt anvisierten 18-19 %.

Brüssel, den 23. Februar 2017

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  COM(2016) 501 final.

(2)  COM(2011) 144 final.

(3)  ABl. C 24 vom 28.1.2012, S. 146, ABl. C 291 vom 4.9.2015, S. 14 und ABl. C 303 vom 19.8.2016, S. 10.

(4)  COM(2016) 766 final.

(5)  ABl. C 299 vom 4.10.2012, S. 170, ABl. C 389 vom 21.10.2016, S. 20.

(6)  COM(2014) 15 final, S. 14, Ziffer 4.1, COM(2015) 80 final, COM(2011) 112 final, S. 6.

(7)  COM(2014) 15 final, S. 14, Ziffer 4.1.

(8)  SWD(2016) 226.

(9)  ABl. C 24 vom 28.1.2012, S. 146, ABl. C 291 vom 4.9.2015, S. 14 und ABl. C 303 vom 19.8.2016, S. 10.

(10)  ABl. C 291 vom 4.9.2015, S. 14, Ziffern 1.5 und 1.6.

(11)  COM(2016) 766 final.

(12)  ABl. C 24 vom 28.1.2012, S. 146.

(13)  ABl. C 303 vom 19.8.2016, S. 10, Ziffern 1.3, 3.1, 4.6, 5.1 und 5.2.

(14)  ABl. C 303 vom 19.8.2016, S. 10, Ziffern 1.4, 5.2 und 5.3.

(15)  COM(2016) 110 final, Abschnitt 3.1, S. 5.

(16)  COM(2016) 110 final, Abschnitt 3.1, S. 7.

(17)  SWD(2016) 226, Abschnitt 4.1, S. 27.

(18)  COM(2016) 288 final und COM(2016) 356 final.

(19)  ABl. C 303 vom 19.8.2016, S. 10, Ziffern 1.4 und 5.2.

(20)  SWD(2016) 226, Abschnitt 5, S. 34, und Abschnitt 2, S. 4.

(21)  ABl. C 303 vom 19.8.2016, S. 10 — Ziffer 1.6.

(22)  COM(2015) 192 final.

(23)  ABl. C 303 vom 19.8.2016, S. 10, Ziffer 1.8.

(24)  ABl. C 299 vom 4.10.2012, S. 170, Ziffer 1.11 und ABl. C 389 vom 21.10.2016, S. 20.

(25)  ABl. C 389 vom 21.10.2016, S. 20.

(26)  SWD(2016) 501, Abschnitt 5, S. 82-83.


31.5.2017   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 173/62


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Einrichtung der EFSD-Garantie und des EFSD-Garantiefonds“

(COM(2016) 586 final)

(2017/C 173/11)

Berichterstatter:

Jan SIMONS

Befassung

24.11.2016

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Außenbeziehungen

Annahme in der Fachgruppe

31.1.2017

Verabschiedung im Plenum

22.2.2017

Plenartagung Nr.

523

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

205/1/0

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt die Einrichtung der Investitionsoffensive für Drittländer (EIP) sowie den Vorschlag für eine Verordnung über den Europäischen Fonds für nachhaltige Entwicklung (EFSD) und die Einrichtung der EFSD-Garantie und des EFSD-Garantiefonds als Schritte in die richtige Richtung, um die Ursachen für irreguläre Migration zu bekämpfen. Ein weiterer Schwerpunkt des EFSD sollte die Beseitigung der Armut sein.

1.2.

Der EWSA fordert, dass die Lösung der Probleme in den Ländern, aus denen die meisten Migranten kommen, ein besonderer Schwerpunkt sein sollte, denn dort haben wirtschaftliche und soziale Bedingungen sowie die Sicherheitslage zur Zerstörung der Wirtschaft und zu einer Armutsspirale geführt und blockieren alle Bemühungen um eine nachhaltige Entwicklung.

1.3.

Der Ausschuss verweist auf seine früheren Stellungnahmen, in denen er betont hat, wie wichtig die Einbeziehung der Privatwirtschaft in die Entwicklung ist, vorausgesetzt, dass diese Entwicklung mit den Zielen für nachhaltige Entwicklung vereinbar ist und die Privatwirtschaft die wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Grundrechte, die wichtigsten Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) und die Agenda für menschenwürdige Arbeit beachtet. Dies muss auch für die vom EFSD finanzierten Investitionsvorhaben gelten.

1.4.

Nach Ansicht des Ausschusses liegt der Vorschlag zum EFSD auf einer Linie mit seiner eigenen Empfehlung, Entwicklungshilfe als Multiplikator zu verwenden, um privates Kapital für Investitionen in Entwicklungsländern anzuziehen, wobei diese an klar definierte Ziele zu knüpfen sind, wie die Schaffung von mehr und besseren Arbeitsplätzen, die Verbesserung der Fertigungsqualität und die Weitergabe von Management-Know-how an die Privatwirtschaft.

1.5.

Der Ausschuss fordert die Kommission auf, die Erfahrung aus der Umsetzung der Investitionsoffensive für Europa und des Europäischen Fonds für strategische Investitionen zu untersuchen und zu analysieren, um Fehler und Hemmnisse zu vermeiden, wobei zu berücksichtigen ist, dass die Lage in den Partnerländern, in denen der EFSD zum Einsatz kommt, viel komplizierter ist als in den EU-Mitgliedstaaten.

1.6.

Der Ausschuss begrüßt, dass Zusammenarbeit und Leitung über den Strategieausschuss des EFSD koordiniert werden sollen, in dem alle relevanten Organe und Einrichtungen vertreten sein sollten. Angesichts der unersetzlichen Rolle der Zivilgesellschaft in der Entwicklungszusammenarbeit bittet der EWSA darum, ihm im Strategieausschuss Beobachterstatus zu verleihen, und empfiehlt, die repräsentativen zivilgesellschaftlichen Organisationen in den Partnerländern in die Entscheidungsprozesse, einschließlich der Vorbereitung konkreter Projekte, mit einzubeziehen.

1.7.

Der Ausschuss empfiehlt, dass sich die zentrale Anlaufstelle, die für die Investoren eingerichtet werden soll, nicht auf Investitionsfragen beschränkt, sondern denjenigen, die sich bei Entwicklungsmaßnahmen engagieren wollen, Richtlinien und alle notwendigen Informationen und Kontakte zur Verfügung stellt.

1.8.

Nach Ansicht des Ausschusses sollte in die Verordnung die Verpflichtung aufgenommen werden, den EFSD und die Garantie nach Prüfung der Ergebnisse der Umsetzung über 2020 hinaus zu verlängern, und ruft die Kommission, den Rat und das EP auf, dies auch bei der Vorbereitung des neuen mehrjährigen Finanzrahmens zu berücksichtigen.

2.   Wesentlicher Inhalt des Kommissionsvorschlags

2.1.

Am 28. Juni 2016 forderte der Europäische Rat die Kommission auf, einen Vorschlag für eine ambitionierte Investitionsoffensive für Drittländer (EIP) als Teil des neuen EU-Partnerschaftsrahmens für die Zusammenarbeit mit Drittländern im Kontext der Europäischen Migrationsagenda vorzulegen (1). Die neue Investitionsoffensive wird sich auf drei Säulen stützen: einen neuen Investitionsfonds (Säule 1), technische Hilfe (Säule 2), um lokale Behörden und Unternehmen dabei zu unterstützen, eine höhere Anzahl an nachhaltigen Projekten zu entwickeln und Investoren anzuziehen, und (Säule 3) eine Reihe spezifischer thematischer, nationaler und regionaler Programme für die EU-Entwicklungszusammenarbeit in Verbindung mit einem strukturierten politischen Dialog mit dem Ziel der Verbesserung des Investitionsklimas und der allgemeinen politischen Rahmenbedingungen in den betreffenden Ländern.

2.2.

Säule 1 wird durch die Einrichtung des Europäischen Fonds für nachhaltige Entwicklung (EFSD) teilweise umgesetzt. Das Hauptziel des EFSD besteht darin, ein integriertes Finanzpaket für die Finanzierung von Investitionen zu bieten, zunächst in Afrika und in der Europäischen Nachbarschaftsregion. Der EFSD wird aus regionalen Investitionsplattformen zusammengesetzt sein, die Finanzmittel aus bestehenden Mischfinanzierungsfazilitäten mit der EFSD-Garantie kombinieren werden. Er wird als zentrale Anlaufstelle für die Annahme von Finanzierungsvorschlägen von Finanzinstitutionen und öffentlichen oder privaten Investoren dienen und ein breites Spektrum an finanzieller Unterstützung für förderfähige Investitionen bieten.

2.3.

Das wichtigste Ziel des EFSD ist die Bereitstellung eines integrierten Finanzpakets zur Finanzierung von Investitionen in Ländern, die Unterzeichner des Partnerschaftsabkommens zwischen den Mitgliedern der Gruppe der Staaten in Afrika, im karibischen Raum und im Pazifischen Ozean (AKP) einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten (2) andererseits sind, sowie in Ländern in der Europäischen Nachbarschaft, was es ermöglicht, Wachstum und Beschäftigungsmöglichkeiten zu schaffen, die Zusätzlichkeit zu maximieren, innovative Produkte zu liefern und Mittel des Privatsektors (Crowding-in) einzubeziehen. Es wird erwartet, dass durch den EFSD dank Mitteln von 3,35 Mrd. EUR aus dem Gesamthaushalt der Union und anderen Quellen bis zum Jahr 2020 Investitionen von bis zu 44 Mrd. EUR mobilisiert werden.

2.4.

Die Union wird bis 2020 einen Gesamtbetrag von 750 Mio. EUR für die EFSD-Garantie aus dem Gesamthaushalt der Union und dem 11. Europäischen Entwicklungsfonds (EEF) bereitstellen. Die Kommission beabsichtigt, den Spielraum für unvorhergesehene Ausgaben zu nutzen, um 250 Mio. EUR zur Verfügung zu stellen. Sonstige Beiträge aus dem Haushalt der Union würden durch Umschichtungen oder die Neuausrichtung bereits programmierter Mittel bereitgestellt. Weitere Finanzmittel könnten auch Beiträge von anderen Gebern, z. B. den Mitgliedstaaten, umfassen.

2.5.

Der EFSD wird von der Kommission verwaltet und über regionale Investitionsplattformen eingesetzt werden, die Finanzmittel aus bestehenden Mischfinanzierungsfazilitäten für Afrika und die Europäische Nachbarschaft mit der Gewährung der EFSD-Garantie kombinieren werden. Die Kommission wird von einem Strategieausschuss und zwei Exekutivausschüssen — einem für jede regionale Investitionsplattform — beraten. Die Kommission leitet das EFSD-Sekretariat, das dafür sorgt, dass alle für die Verwirklichung der Ziele der EIP notwendigen Aufgaben und Funktionen erfüllt werden.

3.   Allgemeine Erwägungen

3.1.

Der EWSA vertritt die europäische organisierte Zivilgesellschaft in verschiedenen bilateralen Ausschüssen wie AKP-EU, Euromed, Östlicher Partnerschaft, Lateinamerika und anderen und legt seine Ansichten zur unterstützenden Rolle der Zivilgesellschaft bei der Entwicklungsarbeit dar (3). Die Zivilgesellschaft kann bei der Beurteilung des Nutzens und der Nachhaltigkeit von Investitionsvorhaben, bei der Kontrolle der Transparenz ihrer Finanzierung und der Überwachung ihrer Umsetzung eine sehr wichtige Rolle spielen.

3.2.

Nach Ansicht des EWSA ist die große Zahl der Flüchtlinge und irregulären Migranten, die in die EU kommen, eine der größten Herausforderungen für die EU in den letzten Jahren. Diese beiden Phänomene haben unterschiedliche Ursachen und erfordern unterschiedliche Lösungen. Das oberste Anliegen der internationalen Gemeinschaft muss darin bestehen, die militärischen Konflikte zu beenden und eine Friedensvereinbarung herbeizuführen, um die notwendigen Bedingungen für echte Entwicklung und die Umsetzung der Ziele für nachhaltige Entwicklung (SDG) zu schaffen. Neben der wichtigen Funktion der Zivilgesellschaft für Prävention, Mediation und die Lösung von Konflikten, muss die EU als größter Geber von Entwicklungshilfe bei diesen Bemühungen eine führende Rolle spielen.

3.3.

