ISSN 1977-088X

Amtsblatt

der Europäischen Union

C 123

European flag  

Ausgabe in deutscher Sprache

Mitteilungen und Bekanntmachungen

64. Jahrgang
9. April 2021


Inhalt

Seite

 

III   Vorbereitende Rechtsakte

 

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

 

557. Plenartagung des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses — JDE 62 — Videokonferenz über Interactio, 27.1.2021-28.1.2021

2021/C 123/01

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Bericht der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Bericht über die Wettbewerbspolitik 2019(COM(2020) 302 final)

1

2021/C 123/02

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Gründung des Gemeinsamen Unternehmens für europäisches Hochleistungsrechnen(COM(2020) 569 final — 2020/260 NLE)

7

2021/C 123/03

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur Empfehlung für eine Empfehlung des Rates zur Wirtschaftspolitik des Euro-Währungsgebiets(COM(2020) 746 final)

12

2021/C 123/04

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Ein neues Migrations- und Asylpaket(COM(2020) 609 final)

15

2021/C 123/05

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Förderung einer klimaneutralen Wirtschaft: Eine EU-Strategie zur Integration des Energiesystems(COM(2020) 299 final)

22

2021/C 123/06

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Eine Wasserstoffstrategie für ein klimaneutrales Europa(COM(2020) 301 final)

30

2021/C 123/07

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 95/93 des Rates hinsichtlich der vorübergehenden Entlastung von den Vorschriften für die Nutzung von Zeitnischen an Flughäfen der Gemeinschaft aufgrund der COVID-19-Pandemie(COM(2020) 818 final — 2020/0358 (COD))

37

2021/C 123/08

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Ein neues Konzept der Meeresstrategie für den Atlantik — Aktionsplan für den Atlantik 2.0 — Ein aktualisierter Aktionsplan für eine nachhaltige, widerstandsfähige und wettbewerbsfähige blaue Wirtschaft im atlantischen Raum der Europäischen Union(COM(2020) 329 final)

42

2021/C 123/09

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Mehr Ehrgeiz für das Klimaziel Europas bis 2030 — In eine klimaneutrale Zukunft zum Wohl der Menschen investieren(COM(2020) 562 final)

59

2021/C 123/10

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1367/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. September 2006 über die Anwendung der Bestimmungen des Übereinkommens von Århus über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten auf Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft(COM(2020) 642 final — 2020/0289 (COD))

66

2021/C 123/11

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung einer Fangdokumentationsregelung für Roten Thun (Thunnus thynnus) und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 640/2010(COM(2020) 670 final — 2020/0302 (COD))

72

2021/C 123/12

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und Rates über ein allgemeines Umweltaktionsprogramm der Union für die Zeit bis 2030(COM(2020) 652 final — 2020/0300 (COD))

76

2021/C 123/13

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Mindestanforderungen für die Ausbildung von Seeleuten (kodifizierter Text)(COM(2020) 739 final — 2020/0329 (COD))

80

2021/C 123/14

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über gemeinsame Regeln zur Gewährleistung der grundlegenden Konnektivität im Güter- und Personenkraftverkehr nach dem Ende des im Abkommen über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft genannten Übergangszeitraums(COM(2020) 826 final — 2020/0362 (COD))

81

2021/C 123/15

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über gemeinsame Vorschriften zur Gewährleistung der grundlegenden Konnektivität im Luftverkehr nach dem Ende des im Abkommen über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft genannten Übergangszeitraums(COM(2020) 827 final — 2020/0363 (COD))

82

2021/C 123/16

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte Aspekte der Flugsicherheit im Hinblick auf das Ende des im Abkommen über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft genannten Übergangszeitraums(COM(2020) 828 final — 2020/0364 (COD))

83

2021/C 123/17

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung besonderer und vorübergehender Maßnahmen im Hinblick auf den COVID-19-Ausbruch hinsichtlich der Erneuerung oder Verlängerung bestimmter Bescheinigungen, Lizenzen und Genehmigungen und der Verschiebung bestimmter regelmäßiger Kontrollen und Weiterbildungen in bestimmten Bereichen des Verkehrsrechts für Bezugszeiträume, die auf die in der Verordnung (EU) 2020/698 genannten Zeiträume folgen(COM(2021) 25 final — 2021/0012 (COD))

84

2021/C 123/18

Stellungnahme des Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss zum Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) 2017/2403 hinsichtlich der Fanggenehmigungen für Fischereifahrzeuge der Union in den Gewässern des Vereinigten Königreichs und der Fischereitätigkeiten von Fischereifahrzeugen des Vereinigten Königreichs in den Unionsgewässern(COM(2020) 830 final — 2020/0366 (COD))

85

2021/C 123/19

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Entscheidung 2008/971/EG des Rates im Hinblick auf die Gleichstellung von im Vereinigten Königreich erzeugtem mit in der Union erzeugtem forstlichem Vermehrungsgut(COM(2020) 852 final — 2020/0378 (COD))

86

2021/C 123/20

Stellungnahme des EEuropäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Entscheidungen 2003/17/EG und 2005/834/EG des Rates im Hinblick auf die Gleichstellung von Feldbesichtigungen im Vereinigten Königreich und die Gleichstellung von im Vereinigten Königreich durchgeführten Kontrollen von Erhaltungszüchtungen landwirtschaftlicher Pflanzenarten(COM(2020) 853 final — 2020/0379 (COD))

87


DE

 


III Vorbereitende Rechtsakte

Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss

557. Plenartagung des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses — JDE 62 — Videokonferenz über Interactio, 27.1.2021-28.1.2021

9.4.2021   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 123/1


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Bericht der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Bericht über die Wettbewerbspolitik 2019“

(COM(2020) 302 final)

(2021/C 123/01)

Berichterstatter:

Gonçalo LOBO XAVIER

Befassung

Europäische Kommission, 12.8.2020

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

 

 

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion, Verbrauch

Annahme in der Fachgruppe

11.12.2020

Verabschiedung auf der Plenartagung

27.1.2021

Plenartagung Nr.

557

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

230/0/6

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt den Bericht der Europäischen Kommission über die Wettbewerbspolitik 2019, mit dem ein Konzept entwickelt wird, das auf die Stärkung des Binnenmarkts und die Förderung der wirtschaftlichen Entwicklung sowie sozialpolitischer Ziele als wesentliche Faktoren für die Entwicklung der Union ausgerichtet ist.

1.2.

Der EWSA betrachtet, wie bereits mehrfach hervorgehoben, eine wirksame und prinzipientreue Wettbewerbspolitik als eine der Säulen der Europäischen Union und als unverzichtbares Instrument für die Vollendung des Binnenmarkts im Sinne des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, der Nachhaltigkeitsziele, des Aufbaus einer sozialen Marktwirtschaft und der Umsetzung der europäischen Säule sozialer Rechte (1). Diese Punkte sind weiterhin aktuell.

1.3.

Der EWSA teilt die Auffassung, dass die Kommission in Märkten, die für EU-Bürger und -Unternehmen wichtig sind, etwa in den Bereichen digitale Wirtschaft und Telekommunikation, Energie und Umwelt, verarbeitende Industrie, Finanzdienstleistungen, Steuerwesen, Landwirtschaft sowie Ernährung und Verkehr, Maßnahmen zur Förderung eines fairen Wettbewerbs ergreifen sollte. Diese Maßnahmen sollten Vertrauen bei den Verbrauchern schaffen und geeignete Bedingungen für die Tätigkeit von Unternehmen eindeutig festlegen. Der wirtschaftliche und soziale Wandel vollzieht sich sehr schnell. Kontinuierliche Anpassungen hin zu einer modernen, nachhaltigen, umweltfreundlichen und digitalen Wirtschaft sind dringend erforderlich, und der Wettbewerbspolitik kommt hierbei eine Schlüsselrolle zu.

1.4.

In einem zunehmend digitalen Umfeld entstehen in rasanter Geschwindigkeit ständig neue Herausforderungen aus der Nutzung von Daten, Algorithmen und Märkten. Folglich müssen die Kooperationsnetze zwischen den Behörden der Mitgliedstaaten und der Kommission verstärkt werden, um den fairen Wettbewerb im Binnenmarkt zu wahren. Die EU muss deshalb mit dem digitalen Zeitalter Schritt halten. Der EWSA ist sich bewusst, dass Veränderungen nötig sind, und empfiehlt mit Nachdruck, die erforderlichen Anpassungen vorzunehmen. Der EWSA ist der festen Überzeugung, dass der digitale Markt und Online-Plattformen Teil einer neuen Wirtschaft sind, die von entscheidender Bedeutung für Europa ist, dass es jedoch auch wichtig ist, klare und faire Regeln für alle Akteure aufzustellen.

1.5.

Der EWSA weist die Kommission darauf hin, dass es notwendig ist, kontinuierlich die wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen zu schaffen, unter denen sich das Wachstum von KMU bei gleichen Wettbewerbsbedingungen steigern lässt, die auch großen Unternehmen die Teilnahme am Wirtschaftsablauf ermöglichen. Europa muss als starker Wirtschaftsraum wahrgenommen werden, in dem für einen fairen Wettbewerb und eindeutige Regeln für alle Akteure gesorgt wird.

1.6.

Im Interesse gleicher Wettbewerbsbedingungen fordert der EWSA, dass Unternehmen aus Drittstaaten im Wettbewerb die gleichen Sozial- und Umweltnormen einzuhalten haben. In Europa darf es keine unterschiedlichen Ansätze für dieselben Herausforderungen geben. Und im Hinblick auf die Wettbewerbspolitik darf Europa nicht naiv sein.

1.7.

Der EWSA unterstützt die von der Kommission ergriffenen koordinierten Maßnahmen für das verarbeitende Gewerbe. Die EU sollte jedoch hier noch weiter gehen und in enger Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten eine dauerhafte Lösung zur Förderung gleicher Wettbewerbsbedingungen vorschlagen. Die befristeten Maßnahmen in Bezug auf die Versorgung mit bestimmten Produkten aus Drittlandsmärkten müssen dauerhaft eingeführt werden, insbesondere wenn es um die Einfuhr lebenswichtiger medizinischer Ausrüstung und anderer wichtiger Produkte geht. Diese Pandemie hat alle Schwächen einer zögerlichen Politik aufgezeigt. Eine starke und robuste verarbeitende Industrie sollte einer der Stützpfeiler der Wettbewerbspolitik sein.

1.8.

Im Bereich Landwirtschaft und Lebensmittel ist es wichtig, die Erzeugnisse mit einer europäischen Ursprungsbezeichnung vor Nachahmung oder „Kopien“ zu schützen. Die Bereiche Saatgut und Pflanzenschutzmittel sind von grundlegender Bedeutung für Landwirte und Verbraucher, doch sie verursachen auch Bedenken, die über den Schutz der Verbraucher, die Lebensmittelsicherheit und die Gewährleistung der Einhaltung der Umwelt- und Klimaschutzvorschriften hinausgehen.

1.9.

Im Hinblick auf den Wettbewerb zwischen den Mitgliedstaaten im Binnenmarkt ist der Verkehr nach wie vor eine der schwierigsten Dienstleistungsbranchen. Hier müssen klare Regeln und die nötige Ausgewogenheit nicht nur für die Unternehmen, sondern auch für die Endnutzer stets Vorrang haben.

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1.

Die Wettbewerbspolitik ist für das Ziel eines effizienten und fairen Binnenmarkts, mit dem die europäischen Werte und das europäische Projekt gestärkt werden können, von entscheidender Bedeutung. Angesichts dessen ist es wichtig, diese Politik und die Leitlinien als Ganzes besser zu erläutern, damit der Binnenmarkt als wertvolle Ergänzung der Globalisierung wahrgenommen wird und sich durch die europäische Vorreiterrolle bei nachhaltigem und fairem Handel nicht nur Chancen bieten, sondern auch greifbare Ergebnisse erzielt werden, die Auswirkungen in anderen Wirtschaftsräume haben können.

2.2.

Auch wenn die „Eignungsprüfung“ der Vorschriften über staatliche Beihilfen 2019 ein wichtiger Schritt war, scheinen Umsetzung und Überwachung alles andere als perfekt und schnell abzulaufen. Diese Verfahren, einschließlich öffentlicher Anhörungen, müssen zielgerichteter und schneller erfolgen. Der EWSA ist der Ansicht, dass zivilgesellschaftliche Organisationen am Verfahren beteiligt werden können, um den Kontakt mit den relevanten Interessenträgern zu fördern.

2.3.

Mit dem Online-Instrument „eLeniency“ lassen sich Erklärungen und Unterlagen leichter und mit weniger Aufwand bei der Kommission einreichen, darunter auch Anträge auf Kronzeugenbehandlung in kartellrechtlichen Sachen. Was die Wirksamkeit des Verfahrens im Hinblick auf eine faire Beteiligung der Öffentlichkeit, leicht zugängliche Instrumente und Verfahren sowie Vergleiche mit anderen Instrumenten angeht, müssen zunächst entsprechende Erfahrungen gemacht werden.

2.4.

Der EWSA teilt die Auffassung der Kommission, dass Wettbewerbsverzerrungen aufgrund von Subventionen und staatlicher Beteiligung in Drittstaaten bekämpft werden müssen, und ist der Ansicht, dass weitere Instrumente erforderlich sind, um nachteilige Auswirkungen zu verhindern. Diese lassen sich erstens durch angemessene Nutzung des Europäischen Wettbewerbsnetzes und zweitens durch Konzentration auf selektive Beihilferegelungen wirksam ermitteln.

2.5.

Der EWSA spricht sich dafür aus, dass Dienstleistungen von allgemeinem Interesse in der EU entwickelt und gestärkt werden, um die „europäische Lebensweise“ zu sichern. Damit Dienstleistungen von allgemeinem Interesse sachgerecht erbracht werden können, muss anerkannt werden, dass die informationstechnische Infrastruktur ein entscheidender Faktor für die Digitalisierung ist. Deshalb muss eine angemessene Breitbandinfrastruktur aufgebaut werden. Der EWSA plädiert für ein System staatlicher Beihilfen, mit dem Anreize für Investitionen in die Einführung all dieser neuen Technologien geschaffen und zugleich Ungleichgewichte zwischen einzelnen Regionen auf nationaler Ebene beseitigt werden.

2.6.

Vorhaben von gemeinsamem europäischen Interesse kommt in Forschung und technischer Entwicklung sowie bei der Umsetzung von Innovationen eine wichtige Rolle zu. Ihre Entwicklung sollte aufgrund des damit einhergehenden Mehrwerts gefördert werden, und der EWSA hofft, dass die Mitteilung zu wichtigen Vorhaben von gemeinsamem europäischen Interesse (IPCEI) als wirksames Instrument zu deren zweckmäßiger Umsetzung dienen kann. Es ist wichtig, Anpassungen bei der Anwendung der Kriterien, nach denen die Mitgliedstaaten länderübergreifende Vorhaben mit strategischer Bedeutung für die EU unterstützen können, zu überwachen.

2.7.

Der EWSA ist der Ansicht, dass in der Wettbewerbspolitik der EU ein stärker zukunftsorientiertes Konzept verfolgt werden sollte, damit eine Anpassung sowohl an den digitalen Wandel als auch an den weltweiten Wettbewerb möglich ist. Der EWSA fordert die Kommission daher auf, die Wettbewerbspolitik ganz oben auf die Prioritätenliste des Arbeitsprogramms der Plattform „Fit for Future“ zu setzen.

3.   Besondere Bemerkungen

3.1.   Weitere Verbesserung der Wirksamkeit und Durchsetzung der EU-Wettbewerbspolitik

3.1.1.

Da die EU-Wettbewerbspolitik eng mit anderen wichtigen Politikfeldern verknüpft und ein zusammenhängendes Konzept erforderlich ist, sollte sie in einem umfassenderen Rahmen gestaltet und umgesetzt werden. Die EU-Wettbewerbsregeln sollten mit dem Steuerrecht (gerechte Besteuerung, auch im digitalen Sektor), dem Verbraucherschutz, den sozialen Sicherungssystemen und dem Arbeitsrecht in Einklang stehen. Um greifbare Ergebnisse zu erzielen, ist eine Harmonisierung im Bereich des unlauteren Wettbewerbs erforderlich.

3.1.2.

Zur wirksamen Bekämpfung unlauterer Wettbewerbspraktiken schlägt der EWSA vor, das Problem der Marktbeherrschung durch ein neues Verfahren anzugehen: nicht nur durch Untersuchung des Verhaltens eines marktbeherrschenden Unternehmens bzw. des Missbrauchs einer beherrschenden Stellung, sondern auch durch branchenübergreifende anstatt ausschließlich branchenspezifische Überwachung des gesamtwirtschaftlichen Einflusses eines Unternehmens.

3.1.3.

Die EU sollte sich auch auf andere wettbewerbswidrige Praktiken konzentrieren, durch die das Marktgleichgewicht beeinträchtigt werden kann, etwa aggressive Expansion und Monopolbildung, stillschweigende Kollusion und Lock-in-Effekte (durch die verhindert wird, dass Arbeitskräfte gleichzeitig auf mehreren Plattformen aktiv sind).

3.1.4.

KMU bilden das Rückgrat der europäischen Wirtschaft. Sie müssen deshalb bei der Gestaltung und Umsetzung der Wettbewerbspolitik stärker berücksichtigt werden. Staatliche Beihilfen sind ein nützliches Instrument, doch nicht in allen KMU ist bekannt, dass es sie gibt. Der EWSA empfiehlt, die Kommunikation gegenüber KMU zu verbessern und so deren Geschäftstätigkeit besser zu unterstützen.

3.1.5.

Die Kommission muss in Bezug auf die Aufdeckung und Verfolgung von Kartellen und des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung wachsam bleiben. Zwei Untersuchungen der Kommission sind von besonderer Bedeutung für den Schutz der Verbraucher, die stark betroffen waren:

a)

die laufende kartellrechtliche Untersuchung gegen BMW, Daimler und die Volkswagen-Gruppe, in der die Kommission eine Mitteilung der Beschwerdepunkte mit ihrer vorläufigen Auffassung übermittelt hat, wonach diese von 2006 bis 2014 gegen die EU-Kartellvorschriften verstoßen hätten, indem sie sich darauf verständigten, den Wettbewerb bei der Entwicklung von Technologien zur Reinigung der Emissionen von Diesel- und Benzin-Pkw einzuschränken;

b)

der Mastercard-Beschluss, bei dem die Kommission eine Geldbuße gegen das Kartenunternehmen verhängte, da es Händler am Zugang zu grenzüberschreitenden Kartenzahlungsdiensten hinderte und damit gegen die EU-Wettbewerbsregeln verstieß. Die Regelungen zu grenzüberschreitenden Geschäften, die für Händler und Verbraucher mit höheren Preisen verbunden waren, wurden abgeschafft. Damit wurden die Beschränkungen beim grenzüberschreitenden Wettbewerb und die künstliche Marktsegmentierung beseitigt. Hierdurch und durch weitere Schritte wurde der Finanzsektor im Zusammenhang mit der Bankenunion dank einer Reihe von Kommissionsbeschlüssen gestärkt.

3.2.   Neue Herausforderungen im Bereich digitale Wirtschaft, Telekommunikation und Medien

3.2.1.

Der EWSA ist der Ansicht, dass die digitale Wirtschaft und insbesondere die Marktstellung der GAFA-Unternehmen ein ernstes Problem für das EU-Wettbewerbsrecht sind. Da diese Unternehmen nicht denselben Regelungen wie europäische Unternehmen unterliegen, sollten die überarbeiteten EU-Wettbewerbsregeln Vorschläge für neue wirksame Instrumente enthalten, mit denen dieser Situation Rechnung getragen wird.

3.2.2.

Kürzlich wurde mit der Anwendung der Verordnung (EU) 2019/1150 des Europäischen Parlaments und des Rates (2) vom 20. Juni 2019, durch die neue EU-Regeln zur Transparenz für gewerbliche Nutzer von Online-Plattformen eingeführt wurden, begonnen, deren Auswirkungen nun beobachtet werden müssen. Die verbreitete Nutzung von Online-Plattformen im Markt bringt neue Akteure und ein neues Umfeld im Binnenmarkt mit sich, deren Folgen noch nicht umfassend abgeschätzt werden können. Im Interesse einer größeren Sicherheit von Marktteilnehmern und Bürgern insbesondere während der aktuellen Pandemie müssen geeignete Wettbewerbsregeln durchgesetzt werden. Sollten die Regeln nicht ausreichend sein, müssen neue Lösungen ins Auge gefasst werden.

3.2.3.

Der EWSA begrüßt, dass das Gesetz über digitale Dienste nicht im Widerspruch zum möglichen Rechtsrahmen für die Arbeitsbedingungen auf Online-Plattformen stehen wird.

3.2.4.

Für herkömmliche Unternehmen gedachte Wettbewerbsregeln eignen sich nicht für Online-Plattformen. Es ist dringend nötig, die Methoden und Ziele an die sich verändernde Unternehmenslandschaft anzupassen.

3.2.5.

Der EWSA ist der Überzeugung, dass der digitale Markt und Online-Plattformen Teil einer neuen Wirtschaft sind, die von entscheidender Bedeutung für Europa ist, dass es jedoch auch wichtig ist, klare und faire Regeln aufzustellen. Oligopolistische Marktstrukturen weisen zahlreiche Merkmale auf, die auch die Monopolisierungspraktiken und strukturellen Gesamteffekte der Ökosysteme von Online-Plattformen und marktbeherrschenden Unternehmen kennzeichnen. Merkmale wie vertikale Integration, ein Mangel an Transparenz für Anwender, Lock-In- und Netzwerkeffekte in Kombination mit einer starken Konzentration führen zu strukturellen Wettbewerbsproblemen, die sowohl Verbraucher als auch Arbeitskräfte beeinträchtigen.

3.2.6.

Plattformen können ihre marktbeherrschende Stellung auf nutzergenerierten Inhalten aufbauen, z. B. Verbraucherdaten und -verhalten oder von einzelnen Arbeitskräften erbrachten Dienstleistungen. Die Nutzer können nicht umfassend auf die Informationen zugreifen und die Bedingungen, unter denen die Nutzung erfolgt, nicht beeinflussen. Außerdem sind die Empfehlungen und Rankings auf den Plattformen durch einen Mangel an Transparenz gekennzeichnet. Unfaire und diskriminierende Rankingpraktiken müssen als unlauterer Wettbewerb betrachtet werden.

3.2.7.

Eine wesentliche Grundlage für die Marktbeherrschung digitaler Plattformen sind Größenvorteile. Die Grenzkosten für eine geschäftliche Expansion sind im Vergleich zu traditionellen Unternehmen vernachlässigbar, da die Plattformen, die arbeitsintensive Dienstleistungen anbieten, durch missbräuchliche Praktiken einen Großteil der Kosten und Risiken auf die einzelnen Arbeitskräfte abwälzen. Von Plattformen wird gelegentlich behauptet, dass die Größenvorteile auf die materiellen Kapazitäten der einzelnen Fahrer/Kuriere/Arbeitskräfte beschränkt sind, allerdings sind für das „Anwerben“ (bzw. das „Disconnecting“) zusätzlicher Arbeitskräfte zur Marktexpansion keine Investitionen erforderlich.

3.2.8.

Der derzeitige EU-Rahmen für das Wettbewerbsrecht trägt wettbewerbsrechtlichen Fragen, die sich auf den Arbeitsmarkt auswirken, nicht angemessen Rechnung, wie etwa einem Monopson auf Arbeitgeberseite, bei dem Sozialstandards unterlaufen werden, was sowohl den Arbeitgebern, die unhaltbarem Wettbewerbsdruck ausgesetzt sind, als auch den Mitgliedstaaten schadet, denen Steuereinnahmen und Sozialversicherungsbeiträge entgehen (3). Wie verschiedene Beispiele auf nationaler Ebene zeigen, sollten Wettbewerbsregeln kein Hindernis für Tarifverhandlungen für alle Arbeitnehmer, einschließlich Plattformarbeitskräfte, darstellen, um innovative Instrumente und Vereinbarungen auszuhandeln.

3.2.9.

Bei der Beurteilung der Marktmacht in der digitalen Wirtschaft muss verstärkt die Summe der Aktivitäten in verschiedenen Märkten und ihre Gesamtwirkung auf die entsprechenden Online- und Offline-Märkte berücksichtigt werden. Außerdem muss der Zugang zu Algorithmen berücksichtigt werden, in die Nutzerdaten einfließen, um Produkte, Angebote, Werbung und Preise zu personalisieren. Hierbei sind die Grundrechte der Betroffenen zu achten.

3.3.   Wettbewerbspolitik zur Unterstützung der Ziele der EU in Bezug auf Energiequellen mit geringen CO2-Emissionen und Umwelt

3.3.1.

Der EWSA stimmt mit der Kommission in deren Ziel überein, die langfristige Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union durch Nachhaltigkeit und die Umstellung auf eine sichere, klimaneutrale und ressourcenschonendere Wirtschaft sowie durch Förderung und Stärkung der Kreislaufwirtschaft zu sichern.

3.3.2.

Der EWSA fordert, den Grünen Deal als wichtige europäische Vereinbarung für das Ziel von null Treibhausgasemissionen bis 2050 zu stärken. Die Rolle der zivilgesellschaftlichen Organisationen und der Sozialpartner kann in diesem Zusammenhang entscheidend sein. Eine „Eignungsprüfung“ der Umweltrichtlinien wäre hier zweckmäßig, wenn die Zusagen der EU eingehalten werden sollen.

3.3.3.

Im Zusammenhang mit dem System des Handels mit Treibhausgasemissionen nach 2012 (Emissionshandelsrichtlinien) bevorzugt der EWSA die Förderung staatlicher Beihilfemaßnahmen. Er unterstützt die Überprüfung des Systems staatlicher Beihilfen und dessen Anpassung an das neue EU-Emissionshandelssystem für 2021-2030, in das viel Hoffnung gesetzt wird.

3.3.4.

Der EWSA plädiert dafür, Anstrengungen für die Umsetzung des „Null-Schadstoff-Grundsatzes“ in der EU zu unternehmen und alle geplanten Energieeffizienzmaßnahmen anzunehmen und umzusetzen. In der EU müssen nachhaltige Investitionen gefördert werden. Zu diesem Zweck sollten die Kriterien für die Entscheidung, ob eine wirtschaftliche Tätigkeit als ökologisch nachhaltig gilt, so bald wie möglich zur Bestimmung des Grads der ökologischen Nachhaltigkeit von Investitionen (4) angewandt werden.

3.3.5.

Wie in früheren Stellungnahmen ausgeführt, betrachtet es der EWSA als notwendig, die Einführung erneuerbarer Energien zu unterstützen. Bei garantierter Versorgungssicherheit sollten staatliche Beihilfen zur Förderung erneuerbarer Energien vergeben und so der ökologische, soziale und wirtschaftliche Nutzen öffentlicher Mittel optimiert werden.

3.4.   Schutz des Wettbewerbs in der verarbeitenden Industrie

3.4.1.

Durch die COVID-19-Pandemie wurden die Schwächen des Systems der verarbeitenden Industrie in der EU offenbar, insbesondere im Gesundheitsbereich, in dem die EU bei medizinischer Ausrüstung einschließlich persönlicher Schutzausrüstung wie etwa Masken sowie bei Beatmungstechnik und sonstigen für die Pandemiebekämpfung wichtigen Produkten auf Bezugsquellen außerhalb der EU angewiesen ist. Die EU braucht eine starke verarbeitende Industrie, damit der Binnenmarkt durch europäische Unternehmen versorgt wird, insbesondere in wichtigen Branchen. Der EWSA unterstützt die von der Kommission ergriffenen koordinierten Maßnahmen. Die EU sollte aber hier noch weiter gehen und in enger Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten eine dauerhafte Lösung für dieses Problem vorschlagen. Die befristeten Maßnahmen in Bezug auf die Versorgung mit bestimmten Produkten aus Drittlandsmärkten müssen durch eine dauerhafte Lösung ersetzt werden, insbesondere in Bezug auf die Einfuhr lebenswichtiger medizinischer Ausrüstung. Eine starke und robuste verarbeitende Industrie sollte einer der Stützpfeiler der Wettbewerbspolitik sein.

3.4.2.

Im Interesse gleicher Wettbewerbsbedingungen fordert der EWSA, dass Unternehmen aus Drittstaaten im Wettbewerb die gleichen Sozial- und Umweltnormen einzuhalten haben.

3.5.   Gleiche Bedingungen im Steuerbereich

3.5.1.

Der EWSA begrüßt die von der Kommission 2019 im Steuerbereich ergriffenen Maßnahmen. Zugleich ist es wichtig, dass auch in diesem Bereich ein fairer Wettbewerb zwischen den verschiedenen Ländern sichergestellt wird. Notwendig ist eine verstärkte Überwachung insbesondere im Hinblick auf die Frage der Steuervorbescheide sowie hinsichtlich der unlauteren Wettbewerbsvorteile, die durch Vereinbarungen einiger Länder mit großen Marktteilnehmern erzielt werden. Diese Praktiken können den freien Markt verzerren, schaden den KMU und führen überdies zu einem unlauteren Wettbewerb zwischen den Ländern (5).

3.5.2.

Die Regulierung digitaler Dienste ist ein zentrales Thema, auf das sich die Kommission konzentrieren sollte.

3.5.3.

Es ist erforderlich, hinsichtlich der GAFA-Unternehmen einen neuen Ansatz zu verfolgen, um für gleiche Bedingungen für alle sowie eine gerechte Verteilung der von diesen Unternehmen generierten Steuereinnahmen zu sorgen.

3.6.   Stärkung der Widerstandsfähigkeit des Finanzsektors im Kontext der Bankenunion

Die Finanzkrise von 2008 und ihre Auswirkungen auf die Realwirtschaft und das Vertrauen der Märkte haben dazu geführt, dass der Bankensektor aus berechtigter Sorge vor neuen schwerwiegenden Problemen ständig genauestens beobachtet wird. Der Finanzsektor wurde durch zeitlich befristete staatliche Beihilfen vor dem Zusammenbruch gerettet. Im Zuge der Umstrukturierung des Sektors sind einige Institute von der Bildfläche verschwunden, es kam aber auch zu Konzentrationen, die nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Stabilität des Finanzsektors gegenüber ähnlichen Krisen bedenklich sein könnten, sondern auch im Hinblick auf mögliche Wettbewerbsverzerrungen aufgrund der Größe dieser neuen Konzerne. Der EWSA fordert die Kommission auf, in Bezug auf mögliche Fälle des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung aufmerksam und wachsam zu bleiben, da diese den Interessen der Verbraucher und der Finanzierung der Unternehmen, insbesondere der KMU, schaden können.

3.7.   Fairer Wettbewerb bei Ernährung, Verbraucherschutz und Gesundheit

3.7.1.

Im Bereich Landwirtschaft und Lebensmittel ist es wichtig, Erzeugnisse mit einer europäischen Ursprungsbezeichnung zu schützen. Die Bereiche Saatgut und Pflanzenschutzmittel sind von grundlegender Bedeutung für Landwirte und Verbraucher, doch sie verursachen auch Bedenken, die über den Schutz der Verbraucher, die Lebensmittelsicherheit und die Gewährleistung der Einhaltung der Umwelt- und Klimaschutzvorschriften hinausgehen.

3.7.2.

Der Verbraucherschutz muss in einem ausgewogenen Verhältnis zur Unterstützung und Förderung innovativer Unternehmen und KMU stehen, und zwar so, dass der dynamische Wettbewerb auf dem Markt nicht beeinträchtigt wird. Dadurch können am besten hochwertige Beschäftigung geschaffen und die dynamische Nachhaltigkeit des Produktionssystems erreicht werden.

3.8.   Verkehrs- und Postdienste

Der EWSA stellt fest, wie wichtig Verkehrs- und Postdienstleistungen sind und dass gleiche Wettbewerbsbedingungen geschaffen werden müssen, damit diese die Gemeinschaft unterstützen können. Im Hinblick auf das Thema Verkehr wird der Kommission nahegelegt, zu prüfen, ob und in welchem Umfang die Kerosinsteuerbefreiung eine unrechtmäßige Beihilfe für die Fluggesellschaften gegenüber dem Eisenbahnverkehr darstellt.

4.   Mit vereinten Kräften eine globale Wettbewerbskultur fördern

4.1.

Der internationalen Dimension der Wettbewerbspolitik sollte beim Erstellen und Durchsetzen dieser Regeln eine Schlüsselrolle zukommen. Die Wettbewerbspolitik entwickelt sich in einem internationalen Umfeld, in dem die Definitionen und Grundsätze des Wettbewerbsrechts sehr vielfältig sind, was einen Nachteil für EU-Unternehmen darstellt.

4.2.

Viele KMU leiden darunter, dass die EU-Regeln im Vergleich zu denen ihrer internationalen Wettbewerber ungeeignet sind. Das Problem des unlauteren Wettbewerbs muss angegangen werden, um die EU-Standards zu verteidigen. Es gibt viele Beschwerden von Unternehmen in Europa (mangelnde Flexibilität). In einigen Bereichen des verarbeitenden Gewerbes in Drittländern führt die mangelnde Anwendung der europäischen Umwelt- und Sozialstandards zu Marktverzerrungen zum Nachteil europäischer Unternehmen, vor allem der KMU. Hierüber sollte man sich in Europa Sorgen machen.

4.3.

Für das Wettbewerbsmodell der EU muss international geworben werden. Die EU muss in Bezug auf eine globale Wettbewerbskultur mit einem System, in dem sowohl Unternehmen als auch Arbeitskräfte geschützt werden, vorangehen. Wir brauchen eine umfassende Diskussion über die Grundsätze des Wettbewerbsrechts in Europa im Vergleich zu anderen Wirtschaftsräumen, insbesondere den USA und China, etwa mit Blick auf Nachhaltigkeit und Umweltfragen.

4.4.

Um für ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Marktfreiheit und Unternehmenszusammenschlüssen zu sorgen, genügt es nicht, auf den Wettbewerbsdruck durch andere große globale Akteure hinzuweisen, insbesondere dann nicht, wenn diese aus Ländern kommen, die dem Wettbewerb durch ausländische Unternehmen verschlossen sind. Der EWSA betont, wie wichtig ein kohärenter Ansatz auf EU-Ebene ist, um die Achtung der Menschen- und Arbeitnehmerrechte, die Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele sowie die Förderung von Umweltstandards und nachhaltigen Investitionen in Geschäftstätigkeiten weltweit miteinander zu verknüpfen. Die Präferenzregelungen für Handel und Zoll, die verschiedenen Drittländern gewährt wurden, sollten überprüft und stärker von der wirksamen Umsetzung von Standards in Bezug auf nachhaltige Entwicklung abhängig gemacht werden, so dass die europäischen Unternehmen unter fairen Wettbewerbsbedingungen agieren können. Der EWSA schlägt in diesem Zusammenhang vor, dass anstelle von Unternehmensfusionen, die den Wettbewerb schwächen, Maßnahmen ergriffen werden, die Unternehmen bei nachhaltigen Investitionen in Drittmärkten unterstützen. Zu diesen Maßnahmen könnten steuerliche Anreize für FuE und die Förderung von Vereinbarungen zwischen europäischen Produzenten zur Koordinierung von Export- und Investitionsstrategien im Ausland im Einklang mit den wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Standards der EU gehören.

Brüssel, den 27. Januar 2021

Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Christa SCHWENG


(1)  Artikel 7, 9, 11 und 12 AEUV.

(2)  ABl. L 186 vom 11.7.2019, S. 57.

(3)  ABl. C 429 vom 11.12.2020, S. 173.

(4)  ABl. L 198 vom 22.6.2020, S. 13.

(5)  ABl. C 97 vom 24.3.2020, S. 62.


9.4.2021   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 123/7


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Gründung des Gemeinsamen Unternehmens für europäisches Hochleistungsrechnen“

(COM(2020) 569 final — 2020/260 NLE)

(2021/C 123/02)

Berichterstatterin:

Louise GRABO

Befassung

Rat der Europäischen Union, 26.10.2020

Rechtsgrundlage

Artikel 187 und 188 Absatz 1 des Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion, Verbrauch

Annahme in der Fachgruppe

11.12.2020

Verabschiedung im Plenum

27.1.2021

Plenartagung Nr.

557

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

240/0/5

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) bestätigt die Bedeutung dieser strategischen Initiative und den Mehrwert eines Gemeinsamen Unternehmens für europäisches Hochleistungsrechnen (High-Performance Computing — HPC) als konkreter Schritt im Einklang mit der Cloud-Strategie der Europäischen Union sowie als integraler Bestandteil einer umfassenderen EU-Strategie (u. a. Cybersicherheit, digitaler Binnenmarkt, europäische Gigabit-Gesellschaft, Open Science, EU4Health und Resc-EU).

1.2.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Investitionen, die die EU in den letzten Jahren und selbst nach dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie für die Anschaffung und den Betrieb von Supercomputern von Weltrang getätigt hat, im Vergleich zu denen ihrer Konkurrenten (USA, China und andere) noch immer nicht optimal sind. Es sind zusätzliche Ressourcen und Investitionen erforderlich, auch von Seiten der EU-Mitgliedstaaten, insbesondere der weniger fortgeschrittenen und/oder in diesem Bereich engagierten Staaten. Diese Ressourcen müssen unbedingt mit kohärenten Forschungs- und Innovationsprogrammen der EU und dem nächsten mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) 2021-2027, einschließlich der Aufbau- und Resilienzfazilität, kombiniert werden, damit die EU bei HPC-Anwendungen auf globaler Ebene wettbewerbsfähig ist.

1.3.

Der EWSA unterstützt den industriellen Ansatz im Rahmen einer aktualisierten EU-Industriestrategie, die auch eine KMU-Strategie umfasst, zur Entwicklung der nächsten Generation von energiesparenden Mikrochips in Europa. Es gilt, die Abhängigkeit der EU von Importen zu verringern und den Zugang zu hochwertiger HPC-Technologie und entsprechendem Know-how zu sichern.

1.4.

Der EWSA fordert die Kommission auf, sich stärker für die Erstellung eines mehrjährigen Fahrplans einzusetzen. Dieser sollte die Eigenverantwortung der Zivilgesellschaft in der EU gewährleisten und in strategischen Bereichen (Frühwarnsysteme zur Gesundheitsvorsorge, Vorsorge, Pilotprogramme für Schulungen zur Katastrophenrisikominderung und -vorsorge, Cybersicherheit) einen praktischen Beitrag zu den jeweiligen Ebenen der Leitung des Gemeinsamen Unternehmens leisten können. Dazu ist es über die bestehenden HPC-Kompetenzzentren und digitalen Innovationszentren hinaus dringend erforderlich, den Mehrwert und die Multiplikatorrolle eines ständigen zivilgesellschaftlichen Dialogs im Rahmen der bestehenden Beratungsgruppen des Gemeinsamen Unternehmens zu berücksichtigen. Der EWSA wäre aufgrund seiner Beschaffenheit der ideale Partner für die Veranstaltung eines offenen jährlichen EU-Dialogforums des Gemeinsamen Unternehmens EuroHPC, das von Sensibilisierungskampagnen unter aktiver Beteiligung von Wissenschafts- und Wissensnetzwerken, Sozial- und Wirtschaftspartnern, zivilgesellschaftlichen Organisationen und den Medien begleitet wird.

1.5.

Der EWSA hält es für notwendig, das Feedback der Zivilgesellschaft der EU einzuholen, damit die EU-Organe und die Mitgliedstaaten den kurz- und mittelfristigen Nutzen des Gemeinsamen Unternehmens EuroHPC und die Vorteile und Möglichkeiten für die einzelnen Bereiche, die es als rechtliches und strategisches Instrument bietet, besser verfolgen, erklären und fördern können. Das Gemeinsame Unternehmen EuroHPC sollte nicht nur den Wissenschafts- bzw. Forschungsgemeinschaften zugutekommen. Es sollte auch eine größere Eigenverantwortung und Einbeziehung von interessierten Zwischenträgern wie öffentlichen Einrichtungen, Sozialpartnern in der EU und Organisationen der Zivilgesellschaft, Vertretungsorganisationen von Industrieunternehmen sowie kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) und von Akteuren der Wertschöpfungskette bei der Entwicklung von Softwareanwendungen gewährleisten. Dies würde den Zugang zur Infrastruktur ermöglichen, was für kleinere Länder von besonderer Bedeutung ist, und die Sachleistungen für das Gemeinsame Unternehmen EuroHPC erhöhen.

1.6.

Der EWSA begrüßt, dass zwei Partner der Kommission im Rahmen vertraglicher öffentlich-privater Partnerschaften (cPPP) die ersten privaten Mitglieder werden könnten, was für die Beteiligung der EU-Industrie bei der Gründung des gemeinsamen Unternehmens von Anfang an von entscheidender Bedeutung ist. Dies gilt insbesondere für Kleinstunternehmen und KMU, die wettbewerbsfähige Lösungen/Anpassungsfähigkeit anbieten. Sie laufen allerdings Gefahr, von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen zu werden oder bei solchen einen schlechteren Stand zu haben, wenn sie nicht durch ein spezielles Rechtskapitel und/oder bestehende Formen von Konsortien angemessen abgesichert werden. Der EWSA betont, dass die Verfahren und Kriterien für die Vergabe öffentlicher Aufträge aktualisiert werden sollten, um die Einbeziehung bestehender oder neuer „KMU-Cluster“ in die EU-Verordnung über das Gemeinsame Unternehmen (1) zu erleichtern, die klassische HPC-Supercomputer und Softwareanwendungen, aber auch die Beschaffung von Quantencomputern und Quantensimulatoren umfasst.

1.7.

Der EWSA befürwortet die Möglichkeit, weitere Partner einzubeziehen, macht jedoch geltend, dass alle neuen Partner, insbesondere aus Drittländern, die Bedingung der Gegenseitigkeit erfüllen müssen.

1.8.

Die EU sollte die Entwicklung der Technologie des Gemeinsamen Unternehmens EuroHPC als Chance für die Entwicklung der einschlägigen europäischen Branchen bestmöglich nutzen, so dass sie die gesamte Produktionskette (Konzeption, Fertigung, Durchführung, Anwendung) abdecken können.

1.9.

Die EU sollte als mittelfristiges Ziel festlegen, dass die Planung und Produktion von Hochleistungsrechentechnik mit europäischer Technologie ermöglicht wird.

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1.

Am 10. März 2020 nahm die Europäische Kommission die Mitteilung „Eine neue Industriestrategie für Europa“ an. Darin wird eine ehrgeizige Industriestrategie darlegt, mit der Europa beim zweifachen Wandel hin zur Klimaneutralität und zur Digitalisierung die Führung übernehmen kann. In ihrer Mitteilung unterstreicht die Kommission die Notwendigkeit, die Entwicklung von Schlüsseltechnologien zu stärken, die für die Zukunft der europäischen Wirtschaft von strategischer Wichtigkeit sind und zu denen HPC und Quantentechnik gehören. In einer nachfolgenden Mitteilung vom 27. Mai 2020 mit dem Titel „Die Stunde Europas — Schäden beheben und Perspektiven für die nächste Generation eröffnen“ (2) wurden HPC-Anwendungen zur strategischen digitalen Kapazität und somit zur Priorität für Investitionsquellen für den Aufbaus Europa wie der Aufbau- und Resilienzfazilität, von „InvestEU“ und der Fazilität für strategische Investitionen erklärt.

2.2.

Anwendungen des Gemeinsamen Unternehmens EuroHPC, bei denen so genannte Supercomputer mit extrem hoher Rechenleistung zum Einsatz kommen, sind in der Lage, äußerst komplexe und anspruchsvolle Probleme zu lösen. Heute stellen sie einen Schlüsselfaktor für die globale Führungsrolle bei wissenschaftlichen, industriellen, biologischen und (Cyber-)Terrorismus-Risikostrategien dar. Sie sind daher für die nationale Sicherheit, die Verteidigung und geopolitische Herausforderungen und ganz allgemein für die digitale und grüne Transformation unserer Gesellschaft von wesentlicher Bedeutung. Anwendungen des Gemeinsamen Unternehmens EuroHPC unterstützen auch die Datenwirtschaft, indem sie dafür sorgen, dass Schlüsseltechnologien wie künstliche Intelligenz, Datenanalyse und Cybersicherheit das enorme Potenzial von Massendaten (Big Data) nutzen können.