Die Ursachen irregulärer Migration liegen häufig in mageren wirtschaftlichen Aussichten und schwachem Wirtschaftswachstum in den Herkunftsländern in Verbindung mit schlechten sozialen Bedingungen und erheblichen Sicherheitsproblemen, was die Armut verschärft und Tausende von Menschen ins Exil treibt. Der Ausschuss begrüßt die Anstrengungen der Kommission und des Rates, durch Bekämpfung der zugrunde liegenden Ursachen den besten Ansatz für die Lösung der Frage der irregulären Migration zu finden.

3.4.

Öffentliche Entwicklungshilfe bleibt insbesondere in den am wenigsten entwickelten Ländern, in instabilen Staaten und für die am stärksten gefährdeten Personengruppen ein unverzichtbares Mittel der Armutsbekämpfung, sie kann aber nicht den gesamten Entwicklungsbedarf abdecken.

3.5.

Der EWSA ist in seinen Stellungnahmen zur Rolle der Privatwirtschaft (4) und zur Finanzierung der Entwicklung (5) zu dem Schluss gekommen, dass alle verfügbaren Ressourcen genutzt werden müssen und die Privatwirtschaft sowohl auf EU-Ebene als auch vor Ort eine viel größere Rolle übernehmen sollte, vorausgesetzt, dass diese Entwicklung mit den Zielen für nachhaltige Entwicklung vereinbar ist und die Privatwirtschaft die Menschenrechte, einschließlich der wirtschaftlichen und sozialen Rechte, und insbesondere die wichtigsten Übereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) beachtet. Die neu geschaffenen Arbeitsplätze müssen den Anforderungen der ILO-Agenda für menschenwürdige Arbeit entsprechen, was auch für die Investitionsvorhaben, die mit Mitteln aus dem Europäischen Fonds für nachhaltige Entwicklung umgesetzt werden, gelten muss.

3.6.

Die neuen Instrumente wie die EFSD-Garantie und der Garantiefonds sind als Multiplikator zu verwenden, um privates Kapital für Investitionen in Entwicklungsländern anzuziehen, wobei diese an klar definierte Ziele zu knüpfen sind, wie die Schaffung von mehr und besseren Arbeitsplätzen, die Verbesserung der Fertigungsqualität und die Weitergabe von Management-Know-how an die Privatwirtschaft. Außerdem muss die Mischfinanzierung transparent sein und das notwendige Gleichgewicht einhalten, um nicht in eine Lage zu geraten, in der die privaten Investoren alle Gewinne abschöpfen und die öffentliche Hand die Verluste deckt. Die Ergebnisse der Vorhaben müssen klar gemessen und vergleichend bewertet werden, wobei neben anderen positiven Ergebnissen die Beseitigung der Ursachen für irreguläre Migration zu berücksichtigen ist.

3.7.

Da der EFSD konzeptionell an die Investitionsoffensive für Europa und den Europäischen Fonds für strategische Investitionen anknüpft, fordert der EWSA die Kommission auf, Lehren aus seiner Funktionsweise zu ziehen, da diese nicht als voller Erfolg bezeichnet werden kann. Diese Erfahrung muss sorgfältig untersucht und analysiert werden, um Mängel und Hemmnisse bei der Verwaltung des EFSD zu vermeiden, wobei zu berücksichtigen ist, dass die Lage in den Partnerländern anders und viel komplizierter ist als in den EU-Mitgliedstaaten.

3.8.

In der vorgeschlagenen Form wird der EFSD die bestehenden Mischfinanzierungsfazilitäten für Afrika (6) und die Europäische Nachbarschaft (7) in zwei Investitionsplattformen unter einem gemeinsamen Dach umgestalten. Nach Ansicht des EWSA müssen die repräsentativen Organisationen der Zivilgesellschaft auf lokaler Ebene in die Entscheidungsprozesse, einschließlich der Vorbereitung konkreter Projekte, mit einbezogen werden, damit sie an der Überwachung der Transparenz der Finanzierung und der Wirksamkeit der Investitionsvorhaben mitwirken können.

3.9.

Die EU verfügt über eine übermäßig große Zahl von Finanzierungsinstrumenten in Verbindung mit Entwicklungsprogrammen (den 11. Europäischen Entwicklungsfonds mit seinen verschiedenen Finanzrahmen, Fazilitäten und Plattformen, den mehrjährigen Finanzrahmen 2014 bis 2020 (EU-Haushalt) mit seinen verschiedenen territorialen und regionalen sowie sektoralen Programmen, die EIB mit ihren Fazilitäten und Programmen, die EBWE usw.), wodurch es für die allgemeine Öffentlichkeit und die betreffenden Partner sehr kompliziert ist, sie zu verstehen und zu wissen, wie sie zu nutzen sind. Der EFSD soll die zentrale Anlaufstelle für Interessenten an Investitionen in Entwicklungsländern werden. Der Ausschuss empfiehlt, dass sich diese zentrale Anlaufstelle nicht auf Investitionsfragen beschränkt, sondern für diejenigen, die sich bei Entwicklungsmaßnahmen engagieren wollen, Richtlinien einschließlich aller notwendigen Informationen und Kontakte bereitstellt.

3.10.

Nur 6 % der EU-Entwicklungshilfe sind an instabile Staaten gegangen und der größte Teil ist in die zehn Länder mit erheblichen natürlichen Ressourcen geflossen. Der EWSA hofft, dass der EFSD auch in den instabilen Staaten positive Ergebnisse zeitigt, insbesondere in Staaten mit militärischen Konflikten, zerstörter Wirtschaft und gescheiterter Staatlichkeit, in denen die vorgeschlagene Garantie privaten Investoren helfen kann, höhere Risiken für ihre Vorhaben einzukalkulieren. Der Ausschuss spricht sich auch gegen die Einführung einer Höchstquote aus, die mit der Garantie gedeckt werden kann, da dies ihren Einsatz bei Investitionen in instabilen Ländern einschränken würde.

3.11.

Nach Ansicht des EWSA könnte die wichtigste qualitative Änderung an der gegenwärtigen Lage die Koordination und Verschlankung der Zusammenarbeit und Leitung durch den Strategieausschuss des EFSD sein, in dem alle relevanten Organe und Einrichtungen vertreten sein sollten. Angesichts seiner Rolle bei der Entwicklungszusammenarbeit fordert der EWSA die Kommission auf, Vertretern des Ausschusses Beobachterstatus zu gewähren, damit die Ansichten der Zivilgesellschaft vertreten werden können.

3.12.

Der größte Mehrwert der neuen Investitionsoffensive für Drittländer sollte nach Meinung des EWSA über seine zweite Säule, die auf technische Hilfe abzielt, sowie über seine dritte Säule, geschaffen werden, die folgende Themen abdecken würde: Verbesserung von Demokratie und Staatsführung in den Partnerländern, insbesondere hinsichtlich Transparenz, Überwachung und Rechenschaftspflicht, und Schaffung eines für Investitionen attraktiven Geschäftsumfeldes, um somit Wachstum und neue Arbeitsplätze zu schaffen und die Armut zu beseitigen.

3.13.

Außerdem muss die Kommunikation über die Investitionsoffensive und die damit verbundenen Vorhaben verbessert werden, damit die Zivilgesellschaft ihre Umsetzung überwachen kann.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.

Laut dem Vorschlag für die Verordnung über die EFSD-Garantie (8) soll diese zunächst für einen bis zum 31. Dezember 2020 laufenden Investitionszeitraum gewährt werden soll, der nach Ansicht des EWSA zu kurz ist, um die Ziele der EIP zu erreichen. Der Ausschuss hofft auf die Möglichkeit, die EIP je nach Erfolg zu verlängern und ihren Geltungsbereich auf andere Länder und Regionen auszuweiten, was bei der Ausarbeitung des neuen mehrjährigen Finanzrahmens berücksichtigt werden sollte.

4.2.

Es wird vorgeschlagen, den Mitgliedstaaten die Option zu gewähren, Beiträge in Form von zweckgebundenen Garantien für bestimmte Regionen, Sektoren oder Investitionsfenster zu leisten (9). Der Ausschuss empfiehlt, hinzuzufügen, dass die Beiträge der Mitgliedstaaten zu den Entwicklungsprioritäten der EU passen sollten.

4.3.

Der EWSA begrüßt die Verpflichtung der Kommission zur jährlichen Berichterstattung an das Europäische Parlament und den Rat über die durch die EFSD-Garantie abgedeckten Finanzierungen und Investitionen und stellt erfreut fest, dass der Bericht veröffentlicht werden soll, um den einschlägigen Interessenträgern, einschließlich der Zivilgesellschaft, Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Der EWSA ist sehr daran interessiert, mitzubewerten, ob der EFSD einen Beitrag zu den Zielen für nachhaltige Entwicklung leistet und dem Hauptgrund für seine Einrichtung — der Beseitigung der Ursachen für die irreguläre Migration — gerecht wird.

4.4.

In allen seinen Stellungnahmen zur Entwicklungszusammenarbeit hat der EWSA immer wieder betont, dass die Hilfe vollständig transparent sein muss, um Betrug, Korruption, Geldwäsche und Steuerflucht zu verhindern. Daher begrüßt er die ausdrückliche Erwähnung dieser Grundsätze im Vorschlag (10).

4.5.

Der EWSA schlägt vor, zu den in Artikel 3 Absatz 2 genannten SDG, auf denen der Schwerpunkt des EFSD liegen soll, die Armutsbekämpfung hinzuzufügen und diese auch unter den allgemeinen Zielen in Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe a zu nennen.

Brüssel, den 22. Februar 2017

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  EWSA-Stellungnahme REX/478 — Neue Migrationspartnerschaft mit Drittländern (siehe Seite 66 dieses Amtsblatts).

(2)  Unterzeichnet in Cotonou am 23. Juni 2000 („Cotonou-Abkommen“).

(3)  ABl. C 264 vom 20.7.2016, S. 1, ABl. C 303 vom 19.8.2016, S. 138, ABl. C 44 vom 11.2.2011, S. 129, ABl. C 229 vom 31.7.2012, S. 133, ABl. C 487 vom 28.12.2016, S. 24.

(4)  ABl. C 67 vom 6.3.2014, S. 1.

(5)  ABl. C 383 vom 17.11.2015, S. 49.

(6)  C(2015) 5210 final.

(7)  C(2016) 3436 final.

(8)  Erwägungsgrund 9.

(9)  Erwägungsgrund 14 und Artikel 14 Absatz 4.

(10)  Artikel 17, 18, 19 und 20.


31.5.2017   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 173/66


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Neuer Partnerschaftsrahmen für die Zusammenarbeit mit Drittländern im Kontext der Europäischen Migrationsagenda“

(COM(2016) 385 final)

(2017/C 173/12)

Berichterstatter:

Cristian PÎRVULESCU

Befassung

Kommission, 17.8.2016

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

 

 

Zuständige Fachgruppe

Außenbeziehungen

Annahme in der Fachgruppe

31.1.2017

Verabschiedung auf der Plenartagung

22.2.2017

Plenartagung Nr.

523

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

225/4/2

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Die Europäische Migrationsagenda sollte so gestaltet sein, dass sie humanitären Aspekten in ihrem Geltungsbereich voll und ganz Rechnung trägt. Dabei darf die EU ihre grundlegenden Verpflichtungen und verbindlichen Rechtsvorschriften zum Schutz von Leben und Menschenrechten — insbesondere derer, die in Gefahr sind — nicht außer Acht lassen.

1.2.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt die Vision des Gipfeltreffens von Valletta vom November 2015, dessen Hauptziel es war, ein langfristiges Migrationskonzept zu entwickeln, um die eigentlichen Migrationsursachen anzugehen und einen Dialog mit Drittstaaten auf der Grundlage von Zusammenarbeit und gemeinsamer Verantwortung aufzunehmen. Der EWSA hofft, dass der EU-Afrika-Dialog über Migration und Entwicklung („Rabat-Prozess“) und der Khartum-Prozess zur raschen Umsetzung des Aktionsplans von Valletta beitragen werden.

1.3.

Der EWSA unterstützt die maßgeschneiderten, spezifischen Abkommen mit einzelnen Ländern, in denen die volle Achtung der Menschenrechte festgeschrieben ist. Flexibilität bietet die richtige Perspektive und Kombination von Maßnahmen und Anreizen.

1.4.