2.3.

Darüber hinaus wird das Hochleistungsrechnen auch auf globaler Ebene zu einem Instrument von wachsender Bedeutung, da sie die öffentliche Entscheidungsfindung durch die Simulation von Szenarien und die Förderung globaler und regionaler gemeinsamer Vorsorge-, Reaktions- und Wissensnetzwerke im Zusammenhang mit Naturrisikoereignissen (z. B. Tsunamis, Überschwemmungen, Brände, Erdbeben usw.) sowie anthropogenen Ereignissen (z. B. industrielle Risiken) unterstützt. In diesem Rahmen könnten die Systeme des Gemeinsamen Unternehmens EuroHPC ihren Nutzen entfalten und steigern, wenn mehrere Risiken gleichzeitig auftreten, die erhebliche negative Auswirkungen auf die Gesellschaften haben.

2.4.

Am Gemeinsamen Unternehmen EuroHPC sind mehrere Industriebranchen beteiligt, um Innovationen und die Umstellung auf höherwertige Produkte und Dienstleistungen zu ermöglichen. Diese sollen auf den internen und globalen Märkten platziert werden und in Kombination mit weiteren fortgeschrittenen digitalen Technologien neue industrielle Anwendungen eröffnen.

2.5.

HPC-Anwendungen und -Infrastrukturen sind in fast allen Forschungsbereichen von der Grundlagenphysik bis zur Biomedizin von wesentlicher Bedeutung, um ein tieferes wissenschaftliches Verständnis und neue Durchbrüche zu erreichen.

2.6.

Hochleistungsrechnen wird im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie, oft in Kombination mit künstlicher Intelligenz, eingesetzt, um die Entwicklung neuer Arzneimittel zu beschleunigen, die Ausbreitung des Virus vorherzusagen, knappe medizinische Ressourcen besser einzuplanen und zuzuteilen und die Wirksamkeit von Eindämmungsmaßnahmen abzuschätzen und Szenarien für die Zeit nach der Epidemie zu bewerten.

2.7.

Das Hochleistungsrechnen ist auch ein wichtiges Instrument, mit dem Forscher und politische Entscheidungsträger große gesellschaftliche Herausforderungen angehen können, vom Klimawandel über Migration, eine intelligente und umweltfreundliche Entwicklung und eine nachhaltige Landwirtschaft bis hin zur personalisierten Medizin und zur Krisenbewältigung in der EU, zusammen mit Nachbar- und Drittstaaten.

2.8.

Laut der Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen (3) war und ist Europa bei HPC-Anwendungen weltweit führend, gerät jedoch in Bezug auf seine Infrastruktur für Hochleistungsrechnen weltweit zunehmend ins Hintertreffen.

2.9.

Ein weithin anerkannter Leitindikator für die regionale Wettbewerbsfähigkeit in der Hochleistungsrechentechnik ist die Anzahl der Systeme in den „Top-10“- und „Top-500“-Listen der weltweiten Supercomputer in jeder Weltregion.

2.10.

Die Folgenabschätzung des Gemeinsamen Unternehmens EuroHPC und die EIB-Studie (4) gehen von folgender Prämisse aus: Laut Folgenabschätzung des Gemeinsamen Unternehmens EuroHPC besteht Problem Nr. 1 darin, dass die EU nicht über die besten Supercomputer der Welt verfügt. Derzeit befindet sich keiner der zehn führenden Supercomputer der Welt in der EU. Insgesamt gesehen investieren die EU und die Mitgliedstaaten im Vergleich zu den USA, China oder Japan deutlich zu wenig in die Bereitstellung von HPC-Technologie und Infrastrukturen.

2.11.

In den nächsten Jahren werden Europas führende Rolle in der Datenwirtschaft, aber auch seine wissenschaftliche Exzellenz und wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit zunehmend von der Fähigkeit abhängen, HPC-Schlüsseltechnologien zu entwickeln, Zugang zu HPC- und Dateninfrastrukturen von Weltrang zur Verfügung zu stellen und bei den HPC-Anwendungen Spitzenreiter zu bleiben. Dafür ist unbedingt ein gesamteuropäischer strategischer Ansatz in Form gemeinsamer Unternehmen nötig.

2.12.

Das erste Gemeinsame Unternehmen EuroHPC wurde im Oktober 2018 als rechtlicher und finanzieller Rahmen gegründet, um die Ressourcen der EU, von 32 Ländern und von zwei privaten Mitgliedern, nämlich den Vereinigungen „European Technology Platform for High Performance Computing“ (ETP4HPC) und „Big Data Value Association“ (BDVA), zu bündeln.

2.13.

Das Gemeinsame Unternehmen verwendet für seine strategischen Investitionen bislang Mittel aus dem MFR 2014-2020. 20 Monate nach Aufnahme seiner Arbeit hat es die Gesamtinvestitionen in Hochleistungsrechnen auf europäischer Ebene erheblich erhöht und entsprechend seinem Auftrag damit begonnen, Europa im Bereich des Hochleistungsrechnens wieder führend zu machen. Bis Ende des Jahres 2020 wird es eine HPC- und Dateninfrastruktur schaffen, zu der sämtliche öffentlichen und privaten Nutzer in ganz Europa Zugang haben werden. Die Investitionen des Gemeinsamen Unternehmens unterstützen auch die HPC-Kompetenzzentren in ganz Europa. Diese stellen sicher, dass Hochleistungsrechnen in der Union in großem Umfang verfügbar ist und spezifische Dienste und Ressourcen für die Innovation in der Wirtschaft (auch bei KMU) und für die Entwicklung von HPC-Kompetenzen, Forschung und Innovation in den Bereichen entscheidende HPC-Hardware- und -Softwaretechnik und -Anwendungen bereitgestellt werden. Damit wird auch die Fähigkeit der EU zur Herstellung eigener innovativer HPC-Technik gesteigert.

2.14.

In der Verordnung des Rates zur Errichtung des Gemeinsamen Unternehmens EuroHPC von 2018 (5) wurde das Ziel gesetzt, die nächste Grenze im Hochleistungsrechnen, Supercomputer mit Exa-Kapazitäten, zu erreichen. Siehe Erwägungsgrund 12: „Das Gemeinsame Unternehmen sollte spätestens Anfang 2019 eingerichtet werden und seine Arbeit aufnehmen, um das Ziel zu erreichen, die Union bis 2020 mit einer Vor-Exa-Infrastruktur auszustatten und die Technologien und Anwendungen zu entwickeln, die erforderlich sind, um im Zeitraum 2023 bis 2025 Fähigkeiten auf Exa-Niveau zu erreichen.“ Zu dieser Steigerung der Rechenleistung würden auch der Einsatz von Quantencomputern und der Übergang zu Technik auf Nach-Exa-Niveau beitragen.

2.15.

Die vorgeschlagene Verordnung sieht im Wesentlichen eine Fortsetzung der bestehenden Initiative — also des durch die Verordnung (EU) 2018/1488 des Rates gegründeten Unternehmens — vor. Es werden Änderungen vorgenommen, um die Verordnung von 2018 an die Programme des nächsten MFR anzupassen, den Prioritäten der Kommission Rechnung zu tragen und dem Gemeinsamen Unternehmen die Verwendung von Mitteln aus den Programmen des neuen MFR für den Zeitraum 2021–2027 zu ermöglichen.

2.16.

In der Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen (SWD(2020) 179 final) wird die Entwicklung der wichtigsten sozioökonomischen und technischen Faktoren und der Nutzeranforderungen analysiert, die den künftigen Fortschritt von HPC- und Dateninfrastrukturen, Technologien und Anwendungen in der EU und weltweit beeinflussen, wobei die politischen Prioritäten der EU für 2020-2025 berücksichtigt werden.

2.17.

Hochleistungsrechnen wird in mehr als 800 wissenschaftlichen, industriellen und öffentlichen Anwendungen eingesetzt. Diese spielen eine wichtige Rolle bei der Steigerung der Innovationsfähigkeit der Industrie, dem Fortschritt der Wissenschaft und der Verbesserung der Lebensqualität der Menschen. Europa nimmt heute bei HPC-Anwendungen in einer Vielzahl von Bereichen wie personalisierte Medizin, Wettervorhersage, Flugzeugdesign, Autos, Werkstoffe und Medikamente sowie Energie, Ingenieurwesen und Produktion eine führende Stellung ein.

2.18.

An der Leitung und der Verteilung der Stimmrechte im vorgeschlagenen Gemeinsamen Unternehmen ändert sich gegenüber den Bestimmungen der Verordnung (EU) 2018/1488 des Rates nichts. Das Gemeinsame Unternehmen EuroHPC wird weiterhin die strategische HPC-Planung umsetzen, wie sie in den von der Beratungsgruppe „Forschung und Innovation“ (RIAG) und der Beratungsgruppe „Infrastruktur“ (INFRAG) des Gemeinsamen Unternehmens EuroHPC ausgearbeiteten mehrjährigen strategischen Forschungs- und Innovationsagenden festgelegt und durch die strategische Forschungsagenda der privaten Mitglieder des Gemeinsamen Unternehmens EuroHPC ergänzt wird, um ein HPC-Ökosystem zu schaffen. Der finanzielle Beitrag der Union im Rahmen des MFR 2021-2027 zum Gemeinsamen Unternehmen soll bei [XXX] EUR liegen und um Beiträge der beteiligten Staaten und privaten Mitglieder des Gemeinsamen Unternehmens in einer Gesamthöhe von mindestens der gleichen Summe ergänzt werden. Das Gemeinsame Unternehmen wird diese Mittel hauptsächlich für die Durchführung seiner Tätigkeiten in den fünf oben genannten Bereichen verwenden.

2.19.

In den nächsten zehn Jahren werden von der Arbeit des vorgeschlagenen Gemeinsamen Unternehmens die folgenden wichtigsten Ergebnisse erwartet:

eine föderierte, sichere und hypervernetzte Struktur des Gemeinsamen Unternehmens EuroHPC sowie Dateninfrastruktur mit Mittelklasse-Supercomputern und jeweils mindestens zwei Spitzenklasse-Systemen auf Exa-Niveau und auf Nach-Exa-Niveau (von denen jeweils mindestens eines mit europäischer Technik hergestellt wird);

Infrastrukturen für Hybridrechnen, mit denen fortgeschrittene Rechnersysteme integriert werden;

Quantensimulatoren und Quantencomputer in HPC-Infrastrukturen;

eine sichere cloudgestützte HCP- und Dateninfrastruktur für private Nutzer in Europa;

HPC-gestützte Kapazitäten und Dienste für die Wissenschaft, die Wirtschaft und den öffentlichen Sektor, die auf offenen europäischen Datenräumen beruhen;

Technikkomponenten der nächsten Generation (Hardware und Software) und deren Integration in innovative HPC-Architekturen für Systeme auf Exa- und Nach-Exa-Niveau;

Exzellenzzentren für HPC-Anwendungen und den industriellen Einsatz von HPC-Software mit neuen Algorithmen, Programmcodes und Tools, die auf die kommenden Generationen von Supercomputern zugeschnitten sind;

große industrielle Pilot-Prüfstände und Plattformen für HPC- und Daten-Anwendungen und -Dienste in wichtigen Wirtschaftszweigen;

nationale HPC-Kompetenzzentren, über die in großem Umfang Hochleistungsrechnen in der Union und spezifische Dienste und Ressourcen für die Innovation in der Wirtschaft (auch bei KMU) bereitgestellt werden;

eine deutliche Erhöhung der Anzahl der Arbeitskräfte mit Kompetenzen und Fachwissen im Bereich Hochleistungsrechnen in Europa;

höhere Kapazitäten zur Datenspeicherung und -verarbeitung sowie neue Dienste in Bereichen von öffentlichem Interesse in sämtlichen Mitgliedstaaten.

2.20.

Die wichtigsten Erfolge der Gemeinsamen Unternehmen

das Gemeinsame Unternehmen EuroHPC hat das Niveau und die Qualität der Investitionen in Hochleistungsrechentechnik auf europäischer Ebene in einer einzigen und mit den Mitgliedstaaten koordinierten Anstrengung erheblich gesteigert;

bis Ende 2020 wird das Gemeinsame Unternehmen EuroHPC die EU mit den besten Supercomputern der Welt ausstatten;

das Gemeinsame Unternehmen EuroHPC wird eine europäische Quelle für Schlüsseltechnologien bereitstellen;

Angebot und Markt für die europäische HPC-Technologie;

die Strategie des Gemeinsamen Unternehmens EuroHPC und ihre Auswirkungen auf die Wertschöpfungskette der Hochleistungsrechentechnik.

3.   Markttrends und wichtigste Erkenntnisse

3.1.

Die Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen enthält die neuesten Zahlen zum Markt des Gemeinsamen Unternehmens EuroHPC und bietet einen Überblick über die bislang wichtigsten Erkenntnisse aus den Tätigkeiten des Gemeinsamen Unternehmens.

3.2.

Erkenntnisse im Zuge der Leitung und Verwaltung des Gemeinsamen Unternehmens EuroHPC: es wurden bereits solide Arbeitserfahrungen gesammelt, wobei ausführliche Diskussionen zwischen den Beteiligten über die Leitung, Verwaltung und andere operative Aspekte stattfanden. Einige Beispiele:

die 13 Sitzungen des Verwaltungsrats des Gemeinsamen Unternehmens EuroHPC, an denen regelmäßig Vertreter der Europäischen Kommission und der 32 beteiligten Staaten teilnehmen;

die Beratungsgruppen des Gemeinsamen Unternehmens (RIAG und INFRAG) haben bereits zahlreiche Sitzungen abgehalten und werden durch die aktive Beteiligung der beiden privaten Mitglieder (Europäische Technologieplattform für Hochleistungsrechentechnik und BDVA) unterstützt;

die Auswahl der acht Standorte und die Einleitung des Beschaffungsverfahrens für die acht Supercomputer des Gemeinsamen Unternehmens EuroHPC sowie die Einleitung der Ausschreibungen 2019 und 2020 des Gemeinsamen Unternehmens.

3.3.

Die aus den 22 Aspekten bezüglich der Durchführung gewonnenen Erkenntnisse lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Vereinfachung der Finanzierungsregelungen;

die Kombination von EU-Mitteln und nationalen Mitteln in den verschiedenen Tätigkeiten des Gemeinsamen Unternehmens EuroHPC muss vereinfacht und optimiert werden;

die Empfehlungen umfassen einen einheitlichen Satz von Auswahlkriterien für die Teilnahme (anstelle von 32 verschiedenen nationalen Auswahlkriterien);

Einführung einer zentralen Verwaltung aller Finanzbeiträge (außer in hinreichend begründeten Fällen) in Übereinstimmung mit Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe c der vorgeschlagenen Verordnung über Horizont Europa und Flexibilität bei der Einführung unterschiedlicher Anteile der europäischen und der nationalen Mittel zur Finanzierung von Teilnehmern an FuI-Aktivitäten;

mehr Flexibilität beim Beitrag privater Mitglieder und sonstiger privater Akteure zu den Aktivitäten des Gemeinsamen Unternehmens EuroHPC, insbesondere durch die Einbeziehung neuartiger Formen der Zusammenarbeit, z. B. durch die Kofinanzierung spezifischer HPC-Infrastruktur für die industrielle Nutzung.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.

Die Mehrheit der Projektpartner stammt aus Forschungsorganisationen (75 % der Gesamtfinanzierung der Projekte im Bereich der künftigen und sich abzeichnenden Technologien), deren Hauptzweck nicht die Industrialisierung der erzielten Ergebnisse ist. Verstärkte und nachhaltige Schulungsmaßnahmen werden auch ein wichtiger Faktor sein, um nicht nur die nächsten vom Gemeinsamen Unternehmen EuroHPC finanzierten Pre-Exa- und Exa-Supercomputer, sondern auch künftige Rechnergenerationen umfassend zu nutzen. Die Umstellung von simulationszentrierter Hochleistungsrechentechnik auf die Integration von Hochleistungsrechentechnik in ein vollständiges Kontinuum von IT-Infrastrukturen, von Edge-Computing bis HPC, stellt eine große Herausforderung dar. Dies würde die Entwicklung enger Beziehungen zwischen der HPC-Gemeinschaft und anderen Ökosystemen wie Big Data, KI und dem Internet der Dinge (IoT) erfordern. Europa kann hier weltweit führend sein, wenn die durch Horizont 2020 geschaffene Dynamik anhält.

Brüssel, den 27. Januar 2021

Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Christa SCHWENG


(1)  Verordnung (EU) 2018/1488 des Rates vom 28. September 2018 zur Gründung des Gemeinsamen Unternehmens für europäisches Hochleistungsrechnen (ABl. L 252 vom 8.10.2018, S. 1).

(2)  „Die Stunde Europas: Schäden beheben und Perspektiven für die nächste Generation eröffnen“, COM(2020) 456 final.

(3)  „Equipping Europe for world-class High Performance Computing in the next decade“ SWD(2020) 179 final (liegt nur auf EN vor).

(4)  „Equipping Europe for world-class High Performance Computing in the next decade“ SWD(2020) 179 final (liegt nur auf EN vor).

(5)  Verordnung (EU) 2018/1488 des Rates.


9.4.2021   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 123/12


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur „Empfehlung für eine Empfehlung des Rates zur Wirtschaftspolitik des Euro-Währungsgebiets“

(COM(2020) 746 final)

(2021/C 123/03)

Berichterstatterin:

Judith VORBACH

Befassung

Europäische Kommission, 27.11.2020

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

 

 

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt

Annahme in der Fachgruppe

14.12.2020

Verabschiedung auf der Plenartagung

27.1.2021

Plenartagung Nr.

557

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

234/1/8

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Die EU erlebt gegenwärtig die tiefste Rezession ihrer Geschichte. Es herrscht Unsicherheit, und es ist mit hohen Risiken zu rechnen. Die durch die Pandemie ausgelöste Krise dürfte auch bereits vorhandene Ungleichgewichte und Ungleichheiten verschärfen. Vor diesem Hintergrund begrüßt der EWSA die Empfehlungen der Kommission. Auch der EWSA spricht sich für einen wirtschaftspolitischen Ansatz aus, der auf die Unterstützung der Erholung, eine erhöhte Investitionstätigkeit, die weitere Integration des Binnenmarktes, die Gewährleistung gerechter Arbeitsbedingungen und die Vertiefung der WWU abzielt. Er befürwortet nachdrücklich das Aufbaupaket „NextGenerationEU“ und drängt auf eine möglichst schnelle Einigung darüber.

1.2.

Der Wiederaufbau wird nur gelingen, wenn er mit einem Umbau der Wirtschaft und Gesellschaft einhergeht. Die Wiederherstellung des Vertrauens ist von entscheidender Bedeutung, um die Nachfrage zu stabilisieren. Bei den Haushaltsregeln sollte zu einer stärker wohlstandsorientierten wirtschaftspolitischen Steuerung übergegangen werden, zu der auch eine goldene Regel gehört. Die Haushaltsregeln sollten erst dann wieder in Kraft treten, wenn die Arbeitslosigkeit deutlich sinkt. Die Auswirkungen der Krise auf die Ungleichheit und die soziale und wirtschaftliche Unsicherheit müssen stärker berücksichtigt werden. Die Verbesserung der Rahmenbedingungen für Unternehmen muss mit der Verbesserung des sozialen Rahmens Hand in Hand gehen. Notwendig sind eine stärkere Einbeziehung der Sozialpartner und der Zivilgesellschaft in die Klimaschutzpolitik und in die nationalen Aufbau- und Resilienzpläne sowie eine entschlossene Reform der Steuerpolitik zur Bewältigung der wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Herausforderungen. Die Banken- und Kapitalmarktunion muss vollendet werden, wobei der Finanzmarktstabilität Vorrang einzuräumen ist.

2.   Hintergrundinformationen

Die Kommission empfiehlt den Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets, wie folgt tätig zu werden:

2.1.

Gewährleistung eines politischen Kurses, der die Erholung unterstützt: Die Mitgliedstaaten sollten während des gesamten Jahres 2021 einen stützenden fiskalpolitischen Kurs beibehalten. Sobald die Bedingungen es zulassen, sollten sie die Unterstützungsmaßnahmen beenden, wobei darauf zu achten ist, dass die sozialen Auswirkungen der Krise und ihre Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt abgemildert werden und die Schuldentragfähigkeit gewährleistet ist. Sie sollten die Verwaltung der öffentlichen Finanzen verbessern und die öffentlichen Ausgaben verstärkt auf die Erfordernisse der wirtschaftlichen Erholung und der Resilienz ausrichten.

2.2.

Die Mitgliedstaaten sollten Reformen durchführen, die die Produktivität und Beschäftigung stärken, und die Investitionen zur Unterstützung einer mit einem gerechten grünen und digitalen Wandel im Einklang stehenden wirtschaftlichen Erholung erhöhen. Sie sollten die Integration des Binnenmarktes vorantreiben. Sie sollten aktive arbeitsmarktpolitische Maßnahmen, gerechte Arbeitsbedingungen und die Einbeziehung der Sozialpartner in die Politikgestaltung gewährleisten. Sie sollten die sich aus der Digitalisierung ergebenden steuerpolitischen Herausforderungen angehen, aggressive Steuerplanung bekämpfen und die Bepreisung von CO2-Emissionen und Umweltsteuern unterstützen.

2.3.

Ausbau des nationalen institutionellen Rahmens: Die Mitgliedstaaten sollten Reformen zur Gewährleistung der Verwendung von EU-Mitteln vorziehen, die öffentliche Verwaltung effizienter gestalten, den Verwaltungsaufwand für Unternehmen verringern und wirksame Rahmenbedingungen für die Bekämpfung von Betrug, Korruption und Geldwäsche schaffen. Sie sollten die Insolvenzrahmen verbessern, notleidende Kreditaußenstände abwickeln und für eine effiziente Kapitalallokation Sorge tragen.

2.4.

Gewährleistung makrofinanzieller Stabilität: Die Mitgliedstaaten sollten die Kreditkanäle für die Wirtschaft sowie Maßnahmen zur Unterstützung rentabler Unternehmen aufrechterhalten. Es gilt, weiterhin für gesunde Bilanzen im Bankensektor zu sorgen, unter anderem durch den weiteren Abbau notleidender Kredite.

2.5.

Sie sollten die Vertiefung der WWU vorantreiben, um die Resilienz zu erhöhen. Dies wird dazu beitragen, die internationale Rolle des Euro und die wirtschaftlichen Interessen Europas weltweit zu stärken.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Die düsteren Aussichten der Frühjahrsprognose 2020, wonach die EU in die tiefste wirtschaftliche Rezession ihrer Geschichte eingetreten ist, haben sich bewahrheitet. Die COVID-19-Krise hat eine Reihe nachfrage- und angebotsseitiger Schocks ausgelöst, die zu einem Rückgang des BIP um 7,8 % im Jahr 2020 führen dürften. Auch die Arbeitsmarktlage hat sich verschlechtert, obgleich der wirtschaftliche Abschwung dank der umfassenden politischen Maßnahmen wie Kurzarbeitsregelungen nicht voll auf die Arbeitslosenquoten durchschlägt. Dennoch ist bei den geleisteten Gesamtarbeitsstunden und bei den Erwerbsquoten ein Rückgang zu verzeichnen, da entmutigte Arbeitskräfte sich vom Arbeitsmarkt zurückgezogen haben.

3.2.

Die Erholung im Jahr 2021 dürfte langsamer als erwartet ausfallen. Insgesamt herrscht große Unsicherheit. Der EWSA betont, dass es jetzt darauf ankommt, schwere Risiken zu antizipieren, u. a. eine doppelte Rezession, Massenarbeitslosigkeit, Insolvenzen, Instabilität der Finanzmärkte, Deflation und die negativen Auswirkungen der Unsicherheit auf Verbrauch und Investitionen. Die von der Pandemie ausgelöste Krise dürfte auch vorhandene Probleme weiter verschärfen, so das niedrige Investitionsniveau, das wachsende Gefälle zwischen verschiedenen Mitgliedstaaten und zwischen verschiedenen Regionen, die Ungleichheiten in der Gesellschaft und die politischen Spannungen. Überdies könnten sich die Entwicklungen im Jahr 2021 langfristig negativ auswirken, wobei die Bewältigung der Klimakrise in dieser Zeit ein dringendes Problem bleibt.

3.3.

Vor diesem Hintergrund begrüßt der EWSA die Empfehlungen der Kommission. Viele der vom EWSA in seiner ergänzenden Stellungnahme zur Wirtschaftspolitik des Euro-Währungsgebiets 2020 (1) formulierten Erwägungen wurden darin aufgegriffen. Die wirtschaftliche Erholung wird nur dann erfolgreich sein, wenn sie mit einem Umbau unserer Wirtschaft und Gesellschaft hin zu einer stärker integrierten, demokratischeren und sozial besser aufgestellten Union einhergeht. 2021 wird die zentrale Aufgabe der Entscheidungsträger in der Wirtschaftspolitik darin bestehen, günstige Rahmenbedingungen für ein nachhaltiges und inklusives Wachstum zu schaffen. Aus diesem Grund ist es unbedingt erforderlich, das Vertrauen wiederherzustellen.

3.4.

Der EWSA begrüßt nachdrücklich die von der EU als Reaktion auf die Krise ergriffenen Maßnahmen einschließlich der Aufbau- und Resilienzfazilität. Für eine rasche und wirksame Erholung brauchen wir dringend Solidarität. Die Unternehmen, die Arbeitnehmer und die Zivilgesellschaft in Europa brauchen Ressourcen, um die Krise zu überstehen. Aus diesem Grund darf der Aufbauplan weder infrage gestellt noch verzögert werden. Jetzt muss so schnell wie möglich in allen erforderlichen Punkten eine Einigung erzielt werden.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.

Der EWSA begrüßt die Empfehlung der Kommission für einen politischen Gesamtkurs, der die wirtschaftliche Erholung unterstützt. Ein zu frühes Ende der Unterstützungsmaßnahmen würde die Anstrengungen der EU zur Bewältigung der Krise in ihrer Wirkung schmälern. Die Regierungen müssen unabhängig von ihrem derzeitigen Schuldenstand zur Durchführung der erforderlichen Maßnahmen in der Lage sein. Tragfähige öffentliche Finanzen lassen sich am besten durch ein nachhaltiges und integratives Wachstum sicherstellen. Maßnahmen zur Förderung der Produktivität könnten den Defizitabbau in den kommenden Jahren beschleunigen (2). Der EWSA fordert, möglichst bald mit der Überprüfung der wirtschaftspolitischen Steuerung (3) zu beginnen, um sie auf ein wohlstandsorientierter Konzept umzustellen und eine Rückkehr zu den alten Haushaltsregeln zu vermeiden. Die überarbeiteten Haushaltsregeln sollten auf jeden Fall erst dann in Kraft treten, wenn die Arbeitslosigkeit deutlich zurückgeht.

4.2.

Der EWSA begrüßt die Empfehlung der Kommission, den Umfang der privaten und öffentlichen Investitionen zu steigern. Im Hinblick auf die Ziele einer baldigen Erholung, gestärkten Wettbewerbsfähigkeit, der Behauptung als globale Wirtschaftsmacht und der Sicherung der sozialen und ökologischen Grundlage für das Wohlergehen künftiger Generationen müssen die Investitionen dringend umgestellt werden auf Nachhaltigkeit und Ökologie, Infrastruktur und Gesundheitsversorgung und/oder Steigerung der Produktivität. Die Ausgaben für die Umschulung von Arbeitnehmern sollten ebenfalls als Investitionen angesehen werden. Der EWSA bekräftigt seine Empfehlung für die Einführung einer goldenen Regel.

4.3.

Mit der Pandemie nehmen auch die Ungleichheit und die soziale Ausgrenzung zu. Hauptleidtragende der Krise sind vor allem Frauen, Migranten, Menschen mit Behinderungen und junge Menschen. Am härtesten wird es jene treffen, die bereits vor der Krise schutzbedürftig waren. Aber auch vielen Arbeitnehmern mit hochwertigen Arbeitsplätzen drohen Verschlechterungen in puncto Arbeitsbedingungen und Einkommen sowie Arbeitslosigkeit. Der EWSA fordert die Bekämpfung der Ungleichheit als ein vorrangiges Ziel bei allen geplanten Aufbaumaßnahmen. Es gilt, die Auswirkungen der Krise in Bezug auf die soziale Ausgrenzung, aber auch auf die zunehmende soziale und wirtschaftliche Unsicherheit für einen großen Teil der Bevölkerung besser zu berücksichtigen. Der Nutzen der Aufbaumaßnahmen sollte gleichmäßig verteilt werden. Dies ist auch im Hinblick auf die Stärkung des Vertrauens und die Stabilisierung der Nachfrage von entscheidender Bedeutung.

4.4.

Die weitere Integration des Binnenmarktes sollte auch künftig oben auf der Prioritätenliste stehen. Dazu gehört auch die Umsetzung der Grundsätze der europäischen Säule sozialer Rechte. Die Verbesserung der Rahmenbedingungen für Unternehmen muss mit der Verbesserung des sozialen Rahmens Hand in Hand gehen. Der EWSA verweist auf die Arbeitsunterlage der Kommission zur Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen, worin festgestellt wird, dass die Nachhaltigkeitsziele die EU auf dem Pfad des nachhaltigen Wachstums im Einklang mit den Belastungsgrenzen unseres Planeten und dem Fokus auf Wohlergehen, Inklusion und Gerechtigkeit halten werden. Die Kommission erkennt zudem an, dass beim Wirtschaftswachstum die Rechnung für die Menschen und den Planeten aufgehen muss. Zu den Initiativen für ein sozialeres Europa gehören neben vielen anderen ein Vorschlag für eine Richtlinie über angemessene Mindestlöhne und ein Aktionsplan zur Umsetzung der europäischen Säule sozialer Rechte. Der EWSA hat auch Stellungnahmen zu einer europäischen Rahmenrichtlinie zum Mindesteinkommen (4) und zu EU-Mindeststandards im Bereich der Arbeitslosenversicherung (5) verabschiedet.

4.5.

Begrüßenswert sind auch die Empfehlungen der Kommission zum Arbeitsmarkt, so zur Förderung gerechter Arbeitsbedingungen, zur Gewährleistung der Einbeziehung der Sozialpartner in die Politikgestaltung und zur Stärkung des sozialen Dialogs und der Tarifverhandlungen. Der EWSA fordert höhere Standards bei der Einbeziehung der Sozialpartner und der Zivilgesellschaft in die Klimaschutzpolitik. Der für die Umstellung auf eine CO2-freie Wirtschaft erforderliche Strukturwandel könnte durch einen sozialen Dialog zwischen den betroffenen Regionen und Sozialpartnern unterstützt werden, um den sozialen Aspekt zu wahren. Von entscheidender Bedeutung wird es auch sein, die Beteiligung der Zivilgesellschaft an der Aufstellung und Umsetzung der nationalen Pläne für die Aufbau- und Resilienzfazilität sicherzustellen, die ebenfalls im Rahmen des Europäischen Semesters überwacht werden soll.

4.6.

Wir brauchen einen wirksamen Rahmen für die Bekämpfung von Steuerhinterziehung, aggressiver Steuerplanung, Geldwäsche und Korruption. Der EWSA fordert eine entschlossene Reform der Steuerpolitik, um die anstehenden wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Herausforderungen bewältigen zu können. Dazu gehört auch die Verlagerung der Steuerlast vom Faktor Arbeit auf Steuerbemessungsgrundlagen, die das Arbeitskräfteangebot weniger beeinträchtigen, wobei die damit verbundenen Verteilungswirkungen zu berücksichtigen und regressive Effekte zu vermeiden sind. Der EWSA fordert hier zudem dringende Maßnahmen zur Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit und verweist auf seine früheren diesbezüglichen Stellungnahmen (6). Geprüft werden sollten auch das Konzept einer effektiven Mindestbesteuerung von Unternehmensgewinnen und seine mögliche Anwendung. Abschließend fordert der EWSA deutliche Fortschritte bei der Einführung neuer Eigenmittel, wie sie im Aufbauplan dargelegt wird.

4.7.

Der EWSA schließt sich der Kommission darin an, dass die Banken- und Kapitalmarktunion vollendet werden sollte, wobei die Finanzmarktstabilität Vorrang haben muss. Im Bankensektor sind Dividendenausschüttungen derzeit begrenzt, allerdings hauptsächlich auf freiwilliger Basis. Für Banken, die von verschiedenen öffentlichen Fördermaßnahmen profitieren, sollte die Möglichkeit in Betracht gezogen werden, diese Beschränkungen beizubehalten und die Ausschüttungen während der wirtschaftlichen Erholung wieder ganz auszusetzen. Dies würde das Risiko einer Finanzmarktinstabilität verringern und könnte auch die Gewinnerwartungen der Banken verbessern.

Brüssel, den 27. Januar 2021

Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Christa SCHWENG


(1)  ABl. C 10 vom 11.1.2021, S. 79.

(2)  Nach Schätzungen der belgischen Nationalbank wird das krisenbedingte punktuelle Defizit im Jahr 2020 potenziell zu einem einmaligen Rückgang des BIP um 4,6 % führen.

(3)  ABl. C 429 vom 11.12.2020, S. 227.

(4)  ABl. C 190 vom 5.6.2019, S. 1.

(5)  ABl. C 97 vom 24.3.2020, S. 32.

(6)  ABl. C 353 vom 18.10.2019, S. 90, ABl. C 364 vom 28.10.2020, S. 29.


9.4.2021   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 123/15


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Ein neues Migrations- und Asylpaket“

(COM(2020) 609 final)

(2021/C 123/04)

Berichterstatter:

José Antonio MORENO DÍAZ

Mitberichterstatter:

Cristian PÎRVULESCU

Befassung

Europäische Kommission, 11.11.2020

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft

Annahme in der Fachgruppe

17.12.2020

Verabschiedung auf der Plenartagung

27.1.2021

Plenartagung Nr.

557

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

203/0/19

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Die EU muss ein ausgewogenes Verhältnis zwischen einem wirksamen und realistischen Migrationsmanagement schaffen, das menschenwürdig und nachhaltig ist, während sie gleichzeitig die Sicherheit und Kontrolle ihrer Außengrenzen gewährleisten muss. Darüber hinaus muss die EU den Unionsbürgerinnen und -bürgern die klare Botschaft vermitteln, dass Migration gemeinsam besser bewältigt werden kann.

1.2.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) nimmt die Vorlage des neuen Migrations- und Asylpakets, in dem die auf fünf Jahre angelegten Arbeitspläne der Kommission für ein gemeinsames Einwanderungs- und Asylmanagement dargelegt sind, zur Kenntnis. Bei dem Dokument handelt es sich eigentlich eher um ein Arbeitsprogramm der Kommission denn um einen Pakt. Die das Paket begleitenden Vorschläge sind zwar wichtig, aber unzureichend für die Festlegung eines gemeinsamen europäischen Rahmens für Migrationsmanagement, der sowohl wirksam wäre als auch mit den Werten und Zielen der EU im Einklang stünde. Der EWSA bedauert, dass sich die meisten Vorschläge im neuen Paket auf das Außengrenzen- und Rückführungsmanagement beziehen und dass regulären Einwanderungsmöglichkeiten, sicheren Asylverfahren oder der Inklusion und Integration von Drittstaatsangehörigen keine gebührende Beachtung geschenkt wird.

1.3.

Ferner bedauert der EWSA, dass im Paket der Globale Pakt der Vereinten Nationen für eine sichere, geordnete und reguläre Migration (2018) als multilateraler Vorläufer eines Vorschlags für internationales Migrationsmanagement nicht erwähnt wird. Er befürwortet die Stärkung eines regelbasierten globalen Multilateralismus (1), u. a. im Bereich Mobilität und Migration, und fordert die Kommission dazu auf, die neue Agenda auf die globalen Maßnahmen und Instrumenten abzustimmen (2). Darüber hinaus bestärkt er die Institutionen und Mitgliedstaaten der EU darin, Migration und Mobilität nicht vom allgemeineren UN-Rahmen der Ziele für nachhaltige Entwicklung losgelöst zu betrachten.

1.4.

Im Paket wird zu Recht die fehlende Einheitlichkeit der Asyl- und Rückführungssysteme der Mitgliedstaaten hervorgehoben und die Notwendigkeit einer größeren Solidarität betont. Es ist jedoch nicht klar, ob sich die zentralen Herausforderungen für die Koordinierung mithilfe des Grundsatzes einer freiwilligen und selektiven Solidarität bewältigen lassen. Es werden keinerlei Anreize für die Mitgliedstaaten zur Teilnahme an diesem Mechanismus erwähnt. Dies ist besonders bemerkenswert angesichts der Tatsache, dass sich manche Mitgliedstaaten weigern, an der bisherigen Umsiedlungsregelung teilzunehmen. Falls es doch Anreize für ihre Teilnahme gibt, dann nicht im Bereich der Umsiedlung — des drängendsten, schwierigsten und kostenintensivsten Problems —, sondern in den Bereichen Kapazitätsaufbau und Rückführung.

1.5.

Der EWSA ist der Ansicht, dass das geplante System des Screenings vor der Einreise und die geplanten Verfahren an der Grenze unzureichend sind. Erstens sieht das Screeningsystem keine ausreichenden Verfahrensgarantien zur Achtung der Grundrechte der Menschen vor, die davon Gebrauch machen. In seiner aktuellen Fassung verstärkt das System den Druck auf die Länder, eine schnelle Entscheidung zu treffen und damit die Rechte des Einzelnen gemäß der Genfer Konvention von 1951 nicht in gebührendem Maße zu achten, insbesondere hinsichtlich des Grundsatzes der Nichtzurückweisung. Zweitens sind — wie bereits im Falle des Hotspot-Konzepts — die Aufnahmebedingungen für Migranten wie auch für Asylbewerber ein ernstes Problem, das umfassend angegangen werden muss (3).

1.6.

Der EWSA sieht der EU-Strategie zur freiwilligen Rückkehr und Wiedereingliederung erwartungsvoll entgegen und erhofft sich, dass darin wirksame Wiedereingliederungsmaßnahmen vorgesehen werden und sich der Schwerpunkt des Ansatzes damit weg von den polizeilichen Maßnahmen verlagert. Im Hinblick auf die Rückkehr sollten verschiedene soziale, wirtschaftliche und politische Akteure beteiligt werden, die ein inklusiveres und humaneres Umfeld schaffen können.

1.7.

Der EWSA begrüßt die Initiativen zur Seenotrettung, die tatsächlich darauf ausgerichtet sind, Menschenleben zu retten. Seiner Auffassung nach handelt es sich bei Such- und Rettungsaktionen auf See um eine völkerrechtliche Verpflichtung, die von den Mitgliedstaaten durch wirksame und angemessene öffentliche Instrumente erfüllt werden muss. Er vertritt in diesem Zusammenhang die Auffassung, dass kontinuierliche Anstrengungen erforderlich sind, um zu verhindern, dass humanitäre Akteure, die dringend notwendige Such- und Rettungsaktionen auf See durchführen, kriminalisiert werden.

1.8.

Der EWSA begrüßt die Initiativen zur Stärkung der gemeinsamen Verantwortung und besseren Steuerung der Migrationsströme mit Drittländern. Er ist jedoch besorgt über die Nutzung von Kooperationsmechanismen, die zur Auslagerung des EU-Migrationsmanagements führen oder dieses in einen negativen Anreiz für die betreffenden Länder verwandeln sowie dazu verleiten könnten, die Entwicklung von Migrationskontroll- und/oder Rückübernahme-Maßnahmen zu einer Vorbedingung für die Entwicklungshilfe und Entwicklungszusammenarbeit zu machen.

1.9.

Der EWSA begrüßt die Entwicklung sicherer und legaler Wege in die EU, insbesondere durch Umsiedlungs- und Patenschaftsprogramme. Allerdings ist er der Ansicht, dass diese Wege nur den Bedürfnissen von Personen mit einem ganz bestimmten Profil gerecht werden und keine umfassenden, wirksamen oder sicheren Antworten auf den Bedarf an legalen Möglichkeiten zur Einwanderung in die EU bieten. Der EWSA bedauert, dass die Maßnahmen zur Verbesserung legaler Einreisewege auf die Anwerbung von Fachkräften und die Überarbeitung der Richtlinien über die Blaue Karte und über Studierende und Forschende beschränkt sind. Für Alternativen, die über Grenzkontroll- und Rückkehrmaßnahmen hinausgehen, ist ein umfassender Mobilitätsansatz zwingend erforderlich.

1.10.

Der EWSA möchte auf die Arbeits- und Lebensbedingungen zahlreicher Drittstaatsangehöriger hinweisen, insbesondere in der Landwirtschaft. Die Mitgliedstaaten und die dort jeweils zuständigen Behörden müssen sich mit Fällen von Missbrauch und Ausbeutung befassen. Zivilgesellschaftliche Organisationen und Gewerkschaften müssen darin bestärkt werden, mit Drittstaatsangehörigen unabhängig von deren Beschäftigungsstatus und Vergütung zusammenzuarbeiten.

1.11.

Der EWSA zeigt sich besorgt darüber, dass die Bekämpfung der Netze zur Folge haben könnte, dass die Rechte der Opfer von Menschenhandel und Schleuserkriminalität missachtet werden. Er hat insbesondere Bedenken gegen die Beteiligung von Drittstaaten, in denen die Grundrechte der betroffenen Personen nicht geachtet werden oder keine menschenwürdigen Lebensbedingungen herrschen. So gibt es Beispiele dafür, wie die Bekämpfung des Menschenhandels für den Versuch missbraucht wird, humanitäre Maßnahmen zu kriminalisieren.

1.12.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Bekämpfung von Schleuser- und Menschenhändlernetzen fortgesetzt werden muss, und erkennt uneingeschränkt an, dass die Richtlinie über Sanktionen gegen Personen, die Menschen illegal beschäftigen, wirksamer gestaltet werden muss.

1.13.

Der EWSA begrüßt den kürzlich vorgelegten Aktionsplan für Integration und Inklusion für den Zeitraum 2021-2027 (4). Er bedauert, dass diesem für das Zusammenleben in unseren Gesellschaften entscheidenden Thema im Paket so wenig Aufmerksamkeit gewidmet wird. Es gibt in der Mitteilung keine Angaben über Ausmaß und Art der Unterstützung für Integrationsmaßnahmen. Er verfügt über weitreichende Erfahrungen mit Fragen der Integration und hält es für bedauerlich, dass es dem Vorschlag in seiner aktuellen Form an Ehrgeiz und Deutlichkeit in Bezug auf die Instrumente und Anreize mangelt, die den verschiedenen Interessenträgern angeboten werden.

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1.

Am 23. September legte die Europäische Kommission mit ihrer Mitteilung „Ein neues Migrations- und Asylpaket“ ihre neue Agenda zu Einwanderung und Asyl vor. Die Mitteilung baut auf den Arbeitsprogrammen auf, die seit 1999 in diesem Bereich erstellt wurden — in chronologischer Reihenfolge: Tampere (1999), Den Haag (2004), Stockholm (2009) und die Europäische Migrationsagenda (2015).

2.2.

Das Paket soll einen neuen Aktionsrahmen bieten, um die Freizügigkeit im Schengen-Raum, den Schutz der Grundrechte und eine wirksame Migrationspolitik sicherzustellen. Das Paket ist seit Dezember 2019 in Vorbereitung. In diesem Zusammenhang gab es zwei vollständige Konsultationsrunden mit allen Mitgliedstaaten, dem Europäischen Parlament, den nationalen Parlamenten, der Zivilgesellschaft sowie den Sozialpartnern und Unternehmen, damit verschiedene Perspektiven berücksichtigt werden konnten. Das Paket wird in Kürze dem Europäischen Parlament und dem Rat vorgelegt.

2.3.

Die Europäische Migrationsagenda von 2015 stellte eine umgehende Reaktion auf die Krisenlage im Mittelmeerraum dar. Das Paket soll jedoch einen neuen, dauerhaften europäischen Rahmen zur Bewältigung der verschiedenen Herausforderungen schaffen, denen sich die Mitgliedstaaten sowohl unter normalen Umständen als auch in Not- oder Krisensituationen gegenübersehen, wobei die europäischen Werten immer geachtet werden müssen.

2.4.

Die Kommission stellt im Paket fest, dass 2019 in der EU 20,9 Millionen Drittstaatsangehörige (4,7 % der Gesamtbevölkerung) leben und dass im selben Jahr rund drei Millionen erste Aufenthaltstitel in den Mitgliedstaaten ausgestellt wurden. In den Mitgliedstaaten hielten sich 2019 insgesamt 2,6 Millionen Flüchtlinge auf (0,6 % der EU-Gesamtbevölkerung), und im selben Jahr wurden 698 000 neue Asylanträge gestellt. Die Kommission führt auch an, dass 2019 insgesamt 142 000 Menschen versuchten, illegal in die EU einzureisen, und dass lediglich ein Drittel der Rückführungen auch tatsächlich stattfanden.

2.5.

Um diesen neuen Rahmenbedingungen, die sich deutlich von jenen im Zeitraum 2015-2016 unterscheiden, gerecht zu werden, sollen mit dem Paket die Verantwortung unter den Mitgliedstaaten gleichmäßiger verteilt und die gegenseitige Solidarität gestärkt, Fortschritte beim wirksameren Management von Migration, Asyl und Grenzen und eine bessere Steuerung erreicht sowie aktuelle Lücken geschlossen werden.

2.6.

Das Paket hat drei Hauptschwerpunkte: 1. Verbesserung der Zusammenarbeit mit Herkunfts- und Transitdrittländern zur Optimierung des Migrationsmanagements, 2. Verbesserung des Managements der EU-Außengrenzen durch erweiterte Maßnahmen zur technischen Zusammenarbeit und Identifizierung sowie Überarbeitung und Aktualisierung der Verfahren für mehr Klarheit bei der Aufgabenverteilung und 3. mehr Solidarität durch einen neuen dauerhaften Mechanismus.

2.7.

Insbesondere soll mit dem Paket Folgendes erreicht werden: ein stabiles und gerechtes Außengrenzenmanagement, einschließlich Identitäts-, Gesundheits- und Sicherheitskontrollen; faire und effiziente Asylvorschriften; eine Straffung der Asyl- und Rückführungsverfahren; ein neuer Solidaritätsmechanismus für Such- und Rettungseinsätze sowie für Druck- und Krisensituationen, eine bessere Vorausschau, Krisenvorsorge und -reaktion; eine wirksame Rückkehrpolitik und ein von der EU koordiniertes Konzept für Rückführungen; eine umfassende Steuerung auf EU-Ebene für eine bessere Bewältigung und Umsetzung der Asyl- und Migrationspolitik; wechselseitig vorteilhafte Partnerschaften mit wichtigen Herkunfts- und Transitdrittländern; Entwicklung nachhaltiger legaler Wege für Schutzbedürftige und die Anwerbung von Fachkräften für die EU sowie Unterstützung wirksamer Integrationsmaßnahmen.

2.8.

Zeitgleich mit dem Paket wurden weitere neue Dokumenten vorgelegt, die besondere Beachtung verdienen, da darin die Einzelheiten der im Paket vorgeschlagenen Agenda ausgeführt werden. Die Maßnahmen der Kommission umfassen Folgendes: 1. Vorschlag für eine Verordnung über Asyl- und Migrationsmanagement einschließlich eines neuen Solidaritätsmechanismus sowie neuer Rechtsvorschriften zur Einführung eines Screening-Verfahrens an den Außengrenzen; 2. Änderung des Vorschlags für eine neue Asylverfahrensverordnung, um ein neues Verfahren an der Grenze einzuführen und Asylverfahren wirksamer zu gestalten; 3. Änderung des Vorschlags über die Eurodac-Verordnung, um den Datenbedarf des neuen EU-Rahmens für Asyl- und Migrationsmanagement zu decken; 4. Vorlage einer neuen Strategie für die freiwillige Rückkehr und die Wiedereingliederung vor; 5. Annahme einer Empfehlung zur Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten bei Rettungsaktionen privater Einrichtungen; 6. Empfehlungen zu legalen Schutzwegen in die EU, einschließlich der Neuansiedlung; 7. Vorlage von Rechtsvorschriften zur Bewältigung von Krisensituationen und Fällen höherer Gewalt und zur Aufhebung der Richtlinie über die Gewährung vorübergehenden Schutzes; 8. Vorlage eines Vorsorge- und Krisenplans für Migration.

3.   Anmerkungen zur Vorstellung des neuen Migrations- und Asylpakets

3.1.

Der EWSA nimmt die Vorlage des neuen Migrations- und Asylpakets, in dem die Kommission ihre auf fünf Jahre angelegten Arbeitspläne für ein gemeinsames Einwanderungs- und Asylmanagement darlegt, zur Kenntnis. Die das Paket begleitenden Vorschläge sind wichtig, aber unzureichend für die Entwicklung eines gemeinsamen europäischen Rahmens für Migrationsmanagement, der sowohl wirksam sein als auch mit den Werten und Zielen der EU im Einklang stehen muss. Der EWSA hält es deshalb für unerlässlich, sie eingehender zu betrachten.

a)

Ein gemeinsamer europäischer Rahmen für Migrations- und Asylmanagement

3.2.

Im Paket wird zu Recht die fehlende Einheitlichkeit der Asyl- und Rückführungssysteme der Mitgliedstaaten hervorgehoben und betont, dass es notwendig ist, durch Beseitigung der Unzulänglichkeiten bei der Umsetzung für eine größere Solidarität innerhalb der EU zu sorgen und die Zusammenarbeit mit Drittstaaten zu verbessern und zu stärken. Es ist jedoch nicht klar, ob sich die zentralen Herausforderungen des letzten Jahrzehnts im Bereich der Koordinierung mithilfe des Grundsatzes einer freiwilligen und selektiven Solidarität bewältigen lassen.

3.3.

Durch das Paket sollen die Einreiseverfahren durch schnelle Identifizierung von Personen, die den Flüchtlingsstatus beantragen, und durch Beschleunigung des Rückführungsverfahrens für Personen, die irregulär nach Europa einzureisen versuchen, verbessert werden. Mit dem Vorschlag für ein Screening vor der Einreise soll für eine zügige Bearbeitung gesorgt werden, wodurch die Rückkehr in sichere Drittländer bzw. Herkunftsdrittländer ermöglicht und gleichzeitig die Einzelfallprüfung der Anträge sichergestellt wird.

3.4.

Der EWSA ist der Auffassung, dass Verfahren für ein Screening vor der Einreise als neuartiger Beitrag in Betracht gezogen sollten, wirft jedoch die Frage auf, wie praktikabel ihre Umsetzung wäre. Der fünftägige Zeitraum für das Screening scheint nicht nur keine Hilfe für die Länder zu sein, in die die meisten Personen irregulär auf dem Seeweg einreisen, sondern diese Länder stünden hierdurch wohl auch unter größerem Druck, eine schnelle Entscheidung zu treffen. Außerdem wäre es sehr schwierig, ein solches Verfahren mit den notwendigen Garantien und im Einklang mit den Grundsätzen der Sicherheit und des Schutzes der Rechte gemäß dem internationalen Asylsystem durchzuführen, d. h. unter Achtung der Rechte des Einzelnen gemäß der Genfer Konvention von 1951. Auch ist nicht klar erkennbar, wie die Rückführungsverfahren verbessert werden sollen, wenn doch die meisten nicht richtig funktionieren, wie im Paket selbst festgestellt wird. Grund hierfür sind nicht nur unzureichende technische Kapazitäten in EU-Staaten, sondern auch ausbleibende Reaktionen seitens der Aufnahmeländer.

3.5.

Dem Vorschlag zufolge müssen an den Außengrenzen der EU gestellte Asylanträge im Rahmen der EU-Asylverfahren geprüft werden; sie stellen kein automatisches Recht auf Einreise in die EU dar. Dieses Verfahren wird vermutlich an den Erstaufnahmestellen große Probleme verursachen. Diese Stellen müssen auf die Unterbringung zahlreicher Menschen vorbereitet werden, und es muss weitere Anreize geben, um schnellere Rückführungen zu erreichen. Durch das Verfahren an der Grenze könnten Garantien reduziert werden und Inhaftnahmen bzw. haftähnliche Bedingungen zunehmen. Es ist besonders problematisch, die Screenings vor der Einreise auf der Grundlage der Konzepte „Herkunftsländerinformationen“ und „sichere Drittstaaten“ vorzunehmen, da diese der Einzelfallprüfung widersprechen (5). Internationaler Schutz ist keine Frage der Staatsangehörigkeit, sondern von Bedrohungen und Risiken für das Leben Einzelner.

3.6.

Angesichts der bisher festgestellten Schwierigkeiten begrüßt der EWSA die Tatsache, dass alternative Ansätze gesucht werden, nach denen der Staat bestimmt werden soll, der für die Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz zuständig ist. Er wirft jedoch die Frage auf, worin diese Alternativen und die entsprechende Änderung bestehen werden, wenn bei dem Vorschlag für eine Neuregelung der Verfahren zum internationalen Schutz, mit dem ein neues Verfahren an der Grenze und wirksamere Asylverfahren vorgesehen werden sollen, einfach der gleiche Ansatz wie bei der aktuell geltenden Dublin-Verordnung verfolgt wird.

3.7.

Gemäß dem neuen Solidaritätsmechanismus könnten sich die Mitgliedstaaten an der Umsiedlung oder der geförderten Rückkehr von Personen in einer irregulären Situation beteiligen. Der EWSA bezweifelt die Umsetzbarkeit dieses Mechanismus, für den darüber hinaus eine hypothetische freiwillige Solidarität Voraussetzung ist. Es werden keinerlei Anreize erwähnt, die die Mitgliedstaaten zur Teilnahme an diesem Mechanismus bewegen würden. Angesichts der Tatsache, dass sich manche Mitgliedstaaten geweigert haben, am bisherigen Umsiedlungsprogramm teilzunehmen (6) bzw. es keine ausdrückliche Verpflichtung dazu gibt, sollte darauf hingewiesen werden, dass dieser auf Solidarität beruhende Mechanismus auch den gegenteiligen Effekt haben könnte, nämlich dass die betroffene Person in den unterstützenden Mitgliedstaat umgesiedelt würde, wenn die Rückführung nicht tatsächlich innerhalb von acht Monaten stattfindet. Dies könnte zu mangelnder Verantwortlichkeit in Bezug auf die Rechte von Rückkehrern führen. Ferner haben im Rahmen des vorgeschlagenen neuen Solidaritätsmechanismus die Mitgliedstaaten einen Anreiz, sich nicht an der Umsiedlung — dem dringendsten, schwierigsten und kostenintensivsten Problem — zu beteiligen, sondern sich stattdessen für eine Teilnahme an der Rückführung zu entscheiden (7).

3.8.

Der EWSA begrüßt, dass der Zeitraum bis zum Erhalt eines langfristigen Aufenthaltsstatus für Personen, die unter internationalem Schutz stehen, von fünf auf drei Jahre verkürzt werden soll, wenn diese sich dazu entschließen, in dem Mitgliedstaat zu bleiben, der ihnen diesen Schutz gewährt. Ziel ist eindeutig die Integration in die lokalen Gemeinschaften, auch wenn eingewandt werden könnte, dass so die Freizügigkeit innerhalb der EU eingeschränkt wird.

3.9.

Der EWSA begrüßt die Maßnahmen zur Verbesserung der Koordinierung zwischen nationalen Strategien zu Asyl- und Rückkehrmaßnahmen, bedauert jedoch, dass mehr Vorschläge zur Koordinierung von Rückkehrinstrumenten als zur Koordinierung der Verfahren im Bereich Asyl und Aufnahme von Flüchtlingen gemacht wurden.

3.10.

Der EWSA begrüßt außerdem die geplante Einrichtung der Asylagentur der Europäischen Union als notwendigen Schritt hin zu größerer Konvergenz und einer besseren Umsetzung der gemeinsamen Asylregelungen.

3.11.

Der EWSA hält Fortschritte bei Schutz und Hilfe für die schutzbedürftigsten Gruppen für unerlässlich, z. B. für minderjährige Migrantinnen und Migranten, insbesondere wenn diese unbegleitet sind (8). Das Europäische Netzwerk von Vormundschaftseinrichtungen (ENGI) sollte beim Schutz dieser Personen, deren Integration und Inklusion in den Mitgliedstaaten durch Gewährung von Rechtshilfe, Unterbringung, Zugang zu Bildung usw. verbessert werden sollten, eine größere Rolle spielen.

3.12.

Der EWSA ersucht die Kommission und die Mitgliedstaaten darum, bei der Ermittlung und dem Schutz von Frauen und Mädchen, die Opfer von Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung oder anderen Formen geschlechtsbezogener Gewalt werden, proaktiver vorzugehen.

3.13.

Der EWSA ist sich der Schwierigkeiten der Mitgliedstaaten in Bezug auf wirksame Rückkehrmaßnahmen bewusst und nimmt die Bereitschaft der Kommission zur Kenntnis, Schritte hin zu einem gemeinsamen und wirksamen europäischen Rückkehrsystem zu unternehmen. Der Vorschlag beruht auf der Verbesserung der operativen Unterstützung für Rückkehrmaßnahmen. Außerdem wird die Ernennung nationaler Rückkehrkoordinatoren empfohlen. Er bedauert, dass Probleme bei der Durchführung von Rückkehrprogrammen nicht eindeutig ermittelt werden (9), sodass diese als strategisch wichtig eingeschätzten Maßnahmen von der Kooperationsbereitschaft der Drittstaaten, d. h. der Herkunfts- oder Transitstaaten, abhängen.

3.14.

Der EWSA sieht der EU-Strategie zur freiwilligen Rückkehr und Wiedereingliederung erwartungsvoll entgegen und hofft, dass darin wirksame Wiedereingliederungsmaßnahmen vorgesehen werden und sich der Schwerpunkt des Ansatzes damit weg von den polizeilichen Maßnahmen verlagert. Dieses Risiko besteht, wenn Frontex sein Mandat auf die Unterstützung wirksamerer Rückführungsmaßnahmen ausweitet und wenn seine Einsätze nicht mit verschiedenen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Akteuren koordiniert werden, womit ein inklusiveres und humaneres Umfeld für Rückkehrmaßnahmen geschaffen werden könnte.

3.15.

Der EWSA hält es für wesentlich, die Rechenschaftspflichtsmechanismen für Maßnahmen von Frontex zu verbessern sowie die Tätigkeiten der Agentur zu überwachen und sicherzustellen, dass dabei die Grundrechte der Menschen geschützt und garantiert werden.

3.16.

Der EWSA betont, dass es wichtig ist, die in Eurodac gespeicherten personenbezogenen Daten zu schützen, und dass die einschlägigen Maßnahmen angesichts der Sensibilität dieser Daten insbesondere dann begründet werden und verhältnismäßig sein müssen, wenn es um Personen, die internationalen Schutz beantragen, und die Vertraulichkeit des Verfahrens geht (10).

b)

Ein solides System für Krisenvorsorge und -reaktion im Bereich Migration

3.17.

Der EWSA begrüßt die Fortschritte bei der Vorbeugung und Bewältigung von Migrationskrisen sowie die Maßnahmen, die ergriffen werden sollen, um die Solidarität zwischen den Mitgliedstaaten und den Schutz der Grundrechte der Personen sicherzustellen, die von solchen Krisen betroffen sein könnten. Er bedauert jedoch, dass dieser Ansatz auf dem Konzept der „Hotspots“ beruht, die sich als Orte herausgestellt haben, an denen es zu Verletzungen der Rechte von Personen kommt, die internationalen Schutz in der EU suchen.

3.18.

Der EWSA ist sich darüber im Klaren, dass die Mechanismen zur Bewältigung von Krisensituationen verbessert werden müssen, zweifelt jedoch an, dass es hilfreich wäre, beispielsweise die Richtlinie über die Gewährung vorübergehenden Schutzes zu überarbeiten, die in den letzten Jahren nicht ordnungsgemäß umgesetzt wurde. Wie bereits erwähnt, fordert er die Kommission und die anderen EU-Organe nachdrücklich dazu auf, den Zugang zu internationalem Schutz oder dessen Umfang in keinerlei Form zu beschränken.

c)

Ein integriertes Grenzmanagementsystem

3.19.

Das Management der Außengrenzen fällt in die gemeinsame Verantwortung der EU und ihrer Mitgliedstaaten, wobei es von entscheidender Bedeutung ist, die Umsetzungsinstrumente zu beurteilen. Der EWSA möchte darauf hinweisen, dass der Einsatz menschlicher oder technischer Ressourcen im Hinblick auf die tatsächliche Situation stets verhältnismäßig sein muss und dass hierbei ausnahmslos die Grundrechte und -freiheiten des Einzelnen in gebührendem Maße zu achten sind.

3.20.

Die Schaffung vollständig interoperabler IT-Systeme ist ein notwendiger Schritt auf dem Weg zu einheitlichen und wirksamen EU-weiten Regelungen. Vollständig interoperable Systeme sollten zügig und unter angemessener Berücksichtigung des Schutzes der personenbezogenen Daten und Grundrechte verwirklicht werden.

3.21.

Der EWSA begrüßt daher die Initiativen zur Seenotrettung, die tatsächlich darauf ausgerichtet sind, Menschenleben zu retten. Er hat jedoch Bedenken gegen die Beteiligung von Privatunternehmen, deren Handlungen, insbesondere im Hinblick auf Einhaltung der Menschenrechte, nicht streng überwacht werden. Für den EWSA handelt es sich bei Such- und Rettungsaktionen auf See um eine völkerrechtliche Verpflichtung, die von den Staaten durch wirksame und ausreichende öffentliche Instrumente erfüllt werden muss.

3.22.

Der EWSA vertritt in diesem Zusammenhang die Auffassung, dass kontinuierliche Anstrengungen erforderlich sind, um zu verhindern, dass humanitäre Akteure, die dringend notwendige Such- und Rettungsaktionen auf See durchführen, kriminalisiert werden.

3.23.

Der EWSA äußert sich angesichts der von einigen Mitgliedstaaten an den Tag gelegten Passivität besorgt über das Risiko, dass Privatboote zu Hafteinrichtungen für Asylsuchende werden.

3.24.

Der EWSA begrüßt die Anstrengungen zur Normalisierung der Freizügigkeit im Schengen-Raum und sieht der raschen Bekanntgabe weiterer Einzelheiten zu den Schengen-Evaluierungsmechanismen erwartungsvoll entgegen. Außerdem sieht er mit Interesse der geplanten Strategie zur Zukunft des Schengen-Systems entgegen und hofft, dass diese zu einem stärkeren und umfassenderen Schengen-System führt.

d)

Verstärkte Bekämpfung der Schleuserkriminalität

3.25.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Bekämpfung der Schleuser- und Menschenhändlernetze fortgesetzt werden muss. Er erkennt vorbehaltlos an, dass die Richtlinie über Sanktionen gegen Personen, die Menschen illegal beschäftigen, wirksamer gestaltet werden muss. Daher hält er es für hilfreich, Mechanismen einzurichten, mit denen die Meldung von Personen oder Unternehmen begünstigt wird, die Opfer von Menschenhandel, Opfer von Menschenschmuggel und Personen ohne Arbeitserlaubnis ausnutzen (11).

3.26.

Der EWSA zeigt sich besorgt darüber, dass die Bekämpfung der Netze zur Folge haben könnte, dass die Rechte der Opfer von Menschenhandel und Schleuserkriminalität missachtet werden. Er hat insbesondere Bedenken gegen die Beteiligung von Drittstaaten, in denen die Grundrechte der betroffenen Personen nicht geachtet werden oder keine menschenwürdigen Lebensbedingungen herrschen. So gibt es Beispiele dafür, wie die Bekämpfung des Menschenhandels für den Versuch missbraucht wird, humanitäre Maßnahmen zu kriminalisieren.

e)

Zusammenarbeit mit unseren internationalen Partnern

3.27.

Der EWSA begrüßt die Initiativen zur Stärkung der gemeinsamen Verantwortung und besseren Steuerung der Migrationsströme mit Drittländern. Er ist jedoch besorgt über die Nutzung von Kooperationsmechanismen, die zur Auslagerung des EU-Migrationsmanagements führen oder dieses in einen negativen Anreiz für die betreffenden Länder verwandeln sowie dazu verleiten könnten, die Entwicklung von Migrationskontroll- und/oder Rückübernahme-Maßnahmen zu einer Vorbedingung für die Entwicklungshilfe und Entwicklungszusammenarbeit zu machen. Es ist erneut darauf hinzuweisen, dass die Migrationspolitik, die Politik für Entwicklungszusammenarbeit und Entwicklungshilfe sowie die Handelspolitik im Rahmen des auswärtigen Handelns der EU differenziert werden müssen, wobei in allen Fällen die Menschenrechte uneingeschränkt zu achten sind.

3.28.

Der EWSA ist außerdem der Ansicht, dass die Zusammenarbeit mit den Ländern, die eine beträchtliche Zahl von Flüchtlingen aufnehmen, gestärkt werden sollte — sofern dies nicht bedeutet, dass die Möglichkeiten der Betroffenen, Zugang zur EU zu erlangen, beschränkt werden, und sofern die EU ein proaktives Interesse an ihren Lebensbedingungen, einschließlich des Schutzes ihrer Rechte in den aufnehmenden Drittstaaten, zeigt.

3.29.

Der EWSA begrüßt alle gemeinsamen Initiativen mit dem Ziel, stabile Gesellschaften in Drittstaaten aufzubauen, dort Armut und Ungleichheit zu verringern sowie Demokratie, Frieden und Sicherheit zu fördern. Er ist jedoch nicht der Ansicht, dass diese Themen mit der Zusammenarbeit der betreffenden Länder bei der Kontrolle der Migrationsströme verknüpft werden sollten. Beiträge zur Stärkung der Migrationsmanagementkapazitäten von Drittstaaten sind positiv, dürfen jedoch nicht mit ihrer Rolle bei der Kontrolle von Migrationsströmen oder Rückübernahmevereinbarungen verknüpft werden.

3.30.

Der EWSA stellt fest, dass der Zusammenarbeit mit Drittstaaten im Bereich der Rückübernahme im Paket große Bedeutung beigemessen wird. Berücksichtigt werden sollten dabei jedoch auch die Risiken von Rechtsverletzungen, denen Rückkehrer ausgesetzt sein könnten, wie auch die Anreize, die diese Länder verlangen könnten, um einer Zusammenarbeit mit der EU zuzustimmen.

3.31.

Der EWSA begrüßt die Entwicklung sicherer und legaler Wege in die EU, insbesondere durch Umsiedlungs- und Patenschaftsprogramme. Allerdings ist er der Ansicht, dass diese Wege nur den Bedürfnissen von Personen mit einem bestimmten Profil (Personen, die internationalen Schutz suchen) gerecht werden und keine umfassenden, wirksamen oder sicheren Antworten auf den Bedarf an legalen Möglichkeiten zur Einwanderung in die EU bieten.

f)

Anwerbung qualifizierter und talentierter Arbeitskräfte aus Drittländern

3.32.

Fachkräftepartnerschaften sind eine Initiative mit Mehrwert und eröffnen einen legalen Weg in die EU. Der EWSA begrüßt diese Initiative (12), obwohl sie sich negativ auf die Herkunftsländer auswirken wird, vor allem was ihre Fähigkeit betrifft, eine nachhaltige Entwicklung umzusetzen. Er bedauert aber, dass die Maßnahmen zur Verbesserung legaler Einreisewege auf die Anwerbung von Fachkräften und die Überarbeitung der Richtlinien über die Blaue Karte und über Studierende und Forschende beschränkt sind, da deren Geltungsbereich begrenzt ist. Für Alternativen, die über Grenzkontroll- und Rückkehrmaßnahmen hinausgehen, ist ein umfassender Mobilitätsansatz zwingend erforderlich.

3.33.

Der EWSA ist daran interessiert, sich an öffentlichen Konsultationen zur Anwerbung qualifizierter und talentierter Arbeitskräfte aus Drittländern zu beteiligen, weist jedoch erneut darauf hin, dass es allgemein erforderlich ist, die Frage der Arbeitsmärkte über diesen Aspekt hinaus anzugehen.

3.34.

Der EWSA möchte auf die Arbeits- und Lebensbedingungen zahlreicher Drittstaatsangehöriger hinweisen, insbesondere in der Landwirtschaft. Die Mitgliedstaaten und die dort jeweils zuständigen Behörden müssen sich mit Fällen von Missbrauch und Ausbeutung befassen. Zivilgesellschaftliche Organisationen und Gewerkschaften müssen darin bestärkt und dazu aufgerufen werden, mit Drittstaatsangehörigen unabhängig von deren Beschäftigungsstatus und Vergütung zusammenzuarbeiten.

g)

Förderung der Integration für eine inklusivere Gesellschaft

3.35.

Der EWSA ist der Ansicht, dass Inklusion und Integration von Drittstaatsangehörigen für den sozialen Zusammenhalt in der EU von wesentlicher Bedeutung sind, und sieht der Vorlage des Aktionsplans für Integration und Inklusion für den Zeitraum 2021-2027 erwartungsvoll entgegen. Er bedauert, dass diesem für das Zusammenleben in unseren Gesellschaften entscheidenden Thema im Paket so wenig Aufmerksamkeit gewidmet wird.

3.36.

Es gibt in der Mitteilung keine Angaben über Ausmaß und Art der Unterstützung für Integrationsmaßnahmen. Der EWSA erwartet, dass diese Mängel des Pakets im neuen Aktionsplan für Integration und Inklusion für den Zeitraum 2021-2027 behoben werden. Er verfügt über weitreichende Erfahrungen mit Fragen der Integration und hält es für bedauerlich, dass es dem Vorschlag in seiner aktuellen Form an Ehrgeiz und Deutlichkeit in Bezug auf die Instrumente und Anreize mangelt, die den verschiedenen Interessenträgern angeboten werden.

Brüssel, den 27. Januar 2021

Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Christa SCHWENG


(1)  ABl. C 14 vom 15.1.2020, S. 24.

(2)  Im Arbeitsprogramm der Kommission für 2021 ist für das zweite Quartal 2021 die Annahme einer Gemeinsamen Mitteilung über die Stärkung des EU-Beitrags zum regelbasierten Multilateralismus vorgesehen.

(3)  Der EWSA engagiert sich diesbezüglich aktiv durch den Besuch von Hotspots und die Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Akteuren, die in allen mit Migration und Integration zusammenhängenden Bereichen tätig sind.

(4)  Siehe COM(2020) 758 final.

(5)  Siehe ABl. C 71 vom 24.2.2016, S. 82.

(6)  Urteil in den verbundenen Rechtssachen Kommission gegen Polen C-715/17, Ungarn C-718/17 und Tschechische Republik C-719/17.

(7)  Leider gibt es keinen Schutz vor Situationen, in denen manche Regierungen sich dazu entschließen, im Zuge einer populistischen Mobilisierung gegen Migrantinnen und Migranten sowie Flüchtlinge bei Rückführungen eine Schlüsselrolle zu spielen.

(8)  Siehe ABl. C 429 vom 11.12.2020, S. 24.

(9)  COM(2017) 200 final.

(10)  ABl. C 34 vom 2.2.2017, S. 144.

(11)  In den spanischen Rechtsvorschriften gibt es beispielsweise das Konzept der „Arbeitsbeziehungen“, aufgrund dessen eine irreguläre ausländische Arbeitskraft, die den Arbeitgeber meldet, der sie irregulär beschäftigt, unter bestimmten Bedingungen offizielle Papiere erhalten kann. In Portugal gibt es für bestimmte Situationen einen entsprechenden, auf Einzelfälle ausgerichteten Legalisierungsprozess.

(12)  Siehe ABl. C 341 vom 21.11.2013, S. 50 und ABl. C 458 vom 19.12.2014, S. 7.


9.4.2021   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 123/22


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Förderung einer klimaneutralen Wirtschaft: Eine EU-Strategie zur Integration des Energiesystems“

(COM(2020) 299 final)

(2021/C 123/05)

Berichterstatter:

Lutz RIBBE

Befassung

Europäische Kommission, 23.9.2020

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

 

 

Beschluss des Plenums

14.7.2020

 

 

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft

Annahme in der Fachgruppe

16.12.2020

Verabschiedung auf der Plenartagung

27.1.2021

Plenartagung Nr.

557

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

242/3/10

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) unterstützt das Vorhaben der Kommission, das sie in ihrer Mitteilung darlegt: Eine Integration des Elektrizitätssystems mit dem Wärme- und Verkehrssystem ist unabdingbar, um das Ziel der Klimaneutralität, das Ziel der Versorgungssicherheit, zu der auch die Verringerung von Energieimporten gehört, und das Ziel von erschwinglichen Preisen für die europäischen Verbraucherinnen und Verbraucher und die europäische Wirtschaft zu erreichen.

1.2.

Davon unberührt muss der EWSA feststellen, dass die Kommission in ihrer Mitteilung einige für den Erfolg der europäischen Energiewende sehr wichtige Punkte offen lässt.

1.3.

Die Kommission beantwortet nicht die Frage, wie sie Versorgungssicherheit auf der Basis von CO2-freien oder -armen Energiequellen erreichen möchte. Sie spricht davon, dass 84 % des Strombedarfs aus erneuerbaren Energien gedeckt werden soll, lässt aber offen, aus welchen Quellen der übrige Strom erzeugt werden soll. Dies ist vor dem Hintergrund der fundamentalen Bedeutung der Versorgungssicherheit für die europäische Wirtschaft und die Verbraucherinnen und Verbraucher nicht akzeptabel, zumal davon auszugehen ist, dass der Strombedarf durch die Elektrifizierung der Wärmeversorgung und des Verkehrssektors trotz Effizienzfortschritten ansteigen wird.

1.4.

Der EWSA stimmt der Kommission zu, dass eine fehlende oder mangelnde Bepreisung von CO2-Emissionen im Wärme- und Transportsektor ein gravierendes Problem für die Systemintegration darstellt. Es reicht aber nicht, das Problem zu beschreiben. Konkrete Lösungsvorschläge sind gefragt. In diesem Punkt ist die Kommission viel zu zögerlich und unkonkret.

1.5.

Eine Integration des Energiesystems erfordert in bestimmten Bereichen eine Modernisierung und Ertüchtigung, zuweilen auch einen Neubau der Energie-Infrastruktur. Hierfür sind gewaltige Investitionen notwendig, die möglicherweise durch einen speziellen, den Unternehmen in allen Mitgliedstaaten zugänglichen europäischen Finanzrahmen erleichtert werden könnten. Die Investitionen können wichtige Konjunkturimpulse zur Überwindung der durch die COVID-19-Pandemie ausgelösten Rezession setzen und sollten gute und faire Arbeitsplätze schaffen. Dabei ist es aber wichtig, dass die Investitionsentscheidungen so getroffen werden, dass sie die energie- und klimapolitischen Ziele unterstützen. Angesichts des großen Kapitalbedarfs kommt es zudem maßgeblich darauf an, die existierende Infrastruktur bestmöglich zu nutzen. Hierfür ist eine Priorisierung der technologischen Optionen, die für eine schnelle und effiziente Systemintegration zur Verfügung stehen, notwendig. Energieeffizienz, insbesondre auch bei industriellen Prozessen, sollte unbedingt Vorrang vor allen anderen Ansätzen haben. Darüber hinaus muss die Priorisierung aufzeigen, welche Technologie sich für welche Anwendung, die Systemintegration möglich macht, am besten eignet. Auf dieser Basis lassen sich dann entsprechende Infrastrukturinvestitionen planen. In diesem Punkt ist die Mitteilung der Kommission deutlich zu unbestimmt.

1.6.

Die Mitteilung legt einen besonderen Fokus auf Wasserstoff und Windenergie auf See. Dies sind wichtige Technologien, aber sie sollten nur ergänzend eingesetzt werden — dort, wo man mit Windenergie an Land und Solarenergie sowie Kurzzeit-Speichern wie Batterien nicht weiterkommt. Denn Windenergie an Land und Solarenergie sind auf absehbarer Zeit nicht nur die kostengünstigsten Energieerzeugungsarten. Sie sind auch die besten Optionen, ein wichtiges strategisches Ziel der Energieunion zu erreichen: Dezentralisierung, um sichere und gute Arbeitsplätze zu schaffen und generell die sozialpolitischen und regionalwirtschaftlichen Vorteile der Energiewende auszuschöpfen, die Verbraucher auch in ihrer Funktion als Prosumenten zu stärken und sie in den Mittelpunkt des Energiesystems zu stellen, Energiearmut zu bekämpfen, die Versorgungssicherheit zu erhöhen und dabei die Regionalentwicklung zu fördern sowie Akzeptanz für den Übergang zu schaffen. Vor allem ermöglichen Windenergie an Land und Photovoltaik unmittelbare Systemintegration: zum Beispiel, indem Solarstrom vor Ort genutzt wird, um Elektroautos zu laden oder indem Windstrom für Power-to-Heat-Anwendungen eingesetzt wird. Diese großen Potenziale von Windenergie an Land und Photovoltaik ignoriert die Kommission in ihrer Mitteilung, was der EWSA als ein riesiges Manko ansieht.

1.7.

Die Systemintegration kann der europäischen Volkswirtschaft einen Innovationsschub verschaffen und damit die internationale Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Volkswirtschaft erhöhen. Dies wird aber nur gelingen, wenn insbesondere die Potenziale der Digitalisierung für eine Systemintegration erschlossen werden: Künstliche Intelligenz und „Machine Learning“ können für die bedarfsgerechte Bereitstellung von Energie für den Elektrizitäts-, Wärme- und Verkehrssektor einen entscheidenden Unterschied ausmachen. Ihr Einsatz muss aber sorgsam in Hinblick auf ihre Sinnhaftigkeit und mögliche ethische Probleme, vor allem bezüglich der Datensouveränität abgewogen werden und sollte durch eine Initiative zur Ausbildung geeigneter Fachkräfte vorbereitet werden. Es ist unverständlich, dass die Kommission dies in der Mitteilung nicht würdigt.

1.8.

Schließlich bedarf es für die Systemintegration gänzlich neu konfigurierter Energiemärkte, die so auszurichten sind, dass sie die Bürgerenergie fördern und Verbraucher stärken. Nur dann können die betreffenden Ziele der Elektrizitätsbinnenmarkt-Richtlinie (EU) 2019/944 des Europäischen Parlaments und des Rates (1) und der Erneuerbare-Energien-Richtlinie (EU) 2018/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates (2) erreicht werden. Die Systemintegration wird sehr viel schneller ablaufen, wenn die Verbraucherinnen und Verbraucher die Möglichkeit haben, ihre Rechte — auch als Prosumenten, Eigenerzeuger und Mitglieder von Erneuerbare-Energien-Gemeinschaften — auszuüben. Gleichzeitig ist auf die Rolle der öffentlichen Hand bei der Versorgungssicherheit zu achten. Diese Aspekte fehlen in der Mitteilung vollkommen.

1.9.

Der EWSA unterstützt die Idee der Kommission, eine große Veranstaltung zum Thema Energiesystemintegration zu initiieren und ist bereit, hieran auch aktiv mitzuwirken. Es ist ihm ein Anliegen, in diesem Rahmen auf die in dieser Stellungnahme genannten Aspekte einzugehen, die in der Mitteilung der Kommission zu kurz kommen. Vor allem ist herauszustellen, welche Bedeutung die aktive Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger für die Integration des Energiesystems hat. Gerade in diesem Punkt enttäuscht die Mitteilung der Kommission, da sie den Bürger nur als Verbraucher sieht, dem es lediglich an ausreichenden Informationen mangelt.

2.   Allgemeine Bemerkungen zum Kommissionsdokument

2.1.

Die Mitteilung der Kommunikation erfolgt vor dem Hintergrund des Bekenntnisses des Europäischen Rates, bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen. Angesichts der Tatsache, dass das Energiesystems für 75 % der Treibhausgasemissionen verantwortlich ist, ist der wichtigste Schritt zu diesem Ziel die Schaffung eines weitgehend emissionsfreien und CO2-neutralen Energiesystems.

2.2.

Hierfür spielt die Integration bzw. Kopplung der unterschiedlichen, bisher nur sehr bedingt miteinander verbundenen Energiesektoren, also Elektrizitäts-, Verkehrs- und Wärmesektor (inkl. Kälte sowie Prozesswärme), eine entscheidende Rolle — ein Aspekt, der im Paket „Saubere Energie“ nur sehr oberflächlich behandelt wurde, obwohl es Anwendungen gibt, die die Systemintegration schon sehr lange verwirklichen, beispielsweise Kraft-Wärme-Kopplung.

2.3.

In ihrer Beschreibung des Status quo hebt die Kommission hervor, dass das Energiesystem bisher durch verschiedene parallel verlaufende vertikale Wertschöpfungsketten gekennzeichnet ist.

2.4.

Dem wird nun als Gegenkonzept die Energiesystemintegration (3) gegenübergestellt. Die Kommission versteht darunter die koordinierte Planung und den koordinierten Betrieb des Energiesystems als „Ganzes“, dessen Energieträger, Infrastrukturen und Verbrauchssektoren besser miteinander verbunden werden sollen. In der Mitteilung werden die verschiedenen Vorteile einer solchen Systemintegration aufgeführt: der Beitrag zur Erreichung der Klimaziele, ein effizienterer Umgang mit Energieressourcen, zusätzliche Flexibilität im Energiesystem selbst, schließlich die verbesserte Stellung der Verbraucherinnen und Verbraucher, eine verbesserte Resilienz und eine größere Versorgungssicherheit, wobei unklar bleibt, ob die Versorgungssicherheit auf die Ebene der EU oder die der Mitgliedstaaten bezogen wird. Dieser Aspekt ist aber wichtig, da die Mitgliedstaaten diesbezüglich zum Teil sehr unterschiedliche Strategien verfolgen und die Mitgliedstaaten in Bezug auf die generisch verfügbaren Energiequellen zum Teil sehr unterschiedliche Voraussetzungen aufweisen.

2.5.

Um dies zu erreichen, legt die Kommission in der Mitteilung einen Plan vor, der auf sechs Säulen beruht:

1.

ein „zirkuläres Energiesystem“ mit einem klaren Fokus auf Energieeffizienz (Maßnahmen u. a.: Durchsetzung des „Efficiency First“-Ansatzes; Überarbeitung der Primärenergiefaktoren; die Förderung von „Waste-to-Energy“-Ansätzen);

2.

die verstärkte Elektrifizierung der Endsektoren (Maßnahmen u. a.: Ausbau der Offshore-Windenergie; verpflichtende Berücksichtigung von erneuerbaren Energien bei der öffentlichen Beschaffung; Förderung der Elektrifizierung von Gebäudeheizungen, Ausbau von Ladestationen für Elektrofahrzeuge; Revision der Erneuerbare-Energien-Richtlinie; neue CO2-Emissionsstandards für PKW und leichte Nutzfahrzeuge; Überarbeitung der Richtlinie über den Aufbau der Infrastruktur für alternative Kraftstoffe);

3.

die Nutzung von Bio-Kraftstoffen in bestimmten Bereichen (Maßnahmen u. a.: europäisches Zertifizierungssystem für erneuerbare, CO2-arme und nachhaltige Brennstoffe, möglicherweise zusätzliche Maßnahmen wie Mindestanteile oder Quoten in bestimmten Verbrauchssektoren; Ausweitung der Abscheidung von CO2 für den Einsatz bei der Herstellung synthetischer Brennstoffe).

4.

eine Ertüchtigung der Märkte im Hinblick auf Dekarbonisierung und Dezentralisierung (Maßnahmen u. a.: Kohärenz der Nicht-Energie-Preiskomponenten für die verschiedenen Energieträger; Harmonisierung der Energiesteuern; möglicherweise Ausweitung des Emissionshandels; Abschaffung der direkten Subventionen für fossile Brennstoffe; Überarbeitung des Rechtsrahmens für den Gasmarkt, Informationskampagne über die Verbraucherrechte, Verbesserung der Verbraucherinformationen);

5.

eine integrierte Energieinfrastruktur (Maßnahmen u. a.: neue Regulierung der Transeuropäischen Netze; verstärkte Investitionen in intelligente Fernwärme- und Fernkältenetze);

6.

die Digitalisierung des Energiesystems und ein Förderrahmen für Innovationen (Maßnahmen u. a.: Netzwerk-Codes für Cybersecurity; Durchführungsrechtsakte zu Interoperabilitätsanforderungen).

3.   Allgemeine Bemerkungen des EWSA

3.1.

Die Analyse der Probleme des Status quo ist sehr treffend und der grundsätzliche Ansatz der Kommission ist unbedingt begrüßenswert: eine Forcierung der Integration des Energiesystems ist dringend notwendig — insbesondere vor dem Hintergrund der notwendigen Beschleunigung der Dekarbonisierung des Verkehrs- und des Wärme-/Kältesektors in Europa. Eine Systemintegration ist nicht nur für die Erreichung der Klimaneutralität, sondern auch für eine stabile Versorgungssicherheit und für erschwingliche Preise für private Verbraucher und die Wirtschaft wichtig. Der EWSA unterstützt daher die Kommission sehr nachdrücklich in ihrem Plan, die Integration von Elektrizitäts-, Wärme- und Verkehrssektor voranzutreiben. Es ist aber darauf zu achten, dass er nicht als Grund für eine weitere Liberalisierung der Daseinsvorsorge verwendet wird, bevor die Effekte der bisherigen Liberalisierungsinitiative evaluiert wurden. Der EWSA mahnt aber auch an, dass die Kommission dafür werben sollte, dass auch die Nachbarländer der Europäischen Union, vor allem die Staaten der Östlichen Partnerschaft, diesem Plan folgen und zur ihrer eigenen Politik machen. Es ist zu prüfen, ob hierfür eine „CO2-Border-Tax“ hilfreich ist.

3.2.

Die sechs in Ziffer 2.5 genannten Konzepte stellen richtige und zielführende Ansätze dar. Auch die meisten der einzelnen Maßnahmen überzeugen, auch wenn im Einzelnen hier und da unklar bleibt, inwieweit sie tatsächlich zur Integration des Energiesystems beitragen.

3.3.

Hingegen ist kritisch einzuwenden, dass die politischen Ziele der Strategie, ihre Konsistenz und logische Struktur nicht weit genug reichen. Zudem wird die Rolle, die die Bürger/Verbraucher spielen bzw. spielen sollen, mehr oder weniger völlig vernachlässigt. Dies ist umso irritierender, als im Paket „Saubere Energie“ die Kommission noch versprochen hat, den Bürger in den Mittelpunkt der Energiewende zu stellen.

3.4.

Die Kommission versäumt es, klare, ambitionierte und spezifische Unterziele, die aus dem übergeordneten Ziel der Klimaneutralität abzuleiten sind, zu definieren. Dies gilt insbesondere für den Ausbau der erneuerbaren Energien, der in vielen Mitgliedstaaten den Zielen hinterherhinkt.

3.4.1.

Es ist der Kommission zuzugestehen, dass sie sehr (selbst-)kritisch ist, was die Chancen der Realisierung angeht. So schreibt sie: „Ohne entschlossenes politisches Handeln wird sich das Energiesystem von 2030 nur wenig von dem des Jahres 2020 unterscheiden und kaum Perspektiven bieten auf das, was zur Erreichung der Klimaneutralität bis 2050 erforderlich ist. […] Die Schritte der kommenden fünf bis zehn Jahre werden für den Aufbau eines Energiesystems, das Europa bis 2050 in die Klimaneutralität führt, entscheidend sein.“

3.4.2.