Auch wenn klar ist, dass es einer politischen Koordinierung und Straffung bedarf, wird die Migrationsagenda offenbar zu einer übergeordneten Politik, die mit ihren Maßnahmen und Zielen andere Politiken (z. B. Nachbarschafts-, Entwicklungshilfe- und Handelspolitik) überlagert. Ungeachtet der Wichtigkeit der Migrationspolitik hält der EWSA doch zugleich die anderen Politikbereiche für ebenso wichtig und nutzbringend und meint, dass die Mitwirkung an der Migrationspolitik nicht zur Bedingung für die Zusammenarbeit in anderen Politikfeldern gemacht werden sollte. Das Ziel der Koordinierung ist in erster Linie die Förderung von Synergie, Komplementarität und Vollumfänglichkeit der verschiedenen Politikbereiche.

1.5.

Bei einem Mangel an Kooperation mit Drittländern muss unterschieden werden, ob dies auf fehlenden politischen Willen oder auf unzureichende Kapazitäten und Mittel zurückzuführen ist. Beide Fälle verlangen nach Abhilfe, aber auf unterschiedliche Art. Um Nachhaltigkeit und Widerstandsfähigkeit zu gewährleisten, sollte der Schwerpunkt zunächst auf dem Kapazitätsaufbau liegen. Auf keinen Fall darf die Hilfe an Rückübernahme und Grenzkontrollen geknüpft werden.

1.6.

Die Wirtschaft ist für die Behandlung der eigentlichen Migrationsursachen von zentraler Bedeutung. Deshalb dürfen aber die politischen, institutionellen und administrativen Aspekte von Stabilität und Wohlstand nicht ignoriert werden. Die Strategie sollte so überarbeitet werden, dass sie eine nachdrücklichere und gezieltere Unterstützung in drei Bereichen vorsieht: Konfliktlösung und Staatsbildung, Förderung von Demokratie und Menschenrechten sowie Entwicklung der Zivilgesellschaft.

1.7.

Zur langfristigen Behebung der eigentlichen Migrationsursachen braucht ein Land eine tragfähige und rechtmäßige Regierung, starke Repräsentationsorgane, effektive Parteien, Massenmedien und zivilgesellschaftliche Organisationen. Die EU sollte erwägen, der Demokratiehilfe einen angemessenen Stellenwert einzuräumen und sie zu fördern, statt Demokratiefragen als „allgemeine Rahmenbedingungen für Unternehmen“ zu behandeln, da dies gegenwärtig in der dritten Säule der Investitionsoffensive für Drittländer erwähnt wird.

1.8.

Die Entwicklung legaler Migrationskanäle und institutioneller Kapazitäten zur Unterstützung der legalen Migration sollte für die EU, ihre Mitgliedstaaten und für die Drittstaaten eine Priorität in dem Partnerschaftsrahmen für die Zusammenarbeit mit Drittländern sein.

1.9.

Zivilgesellschaftliche Organisationen spielen eine bedeutende Rolle dabei, die Neuansiedlung, Reise und Aufnahme von Migranten und Flüchtlingen sicherer und humaner zu gestalten. In dem Vorschlag sollten die Rolle und die Unterstützung der Aktivitäten dieser Organisationen überdacht werden, angefangen bei lokalen Organisationen in den Herkunfts- und Transitländern bis hin zu Organisationen, die sich an Rettungsaktionen beteiligen und Aufnahme- und Integrationsmaßnahmen koordinieren. Darüber hinaus sollten die Organisationen der Zivilgesellschaft an der Überwachung und Bewertung der Maßnahmen aller für die Migrationssteuerung zuständigen Behörden beteiligt werden.

1.10.

Der EWSA ruft die Behörden auf nationaler, regionaler und kommunaler Ebene auf, sich an der Umsetzung der Migrations- und Asylpolitik entsprechend den internationalen rechtlichen Verpflichtungen und zum Zweck des Schutzes der Menschenrechte und der Erleichterung der Integration zu beteiligen.

1.11.

Die EU und die Mitgliedstaaten müssen bei der Umsetzung dieser Maßnahmen und Verfahren die Menschenrechte unmittelbar oder mittelbar achten und sich an den Grundsatz der Nichtzurückweisung auf der Grundlage der Genfer Konvention halten.

1.12.

Die EU muss sich sicher sein, wenn sie Herkunfts- und Transitländern den Status eines „sicheren Landes“ verleiht, damit der Grundsatz der Nichtzurückweisung nicht verletzt wird (1).

1.13.

Die Kommission hat ihre strategischen Vorstellungen darüber dargelegt, wie die EU durch ihr auswärtiges Handeln die Resilienz und Eigenständigkeit von Zwangsvertriebenen so nah wie möglich am Herkunftsland der Flüchtlinge fördern kann. Diese Vision hat durchaus gewisse Vorzüge, doch die EU als verantwortungsvoller und über umfangreiche Ressourcen verfügender Akteur auf der internationalen Bühne hat auch ihre eigene moralische und rechtliche Pflicht, im Einklang mit internationalem Verträgen jenen zu helfen, die internationalem Schutz suchen.

1.14.

Der EWSA begrüßt die steigenden Rückkehr- und Rückübernahmequoten mit einer Präferenz für die freiwillige Rückkehr und einem Schwerpunkt auf der Wiedereingliederung. Die freiwillige Rückkehr mit dem Schwerpunkt auf Wiedereingliederung sollte eine der zentralen strategischen Optionen sein, auf die die EU und die Mitgliedstaaten bei der Steuerung der Migration setzen.

1.15.

In allen Pakten und Abkommen sollte die EU darauf achten, dass vorwiegend positive Anreize eingesetzt werden, dass die Hilfe durchdacht und gut organisiert ist und dass sie auch auf die institutionellen und administrativen Kapazitäten staatlicher Organe gerichtet ist, dass sie die Demokratie und die Menschenrechte fördert und die Organisationen der Zivilgesellschaft in alle (insbesondere lokale und nationale) Prozesse, einbezogen werden.

1.16.

Der EWSA ruft die EU-Organe, die Mitgliedstaaten und die Regierungen von Drittstaaten auf, Diaspora-Gruppen möglichst umfassend einzubinden und zu unterstützen. Sie könnten eine wertvolle Ressource für die langfristige Entwicklung der Herkunfts- und Transitländer sein und auch der europäischen Gesellschaft und Wirtschaft wertvolle Impulse geben. Die Förderung von Vielfalt und Weltoffenheit ist ein Wesensmerkmal der europäischen Gesellschaft, und die Migrationspolitik muss diesen beiden Grundsätzen gerecht werden.

1.17.

Der EWSA ermuntert die Mitgliedstaaten, sich uneingeschränkt an den Anstrengungen zur Koordinierung der EU-Politik im Bereich der Migration zu beteiligen. Solidarität und Kooperation der Mitgliedstaaten sind zwei Voraussetzungen für eine wirkungsvolle Umsetzung der Partnerschaften mit Drittländern.

1.18.

Der EWSA bestärkt die Kommission, die geplante Dialogplattform einzurichten, über die sich Unternehmen, Gewerkschaften und andere Sozialpartner austauschen können, um den größtmöglichen Nutzen aus der Migration zu ziehen — sowohl für die europäische Wirtschaft als auch für die Migranten selbst (2). Der EWSA ist bereit, an ihrer Schaffung mitzuarbeiten und zu ihrem guten Funktionieren beizutragen.

2.   Hintergrund (auf der Grundlage der Mitteilung der Europäischen Kommission)

2.1.

Vieles ist seit der Annahme der Europäischen Agenda für Migration erreicht worden, gerade auch jenseits der EU-Grenzen. Hunderttausende wurden auf See gerettet (3). Auf dem Gipfel von Valletta im November 2015 rückten Migrationsfragen in den Mittelpunkt der Beziehungen der EU zu afrikanischen Ländern.

2.2.

Es muss aber noch viel mehr getan werden. Die EU ist nach wie vor mit einer humanitären Krise konfrontiert. Viele Drittstaaten und EU-Partnerländer haben derzeit Flüchtlinge aufgenommen, darunter zahlreiche unbegleitete Minderjährige, die gezwungen waren, ihre Heimat zu verlassen — außerdem Wirtschaftsmigranten, die nach Europa wollen.

2.3.

Das übergeordnete Ziel des Partnerschaftsrahmens ist ein kohärentes, maßgeschneidertes Engagement der Union und ihrer Mitgliedstaaten, die in koordinierter Weise unter Bündelung verschiedener Instrumente, Mittel und Einflussmöglichkeiten handeln sollen, um umfassende Partnerschaften („Migrationspakte“) mit Drittländern zur besseren Steuerung der Migration unter uneingeschränkter Achtung unserer humanitären und menschenrechtsbezogenen Verpflichtungen zu errichten.

2.4.

Ein sofortiges Handeln zusammen mit den wichtigsten Partnern ist in folgenden Bereichen nötig, für die spezifische, messbare Ziele aufgestellt werden sollten: Verbesserung des gesetzgeberischen und institutionellen Rahmens für Migration in gemeinsamer Arbeit mit den wichtigsten Partnern; konkrete Hilfe beim Kapazitätsaufbau für das Grenz- und Migrationsmanagement, einschließlich der Gewährung von Schutz für Flüchtlinge; Steigerung der Rückkehr- und Rückübernahmequoten mit einer Präferenz für die freiwillige Rückkehr und einem Schwerpunkt auf der Wiedereingliederung; Eindämmung irregulärer Migrationsströme bei gleichzeitiger Öffnung legaler Migrationskanäle, einschließlich verstärkter Ansiedlungsbemühungen.

3.   Allgemeine Erwägungen

3.1.

Nach Überzeugung des EWSA ist eine gut gesteuerte Migration eine Chance für die EU, die Herkunftsländer und für die Migranten und deren Familien. Migration liegt in der Natur des Menschen. In der jüngeren Geschichte der europäischen Völker ist die Migration immer schon sehr wichtig gewesen.

3.2.

Probleme treten dann auf, wenn sich die Menschen nicht aus freien Stücken auf den Weg machen, dort, wo viele Migranten durch extreme Armut, Krieg oder Naturkatastrophen zum Verlassen ihrer Heimat gezwungen sind. Diese Menschen sind vielen Gefahren ausgesetzt. Wenn die europäischen Länder keine Verfahren und gesetzlichen Regelungen auf den Weg bringen, die eine leichtere Kanalisierung der Migration über legale und transparente Verfahren erlauben, werden viele Menschen, die irreguläre Routen — oft unter Lebensgefahr — einschlagen, zu Opfern krimineller Netze, die sich der Schleusung und dem Menschenhandel widmen.

3.3.

Der EWSA mahnt, dass bei der Entwicklung von Maßnahmen und Gesetzen zur Regelung der Migration und von Grenzkontrollen die Menschenrechtsübereinkommen und die EU-Grundrechtecharta in vollem Umfang einzuhalten sind.

3.4.

Der Vorschlag der Kommission sorgt für die dringend benötigte Koordinierung und Harmonisierung der Verfahren und Instrumente, die zur Bewältigung des immer komplexer werdenden Migrationsprozesses eingesetzt werden. Angesichts der Art und der Dynamik neuerer Migrationstendenzen ist es sicher sinnvoll, die Prioritäten zu überprüfen und klarer zu ordnen.

3.5.

Der EWSA hält es für völlig gerechtfertigt, den Fokus auf die Rettung von Menschen, die auf ihrer Reise in Gefahr sind, zu richten. Das sollte für die EU und die Mitgliedstaaten absolute Priorität haben. Auch wenn es immer noch zum Verlust von Menschenleben auf See kommt, würdigt der EWSA die Arbeit normaler Bürger, zivilgesellschaftlicher Organisationen sowie von Soldaten und zivilem Personal, die sich an Rettungsmaßnahmen beteiligen.

3.5.1.

Neben den erklärten kurzfristigen Zielen der Migrationspakte — nämlich dem Retten von Menschenleben im Mittelmeer, der Steigerung der Rückkehrquote in die Herkunfts- und Transitländer und dem Bemühen, Migranten und Flüchtlingen einen Verbleib in der Nähe ihrer Heimat zu ermöglichen und sie davon abzuhalten, eine gefährliche Reise auf sich zu nehmen — ruft der EWSA die Europäische Kommission auch auf, darin den Schutz von Migranten auf der sog. Balkanroute, deren Leben und Sicherheit bedroht sein könnte, sowie die Schaffung legaler Migrationsrouten aufzunehmen.

3.6.

Der EWSA weist erneut darauf hin, dass die EU und ihre Mitgliedstaaten die weltweit größten Geber von Entwicklungs- und humanitärer Hilfe sind und dass die EU eine erhebliche Unterstützung für Flüchtlinge, Binnenvertriebene und Aufnahmegemeinschaften leistet, zum Beispiel am Horn von Afrika und im Gebiet des Tschadsees (Kenia, Somalia, Uganda, Äthiopien und Sudan).