Doch der Kommission mangelt es selbst an politischem Mut, wie die Mitteilung beweist. Denn die Aussage, dass vor dem Hintergrund des absehbaren deutlichen Anstiegs des Stromanteils am Endenergieverbrauch ein Anteil von 55-60 % erneuerbarer Energien am Strommix bis 2030 und ein Anteil von 84 % bis 2050 ausreichend sein soll, lässt viele Fragen offen. Die wichtigste lautet: Wie soll eine stabile Versorgungssicherheit erreicht werden? Biogas, Biokraftstoffe, darunter auch synthetisch erzeugte wie Wasserstoff, und unter bestimmten Umständen Wasserkraft können genutzt werden, um die Fluktuationen von Wind- und Solarenergie auszugleichen. Daneben gibt es zwei technologische Optionen, die die fehlenden 16 % decken könnten und als CO2-frei bzw. CO2-arm bezeichnet werden können: Kernenergie und Gas- oder Kohlekraftwerke mit CO2-Sequestrierung (CCS — carbon dioxide capture and storage). Sie gehen aber mit großen ökonomischen, ökologischen und gesellschaftlichen Herausforderungen einher. Auch wenn die genaue Festlegung des Energieerzeugungsmixes Sache der Mitgliedstaaten ist, ist es unverständlich, dass die Kommission nicht darlegt, wie sie gedenkt, eine CO2-freie Versorgungssicherheit zu erreichen.

3.5.

Die Mutlosigkeit zeigt sich auch an anderer Stelle. Wie die Kommission richtigerweise andeutet, ist ein wesentlicher Grund, warum die Integration des Energiesystems so schleppend vorankommt, die mangelnde CO2-Bepreisung von fossilen Brennstoffen, die im Verkehr und vor allem in der Wärme eingesetzt werden. Hinzu kommen in vielen Mitgliedstaaten hohe Abgaben für Elektrizität, selbst wenn diese aus regenerativen Quellen gewonnen wird. In etlichen Mitgliedstaaten sind auch deutlich überhöhte Netzentgelte ein Problem. Diese Marktverzerrung hat beispielsweise zur Folge, dass in vielen Konstellationen die Nutzung von Überschussstrom für die Erzeugung von Wärme (Power-to-Heat) — wenn man so will, die einfachste Form der Systemintegration — nicht wirtschaftlich darstellbar ist.

3.6.

Nur wenn das Problem der Marktverzerrung gelöst wird, wird die Integration des Energiesystems wirklich vorankommen können. Die Ankündigung „weitere Arbeiten zur schrittweisen Abschaffung der direkten Subventionen für fossile Brennstoffe“ zu unternehmen und einen „möglichen Vorschlag für die Ausweitung des EHS auf neue Sektoren zu unternehmen“, ist hohl und reicht nicht aus. Denn dies sind Worthülsen, die die Gesellschaft seit Jahren von der Kommission zu hören bekommt, ohne dass sich wirklich Substanzielles verändert hätte. Die technologische Förderung, die die Kommission vorrangig in den ersten drei Säulen ihrer Strategie beschreibt (siehe Punkt 3.1 bis 3.3 der Mitteilung), wird maßgeblich an Wirksamkeit verlieren, wenn die Kommission nicht mit Macht die Aufhebung der beschriebenen Marktverzerrungen betreibt.

3.7.

Es ist zwar begrüßenswert, dass die Kommission eine Reihenfolge der technologischen Aufgaben vorschlägt. Doch hätte die Kommission in diesem Zusammenhang klar formulieren sollen, dass die Verfeuerung von Brennstoffen mit Blick auf den Wirkungsgrad nie mit der direkten energetischen Nutzung von Photovoltaik- oder Windstrom konkurrieren kann — es sei denn, sie geschieht in Blockheizkraftwerken, in denen die Wärme direkt vor Ort genutzt wird. Dieser Aspekt ist vor allem für die Dekarbonisierung des Verkehrs extrem wichtig, die in bestimmten Bereichen nicht durch Elektrifizierung erreicht werden kann. Die Kommission beschreibt dies an bestimmten Stellen der Mitteilung kursorisch in Beispielen. Sie nimmt den Wirkungsgrad aber nicht als Leitkriterium für die Bewertung unterschiedlicher Technologieoptionen, was für eine energietechnisch und -wirtschaftlich sinnvolle Integration des Energiesystems unabdingbar wäre.

3.8.

Weiterhin verkennt die Kommission die fundamentale Bedeutung der Infrastruktur. Eine ökonomisch effiziente Gestaltung der Systemintegration ist nur erreichbar, wenn die bestehende Energieinfrastruktur als wichtige Grundlage bei der Planung und Umsetzung der Systemintegration beachtet wird bzw. die infrastrukturellen Implikationen verschiedener Technologieoptionen gewürdigt wird. Würde man dies tun, würde man Folgendes sehen:

a)

Für das Laden von Elektrofahrzeugen bietet sich vor allem die Photovoltaik (insbesondere auch Dachanlagen) an, weil Photovoltaikanlagen meist auf einer Niedrigspannungsebene Strom einspeisen und die Elektrofahrzeuge auf dieser Ebene geladen werden.

b)

Für Power-to-Heat-Anwendungen, zum Beispiel mittels Wärmepumpen oder über einen Wärmespeicher, bieten sich Windenergieanlagen oder größere Solarparks an, wenn die Wärme über ein Fern- oder Nahwärmenetz geliefert werden soll. Denn dann sind für den Betrieb der Pumpen oder des Wärmespeichers größere Strommengen notwendig.

c)

Für die langfristige Speicherung von Überschussstrom als Wasserstoff bieten sich insbesondere Gasspeicher an.

3.9.

Keine der genannten Power-to-x-Technologien braucht zwingend eine gänzlich neue Infrastruktur. Es kommt vielmehr darauf an, die existierenden Technologien klug zu nutzen und sie dort, wo es nötig ist, zu modernisieren und zu ertüchtigen (4). In vielen Mitgliedstaaten wurde die Infrastruktur durch die Austeritätspolitik in Mitleidenschaft gezogen. Bei der Modernisierung und dem Ausbau der Infrastruktur ist Kosteneffizienz ein wichtiger Aspekt, aber es muss auch um die Schaffung von guten Arbeitsplätzen gehen. Vor diesem Hintergrund sollte die Kommission erwägen, mindestens kurz- bis mittelfristig die Förderung von Power-to-x-Anwendungen von der Nutzung einer existierenden Infrastruktur abhängig zu machen, so dass zunächst die Potenziale erschlossen werden, die mit dem geringsten Aufwand zu erschließen sind. Vor diesem Hintergrund muss der einseitige Fokus auf Offshore in der Mitteilung mit einem Fragezeichen versehen werden.

3.10.

Die Mitteilung erwähnt zwar die Digitalisierung, erfasst aber nicht ihr wirkliches Potenzial. Intelligente Netze, die spezifische Signale an die Marktteilnehmer abgeben und damit auch die Märkte intelligent machen, sind für eine effiziente und sichere Energieversorgung zwingend erforderlich. Soweit den Marktteilnehmern über digitale Anwendungen die richtigen Informationen zur Verfügung gestellt werden, können Elektroautos, zumal als „Vehicles-to-Grid“, Wärmepumpen oder Wasserstoffspeicher wichtige Systemdienstleistungen erbringen und das Netz entlasten. Künstliche Intelligenz, „Machine Learning“ und die Automation von Energieverbrauchsprozessen werden — sei es auf der Ebene von privaten Haushalten oder der Industrie — Lastverschiebung auf ein neues Niveau heben und in virtuelle Kraftwerke integrieren helfen.

3.11.

Schließlich ignoriert die Mitteilung viele Aspekte, die der Kommission in früheren Mitteilungen, zum Beispiel zum strategischen Rahmen der Energieunion, wichtig waren oder, als Teil des Pakets „Saubere Energie“, bereits geltendes europäisches Recht sind: Dies betrifft den aktiven Verbraucher gemäß Elektrizitätsbinnenmarkt-Richtlinie (EU) 2019/944, der Zugang zu allen relevanten Elektrizitätsmärkten haben sollte. Diese Idee spielt in der Mitteilung keine Rolle — ebenso wenig wie die Aktivitäten von Eigenerzeugern oder Bürgerenergiegemeinschaften, wie sie in der Erneuerbare-Energien-Richtlinie (EU) 2018/2001 kodifiziert sind. Die Aussage: „Die Bürgerinnen und Bürger spielen für die Systemintegration eine zentrale Rolle. Dies bedeutet, dass sie die Umsetzung dieser Strategie mitgestalten sollten“ ist wohlfeil, wenn die einzige konkrete Maßnahme eine Informationskampagne ist.

3.12.

Der EWSA hat bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass es in vielen Mitgliedstaaten wesentliche Hürden gibt, die eine Mitgestaltung für die Bürgerinnen und Bürger de facto unmöglich machen. Es ist umso unverständlicher, dass die Mitteilung dieses Problem ignoriert. Weitere Ziele, die an ähnlichen Stellen hervorgehoben wurden und in der Mitteilung ignoriert werden, sind: die Reduzierung der Abhängigkeit von Energieimporten, die Stärkung von regionalen Wirtschaftskreisläufen, die Schaffung von fairen und guten Arbeitsplätzen usw. Dies sind Kriterien, die bei der Ausgestaltung der Energieintegration berücksichtigt werden müssen und die bestimmte Technologieoptionen gegenüber anderen vorteilhafter erscheinen lassen. Die Kommission sollte außerdem darauf hinwirken, dass auch Drittländer diese Aspekte in ihrer Energiepolitik berücksichtigen. Auch in diesem Zusammenhang könnten Grenzsteuern eine strategische Option sein.

3.13.

Dabei gäbe es unzählige Möglichkeiten, die Bürgerinnen und Bürger bei der Sektorkopplung zu „Playern“ zu machen, die selbst aktiv werden und profitieren können. Nur ein Beispiel: Die neuesten Windanlagen liefern unter durchschnittlichen Bedingungen so viel Strom, um den Bedarf von rund 7 000 E-Autos zu decken. Bei Investitionskosten von unter 10 Millionen Euro macht es viel Sinn, „Bürgerwindanlagen als regionale Stromtankstellen“ zu promovieren. Doch solche Ansätze, die extrem akzeptanzsteigernd wären, auch weil sie die Kosten für die Bürger massiv reduzieren und regionalwirtschaftlich positiv wirken würden, finden sich nicht einmal ansatzweise in der vorgelegten Mitteilung.

3.14.

Damit die Menschen von der Systemintegration profitieren, ist eine Stärkung der Verbraucherrechte notwendig. Diese müssen sowohl auf Prosum als auch auf die klassische Rolle als Verbraucher bezogen werden. In der Mitteilung werden die Bürger lediglich als Kunden bzw. Konsumenten verstanden, denen lediglich qualifiziertere Informationen vermittelt werden sollten. Dies ist für den EWSA — auch in Hinblick auf die Versprechungen der europäischen Energieunion — mehr als enttäuschend.

3.15.

Abstrakt erkennt die Kommission zwar Handlungsbedarf bei den Rechten der Verbraucherinnen und Verbraucher im Gas- und Fernwärmebereich, doch als Schlüsselmaßnahme wird lediglich die Stärkung der Gaskundinnen und Gaskunden im Rahmen eines neuen Rechtsrahmens für den Gassektor für 2021 angekündigt. Für den Nah- und Fernwärmebereich fehlen konkrete Maßnahmen, obwohl genau in diesem Bereich die Rechte der Verbraucherinnen und Verbraucher deutlich schlechter definiert sind als im Strom- und Gasbereich. Im Kontext der Bewahrung bestehender Systemintegration ist allerdings von weiteren Liberalisierungsschritten im Wärmesektor abzusehen.

3.16.

In diesem Zusammenhang erinnert der EWSA an seine Position, dass eine 2-Klassen-Energie-Gesellschaft unbedingt zu verhindern ist (5). Es kann nicht sein, dass nur die finanziell und technisch gut ausgestatteten Haushalte von der Energiewende profitieren und alle anderen Haushalte die Kosten tragen müssen. Vielmehr braucht es konkrete Maßnahmen gegen Energiearmut sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene. Dazu zählen die bessere Zugänglichkeit von Förderungen für thermische Sanierungen oder den Austausch von Heizungen für energiearme Haushalte, verbindliche Grundversorgungsmodelle sowie allgemeine Schutzbestimmungen für Verbraucherinnen und Verbraucher im Energiebereich, zum Beispiel auch gegen überhöhte Stromnetzentgelte und einen Missbrauch von Monopolen.

4.   Besondere Bemerkungen

Zum kreislauforientierten Energiesystem

4.1.

Der EWSA hat bereits in seiner Initiativstellungnahme TEN/660 das Konzept eines kreislauforientierten Energiesystems vorgestellt und begrüßt es, wenn die Kommission diesen Begriff aufnimmt.

4.2.

Allerdings sollte der Begriff nicht nur, wie in der Mitteilung geschehen, auf die Einsparung von Energie und die Energieeffizienz bezogen werden, sondern weiterführend auf Energieflüsse generell. Dies ist insbesondere für die schnelle Integration des Energiesystems vor Ort, also am Ort des Endverbrauchs, wichtig.

4.3.

Der EWSA begrüßt die Ankündigung der Kommission, die Primärenergiefaktoren zu prüfen. Denn schon heute ist erkennbar, dass die gegenwärtige Praxis in vielen Mitgliedstaaten Power-to-Heat-Anwendungen und Biokraftstoffe schlechter stellt. Auch sollte in Erwägung gezogen werden, die Primärenergiefaktoren eindeutig nach den auftretenden CO2-Emissionen auszurichten.

4.4.

Die Durchsetzung des Grundsatzes „Energieeffizienz an erster Stelle“ (energy efficiency first), das als Schlüsselmaßnahme in Punkt 3.1 der Mitteilung genannt wird, könnte nahelegen, auf höhere Energiepreise zu setzen. Hierbei ist aber auf die verletzlichen Energieverbraucher zu achten und eine Vergrößerung der Energiearmut zu vermeiden. Der Ausschuss hat wiederholt hierfür Strategien eingefordert und auch konkrete Vorschläge gemacht (siehe zum Beispiel SC/53). Dieser Aspekt ist insbesondere, aber nicht ausschließlich für eine große Anzahl von Bürgern in Osteuropa und für die Regionen im Wandel wichtig. Um die hohen Effizienzziele zu erreichen, sind daher regional differenzierte Ansätze notwendig.

Zur schnelleren Elektrifizierung des Energiebedarfs

4.5.

Der Ansatz der Kommission ist richtig: Eine Elektrifizierung des Wärme- und Mobilitätssektors ist der beste Ansatz zur Systemintegration. Damit dieser im Einklang mit dem Ziel der Klimaneutralität steht, bedarf es eines raschen, aber bedarfsgerechten und -orientierten Ausbaus der erneuerbaren Energien.

4.6.

Es wäre wünschenswert gewesen, dass die Kommission deutlicher gemacht hätte, was dies für die angesprochene Revision der Erneuerbare-Energien-Richtlinie (EU) 2018/2001 konkret bedeutet. Der EWSA ist der Auffassung, dass die dargelegten Ausbauziele viel zu gering sind.

4.7.

Punkt 3.2 der Mitteilung ist ein klarer Fokus auf Offshore-Wind zu entnehmen. Photovoltaik und Onshore-Wind werden gar nicht erwähnt. Dies ist unverständlich. Denn hier sind, wie in Ziffer 3.7 dieser Stellungnahme dargelegt, schnell und effizient Potenziale für die Systemintegration erschließbar, wohingegen Offshore-Wind zur Erzeugung von Wasserstoff immense Investitionen in die Energieinfrastruktur voraussetzt. Daher ist der Kommission das Prinzip „first things first“ bei der Priorisierung ihrer Maßnahmen anzuraten.

Zur Rolle von Wasserstoff

4.8.

Es ist richtig: Wasserstoff wird ein unverzichtbares Element in einem klimaneutralen Energiemix sein. Wasserstoff wird insbesondere für drei Bereiche unverzichtbar sein, wenn eine direkte Elektrifizierung an ihre Grenzen stößt:

als Langfristspeicher für Strom zur Überwindung „dunkler Flauten“ als Zeitperioden ohne genügend Solarstrahlung und Windangebot;

als Brennstoff für die Luftfahrt, den Schiffsverkehr, in wenigen besonderen Fällen auch den Schwerlastverkehr auf der Straße sowie in einigen wenigen spezifischen Teilen des öffentlichen Personenverkehrs;

für bestimmte Industrieprozesse.

4.9.

Allerdings ist die Herstellung von Wasserstoff teuer und mit großen Energieverlusten verbunden. Die Mitteilung sollte daher klarstellen, dass Wasserstoff nur dann eine Option sein kann, wenn die Direktheizung oder Elektrifizierung technisch nicht (oder nur zu wesentlich höheren Kosten) möglich sind.

Zum Marktdesign und zur Offenheit der Märkte

4.10.

Die in vielen Mitgliedstaaten feststellbare starre Ausrichtung auf einen zentralen Großhandelsmarktplatz verhindert die Integration des Energiesystems in vielen Fällen. Beispielsweise kann es technisch (im Hinblick auf die Entlastung des Stromnetzes) und volkswirtschaftlich (im Hinblick auf die Kosteneffizienz) sehr viel sinnvoller sein, lokal anfallenden Überschussstrom für Mobilitäts- oder Power-to-Heat-Anwendungen zu nutzen, die ebenfalls lokal Elektrizitätsbedarf verursachen. Eine solche unmittelbare Integration verschiedener Energiesektoren am gleichen Ort, am besten unter Einbindung etablierter öffentlicher und kommunaler Versorgungsunternehmen mit ihren nachhaltigen Netzwerken, wird durch zentrale Großhandelsmarktplätze oft unmöglich gemacht.

4.11.

Dass die Kommission nicht erkennt, dass die starre Ausrichtung auf wenige zentrale Großhandelsmarktplätze für Strom die Systemintegration verhindert, erstaunt umso mehr, als in geltenden Legislativtexten bereits andere Handelsformen erwähnt sind und gewürdigt werden: Beispielsweise räumt die Elektrizitätsbinnenmarkt-Richtlinie (EU) 2019/944 den aktiven Verbrauchern explizit das Recht auf „Peer-to-Peer“-Handel und gemeinsame Nutzung von Energie (energy sharing) innerhalb von Bürgerenergiegemeinschaften ein. Beides sind Formen, dies es Bürgerinnen und Bürgern, aber auch KMU und Kommunen möglich machen, unmittelbar vor Ort die Systemintegration sehr effektiv vorantreiben. Die Mitteilung der Kommission ist deshalb in dieser Hinsicht enttäuschend. Denn an keiner Stelle wird ausgeführt, wie der Markt auszugestalten ist, damit die Verbraucher diese Rolle spielen können.

Zur integrierten Energieinfrastruktur

4.12.

Das Bekenntnis zur einer ganzheitlichen Infrastrukturplanung ist begrüßenswert, da erheblicher Investitionsbedarf zu erwarten ist, der gegebenenfalls durch einen gesamteuropäischen Finanzierungsrahmen adressiert werden könnte. Hierbei ist es aber wichtig, die bestehende Infrastruktur, deren Optimierung und Erweiterung in Bezug auf die Optionen zur Erzeugung von Energie und die Verbrauchsstrukturen, inkl. der Flexibilisierung von Verbrauch, einzubeziehen und zu beachten, welche Wechselwirkungen zwischen Markt- oder Handelsstrukturen und Infrastrukturen besteht. Diesem Anspruch bleibt die Kommission schuldig.

4.13.

Sie verkennt insoweit, dass die Infrastruktur vorgibt, welche Technologien bevorzugt zur Anwendung kommen sollen — nämlich die, die bei sonst gleichen Umständen (ceteris paribus) am besten die bestehende Infrastruktur nutzen.

Brüssel, den 27. Januar 2021

Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Christa SCHWENG


(1)  ABl. L 158 vom 14.6.2019, S. 125.

(2)  ABl. L 328 vom 21.12.2018, S. 82.

(3)  Im deutschen Sprachgebrauch wird häufig der Begriff „Sektorkopplung“ verwendet.

(4)  Nur ein Beispiel: Auch wenn fossiles Gas eine immer geringere Rolle spielen wird, könnten die bestehenden Gasnetze für „grünes Gas“ bzw. Wasserstoff genutzt bzw. mitgenutzt werden.

(5)  Siehe ABl. C 429 vom 11.12.2020, S. 85.


9.4.2021   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 123/30


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen — Eine Wasserstoffstrategie für ein klimaneutrales Europa“

(COM(2020) 301 final)

(2021/C 123/06)

Berichterstatter:

Pierre Jean COULON

Befassung

Europäische Kommission, 23.9.2020

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Beschluss des Plenums

14.7.2020

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft

Annahme in der Fachgruppe

16.12.2020

Verabschiedung auf der Plenartagung

27.1.2021

Plenartagung Nr.

557

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

229/4/3

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) ist der Auffassung, dass die Europäische Union die COVID-19-Krise durch die Schaffung eines neuen Gesellschaftsmodells überwinden muss, das unsere Volkswirtschaften umweltverträglicher, gerechterer und widerstandsfähiger gegen künftige Schocks macht. Die europäischen Aufbaufonds müssen es den Unternehmen, Innovatoren, Arbeitnehmern und Investoren ermöglichen, ihre globale Führungsrolle auf den stark expandierenden sauberen Energiemärkten zu behaupten.

1.2.

Der EWSA unterstützt daher die Strategie der Europäischen Kommission zur Schaffung günstiger Rahmenbedingungen für die Steigerung des Angebots von und der Nachfrage nach Wasserstoff zugunsten einer klimaneutralen Wirtschaft. Er betont, dass sauberer Wasserstoff als einzige mit den Zielen der Klimaneutralität vereinbare Option auch im Rahmen der Europäischen Wasserstoffallianz Vorrang haben muss.

1.3.

Der EWSA gibt zu bedenken, dass der Aufbau einer sauberen Wasserstoffwirtschaft in Europa nur ein Teilaspekt der Strategie für eine bessere Verbindung der verschiedenen Energiebereiche in der EU ist. Daher hebt der EWSA hervor, dass die EU ihre Ziele nach oben korrigieren sollte, um — u. a. basierend auf erneuerbaren Energien und Energieeffizienz — ein sauberes Energiesystem zu schaffen und so den europäischen Unternehmen einen soliden Binnenmarkt zu bieten, in dem sich Innovationen in einem sicheren Umfeld entfalten können, wie auch eine integrierte Industriestrategie für den Export sauberer Energielösungen in andere Teile der Welt.

1.4.

Der EWSA weist darauf hin, dass sauberer Wasserstoff aufgrund seiner hohen Erzeugungs- und Transportkosten nur dann eingesetzt werden sollte, wenn andere bestehende Optionen zur Verringerung der CO2-Emissionen nicht möglich sind, wie bspw. in Sektoren, in denen die Emissionen schwer zu senken sind (1), oder für bestimmte sehr spezifische Anwendungen im Verkehrs- und Gebäudesektor.

1.5.

Der EWSA betont, dass fossile Energieträger nicht mit EU-Mitteln subventioniert werden dürfen, wenn die Verbreitung sauberen Wasserstoffs gefördert werden soll, und fordert die Kommission auf, den Grundsatz der Schadensvermeidung („Do no harm“) auf alle öffentlichen Fördermittel im Rahmen des MFR+, des Programms „InvestEU“‚ des EU-Aufbauplans und staatlicher Beihilfen anzuwenden.

1.6.

Der EWSA betont, dass der Aufbau einer Wasserstoffwirtschaft die Akzeptanz und Beteiligung der europäischen Bürgerinnen und Bürger erfordert, sei es als Unternehmer, als Arbeitnehmer oder als Verbraucher. Er bedauert, dass keine ausreichenden Überlegungen zur Umsetzung der Strategie in den verschiedenen Bereichen stattgefunden haben, und fordert eine stärkere Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger in diesen Prozess im Wege einer unmittelbaren und repräsentativen Konsultation und Partizipation. Des Weiteren fordert der EWSA die Kommission auf, die Auswirkungen der Entwicklung sauberen Wasserstoffs auf die Energiekosten der Haushalte zu bewerten.

1.7.

Der EWSA weist darauf hin, dass die Energiewende nur ein Teilerfolg sein kann, wenn bestimmte Arbeitnehmer die „Verlierer“ sind oder die am stärksten benachteiligten Bevölkerungsgruppen nicht von ihren Vorteilen profitieren können. In Zeiten ausnehmend hoher Arbeitslosenzahlen (2)‚ insbesondere bei jungen Menschen, muss das Potenzial zur Schaffung von Arbeitsplätzen in sich entwickelnden Branchen unbedingt voll ausgeschöpft werden. Auch muss verhindert werden, dass die Energiewende in bestimmten Regionen eine wirtschaftliche Abwärtsspirale auslöst, die zu struktureller Arbeitslosigkeit führt. Der EWSA fordert die Europäische Kommission daher auf, eine Analyse durchzuführen, um die Kompetenzen der Arbeitnehmer in rückläufigen Branchen zu ermitteln, die für neue Arbeitsplätze im Wasserstoffbereich von Nutzen wären.

1.8.

Der EWSA unterstreicht die Schlüsselrolle der „Europäischen Allianz für sauberen Wasserstoff“ für die Beschleunigung des Wandels in der europäischen Industrie (3) und fordert, als Vertreter der organisierten Zivilgesellschaft daran beteiligt zu werden. Ferner empfiehlt der EWSA, dass die Kommission die Übergangsfristen für die Industrie entsprechend den branchenspezifischen Bedürfnissen genau erläutert. Die Stahl-, Zement- und Chemieindustrie müssen bei der Umstellung ihrer Produktionsmethoden unterstützt werden. Der EWSA betont, dass diese Branchen, die einen maßgeblichen Beitrag zur Verringerung der CO2-Emissionen leisten, den Wandel ansonsten möglicherweise nicht überleben werden.

1.9.

Der EWSA begrüßt künftige Partnerschaften mit EU-Nachbarländern. Er bittet die Europäische Kommission jedoch um weitere Klarstellungen hinsichtlich der Installation von Elektrolyseuren mit einer Gesamtleistung von 40 GW für die Erzeugung von erneuerbarem Wasserstoff in der Nachbarschaft der EU (4), zu der derzeit politisch instabile Länder gehören, die sehr unterschiedliche Strategien für die Energiewende und den Ausbau erneuerbarer Energien verfolgen. Der EWSA hebt ferner hervor, dass die Kommission in ihrer Rahmenstrategie für eine krisenfeste Energieunion (5) das Ziel formuliert, die Abhängigkeit der EU von Energieimporten zu verringern (6).

1.10.

Der EWSA betont einmal mehr, dass die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen auf ihrer Innovationsfähigkeit beruht. Auch Forschung und Innovation sind entscheidend für die Stärkung der Resilienz unserer Gesellschaft, die durch die COVID-19-Pandemie erheblich geschwächt wurde. Daher betont der EWSA, dass im Rahmen des Programms Horizont Europa und des Europäischen Innovationsrats (EIC) ausreichende Haushaltsmittel für saubere Energie bereitgestellt werden müssen.

2.   Wesentlicher Inhalt der Kommissionsmitteilung

2.1.

Vor dem Hintergrund einer hart von der COVID-19-Pandemie getroffenen europäischen Wirtschaft (7) bekräftigt die Kommission ihr Bestreben, den Übergang zu einer souveränen und wettbewerbsfähigen klimaneutralen Wirtschaft voranzutreiben.

2.2.

Die Europäische Kommission betont, dass sauberer Wasserstoff eine Schlüsselrolle bei der Schaffung eines intelligenteren, besser integrierten und optimierten unabhängigen Energiesystems spielt, in dem alle Sektoren in vollem Umfang zur Senkung der CO2-Emissionen beitragen können. Sauberer Wasserstoff und seine Wertschöpfungskette können eine wichtige Rolle beim Ausgleich von Schwankungen bei der Bereitstellung erneuerbarer Energien und bei der Versorgung von Sektoren spielen, die nicht zur Elektrifizierung geeignet sind. Um dieses Potenzial ausschöpfen zu können, muss in Europa eine Wasserstoffwirtschaft aufgebaut werden.

2.3.

Mit Blick auf dieses Ziel legt die Kommission eine Strategie in drei Phasen bis 2050 vor:

2020-2024: Installation von Elektrolyseuren mit einer Gesamtleistung von 6 GW für die Erzeugung von erneuerbarem Wasserstoff, um die bestehende Wasserstofferzeugung zu defossilieren;

2025-2030: Elektrolyseleistung von 40 GW in der EU und 40 GW in der europäischen Nachbarschaft mit Exporten in die EU zur Defossilierung neuer Anwendungsbereiche wie Stahlerzeugung und bestimmte Verkehrsträger;

2030-2050: massiver Leistungsanstieg der installierten Kapazitäten, sodass durch Wasserstoff die CO2-Emissionen in allen Sektoren verringert werden können, in denen die Emissionssenkung bisher als schwierig galt (8).

2.4.

In ihrer Strategie, die darauf abzielt, erneuerbaren Wasserstoff in der EU wettbewerbsfähig zu machen, befasst sich die Kommission mit fünf zentralen Dimensionen:

Investitionen in der EU,

Ankurbelung der Nachfrage und Steigerung der Erzeugung,

Konzipierung der richtigen Infrastrukturen und Marktvorschriften,

Förderung von Forschung und Innovation (FuI),

internationale Dimension.

2.5.

Damit ein Wasserstoffökosystem aufgebaut werden kann, schätzt die Kommission, dass im laufenden Jahrzehnt Investitionen von rund 320 bis 458 Milliarden Euro erforderlich sein werden, um die Ziele der Wasserstoffstrategie bis 2030 zu erreichen: 24 bis 42 Milliarden Euro für Elektrolyseure, 220 bis 340 Milliarden Euro zur Steigerung der Erzeugung von Solar- und Windenergie (80 bis 120 GW), rund 11 Milliarden Euro für die Nachrüstung bestehender Anlagen mit CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS) und 65 Milliarden Euro für den Transport, die Verteilung und die Speicherung von Wasserstoff sowie für Wasserstofftankstellen. Bis 2050 werden nach Schätzung der Kommission 180 bis 470 Milliarden Euro allein für Erzeugungskapazitäten anfallen. Ferner werden Investitionen zur Anpassung der Endverbrauchssektoren notwendig sein. So sind beispielsweise etwa 160-200 Millionen Euro zur Umrüstung eines typischen Stahlwerks in der EU und 850 Millionen bis 1 Milliarde Euro zur Errichtung von 400 kleinen Wasserstofftankstellen erforderlich.

2.6.

Die wichtigsten strategischen Hebel, mit denen die EU private Investitionen in sauberen Wasserstoff mobilisieren kann, sind in diesem Zusammenhang:

2.6.1.

Die Entwicklung von Anwendungen für sauberen Wasserstoff in der Industrie und im Mobilitätsbereich zur Ankurbelung der Nachfrage. In der Strategie wird vorgeschlagen, dazu in zwei verschiedenen Phasen vorzugehen: Zunächst wird Wasserstoff eingesetzt, um die CO2-Emissionen bei der Stahlerzeugung zu senken. Weiterhin könnte er für den Eigenbedarf eingeführt werden, z. B. für Busse im öffentlichen Nahverkehr oder für bestimmte Züge, wenn eine Elektrifizierung kostenmäßig nicht wettbewerbsfähig ist sowie für schwere Nutzfahrzeuge parallel zur Elektrifizierung. Auf die Rolle des Wasserstoffs im Verkehrssektor dürfte auch in der künftigen Strategie für nachhaltige Entwicklung und intelligente Mobilität (smart mobility) eingegangen werden, die bis Ende des Jahres veröffentlicht werden soll. Entsprechend werden unterstützende Maßnahmen auf der Nachfrageseite erwogen, bspw. in Form von Quoten für erneuerbaren Wasserstoff oder Mindestanteilen in bestimmten Endverbrauchssektoren (z. B. Anwendungsbereiche im Chemie- oder Verkehrssektor).

2.6.2.

Die Kommission betont, dass zur Steigerung der Erzeugung mehr Klarheit und Sicherheit für die Investoren und die Industrie geschaffen werden müssen. In diesem Sinne will sie eine gemeinsame Norm für CO2-Emissionen zur Förderung von Wasserstofferzeugungsanlagen auf der Grundlage ihrer direkten Treibhausgasemissionen vorschlagen. Gegebenenfalls sollen auch eine umfassende Terminologie und europaweite Kriterien für die Zertifizierung von erneuerbarem Wasserstoff entwickelt werden, vor allem auf der Grundlage bestehender Initiativen wie „CertifHy“. Zudem sollten bei der nächsten Überprüfung des Emissionshandelssystems der EU (EU-EHS) zusätzliche Mechanismen zur Förderung der Erzeugung von erneuerbarem und CO2-armem Wasserstoff eingeführt werden. Zudem könnten CO2-Differenzverträge (Carbon Contracts for Difference), d. h. Ausschreibungen für langfristige Projekte mit einem öffentlichen Vertragspartner, in Betracht gezogen werden, um die Differenz zwischen dem CO2-Ausübungspreis (55 bis 90 €/t CO2) und dem tatsächlichen Preis auszugleichen. Schließlich könnten direkte und transparente, marktbasierte Förderregelungen für erneuerbaren Wasserstoff erwogen werden, bei denen die Fördermittel über Ausschreibungsverfahren zugewiesen werden.

2.6.3.

Die Kommission schlägt vor, gleichzeitig mit dem Ausbau der Anwendungen für sauberen Wasserstoff auch schrittweise die Infrastruktur auszubauen. Die Wasserstoffnachfrage wird zunächst durch eine Erzeugung am Standort oder in der Nähe gedeckt. Danach werden lokale Wasserstoffcluster (sog. „Hydrogen Valleys“) entstehen, die zu einem zunehmenden Bedarf an speziellen Infrastrukturen führen, nicht nur für Anwendungen in der Industrie und im Verkehr sowie für den Systemausgleich im Stromversorgungssystem, sondern auch für die Wärmeversorgung von Wohn- und Geschäftsgebäuden. Das bestehende Gasnetz könnte teilweise für den Transport von erneuerbarem Wasserstoff über längere Entfernungen umgewidmet werden, und es werden allmählich größere Wasserstoffspeicheranlagen benötigt.

2.6.4.

Um die Herausbildung europäischer Spitzenbetriebe zu fördern, ruft die Kommission eine „Europäische Allianz für sauberen Wasserstoff“ ins Leben, in deren Rahmen Behörden, Industrie und Zivilgesellschaft zusammenarbeiten. Aufgabe dieser Allianz soll es sein, 1) ein Investitionsprogramm und eine Investitionspipeline für konkrete Projekte zu entwickeln, 2) bei regionalen, nationalen und europäischen Investitionsvorhaben, einschließlich wichtiger Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse (IPCEI), die vernetzte Zusammenarbeit entlang der Wasserstoffwertschöpfungskette zu erleichtern und 3) die finanzielle Unterstützung zu ergänzen, um die Investitionslücke zu schließen. Die Allianz dürfte ein breites Forum bieten, um die Investitionen aller Akteure zu koordinieren.

2.6.5.

Die Kommission will strategische Investitionen in sauberen Wasserstoff im Rahmen ihres Aufbau- und Resilienzplans unterstützen, insbesondere über die Fazilität für strategische Investitionen des Programms InvestEU (ab 2021).

2.6.6.

Ferner sollen Forschung und Innovation (FuI) durch eine institutionalisierte Partnerschaft für sauberen Wasserstoff sowie wichtige Partnerschaften in den Bereichen Verkehr und Industrie wie z. B. 2Zero oder Clean Steel unterstützt werden. Die Kommission wird solide Projekte in den Mitgliedstaaten mit speziellen Instrumenten (bspw. InnovFin für Demonstrationsprojekte im Energiebereich, InvestEU) gezielt unterstützen. In der nächsten Förderperiode des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) wird ein interregionales Instrument für Innovationsinvestitionen gefördert, das auch eine Pilotmaßnahme im Bereich Wasserstoff in CO2-intensiven Regionen umfasst.

2.6.7.

Um neue Möglichkeiten zur Zusammenarbeit im Bereich sauberer Wasserstoff aktiv zu fördern, wird in der Strategie schließlich vorgeschlagen, die Energiepartnerschaften mit benachbarten Ländern und Regionen (östlich der EU, insbesondere mit der Ukraine, sowie mit Ländern der südlichen Nachbarschaft) im Rahmen einschlägiger internationaler Gremien wie der Energiegemeinschaft oder der Ministertagung zum Thema saubere Energie neu zu gestalten. Flankierend werden Investitionen durch die Nachbarschaftsinvestitionsplattform und den Investitionsrahmen für den westlichen Balkan unterstützt. Die Kommission wird eine Benchmark für auf Euro lautende Wasserstoff-Transaktionen entwickeln, um die Rolle des Euro beim Handel mit nachhaltiger Energie zu stärken. Zudem soll das Thema sauberer Wasserstoff in die internationalen, regionalen und bilateralen diplomatischen Bemühungen der EU in den Bereichen Energie, Klima, Forschung, Handel und internationale Zusammenarbeit einbezogen werden.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Wenn das Ziel des europäischen Grünen Deals, Europa bis 2050 klimaneutral zu machen, verwirklicht werden soll, sind konkrete Maßnahmen erforderlich. Darüber hinaus befindet sich die Europäische Union derzeit in einer durch die COVID-19-Pandemie ausgelösten gesundheitlichen und wirtschaftlichen Notlage. Deshalb müssen die Europäische Union und die Mitgliedstaaten ihre Reaktionsmaßnahmen auf diese Krisen aufeinander abstimmen, damit der wirtschaftliche Wiederaufbau als Sprungbrett in eine saubere und resiliente Zukunft dienen kann. Eine solche Zukunft erfordert eine größere wirtschaftliche Souveränität der EU, die zum Teil durch den Ausbau erneuerbarer Energien und der entsprechenden Speicherkapazitäten erreicht werden kann.

3.2.

Der EWSA unterstützt daher die Strategie der Europäischen Kommission zur Schaffung günstiger Rahmenbedingungen für die Steigerung des Angebots von und der Nachfrage nach Wasserstoff zugunsten einer klimaneutralen Wirtschaft. Er möchte jedoch darauf hinweisen, dass der Erfolg von sauberem Wasserstoff von der erheblichen Steigerung der Effizienz unseres Energiesystems und dem massiven Einsatz erneuerbarer Energien abhängt, um die Elektrifizierung unserer Anwendungsbereiche voranzutreiben.

3.3.

Der EWSA begrüßt zwar die ehrgeizigen Ziele der Strategie für den Einsatz von Elektrolyseuren für die Erzeugung von erneuerbarem Wasserstoff, betont jedoch, dass der Ausbau der in Europa installierten Kapazitäten für erneuerbare Energieträger Vorrang haben muss, um die aufgrund der Elektrifizierung von Endverwendungen steigende Stromnachfrage zu decken, zu der ein zusätzlicher Strombedarf für die Erzeugung sauberen Wasserstoffs hinzukommt. Die Wasserstofferzeugung ist derzeit nicht Teil des Entwicklungspfads für erneuerbare Energien, und nur etwa ein Drittel des Stromverbrauchs in der EU wird durch erneuerbare Energien gedeckt (9).

3.4.

Der EWSA begrüßt die Klarstellungen der Kommission zum Begriff „sauberer Wasserstoff“, der als durch Elektrolyse auf der Grundlage erneuerbarer Energien, durch Wind- und Solarenergie sowie Wasserkraft oder durch biochemische Umwandlung erneuerbarer Biomasse erzeugter Wasserstoff definiert wird, und nimmt erfreut zur Kenntnis, dass sauberer Wasserstoff als einzige mit den Zielen der Klimaneutralität vereinbare Option eine Priorität der EU ist.

3.5.

Der EWSA nimmt jedoch zur Kenntnis, dass die Strategie kurz- und mittelfristig andere Formen von CO2-armem Wasserstoff zulässt, die durch CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS) (10), einer noch im Ausbau befindlichen Technologie, aus fossilen Brennstoffen gewonnen wurden. Der EWSA weist darauf hin, dass Wasserstoff mit CCS keinesfalls als grüne Energiequelle angesehen werden darf, wenn seine Nutzung direkt oder indirekt mit der Gewinnung fossiler Energie verbunden ist. Der EWSA betont, dass entlang der gesamten Wertschöpfungskette des mit CCS gekoppelten Wasserstoffs CO2-Analyseinstrumente eingesetzt werden sollten, um nachzuweisen, dass diese Form von Wasserstoff als CO2-arm und nicht als CO2-frei (11) zu betrachten ist, und zu vermeiden, dass die Emissionseinsparungen nicht zur Verwirklichung der langfristigen Emissionsziele ausreichen.

3.6.

Des Weiteren gibt der EWSA zu bedenken, dass einer Analyse des Europäischen Rechnungshofs zufolge die bisherige EU-Finanzierung zur Unterstützung von CCS wie das NER-300-Programm „kein erfolgreiches Projekt für die CO2-Abscheidung und -Speicherung hervorgebracht“ hat (12). Es bestehen somit erhebliche Unsicherheiten hinsichtlich der technischen Machbarkeit von CCS sowie Zweifel an ihrer öffentlichen Akzeptanz.

3.7.

Der EWSA nimmt die Schätzung der Kommission zur Kenntnis, wonach CO2-Preise von 55 bis 90 Euro pro Tonne notwendig sind, um fossilen Wasserstoff mit CO2-Abscheidung gegenüber fossilem Wasserstoff wettbewerbsfähig zu machen. Er fordert die Kommission auf, das Konzept für die Finanzierung der Investitionen und den Ausgleich der Investitionsmehrkosten zu erläutern, wobei insbesondere zu bedenken ist, dass die Kosten des durch private Investitionen mobilisierten Kapitals die Projekte verteuern. Der EWSA fordert die Kommission auf, die Schätzungen für den Preis von sauberem Wasserstoff, bei dem keine Subventionen erforderlich wären, genauer zu erläutern und zu prüfen, mit welchen Mechanismen solche Preise erreicht werden können, insbesondere bei der nächsten Überprüfung des Emissionshandelssystems der EU (EU-EHS).

3.8.

Der EWSA weist darauf hin, dass erneuerbarer Wasserstoff vor allem mit fossilen Energieträgern konkurrieren können muss, um im Wettbewerb mit Wasserstoff aus fossilen Brennstoffen und fossilem Wasserstoff mit CO2-Abscheidung bestehen zu können. Dies setzt voraus, dass die Kosten für erneuerbaren Wasserstoff auf unter 1 USD/kg (13) sinken. Eine zentrale Herausforderung besteht somit darin, die Investitionskosten (CapEx) von grünem Wasserstoff zu verringern. Der EWSA fordert die Europäische Kommission ausdrücklich auf, die Preisszenarien für Wasserstoff in Abhängigkeit von den Kosten des für Projekte zu grünem Wasserstoff mobilisierten Kapitals zu entwickeln.

3.9.

Der EWSA erinnert ferner daran, dass die bisherigen Versuche zur Entwicklung einer Wasserstoffwirtschaft gescheitert sind, vor allem weil keine ausreichende Nachfrage nach Wasserstoff zustande kam. Daher begrüßt der EWSA, dass die Kommission klar die Endverbrauchssektoren definiert, in denen Wasserstoff zum Einsatz kommen soll, namentlich in der Industrie und für bestimmte Verkehrsträger sowie bei der stationären Stromspeicherung in Ergänzung von Batteriespeichern.

3.10.

Sauberer Wasserstoff sollte daher nur dann eingesetzt werden, wenn andere bestehende Optionen zur Verringerung der CO2-Emissionen nicht möglich sind, und der EWSA fordert die Kommission auf, die Investitionen auf Anwendungsbereiche zu konzentrieren, in denen Wasserstoff eine wichtige Rolle spielen kann, wie z. B. in der Industrie, bei der Mobilität (See-, Luftverkehr) und als Speicher für erneuerbare Energien. In allen Fällen, in denen Batterien eingesetzt werden können — insbesondere für die in der Strategie genannten Pkw, Taxis, Busflotten, Transportfahrzeuge und Lkw in der Stadt —, dürfte Wasserstoff weniger rentable Lösungen bieten. Wasserstoff könnte auch eine mögliche Option zur Verringerung der CO2-Emissionen im Straßengüterfernverkehr sein (14).

3.11.

Die COVID-19-Pandemie hat die Ungleichheit in unserer Gesellschaft verschärft und vertieft und zu mehr Armut in Europa geführt. Vor diesem Hintergrund darf die Wasserstoffstrategie für ein klimaneutrales Europa niemanden zurücklassen. Der EWSA fordert die Kommission daher auf, die Anträge auf Umstrukturierungen mit Auswirkungen auf die Beschäftigung im Zusammenhang mit der Wasserstoffstrategie zu verfolgen und zu prüfen.

4.   Besondere Bemerkungen

Soziale Dimension

4.1.

Aufgrund der COVID-19-Pandemie und der dadurch hervorgerufenen Wirtschaftskrise dürfte die Arbeitslosigkeit in der EU auf 9 % ansteigen, wovon vor allem junge Menschen und Geringqualifizierte betroffen sein werden. Der EWSA unterstreicht deshalb die Bedeutung einer hochwertigen Ausbildung der Arbeitnehmer und die Notwendigkeit, den Energiesektor für junge Europäer attraktiver zu machen. Zu diesem Zweck kann die Europäische Union Exzellenzzentren für die Ausbildung in Tätigkeitsbereichen schaffen, die im Rahmen der Energiewende benötigt werden (z. B. Energieaudits, Installation von Wärmepumpen). Durch die Gewährung von Finanzhilfen und die Erweiterung des Programms ErasmusPro hat die EU die Möglichkeit, junge Europäerinnen und Europäer zu Schlüsselakteuren der Energiewende zu machen, insbesondere im Bereich sauberer Wasserstoff.

4.2.

Die Schaffung von Arbeitsplätzen durch die Nutzung der Technologien für erneuerbaren Wasserstoff setzt die Unterstützung kleiner und mittlerer Unternehmen (KMU) voraus, die fast zwei Drittel der Arbeitsplätze in der europäischen Privatwirtschaft außerhalb des Finanzsektors stellen (15). Der EWSA fordert die Kommission auf, spezifische Finanzinstrumente zur Unterstützung von KMU (16) zu konzipieren.

4.3.

Der EWSA stellt ferner fest, dass die EU die Kontrolle über ihre Vermögenswerte und Branchen behalten muss und gegen Industriedumping aus anderen Weltregionen vorgehen muss, wenn sie ihre Wettbewerbsfähigkeit steigern und ihre Widerstandsfähigkeit stärken will.

4.4.

Schließlich fordert der EWSA die EU auf, die neuen, nachhaltigeren Unternehmensmodelle, die auf dem Dialog zwischen allen Interessenträgern beruhen, umfassend zu nutzen, insbesondere durch eine intensive Einbeziehung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in die Unternehmensstrategie (17).

Investitionsbedarf in der EU

4.5.

Der EWSA betont, dass fossile Energieträger nicht mit EU-Mitteln unterstützt werden dürfen und fordert die Kommission auf, den Grundsatz der Schadensvermeidung („Do no harm“) auf alle öffentlichen Fördermittel im Rahmen des MFR+, des Programms „InvestEU“‚ des EU-Aufbauplans und staatlicher Beihilfen anzuwenden. Wasserstoff, der direkt oder indirekt durch ein CCS-Verfahren gewonnen wurde, darf im Rahmen der grünen Taxonomie der EU für Finanzaktivitäten auf keinen Fall förderfähig sein.

4.6.

Der EWSA begrüßt ausdrücklich, dass mit der neuen Aufbau- und Resilienzfazilität Investitionen und Reformen in den Mitgliedstaaten unterstützt werden, die für einen nachhaltigen Wiederaufbau von entscheidender Bedeutung sind, insbesondere im Bereich erneuerbarer Wasserstoff. Der EWSA fordert die Kommission auf, dafür zu sorgen, dass die Aufbau- und Resilienzpläne der Mitgliedstaaten sich am europäischen Grünen Deal und den nationalen Energie- und Klimaplänen orientieren. Dazu muss sie sicherstellen, dass der Beitrag zur grünen Wende eine unabdingbare Voraussetzung bei der Bewertung der Projekte der Mitgliedstaaten ist.

4.7.

Die Allianz für sauberen Wasserstoff wird eine wichtige Rolle bei der Einführung von Wasserstoff in Europa spielen, vor allem durch die Entwicklung des Investitionsprogramms und den Aufbau einer Pipeline regionaler, nationaler und europäischer Projekte. Der EWSA unterstreicht daher, wie wichtig es ist, in diesem Zusammenhang für eine gleichberechtigte Vertretung aller Interessenträger, einschließlich der Zivilgesellschaft in all ihren Dimensionen, der Arbeitnehmer und nichtstaatlicher Organisationen, zu sorgen. Momentan sind überwiegend private Akteure (18) in der Allianz vertreten. Der EWSA als Vertretungsinstanz der organisierten Zivilgesellschaft muss in die Überlegungen und Konsultationsprozesse einbezogen werden.

Ankurbelung der Nachfrage und Steigerung der Erzeugung

4.8.

Der EWSA ist davon überzeugt, dass Auktionen im Rahmen von CO2-Differenzverträgen (Carbon Contracts for Difference, CCfD) eine wichtige Rolle dabei spielen, eine rasche Umstellung der Industrieprozesse auf Wasserstoff sicherzustellen. Mit den CCfD kann ein positives Signal an die Investoren und die Industrie gesendet werden (19). Der EWSA möchte jedoch auf die beiden folgenden Punkte hinweisen.

4.8.1.

Durch die Hervorhebung der Bedeutung von CCfD gesteht die Kommission ein, dass mit dem bestehenden Emissionshandelssystem der EU (EU-EHS) keine ausreichend starken Preissignale gesendet werden können, um die zur Verwirklichung der Klimaneutralität unverzichtbaren Investitionen auszulösen. Dies hängt zum einen damit zusammen, dass fossile Rohstoffe in der EU nach wie vor erheblich subventioniert werden. Laut dem Bericht der Europäischen Kommission über Energiesubventionen sind die Subventionen für Erdgas, das zur Gewinnung von Wasserstoff durch CO2-Abscheidung und -Speicherung (CCS) genutzt wird, gestiegen (20). Dies führt zu einer massiven Marktverzerrung, durch die Investitionen in klimaschützende Technologien wie grüner Wasserstoff behindert oder unnötig kostspielig gemacht werden. Darüber hinaus spiegelt auch das reformierte EU-EHS immer noch nicht den tatsächlichen CO2-Preis wider. Wenn die Förderung fossiler Rohstoffe eingestellt und das EHS weiter optimiert würde, wären keine CCfD erforderlich. Somit sollten diese beiden Ansatzpunkte für die Kommission oberste Priorität haben.

4.8.2.

Sollten doch noch CCfD notwendig sein, muss die Ausschreibung so konzipiert werden, dass die Erzeugung von Wasserstoff durch Elektrolyse nur dann finanziert wird, wenn hierzu überschüssiger Strom aus erneuerbaren Energiequellen verwendet wird (21). Der EWSA betont daher, dass ein europäisches Finanzierungssystem und spezifische Ausschreibungen für erneuerbaren Wasserstoff entscheidend sind, um sicherzustellen, dass die Entwicklung von Wasserstoff, der durch Abscheidung und Speicherung von fossilem CO2 (CCS) gewonnenen wird, nicht verlangsamt wird.

Internationale Dimension

4.9.

Der EWSA äußert sich kritisch zu der Art künftiger Energiepartnerschaften für den Einsatz von 40 GW-Elektrolyseuren für die Erzeugung von erneuerbarem Wasserstoff in der Nachbarschaft der EU (22). In einer Zeit, in der die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten mehr europäische Souveränität fordern, appelliert der EWSA an die Kommission, einen kohärenten Ansatz zu entwickeln.

4.10.

Zudem weist der EWSA darauf hin, dass es schwierig sein dürfte, europäische Investoren zu finden, die bereit sind, ihre Mittel in politisch instabilen Ländern anzulegen. Der EWSA empfiehlt jedoch, die im EU-Beitrittsprozess befindlichen westlichen Balkanstaaten in alle Überlegungen und Maßnahmen zur Umsetzung der Wasserstoffstrategie einzubeziehen.

4.11.

Darüber hinaus fordert der EWSA die Kommission auf, genauere Informationen über die Kapazitäten dieser Länder im Hinblick auf den Aufbau solcher künftigen Partnerschaften vorzulegen, da die Strategie derzeit viele verschiedene Länder (bspw. Algerien, Ägypten, Israel, Jordanien, Libanon, Libyen, Marokko, Palästina (23), Syrien und Tunesien) umfasst, die sehr unterschiedliche Strategien für die Energiewende und den Ausbau erneuerbarer Energien verfolgen. Auch in diesen Ländern sollten die vom EWSA empfohlenen finanziellen Unterstützungsmechanismen für KMU gefördert werden, da der KMU-Anteil dort hoch und die Finanzintermediation durch Banken sehr ausgeprägt ist.

4.12.

Der EWSA fragt sich, ob diese Länder in der Lage sind, ausreichend Elektrolyseure für die Erzeugung von erneuerbarem Wasserstoff einzusetzen, um zusätzlich zu ihrer eigenen Inlandsnachfrage den europäischen Bedarf zu decken. So würde die Bereitstellung von 40 GW bis 2030 in Nordafrika und der Ukraine 76 GW erneuerbare Energien erfordern, was eine Verdreifachung der Kapazität dieser Länder innerhalb von 10 Jahren bedeuten würde (24).

Brüssel, den 27. Januar 2021

Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Christa SCHWENG


(1)  Sog. „Hard-to-abate sectors“ (z. B. Stahl-, Petrochemie-, Aluminium-, Zement- und Düngemittelindustrie), in denen eine Verringerung der CO2-Emissionen schwer zu erreichen ist, da Lösungen zur Emissionsverringerung mit höheren Kosten verbunden sind als die aktuellen CO2-intensiven Technologien.

(2)  Nach im August 2020 veröffentlichten Daten von Eurostat ist die Beschäftigung aufgrund des Coronavirus im zweiten Quartal EU-weit um 2,6 % zurückgegangen.

(3)  D. h. die Bereitstellung von Waren und Dienstleistungen ohne die Nutzung kohlenstoffhaltiger Energieträger.

(4)  Einschließlich der westlichen Balkanstaaten, der Ukraine und der südlichen Nachbarstaaten der EU.

(5)  Siehe COM(2015) 80.

(6)  Siehe COM(2020) 299 „Förderung einer klimaneutralen Wirtschaft: Eine EU-Strategie zur Integration des Energiesystems“.

(7)  Nach Angaben von Eurostat, dem statistischen Amt der EU, ist das BIP in der EU im zweiten Quartal 2020 um 11,9 % gesunken.

(8)  Aufgrund der hohen Emissionssenkungskosten und der langsamen und schwierigen Fortschritte bei der Emissionsverringerung gilt die Senkung der CO2-Emissionen in bestimmten Sektoren als schwierig.

(9)  Daten von Eurostat, [nrg_ind_peh].

(10)  Oder durch Elektrolyse mit deutlich verringerten THG-Lebenszyklusemissionen.

(11)  Dadurch sind über den gesamten Lebenszyklus Emissionseinsparungen von 60 bis 85 % gegenüber dem Heizen mit Erdgas möglich.

(12)  Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, den Ausschuss der Regionen und die Europäische Investitionsbank — Ein sauberer Planet für alle — Eine Europäische strategische, langfristige Vision für eine wohlhabende, moderne, wettbewerbsfähige und klimaneutrale Wirtschaft“ (ABl. C 282 vom 20.8.2019, S. 51).

(13)  Durch die Reformierung von Erdgas erzeugter Wasserstoff kostet ca. 1 USD/kg. Quelle: Platts Hydrogen Assessments.

(14)  Siehe Jahresbericht 2019 von T&E.

(15)  https://www.touteleurope.eu/actualite/les-entreprises-dans-l-union-europeenne.html.

(16)  D. h. regionale Investmentfonds; staatliche Garantie zur Absicherung von 60 % der grünen Finanzierungen für die Entwicklung von KMU; Versicherungsmechanismen zur Deckung der Entwicklungsrisiken von KMU im Bereich grüner Wasserstoff.

(17)  Entschließung des EWSA vom 11. Juni 2020: „Vorschläge des EWSA für den Wiederaufbau und die wirtschaftliche Erholung nach der Covid-19-Krise“ (ABl. C 311 vom 18.9.2020, S. 1).

(18)  Siehe die Mitgliederliste der Allianz für sauberen Wasserstoff.

(19)  Solche Auktionen haben insbesondere zur Entwicklung der Offshore-Windenergie im Vereinigten Königreich beigetragen, da dadurch niedrige Gebote erhalten werden konnten.

(20)  Siehe Anhang 2 des Kommissionsdokuments COM(2020) 950 final.

(21)  Wenn ein Betreiber eines Elektrolyseurs bspw. nachweist, dass er den für die Elektrolyse benötigten Strom unmittelbar aus einer neu installierten Anlage zur Erzeugung erneuerbarer Energien bezieht, oder wenn er über einen Stromliefervertrag verfügt, der nur dann zum Tragen kommt, wenn die Großhandelspreise auf dem Energiemarkt negativ sind.

(22)  Einschließlich der westlichen Balkanstaaten, der Ukraine und der südlichen Nachbarstaaten der EU.

(23)  Diese Bezeichnung ist nicht als Anerkennung eines Staates Palästina auszulegen und lässt die Standpunkte der einzelnen Mitgliedstaaten zu dieser Frage unberührt.

(24)  https://www.irena.org/-/media/Files/IRENA/Agency/Publication/2020/May/SDG7Tracking_Energy_Progress_2020.pdf.


9.4.2021   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 123/37


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 95/93 des Rates hinsichtlich der vorübergehenden Entlastung von den Vorschriften für die Nutzung von Zeitnischen an Flughäfen der Gemeinschaft aufgrund der COVID-19-Pandemie“

(COM(2020) 818 final — 2020/0358 (COD))

(2021/C 123/07)

Hauptberichterstatter:

Thomas KROPP

Befassung

Europäisches Parlament, 18.1.2021

Rat, 21.1.2021

Rechtsgrundlage

Artikel 100 Absatz 2 und Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft

Verabschiedung auf der Plenartagung

27.1.2021

Plenartagung Nr.

557

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

225/1/4

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Am 16. Dezember 2020 legte die Europäische Kommission einen Vorschlag für eine neue Änderungsverordnung (1) zur vorübergehenden Entlastung von der „Use-it-or-lose-it“-Regel für die Zeit nach dem 27. März 2021 vor. Die Kommission schlägt im Wesentlichen vor, dass die „Use-it-or-lose-it“-Regel wieder gelten soll, dass jedoch die Schwelle für die Zeitnischennutzung für einen begrenzten Zeitraum von 80 % auf 40 % gesenkt wird. Die Kommission schlägt auch vor, dass ihr die Befugnis übertragen werden soll, die Zeitnischen-Entlastung nach bestimmten Kriterien im Zusammenhang mit der Dauer und dem Ausmaß der Krise zu verlängern.

1.2.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt die Initiative der Kommission zur Verlängerung der vorübergehenden Entlastung von den Vorschriften der EG-Zeitnischenverordnung und unterstützt den Vorschlag, der Kommission die Befugnis zur Anpassung der Schwelle bis zur Winterflugplanperiode 2024/2025 zu übertragen.

1.3.

Im Interesse eines wirklich flexiblen Verfahrens sollte der Vorschlag allerdings auch vorsehen, dass die Luftfahrtunternehmen die Möglichkeit der Rückgabe einer vollen Abfolge von Zeitnischen in Verbindung mit einer variablen Nutzungsschwelle haben.

1.4.

Die Verlängerung ist gerechtfertigt, da die weltweite Wirtschaftskrise Anfang 2021 schwerer ist, als vor zwölf Monaten, im ersten Quartal 2020, erwartet. Entgegen den Erwartungen ist die COVID-19-Pandemie noch immer nicht eingedämmt. Vielmehr hatte die zweite Welle mit ihrem exponentiellen Anstieg der Infektionen im zweiten Halbjahr 2020 bisher noch schwerwiegendere gesundheitliche, soziale, wirtschaftliche und finanzielle Folgen als die erste Welle in ganz Europa. Zu den am schwersten betroffenen Branchen gehören Verkehr, Handel und Tourismus. Zudem verbreitet sich derzeit eine hochinfektiöse Mutation des Virus in Europa. Das Vereinigte Königreich hat kürzlich einen dritten Lockdown verhängt, um die dritte Welle einzudämmen.

1.5.

Der EWSA fordert die Kommission und die gesetzgebenden Organe nachdrücklich auf, den Vorschlag der Kommission unter dem Blickwinkel der Empfehlungen des World Airline Slot Board (WASB) erneut zu prüfen, dem Luftfahrtunternehmen, Flughäfen und Zeitnischenkoordinatoren angehören und das am 20. November 2020 seine Empfehlungen für die Zeitnischen-Entlastung für die Sommerflugplanperiode 2021 (2) veröffentlicht hat (IATA, A4E, ACI-Europe und EUACA unterstützen die Empfehlung des WASB). Die Empfehlungen umfassen eine Kombination aus i) der vollständigen Aussetzung der „Use-it-or-lose-it“-Regel für vollständige Abfolgen von Zeitnischen, die vor dem Beginn der Saison an den Pool zurückgegeben werden, und ii) einer Schwelle in Höhe von 50 % für die Nutzung von Abfolgen von Zeitnischen, die die Luftfahrtunternehmen behalten. Sie umfassen auch konkrete Bedingungen und Bestimmungen, wann es vor dem Hintergrund der COVID-19-Situation gerechtfertigt ist, Zeitnischen nicht zu nutzen.

1.6.

Der EWSA hält es für geboten, für ein ausgewogenes Verhältnis zwischen folgenden drei Aspekten zu sorgen: erstens Vermeidung von Maßnahmen, die die Möglichkeit des Luftverkehrssektors, sich von der Krise zu erholen, beeinträchtigen, zweitens Sicherstellung des langfristigen Ziels der Luftfahrtunternehmen, teure Zeitnischen auf Flughäfen zu behalten, und drittens Aufrechterhaltung eines angemessenen Maßes an Wettbewerb um knappe Zeitnischen.

1.7.

Schließlich bedauert der EWSA, dass sich die Kommission offenbar vor allem mit der Entlastung von den EU-Regeln für die Zuweisung von Zeitnischen befasst, ohne zu bedenken, dass diese Maßnahmen weltweit ihren Niederschlag finden werden. Es wäre deshalb besser, Änderungen vorzunehmen, die durchführbar sind und auf weltweiter Ebene vereinbart werden, wie etwa die WASB-Empfehlungen.

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1.

In der Verordnung (EWG) Nr. 95/93 des Rates (3), teilweise geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 793/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (4), sind die Verfahren und Regeln für die Zuweisung von Zeitnischen auf Flughäfen in der EU festgelegt. Gemäß Artikel 10 dieser Verordnung müssen Luftfahrtunternehmen mindestens 80 % der ihnen zugewiesenen Zeitnischen innerhalb einer bestimmten Flugplanperiode nutzen, um in der entsprechenden Flugplanperiode des darauffolgenden Jahres ihr Anrecht auf dieselbe Abfolge von Zeitnischen zu wahren („Use-it-or-lose-it“-Regel).

2.2.

Am 30. März 2020 verabschiedete die Europäische Union eine Änderung der Zeitnischenverordnung (5), mit der für die gesamte Sommerflugplanperiode 2020, die am 24. Oktober 2020 endete, die „Use-it-or-lose-it“-Regel ausgesetzt wurde. Mit dieser Änderung wurde die Kommission auch ermächtigt, den Zeitraum, für den die Ausnahme gilt, bis zum 4. April 2021 zu verlängern. Am 14. Oktober 2020 nahm die Kommission einen delegierten Rechtsakt (6) an, mit dem der Zeitraum der Aussetzung der „Use-it-or-lose-it“-Regel bis zum Ende der Winterflugplanperiode 2020/2021, d. h. bis zum 27. März 2021, verlängert wurde.

2.3.

Der EWSA hat die vorgeschlagene Aussetzung der EU-Vorschriften für die Zuweisung von Zeitnischen auf Flughäfen in seinem am 25. März 2020 verabschiedeten Positionspapier befürwortet. Er sprach sich darin für Planungssicherheit für die Luftfahrtunternehmen sowie die Möglichkeit aus, rasch und flexibel auf Marktentwicklungen zu reagieren, ohne dass die Zeitnischen verloren gehen, die für die Wiederherstellung funktionierender Flugnetze unabdingbar sind.

2.4.

Unter Hinweis auf die Tatsache, dass es an der Zeit ist, einen Weg für die Rückkehr zu einer normalen Anwendung der „Use-it-or-lose-it“-Regel festzulegen, schlägt die Kommission deshalb vor, dass die in der Zeitnischenverordnung festgelegten Anforderungen an die Zeitnischennutzung ab Beginn der Sommerflugplanperiode 2021 wieder angewandt werden sollen, allerdings mit einer Schwelle von 40 % statt 80 %. Darüber hinaus würde der Kommission bis einschließlich der Winterflugplanperiode 2024/2025 die Befugnis übertragen, die Zeitnischen-Entlastung zu verlängern und dazu die Zeitnischennutzungsrate auf der Grundlage bestimmter Indikatoren wie der tatsächlichen und prognostizierten Luftverkehrsdaten, Auslastungsfaktoren und Flottennutzung weiter anzupassen. Der Vorschlag sieht ferner bestimmte Bedingungen unter anderem betreffend Ausnahmen für erstmals zugewiesene und getauschte Zeitnischen sowie Fristen für die Rückgabe von Zeitnischen vor.

2.5.

Das WASB, dem Luftfahrtunternehmen, Flughäfen und Zeitnischenkoordinatoren angehören, teilte am 20. November 2020 mit, dass es sich auf Empfehlungen für eine Zeitnischen-Entlastung für die Sommerflugplanperiode 2021 (7) geeinigt habe. Der IATA, A4E (8), ACI-Europe und der EUACA unterstützen die Empfehlung des WASB. Im Gegensatz zum Vorschlag der Kommission umfassen die Empfehlungen eine Kombination aus i) der vollständigen Aussetzung der „Use-it-or-lose-it“-Regel für vollständige Abfolgen von Zeitnischen, die ausreichend lange vor dem Beginn der Saison an den Pool zurückgegeben werden, und ii) einer Schwelle in Höhe von 50 % für die Nutzung der Abfolgen von Zeitnischen, die die Luftfahrtunternehmen behalten. Sie umfassen auch konkrete Bedingungen und Bestimmungen, wann es vor dem Hintergrund der COVID-19-Situation gerechtfertigt ist, Zeitnischen nicht zu nutzen.

2.6.

Der EWSA unterstützt eine anhaltende Entlastung von der „Use-it-or-lose-it“-Zeitnischen-Regel der EU für die Sommerflugplanperiode 2021. Er ist jedoch der Auffassung, dass der Vorschlag der Kommission neben der Senkung der Schwelle auch vorsehen sollte, dass vollständige Abfolgen von Zeitnischen zurückgegeben werden können. Der Konnektivität ist mittel- bis langfristig in der Tat mehr gedient, wenn die finanzielle Erholung der Luftfahrtunternehmen unterstützt wird und diese in der Lage sind, ihre Netze wieder zu betreiben, sobald der Verkehr wieder anzieht. Darüber hinaus ist die Aussetzung der Regelung für die Zeitnischennutzung in Drittstaaten oft nur bei Gegenseitigkeit möglich, weshalb ein weltweit kompatibler Ansatz erforderlich ist.

2.7.

Der EWSA unterstützt den Tenor der am 20. November 2020 veröffentlichten Empfehlungen des WASB, nach denen Luftfahrtunternehmen die Möglichkeit haben sollen, während der Krise vollständige Abfolgen von Zeitnischen zurückzugeben. Die Kommission befasst sich offenbar vor allem mit der Entlastung von den EU-Regeln für die Zuweisung von Zeitnischen, ohne zu bedenken, dass diese Maßnahmen weltweit ihren Niederschlag finden werden. Es wäre deshalb besser, Änderungen vorzunehmen, die durchführbar sind und auf weltweiter Ebene vereinbart werden. Der EWSA fordert die Kommission und die gesetzgebenden Organe nachdrücklich auf, den Vorschlag der Kommission unter dem Blickwinkel der Empfehlungen des WASB erneut zu prüfen.

3.   Besondere Bemerkungen

3.1.

Infolge der COVID-19-Pandemie sind dem europäischen Flugverkehr bis 31. Dezember 2020 im Vergleich zum Vorjahr 6,1 Millionen Flüge bzw. 1,7 Milliarden Reisen entgangen (9).

3.2.

Um die Ausbreitung des Virus einzudämmen, haben die Regierungen strenge Beschränkungen für den internationalen Luftverkehr und die Mobilität ihrer Bürger verhängt. Die Luftfahrtunternehmen mussten ihre Kapazitäten erheblich zurückschrauben und ihre Flugzeuge am Boden behalten. In einigen Mitgliedstaaten mussten ganze Fluglinien ihren Flugbetrieb vorübergehend einstellen.

3.3.

An dieser Situation hat sich 2021 nichts geändert, was eine schwere Belastung für die finanzielle Überlebensfähigkeit aller Interessenträger der Luftfahrt bedeutet, insbesondere der Sozialpartner, die sich berechtigterweise Sorgen über die Zukunft ihrer Arbeitsplätze machen. Zwar wurden Impfstoffe entwickelt, die seit dem 27. Dezember in der EU verimpft werden, doch wird erst Ende 2021 bzw. sogar erst 2022 eine Impfrate erreicht sein, die die Aufhebung der allgemeinen Einschränkungen und der Maßnahmen zur Eindämmung der Infektionen zulässt (10). Nichts deutet darauf hin, dass die Nachfrage im Sommer 2021 auch nur annähernd wieder auf das Niveau der letzten Jahre ansteigen wird. Die gegenwärtig herrschende Unsicherheit wird bleiben und könnte angesichts des Auftretens neuer, noch infektiöserer oder noch tödlicherer Varianten des Virus sogar noch zunehmen. Nach Prognosen der Branche könnte die Phase der Erholung mindestens bis 2024 oder 2025 dauern (11).

3.4.

Zeitnischen sind wichtig für die Durchführung von Flügen zu oder von überlasteten Flughäfen und für Luftfahrtunternehmen, die Zugang zu knappen Flughafenkapazitäten erhalten wollen, um ihr Netz und die Konnektivität für ihre Kunden aufrecht zu erhalten. Die Luftfahrtunternehmen haben viele Jahre gebraucht, um ihre Netze aufzubauen und die erforderlichen Zeitnischen für den innereuropäischen, interkontinentalen und Zubringerverkehr zu erwerben. Um ihre Zeitnischen aufgrund des Fehlens einer Bestimmung zur Aussetzung der „Use-it-or-lose-it“-Regelung beizubehalten, müssten die Luftfahrtunternehmen weiterhin Flüge mit äußerst geringer Auslastung durchführen, wodurch sich ihr finanzieller Verlust weiter verschärfen und eine unnötige Umweltbelastung entstehen würde.

3.5.

Alle 2020 ergriffenen Maßnahmen sollten dazu dienen, einen Beitrag zur wirksamen Eindämmung der weiteren Ausbreitung des Virus innerhalb eines kurzen bzw. zumindest überschaubaren Zeitraums zu leisten. Diese Erwartungen haben sich bisher nicht erfüllt. Wie lange die Erholung von dieser beispiellosen Krise dauern wird, lässt sich nach wie vor nicht verlässlich vorhersagen.

3.6.

Die Nachfrage nach Luftverkehrsdiensten ist seit der ersten Aussetzung infolge von COVID-19 vom März 2020 durch die EU nicht nachhaltig gestiegen. Nach einem leichten Anstieg während der Sommermonate (auf - 51 % im Vergleich zum Vorjahr) ging der Verkehr nach dem Sommer 2020 wieder zurück, als die zweite Welle der Pandemie begann und die Mitgliedstaaten neue Lockdown-Maßnahmen ergriffen. Am 14. September 2020 korrigierte Eurocontrol seine Prognose erheblich nach unten. Allerdings stellt sich heraus, dass selbst das korrigierte Verkehrsszenario noch zu optimistisch ist. Nachdem Eurocontrol einen Einbruch für November bzw. Dezember von jeweils 58 % und 54 % vorhergesagt hatte, lag der Flugverkehr in diesen beiden Monaten letztlich 62 % bzw. 60 % unter den Vorjahreswerten. Für Januar und Februar 2021 geht Eurocontrol von einem Rückgang von 60 % bzw. 50 % aus (12).

3.7.

Aufgrund der anhaltenden und erneuten Verbreitung des Virus und der erheblichen Eindämmungsmaßnahmen, die die Regierungen ergriffen haben, ist die Nachfrage nach Luftverkehrsdiensten nach wie vor äußerst gering, was eine erhebliche, wenn nicht gar existenzbedrohende finanzielle Belastung für die Luftverkehrsbranche bedeutet. Nach Auffassung des EWSA ist eine Entlastung von der „Use-it-or-lose-it“-Regel deshalb gerechtfertigt und erforderlich.

3.8.

Der EWSA begrüßt, dass die Interessenträger (Luftfahrtunternehmen, Flughäfen und Zeitnischenkoordinatoren) gemeinsam im WASB eine Kompromisslösung erarbeitet haben. Der EWSA ist sich darüber im Klaren, dass die allgemeine Regelung für Zeitnischen ein strittiges Thema für sie ist. Nach Auffassung des EWSA dient die Empfehlung des WASB auf angemessene Weise der Verwirklichung der allgemeinen und konkreten Ziele der Kommission, die in der Arbeitsunterlage der Kommissionsdienststellen (13) zu diesem Vorschlag dargelegt werden.

3.9.

Der EWSA unterstützt das allgemeine Ziel der Kommission, bestimmte Mängel und Herausforderungen im Zusammenhang mit einer Aussetzung für eine ganze Saison anzugehen, die Konnektivität zu fördern, den Wettbewerb anzukurbeln und das Auslaufen der Zeitnischenentlastung zu erleichtern. Der EWSA unterstützt auch die konkreten Ziele der Kommission, insbesondere die Minimierung der schädlichen Umweltauswirkungen infolge der Durchführung von Flügen mit sehr geringer Auslastung.

3.10.

In dem Vorschlag zur Einfügung eines neuen Absatzes 2a in Artikel 10a schlägt die Kommission lediglich vor, dass Luftfahrtunternehmen, denen für die Zeit vom 28. März 2021 bis zum 30. Oktober 2021 eine Zeitnischenabfolge zugewiesen worden war und die 40 % der Zeitnischen dieser Abfolge genutzt haben, in der entsprechenden darauffolgenden Flugplanperiode Anspruch auf dieselbe Abfolge von Zeitnischen haben. Das bedeutet, dass Luftfahrtunternehmen auch unrentable Flüge mit einer extrem geringen Auslastung bis mindestens 40 % durchführen müssen, anstatt diese Zeitnischen zurückgeben zu können, ohne dass sie Gefahr laufen, sie zu verlieren. Anreize für die Durchführung praktisch leerer Flüge zu setzen, steht jedoch nicht im Einklang mit dem erklärten Ziel der Kommission, die schädlichen Umweltauswirkungen zu minimieren. Dem ließe sich abhelfen, wenn die Luftfahrtunternehmen die Möglichkeit hätten, vollständige Zeitnischenabfolgen zurückzugeben, bei denen sie wissen, dass die Nachfrage gering sein wird (z. B. an Tagen mit geringem Verkehrsaufkommen oder außerhalb der Spitzenzeiten).

3.11.

Der Vorschlag der Kommission entspricht auch nicht ihrem erklärten Ziel, einen effizienten Flugbetrieb und eine effiziente Nutzung der Flughafenkapazitäten sicherzustellen. Wenn es nicht gestattet ist, vollständige Abfolgen von Zeitnischen zurückzugeben, haben die Luftfahrtunternehmen keinen Anreiz, Zeitnischen zu einem frühen Zeitpunkt zurückzugeben, was eine bessere Neuzuweisung von Zeitnischen und eine bessere Planung für Flughäfen, Luftfahrtunternehmen und Verbraucher ermöglichen würde. Die Möglichkeit, vollständige Abfolgen von Zeitnischen zurückzugeben, erlaubt den Flughäfen eine bessere Anpassung ihres eigenen Betriebs. Vor allem aber werden dadurch je nach Entwicklung der Nachfrage Zeitnischen für eine Neuzuweisung und Ad-hoc-Nutzung frei, etwa für Frachtflüge. Die vorgeschlagene Einfügung des Absatzes 7 in Artikel 10a der Verordnung, wonach Zeitnischen innerhalb einer Frist von drei Wochen zurückgegeben werden müssen, kann dies nicht bewirken (14). Statt dessen besteht die Gefahr, dass eine geringere Schwelle allein zu erheblich fragmentierten Flugplänen führt, was für die wenigen verbliebenen Fluggäste nachteilig ist.

3.12.

Der EWSA unterstützt die allgemeinen Ziele der Kommission, das heißt die Förderung der Konnektivität, die Ankurbelung des Wettbewerbs und ein reibungsloses Auslaufen der Zeitnischenentlastung, ist jedoch der Auffassung, dass eine längerfristige Perspektive angestrebt werden muss. Mittel- bis langfristig werden Konnektivität und Wettbewerb (insbesondere mit Luftfahrtunternehmen aus Drittstaaten) am besten unterstützt, wenn sichergestellt ist, dass an sich rentable Unternehmen die aktuelle Krise überleben, ohne Vermögenswerte einzubüßen, die sie benötigen, sobald der Verkehr wieder anzieht. Zugleich darf nicht in übertriebenem Maße reguliert werden, damit die Unternehmen nicht zu bequem werden und der Wettbewerb geschützt wird. Angesichts der ungewissen Entwicklung der Nachfrage in der Sommerflugplanperiode und der Annahme der Kommission, dass sich der Verkehr gegenüber 2019 halbieren wird (15), hält es der EWSA für verfrüht, die Bestimmungen für die Nutzung von Zeitnischen gemäß der Zeitnischenverordnung erneut anzuwenden, und sei es auch mit einer Schwelle von 40 %. Zugleich würde die Beibehaltung der vollständigen Aussetzung die Probleme nicht lösen und nicht zur Erreichung der zu Recht von der Kommission festgelegten Ziele beitragen. Nach Auffassung des EWSA ist die Empfehlung des WASB, die die entlastende Wirkung einer vollständigen Aussetzung mit der Kontrollwirkung einer Schwelle kombiniert, eine solide Grundlage, auf der eine Rückkehr zur normalen Anwendung der Regeln für die Nutzung der Zeitnischen erfolgen kann.

3.13.

Durch den in Artikel 10a Absatz 4 vorgeschlagenen delegierten Rechtsakt sollte der Kommission die Befugnis übertragen werden, nicht nur die in Artikel 10 Absatz 2a genannten Nutzungsraten zu ändern, sondern auch die Möglichkeit der Rückgabe einer vollständigen Zeitnischenabfolge zu Beginn der jeweiligen Flugplanperiode auszuweiten. Der Vorschlag der Kommission gestattet zwar eine vollständige Aussetzung der Nutzung von Zeitnischen (also 0 %), ermöglicht aber nicht die Kombination beider Elemente. Dabei wäre nur so ein wirklich flexibles Verfahren zu Bewältigung der Situation gegeben.

3.14.

Die Koordinierung von Zeitnischen ist eine globale Herausforderung. Eine EU-Verordnung über Zeitnischen muss deshalb mit den Regelungen der Drittstaaten vereinbar sein, was oftmals Gegenseitigkeit voraussetzt. Mit einer vollständigen Aussetzung wäre das kein Problem, da dies die weitestgehende Möglichkeit der Erleichterung der Bedingungen für die Nutzung von Zeitnischen ist. Die Empfehlung des WASB wird mit ähnlich hoher Wahrscheinlichkeit auf weltweite Zustimmung stoßen (16).

3.15.

Der EWSA ist der Auffassung, dass im Interesse der Resilienz und der intelligenten Regulierung die Einführung von Bestimmung erwogen werden sollte, die eine Entlastung in Bezug auf die Anwendung der Bestimmungen zur Zeitnischennutzung der Verordnung (EWG) Nr. 95/93 ermöglichen, und zwar nicht nur im Zusammenhang mit COVID-19, sondern auch bei künftigen Vorkommnissen, die erhebliche Auswirkungen auf die Luftfahrtbranche haben. Änderungen der Vorschriften für die Zeitnischennutzung der Verordnung (EWG) Nr. 95/93 sind angesichts der aktuellen Situation nicht zum ersten Mal erforderlich. Dies war auch der Fall

im Jahr 2002 infolge der Terroranschläge vom 11. September (Verordnung (EG) Nr. 894/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates (17)),

im Jahr 2003 infolge des SARS-Ausbruchs (Verordnung (EG) Nr. 1554/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates (18)),

im Jahr 2009 infolge der weltweiten Finanzkrise (Verordnung (EG) Nr. 545/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates (19)).

Entsprechende Bestimmungen sollten eine rasche Reaktion gestatten, ohne dass zusätzliche Vorschriften erforderlich sind, und ein flexibles Handeln ermöglichen, angefangen bei einer vollständigen Aussetzung und angepassten Schwellen bis hin zu einer Kombination aus einer frühzeitigen Rückgabe von Zeitnischen und Schwellen, wie das WASB für die Sommersaison 2021 vorgeschlagen hat.

3.16.

Der EWSA bekräftigt seine Bereitschaft, sich an der weiteren Debatte über die Frage zu beteiligen, wie die Überlebens- und Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Luftfahrtbranche wiederhergestellt werden kann. Dafür sind ein umfassendes Konzept und Diskussionen mit allen Interessenträgern notwendig, insbesondere den Sozialpartnern, die von der COVID-19-Krise besonders betroffen sind. Ein derartiges umfassendes Konzept sollte auch eine Überarbeitung aller geltenden Vorschriften und Maßnahmen beinhalten, die der Luftfahrtbranche ungebührliche Lasten auferlegen.

Brüssel, den 27. Januar 2021

Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Christa SCHWENG


(1)  COM(2020) 818 final.

(2)  Empfehlung des WASB: Airport slot alleviation measures for Northern Summer 2021, https://www.iata.org/contentassets/4820c05b19f148e2855db91f2a579369/wasb-northern-summer-21-recommendation-for-slot-use-relief.pdf.

(3)  Verordnung (EWG) Nr. 95/93 des Rates vom 18. Januar 1993 über gemeinsame Regeln für die Zuweisung von Zeitnischen auf Flughäfen in der Gemeinschaft (ABl. L 14 vom 22.1.1993, S. 1).

(4)  Verordnung (EG) Nr. 793/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 95/93 des Rates über gemeinsame Regeln für die Zuweisung von Zeitnischen auf Flughäfen in der Gemeinschaft (ABl. L 138 vom 30.4.2004, S. 50).

(5)  Verordnung (EU) 2020/459 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. März 2020 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 95/93 des Rates über gemeinsame Regeln für die Zuweisung von Zeitnischen auf Flughäfen in der Gemeinschaft (ABl. L 99 vom 31.3.2020, S. 1).

(6)  Delegierte Verordnung (EU) 2020/1477 der Kommission vom 14. Oktober 2020 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 95/93 des Rates im Hinblick auf die vorübergehende Verlängerung außergewöhnlicher Maßnahmen zur Bewältigung der Folgen der COVID-19-Pandemie (ABl. L 338 vom 15.10.2020, S. 4).

(7)  Empfehlung des WASB: Airport slot alleviation measures for Northern Summer 2021, https://www.iata.org/contentassets/4820c05b19f148e2855db91f2a579369/wasb-northern-summer-21-recommendation-for-slot-use-relief.pdf.

(8)  A4E-Mitglied Ryanair teilt diese Auffassung nicht und wird seinen Standpunkt getrennt mitteilen.

(9)  Ebenda.

(10)  Fragen und Antworten: Die Covid-19-Impfung in der EU, https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/qanda_20_2467.

(11)  Aviation Round Table Report on the Recovery of European Aviation, November 2019, https://www.aci-europe.org/downloads/resources/Aviation%20Round%20Table%20DECLARATION%20FINAL%2016.11.2020.pdf.

(12)  Eurocontrol, Think Paper #8: What COVID-19 did to European Aviation in 2020, und Outlook 2021, 1. Januar 2021. https://www.eurocontrol.int/publication/what-covid19-did-european-aviation-2020-outlook-2021.

(13)  SWD(2020) 341 final.

(14)  Diese Bestimmung ist zudem wirkungslos, da bei Nichteinhaltung keine Konsequenzen zu erwarten sind. Die Zuweisung der Zeitnischen in der kommenden Saison hängt davon ab, ob die Luftfahrtunternehmen die Schwellen erreichen, unabhängig davon, ob sie innerhalb der dreiwöchigen Frist Zeitnischen zurückgeben oder nicht.

(15)  Siehe Fußnote 7, Erwägungsgrund 11.

(16)  Zum Zeitpunkt der Erarbeitung des Berichts haben bereits Neuseeland, Malaysia und Kanada (Vancouver) den WASB-Vorschlag für die Sommersaison 2021 angenommen. Brasilien hat die derzeit geltende Befreiung von der Zeitnischenregel vom Winter 2020/2021 verlängert. Die US-Luftfahrtbehörde FAA hat eine Konsultation (nur) zu diesen beiden Optionen gestartet: Verlängerung der geltenden (vollständigen) Aussetzung und WASB-Vorschlag.

(17)  ABl. L 142 vom 31.5.2002, S. 3.

(18)  ABl. L 221 vom 4.9.2003, S. 1

(19)  ABl. L 167 vom 29.6.2009, S. 24.


9.4.2021   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 123/42


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zur „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Ein neues Konzept der Meeresstrategie für den Atlantik — Aktionsplan für den Atlantik 2.0 — Ein aktualisierter Aktionsplan für eine nachhaltige, widerstandsfähige und wettbewerbsfähige blaue Wirtschaft im atlantischen Raum der Europäischen Union“

(COM(2020) 329 final)

(2021/C 123/08)

Berichterstatter:

Carlos Manuel TRINDADE

Befassung

Kommission, 23.9.2020

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umwelt

Annahme in der Fachgruppe

11.1.2021

Verabschiedung auf der Plenartagung

27.1.2021

Plenartagung Nr.

557

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

257/0/7

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) teilt die Einschätzung der Kommission, dass der atlantische Meeresraum im Hoheitsgebiet von EU-Mitgliedstaaten ein Schlüsselfaktor für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung dieser Staaten, aber auch der gesamten EU ist. Den jüngsten verfügbaren und in der Mitteilung der Kommission genannten Daten zufolge stand die blaue Wirtschaft im Atlantik im Jahr 2017 für 73,4 Milliarden EUR Bruttowertschöpfung (BWS) und 1,29 Millionen Arbeitsplätze (1).

1.2.

Der EWSA weist außerdem darauf hin, dass im Hinblick auf die ökologische Nachhaltigkeit die entscheidende Rolle der Ozeane bei der Dekarbonisierung, der Sauerstoffproduktion, der Ernährung der Menschen sowie der Bekämpfung des Klimawandels und der Versauerung von der EU und den Vereinten Nationen anerkannt wird.

1.3.

Vor dem Hintergrund der COVID-19-Krise gewinnt die blaue Wirtschaft zunehmend an Bedeutung, wenn es darum geht, die Konjunktur in Europa anzukurbeln und Arbeitsplätze zu schützen und zu schaffen.

1.4.