3.6.1.

Die Migrationsagenda sollte so gestaltet sein, dass sie dem Umfang der humanitären Dimension voll Rechnung trägt. Die EU hat Schwierigkeiten, die gegenwärtigen Migranten- und Flüchtlingsströme zu bewältigen. Sie sollte jedoch ihre grundlegenden Verpflichtungen und rechtlich bindenden Vorschriften für den Schutz von Leben und Menschenrechten — insbesondere derer, die in Gefahr sind — nicht vergessen.

3.7.

Die Migrationsagenda wird nur in dem Maße erfolgreich sein, in dem Drittstaaten zu einer engen Zusammenarbeit mit der EU und ihren Mitgliedstaaten bereit und in der Lage sind. In jedem Land hat die Migration ein spezifisches Profil. Manche sind Herkunftsländer, in denen es Konflikte, Spannungen und ernste Formen von Deprivation gibt; bei anderen handelt es sich um Transitländer, die zwar stabiler, aber auch vulnerabler sind. Einige davon haben es mit einer unverhältnismäßig hohen Zahl von Flüchtlingen und Migranten zu tun, die bei ihnen Sicherheit und Hilfe suchen, vor allem Libanon, die Türkei und Jordanien. Ihre Bereitschaft und Fähigkeit zur Umsetzung von Maßnahmen, die sich aus dieser Migrationspartnerschaft ergeben, hängt von verschiedenen, komplexen historischen, politischen, wirtschaftlichen, sicherheitspolitischen und kulturellen Faktoren ab. Daher ist es notwendig, die richtige Perspektive und Kombination von Aktionen und Anreizen für jedes Land zu finden. Gleichzeitig sollten die Pakte einen gemeinsamen Fokus haben, durch den die institutionelle, demokratische, soziale und wirtschaftliche Entwicklung der Drittstaaten gefördert wird.

3.8.

Die Migrationsagenda muss weiter gestärkt und besser auf andere relevante Politikbereiche abgestimmt werden. Im Vorschlag der Kommission werden drei solcher Politikbereiche genannt: Nachbarschaftspolitik, Entwicklungshilfe und Handel. In der europäischen Nachbarschaftspolitik soll etwa die Hälfte der verfügbaren Mittel für migrationsbezogene Maßnahmen bereitgestellt werden. Im Bereich der Entwicklungspolitik sieht der Vorschlag vor, positive und negative Anreize einzuführen, damit diejenigen Länder belohnt werden, die ihrer internationalen Verpflichtung zur Rückübernahme eigener Staatsangehöriger nachkommen, bei der Steuerung irregulärer Migrationsströme aus Drittländern kooperieren oder Maßnahmen zur angemessenen Aufnahme von Menschen ergreifen, die vor Konflikten und Verfolgung fliehen. Außerdem sind für diejenigen Länder, die nicht bei der Rückübernahme und Rückführung kooperieren, Konsequenzen vorgesehen. In der Handelspolitik, bei der die EU ihren Partnern Präferenzregelungen gewähren kann, soll dem Vorschlag der Kommission zufolge bei der Evaluierung der Handelspräferenzen im Rahmen von „APS +“ auch die Zusammenarbeit im Bereich der Migration berücksichtigt werden.

3.9.

Daneben sollten grundsätzlich alle Politikbereiche der EU, einschließlich Bildung, Forschung, Klimawandel, Energie, Umwelt und Landwirtschaft, zu einem Gesamtpaket gebündelt und als migrationsrelevant betrachtet werden, um ihnen in einschlägigen Diskussionen ein maximales Gewicht zu verleihen.

3.10.

Zwar ist der Bedarf an politischer Koordinierung und Straffung offenkundig, doch wirft diese Strategie ist in verschiedener Hinsicht problematisch Die Migrationsagenda wird offenbar zu einer übergeordneten Politik, die mit ihren Maßnahmen und Zielen andere Politikfelder überlagert. Das könnte diese anderen Politiken, die alle legitime Ziele und Geltungsbereiche haben, beeinträchtigen. Die Nachbarschaftspolitik soll für Stabilität und Wohlstand an den EU-Grenzen sorgen; durch eine unverhältnismäßig starke Ausrichtung auf Migration könnten andere relevante Bereiche an den Rand gedrängt werden. Die Entwicklungspolitik hat ebenfalls umfangreiche Zielsetzungen, einschließlich der Unterstützung benachteiligter Gruppen und der Schaffung besserer wirtschaftlicher und sozialer Aussichten für Millionen von Menschen. Die Handelspolitik hat wiederum starke entwicklungspolitische Bezüge und schafft mehr Chancen für EU-Bürgern und Drittstaatsangehörigen gleichermaßen.

3.11.

Der EWSA erkennt zwar die Bedeutung der Migrationspolitik an, hält andere Politiken aber für ebenso wichtig und nutzbringend. Das Ziel der Koordinierung ist in erster Linie die Förderung von Synergie, Komplementarität und Vollumfänglichkeit der verschiedenen Politikbereiche.

3.12.

Im Zusammenhang damit legt die spezifische Formulierung der Politikkoordinierung die Möglichkeit eines mit Auflagen und Zwang verbundenen Ansatzes nahe — die Drittstaaten sollen mit der EU und deren Mitgliedstaaten bei der Rückübernahme und Rückkehr ihrer eigenen Staatsangehörigen kooperieren, Migrantenströme in ihrem Hoheitsgebiet und über Grenzen hinweg steuern und Menschen aufnehmen, die vor Konflikten und Verfolgung fliehen. Andernfalls würden sie ihren Zugang zur Finanzierung und Unterstützung durch die EU sowie zum EU-Markt gefährden. Diese Option könnte sich als problematisch und letztlich ineffektiv erweisen. Die Zusammenarbeit von Drittländern im Rahmen der Migrationsagenda ist durch interne Anliegen und interne Kapazitäten motiviert. Bei einem Mangel an Kooperation muss unterschieden werden, ob dies auf politischen Willen oder auf unzureichende Kapazitäten und Mittel zurückzuführen ist. Beide Fälle verlangen nach Abhilfe, aber auf unterschiedliche Art. Um Nachhaltigkeit und Widerstandsfähigkeit zu gewährleisten, sollte der Schwerpunkt zunächst auf dem Kapazitätsaufbau liegen. Sehr wichtig ist auch die Trennung zwischen Entwicklungshilfe und Kooperation in Migrationsfragen. Letztere darf auf keinen Fall zur Vorbedingung für erstere werden.

3.13.

Bei der Frage, wie den eigentlichen Migrationsursachen begegnet werden sollte, bezieht sich die Kommission in ihrem Vorschlag fast ausschließlich auf wirtschaftliche Aspekte. Auch unterstreicht sie die Rolle privater Investoren, die in aufstrebenden Märkten nach neuen Investitionsmöglichkeiten suchen. Im Vorschlag heißt es dazu: „Anstatt dass irreguläre Migranten ihr Leben beim Versuch aufs Spiel setzen, auf den europäischen Arbeitsmarkt zu gelangen, sollten europäische öffentliche und private Mittel für Investitionen in den Herkunftsländern mobilisiert werden.“

3.14.

Die Kommission erwägt eine ambitionierte Investitionsoffensive für Drittstaaten — mit drei Säulen: „Die erste Säule würde es ermöglichen, die knappen öffentlichen Mittel innovativ zur Mobilisierung privater Investitionen einzusetzen, indem zusätzliche Garantien und Vorzugsbedingungen gewährt werden. Bei der zweiten Säule läge der Schwerpunkt auf technischer Hilfe für lokale Behörden und Unternehmen, damit sie mehr erfolgversprechende Projekte konzipieren und die internationalen Investoren auf diese aufmerksam machen können. Bei der dritten Säule ginge es um die Verbesserung der allgemeinen Rahmenbedingungen für Unternehmen durch Förderung einer guten Regierungsführung, Korruptionsbekämpfung und Beseitigung von Investitionshindernissen und Marktverzerrungen.“

3.15.

Die Wirtschaft ist für die Behandlung der Migrationsursachen von zentraler Bedeutung. Damit sollten die politischen, institutionellen, administrativen und sozialen Aspekte von Stabilität und Wohlstand eng verbunden sein. Die jahrzehntelangen Erfahrungen im Bereich der Unterstützung und Entwicklungshilfe zeigen, dass Institutionen von grundlegender Bedeutung sind und dass die angestrebte Dynamik nicht in Gang kommen wird, wenn geeignete Rahmenbedingungen und Infrastrukturen fehlen. Private Investoren würden nicht in den Herkunfts- und Transitländern investieren, wenn sie instabil wären. Investitionsfinanzierung, Entwicklung und andere Politikbereiche sollten getrennt bleiben, aber komplementäre Ziele haben.

3.16.

Viele Drittstaaten — insbesondere die, die jetzt Herkunftsländer von Flüchtlingen und Migranten sind — haben grundlegende Probleme in puncto Stabilität und Effizienz der Regierung. Ihre Infrastrukturen und Volkswirtschaften sind schwach, ihre Verwaltungsapparate unterentwickelt. Deshalb sollten erneute Bemühungen um Konfliktlösung und Staatsbildung erwogen werden. Das gilt nicht nur für Syrien und Libyen, sondern auch für viele andere Länder. Die Anerkennung dieser Tatsache würde es leichter machen, Maßnahmen und Aktionen zu priorisieren und die eigentlichen Gründe der Flucht von Menschen aus bzw. durch die betreffenden Länder anzugehen. Eng definierte Maßnahmen, z. B. die Ausbildung von Grenzschutzbeamten oder deren Ausstattung mit technischen Hilfsmitteln, die Zerschlagung von Schleusernetzen oder die Bereitstellung von Anreizen zur Rückkehr, werden eine positive, aber begrenzte Wirkung haben. Migration ist ein Phänomen, das mit Staatsschwäche und Staatsversagen unterschiedlicher Art und verschiedenen Ausmaßes zusammenhängt.

3.17.

Die Erwähnung der Regierungsführung in der dritten Säule der Investitionsoffensive für Drittstaaten unter den „allgemeinen Rahmenbedingungen für Unternehmen“ reicht nicht aus, um das gesamte Spektrum von Problemen abzudecken, die es zu lösen gilt. Zur langfristigen Behebung der eigentlichen Migrationsursachen braucht ein Land eine tragfähige, rechtmäßige Regierung, starke Repräsentationsorgane, effektive Parteien, Massenmedien und zivilgesellschaftliche Organisationen. Die EU sollte erwägen, der Demokratiehilfe einen angemessenen Stellenwert einzuräumen und sie zu fördern. Das ist nicht nur in der Migrationspolitik, sondern auch in anderen Politikbereichen wie Nachbarschaft und Handel von Bedeutung.

3.18.

Im Kommissionsvorschlag wird die Rolle der Zivilgesellschaft nur unzureichend anerkannt und unterstützt. Zivilgesellschaftliche Organisationen spielen eine bedeutende Rolle dabei, die Neuansiedlung, Reise und Aufnahme von Migranten und Flüchtlingen sicherer und humaner zu gestalten. Ob in Flüchtlingslagern, auf Migrationsrouten (einschließlich des Seewegs) oder in Aufnahmezentren in der EU — sie leisten wertvolle, sogar unerlässliche Hilfe. Im Vorschlag sollten die Rolle und die Unterstützung der Aktivitäten dieser Organisationen überdacht werden — angefangen bei lokalen Organisationen in Herkunfts- und Transitländern bis hin zu Organisationen, die sich an Rettungsaktionen beteiligen sowie Aufnahme- und Integrationsmaßnahmen verwalten. Darüber hinaus sollten die Organisationen der Zivilgesellschaft an der Überwachung und Bewertung der Maßnahmen aller für die Migrationssteuerung zuständigen Behörden beteiligt werden. Ihre Beiträge und Rückmeldungen könnten dafür sorgen, dass sich der gesamte Prozess stärker an Menschenrechtsstandards orientiert, die in internationalen Übereinkommen und EU-Verträgen anerkannt und garantiert sind.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.

Bei allen Maßnahmen und Verfahren sollten die EU und die Mitgliedstaaten unmittelbar oder mittelbar die Menschenrechte achten und sich an den Grundsatz der Nichtzurückweisung entsprechend der Genfer Konvention halten.

4.2.

Der EWSA ist über das Abkommen zwischen der EU und der Türkei und seine Auswirkungen auf die Grundrechte der davon Betroffenen zutiefst besorgt. Die Erklärung EU-Türkei wird von zivilgesellschaftlichen Gruppierungen und Menschenrechtsorganisationen kritisiert, weil die Türkei darin als „sicheres Land“ bezeichnet wird. Die EU muss sich sicher sein, wenn sie einem Herkunfts- oder Transitland den Status „sicheres Land“ verleiht, damit es nicht zu Verstößen gegen den Grundsatz der Nichtzurückweisung kommt.

4.3.

Die Kommission hat ihre strategischen Vorstellungen darüber dargelegt, wie die EU durch ihr auswärtiges Handeln die Resilienz und Eigenständigkeit von Zwangsvertriebenen so nah wie möglich am Herkunftsland der Flüchtlinge fördern kann (4). Auch wenn dieses Konzept bestimmte Vorzüge hat, ist darauf hinzuweisen, dass die EU als verantwortungsvoller, über zahlreiche Mittel verfügender internationaler Akteur auch die moralische und rechtliche Pflicht hat, denjenigen, die um internationalen Schutz ersuchen, zu helfen.

4.4.

Die operativen Schritte zur Bekämpfung von Schleuseraktivitäten werden begrüßt. Schleuser verlangen von den Migranten für ihre Hilfe sehr viel Geld und setzen sie großen Gefahren aus. Gleichzeitig wird die Bekämpfung von Schleuseraktivitäten nicht die strukturellen Migrationsprobleme lösen. Auch unter diesem Aspekt ist die Schaffung legaler Migrationswege von zentraler Bedeutung, denn dies würde die Abhängigkeit der Migranten von Schleusernetzen verringern,

4.5.

Auf Ebene der EU und der Mitgliedstaaten muss ein Koordinierungsmechanismus eingeführt werden, damit die mit den Migrationspakten verbundenen Ziele erreicht werden. Wenn einige Mitgliedstaaten historische Beziehungen zu den Drittstaaten haben, können diese dazu genutzt werden, die Zusammenarbeit zu verbessern.

4.6.

Der EWSA begrüßt den bevorstehenden Vorschlag für ein strukturiertes Neuansiedlungssystem, das einen gemeinsamen Ansatz für die sichere und legale Einreise in die EU für Personen, die internationalen Schutz benötigen, durch Neuansiedlung umfasst, was ein unmittelbarer Ausdruck des Bemühens der EU wäre, den am stärksten belasteten Ländern zu helfen (5). Der Valletta-Aktionsplan sieht die Verpflichtung der EU und der Mitgliedstaaten vor, Pilotprojekte auf den Weg zu bringen, die Angebote für legale Migration bündeln. Der Vorschlag sollte jedoch viel klarer sein und spezifische umzusetzende Projekte benennen.

4.7.

Der EWSA begrüßt den am 7. Juni 2016 vorgelegten Vorschlag zur Überarbeitung der Blauen Karte (6), durch die hochqualifizierte Migranten in den Arbeitsmarkt der EU geholt werden sollen.

4.8.

Der EWSA begrüßt, dass die Migrationspakte darauf ausgerichtet werden, die Wirksamkeit und Nachhaltigkeit des Rückkehrprozesses zu steigern und die Rückübernahmeländer (insbesondere das Umfeld, in das die Rückkehrer wiedereingegliedert werden sollen) in ausreichendem Maße finanziell zu unterstützen. Die Bereitstellung von Anreizen für Behörden und Einzelne ist unerlässlich, um einen wirkungsvollen Prozess zu gewährleisten.

4.9.

Der EWSA befürwortet die steigenden Rückkehr- und Rückübernahmequoten mit einer klaren Präferenz für die freiwillige Rückkehr und dem Schwerpunkt auf Wiedereingliederung. Dies sollte eine der zentralen strategischen Optionen sein, auf die die EU und die Mitgliedstaaten bei der Steuerung der Migration setzen. Damit wird die Chance, dass die beteiligten Akteure zusammenarbeiten, erhöht und die Migration in einen möglichen Motor der lokalen Entwicklung verwandelt.

4.10.

Die Anstrengungen der EU und der Mitgliedstaaten sollen auf globaler Ebene koordiniert werden. Der EWSA befürwortet die Empfehlung der Europäischen Kommission zur Unterstützung der Schaffung eines von der UN getragenen globalen Neuansiedlungssystems, das die zügige und effiziente Neuansiedlung in sicheren Ländern ermöglicht. Die EU verfügt sowohl über die Mittel als auch die Erfahrung, um entscheidende Fortschritte zu erreichen, z. B. indem sie auf einen stärker global und multilateral geprägten Prozess der Migrationssteuerung drängt.

4.11.

Der EWSA unterstützt generell die Ausrichtung der spezifischen Partnerschaften mit Drittstaaten: den Abschluss von Pakten mit Jordanien und Libanon, die Weiterentwicklung der Zusammenarbeit zwischen der EU und Tunesien auf der nächsten Stufe, die Initiierung und Aushandlung von Pakten mit Niger, Nigeria, Senegal, Mali und Äthiopien sowie die Unterstützung der libyschen Regierung der nationalen Einheit. In diesen Pakten und Abkommen sollte die EU darauf achten, dass vorwiegend positive Anreize eingesetzt werden, dass die Hilfe durchdacht und gut organisiert ist und dass sie auch auf die institutionellen und administrativen Kapazitäten staatlicher Organe gerichtet ist, dass sie die Demokratie und die Menschenrechte fördert und Organisationen der Zivilgesellschaft in alle Prozesse, insbesondere lokale und nationale Prozesse, einbezogen werden.

4.12.

Der EWSA nimmt zur Kenntnis, dass sich alle Seiten um einen funktionsfähigen und effektiven partnerschaftlichen Rahmen bemühen, so wie im ersten Fortschrittsbericht der Europäischen Kommission dargelegt (7). Die Initiierung von durch den EU-Treuhandfonds für Afrika finanzierten Projekten in fünf prioritären Ländern zeigt, dass eine Zusammenarbeit möglich ist. Der EWSA fordert die EU-Institutionen dazu auf, die Verordnung über den Europäischen Fonds für nachhaltige Entwicklung zügig zu verabschieden, der ein entscheidendes Instrument zur Förderung der nachhaltigen Entwicklung, einschließlich des Wachstums, der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung und der regionalen Integration außerhalb Europas ist.

Brüssel, den 22. Februar 2017

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  ABl. C 71 vom 24.2.2016, S. 82.

(2)  Die Europäische Migrationsagenda, COM(2015) 240 final, S. 15.

(3)  Allein im Rahmen der italienischen Operation „Mare Nostrum“ wurden 140 000 Menschen aus dem Mittelmeer gerettet. Seit 2015 haben EU-Operationen im Mittelmeer zur Rettung von über 400 000 Menschen beigetragen.

(4)  COM(2016) 234 final vom 26. April 2016.

(5)  Siehe COM(2016) 197 final vom 6. April 2016.

(6)  COM(2016) 378 final.

(7)  COM(2016) 700 final.


31.5.2017   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 173/73


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, die Europäische Zentralbank, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, den Ausschuss der Regionen und die Europäische Investitionsbank — Jahreswachstumsbericht 2017“

(COM(2016) 725 final)

(2017/C 173/13)

Berichterstatter:

Etele BARÁTH

Befassung

Europäische Kommission, 8.12.2016

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

 

 

Zuständiger Unterausschuss

SC/046

Annahme im Unterausschuss

17.1.2017

Verabschiedung auf der Plenartagung

22.2.2017

Plenartagung Nr.

523

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

181/5/36

Zusammenarbeit, Eigenverantwortung und Flexibilität

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt die im Jahreswachstumsbericht 2017 der Europäischen Kommission dargelegten Prioritäten, d. h. den Vorrang, der der Förderung von Arbeitsplätzen und Wachstum unter Nutzung der drei Säulen des Jahreswachstumsberichts eingeräumt wird: Fortsetzung der Strukturreformen, Gewährleistung einer verantwortungsvollen Haushaltspolitik und Ankurbelung der Investitionstätigkeit. Dieser Jahresbericht bietet eine geeignete Grundlage für den Auftakt zu dem Europäischen Semester und der anschließenden Ausarbeitung der „länderspezifischen Empfehlungen“.

1.2.

Das Europäische Semester wird als geeignetes Instrument für weitere Fortschritte bei politischen Maßnahmen und Reformen angesehen, die zu wirtschaftlicher Erholung und Beschäftigung führen. Im Jahreswachstumsbericht 2017 werden die dringlichsten wirtschaftlichen und sozialen Prioritäten umrissen und konkrete Empfehlungen unterbreitet; allerdings nimmt der EWSA die negativen Aspekte der Bestimmungen des Stabilitäts- und Wachstumspakts und der auf einzelstaatlicher Ebene umzusetzenden länderspezifischen Empfehlungen zur Festlegung des fiskalischen Kurses für das Euro-Währungsgebiet sehr ernst.

1.3.

Es wird auf viele positive Entwicklungen und Anzeichen für eine wirtschaftliche Erholung in der EU hingewiesen. Die Investitionstätigkeit nimmt wieder zu, seit 2013 wurden acht Millionen Arbeitsplätze geschaffen, das Ziel einer Beschäftigungsquote von 75 % ist greifbar nah, die Arbeitsmarktlage hat sich strukturell verbessert und das durchschnittliche öffentliche Defizit ging in einigen Mitgliedstaaten leicht zurück.

1.4.

Der EWSA stimmt zu, dass eine vielversprechende wirtschaftliche Zukunft für alle die Grundlage für die Wahrung der europäischen Lebensweise darstellt, seiner Ansicht nach sind hierfür jedoch weitere Anstrengungen erforderlich. Im Jahreswachstumsbericht wird kein Hehl daraus gemacht, dass die Erholung immer noch fragil ist. Die Arbeitslosigkeit ist nach wie vor hoch, das Armutsrisiko hat tendenziell zugenommen, die Wachstumsraten des BIP und der Produktivität sind zu niedrig und die Investitionen liegen erschreckenderweise immer noch unter dem Vorkrisenniveau. Nach wie vor gibt es erhebliche Ungleichgewichte und umfassende Risiken innerhalb des Euro-Währungsgebiets und in der EU insgesamt.

1.5.

Zudem teilt er die Auffassung, dass die Globalisierung, die demografischen und technologischen Entwicklungen, insbesondere die Digitalisierung, wesentliche Ursachen für den Wandel sind, die allen zum Vorteil gereichen sollten. Die Investitionen in Wissen, Innovation, Bildung und IKT — in die Triebkräfte des Wachstums — zählen zu den wichtigsten zu leistenden Anstrengungen.

1.6.

Der EWSA teilt die Ziele in den Bereichen Gleichheit, Gerechtigkeit und Inklusion und weist darauf hin, wie wichtig koordinierte politische Maßnahmen und Reformen sind.

1.7.

Gleichzeitig macht der EWSA darauf aufmerksam, dass es für die Verwirklichung der gemeinsamen Ziele und die Beseitigung der Nachteile unabdingbar ist, die Integration zu stärken. Hierfür stellt eine auf Zusammenarbeit beruhende, verantwortungsvolle, disziplinierte, aber flexible europäische Governance die Garantie dar. Das Europäische Semester ist ein gutes Beispiel dafür, dass hochrangige Partnerschaften zwischen den Mitgliedstaaten ein effizienter Ausweg aus der Krise sind.

1.8.

Der EWSA stimmt den Aufgaben sowie der Arbeitsteilung zwischen der Europäischen Kommission und den Mitgliedstaaten, wie sie im Jahreswachstumsbericht 2017 festgelegt sind, grundsätzlich zu. Er wiederholt seinen — bereits bei seiner Analyse des Jahreswachstumsberichts 2016 unterbreiteten — Vorschlag, das Europäische Semester zu ergänzen. Neben der Steigerung der Investitionen, den Strukturreformen und der Stärkung des makroökonomischen Gleichgewichts, zählen die Fortschritte in Bezug auf die „über das BIP hinausreichenden“ Indikatoren (den Zielvorgaben in den Bereichen Soziales, Umweltschutz und Nachhaltigkeit) zu den wichtigsten Prioritäten.

1.9.

Nach Ansicht des EWSA lässt sich die tatsächliche ergebnisorientierte Wirtschaftsentwicklung nur mit Hilfe umfassender Indikatoren wie den derzeitig verwendeten, wie den derzeitig verwendeten, die auch die sozialen und ökologischen Auswirkungen berücksichtigen, wirklich darstellen (BIP/Bruttoinlandsprodukt).