Der EWSA begrüßt den Aktionsplan für den Atlantik 2.0 als Beitrag zur wirtschaftlichen Erholung, zur Erhaltung und Schaffung von Arbeitsplätzen und gleichzeitig zur Stärkung der Küsten- und Meeresökosysteme sowie als Beitrag zum Klimaschutz und zur Anpassung an den Klimawandel.

1.5.

Die Verknüpfung des Aktionsplans 2.0 mit den Grundsätzen des europäischen Grünen Deals unterstreicht die zentrale Bedeutung der blauen Wirtschaft für die Verwirklichung der Nachhaltigkeitsziele.

1.6.

Der EWSA erachtet das Konzept der Kommission für den Atlantik zudem unter folgenden Aspekten als sehr positiv: die Rolle der Häfen bei der nachhaltigen Entwicklung des Küstentourismus, der Aquakultur, des Schiffbaus, der erneuerbaren Meeresenergie und der Innovation; die Entwicklung der blauen Kompetenzen im Zuge der Förderung des Wissens über die Meere; die Rolle der erneuerbaren Meeresenergie bei der Energiewende; und die Fokussierung auf gesunde Ozeane und widerstandsfähige Küsten.

1.7.

Der EWSA schlägt jedoch eine umfassendere Vision vor, um Projekte in natürlich ineinandergreifenden Bereichen zu ermöglichen, die den verschiedenen Säulen entsprechen.

1.8.

Der EWSA empfiehlt ferner, den Schwerpunkt auf die maritime Raumplanung und Bewirtschaftung zu legen, da es ohne einen entsprechend geordneten Meeresraum schwierig ist, die nachhaltige Entwicklung der blauen Wirtschaft sowohl unter dem Aspekt des Umweltschutzes als auch dem Aspekt der Projektinvestitionen zu gewährleisten. Der EWSA ist der Auffassung, dass eine angemessene maritime Raumplanung das nachhaltige Wachstum der maritimen Wirtschaft und der Nutzung der Meeresressourcen durch die bessere Lösung von Konflikten zwischen einzelnen Sektoren und durch größere Synergien zwischen den verschiedenen maritimen Tätigkeiten fördert. Dies steht im Einklang mit der Entschließung des Europäischen Parlaments vom 15. Januar 2020 mit dem Ziel, dem europäischen Grünen Deal eine blaue Dimension zu verleihen.

1.9.

Der EWSA ist der Auffassung, dass der Aktionsplan die Grundzüge für Partnerschaften im transatlantischen Kontext enthalten sollte, da der Atlantikraum sehr viele Anrainer besitzt und der Ozean keine Grenzen hat. Gleichwohl zielt die Entwicklung der blauen Wirtschaft darauf ab, Projekte im Meeresraum unter der Hoheit der EU-Küstenstaaten zu fördern.

1.10.

Der EWSA kritisiert den Mangel an Zielen und Maßnahmen in den Bereichen Fischerei und Tourismus und empfiehlt der Kommission, diesen Sektoren im Aktionsplan mehr Bedeutung beizumessen.

1.11.

Der EWSA bemängelt ebenso, dass die Kommission keine spezifischen Maßnahmen und Ziele für die Archipele festgelegt hat, handelt es sich hierbei doch um Regionen in äußerster Randlage, in denen die maritime Wirtschaft ein noch größeres Gewicht hat als im restlichen Atlantikraum. Deshalb ist er der Auffassung, dass die Kommission diese Gebiete im Aktionsplan besonders berücksichtigen sollte.

1.12.

In Bezug auf Partnerschaften zwischen den Mitgliedstaaten und auf internationaler Ebene ist der EWSA der Auffassung, dass die Ziele und Regeln dafür klar definiert werden sollten. Nach Ansicht des Ausschusses sollte zusätzlich zu den Regelungen zwischen den Mitgliedstaaten ein besonderer Schwerpunkt auf den Rahmen für Partnerschaften mit europäischen Drittländern — dem Vereinigten Königreich, Norwegen und Island — gelegt werden. Darüber hinaus sollte — vornehmlich im Falle des Vereinigten Königreichs — solchen Maßnahmen besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden, die einen Informationsverlust oder eine Beeinträchtigung der Zusammenarbeit verhindern.

1.13.

Der EWSA ist der Auffassung, dass in einem Strategiepapier wie der Meeresstrategie für den Atlantik nicht nur die Finanzierungsquellen aufgelistet, sondern auch die Leitlinien für die Genehmigung von Projekten festgelegt werden sollten.

1.14.

Der EWSA schlägt vor, dass Innovation, wissenschaftliche Forschung, ökologische Nachhaltigkeit, Beitrag zur sozialen Entwicklung und Verortung in einem entsprechend geordneten Meeresraum als Kriterien für die Finanzierungsbeschlüsse dienen sollten — und zwar entsprechend einer Matrix genau definierter Indikatoren.

1.15.

Der EWSA empfiehlt nachdrücklich die Schaffung einer spezifischen Finanzierungslinie für Projekte, die im Rahmen des Aktionsplans 2.0 entwickelt werden, wie dies auch bei anderen Sektoren der Fall ist, die europäische öffentliche Mittel erhalten. Denn sonst besteht das Risiko, dass sie zu anderen Finanzierungsprogrammen abgeschoben werden, bei denen sie nicht im Mittelpunkt stehen.

1.16.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Berücksichtigung der in dieser Stellungnahme enthaltenen Empfehlungen in Bezug auf die Bewertung und Finanzierung von Projekten sowie ihre Begleitung und Überwachung dazu beitragen wird, die Qualität und den Umfang der sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Fortschritte zu steigern, die durch die Umsetzung des Aktionsplans 2.0 erzielt werden sollen.

1.17.

Der EWSA ist schließlich der Auffassung, dass die Erfolgschancen bei der Umsetzung des Aktionsplans größer wären, wenn die in früheren Stellungnahmen ausgesprochenen Empfehlungen aufgegriffen würden, insbesondere was die Schaffung einer Makroregion Atlantik und die Wiederaufnahme des Atlantischen Forums betrifft.

2.   Hintergrund

2.1.

Die Meeresstrategie für den Atlantik (2) wurde 2011 mit dem Ziel angenommen, die nachhaltige Entwicklung der blauen Wirtschaft in den an den Atlantik angrenzenden EU-Mitgliedstaaten zu unterstützen; im Hinblick auf die Umsetzung dieser Strategie legte die Europäische Kommission 2013 einen entsprechenden Aktionsplan (3) vor.

2.2.

Der EWSA hat jedes dieser Instrumente geprüft und zwei Stellungnahmen mit einschlägigen Schlussfolgerungen und Empfehlungen dazu verabschiedet (4) (einige von ihnen sind von strategischer Bedeutung für die wirtschaftliche, soziale und ökologische Entwicklung Europas, z. B. die potenzielle Schaffung einer Makroregion „Atlantikraum“ nach dem Vorbild der Makroregionen für den Ostsee- und den Donauraum), die nichts von ihrer Aktualität und Relevanz eingebüßt haben.

2.3.

Seitdem wurden verschiedene sektorale Strategien festgelegt, die die Fähigkeit zur Verwirklichung der Ziele der Meeresstrategie für den Atlantik beeinflusst und die Umsetzung des diesbezüglichen Aktionsplans verbessert haben, z. B. der von der Europäischen Kommission im Dezember 2019 vorgelegte europäische Grüne Deal (5), die neue Biodiversitätsstrategie der EU bis 2030 (6) und die Strategie „Vom Hof auf den Tisch“ (7).

2.4.

Angesichts dieser Entwicklungen und als Reaktion auf die beispiellose sozioökonomische Krise, die durch die COVID-19-Pandemie ausgelöst wurde, hält es die Kommission für notwendig, die Prioritäten der regionalen Zusammenarbeit zu aktualisieren und einer nachhaltigen maritimen Wirtschaft, die Arbeitsplätze schaffen kann, neue Impulse zu geben.

2.5.

Auch zu diesem Zweck hat die Kommission Maßnahmen ergriffen, die dazu beitragen sollen, soziale und wirtschaftliche Schäden zu beheben, den Aufschwung in Europa anzukurbeln und Arbeitsplätze zu schützen und zu schaffen, und hat dazu das neue Aufbauinstrument „NextGenerationEU“ vorgelegt (8).

2.6.

Der EWSA betont, dass sich die Anstrengungen der EU auf das Nachhaltigkeitskonzept konzentrieren und zum Ziel haben, Europa bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent zu machen.

2.7.

In den neuen sektoralen Strategien wird die zentrale Rolle der blauen Wirtschaft als Schlüsselfaktor für die nachhaltige Entwicklung der EU und des Planeten sowie für die Abmilderung der Folgen des Klimawandels hervorgehoben.

2.8.

Die „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Ein neues Konzept der Meeresstrategie für den Atlantik — Aktionsplan für den Atlantik 2.0“ enthält einen aktualisierten Aktionsplan für eine nachhaltige, widerstandsfähige und wettbewerbsfähige blaue Wirtschaft im atlantischen Raum der Europäischen Union (9) (10).

2.9.

Die Kommission erklärt, dass dieser überarbeitete Aktionsplan auf einer Halbzeitbewertung (11) des vorherigen Aktionsplans und auf Konsultationen mit Interessenträgern und den am Atlantik gelegenen Mitgliedstaaten beruht. Diese Bewertung ergab, dass der vorherige Plan zu mehr als 1 200 neuen maritimen Projekten und fast 6 Milliarden Euro an Investitionen, hauptsächlich aus dem EU-Haushalt, geführt hat.

2.10.

Der EWSA nimmt mit Interesse zur Kenntnis, dass eine der Schlussfolgerungen dieser Bewertung lautet, „dass der thematische Schwerpunkt des Plans, die Verwaltungsstruktur und die Einführung eines Überwachungsrahmens verbessert werden müssen“ (12), wobei es sich um die vorgenannten Empfehlungen des EWSA handelt.

3.   Ein neues Konzept der Meeresstrategie für den Atlantik — Aktionsplan für den Atlantik 2.0

3.1.

Die Europäische Kommission nennt als Hauptziele des Aktionsplans 2.0 für den Atlantik, das Wachstum der blauen Wirtschaft zu fördern und ihr Potenzial im Atlantikraum — in Verbindung mit einem hohen Potenzial zur Schaffung von Arbeitsplätzen in den atlantischen Küstengebieten — freizusetzen und gleichzeitig die Meeresökosysteme zu erhalten und zur Anpassung an den Klimawandel und zum Klimaschutz beizutragen, im Einklang mit den globalen Verpflichtungen für nachhaltige Entwicklung und den politischen Prioritäten für den Zeitraum 2019-2024, insbesondere dem europäischen Grünen Deal.

3.2.

Der Aktionsplan 2.0 gliedert sich in vier thematische Säulen. Dabei sollen siebe Ziele durch konkrete Maßnahmen zur Mobilisierung aller Interessenträger im Atlantikraum erreicht werden.

3.3.

Säule I beruht auf der Förderung von Atlantikhäfen als Zugangstoren und Drehkreuzen für die blaue Wirtschaft.

3.3.1.

Bei dieser Säule wird davon ausgegangen, dass Häfen eine wichtige Rolle bei der nachhaltigen Entwicklung zentraler Sektoren der blauen Wirtschaft spielen: Küstentourismus, Aquakultur, Schiffbau sowie wachsende Industriezweige wie erneuerbare Meeresenergien können als Katalysatoren für Innovationen in diesen und anderen blauen Tätigkeitsbereichen dienen.

3.3.2.

Es wird die Auffassung vertreten, dass Häfen im Zuge ihrer Zusammenarbeit Finanzmittel für intelligente Infrastrukturen mobilisieren und zur Dekarbonisierung maritimer Quellen beitragen können.

3.3.3.

Dem Plan zufolge sollen durch die beschriebenen konkreten Maßnahmen zwei spezifische Ziele erreicht werden: „Häfen als Zugangstore für den Handel im Atlantik“ und „Häfen als Katalysatoren für Unternehmen“.

3.4.

Säule II konzentriert sich auf die Schaffung eines angemessenen Bündels zukunftsfähiger blauer Kompetenzen und das Wissen über die Meere als Mittel zur Gewinnung junger Talente für die blaue Wirtschaft wie auch zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit.

3.4.1.

Im Mittelpunkt dieser Säule steht die Notwendigkeit, für besser ausgebildete und informierte Generationen Sorge zu tragen.

3.4.2.

Zu diesem Zweck werden im Aktionsplan 2.0 als spezifische Ziele dieser Säule die Qualität der „allgemeinen und beruflichen Bildung und des lebenslangen Lernens“ sowie die Konsolidierung des „Wissens über die Meere“ genannt.

3.5.

In Säule III geht es um erneuerbare Meeresenergie als Kernelement des Übergangs zu einer klimaneutralen Wirtschaft.

3.5.1.

Die Kommission erachtet den atlantischen Raum der EU als führend und erprobt bei der Entwicklung neuartiger erneuerbarer Meeresressourcen: „Um den nächsten Entwicklungsschritt, nämlich die kommerzielle Reife erfolgreicher Prototypen, zu erreichen, ist es von entscheidender Bedeutung, dass die technologische Führungsposition aufrechterhalten, Talente erhalten und erschwingliche saubere Energie bereitgestellt wird, wobei den potenziellen Auswirkungen auf die Meeresumwelt und der Art und Weise, wie sie eingedämmt werden können, Rechnung zu tragen ist.“

3.5.2.

Dem Aktionsplan 2.0 zufolge soll durch die genannten konkreten Maßnahmen ein spezifisches Ziel erreicht werden: „Förderung der CO2-Neutralität durch erneuerbare Meeresenergie“.

3.6.

Säule IV ist auf gesunde Ozeane und widerstandsfähige Küstengebiete ausgerichtet.

3.6.1.

Angesichts der großen Zahl menschlicher Aktivitäten in diesem Gebiet ist die Atlantikküste der EU schutzbedürftig.

3.6.2.

Hinzu kommen die schädlichen Auswirkungen von schweren Stürmen, Überschwemmungen, Erosion und einem stetigen und immer schnelleren Anstieg des Meeresspiegels. Aufgrund von Klimaveränderungen und daraus resultierenden extremen Wettereignissen dürften diese Auswirkungen weiter zu nehmen.

3.6.3.

Lärm und Meeresverschmutzung (u. a. durch Kunststoffe) erreichen sehr hohe Niveaus, wodurch das Naturkapital und die Wirtschaftstätigkeiten gefährdet werden.

3.6.4.

Im Aktionsplan werden Maßnahmen zum Klimaschutz und zur Anpassung an den Klimawandel sowie zur Förderung der Kreislaufwirtschaft, der Vermeidung jeglicher Umweltverschmutzung, der Energieeffizienz und der Erhaltung der biologischen Vielfalt als Leitprinzipien für Entwicklung und Beschäftigung genannt.

3.6.5.

Im Einklang mit diesem Ansatz sieht der Aktionsplan 2.0 als spezifische Ziele der Säule die „Stärkung der Widerstandsfähigkeit der Küsten“ und die „Bekämpfung der Meeresverschmutzung“ vor.

3.7.

In Bezug auf die Verwaltung des Aktionsplans werden Maßnahmen zur Steuerung, Umsetzung und Berichterstattung sowie zur Mobilisierung von Mitteln und Finanzierung festgelegt.

3.7.1.

In Bezug auf die Koordinierung gibt es zwei Ebenen: die politische Koordinierung durch die für maritime Angelegenheiten zuständigen Minister der Länder, die dem Atlantikraum angehören, und die regionale Koordinierung durch den Ausschuss für die Atlantikstrategie, an der Vertreter der Küstengebieten und anderer Regionen teilnehmen können.

3.7.2.

In Bezug auf die Umsetzung und Berichterstattung sind Regeln zur weiteren Festlegung der Verfahren vorgesehen.

3.7.2.1.

Es wird eine Reihe von Voraussetzungen für die Umsetzung des Aktionsplans sowie für den Mechanismus zur Überwachung und Informationsbereitstellung sowohl für öffentliche als auch für private Interessenträger festgelegt, wobei die gemeinsame Zuständigkeit der EU und der beteiligten Mitgliedstaaten hervorgehoben wird.

3.7.2.2.

Zweck des Kontroll- und Evaluierungsmechanismus ist es, zu überwachen und zu bewerten, inwieweit die Ziele des Aktionsplans erreicht wurden, und damit die Grundlage für künftige Änderungen am Aktionsplan zu schaffen.

3.7.3.

In Bezug auf die Mobilisierung von Mitteln und die Finanzierung werden einige besonders erwähnenswerte Überlegungen angestellt.

3.7.3.1.

Es wird betont, dass im EU-Haushalt keine Mittel für den Aktionsplan für den Atlantik vorgesehen sind und dass der Plan in erster Linie von den Mitteln und Finanzinstrumenten abhängt, die auf nationaler und EU-Ebene bereitgestellt werden können.

3.7.3.2.

Die Fonds, Programme und Mechanismen, die von den EU-Mitgliedstaaten und Küstenregionen genutzt werden können, werden aufgeführt.

4.   Allgemeine Bemerkungen

4.1.

Der EWSA hält es für begrüßenswert, dass die Kommission einen aktualisierten Aktionsplan für den atlantischen Raum vorlegt, in den die verschiedenen kürzlich verabschiedeten europäischen sektoralen Strategien einfließen.

4.2.

Der EWSA begrüßt, dass die Kommission in diesem überarbeiteten Plan die Bemerkungen und Empfehlungen aus den Stellungnahmen des EWSA zur Meeresstrategie für den Atlantik und zum vorherigen Aktionsplan berücksichtigt hat, insbesondere in Bezug auf die thematische Ausrichtung, die Verwaltungsstruktur und den Überwachungsrahmen.

4.3.

Der EWSA begrüßt den stärker strukturierten Ansatz des Aktionsplans 2.0, der auf einer thematischen Ausrichtung zur Festlegung der durchzuführenden Maßnahmen beruht. Dies ist das Ergebnis der Halbzeitbewertung im Rahmen der Bottom-up-Konsultationen.

4.4.

Der EWSA unterstreicht die Ausrichtung der thematischen Bereiche an den europäischen Nachhaltigkeitszielen in Bezug auf die Entwicklung von Tätigkeiten der blauen Wirtschaft, die Schaffung von qualifizierten Arbeitsplätzen und die Vermittlung von Wissen über die Meere, die Förderung der Dekarbonisierung und der Energiewende sowie die Wiederherstellung und den Schutz des Naturkapitals und der Küstenökosysteme.

4.5.

Der EWSA empfiehlt im Hinblick auf die Schaffung blauer Kompetenzen Maßnahmen, die zum Ziel haben, im Rahmen der Festlegung der Lehrpläne für maritime Berufe die Berufserfahrung stärker zu berücksichtigen.

4.6.

Der EWSA kritisiert den Mangel an Zielen und Maßnahmen in den Bereichen Fischerei und Tourismus, da es sich dabei um zwei Sektoren der blauen Wirtschaft handelt, die in erheblichem Maße zur BWS und zur Beschäftigung beitragen und auf die Meeresökosysteme der unmittelbar zum Atlantikraum gehörenden Gebiete einwirken. Der Ausschuss empfiehlt der Kommission, diesen Sektoren im Aktionsplan mehr Bedeutung beizumessen und damit den genannten Mangel zu beheben.

4.7.

Der EWSA bemängelt ebenso, dass die Kommission keine spezifischen Maßnahmen und Ziele für die Archipele festgelegt hat, handelt es sich hierbei doch um Regionen in äußerster Randlage, in denen die maritime Wirtschaft ein noch größeres Gewicht hat als im restlichen Atlantikraum. Deshalb ist er der Auffassung, dass die Kommission diese Gebiete im Aktionsplan besonders berücksichtigen sollte.

4.8.

Der EWSA unterstreicht die Verbesserung der Qualität und Transparenz durch die Einführung eines Überwachungsrahmens, der es ermöglicht, den Plan künftig im Lichte seiner effektiven Umsetzung und des Grads der Verwirklichung seiner Ziele anzupassen.

4.9.

Der EWSA bedauert, dass die Kommission die Empfehlungen früherer EWSA-Stellungnahmen zur Entwicklung einer Makroregion Atlantik nach dem Vorbild der Makroregionen für den Donau- und den Ostseeraum sowie zur Weiterführung des Atlantischen Forums nicht berücksichtigt hat.

5.   Besondere Bemerkungen

5.1.

Der EWSA hält es für notwendig zu prüfen, inwieweit der Aktionsplan 2.0 mit der europäischen Strategie für maritime Angelegenheiten — der integrierten Meerespolitik der EU (IMP) (13) — im Einklang steht.

5.2.

Die IMP ist ein politischer Rahmen zur Förderung der nachhaltigen Entwicklung aller maritimen Tätigkeiten und Küstenregionen durch eine bessere Koordinierung der Maßnahmen in den Bereichen Ozeane, Meere, Inseln, Küstenregionen und Gebiete in äußerster Randlage sowie durch die Entwicklung bereichsübergreifender Instrumente.

5.3.

Die wichtigsten Ziele und Aktionsbereiche der IMP lauten: Stärkung der nachhaltigen Nutzung der Meere und Ozeane; Aufbau einer Wissens- und Innovationsgrundlage für die Meerespolitik; Verbesserung der Lebensqualität in den Küstenregionen; Ausbau der Führungsposition der EU im internationalen maritimen Bereich durch verbesserte Zusammenarbeit auf der Ebene der internationalen Meerespolitik und in einem europäischen Maßstab durch die Europäische Nachbarschaftspolitik; stärkere Aufmerksamkeit für ein maritimes Europa.

5.4.

Die IMP deckt folgende konvergierende Politikfelder ab: blaues Wachstum (14); Meeresdaten und Meereskenntnisse (15); maritime Raumplanung; integrierte Meeresplanung.

5.5.

Der EWSA ist der Ansicht, dass die in diesem Zusammenhang gewonnenen Informationen, Daten und Kenntnisse für Organisationen und Wissenschafts- und Bildungsakteure sowie für meeresbezogene Projekte frei und kostenlos zugänglich sein sollten, gegebenenfalls mit Vertraulichkeits- und Vorbehaltskriterien. In dieser Hinsicht empfiehlt der EWSA eine stärkere Koordinierung zwischen den verschiedenen Beobachtungsstellen für den Atlantikraum im Hinblick auf die Einrichtung effizienter, zugänglicher und interoperabler Datenbanken.

5.6.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die angestrebten Ziele und die Methoden ihrer Umsetzung in einem Strategiepapier wie der Meeresstrategie für den Atlantik klar und präzise dargelegt werden sollten. Zu diesem Zweck empfiehlt der EWSA, die Fragen, die für ein solches Strategiepapier von entscheidender Bedeutung erscheinen, im Dokument weiter zu vertiefen.

5.7.

Der EWSA ist der Auffassung, dass im Aktionsplan 2.0 der blauen Wirtschaft und dem einschlägigen Wissen ein hoher Stellenwert beigemessen wird, was positiv ist. Jedoch sollte die Bedeutung der maritimen Raumplanung und die Bewirtschaftung des Meeresraums sowie internationale Partnerschaften gebührend berücksichtigt werden.

5.8.

Was die maritime Raumplanung und die Bewirtschaftung des Meeresraums angeht, haben der stärker werdende Einfluss des Menschen auf die Ozeane — in Verbindung mit der raschen Zunahme der Nachfrage nach Meeresraum und des Wettbewerbs um den Meeresraum für verschiedene Zwecke wie Fischereitätigkeiten, Offshore-Anlagen für erneuerbare Energien und die Erhaltung der Ökosysteme — verdeutlicht, dass eine integrierte Bewirtschaftung der Ozeane und ein Rahmen für die maritime Raumplanung dringend erforderlich sind (16).

5.8.1.

Der EWSA ist der Auffassung, dass eine angemessene maritime Raumplanung das nachhaltige Wachstum der maritimen Wirtschaft und die Nutzung der Meeresressourcen durch ein besseres Konfliktmanagement und größere Synergien zwischen den verschiedenen maritimen Tätigkeiten fördert. Dies steht im Einklang mit der Entschließung des Europäischen Parlaments vom 15. Januar 2020 mit dem Ziel, dem europäischen Grünen Deal eine blaue Dimension zu verleihen.

5.8.2.

Die Schaffung eines gemeinsamen europäischen Rahmens für die maritime Raumplanung hat mehrere Vorteile: Verminderung von Konflikten zwischen Sektoren und Schaffung von Synergien zwischen verschiedenen Tätigkeitsbereichen; Förderung von Investitionen durch Planungssicherheit; Transparenz und klare Regeln; Stärkung der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit zwischen Mitgliedstaaten zur Entwicklung von Netzen und Plattformen zur Energieerzeugung, Seewegen, Rohrleitungen, Seekabeln usw., aber auch zur Entwicklung zusammenhängender Schutzgebiete; Umweltschutz durch frühzeitige Ermittlung der Folgen und der Chancen einer Mehrfachnutzung des Meeresraums.

5.8.3.

Die Förderung der Aufstellung maritimer Raumordnungspläne, die Verbesserung der maritimen Raumplanung unter Einhaltung der Frist für ihre Einführung im Jahr 2021 sowie ihre Koordinierung zwischen den verschiedenen Mitgliedstaaten tragen zu allen Zielen der ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Nachhaltigkeit der Meeresstrategie für den Atlantik und der IMP bei.

5.8.4.

Deshalb ist der EWSA der Auffassung, dass dieses Thema im neuen Konzept der Meeresstrategie für den Atlantik berücksichtigt werden sollte, da es sonst schwierig sein wird, die nachhaltige Entwicklung der blauen Wirtschaft sowohl aus ökologischer und sozialer Sicht als auch unter dem Gesichtspunkt der Projektinvestitionen sicherzustellen.

5.8.5.

Der EWSA empfiehlt, im Aktionsplan 2.0 stärker auf die Bedeutung der maritimen Raumplanung für die Entwicklung der blauen Wirtschaft zu achten, insbesondere im Hinblick auf die Säulen I, II und IV.

5.8.6.

Der EWSA empfiehlt ferner, die geplante Überwachung und Bewertung im Rahmen der maritimen Raumplanung im Einklang mit den einschlägigen Indikatoren durchzuführen. Dabei sollte als Voraussetzung für den Zugang zu Finanzmitteln festgelegt werden, dass sich die Projekte in einem entsprechend geordneten Meeresraum befinden.

5.9.

In Bezug auf Partnerschaften zwischen den Mitgliedstaaten und auf internationaler Ebene ist der EWSA der Auffassung, dass die Ziele und Regeln dafür klar definiert werden sollten.

5.9.1.

Da der Atlantikraum sehr viele Anrainer besitzt und der Ozean keine Grenzen hat, ist der EWSA der Ansicht, dass sowohl soziale, ökologische und wirtschaftliche Partnerschaften als auch Partnerschaften im Bereich wissenschaftliche Innovation und Forschung im Rahmen der vier Säulen des Aktionsplans 2.0 in Betracht gezogen werden sollten.

5.9.2.

Nach Ansicht des Ausschusses sollte zusätzlich zu den Regelungen zwischen den Mitgliedstaaten ein besonderer Schwerpunkt auf den Rahmen für Partnerschaften mit europäischen Drittländern — dem Vereinigten Königreich, Norwegen und Island — gelegt werden. Darüber hinaus sollte — vornehmlich im Falle des Vereinigten Königreichs — solchen Maßnahmen besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden, die einen Informationsverlust oder eine Beeinträchtigung der Zusammenarbeit verhindern.

5.9.3.

Auch wenn im Zuge der Entwicklung der blauen Wirtschaft Projekte im Meeresraum unter der Hoheit der EU-Küstenstaaten gefördert werden sollen, empfiehlt der EWSA, in der Meeresstrategie für den Atlantik die Festlegung von Grundzügen für transatlantische Partnerschaften — sowohl für den Aufbau von Partnerschaften mit den amerikanischen Atlantikanrainerstaaten als auch mit afrikanischen Ländern — vorzusehen (17).

5.10.

Auch im Hinblick auf die Mobilisierung von Mitteln und die Finanzierung empfiehlt der EWSA, im Aktionsplan 2.0 die Finanzierungsquellen, die Regeln für die Mittelzuweisung und die Art der Überwachung und Bewertung der Projektleistung klar und unmissverständlich zu nennen.

5.10.1.

Der EWSA begrüßt, dass die erfolgreiche Umsetzung der im Aktionsplan genannten Maßnahmen, wie in der Kommissionsmitteilung dargelegt, die Kombination öffentlicher Investitionen aus nationalen und europäischen Haushalten mit privaten Mitteln erfordert.

5.10.2.

Zu diesem Zweck wird eine Liste der Fonds und Programme vorgelegt, die den Mitgliedstaaten und ihren Küstenregionen zur Verfügung stehen. Nach dem Dafürhalten des Ausschusses sollte diese Liste lückenlos sein und andere Finanzierungsmechanismen umfassen, z. B. auch und vor allem den EWR-Finanzierungsmechanismus (18), der bei künftigen Partnerschaften mit europäischen Drittländern besonders nützlich sein dürfte.

5.10.3.

Der EWSA ist der Auffassung, dass in einem Strategiepapier wie der Meeresstrategie für den Atlantik nicht nur die Finanzierungsquellen aufgelistet, sondern auch die Leitlinien für die Genehmigung von Projekten festgelegt werden sollten.

5.10.4.

Der EWSA schlägt vor, eine Matrix genau definierter Indikatoren zur Überwachung und Bewertung zu schaffen und dabei insbesondere die Aspekte Innovation, wissenschaftliche Forschung, ökologische Nachhaltigkeit, Beitrag zur sozialen Entwicklung und Verortung in einem geordneten Meeresraum zu berücksichtigen. Diese Matrix sollte dann als Bezugspunkt für Finanzierungsbeschlüsse dienen.

5.10.5.

Der EWSA empfiehlt nachdrücklich die Schaffung einer spezifischen Haushaltslinie, wie sie für andere europäische Gebiete und andere Tätigkeitsbereiche besteht, die mit europäischen öffentlichen Mitteln gefördert werden. Die aufgeführten Fonds und Programme zielen nämlich in keinem Fall vornehmlich auf die Verwirklichung des Aktionsplans für den Atlantik ab, was die Möglichkeiten seiner Umsetzung einschränkt.

Brüssel, den 27. Januar 2021

Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Christa SCHWENG


(1)  Die Statistiken sind nicht auf dem neuesten Stand, was es erschwert, Maßnahmen auf europäischer Ebene zu entwickeln, die der Realität der Mitgliedstaaten entsprechen. Zudem beeinträchtigt dies die Überwachung dieser Maßnahmen. Der EWSA hält ein starkes Engagement in diesem Bereich für erforderlich.

(2)  COM(2011) 782 final, https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/ALL/?uri=CELEX:52011DC0782.

(3)  COM(2013) 279 final, https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/ALL/?uri=CELEX:52013DC0279.

(4)  Stellungnahmen des EWSA zur Meeresstrategie für den atlantischen Raum (ABl. C 229 vom 31.7.2012, S. 24) und zu dem Aktionsplan für eine Meeresstrategie für den Atlantik (ABl. C 341 vom 21.11.2013, S. 77).

(5)  COM(2019) 640 final.

(6)  COM(2020) 380 final.

(7)  COM(2020) 381 final.

(8)  COM(2020) 456 final.

(9)  COM(2020) 329 final.

(10)  SWD(2020) 140 final.

(11)  SWD(2018) 49 final, https://ec.europa.eu/maritimeaffairs/sites/maritimeaffairs/files/swd-2018-49_en.pdf.

(12)  Ebenda.

(13)  COM(2007) 575.

(14)  COM(2012) 494; COM(2014) 254; COM(2008) 768; COM(2013) 229; COM(2014) 008; COM(2014) 086; strategischer Fahrplan „Building Ocean Energy for Europe“ [Meeresenergie für Europa].

(15)  Fahrplan für die Strategie „Marine Knowledge 2020“ [„Wissen über die Meere 2020“] (SWD(2014) 0149).

(16)  Richtlinie 2014/89/EU des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 257 vom 28.8.2014, S. 135).

(17)  Als bewährtes Verfahren kann die Hochrangige Gruppe für nachhaltige Meereswirtschaft (High Level Panel for a Sustainable Ocean Economy) genannt werden, die sich aus 14 Ländern zusammensetzt, darunter zwei europäische Länder (Portugal und Norwegen).

(18)  EWR-Finanzierungsmechanismus: Die Zuschüsse des EWR und Norwegens resultierten aus der Teilnahme Islands, Liechtensteins und Norwegens am Binnenmarkt in den unter das EWR-Abkommen fallenden Bereichen.


ANHANG I

ATLANTIKRAUM (1)

Image 1

ATLANTIKRAUM — Gebiete in äußerster Randlage

Image 2


(1)  ECO/306 — CESE 1298/2012.


ANHANG II

REGIONALES BIP (NUTS 2) PRO KOPF

(in KKS, EU-28)

REGION

2009

2017

PORTUGAL

 

 

Region Nord

63,6

65

Algarve

84,6

83

Region Mitte

66,5

67

Lissabon

112,4

100

Alentejo

72,2

72

Azoren

75,2

68

Madeira

104,9

73

SPANIEN

 

 

Kanaren

87,3

75

Andalusien

79,1

68

Galicien

92,7

82

Asturien

95,8

82

Kantabrien

100

83

Baskenland

134,4

121

FRANKREICH

 

 

Aquitanien

96,3

91

Poitou-Charentes

86,4

83

Pays-de-la-Loire

96,4

94

Bretagne

90,5

88

Basse Normandie

84,1

81

Haute Normandie

93

88

VEREINIGTES KÖNIGREICH

 

 

Cornwall und Isles of Scilly

71,9

68

Devon

86,5

77

Hampshire und Isle of Wight

110,3

104

Dorset und Somerset

93,5

81

East Wales

99,3

94

West Wales und The Valleys

68,4

66

Gloucestershire, Wiltshire und Region Bristol/Bath

114,1

106

Merseyside

79,2

79

Lancashire

83,4

84

Cheshire

113,1

128

Cumbria

87,6

89

South Western Scotland

99,9

 

Highlands and Islands

84,4

93

Nordirland

83

81

IRLAND

 

 

Border, Midland and Western

88,6

 

Southern and Eastern

142

 

Quelle: Eurostat. Pro-Kopf-BIP 2009, 2017.


ANHANG III

AKTIONSPLAN 2.0 — THEMATISCHE SÄULEN (1)

Image 3


(1)  COM(2020) 329 final.


ANHANG IV

AKTIONSPLAN 2.0 — ZIELE UND MAßNAHMEN

SÄULE I: HÄFEN ALS ZUGANGSTORE UND DREHKREUZE FÜR DIE BLAUE WIRTSCHAFT

Diese Säule umfasst zwei spezifische Ziele und eine Reihe von Maßnahmen:

Ziel 1: Häfen als Zugangstore für den Handel im Atlantik

Maßnahmen

Ausbau der TEN-V-Meeresautobahnen im Atlantik

Schaffung eines Netzes grüner Häfen bis 2025

Förderung von Kurzstreckenseeverkehrsverbindungen im atlantischen Raum zur besseren Integration Irlands

Einleitung einer Atlantikstrategie für Flüssigerdgas

Entwicklung von Öko-Anreizsystemen zur Modernisierung der Hafeninfrastruktur

Gemeinsame Entwicklung von Abfall- und Handhabungsplänen für atlantische Häfen

Ziel 2: Häfen als Katalysatoren für Unternehmen

Maßnahmen

Entwicklung eines blauen Beschleunigungssystems für atlantische Häfen zur Förderung innovativer Unternehmen

Verbreitung bewährter Verfahren, Austausch von Ideen und gemeinsame Lösung von Problemen

Ausweitung der Datenerhebung über traditionelle (Logistik-) Daten hinaus

Verbesserung der Kommunikation und der Verfügbarkeit von Daten über das wirtschaftliche Potenzial der Häfen

SÄULE II: BLAUE KOMPETENZEN DER ZUKUNFT UND WISSEN ÜBER DIE MEERE

Diese Säule umfasst zwei spezifische Ziele und eine Reihe von Maßnahmen:

Ziel 3: Allgemeine und berufliche Bildung und lebenslanges Lernen

Maßnahmen

Ermittlung blauer Qualifikationslücken im atlantischen Raum der EU

Harmonisierung der Datenerhebung im Bereich der blauen Karrieren

Schaffung eines Business-Intelligence-Systems und Förderung von Verbindungszentren für eine bessere Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Ausbildungsanbietern

Ermittlung bewährter Verfahren für Arbeitgeber und Arbeitsuchende, die als Inspiration dienen, durch Peer-Learning

Nutzung bestehender Informationsplattformen für Beschäftigungsmöglichkeiten und Ausschöpfung ihres Potenzials für blaue Arbeitsplätze

Ziel 4: Wissen über die Meere

Maßnahmen

Start eines Pilotlehrplans für die Vermittlung von Wissen über den Atlantik

Schaffung von 25 atlantischen blauen Schulen bis 2025

Umsetzung einer Komponente „Wissen über die Meere“ (Verbreitung) in einschlägigen Projekten

Nutzung des transatlantischen Jugendforums

Einbeziehung der Bürger in meeresbezogene Maßnahmen im atlantischen Raum der EU

Beteiligung der Bürger an Aktivitäten zum Europäischen Tag der Meere, zum Internationalen Tag des Ozeans und im Rahmen der künftigen Plattform EU4Ocean

SÄULE III: ERNEUERBARE MEERESENERGIE

Diese Säule umfasst ein spezifisches Ziel und eine Reihe von Maßnahmen:

Ziel 5: Förderung der CO2-Neutralität durch erneuerbare Meeresenergie

Maßnahmen

Festlegung spezifischer Ziele für den Einsatz erneuerbarer Meeresenergie in den atlantischen Regionen unter Berücksichtigung ihrer Umweltauswirkungen

Festlegung der besten Standorte für Anlagen für erneuerbare Meeresenergien (einschließlich Offshore-Windenergie) und angrenzende Häfen im gesamten Atlantikbereich unter Berücksichtigung möglicher Auswirkungen auf die Meeresumwelt

Schaffung von Anreizen für die Erstellung innovativer Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien

Bündeln verschiedener Initiativen für erneuerbare Meeresenergie im atlantischen Raum der EU auf der Grundlage der Philosophie und zur Förderung der Ziele des Strategieplans für Energietechnologie (SET-Plan)

Sensibilisierung der Öffentlichkeit für erneuerbare Meeresenergie im Atlantikbereich durch geeignete Kommunikationsmittel

Stärkung der Zusammenarbeit in der europäischen Meeresenergiegemeinschaft

Entwicklung eines spezifischen Rahmens für Meeresenergie für EU-Inseln im Atlantik

SÄULE IV: GESUNDE OZEANE UND WIDERSTANDSFÄHIGE KÜSTEN

Diese Säule umfasst zwei spezifische Ziele und eine Reihe von Maßnahmen:

Ziel 6: Stärkung der Widerstandsfähigkeit der Küsten

Maßnahmen

Verfügbarkeit eines umfassenden Warn- und Beobachtungssystems für zunehmende Stürme und Überschwemmungen aufgrund des Klimawandels

Entwicklung von Synergien zwischen bestehenden EU-Infrastrukturen für die Beobachtung und den Schutz der Küsten sowie für Warnung und Überwachung und verstärkte Entwicklung von Ozean-Beobachtungsstellen vor Ort

Entwicklung von Testflächen und Pilotbereichen zur Erprobung von Methoden des Küstenschutzes und zur Förderung naturbasierter Lösungen

Förderung nachhaltiger Verfahren im Küsten- und Meerestourismus

Erstellung eines Verzeichnisses nationaler und regionaler Strategien und Maßnahmen zur Anpassung an den Klimawandel für die Küsten in Verbindung mit den Risikobewertungen und Risikomanagementplänen, Austausch bewährter Verfahren

Schaffung von Informationskampagnen für die Küstengemeinschaften am Atlantik

Sensibilisierung junger Menschen und der Küstengemeinschaften für die Entwicklung der Küste und Möglichkeiten zur Anpassung an den steigenden Meeresspiegel

Austausch bewährter Verfahren für die Anwendung der maritimen Raumplanung auf die Anpassung und Widerstandsfähigkeit der Küsten und einschlägige Umweltprüfungen (UVP (1)‚ SUP (2)‚ AA (3)).

Kartierung von Küstenfeuchtgebieten zur Erhaltung und Überwachung ihrer Rolle als Kohlenstoffsenken

Ziel 7: Bekämpfung der Meeresverschmutzung

Maßnahmen

Entwicklung eines Pilotprojekts für „müllfreie“ Küstengemeinden

Nutzung der verfügbaren Instrumente zur Ermittlung der wichtigsten Quellen, Wege und Hotspots von Abfällen im Meer sowie unbeabsichtigter oder vorsätzlicher Verschmutzung

Förderung von Maßnahmen der Wirtschaft auf der Grundlage der Kreislaufwirtschaft, Entwicklung von Anreizen und Umweltzertifizierungssystemen

Einleitung gemeinsamer Maßnahmen zur Förderung einer öffentlichen Wahrnehmung des Problems, z. B. Strandtage, an denen Gemeinschaften zusammen den Strand reinigen

Förderung von Maßnahmen zum Auffischen von Müll, um alle Fischer dazu anzuhalten, die in ihren Netzen während ihrer normalen Fischereitätigkeit aufgefischten Abfälle an Land zu bringen

Engagement für die Umsetzung gemeinsamer Maßnahmen des regionalen Aktionsplans für Abfälle im Meer im Rahmen des OSPAR

Förderung einer koordinierten und wirksamen Umsetzung der in der Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie für die EU-Mitgliedstaaten vorgeschriebenen Maßnahmen zur Bekämpfung von Abfällen im Meer und Unterwasserlärm

Unterstützung der Arbeiten im Rahmen des Katastrophenschutzverfahrens der Union und des Bonner und des Lissabonner Abkommens im Hinblick auf eine wirksame Prävention, Vorsorge und Reaktion bei vorsätzlicher und unbeabsichtigter Verschmutzung

Förderung der Zusammenarbeit zwischen den Sektoren für eine koordinierte Reaktion auf See und an den Küsten


(1)  Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (ABl. L 26 vom 28.1.2012, S. 1), geändert durch die Richtlinie 2014/52/EU des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 124 vom 25.4.2014, S. 1).

(2)  Richtlinie 2001/42/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Juni 2001 über die Prüfung der Umweltauswirkungen bestimmter Pläne und Programme (ABl. L 197 vom 21.7.2001, S. 30).

(3)  Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (ABl. L 206 vom 22.7.1992, S. 7), geändert durch die Richtlinie 97/62/EG des Rates (ABl. L 305 vom 8.11.1997, S. 42), die Verordnung (EG) Nr. 1882/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 284 vom 31.10.2003, S. 1), die Richtlinie 2006/105/EG des Rates (ABl. L 363 vom 20.12.2006, S. 368) und die Richtlinie 2013/17/EU des Rates (ABl. L 158 vom 10.6.2013, S. 193).


9.4.2021   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 123/59


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Mehr Ehrgeiz für das Klimaziel Europas bis 2030 — In eine klimaneutrale Zukunft zum Wohl der Menschen investieren“

(COM(2020) 562 final)

(2021/C 123/09)

Berichterstatter:

Arnold Puech d'Alissac (FR-I)

Mitberichterstatter:

Jan Dirx (NL-III)

Befassung

Europäische Kommission, 11.11.2020

Rechtsgrundlage

Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umwelt

Annahme in der Fachgruppe

11.1.2021

Verabschiedung auf der Plenartagung

27.1.2021

Plenartagung Nr.

557

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

216/6/3

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt nachdrücklich die Mitteilung der Kommission Mehr Ehrgeiz für das Klimaziel Europas bis 2030 — In eine klimaneutrale Zukunft zum Wohl der Menschen investieren. Die Entscheidung der Kommission, die Zielvorgabe für die Treibhausgasreduktion bis 2030 auf 55 % anzuheben, steht weitgehend im Einklang mit der früheren Stellungnahme des EWSA zum Europäischen Klimagesetz.