1.10.

Der EWSA hält eine eindeutige und klare Zusammenfassung der politischen und strategischen Leitlinien für die nähere und fernere Zukunft für unabdingbar. Die Prioritäten der Juncker-Kommission und die Ziele für 2030, die auf der Strategie Europa 2020 aufbauen und zudem die Herausforderungen der Nachhaltigkeit berücksichtigen, müssen gemeinsam zur Bestimmung der Entwicklungsprozesse herangezogen werden.

1.11.

Jüngsten Prognosen der Europäischen Kommission (1) zufolge dürfte sich die Wirtschaftsentwicklung der EU-Mitgliedstaaten zwischen 2016 und 2018 im Vergleich zu 2015 nicht wirklich ändern und die wichtigste Wachstumsquelle nicht die Investitionstätigkeit, sondern der Verbrauch sein. Diese Aussichten auf ein geringes Wachstum und schwache Investitionen sind nicht sonderlich positiv, umso mehr als die Stärkung der Binnennachfrage so wichtig wie eh und je ist, um die Investitionstätigkeit zu fördern.

1.12.

Auch angesichts der begrenzten Zuständigkeiten der EU muss das Instrumentarium der Sozialpolitik besser koordiniert werden. Ein gut konzipiertes Benchmark-System im Rahmen der künftigen europäischen Säule sozialer Rechte könnte dem Reformprozess Impulse geben und eine bessere Koordinierung der Sozialpolitik innerhalb des Europäischen Semesters gewährleisten.

1.13.

Eine Aufgabe des Jahreswachstumsberichts muss die Ermittlung der Übereinstimmung der traditionellen Kohäsionspolitik, die derzeit Gegenstand einer Halbzeitbewertung ist, und ihrer Finanzierung (ESI-Fonds) einerseits und der neuen Investitionsinstrumente (EFSI) andererseits sein. Da es sich hierbei um eines der dynamischsten Systeme der Zusammenarbeit zwischen der Union und den Mitgliedstaaten handelt, ist auch bei seiner Anwendung eine bessere Abstimmung erforderlich. Es ist wichtig, die Umsetzung der Vorhaben zu koordinieren.

1.14.

Der Stabilitäts- und Wachstumspakt ist eine der wichtigsten Säulen der Funktionsweise des europäischen Semesters. Eine langfristige und nachhaltige wirtschaftliche, soziale und ökologische Entwicklung kann nur auf einer angemessenen und koordinierten Haushaltspolitik auf EU-Ebene und einem transparenten und berechenbaren Funktionieren der Finanzsysteme fußen.

1.15.

Der EWSA weist darauf hin, dass der für die Erreichung einer nachhaltigen Entwicklung notwendige Strukturwandel beträchtliche Ressourcen erfordert, für deren Bereitstellung ein effizienterer Einsatz der Haushaltsmittel und eine spürbare Erhöhung der Investitionen unabdingbar sind.

1.16.

Zwar trägt der neue Europäische Fonds für strategische Investitionen entscheidend zu einer Mittelerhöhung in den Bereichen Produktion und physische Infrastrukturen bei, doch ist es sehr problematisch, dass die öffentlichen und sozialen Investitionen auch weiterhin deutlich unter dem erforderlichen Niveau liegen. Hier ist auch beträchtliche haushaltspolitische Flexibilität erforderlich.

1.17.

Der EWSA empfiehlt nachdrücklich, vorrangig in die allgemeine und berufliche Bildung, die Gesundheitsversorgung und die anderen sozialen Systeme zu investieren, insbesondere in den unterdurchschnittlich entwickelten Regionen.

1.18.

Die europäische Governance muss sich zugleich durch geteilte Eigenverantwortung und vernünftige Flexibilität auszeichnen. Einerseits ist der EWSA der Ansicht, dass die Halbzeitbewertung des EU-Haushalts, die Neubestimmung der Ziele, die erhebliche Aufstockung des Anteils der Eigenmittel und der Einnahmen sowie die Erhöhung der Effektivität und Effizienz bei der Umsetzung zur Konzipierung eines Systems beitragen können, bei dem die Flexibilität auch als Risikodeckung verstanden werden könnte. Andererseits lässt sich durch die Verbesserung der Marktbedingungen und durch intelligente Regulierung die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft im weiteren Sinne (auch aus wirtschaftlicher, sozialer und umweltpolitischer Sicht) fördern.

2.   Hintergrund

2.1.

Derzeit wird die Europäische Union nicht vom gemeinsamen politischen Willen, die Zukunft aufzubauen, sondern von den rechtlichen Garantien und der Notwendigkeit der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zusammengehalten. Die Europäische Union ist uneins und kämpft immer noch gegen verschiedene, immer wieder neu aufflammende Krisen. Die Abstimmung über den Brexit und die daraus resultierende Unsicherheit zeigen dies deutlich. Zwar sind die Blockaden in der Politik größer als in der Wirtschaft, aber das wirtschaftliche Gefälle ist — trotz der in einigen Mitgliedstaaten zu beobachtenden wirtschaftlichen Erholung — nach wie vor erheblich.

2.2.

Über die Migrationskrise wird eine globale und tragische Botschaft vermittelt, die Europa zwingt, sowohl seinen humanitären Verpflichtungen nachzukommen, als auch die europäischen Gesellschafts- und Sozialsysteme zu erhalten und seine Rolle außerhalb der Grenzen des Kontinents zu stärken.

2.3.

Hinsichtlich der Funktionsweise der EU hat sich die Kluft zwischen der Wahrnehmung durch die Gesellschaft und der Realität vertieft. Die zwischen der Zivilgesellschaft und ihren Organisationen auf der einen und dem institutionellen System der Union auf der anderen Seite aufgebauten partnerschaftlichen Beziehungen sind längst nicht zufriedenstellend. Die Menschen in Europa spüren, dass sich die Lage verschlechtert. Die Bürger und die Unternehmen — kleine, mittlere und große — erwarten wirksame Initiativen.

2.4.

Auftrieb gewonnen haben diejenigen politischen Kräfte, die aufgrund tatsächlicher bzw. vermeintlicher Erfordernisse nationaler Unabhängigkeit gegen das gemeinsam Erreichte aufstacheln. Im politischen Alltag werden leider nicht die Gemeinsamkeiten, sondern die Unterschiede in den Vordergrund gestellt.

2.5.

Bereits bei der Formulierung von Vorschlägen im Rahmen der Halbzeitbewertung der Strategie Europa 2020 wurde deutlich, dass es zur Umsetzung der europäischen Werte und zur Wahrnehmung der Interessen der Union unerlässlich ist, die die EU-Bürger unmittelbar betreffenden Entwicklungsprozesse und die damit zusammenhängenden Instrumente zu stärken.

2.6.

Die Wirtschaftskrise und der sich daraus ergebende Investitionsrückgang haben die auf Wachstum gründende Einheit der Mitgliedstaaten bröckeln lassen und zu sich immer weiter verschärfenden Spannungen geführt. Entgegen dem Grundziel der EU nehmen die Entwicklungsunterschiede zwischen den Mitgliedstaaten und insbesondere zwischen einzelnen Regionen zu.

2.6.1.

Zudem sollten die 2005 festgelegten Regeln über die Haushaltsdefizite an die gegenwärtige wirtschaftliche und soziale Lage der EU angepasst werden. Dabei sollten bestimmte öffentliche Ausgaben, z. B. im Bildungswesen, bei der Berechnung des Haushaltsdefizits ausgeklammert werden, da es sich um wichtige Investitionen in die Zukunft handelt.

2.7.

Die Europäische Union übt eine bedeutende Anziehungskraft aus, doch ist sie ganz allgemein noch nicht wieder zu einem attraktiven Investitionsstandort geworden. Bei den produktiven Investitionen fällt die EU immer mehr hinter die Vereinigten Staaten zurück. Die rückständigen Länder bremsen die besonders dynamischen. Durch die geringere Produktivität und die schwachen Innovationsprozesse sinkt der europäische Mehrwert im globalen Wettbewerb.

2.8.

In einigen Ländern gehen produktive Investitionen trotz des beträchtlichen Haushaltsüberschusses zurück. Hierdurch wird der Aufholprozess behindert. Die Reaktionen sind langsam und bürokratisch.

2.8.1.

Dabei sind Investitionen und Verbrauch nach Ansicht des EWSA von wesentlicher Bedeutung, um die Voraussetzungen für einen wirtschaftlichen Wandel hin zu einer nachhaltigen Wirtschaft zu schaffen und damit den Klimawandel zu bekämpfen. Es sollten neue Ausbildungsmöglichkeiten und Arbeitsplätze geschaffen werden, um die europäische Wettbewerbsfähigkeit zu stärken.

2.9.

Im Jahr 2014 brachte die Europäische Kommission ein neues Paradigma der wirtschaftlichen Entwicklung auf den Weg. Dessen Ziele — die Schaffung von Arbeitsplätzen und die Wachstumsstimulierung, die Stärkung des europäischen Binnenmarktes, die Vereinfachung der Wirtschaftsregulierung, die Konsolidierung der wichtigsten Errungenschaften der EU, der Energiemarkt, die Förderung der Investitionen in den digitalen Markt und in digitale Dienste, die vorrangige Behandlung der Europa verbindenden intellektuellen und physischen Netze sowie die Stärkung der Umwelthaftung — verleihen der Wirtschaft eine bedeutende neue Dynamik.

2.10.

Die zur Umsetzung des Programms ergriffenen Maßnahmen, die im Rahmen des Programms REFIT durchgeführten Arbeiten, der Europäische Fonds für strategische Investitionen und das institutionelle Gefüge scheinen die Richtigkeit der Intentionen zu bestätigen. Aber wie bereits ausgeführt, reicht die Wachstumsperspektive nicht aus.

2.11.

In einigen Fällen führte mangelnde wachstumsorientierte Haushaltspolitik in den Ländern mit hohen Staatsschulden und Haushaltsdefiziten — und nicht die Verschwendung bei den öffentlichen Ausgaben — zum Zusammenbruch der Finanzmärkte und der Banken. Sie erwies sich als kontraproduktiv und trug zur weiteren Vergrößerung der Kluft zwischen den Überschuss- und den Defizitländern bei. Mitunter können mehr Zeit und damit eine eher schrittweise Anpassung effektiver sein, da die Steigerung des Wirtschaftswachstums eine zentrale Rolle bei der Verringerung der Defizit- und Schuldenquoten spielt.

2.12.

Es sollte ein Entwicklungsinstrumentarium geschaffen werden, das es ermöglicht, zugleich Wachstum zu gewährleisten, eine symmetrische Anpassung in der EU zu fördern und die sozialen Spannungen abzumildern. Das Europäische Semester ermöglicht eine länderspezifische Planung des Prozesses und eine Überwachung der Durchführung, spielt jedoch bei der Festsetzung des fiskalischen Kurses für das Euro-Währungsgebiet nur eine untergeordnete Rolle, wie die Kommission in ihrer Mitteilung zur Wirtschaftspolitik im Euro-Währungsgebiet (COM(2016) 726 final) klar hervorhebt.

2.13.

Die Kernziele der Strategie Europa 2020 sind nach wie vor relevant. Die Zahl der Arbeitslosen ist mit über 22 Mio. in der EU und mehr als 17 Mio. im Euro-Währungsgebiet nach wie vor unannehmbar hoch. Über 122 Mio. Menschen leben an der Armutsgrenze bzw. sind von Armut bedroht. Die Perspektivlosigkeit der jungen Menschen ist ein großes Hindernis für eine positiv besetzte Zukunft Europas. Die Arbeitskräfte sind wenig mobil. Das System des lebenslangen Lernens steht immer noch nicht im Zentrum der Politik. Die Tendenzen sind nicht ermutigend und bleiben weit hinter den Zielvorgaben zurück. Derzeit sind bereits mehr als 70 Richtlinien über die sozialen Rechte in Kraft. In seiner Stellungnahme zur europäischen Säule sozialer Rechte fordert der EWSA als Zielvorgabe, die sozialen Rechte in Europa im Rahmen der Erstellung der Jahreswachstumsberichte nach oben zu vereinheitlichen (Aufwärtskonvergenz). Zudem betont er die Notwendigkeit, in der gesamten EU Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit zu gewährleisten. Der EWSA unterstreicht in diesem Zusammenhang die notwendige Interdependenz zwischen Wirtschafts-, Beschäftigungs- und Sozialpolitik (2).