1.2.

Ab den Meilensteinen kann nur dann ein Netto-Null-Ziel zugrunde gelegt werden, wenn ein integriertes System mitsamt einer präzisen Berechnung der CO2-Emissionen und der CO2-Absorption sichergestellt wird.

1.3.

Der EWSA erachtet es als sehr wichtig, die Bürgerinnen und Bürger und die Sozialpartner darüber zu informieren, wie die Emissionsziele erreicht werden können und was dies für ihre Arbeit und ihr tägliches Leben bedeutet. Dies ist grundlegend für die Akzeptanz aller zu ergreifenden Maßnahmen. Deshalb sollte durch geeignete Vorkehrungen für einen gerechten Ausgleich der damit verbundenen Risiken und Chancen gesorgt werden, um Gewissheit und Stabilität zu gewährleisten.

1.4.

Der EWSA stimmt der Kommission zu, dass die Ausgaben für den Aufbau nach der COVID-19-Krise mit ehrgeizigen Klimaschutzmaßnahmen kombiniert werden müssen, um zu vermeiden, dass Gelder verschwendet werden und verlorene Vermögenswerte entstehen, sodass später noch mehr Mittel aufgewendet werden müssen. Es muss sichergestellt werden, dass diese Investitionen tatsächlich im Sinne einer nachhaltigen bürgerorientierten Klimapolitik eingesetzt werden.

1.5.

Die Kommission will bis Juni 2021 die erforderlichen detaillierten Legislativvorschläge vorlegen. Der EWSA ersucht die gesetzgebenden Organe, diese Frist nicht zu überschreiten und das Gesetzgebungsverfahren bis Dezember 2021 abzuschließen, da andernfalls die Zeit zur Erreichung des für 2030 vorgegebenen Ziels zu knapp sein wird.

1.6.

Der EWSA empfiehlt, dass die Kommission der Aktualisierung von EU-Rechtsvorschriften zur Umstellung auf erneuerbare Kraftstoffe Vorrang einräumt.

1.7.

Nach Meinung des EWSA müssen die neuen Klimaziele für die Landwirtschaft im Rahmen des Aufbauinstruments „NextGenerationEU“ in dem delegierten Rechtsakt zur Taxonomie-Verordnung berücksichtigt werden, um eine lückenlose Umstellung zu ermöglichen. Der vorliegende Entwurf für einen delegierten Rechtsakt ist lediglich für die Förderung der Umstellung von Nischenproduktionen geeignet. Nur ein ganzheitlicher Wandel hin zu einer klimafreundlichen Landwirtschaft wird künftig einen nachhaltigen Lebensmittelsektor gewährleisten. Der Wandel muss durch verstärkte nachhaltige Investitionen und Unterstützungsmaßnahmen in der Lebensmittelversorgungskette gefördert werden.

1.8.

Der EWSA fordert ein spezielles EU-Bioökonomie-Programm, mit dem Investitionen gefördert und gemeinschafts- und betriebsbasierte Lieferketten geschaffen werden.

1.9.

Der EWSA unterstreicht die Schlussfolgerung aus der Folgenabschätzung, dass eine Verringerung der Treibhausgasemissionen um 55 % bis 2030 die EU nicht nur auf einen festen Kurs in Richtung Klimaneutralität setzen, sondern auch die Unternehmen und Industrie in der EU weltweit zu Wegbereitern machen würde. Dabei muss die EU dafür sorgen, dass ihre Handelspolitik und ihre Handelsabkommen im Einklang mit ihren Klimazielen stehen. Ferner empfiehlt er der Kommission, den möglichen Folgen für einkommensschwache Bürger von Drittstaaten besondere Aufmerksamkeit zu widmen.

1.10.

Der EWSA unterstützt nachdrücklich die Aussage der Kommission, dass die Bürgerinnen und Bürger „wichtige Partner bei der Bekämpfung des Klimawandels“ sind, da seines Erachtens die aktive Beteiligung „aller Teile der Gesellschaft“ eine notwendige Voraussetzung für den Erfolg der Klimapolitik in der EU ist. Deshalb bekräftigt er seinen Vorschlag, eine Plattform der Interessenträger für den europäischen Klimapakt einzurichten.

1.11.

Der EWSA fordert außerdem die Mitgliedstaaten auf, entsprechend der Empfehlung der Kommission vom 14. Oktober 2020 zu Energiearmut (C(2020) 9600 final) zur besseren Erfassung von Energiearmut zunächst an der Einführung gemeinsamer Kriterien und Indikatoren auf europäischer Ebene zu arbeiten.

1.12.

Der EWSA ist erfreut über den völlig richtigen Aufruf der Kommission, dass die Umstellung der europäischen Wirtschaft mit Investitionen in Maßnahmen zur Umschulung, Weiterbildung und ständigen Fortbildung zahlreicher Berufsgruppen einhergehen muss. Ferner muss sichergestellt werden, dass neue Beschäftigungsmöglichkeiten Arbeitsplätze mit angemessener Vergütung und guten Arbeitsbedingungen mit sich bringen.

2.   Allgemeine Bemerkungen

2.1.

Der EWSA begrüßt nachdrücklich die Mitteilung der Kommission Mehr Ehrgeiz für das Klimaziel Europas bis 2030 — In eine klimaneutrale Zukunft zum Wohl der Menschen investieren. Die Entscheidung der Kommission, die Zielvorgabe für die Treibhausgasreduktion bis 2030 auf 55 % anzuheben, steht weitgehend im Einklang mit der früheren Stellungnahme des EWSA zum Europäischen Klimagesetz (1).

2.2.

Im Gegensatz zu dem von der Kommission nun erstmals für 2030 vorgeschlagenen Reduktionsziel sprach sich der EWSA in der besagten Stellungnahme nicht für ein Nettoreduktionsziel von 55 % aus, während die Kommission seinerzeit bereits von einem Nettoziel ausging. Das bedeutet, dass die Kommission bei ihrem Ziel hinter der Empfehlung des EWSA zurückbleibt.

2.3.

Da die Kommission mit dem Europäischen Klimagesetz für 2050 ein Netto-Null-Ziel verfolgt, hält es der EWSA letztlich für erforderlich, CO2-Senken umfassend zu berücksichtigen. Hierzu wäre es folgerichtig, ab den Meilensteinen ein Netto-Null-Ziel zugrunde zu legen. Das ist jedoch nur möglich, wenn ein integriertes System mitsamt einer präzisen Berechnung der CO2-Emissionen und der CO2-Absorption sichergestellt wird.

2.4.

Der EWSA schließt sich der Schlussfolgerung der Kommission an, dass ein ehrgeizigeres Ziel der EU zur Verringerung der Treibhausgasemissionen bis 2030 von 55 % notwendig ist. Durch die Verringerung der Treibhausgasemissionen können die Lebensbedingungen und die Gesundheit verbessert, Arbeitsplätze geschaffen und die Energiekosten gesenkt werden, sofern die nötigen privaten und öffentlichen Investitionen in die richtige Richtung, nämlich in Richtung Nachhaltigkeit gelenkt und auch tatsächlich getätigt werden. Durch ehrgeizigere Klimaziele kann die EU auch zeigen, dass sie ihre globale Verantwortung ernst nimmt. Der EWSA hält es jedoch für wichtig und notwendig, rasch zu klären, wie das neue Ziel in diesem relativ kurzen Zeitraum bis 2030 erreicht werden kann.

2.5.

Darüber hinaus stellt er fest, dass keineswegs klar abzusehen ist, wie sich das bestehende und das neue Ziel für 2030 in sozialer und wirtschaftlicher Hinsicht im Einzelnen auf die Unionsbürgerinnen und -bürger sowie Unternehmen auswirken. Der EWSA erachtet es als sehr wichtig, die Bürgerinnen und Bürger und die Sozialpartner darüber zu informieren, wie diese Ziele erreicht werden können und was dies für ihre Arbeit und ihr tägliches Leben bedeutet. Dies ist entscheidend für die Akzeptanz sämtlicher anstehender Maßnahmen, die die europäischen Bürgerinnen und Bürger in den verschiedenen Mitgliedstaaten und Regionen unterschiedlich betreffen werden. Deshalb sollte durch geeignete Vorkehrungen für einen gerechten Ausgleich der damit verbundenen Risiken und Chancen gesorgt werden, um Gewissheit und Stabilität zu gewährleisten.

2.6.

Der EWSA empfiehlt der Kommission, den möglichen Folgen für einkommensschwache Bürger von Drittstaaten besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Die EU sollte negative Auswirkungen so weit wie möglich eindämmen. Die EU sollte die Umstellung dieser Länder auf Klimaneutralität unterstützen, zumal die Entwicklungsländer ihren Treibhausgasausstoß im Rahmen des Übereinkommens von Paris nach vernünftigem Ermessen erhöhen dürfen.

2.7.

Der EWSA stimmt mit der Kommission darin überein, dass die Pandemie, mit der wir derzeit konfrontiert sind, kein Argument dafür ist, die Bekämpfung des Klimawandels auszusetzen. Im Gegenteil: Die „beispiellose wirtschaftliche Reaktion Europas auf COVID-19 bietet eine einmalige Gelegenheit, den Übergang zu einer klimaneutralen Wirtschaft zu beschleunigen“, wie die Kommission schreibt. Um in dieser Situation möglichst wirksame Strategien entwickeln zu können, empfiehlt der EWSA der Kommission, in Anbetracht der derzeitig rückläufigen Treibhausgasemissionen eingehend die Funktionsweise der Marktstabilitätsreserve (EU-EHS) und des Lastenteilungsansatzes zu prüfen, um bislang ungenutzte Emissionsrechte einzuschränken.

2.8.

Ein entschlossenes unverzügliches Handeln zur Umsetzung des ehrgeizigeren Reduktionsziels für 2030 wird es den künftigen Generationen leichter machen, das Klimaneutralitätsziel 2050 auch tatsächlich zu erreichen, denn je weniger die EU in den nächsten zehn Jahren unternimmt, desto steiler und schwieriger wird der Zielpfad nach 2030. Der EWSA sieht daher den Vorschlägen zur Erreichung des 55 %-Ziels bis 2030 erwartungsvoll entgegen, die die Kommission bis spätestens Juni 2021 vorlegen wird. Er empfiehlt einen Ansatz mit einem vielfältigen Instrumentarium, das neben Rechtsvorschriften auch Finanzinstrumente wie die Benchmark-Verordnung und die Taxonomieverordnung umfasst. Es sollte genau geprüft werden, sie sich diese neuen Ansätze auswirken.

2.9.

Der EWSA stimmt der Kommission zu, dass „[wir …] die Ausgaben für den Aufbau mit ehrgeizigen Klimaschutzmaßnahmen kombinieren [müssen], um zu vermeiden, dass Gelder verschwendet werden und verlorene Vermögenswerte entstehen, sodass später noch mehr Mittel aufgewendet werden müssen“. Es muss sichergestellt werden, dass diese Investitionen tatsächlich im Sinne einer nachhaltigen bürgerorientierten Klimapolitik eingesetzt werden. Diese Frage wurde vom EWSA in seiner Entschließung zu seinen Vorschlägen für den Wiederaufbau und die wirtschaftliche Erholung nach der COVID-19-Krise bereits ausführlich behandelt (2).

2.10.

Als einen der Vorteile der Energiewende nennt die Kommission die geringere Abhängigkeit von der Einfuhr fossiler Brennstoffe (S. 6). Der EWSA möchte diesen Aspekt des internationalen Handels jedoch in vollem Umfang prüfen. Internationale Handelsabkommen und Wertschöpfungsketten müssen den Anforderungen der ökologischen und nachhaltigen Entwicklung gerecht werden und verbindliche Sorgfaltspflichten für Unternehmen vorschreiben. Der Europäische Rat äußerte sich dazu auf seiner jüngsten Tagung im Dezember wie folgt: „Die EU wird dafür sorgen, dass ihre Handelspolitik und ihre Handelsabkommen im Einklang mit ihren Klimazielen stehen“. Eine genaue Prüfung dieser Fragen ist höchst wünschenswert.

2.11.

Bei der Durchführung von Folgenabschätzungen sollte der Tatsache Rechnung getragen werden, dass die COVID-19-Krise nie da gewesene wirtschaftliche, soziale und ökologische Folgen hat, die wiederum die Wirkung der zu ergreifenden Klimaschutzmaßnahmen beeinflussen.

2.12

Der EWSA erachtet es als unabdingbar, in Verbindung mit dem ehrgeizigeren Emissionssenkungsziel für einen gut ausgestatteten Fonds für einen gerechten Übergang auf europäischer Ebene sowie für die Unterstützung der Bürger, Arbeitnehmer und Unternehmen bei der Anpassung an die bevorstehenden Veränderungen zu sorgen. Der EWSA bezweifelt, dass die 7,5 Mrd. EUR aus dem MFR und die 10 Mrd. EUR aus dem Aufbauinstrument „NextGenerationEU“ dafür ausreichen.

3.   Rechtsvorschriften

3.1.

Die Kommission will bis Juni 2021 die erforderlichen detaillierten Legislativvorschläge vorlegen. Der EWSA ersucht die gesetzgebenden Organe, diese Frist nicht zu überschreiten und das Gesetzgebungsverfahren bis Dezember 2021 abzuschließen, da andernfalls die Zeit zur Erreichung des für 2030 vorgegebenen Ziels zu knapp sein wird. Relativ einfache Änderungen der Verordnungen sind denkbar, wie etwa eine Anhebung des linearen Faktors zur Verringerung der Obergrenze im Rahmen des EU-EHS und eine prozentuale Verringerung der Emissionszertifikate pro Mitgliedstaat im Rahmen der Lastenteilungsverordnung.

3.2.

Eingedenk der Grundsätze eines gerechten Übergangs empfiehlt der EWSA, dass die Kommission der Aktualisierung von EU-Rechtsvorschriften zur Umstellung auf erneuerbare Kraftstoffe Vorrang einräumt. Die Mittel für eine direkte oder indirekte Subvention fossiler Brennstoffe, bspw. durch Steuerbefreiungen und -ermäßigungen, sollten für den beschleunigten Ausbau nachhaltiger Energieträger eingesetzt werden. In anderen Worten sollten, wie es im Übereinkommen von Paris (Art. 2) heißt, „die Finanzmittelflüsse in Einklang gebracht werden mit einem Weg hin zu einer hinsichtlich der Treibhausgase emissionsarmen und gegenüber Klimaänderungen widerstandsfähigen Entwicklung“. Diese Maßnahmen dürfen jedoch — wie ebenfalls im Übereinkommen von Paris (Art. 2 Abs. 1 Buchst. b) festgestellt wird — keinesfalls auf Kosten der Nahrungsmittelerzeugung gehen.

3.3.

Der EWSA befürwortet die von der Kommission beabsichtigte Einbeziehung aller Emissionen aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe in das EU-EHS, sofern hierdurch die Zuverlässigkeit des Systems nicht gefährdet wird (Überwachung, Berichterstattung und Überprüfung). Allerdings muss geprüft werden, inwieweit die Zahl der Emissionszertifikate reduziert werden muss (Senkung der Obergrenze), da das EU-EHS nur dann wirksam sein wird.

3.4.

Der EWSA begrüßt die Maxime der Schadensvermeidung (S. 5). Von diesem Ansatz geht die Kommission auch in ihrem Vorschlag für ein allgemeines Umweltaktionsprogramm der Union für die Zeit bis 2030 (Achtes Umweltaktionsprogramm) (COM(2020) 652 final) aus, in dem sie das Ziel vorgibt, dass „alle EU-Initiativen mit dem grünen Gebot ‚Verursache keine Schäden‘ vereinbar sind“. Dieses „Gebot“ beinhaltet „die Stärkung des integrierten Ansatzes für die Entwicklung und Umsetzung politischer Maßnahmen, insbesondere indem die Nachhaltigkeit durchgängig in alle einschlägigen Initiativen und Projekte auf nationaler und EU-Ebene einbezogen wird“. Der EWSA ist von der Notwendigkeit dieser durchgängigen Berücksichtigung und Integration im Hinblick auf ein ehrgeizigeres Klimaziel bis 2030 überzeugt, fragt sich indes, wie die Kommission dazu in der Praxis vorgehen will. Ferner fragt er sich, warum dieser Ansatz als „Grundsatz“ bezeichnet wird (in anderen Kommissionsvorlagen jedoch als „Gebot“) und in welchem Verhältnis dieser eventuelle „Grundsatz“ dann zu Artikel 11 AEUV und zu den in Artikel 191 AEUV verankerten Grundsätzen steht.

3.5.

Der Ausschuss bestärkt die Kommission in ihrer Absicht, im Zuge der Festlegung ehrgeizigerer EU-Klimaschutzziele und in Ermangelung vergleichbarer ehrgeizigerer Ziele ihrer Partner neben der Schaffung von Märkten für CO2-arme Produkte, der Förderung preislich wettbewerbsfähiger klimaneutraler Energieträger und Finanzierungsprogrammen ein CO2-Grenzausgleichssystem vorzuschlagen, um eine Verlagerung von CO2-Emissionen zu verhindern. Der Wirksamkeit und Zuverlässigkeit dieses Mechanismus und den Folgen seiner Anwendung für die Entwicklungsländer sollte Beachtung geschenkt werden. Sollten diese Maßnahmen die wirtschaftliche Entwicklung bestimmter Länder bremsen, sind Ausgleichsmaßnahmen wie ein Technologietransfer wünschenswert.

3.6.

Der EWSA ersucht die Kommission um aktuelle Informationen darüber, inwieweit die geltenden EU-Klimaschutz- und Energievorschriften eingehalten und diesbezügliche Verstöße verfolgt werden. Außerdem empfiehlt er der Kommission, auf ihrer Website klare Angaben darüber machen, inwieweit die Erneuerbare-Energien-Richtlinie und die Energieeffizienzrichtlinie von den Mitgliedstaaten eingehalten werden. Könnte die Kommission — mit Hilfe der EUA — jährlich einen umfassenden aktualisierten Überblick über die Wirksamkeit der geltenden Klimaschutz- und Energievorschriften (insgesamt) geben und darin auch Verstöße aufführen?

3.7.

Im Rahmen einer Folgenabschätzung sollten Möglichkeiten für die Verbesserung der Senkenwirkung von landwirtschaftlichen Flächen, Wäldern und Biomaterialien ausgelotet werden. Der Standpunkt des Parlaments zu Systemen für CO2-Gutschriften sollte so überarbeitet werden, dass darin die CO2-Entfernung einen höheren Stellenwert bekommt. Die Schaffung neuer Geschäftsmodelle dank marktbasierter Maßnahmen für eine klimaeffiziente Landwirtschaft und privat finanzierter Systeme für CO2-Gutschriften bietet die Möglichkeit, die Produktivität im Einklang mit den Klimaschutz-, Biodiversitäts- und Bodenfruchtbarkeitszielen nachhaltig zu steigern und die Gefahr der Wüstenbildung zu mindern. Zudem sollte das Eigentum an Senken und CO2-Gutschriften bei denjenigen liegen, die die erforderlichen Investitionen getätigt haben. Das können sowohl privatwirtschaftliche als auch öffentliche Akteure sein.

4.   Landwirtschaft

4.1.

Die Klimafolgenanpassung sollte verstärkt werden, und die EU sollte Anpassungsstrategien ausarbeiten und umsetzen. Die Anfälligkeit der Forst-, Agrar- und Lebensmittelsysteme gegenüber den negativen Auswirkungen des Klimawandels muss sich in den Anpassungsmaßnahmen widerspiegeln.

4.2.

Der europäische Grüne Deal, die Strategie „Vom Hof auf den Tisch“ und das Klimagesetz konzentrieren sich alle auf die Erreichung der Klimaneutralität bis 2050, wie vom EP, der Kommission und dem Rat gebilligt. Hierfür ist jedoch die Bereitstellung ausreichender Mittel im Rahmen des MFR, des GAP-Haushalts und des Aufbauinstruments „NextGenerationEU“ erforderlich. Andernfalls kann von den Landwirten nicht erwartet werden, dass sie das Notwendige tun, um die anvisierten Ziele zu erreichen. Wenn keine Mittel bereitgestellt werden können, müssen CO2-arme Produkte durch den Aufbau von CO2-Märkten einen Marktwert erhalten. Die Landwirte haben einen wichtigen Beitrag zu leisten und werden erforderlichenfalls eine Aufstockung der Mittel verlangen.

4.3.

Die derzeitige COVID-19-Krise zeigt, dass die Ernährungssicherheit in der EU nicht als selbstverständlich angesehen werden kann und dass bei den Klimaschutzzielen für 2030 der Nahrungsmittelerzeugung besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden muss. In der oben genannten Entschließung zur Erholung nach der COVID-19-Krise stellt der EWSA fest, dass „die Widerstandsfähigkeit und Nachhaltigkeit unseres Lebensmittelsystems [erhöht werden müssen]. Dazu müssen stärker diversifizierte Bewirtschaftungsmodelle aufgebaut, lokale Lebensmittelverteilungszentren und kürzere Lieferketten gefördert und der Marktzugang für Kleinbauern und umweltschonend arbeitende Fischer und Aquakulturerzeuger verbessert werden“. Gleichzeitig tragen nachhaltige Lebensmittelketten wesentlich dazu bei, die Ernährungssicherheit für eine wachsende Weltbevölkerung zu erhöhen.

4.4.

Nach Meinung des EWSA müssen die neuen Klimaziele für die Landwirtschaft im Rahmen des Aufbauinstruments „NextGenerationEU“ in dem delegierten Rechtsakt zur Taxonomie-Verordnung berücksichtigt werden, um eine lückenlose Umstellung zu ermöglichen. Der vorliegende Entwurf für einen delegierten Rechtsakt ist lediglich für die Förderung der Umstellung von Nischenproduktionen geeignet. Nur ein ganzheitlicher Wandel hin zu einer klimafreundlichen Landwirtschaft wird künftig einen nachhaltigen Lebensmittelsektor gewährleisten. Der Wandel muss durch verstärkte nachhaltige Investitionen und Unterstützungsmaßnahmen in der Lebensmittelversorgungskette gefördert werden. Voraussetzung für die Erreichung der Klimaziele sind einfache, kosteneffiziente und leicht durchführbare Maßnahmen wie die Nutzung von Biogasanlagen, die Bewirtschaftung von Wasserressourcen und Emissionsreduktionsgutschriften (Anpflanzung von Hecken, CO2-Speicherung im Boden).

4.5.

Der EWSA befürwortet einen EU-Rahmen für CO2-Gutschriftsysteme, der als Leitschnur für die Ansteuerung der Klimaziele dienen kann, wie es im EP-Bericht zum Klimagesetz heißt. CO2 muss auch in der Bioökonomie seinen Preis haben. Darüber hinaus sollten Forschung und Innovation gefördert werden, um technische und nachhaltige Lösungen für eine größtmögliche Verringerung der Treibhausgasemissionen und eine stärkere Kohlenstoffbindung in der Landwirtschaft zu finden.

4.6.

Derzeit werden die Methanemissionen nicht gemäß den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen verbucht. Zur Bewertung der Klimaauswirkungen der Nahrungsmittelerzeugung müssen unbedingt die aktuellsten wissenschaftlichen Methoden angewandt werden. Bei einer Reduktion der Emissionen auf netto null bis 2050 müssen die Klimaauswirkungen von Methan berücksichtigt werden, einem kurzlebigen Treibhausgas, dessen Emissionen nicht auf netto null gebracht werden müssen, um Klimaneutralität zu erreichen oder keine zusätzliche Erwärmung zu bewirken.

4.7.

Im Agrarsektor muss eine angemessene Finanzierung von Forschung und Innovation im Bereich Klimaschutz und Klimafolgenanpassung hohe Priorität haben. Investitionen in innovative Verfahren und kosteneffiziente nachhaltige Produktionstechnologien und -methoden müssen durch entsprechende Anreize gefördert werden, um die Treibhausgasemissionen zu verringern und gleichzeitig mit Blick auf eine ausgewogene Ernährung der Bevölkerung ausreichend Handlungsspielraum zur Verbesserung des Viehwirtschaftspotenzials der EU zu bewahren. In Zukunft wird die Notwendigkeit, die Wasserressourcen zu bewirtschaften und Ackerflächen zu bewässern, nur noch zunehmen. Neue Investitionen sollten in Systeme gelenkt werden, die effizienter arbeiten und Wasserverschmutzung vermeiden.

4.8.

Wenn die Klimaziele erreicht werden sollen, müssen neue Technologien und Innovationen berücksichtigt werden. Die Lebensmittelversorgungskette der EU ist unter Klimaschutzgesichtspunkten bereits jetzt international konkurrenzfähig. Die Förderung von Klimaschutz und Klimaresilienz in diesem Sektor führen zu einer weiteren Verbesserung der CO2-Bilanz der europäischen Nahrungsmittelproduktion. In diesem Zusammenhang sind bspw. neue Zuchttechniken, die Verlagerung der Produktion von tierischen auf pflanzliche Proteine, intelligente und digitale Agrartechnologien und Innovationen der Schlüssel zu einem widerstandsfähigen Lebensmittelsystem in der EU.

4.9.

Der EWSA fordert ein spezielles EU-Bioökonomie-Programm, mit dem Investitionen gefördert und gemeinschafts- und betriebsbasierte Lieferketten geschaffen werden. Die Förderung von Synergien zwischen erneuerbaren Energien durch Biogaserzeugung und Dungbewirtschaftung ist von größter Bedeutung für eine dezentrale Erzeugung erneuerbarer Energie, mit der auch die Existenzgrundlagen im ländlichen Raum verbessert werden.

5.   Industrie, Materialien, Energie und Verkehr

5.1.

Der EWSA begrüßt die Schlussfolgerung aus der Folgenabschätzung, dass eine Verringerung der Treibhausgasemissionen um 55 % bis 2030 die EU nicht nur auf einen festen Kurs in Richtung Klimaneutralität setzen, sondern auch die Unternehmen und Industrie in der EU weltweit zu Wegbereitern machen würde. Dazu gehört auch eine nachhaltige Stahlerzeugung mit Hilfe von Wasserstoff statt Kohle, sofern der Wasserstoff mit nachhaltigem Strom gewonnen wird. Vor Kurzem wurde zu diesem Zweck eine erste Pilotfabrik in Schweden eröffnet.

5.2.

Wie er bereits in früheren Stellungnahmen deutlich machte, z. B. in der vor Kurzem verabschiedeten Stellungnahme „Zwischen transeuropäischem Supernetz und lokalen Energieinseln“, hält es der EWSA für sehr wichtig, die Energiewende nicht nur als eine Frage der Technik zu sehen, sondern als eine zutiefst soziale sowie politische Herausforderung. Nicht nur die Unternehmen, sondern auch die Beschäftigten, die Gewerkschaften und die Verbraucherinnen und Verbraucher müssen an der Energiewende teilhaben, wie es die Politik versprochen und der EWSA mit Nachdruck eingefordert hat. Doch Kommission und Mitgliedstaaten lassen auch hier mehr Fragen offen als sie beantworten. Mehr noch: Die derzeitigen energiepolitischen Initiativen werden eine breite Beteiligung der Allgemeinheit eher verhindern als fördern. Denn die europäische Energiewende braucht vor allem Investitionssicherheit — für die öffentliche Hand wie für private Akteure. Diese kann nur durch klare Grundsatzentscheidungen erreicht werden.

5.3.

Der Ausschuss unterstützt die Position der Kommission, die sie in ihrer Mitteilung „Eine EU-Strategie zur Integration des Energiesystems“ darlegt, nämlich dass eine Integration des Elektrizitätssystems mit dem Wärme- und Verkehrssystem unabdingbar ist, um das Ziel der Klimaneutralität, das Ziel der Versorgungssicherheit, zu der auch die Verringerung von Energieimporten gehört, und das Ziel von erschwinglichen Preisen für die europäischen Verbraucher und die europäische Wirtschaft zu erreichen. Es liegt auf der Hand, dass in den kommenden Jahren ausreichende öffentliche und private Finanzmittel bereitgestellt werden müssen, damit die notwendigen Investitionen getätigt werden können.

5.4.

Hinsichtlich der wirtschafts- und sozialpolitischen Folgen erneuert der EWSA seine Position, dass dezentrale Energiesysteme wichtige Impulse für die regionale Entwicklung geben und die Schaffung neuer, hochwertiger und qualifizierter Arbeitsplätze in den Regionen bewirken können.

5.5.

Wie die Kommission ist auch der EWSA der Meinung, dass im Gebäudesektor, auf den derzeit 40 % des Endenergieverbrauchs und 36 % der Treibhausgasemissionen in der EU entfallen, ein großes Potenzial für kosteneffiziente Emissionsreduktionen besteht. In seiner Stellungnahme zu der Mitteilung Eine Renovierungswelle für Europa — umweltfreundlichere Gebäude, mehr Arbeitsplätze und bessere Lebensbedingungen wird er hierauf näher eingehen.

5.6.

Der EWSA begrüßt den Standpunkt der Kommission (S. 18), dass der Luft- und der Seeverkehr unter die im Rahmen des Übereinkommens von Paris erforderlichen gesamtwirtschaftlichen Maßnahmen fallen. Diese weltumspannenden Verkehrsträger sind neben einigen Industriezweigen gegenwärtig noch am weitesten davon entfernt, neue, nichtfossile Kraftstoffe auf kosteneffiziente Weise zu verwenden, auch wenn es aussichtsreiche Erprobungen gibt. Darüber hinaus ist die Regulierung des Luft- und Seeverkehrs durch einzelstaatliche oder europäische Rechtsvorschriften schwierig, und ein Großteil ihrer Emissionen wird außerhalb der EU ausgestoßen. Angesichts dessen, dass die durch den internationalen EU-See- und Luftverkehr verursachten Emissionen seit 1990 um mehr als 50 % gestiegen sind, unterstützen wir das Bemühen der Kommission, nach konstruktiven Wegen zur Einbeziehung dieser beiden Sektoren in die Klimapolitik der EU zu suchen. Der Luftverkehr innerhalb der und zwischen den EU-Mitgliedstaaten ist bereits Teil des europäischen Emissionshandelssystems, und die Kommission prüft derzeit, ob die Schifffahrt auf die gleiche Weise in das EHS aufgenommen werden könnte. Was die Emissionen außerhalb des EU-Gebiets anbetrifft, so unterstützen wir die Absicht der Kommission, aktiv an der Arbeit von UN-Organisationen wie der IMO und der ICAO mitzuwirken, um wirksame, verbindliche globale Regelungen zur Emissionsminderung zu finden.

5.7.

Der Ausschuss begrüßt die vor Kurzem von der Kommission vorgelegte Strategie für eine nachhaltige und intelligente Mobilität, denn der Verkehrssektor hinkt bei der Emissionsminderung hinterher. Trotz effizienterer Fahrzeuge und der Einführung schadstoffarmer Kraftstoffe und Motoren sind die Emissionen aus dem Straßenverkehr seit 1990 um mehr als ein Viertel gestiegen, in erster Linie wegen der Zunahme der Verkehrsnachfrage. Die Strategie umfasst ein breites Spektrum an Aktionen und Initiativen, die nötig sind, um sich schneller aus der Abhängigkeit von fossilen Kraftstoffen zu lösen und die Umstellung auf eine nachhaltige Mobilität zu bewerkstelligen. Die Einbindung der Bürger ist für einen intelligenten Übergang von grundlegender Bedeutung, denn Autos waren und sind Symbole von Freiheit.

5.8.

Die in der Land- und Forstwirtschaft dank biogener Quellen erzielten Einsparungen von Treibhausgasemissionen müssen in vollem Umfang berücksichtigt werden, um die Senkenwirkung von Bioenergie und Biomaterialien vollständig zu erfassen. Durch den Ersatz fossiler Brennstoffe und Materialien können — je nach den Auswirkungen auf die Emission von fossilem CO2 und auf andere Bereiche — Emissionseinsparungen von mehr als 100 % erzielt werden.

6.   Beteiligung der Öffentlichkeit, Bürger und Verbraucher

6.1.

Der EWSA unterstützt nachdrücklich die Aussage der Kommission, dass die Bürgerinnen und Bürger „wichtige Partner bei der Bekämpfung des Klimawandels [sind] und diese durch politische Mobilisierung und durch ihre Entscheidungen als Verbraucher unterstützen [können]“, da seines Erachtens die aktive Beteiligung „aller Teile der Gesellschaft“ eine notwendige Voraussetzung für den Erfolg der Klimapolitik in der EU ist, denn es sind die Akteure der Zivilgesellschaft (Unternehmen, Arbeitnehmer, Verbraucher und Bürger sowie ihre Organisationen), die die Klimaziele in die Praxis umsetzen.

6.2.

Der EWSA begrüßt daher, dass die Europäische Kommission am 29. Oktober öffentliche Konsultationen eingeleitet hat, um Meinungen zu den Maßnahmen einzuholen, die für ein ehrgeizigeres Emissionsreduktionsziel für 2030 notwendig sind.

6.3.

Deshalb bekräftigt er den in seiner Stellungnahme zum Klimapakt unterbreiteten Vorschlag, eine Plattform der Interessenträger für den europäischen Klimapakt einzurichten, um die aktive Beteiligung aller Teile der Gesellschaft zu organisieren und zu erleichtern (3).

6.4.

Der EWSA ist der Ansicht, dass den einkommensschwächeren Bürgerinnen und Bürgern besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte. Sie stehen häufig Umstellungen im Energiebereich misstrauisch gegenüber, weil sie eine Steigerung der Lebenshaltungskosten befürchten. Deshalb ist folgende Feststellung der Kommission so wichtig: „Zur Vermeidung negativer Auswirkungen auf schutzbedürftige Verbraucher sind sozialpolitische Maßnahmen und Maßnahmen zur Verbesserung der Energieeffizienz wichtig, um die Modernisierung ihrer Wohnhäuser zu fördern und die Folgen für die Heiz- und Stromkosten zu begrenzen.“ In seiner Stellungnahme zu der Mitteilung Eine Renovierungswelle für Europa — umweltfreundlichere Gebäude, mehr Arbeitsplätze und bessere Lebensbedingungen (4) wird der EWSA hierauf näher eingehen.

6.5.

Der EWSA fordert außerdem, entsprechend der Empfehlung der Kommission vom 14. Oktober 2020 zu Energiearmut (C(2020) 9600 final (5)) zur besseren Erfassung von Energiearmut zunächst gemeinsame Definitionskriterien und Indikatoren auf europäischer Ebene einzuführen. Um diese Definition den unterschiedlichen nationalen Gegebenheiten anzupassen, müssen die Mitgliedstaaten mehr statistische Instrumente entwickeln, die eine wirksame Ausrichtung auf prekäre Haushalte ermöglichen.

6.6.

Wie die Kommission ist der EWSA der Ansicht, dass die erneuerbaren Energien zu einer starken Dezentralisierung führen werden: Verbraucher werden sich besser einbringen, Prosumenten selbst Energie erzeugen, nutzen und weitergeben und lokale und insbesondere ländliche Gemeinschaften sich für lokale Investitionen in erneuerbare Energien einsetzen können. Im Zusammenhang mit den erneuerbaren Energien werden auch neue Arbeitsplätze vor Ort entstehen. Der EWSA weist jedoch darauf hin, dass den legitimen Bedenken der Bürgerinnen und Bürger hinsichtlich bspw. der Störung des Landschaftsbilds oder der Beeinträchtigung ihrer Freude am Leben Rechnung getragen werden muss. Diesen Bedenken kann durch eine aktive Einbeziehung und direkte Vorteile aus dem finanziellen und/oder energetischen Ertrag der geplanten Erneuerbare-Energien-Anlagen entgegengewirkt werden. Ferner muss sichergestellt werden, dass neue Beschäftigungsmöglichkeiten Arbeitsplätze mit angemessenen Löhnen und guten Arbeitsbedingungen mit sich bringen.

6.7.

Die Kommission fordert zu Recht, dass die Umstellung der europäischen Wirtschaft mit Investitionen in Maßnahmen zur Umschulung, Weiterbildung und ständigen Fortbildung zahlreicher Berufsgruppen einhergehen muss. Der EWSA betont, dass es wünschenswert ist, dass junge Menschen wieder den Beruf des Landwirts ergreifen, da die Überalterung in der Landwirtschaft eine langfristige Bedrohung für eine nachhaltige Nahrungsmittelversorgung darstellt. Auf europäischer und nationaler Ebene sind gute Rahmenbedingungen und finanzielle Mittel erforderlich.

Brüssel, den 27. Januar 2021

Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Christa SCHWENG


(1)  ABl. C 364 vom 28.10.2020, S. 143.

(2)  ABl. C 311 vom 18.9.2020, S. 1.

(3)  ABl. C 364 vom 28.10.2020, S. 67.

(4)  COM(2020) 662 final.

(5)  https://ec.europa.eu/transparency/regdoc/rep/3/2020/DE/C-2020-9600-F1-DE-MAIN-PART-1.PDF.


9.4.2021   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 123/66


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1367/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. September 2006 über die Anwendung der Bestimmungen des Übereinkommens von Århus über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten auf Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft“

(COM(2020) 642 final — 2020/0289 (COD))

(2021/C 123/10)

Berichterstatter:

Arnaud SCHWARTZ

Mitberichterstatterin:

Isabel CAÑO AGUILAR

Befassungen

Europäisches Parlament, 19.10.2020

Rat, 20.10.2020

Rechtsgrundlage

Artikel 192 Absatz 1 und Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Beschluss des Plenums

28.10.2020

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umwelt

Annahme in der Fachgruppe

11.1.2021

Verabschiedung auf der Plenartagung

27.1.2021

Plenartagung Nr.

557

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

254/2/7

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialauschuss (EWSA) begrüßt den Vorschlag der Kommission (1), den in der Århus-Verordnung (2) vorgesehenen Mechanismus der internen Überprüfung zu stärken, und würdigt dessen Potenzial.

1.2.

Der EWSA unterstützt die vier in der Kommissionsmitteilung genannten vorrangigen Maßnahmen: Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur vollständigen und korrekten Umsetzung der sich aus dem Sekundärrecht der EU ergebenden Anforderungen für den Zugang zu Gerichten, Notwendigkeit von Bestimmungen über den Zugang zu Gerichten in von den gesetzgebenden Organen erlassenen neuen und überarbeiteten EU-Rechtsvorschriften über Umweltangelegenheiten, Überprüfung nationaler Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die den Zugang zu Gerichten behindern oder erschweren, durch die jeweiligen Mitgliedstaaten und Verpflichtung der nationalen Gerichte, das Recht von Einzelpersonen und NRO auf einen wirksamen Rechtsbehelf im Rahmen des EU-Rechts zu gewährleisten.

1.3.

Der EWSA weist die Kommission jedoch darauf hin, dass ihr Vorschlag Schlupflöcher aufweist, die Behörden nutzen könnten, um sich ihrer Rechenschaftspflicht zu entziehen.

1.4.

So lehnt der EWSA etwa den Vorschlag der Kommission ab, EU-Akte, die nationale Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen, auszunehmen, weil dies dazu führen könnte, dass der Kommissionsvorschlag völlig wirkungslos oder weniger wirksam wird.

1.5.

Der EWSA ist zudem besorgt, dass viele, wenn nicht gar die meisten EU-Akte und Unterlassungen keiner internen Überprüfung unterliegen würden, wenn die Organisationen der Zivilgesellschaft eine Überprüfung erst nach dem Erlass der Durchführungsmaßnahmen vornehmen dürften.

1.6.

Der EWSA stellt fest, dass nicht rechtsverbindliche EU-Akte entgegen den von der Kommission vorgebrachten Argumenten durchaus erhebliche Auswirkungen sowohl auf die Umsetzung von EU-Rechtsvorschriften als auch auf deren Auslegung durch den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) haben können.

1.7.

Die Sozialpartner sind wesentliche Akteure in Umweltfragen. Der EWSA fordert deshalb nachdrücklich, dass ihre Rechte in Bezug auf den Zugang zu Gerichten ausdrücklich erwähnt werden.

1.8.

Der EWSA betont, dass die neue Verordnung eine interne Überprüfung der Beihilfeentscheidungen der Kommission ermöglichen sollte.

1.9.

Der EWSA ist der Auffassung, dass zivilgesellschaftliche Organisationen vor zusätzlichen Belastungen (etwa zusätzlichen Kosten und Verwaltungsaufwand) sowohl auf nationaler wie auf europäischer Ebene geschützt werden müssen, damit eine gerichtliche Überprüfung in der Praxis auch möglich ist.

2.   Hintergrund

2.1.   Das Übereinkommen von Århus und der Legislativvorschlag der Kommission

2.1.1.

Das Übereinkommen der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa (UNECE) über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten („Übereinkommen von Århus“) wurde am 25. Juni 1998 angenommen (3). In dem Übereinkommen ist eine Reihe von Rechten der Öffentlichkeit (Einzelpersonen und deren Vereinigungen) im Umweltbereich festgelegt. Es umfasst drei Säulen:

das Recht aller auf Zugang zu Umweltinformationen von Behörden („Zugang zu Informationen über die Umwelt“). Das kann Informationen über den Zustand der Umwelt umfassen, aber auch über Strategien oder getroffene Maßnahmen oder über den Zustand der menschlichen Gesundheit und Sicherheit, soweit dieser durch die Umweltverhältnisse beeinträchtigt wird. Interessenten sollten diese Informationen innerhalb eines Monats nach der Antragstellung und ohne Angabe von Gründen erhalten. Darüber hinaus sind die öffentlichen Behörden laut Übereinkommen verpflichtet, in ihrem Besitz befindliche Umweltinformationen aktiv zu verbreiten;

das Recht auf Beteiligung an Entscheidungsverfahren in Umweltangelegenheiten. Die Behörden müssen Vorkehrungen treffen, um es der Öffentlichkeit und nichtstaatlichen Umweltorganisationen zu ermöglichen, bspw. ihre Meinung zu Vorschlägen für Projekte mit Umweltauswirkungen oder zu umweltbezogenen Plänen und Programmen zu äußern, diese Meinungen bei der Entscheidungsfindung gebührend zu berücksichtigen und Informationen über die endgültigen Entscheidungen und die Gründe dafür bereitzustellen („Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungen in Umweltangelegenheiten“);

das Recht auf Überprüfung, um öffentliche Entscheidungen anfechten zu können, die unter Missachtung der beiden vorgenannten Rechte oder der Umweltvorschriften im Allgemeinen getroffen wurden („Zugang zu Gerichten“).

2.1.2.

Die EU ist Vertragspartei des Übereinkommens von Århus. Die 2006 verabschiedete Århus-Verordnung (4) trägt zur Erfüllung der Verpflichtungen der EU-Organe und -Einrichtungen aus dem Übereinkommen bei.

2.1.3.

In der Mitteilung über den europäischen Grünen Deal (5) sagte die Kommission zu, „eine Überarbeitung der Århus-Verordnung ins Auge [zu] fassen, um Bürgerinnen und Bürgern sowie nichtstaatlichen Organisationen‚ die Bedenken hinsichtlich der Rechtmäßigkeit von Entscheidungen mit Auswirkungen auf die Umwelt haben, den Zugang zur administrativen und gerichtlichen Überprüfung auf EU-Ebene zu erleichtern“ und „Maßnahmen [zu] ergreifen, um deren Zugang zur Justiz vor nationalen Gerichten in allen Mitgliedstaaten zu verbessern“.

2.1.4.

Am 14. Oktober 2020 nahm die Europäische Kommission einen Legislativvorschlag zur Änderung der Århus-Verordnung (6) an. Hiermit soll „die Umsetzung des Übereinkommens von Århus verbessert“ werden, indem der Mechanismus der internen Überprüfung geändert wird, „damit NRO ihn in Bezug auf Verwaltungsakte und Unterlassungen von Organen und Einrichtungen der EU in Anspruch nehmen können“.

2.1.5.