3.   Besondere Bemerkungen

3.1.

Investitionen

3.1.1.

In ihrem Jahreswachstumsbericht räumt die Europäische Kommission der Zusammenfassung der Maßnahmen zur Weiterentwicklung des Finanzsystems zentrale Bedeutung ein. Diese sind insbesondere von Bedeutung für die Konsolidierung der Funktionsweise des Sektors, die Steigerung der Effizienz des EFSI, die Beseitigung der Investitionshemmnisse und die Stärkung der globalen Rolle der europäischen Wirtschaft.

3.1.2.

Der EWSA stimmt zu, dass es von größter Bedeutung ist, eine Kapitalmarktunion und weitere Rahmenbedingungen zu schaffen, und erklärt sich einverstanden, die Finanzierungsbedingungen zu verbessern, das Risiko zu streuen und die Zugangsmöglichkeiten zu Krediten auszuweiten, insbesondere durch die Beseitigung von Hindernissen für KMU, sowie den Grundsatz der Chancengleichheit in die Praxis umzusetzen.

3.1.3.

Hier lassen sich folgende Beispiele anführen: die Verordnung über Risikokapitalfonds und die Weiterentwicklung des Fonds für soziales Unternehmertum, die „zweite Chance“ für scheiternde Unternehmer, die Verbesserung der Insolvenzverfahren und die Einrichtung von Systemen zur präventiven Umstrukturierung. Die Förderung der Bankenbeteiligung und die Steigerung ihrer operativen Effizienz müssen einen der Grundpfeiler des Ausbaus der Investitionstätigkeit bilden.

3.1.4.

Alles deutet darauf hin, dass der Investmentmarkt in Europa durch den Europäischen Fonds für strategische Investitionen — auch durch seine bereits beschlossene Ausweitung — erheblich stimuliert wird. Das kann für die Erreichung der Ziele für 2030, bei denen auch die Nachhaltigkeitskriterien berücksichtigt werden, eine erhebliche Rolle spielen. Durch den schrittweisen Übergang zu einer CO2-armen Kreislaufwirtschaft werden vor allem im Dienstleistungssektor neue Arbeitsplätze entstehen, und den Nachhaltigkeitskriterien genügende Produkte können auch für die Innovation neue Wege ebnen.

3.1.5.

Bereits in früheren Stellungnahmen hat der EWSA betont, dass sich durch die Vollendung der Energieunion und die Strategie für einen digitalen Binnenmarkt außerordentliche Investitionsmöglichkeiten ergeben werden. Die Dynamisierung dieser Bereiche hängt auch von den internationalen Handelsabkommen, von denen einige durch den Wandel der Vorzeichen in der Weltpolitik beeinträchtigt werden können, und dem damit zusammenhängenden Abbau der Markthemmnisse ab.

3.1.6.

Der EWSA hält es für grundlegend, dass die Strukturfonds stärker als bisher für die Förderung von Bildung und Ausbildung sowie die damit verbundene Mobilität genutzt werden können.

3.2.    Fortsetzung der Strukturreformen

3.2.1.

Der EWSA unterstützt die Verpflichtung, die Strukturreformen, wie vereinbart, gestaffelt durchzuführen. Auf europäischer und nationaler Ebene müssen die hierfür notwendigen Mittel bereitgestellt werden.

3.2.2.

Der EWSA teilt die Auffassung des Europäischen Parlaments, dass ein reibungslos funktionierender, flexibler Arbeitsmarkt eine der Voraussetzungen für eine positive konjunkturelle Entwicklung ist. Er hält es jedoch für notwendig, die soziale Dimension des europäischen Binnenmarkts zu stärken.

3.2.3.

Bei der Umsetzung der länderspezifischen Empfehlungen sollten müssen die Haushaltskapazitäten der Mitgliedstaaten, an die sie gerichtet sind, berücksichtigt werden, damit diese Strategien zur Förderung von Wachstum und sozialer Inklusion entwickeln können.

3.2.4.

Der EWSA begrüßt, dass die Europäische Kommission im März 2016 eine Konsultation über eine europäische Säule sozialer Rechte eingeleitet hat, und stimmt mit ihr darin überein, dass wirtschaftliche Entwicklungen in wachsenden sozialen Fortschritt und größeren sozialen Zusammenhalt münden sollten. Die Mitgliedstaaten mit den besten wirtschaftlichen Ergebnissen haben ehrgeizigere und effizientere sozialpolitische Strategien entwickelt, aber die Wettbewerbsfähigkeit und die soziale Dimension in der EU müssen generell gestärkt werden.

3.2.5.

Die Reformen der Mitgliedstaaten müssen für den Zugang zu qualitativ hochwertigen Diensten und Leistungen sorgen. Dazu gehört die Verbesserung der allgemeinen und beruflichen Bildung, der Gesundheitsversorgung, des Wohnraums und der Kinderbetreuung, die eine Grundvoraussetzung für die wirtschaftliche Entwicklung ist und sich unmittelbar auf die Gestaltung der Lebensführung und die soziale Inklusion auswirkt.

3.2.6.

Bei der Ausarbeitung, Abstimmung und Umsetzung der Strukturreformen kommt den Sozialpartnern eine besonders wichtige Rolle zu. Sie muss insbesondere auf einem Neustart des sozialen Dialogs beruhen, der auf dem gegenwärtigen Dialog aufbaut, aber um zusätzliche partizipative Instrumente erweitert ist. Verantwortliches soziales Engagement hängt in hohem Maß von klarer und direkter Kommunikation ab, und der EWSA begrüßt die erklärte Absicht der Europäischen Kommission, die Sozialpartner eng und systematisch in den Zyklus des Europäischen Semesters einzubeziehen.

3.2.7.

Durch eine zusammenhängende Planung und Umsetzung der Reformen kann die soziale Dimension im Laufe des Europäischen Semesters stärker zum Tragen kommen. Das wirtschaftspolitische Instrumentarium und die wirtschaftspolitische Methodik sollten durch langfristig wirksame Ergebnisse und auch die Nachhaltigkeit widerspiegelnde gesellschaftliche und soziale Werte ergänzt werden.

3.2.8.

Fester Bestandteil der Reformen sollte die Einführung eines Anreizsystems sein, das gleiche Wettbewerbsbedingungen schafft, das Wachstum stärker fördert und die Missbrauchsmöglichkeiten begrenzt.

3.3.    Positive Haushaltspolitik

3.3.1.

Ein wichtiger Bestandteil des Europäischen Semesters ist die Einhaltung und Durchsetzung der Bestimmungen des Stabilitäts- und Wachstumspakts und die Überwachung ihrer Auswirkungen auf die Volkswirtschaften der einzelnen Mitgliedstaaten. Bedauerlicherweise hat sich das Europäische Semester als einseitiges Instrument erwiesen, bei dem hohe Schulden und Defizite unter Androhung von Sanktionen verboten sind und einfach nur der Abbau hoher Überschüsse nahegelegt wird. Der EWSA befürwortet eine flexible Handhabung, insbesondere wenn dadurch auch langfristig nützliche Bereiche (allgemeine und berufliche Bildung, Gesundheitswesen), in denen öffentliche Investitionen getätigt werden, an zusätzlicher Dynamik gewinnen.

3.3.2.

Allerdings erachtet es der EWSA für wichtig, dass die Umsetzung des Stabilitäts- und Wachstumspakts durch die Einführung eines „Verfahrens bei einem sozialen Ungleichgewicht“ (SIP) — ähnlich dem Verfahren bei einem makroökonomischen Ungleichgewicht (MIP) — ergänzt wird, durch das auch die sozialen Folgen der Wirtschaftstätigkeit in den Mitgliedstaaten aufgezeigt und analysiert werden. Wie oben dargelegt, sollte nationalen Haushaltsdefizite in besonderer Form Rechnung getragen werden, wenn sie mit Investitionen für die Zukunft, wie z. B. im Bildungswesen, oder Investitionen in Zusammenhang stehen, die die Voraussetzungen für einen wirtschaftlichen Wandel hin zu einer nachhaltigen, den Klimawandel bewältigenden Wirtschaft schaffen.

3.3.3.

Der EWSA begrüßt die Stärkung der Rolle der Europäischen Zentralbank (EZB) und die von der Kommission unternommenen Anstrengungen, um bei der Geldpolitik für das Euro-Währungsgebiet einen positiven fiskalischen Kurs einzuschlagen. Der EWSA anerkennt die wichtige Rolle der EZB bei der Wiederherstellung von Stabilität nach der Finanzkrise. Diese muss durch wirkungsvollere Maßnahmen ergänzt werden, um das Wirtschaftswachstum und die Schaffung von Arbeitsplätzen zu beschleunigen. In diesem Zusammenhang ist der EWSA zutiefst besorgt und enttäuscht darüber, dass der Rat die Empfehlung der Kommission für einen positiven fiskalischen Kurs im Euro-Währungsgebiet abgelehnt hat.

3.3.4.

Das derzeit niedrige Zinsniveau bietet den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, die öffentlichen Investitionen zu erhöhen und zugleich ihre Schuldenquote zu verringern. Der EWSA ist der Ansicht, dass sich im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspakts im Zusammenhang mit der Halbzeitbewertung des EU-Haushalts und der Vorbereitung des kommenden Programmplanungszeitraums und basierend auf der Einführung des „ergebnisorientierten EU-Haushalts“ eine günstige Gelegenheit bieten dürfte, neuartige — das Wirtschaftswachstum fördernde, aber langfristig die Nachhaltigkeit sicherstellende — Investitionspraktiken zu entwickeln.

3.3.5.

Den Prognosen des Jahreswachstumsberichts 2017 kommt bei der Analyse der Entwicklung der europäischen Gesellschaftsstruktur besondere Bedeutung zu. Die Haushalte der Mitgliedstaaten werden im Bereich Soziales immer stärker belastet, um die negativen Auswirkungen der Alterung der Gesellschaft zu lindern. Es ist erneut auf die Bedeutung von Bildung und Umschulung, die präventive Rolle des Gesundheitswesens und die Notwendigkeit, das Sozialversicherungssystem weiterzuentwickeln, hinzuweisen.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1.

Das vorrangige Programm zur vollständigen Konsolidierung des Finanzsystems des Euro-Währungsgebiets muss unbedingt dringend im Detail ausgearbeitet und umgesetzt werden. Dies sollte jedoch nicht dazu führen, dass sich der Graben zwischen den europäischen Ländern weiter vertieft.

4.2.

Die von den „fünf Präsidenten“ angekündigte erste Phase der Entwicklung mit zwei Geschwindigkeiten zur Vollendung der europäischen Wirtschafts- und Währungsunion endet 2017. Mit einem „Weißbuch“ wird die zweite Phase vorbereitet. Angesichts des Brexit kommt der Stärkung der vier Unionen — der Wirtschafts-, Fiskal-, Finanz- und politischen Union — besondere Bedeutung zu. Es scheint unabdingbar, die finanziellen Kapazitäten für den Zeitraum nach dem Brexit auszubauen.

4.2.1.

Während bislang vor allem die Stärkung des Wirtschafts- und Finanzsystems des Euro-Währungsgebiets im Mittelpunkt des Interesses stand — Einsetzung von Räten für Wettbewerbsfähigkeit und Produktivität, Stärkung der Bankenunion und Einigung über ihre dritte Säule (ein Einlagenversicherungssystem (EDIS)), Schaffung eines Gremiums zur Überwachung der Haushaltsdisziplin, Fortschritte auf dem Weg zu einer engen Kooperation auf den Kapitalmärkten usw. —, sollte nun auch der Wille zu einer politischen Zusammenarbeit zunehmen.

4.2.2.

Das stellt für die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union eindeutig einen Anreiz dar, eine allgemeine, auf einer flexiblen Wirtschaftspolitik basierende politische Richtung festzulegen. Damit wird gemäß dem Vertrag von Lissabon und dem Rechtsrahmen für dessen Umsetzung den gesellschaftlichen und sozialen Besonderheiten sowie der Widerstandsfähigkeit jedes Landes auch dann stärker Rechnung getragen, wenn die Vereinbarungen zur Regulierung der Wirtschaft und ihre Instrumente gut funktionieren

(die in jüngster Zeit von Frankreich, Spanien oder Portugal gegenüber der Verringerung des Haushaltsdefizits an den Tag gelegte flexiblere Haltung ist ein gutes Beispiel für diese Möglichkeit).

4.3.

In den letzten Haushalts- und Finanzzeiträumen hat das Erfordernis der Betonung eines „europäischen Mehrwerts“ bei der Festlegung der Aufgaben und Programme stark an Bedeutung gewonnen. Die verschiedenen durch europäische Fonds geförderten Programme zielen zunehmend auch auf eine konkrete Zusammenarbeit zwischen den EU-Mitgliedstaaten ab, bei der mit den gemeinsamen Bemühungen ein besseres Ergebnis erreicht wurde als auf nationaler Ebene möglich gewesen wäre (Fazilität „Connecting Europe“, Horizont 2020 usw.). Überdies haben sie eine Annäherung der gemeinsamen europäischen Interessen zwischen der lokalen Ebene und der Ebene der Mitgliedstaaten (Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und der Armut, Ausbau der Infrastrukturen, regionale und Stadtentwicklung usw.) vorangetrieben. Der Umfang der verfügbaren Mittel ist den Aufgaben allerdings nicht angemessen.

4.4.

Bei den im Laufe des Europäischen Semesters formulierten länderspezifischen Empfehlungen wurde auch der Angleichung der Ziele der Strategie Europa 2020 große Beachtung geschenkt. Neben den Haushalts- und Strukturreformen müssen die Reformprogramme der Mitgliedstaaten auch konkrete Ziele und die Voraussetzungen für ihre Verwirklichung enthalten. Die drei Säulen der Strategie Europa 2020 — ein intelligentes, nachhaltiges und integratives Europa — und ihr Indikatorsystem können auch weiterhin als Maßstab für die Antworten dienen, die für die sich bis 2030 stellenden neuen Herausforderungen gefunden werden müssen.

4.5.

Die Rolle der langfristigen sozioökologischen Nachhaltigkeitsziele muss im Rahmen des Mechanismus des Europäischen Semesters verstärkt werden. Mit dem Europäischen Semester lässt sich die Konzertierung über Kernfragen wie die Förderung bestimmter Investitionen im sozialen und im öffentlichen Sektor, die Berücksichtigung langfristig rentabler Investitionen bei der Berechnung des Haushaltsdefizits oder auch die Entwicklung einer institutionellen Struktur für das Wohlergehen der Bürger fördern. Es muss eine neue „goldene Regel“ geben, die festlegt, was Verbrauch und was Investition ist. Die hierfür notwendigen Voraussetzungen lassen sich durch die Erwägung der Möglichkeit schaffen, die Haushaltsmechanismen der EU zu überprüfen und die Eigenmittel aufzustocken.

4.6.

Die Verteilung der Eigenverantwortung (ownership) — von der Identifizierung der Aufgaben bis hin zum Durchführungsprozess — sowie die Anerkennung der zunehmenden Rolle der Endbegünstigten sind im Rahmen dieser Konzertierung von besonderer Bedeutung. Die Rolle der nationalen Parlamente muss ausgebaut werden und ihren Bedenken hinsichtlich der Subsidiarität ist Rechnung zu tragen.

4.7.

Zukunftsvision, politischer Wille und Regierungsfähigkeit divergieren. Das System der Rechtsinstrumente ist komplex, und die Teilhabe der Sozialpartner und der Zivilgesellschaft ist rein formell, was die fehlende gesellschaftliche Unterstützung deutlich widerspiegelt. Hierdurch wird das Demokratiedefizit verstärkt und das Vertrauen untergraben.

4.8.

Momentan bestimmen zwei große, grundverschiedene wirtschafts- und finanzpolitische Instrumentarien und Institutionengefüge bzw. Verfahren die Entwicklungsprozesse. Deren Komplementarität muss verstärkt werden, darauf ausgerichtete Leitlinien sind nicht ausreichend. Es bedarf einer systemischen Lösung.

4.8.1.

Beim ersten Instrumentarium handelt es sich um die klassischen europäischen Struktur- und Investitionsfonds (ESI-Fonds), die den Zusammenhalt fördern sollen. Dies sind fortlaufend modernisierte, aber in ihren Merkmalen unveränderte Investitions- und Entwicklungshilfen, die dank der Umverteilung des über die Beiträge der weiter entwickelten Mitgliedstaaten finanzierten EU-Haushalts zur Verfügung stehen. In einigen Fällen werden diese Fonds von den Begünstigten nicht gebührend geschätzt, die argumentieren, dass sie ihnen „zustehen“.

4.8.2.

Bei der im Prozess des bis 2020 reichenden siebenjährigen Finanzrahmens (MFR) vorgesehenen Halbzeitüberprüfung ist es zur Förderung der oben genannten Komplementarität unerlässlich, die Bestimmungen zu ergänzen und zu vereinfachen.

4.8.3.

In diese Richtung gehen auch die Vorschläge der Europäischen Kommission zur Stärkung der finanziellen Ziele, Förderung von Investitionen, Bewältigung der Migrationsströme oder Verringerung der Jugendarbeitslosigkeit.

4.8.4.

Wichtige Elemente sind die Stärkung der Flexibilität und die Vereinfachung der Bestimmungen im Bereich des Zugangs zu Finanzmitteln.

4.8.5.

Das zweite Instrumentarium ist der Europäische Fonds für strategische Investitionen (EFSI) zur Verwirklichung des „Juncker-Plans“; er stellt ein neues marktorientiertes, auf die Förderung von Risikokapital ausgerichtetes Finanzinstrument zur Mobilisierung von Mitteln seitens des Staates, der Banken und der Privatwirtschaft dar. Die Mittel des EFSI belaufen sich bereits auf 500 Mrd. EUR und sein Zeithorizont erstreckt sich bis 2020. Er könnte im nächsten Programmplanungszeitraum eine wichtige Rolle spielen.

4.9.

Der neu geschaffene Steuerungsmechanismus sollte in eine künftige entwicklungsorientierte Governance integriert werden. Die Harmonisierung dieser beiden Finanzierungssysteme sollte ebenfalls auf der Ebene jedes Mitgliedstaats erfolgen. Längerfristig sollten die beiden Steuerungsmechanismen miteinander verschmolzen werden.

4.10.

Der EWSA hält die neue Mitteilung der Europäischen Kommission, in der für die Zeit bis 2030 die bisherigen richtungsweisenden, auch für die Bewältigung der Nachhaltigkeitsherausforderungen geeigneten strategischen Arbeiten zusammengefasst werden, für vielversprechend.

4.11.

Die Aufgaben im Rahmen des neuen Programmplanungszeitraums sollten auf einigen wenigen, klar verständlichen Zielen beruhen. Für die Umsetzung ist ein neues strategisches Instrument der Europäischen Kommission notwendig, ein auf Koordinierung ausgerichtetes Steuerungssystem, das auch der gesellschaftlichen Kontrolle Rechnung trägt.

4.12.

Auf der Grundlage einer Analyse der Effizienz und Effektivität der verschiedenen Finanzinstrumente ist es nun erforderlich, für den Zeitraum bis 2030 einen Vorschlag für eine bessere Aufgabenverteilung zwischen den herkömmlichen kohäsionspolitischen Zielen und den nach einer Marktlogik getätigten Investitionen zu unterbreiten. Der Projektbewertungsmechanismus des Europäischen Fonds für strategische Investitionen (EFSI) bietet eine gute methodische Unterstützung — auch für die Nutzung herkömmlicher kohäsionspolitischer Instrumente.

4.13.

Zur Verbesserung der Wirksamkeit und Effizienz des Europäischen Semesters muss die institutionelle Struktur der Partnerschaft gestärkt und entsprechend dem Recht der Öffentlichkeit auf Teilhabe auf alle EU-Bürger ausgeweitet werden. Es gilt, den Unionsbürgen die Möglichkeit zu eröffnen, Zugang zu Informationen zu erhalten und sich an Entscheidungen für die Konzipierung und Umsetzung zu beteiligen. Zudem sollten sich die Bürger zu den Entwürfen für Programme, Ausschreibungen und Bewertungsberichten äußern können.

Brüssel, den 22. Februar 2017

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  Europäische Kommission: Winterprognose 2017 — Überblick, 13. Februar 2017.

(2)  SOC/542 (ABl. C 125 vom 21.4.2017, S. 10).


ANHANG

zu der STELLUNGNAHME

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Die folgenden Ziffern der Stellungnahme des Unterausschusses wurden durch im Plenum angenommene Änderungsanträge ersetzt, obwohl ihre Beibehaltung mit mehr als einem Viertel der abgegebenen Stimmen unterstützt wurde (Artikel 54 Absatz 4 der Geschäftsordnung):

a)   Ziffer 1.9

 

Nach Ansicht des EWSA lässt sich die tatsächliche ergebnisorientierte Wirtschaftsentwicklung nur mit Hilfe komplexer Indikatoren, die auch die sozialen und ökologischen Auswirkungen berücksichtigen, wirklich darstellen (BIP/Bruttoinlandsprodukt).

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen:

111

Nein-Stimmen:

109

Enthaltungen:

13

b)

Ziffer 2.13

 

Die Kernziele der Strategie Europa 2020 sind nach wie vor relevant. Die Zahl der Arbeitslosen ist mit über 22 Mio. in der EU und mehr als 17 Mio. im Euro-Währungsgebiet nach wie vor unannehmbar hoch. Über 122 Mio. Menschen leben an der Armutsgrenze bzw. sind von Armut bedroht. Die Perspektivlosigkeit der jungen Menschen ist ein großes Hindernis für eine positiv besetzte Zukunft Europas. Die Arbeitskräfte sind wenig mobil. Das System des lebenslangen Lernens steht immer noch nicht im Zentrum der Politik. Die Tendenzen sind nicht ermutigend und bleiben weit hinter den Zielvorgaben zurück. Derzeit sind bereits mehr als 70 Richtlinien über die sozialen Rechte in Kraft. „Der EWSA betont die Notwendigkeit von Wachstum und Wettbewerbsfähigkeit in der gesamten EU. Der EWSA unterstreicht in diesem Zusammenhang die notwendige Verzahnung zwischen Wirtschafts-, Beschäftigungs- und Sozialpolitik.“  (3)

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen:

145

Nein-Stimmen:

62

Enthaltungen:

14

c)   Ziffer 3.2.2

 

Der EWSA teilt die Auffassung des Europäischen Parlaments, dass ein reibungslos funktionierender, flexibler Arbeitsmarkt eine der Voraussetzungen für eine positive konjunkturelle Entwicklung ist. Der EWSA weist darauf hin, dass der Sozialschutz in der EU weltweit am stärksten entwickelt ist.

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen:

141

Nein-Stimmen:

65

Enthaltungen:

16


(3)  EWSA-Stellungnahme zum Thema „Europäische Säule der sozialen Rechte“ (SOC/542) (ABl. C 125 vom 21.4.2017, S. 10).


31.5.2017   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 173/82


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 87/217/EWG des Rates, der Richtlinie 2003/87/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, der Richtlinie 2009/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates, der Verordnung (EU) Nr. 1257/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates, der Richtlinie 86/278/EWG des Rates und der Richtlinie 94/63/EG des Europäischen Parlaments und des Rates in Bezug auf Verfahrensvorschriften auf dem Gebiet der Umweltberichterstattung und zur Aufhebung der Richtlinie 91/692/EWG des Rates“

[COM(2016) 789 final — 2016/0394 COD]

(2017/C 173/14)

Befassung

Europäisches Parlament, 13.2.2017

Rat der Europäischen Union, 20.2.2017

Rechtsgrundlage

Artikel 192 Absatz 1 und Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umwelt

Verabschiedung auf der Plenartagung am

22.2.2017

Plenartagung Nr.

523

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

178/1/2

Da der Ausschuss dem Vorschlag zustimmt und sich bereits in seiner Stellungnahme 1491/90 vom 18. Dezember 1990 (*1) zu dieser Thematik geäußert hat, beschloss er auf seiner 523. Plenartagung am 22./23. Februar 2017 (Sitzung vom 22. Februar) mit 178 Stimmen bei 1 Gegenstimme und 2 Enthaltungen, eine befürwortende Stellungnahme abzugeben und auf den Standpunkt zu verweisen, den er in der vorgenannten Stellungnahme vertreten hat.

Brüssel, den 22. Februar 2017

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(*1)  Stellungnahme des EWSA 1491/90 zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Vereinheitlichung und zweckmäßigen Gestaltung der Berichte über die Durchführung bestimmter Umweltschutzrichtlinien“ (ABl. C 60 vom 8.3.1991, S. 15).