Die Europäische Kommission betont in ihrem Vorschlag auf der Grundlage der Urteile des EuGH zur Relevanz des Übereinkommens von Århus in der Rechtsordnung der EU, dass Gerichts- oder Verwaltungsverfahren betreffend den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten „im Wesentlichen“ dem Recht der Mitgliedstaaten unterliegen. Daher ergänzt jede Verbesserung des Zugangs zur verwaltungsbehördlichen und gerichtlichen Überprüfung auf EU-Ebene den Zugang zu Gerichten in EU-Umweltangelegenheiten in den Mitgliedstaaten.

2.1.6.

Die nationalen Gerichte sind nach Artikel 9 Absätze 2 und 3 des Übereinkommens auch bei der Durchführung des Umweltrechts der EU verpflichtet, Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten zu gewähren. Wenn die betreffenden NRO jedoch auf nationaler Ebene Mängel bei den erlassenen Verwaltungsverfahren feststellen, sollten sie sich zunächst an das zuständige nationale Gericht des Mitgliedstaats wenden. Daraufhin erhalten sie auch Zugang zum EuGH im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens nach Artikel 267 AEUV. Dabei kann es auch um die Gültigkeit von Akten der EU-Organe gehen.

2.2.   Wesentlicher Inhalt des Kommissionsvorschlags

2.2.1.

Mit den von der Kommission vorgeschlagenen Änderungen sollen insbesondere die Möglichkeiten der im Umweltbereich tätigen NRO erweitert werden, bei den EU-Organen die Überprüfung von Akten zu beantragen, wenn sie der Auffassung sind, dass sie gegen das EU-Umweltrecht verstoßen könnten.

2.2.2.

Dies dürfte die Offenheit und Rechenschaftspflicht im Umweltschutz verbessern und zu größerer Transparenz sowie einer wirksameren Verfolgung der EU-Umweltziele und somit zur Erreichung der systemischen gesellschaftlichen Veränderungen beitragen, die der europäische Grüne Deal erfordert.

2.2.3.

Mit dem Vorschlag wird die Verordnung (EG) Nr. 1367/2006 geändert, die 2006 nach der Ratifizierung des Übereinkommens von Århus durch die EU im Jahr 2005 vom Europäischen Parlament und vom Rat angenommen wurde.

2.2.4.

Im Jahr 2017 stellte der Ausschuss für die Einhaltung des Übereinkommens von Århus fest, dass die EU ihren Pflichten hinsichtlich des Zugangs zu Gerichten in Umweltangelegenheiten nicht nachgekommen war. Mit dem Legislativvorschlag der Kommission soll nun darauf reagiert werden.

2.2.5.

Der Legislativvorschlag wird von der Kommission zusammen mit einer Mitteilung (7) vorgelegt, die darauf abzielt, Einzelpersonen und NRO in den EU-Mitgliedstaaten den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten zu erleichtern.

2.2.6.

Die nationalen und lokalen Behörden treffen bei der Anwendung der EU-Umweltvorschriften viele wichtige Entscheidungen, z. B. bei der Erteilung von Genehmigungen für Infrastrukturprojekte oder Industrieanlagen, die zu Umwelt-, Boden-, Luft- oder Wasserverschmutzung führen können.

2.2.7.

Auch bei diesen Entscheidungen sollte die öffentliche Kontrolle verbessert werden. Die Kommission wird Maßnahmen wie Ausbildungsprogramme, Informationsaustausch und Kapazitätsaufbau ergreifen, um die Mitgliedstaaten bei der Verbesserung ihrer Systeme zu unterstützen, ist aber auch bereit, bei Verstößen gegen EU-Vorschriften rechtliche Schritte einzuleiten.

2.3.   Nächste Schritte

2.3.1.

Nun folgen die Verhandlungen über den Kommissionsvorschlag und dessen Annahme durch das Europäische Parlament und den Rat. Die Kommission wird konstruktiv mit beiden Organen zusammenarbeiten, um die Annahme der überarbeiteten Århus-Verordnung noch vor der Tagung der Vertragsparteien des Übereinkommens von Århus im Oktober 2021 zu ermöglichen.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Der EWSA verweist auf die Schlussfolgerungen seiner früheren Stellungnahme zum Thema Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten (8). Darin

3.1.1.

erkennt er an, dass ein EU-weit einheitlicher Anspruch auf Zugang zur Justiz wesentliche Voraussetzung für einen funktionierenden Binnenmarkt und für die harmonisierte EU-weite Durchsetzung von Rechten nach EU-Recht ist und den Märkten und Investoren die notwendige Klarheit und Rechtssicherheit bietet;

3.1.2.

befürwortet er das Übereinkommen von Århus und seine umfassende Umsetzung durch die und innerhalb der EU. Es ist deshalb nach wie vor entscheidend, dass die Feststellungen des von den Vertragsparteien eingesetzten unabhängigen Ausschusses für die Einhaltung des Übereinkommens von Århus zur Regelkonformität von den Vertragsparteien uneingeschränkt anerkannt werden;

3.1.3.

fordert er angesichts der weltweiten Drangsalierung und Verfolgung von Umweltschützern die EU auf, mit gutem Beispiel vorangehen, um den Zugang zu Gerichten zu erleichtern;

3.1.4.

stellt er fest, dass gemeinsam mit im Umweltbereich tätigen NRO und der Zivilgesellschaft im Rahmen eines übergreifenden und ehrgeizigen Ansatzes geklärt werden muss, wie und wo die EU die Umsetzung des Übereinkommens und des Zugangs zu den Gerichten in den und seitens der EU-Organe verbessern kann. Es sollte auch erwogen werden, parallel und ergänzend ein Konzept für die Einhaltung der Vorschriften für den Zugang zu Gerichten in den und seitens der EU-Organe zu erarbeiten und durch einschlägige Leitfäden und praktische Maßnahmen zu begleiten.

3.2.

Der EWSA verweist außerdem auf den in seiner Stellungnahme zu dem Aktionsplan der EU für einen besseren Vollzug des Umweltrechts und eine bessere Umweltordnungspolitik (9) geäußerten Standpunkt, dass die gegenwärtigen Missstände das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Wirksamkeit des EU-Rechts untergraben, und fordert die Mitgliedstaaten und die Europäische Kommission auf, umfangreiche Finanzmittel zu mobilisieren, um zusätzliches Personal zur Überwachung der Durchführung der Umweltordnungspolitik und des Umweltrechts einzustellen.

3.3.

Unter Verweis auf seine Stellungnahme Eine konstruktivere Rolle für die Zivilgesellschaft bei der Umsetzung von Umweltvorschriften (10) fordert der EWSA die Kommission erneut auf:

3.3.1.

den Zugang der Zivilgesellschaft zur Justiz zu verbessern, z. B. indem zivilgesellschaftliche Organisationen das Recht erhalten, den Europäischen Gerichtshof anzurufen, sowie durch Ernennung von Fachrichtern und Fachstaatsanwälten auf EU-, nationaler und regionaler Ebene;

3.3.2.

Einzelpersonen die Möglichkeit zu geben, den Europäischen Gerichtshof direkt anzurufen (wie beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) der Fall), wenn die Umsetzung von EU-Recht in nationales Recht gefährdet ist und der nationale Rechtsweg ausgeschöpft ist;

3.3.3.

eine Art einstweilige Verfügung für Umweltangelegenheiten, die keine Notfälle sind, in Betracht zu ziehen, an die sich die Mitgliedstaaten halten müssen, sodass bis zu einer erstinstanzlichen Gerichtsentscheidung die betreffenden Arbeiten ausgesetzt werden müssen, wenn eine unmittelbare Bedrohung für die Umwelt besteht;

3.3.4.

einen entsprechenden Mechanismus einzurichten, damit für Umweltvergehen gezahlte Strafgelder in Maßnahmen investiert werden, die auf den Umweltschutz gerichtet sind.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.

Der EWSA begrüßt den Vorschlag der Kommission, den in der Århus-Verordnung vorgesehenen Mechanismus der internen Überprüfung zu stärken, und erkennt dessen Potenzial an.

4.2.

Der EWSA unterstützt die vier in der Kommissionsmitteilung genannten vorrangigen Maßnahmen: Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur vollständigen und korrekten Umsetzung der sich aus dem Sekundärrecht der EU ergebenden Anforderungen für den Zugang zu Gerichten, Notwendigkeit von Bestimmungen über den Zugang zu Gerichten in von den gesetzgebenden Organen erlassenen neuen und überarbeiteten EU-Rechtsvorschriften über Umweltangelegenheiten, Überprüfung nationaler Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die den Zugang zu Gerichten behindern oder erschweren, durch die jeweiligen Mitgliedstaaten und die Verpflichtung der nationalen Gerichte, das Recht von Einzelpersonen und NRO auf einen wirksamen Rechtsbehelf im Rahmen des EU-Rechts zu gewährleisten.

4.3.

Der EWSA betont jedoch, dass diese Maßnahmen weder einen angemessenen Zugang zum EuGH im Wege des Antrags auf interne Überprüfung noch die notwendige horizontale Richtlinie zur Regelung des Zugangs zu Gerichten auf Mitgliedstaatsebene ersetzen können.

4.4.

Der EWSA teilt die Auffassung der Kommission, dass die Umsetzung und Durchsetzung des EU-Umweltrechts durch die Mitgliedstaaten und die EU-Organe gestärkt werden muss, damit die Ziele und Versprechen des Grünen Deals eingelöst werden können.

4.5.

Der EWSA macht die Kommission daher eindringlich auf die problematischen Schlupflöcher in dem Vorschlag aufmerksam, die Behörden nutzen könnten, um sich ihrer Rechenschaftspflicht zu entziehen.

4.6.

Der EWSA weist die Kommission darauf hin, dass die Organisationen der Zivilgesellschaft, einschließlich der Sozialpartner, von der EU wirksame Durchsetzungsmechanismen fordern, die es ihnen ermöglichen, EU-Organe zur Rechenschaft zu ziehen, die die Ziele im Umwelt- und Gesundheitsschutz nicht umsetzen.

4.7.

Der EWSA ist der Auffassung, dass dieser Vorschlag ohne entsprechende Änderungen weder zur Rechenschaftspflicht der EU-Institutionen noch zur Erfüllung der völkerrechtlichen Verpflichtungen der EU beitragen wird.

4.8.

Der EWSA lehnt den Vorschlag der Kommission ab, EU-Akte, die nationale Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen, auszunehmen. Dies könnte in der Tat dazu führen, dass der Kommissionsvorschlag völlig wirkungslos oder weniger wirksam wird.

4.9.

Da häufig unklar ist, welche Rechtsakte der EU Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen werden, ist der EWSA der Ansicht, dass Verzögerungen und Rechtsunsicherheit vermieden werden könnten, wenn die Organisationen der Zivilgesellschaft laut Vorschlag die Überprüfung dieser Akte bereits vor Erlass der Durchführungsmaßnahmen beantragen dürften. Der EWSA befürchtet, dass der Vorschlag in seiner aktuellen Fassung viele, wenn nicht gar die meisten Akte und Unterlassungen der EU einer internen Überprüfung entziehen würde. Der EWSA betont in diesem Zusammenhang, dass der Zugang zu den nationalen Gerichten im Wege eines Vorabentscheidungsverfahrens keinen Ersatz für den Zugang zum Mechanismus der internen Überprüfung darstellt.

4.10.

Der EWSA ist der Auffassung, dass die Definition von Verwaltungsakten an die langjährige Rechtsprechung des EuGH angepasst werden sollte, damit alle rechtsverbindlichen Akte unter den Mechanismus der internen Überprüfung fallen, einschließlich vorbereitender Rechtsakte, die die Grundlage für Verordnungen bilden, was im Einklang mit dem Vorsorgeprinzip stehen würde, das von grundlegender Bedeutung in Umweltrechtsstreitigkeiten ist.

4.11.

Der EWSA ist auch der Auffassung, dass die Definition von Verwaltungsakten, die der verwaltungsbehördlichen und gerichtlichen Überprüfung unterliegen, nicht erschöpfend ist und insofern ausdrücklich präzisiert werden sollte, dass alle Verwaltungsakte, die die Umwelt betreffen, überprüft werden können.

4.12.

Der EWSA ist auch der Auffassung, dass nicht rechtsverbindliche EU-Akte erhebliche Auswirkungen sowohl auf die Umsetzung von EU-Rechtsvorschriften als auch auf deren Auslegung durch den EuGH haben können. Derartige Akte sollten deshalb auch einer internen Überprüfung unterliegen.

4.13.

Der EWSA betont außerdem, dass der Vorschlag auch eine interne Überprüfung der Beihilfeentscheidungen der Kommission ermöglichen sollte. Wie der EuGH (11) bestätigt hat, muss die Kommission bei Entscheidungen über staatliche Beihilfen das EU-Umweltrecht einhalten, weshalb es wichtig ist, dass diese Entscheidungen von zivilgesellschaftlichen Organisationen angefochten werden können, wenn sie der Ansicht sind, dass die Kommission diese Anforderung nicht erfüllt hat.

4.14.

Der EWSA ist der Auffassung, dass zivilgesellschaftliche Organisationen vor zusätzlichen Belastungen (etwa zusätzlichen Kosten und Verwaltungsaufwand) sowohl auf nationaler wie auf europäischer Ebene geschützt werden müssen, damit eine gerichtliche Überprüfung in der Praxis auch möglich ist.

4.15.

In der Århus-Verordnung sollte festgelegt werden, dass sich die gerichtliche Überprüfung einer im Zuge einer internen Überprüfung getroffenen Entscheidung durch den EuGH auf die materiell- und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit der Entscheidung erstrecken muss.

4.16.

Der EWSA betont, dass eine kohärente Regelung insofern nötig ist, als Verfahrensfristen für die verwaltungsbehördliche bzw. gerichtliche Überprüfung erst ab dem Zeitpunkt gelten, zu dem der Inhalt des angefochtenen Verwaltungsakts mit Blick auf ein durch Umweltvorschriften geschütztes überwiegendes öffentliches Interesse bzw. einen unumkehrbaren ökologischen Schaden bekannt ist. Dies ist erforderlich, um mögliche Verstöße gegen Artikel 9 des Übereinkommens von Århus und die Rechtsprechung des EuGH (siehe Rechtssache C-261/18, Kommission/Irland (12)) zu verhindern, die zu Willkür führen könnten.

4.17.

Schließlich sind die Sozialpartner wesentliche Akteure in Umweltfragen. Der EWSA fordert deshalb, dass ihre Rechte in Bezug auf den Zugang zu Gerichten ausdrücklich erwähnt werden. Nach Auffassung des EWSA ist Artikel 11 der Århus-Verordnung in der gegenwärtigen Form nicht vereinbar mit Artikel 2 Absatz 5 des Übereinkommens von Århus und sollte geändert werden, so dass der Zugang zivilgesellschaftlicher Organisationen zu Gerichten nicht beschränkt wird, indem festgelegt wird, dass es ausreichend ist, wenn eine NRO etwa den Umweltschutz als Ziel hat.

Brüssel, den 27. Januar 2021

Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Christa SCHWENG


(1)  https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52020PC0642&qid=1607511966110&from=DE

(2)  Verordnung (EG) Nr. 1367/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. September 2006 über die Anwendung der Bestimmungen des Übereinkommens von Århus über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten auf Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft ABl. L 264 vom 25.9.2006, S. 13).

(3)  Wortlaut des Übereinkommens von Århus: https://www.unece.org/fileadmin/DAM/env/pp/documents/cep43e.pdf.

(4)  Verordnung (EG) Nr. 1367/2006.

(5)  Mitteilung der Kommission Der europäische Grüne Deal — COM(2019) 640 final.

(6)  COM(2020) 642 final — https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52020PC0642&from=EN.

(7)  COM(2020) 643 final — https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/PDF/?uri=CELEX:52020DC0643&qid=1607512957780&from=DE.

(8)  Stellungnahme des EWSA zum Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten (Mitteilung) (ABl. C 129 vom 11.4.2018, S. 65).

(9)  Stellungnahme des EWSA zum Aktionsplan der EU für einen besseren Vollzug des Umweltrechts und eine bessere Umweltordnungspolitik (ABl. C 283 vom 10.8.2018, S. 83).

(10)  Stellungnahme des EWSA „Eine konstruktivere Rolle für die Zivilgesellschaft bei der Umsetzung von Umweltvorschriften“ (ABl. C 47 vom 11.2.2020, S. 50).

(11)  Rechtssache C-594/18 P, Republik Österreich gegen Europäische Kommission, ECLI:EU:C:2020:742, Rn. 42-46.

(12)  Rechtssache C-261/18 — Kommission/Irland (Derrybrien Wind Farm), ECLI:EU:C:2019:955, Rn. 80 und 95.


9.4.2021   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 123/72


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Einführung einer Fangdokumentationsregelung für Roten Thun (Thunnus thynnus) und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 640/2010“

(COM(2020) 670 final — 2020/0302 (COD))

(2021/C 123/11)

Alleinberichterstatter:

Florian MARIN

Befassung

Europäisches Parlament, 11.11.2020

Rat, 11.11.2020

Rechtsgrundlage

Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe d und Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umwelt

Annahme in der Fachgruppe

11.1.2021

Verabschiedung auf der Plenartagung

27.1.2021

Plenartagung Nr.

557

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

250/0/9

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) begrüßt die Umsetzung der Empfehlungen der Internationalen Kommission für die Erhaltung der Thunfischbestände im Atlantik (ICCAT) als wichtig und angemessen, da die EU seit 1986 Vertragspartei der ICCAT ist und dafür Sorge tragen muss, dass das EU-Recht allen von der ICCAT beschlossenen Maßnahmen entspricht.

1.2.

Der EWSA empfiehlt, dass die Erleichterung und die Sicherung des Zugangs zu Informationen und technischer Unterstützung für die Fischer und die Akteure der Vertriebskette bei Verwendung des elektronischen Fangdokumentationssystems für Roten Thun (eBCD) auch weiterhin eine Priorität der Europäischen Kommission und der Mitgliedstaaten bleibt.

1.3.

Bei den Fristen laut ICCAT-Empfehlung 18-13 sollten die Auswirkungen von COVID-19 bzw. die Pandemielage berücksichtigt werden. Möglicherweise kann es zu Verzögerungen bei der Erfüllung der durch die ICCAT vorgegebenen Berichterstattungspflichten kommen.

1.4.

Der EWSA ist der Auffassung, dass alles Erforderliche unternommen werden muss, um Übereinstimmung, Genauigkeit und Synergie zwischen BCD-Dokumenten und der elektronischen Fangdokumentation (eBCD) sowie ein effizientes Verfahren zur Rückverfolgbarkeit, Validierung und Verifizierung zu gewährleisten.

1.5.

Der EWSA ist der Auffassung, dass Artikel 4 teilweise aus der Empfehlung 18-13, Teil II, Validierung von BCD, Ziffer 11 übernommen wurde, wonach die Validierung für jeden Roten Thun, der gefangen, angelandet, in Netzkäfige eingesetzt, entnommen, umgeladen, im Binnenhandel gehandelt oder ausgeführt wird, durchzuführen ist, und zwar bei jeder Anlandung, Umsetzung, Entnahme, Umladung, Umschlag im Binnenhandel oder Ausfuhr.

1.6.

Der EWSA empfiehlt, den Vorschlag auf der Grundlage der ICCAT-Empfehlung 18-13, Teil II — Validierung von BCD, Ziffer 12 zu erweitern, worin Fälle geregelt werden, in denen der Abschnitt des BCD-Formats nicht genügend Raum bietet, um eine vollständige Rückverfolgung des Roten Thuns vom Fang bis zur Vermarktung zu gewährleisten. Dem Original-Fangdokument könnte unter Verwendung des ursprünglichen BCD-Formats und der ursprünglichen Nummer ein Anhang beigefügt werden.

1.7.

Der EWSA empfiehlt, in Artikel 2 Absatz 5 Buchstabe b den Ausdruck Tonnare wie in Artikel 2 Absatz 5 Buchstabe a einzufügen. Der Absatz soll wie folgt lauten: „b) den Handel in einem Mitgliedstaat oder zwischen zwei oder mehr Mitgliedstaaten mit gezüchtetem Roten Thun, der ursprünglich von einem Fangschiff oder in Tonnaren der Union im Konventionsbereich gefangen wurde und in einem im Hoheitsgebiet der Union niedergelassenen Zuchtbetrieb in Netzkäfige eingesetzt wird;“

1.8.

Der EWSA empfiehlt, in Artikel 3 Absatz 2 den Ausdruck Los einzufügen. Er soll wie folgt lauten: „(2) Ein BCD ist für jedes Los Roten Thuns auszufüllen, das von einem Fischereifahrzeug oder einer Tonnare gefangen, im Hafen von Fischereifahrzeugen oder aus Tonnaren umgesetzt, angelandet oder umgeladen oder von Zuchtbetrieben in Netzkäfige eingesetzt oder aus diesen entnommen wird.“.

1.9.

Die Kommission sollte die Auswirkungen der Umsetzung von Artikel 5 Absatz 3 Buchstabe b prüfen. Dabei handelt es sich zwar um eine ICCAT-Empfehlung, die allerdings die Unternehmen dazu nötigt, ihre Logistik zu ändern, Paletten zu öffnen und jedes Paket neu zu identifizieren.

1.10.

Der EWSA fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, die Registrierung und Validierung von Fischteilen auch ohne Validierung des Einsetzens in Netzkäfige in Erwägung zu ziehen, um die Wertschöpfung zu erhöhen und Abfälle zu vermeiden. Gegenwärtig darf Thunfisch, der nach seiner Ankunft im Zuchtbetrieb verendet, nicht verkauft werden, da das Einsetzen in Netzkäfige noch nicht validiert wurde. Das Einsetzen in Netzkäfige hängt von der Bewertung mithilfe von Stereokamerasystemen ab, die etwa zwei Monate in Anspruch nimmt, sodass diese Exemplare eingefroren oder vernichtet werden müssen. Dies steht im Widerspruch zu den Initiativen der Kommission gegen Lebensmittelverluste und -verschwendung.

2.   Wesentlicher Inhalt des Vorschlags der Kommission

2.1.

Mit dem vorliegenden Vorschlag (1) sollen die Maßnahmen der Internationalen Konvention zur Erhaltung der Thunfischbestände im Atlantik (ICCAT), der die Europäische Union seit 1986 als Vertragspartei angehört, in EU-Recht umgesetzt werden.

2.2.

Die ICCAT-Konvention setzt einen Rahmen für die regionale Zusammenarbeit zum Zweck der Erhaltung und Bewirtschaftung von Thunfisch und verwandten Arten im Atlantik und den angrenzenden Meeren sowie für die Verabschiedung von im ICCAT-Konventionsbereich anwendbaren Empfehlungen, die für die Vertragsparteien verbindlich werden.

2.3.

Die Europäische Union hat sich verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass alle von der ICCAT beschlossenen Maßnahmen im EU-Recht verankert werden. Mit der vorgeschlagenen Verordnung wird die Verordnung (EU) Nr. 640/2010 vom 7. Juli 2010 aufgehoben, und es werden neue ICCAT-Maßnahmen im Zusammenhang mit der obligatorischen Verwendung des elektronischen Fangdokuments für Roten Thun (eBCD) eingeführt. Ziel ist, den Ursprung des Roten Thuns lückenlos zu ermitteln, wobei die Verwendung von BCD in Papierform die Ausnahme sein sollte.

2.4.

Der Vorschlag sieht vor, dass die Kommission gemäß Artikel 290 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union delegierte Befugnisse erhält, damit sie künftige Änderungen der ICCAT-Empfehlungen rasch in das EU-Recht umsetzen kann.

2.5.

Die Rechtsvorschriften der Union sollten den ICCAT-Empfehlungen angepasst werden, damit für Fischer aus der Union und für Fischer aus Drittländern die gleichen Bedingungen gelten und die Vorschriften von allen uneingeschränkt akzeptiert und umgesetzt werden.

2.6.

Die in dem Vorschlag vorgesehenen Maßnahmen betreffen die technischen Spezifikationen des Fangdokuments für Roten Thun und die Wiederausfuhrbescheinigung, seine Validierung durch die Mitgliedstaaten, die Erfassung und Validierung von Fängen und nachfolgenden Handelsvorgängen im eBCD-System, Markierungsbestimmungen, die Überprüfung der Angaben durch die Mitgliedstaaten sowie die jährliche Berichterstattung an die ICCAT.

2.7.

Die Kapitäne von Fangschiffen, Betreiber von Tonnaren, Betreiber von Zuchtbetrieben, Verkäufer und Ausführer müssen für jedes Los von Rotem Thun, das gefangen, angelandet, in Netzkäfige eingesetzt, entnommen, umgeladen, im Binnenhandel gehandelt oder ausgeführt wird, ein BCD-Dokument ausfüllen. Sämtliche Handelsvorgänge müssen im eBCD-System eingegeben und validiert werden.

2.8.

Jedem Los von wiederausgeführten Rotem Thun muss eine vom Mitgliedstaat validierte Wiederausfuhrbescheinigung für Roten Thun beigefügt sein. Der für die Wiederausfuhr verantwortliche Unternehmer stellt die Wiederausfuhrbescheinigung für Roten Thun aus und beantragt die Validierung.

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1.

Der EWSA hält es für angemessen und wichtig, dass die von der Internationalen Kommission für die Erhaltung der Thunfischbestände im Atlantik (ICCAT) beschlossenen Maßnahmen, die der Bewirtschaftung der Bestände von Rotem Thun dienen, in EU-Recht umgesetzt werden. Der EWSA begrüßt — mit Blick auf sowohl die wirtschaftlichen als auch die sozialen Auswirkungen in den Mitgliedstaaten — die von der Europäischen Kommission und den Mitgliedstaaten unternommen Anstrengungen, sämtliche Vorgaben und Empfehlungen der ICCAT zu befolgen, indem sie sie in spezifische Rechtsvorschriften umsetzen.

3.2.

Der EWSA lobt die Anstrengungen und Zugeständnisse seitens der Kommission, der Mitgliedstaaten und der Fischereiwirtschaft, damit sich die Bestände von Rotem Thun erholen können, indem die strengen ICCAT-Regeln angewendet werden. Die Bewirtschaftung der Bestände von Rotem Thun im Ostatlantik und im Mittelmeer ist eine Erfolgsgeschichte, da die Bestände einen historischen Höchststand erreicht haben.

3.3.

Der EWSA stimmt der vorgeschlagenen Verordnung grundsätzlich zu, da sie die Umsetzung einer Empfehlung der ICCAT bezweckt. Weiterhin ist der EWSA der Auffassung, dass durch das elektronische Dokumentationssystem sehr viel schneller Daten über die Rückverfolgbarkeit von Rotem Thun gewonnen und genutzt werden können. Seit Januar 2017 ist das System vollständig einsatzbereit. Digitale Lösungen zur Kontrolle der Nachhaltigkeit der Bestände von Rotem Thun ermöglichen die leichtere und effizientere Auswertung der Daten.

3.4.

Der EWSA empfiehlt, den Vorgaben und Empfehlungen der ICCAT zu folgen und sie in EU-Recht umzusetzen, damit alle Fischer zu fairen und gerechten Bedingungen arbeiten können.

3.5.

Der EWSA empfiehlt der Europäischen Kommission und den Mitgliedstaaten die Erleichterung und Sicherung des Zugangs zu Informationen und technischer Unterstützung für Fischer und Akteure der Vertriebskette, damit sie das eBCD-System in vorschriftsgemäßer und effizienter Weise richtig anwenden können.

3.6.

Bei den Fristen laut ICCAT-Empfehlung 18-13 müssen die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie berücksichtigt werden. Möglicherweise kann es zu Verzögerungen beim Aufbau der durch die ICCAT vorgegebenen Berichterstattung kommen.

3.7.

Der EWSA empfiehlt, alles Erforderliche zu unternehmen, um die Übereinstimmung, Genauigkeit und Synergie zwischen BCD und eBCD im Interesse einer erfolgreichen und regelkonformen Dokumentation der Rückverfolgbarkeit bzw. des Berichterstattungssystems für Roten Thun sicherzustellen. Dies gilt insbesondere für die Ausnahmen und Ausnahmeregelungen in Empfehlung 18-13.

4.   Besondere Bemerkungen

4.1.

Der EWSA ist der Auffassung, dass Artikel 4 teilweise aus der Empfehlung 18-13, Teil II, Validierung von BCD, Ziffer 11 übernommen wurde, wonach die Validierung für jeden Roten Thun, der gefangen, angelandet, in Netzkäfige eingesetzt, entnommen, umgeladen, im Binnenhandel gehandelt oder ausgeführt wird, durchzuführen ist, und zwar bei jeder Anlandung, Umsetzung, Entnahme, Umladung, Umschlag im Binnenhandel oder Ausfuhr.

4.2.

Der EWSA empfiehlt, den Vorschlag auf der Grundlage der ICCAT-Empfehlung 18-13, Teil II — Validierung von BCD, Ziffer 12 zu erweitern, worin Fälle geregelt werden, in denen der Abschnitt des BCD-Formats nicht genügend Raum bietet, um eine vollständige Rückverfolgung des Roten Thuns vom Fang bis zur Vermarktung zu gewährleisten. In seltenen Bedarfsfällen könnte dem Original-BCD-Dokument ein Anhang im ursprünglichen BCD-Format und mit der ursprünglichen Nummer beigefügt werden.

4.3.

Der EWSA empfiehlt in Artikel 2 Absatz 5 Buchstabe b die Hinzufügung von Tonnare wie in Artikel 2 Absatz 5 Buchstabe a, so dass sich folgender Wortlaut ergibt: „b) den Handel in einem Mitgliedstaat oder zwischen zwei oder mehr Mitgliedstaaten mit gezüchtetem Roten Thun, der ursprünglich von einem Fangschiff oder in Tonnaren der Union im Konventionsbereich gefangen wurde und in einem im Hoheitsgebiet der Union niedergelassenen Zuchtbetrieb in Netzkäfige eingesetzt wird;“.

4.4.

Der EWSA empfiehlt die Hinzufügung von Los in Artikel 3 Absatz 2, so dass sich folgender Wortlaut ergibt: „(2) Ein BCD ist für jedes Los Roten Thuns auszufüllen, das von einem Fischereifahrzeug oder einer Tonnare gefangen, im Hafen von Fischereifahrzeugen oder aus Tonnaren umgesetzt, angelandet oder umgeladen oder von Zuchtbetrieben in Netzkäfige eingesetzt oder aus diesen entnommen wird.“.

4.5.

Die Kommission sollte die Auswirkungen der Umsetzung von Artikel 5 Absatz 3 Buchstabe b prüfen. Dabei handelt es sich zwar um eine ICCAT-Empfehlung, die allerdings die Unternehmen dazu nötigt, ihre Logistik zu ändern, Paletten zu öffnen und jedes Paket neu zu identifizieren.

4.6.

Der EWSA fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, die Registrierung und Validierung von Fischteilen auch ohne Validierung des Einsetzens in Netzkäfige in Erwägung zu ziehen, um die Wertschöpfung zu erhöhen und Abfälle zu vermeiden. Gegenwärtig darf Thunfisch, der nach seiner Ankunft im Zuchtbetrieb verendet, nicht verkauft werden, da das Einsetzen in Netzkäfige noch nicht validiert wurde. Das Einsetzen in Netzkäfige hängt von der Bewertung mithilfe von Stereokamerasystemen ab, die etwa zwei Monate in Anspruch nimmt, sodass diese Exemplare eingefroren oder vernichtet werden müssen. Dies steht im Widerspruch zu den Initiativen der Kommission gegen Lebensmittelverluste und -verschwendung.

Brüssel, den 27. Januar 2021

Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Christa SCHWENG


(1)  Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung von Bewirtschaftungs-, Bestandserhaltungs- und Kontrollmaßnahmen für den Übereinkommensbereich der Interamerikanischen Kommission für tropischen Thunfisch und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 520/2007 des Rates [COM(2020) 308 final]: https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=CELEX%3A52020PC0308&qid=1603701098515.


9.4.2021   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 123/76


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und Rates über ein allgemeines Umweltaktionsprogramm der Union für die Zeit bis 2030“

(COM(2020) 652 final — 2020/0300 (COD))

(2021/C 123/12)

Hauptberichterstatter:

Lutz RIBBE

Befassung

Europäisches Parlament, 11.11.2020

Rat, 5.11.2020

Rechtsgrundlage

Artikel 192 Absatz 1 und Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umwelt

Beschluss des Präsidiums

1.12.2020

Verabschiedung auf der Plenartagung

27.1.2021

Plenartagung Nr.

557

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

227/4/4

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) kann in dem nun vorgelegten Vorschlag für ein 8. Umweltaktionsprogramm (UAP) nur einen höchst marginalen Mehrwert erkennen. Dieser liegt in der Ankündigung eines verbesserten Überwachungsmodells und eines besseren Berichtswesens. Ansonsten besticht der Vorschlag eher durch allgemeine Situationsbeschreibungen und Absichtserklärungen denn durch inhaltliche Substanz und Aktionen. Doch allein für eine bessere Governance bedarf es keines „Aktionsprogramms“.

1.2.

Dem EWSA stellt sich die Frage, ob es wirklich eines solchen 8. UAP bedarf, um der Umweltpolitik der EU, die spätestens durch den europäischen Grünen Deal (EGD) im absoluten Zentrum der EU-Politik angekommen ist, weitere Impulse zu geben.

1.3.

Der EWSA fühlt sich durch den von der Kommission vorgelegtem Vorschlag sehr in seiner Auffassung bestätigt, auf die er seit Jahren wieder und wieder hinweist: dass es nicht an Wissen darüber mangelt, was getan werden müsste. Es mangelt an der Umsetzung bekannter, oft längst beschlossener Maßnahmen und am politischen Willen.

1.4.

Der EWSA würde dann einen Nutzen sehen, wenn beispielsweise die von der Kommission zur Umsetzung des EGD vorgelegten strategischen Initiativen wie die Biodiversitätsstrategie, die Strategie „Vom Hof auf den Tisch“ oder der Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft mit ihren jeweiligen Detailforderungen in das 8. UAP integriert und mitbeschlossen würden. Mehr noch: Rat und Europäisches Parlament könnten die Kommission über ein 8. UAP auch zu einer Verstetigung und Vertiefung des EGD verpflichten, indem diese den ausdrücklichen Auftrag erhält, spätestens zum neuen Mandat einen Legislativvorschlag für eine „EU-Agenda 2050“ (als ein modifizierter und erweiterter „EGD 2“) vorzulegen, die dem 8. UAP als Anlage einen konkreten und ausführlichen Maßnahmenkatalog hinzufügt. Das ist aber nicht vorgesehen.

1.5.

Der EWSA regt deshalb eine Grundsatzdebatte über Sinn und Nutzen der Umweltaktionsprogramme an und erneuert seine Forderung, eine eigene „EU-Nachhaltigkeitsagenda 2050“ zu erarbeiten. Er sieht im EGD hierfür eine gute und solide Grundlage.

2.   Hintergrund der Stellungnahme

Die Umweltaktionsprogramme der EU

2.1.

Seit den frühen 1970er Jahren gibt es auf EU-Ebene Umweltaktionsprogramme (UAP), das 7. UAP lief am 31. Dezember 2020 aus.

2.2.

Die Kommission beschreibt in ihrem Vorschlag für ein 8. UAP, dass die Umweltprogramme „die Entwicklung der EU-Umweltpolitik lenken“. Sie muss allerdings indirekt auch zugeben, dass diese Programme letztlich wohl doch nicht die Wirkung hatten, die man sich davon versprochen hatte. So kommt sie zu dem Schluss, „dass die Fortschritte in den Bereichen Naturschutz, Gesundheit und politische Einbeziehung nicht ausreichen“. Sie verweist zudem auf den von der Europäischen Umweltagentur am 4. Dezember 2019 veröffentlichten Bericht „Die Umwelt in Europa — Zustand und Ausblick 2020“ (The European Environment — state and outlook, SOER 2020), wonach die „aktuellen Herausforderungen in den Bereichen Umwelt, Klima und Nachhaltigkeit […] von beispiellosem Ausmaß und nie da gewesener Dringlichkeit [sind] und […] sofortiges und abgestimmtes Handeln und systematische Lösungen“ erfordern. Denn „mit dem derzeitigen Wachstumsmodell dürften die Umweltbelastungen weiter zunehmen, was direkte und indirekte schädliche Auswirkungen auf die Gesundheit und das Wohlbefinden des Menschen haben wird. Dies gilt insbesondere für die Sektoren mit den größten Umweltauswirkungen — Lebensmittel, Mobilität, Energie sowie Infrastruktur und Gebäude“.

2.3.

Diese Aussage steht im Einklang mit dem Bericht über nachhaltige Entwicklung in Europa 2020 (Europe Sustainable Development Report), der im vergangenen Dezember vom Netz für nachhaltige Entwicklungskonzepte (Sustainable Development Solutions Network– SDSN) und dem Institut für europäische Umweltpolitik vorgelegt wurde. Eine der wichtigsten Schlussfolgerungen dieses Berichts lautet: Europa steht in den Bereichen nachhaltige Landwirtschaft und Ernährung, Klima und biologische Vielfalt vor den größten Herausforderungen bei der Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele (Sustainable Development Goals — SDG).

2.4.

Die Kommission stellt klar, dass sie mit dem am 11. Dezember 2019 veröffentlichten europäischen Grünen Deal eine ehrgeizige Agenda beschlossen hat, mit deren Hilfe die EU a) bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent, b) das Naturkapital der EU geschützt, erhalten und verbessert sowie c) die Gesundheit und das Wohlergehen der Bürgerinnen und Bürger vor Umweltrisiken und -auswirkungen bewahrt werden sollen.

2.5.

Der Rat, das Europäische Parlament und der Ausschuss der Regionen haben die Kommission dennoch aufgefordert, einen Vorschlag für ein 8. UAP zu erarbeiten, der anschließend vom Rat und EP beschlossen wird. Die Kommission legte diesen hier zu behandelnden „Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlamentes und des Rates über ein allgemeines Umweltaktionsprogramm der EU für die Zeit bis 2030“ (8. UAP) am 14. Oktober 2020 vor, also knapp ein Jahr nach Vorlage des EGD und gerade einmal zweieinhalb Monate vor dem Auslaufen des 7. UAP.

Inhalte des 8. UAP

2.6.

Das 8. UAP besteht aus gerade einmal sechs Artikeln.

2.7.

Artikel 2 listet bereits bekannte und auch von Rat und EP anerkannte Umweltziele der EU auf wie zum Beispiel Senkung der Treibhausgase, Klimaneutralität bis 2050, Anpassung an den Klimawandel, Null-Schadstoff-Ziel für eine schadstofffreie Umwelt, Schutz, Erhaltung und Wiederherstellung der biologischen Vielfalt usw. und erklärt diese zu „prioritären thematischen Zielen“ des 8. UAP. Konkrete Instrumente oder Maßnahmen zur Zielerreichung bzw. Umweltaktionen werden — anders als beim 7. UAP –jedoch nicht beschrieben. Dies verwundert, zumal teilweise besonders hohe Ansprüche erhoben werden. So wird erklärt, dass „Fortschritte hin zu einem regenerativen Wachstumsmodell [verfolgt werden], das dem Planeten mehr zurückgibt, als es ihm nimmt“ (1).

2.8.

In Artikel 3 werden ebenfalls lediglich seit Langem bekannte „Voraussetzungen“ erwähnt, die für die Verwirklichung der prioritären Ziele notwendig sind. Hierzu gehören u. a.:

die wirksame und effiziente Umsetzung der vorhandenen Rechtsvorschriften in den Bereichen Umwelt- und Klimaschutz,

die durchgängige Einbeziehung der festgelegten prioritären Ziele in allen einschlägigen Strategien, legislativen und nichtlegislativen Initiativen, Programmen, Investitionen und Projekten auf Unionsebene sowie auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene und

die schrittweise Abschaffung von umweltschädlich wirkenden Subventionen auf Unionsebene und nationaler Ebene.

2.9.

Artikel 4 beschreibt den eigentlichen Schwerpunkt des 8. UAP. Er liegt in dem Versprechen, einen besseren Überwachungs- und Berichterstattungsrahmen zu schaffen, der es ermöglichen soll, den politischen Entscheidungsträgern wie auch der Öffentlichkeit einen besseren Überblick über Fortschritte (oder Defizite) zu verschaffen. Es wird u. a. darauf hingewiesen, dass beispielsweise der Rat und der EWSA gefordert haben, die Wirtschaftsleistung und den gesellschaftlichen Fortschritt „über das BIP hinaus“ zu messen. Auch sollen „Leitindikatoren“ zur besseren Überwachung z. B. der Biodiversität oder der Kreislaufwirtschaft entwickelt werden. Der Europäischen Umweltagentur und der Europäischen Chemikalienagentur wird hier eine Schlüsselrolle zugeordnet, weshalb deren Mitarbeiterstamm ausgebaut werden soll.

2.10.

Artikel 5 legt schließlich fest, dass die Kommission bis zum 31. März 2029 eine Bewertung des 8. UAP vornehmen muss; eine Halbzeitbilanz ist folglich nicht vorgesehen.

2.11.

Artikel 6 regelt das Inkrafttreten.

3.   Bemerkungen

3.1.

Der EWSA stimmt mit der Kommission überein, dass die Umweltaktionsprogramme lange Zeit die Entwicklung der Umweltpolitik der EU gelenkt haben. Doch die Umweltpolitik der 70er, 80er oder 90er Jahre ist nicht mehr vergleichbar mit der von heute; und somit stellt sich auch die Frage nach der Rolle bzw. Funktion der Umweltaktionsprogramme.

3.2.

Darum stellt sich dem EWSA die Frage, ob es wirklich eines 8. UAP bedarf, um der Umweltpolitik der EU, die spätestens durch den EGD im absoluten Zentrum der EU-Politik angekommen ist, weitere Impulse zu geben. Dies gilt insbesondere deshalb, als der Vorschlag für das 8. UAP mehr durch allgemeine Beschreibungen der Situation und Absichtserklärungen als durch inhaltliche Substanz und Aktionen gekennzeichnet ist. Es ist ein Aktionsprogramm ohne Aktionen!

3.3.

Natürlich besteht auch für den EWSA kein Zweifel daran, dass die in Artikel 2 genannten Prioritäten gut und die in Artikel 3 genannten „Voraussetzungen für eine Verwirklichung der prioritären Ziele“ richtig sind. Doch was soll es der Umweltpolitik bringen, wenn im 8. UAP quasi nur die u. a. im EGB benannten Ziele wiederholt werden, ohne dass auch nur ansatzweise Umsetzungsinstrumente oder -aktionen beschrieben werden, die durch den Beschluss des Rates und des Europäischen Parlaments verbindlich würden? Und welchen realen Nutzen soll die reine Auflistung altbekannter „Voraussetzungen“ haben, wenn kein verbindlicher Plan zur Erfüllung dieser Voraussetzungen vorgelegt und beschlossen wird?

3.4.

Der EWSA fühlt sich durch den von der Kommission vorgelegten Vorschlag sehr in seiner Auffassung bestätigt, auf die er seit Jahren wieder und wieder hinweist: dass es nicht an Wissen darüber mangelt, was getan werden müsste. Es mangelt an der Umsetzung bekannter, oft längst beschlossener Maßnahmen und am politischen Willen. Auch die Kommission und teilweise auch der Europäische Gerichtshof beklagen seit Jahren die oft mangelhafte Umsetzung vieler geltender Umweltvorschriften durch die Mitgliedstaaten. Und kein Umweltaktionsprogramm kann mangelnde Rechtsumsetzung oder mangelnden politischen Willen ausgleichen.

3.5.

Selbst ohne Umweltaktionsprogramm haben die europäischen Institutionen und die Mitgliedstaaten ausreichend Möglichkeiten, gegebene Versprechungen in die Tat umzusetzen. Als ein Beispiel hierfür sei auf die Biodiversitätspolitik hingewiesen.

3.6.

Der Schutz, die Erhaltung und Wiederherstellung der Natur wird explizit seit dem 2. UAP (Laufzeit: 1977–1981) in allen (!) Umweltaktionsprogrammen als „prioritäres Ziel“ aufgeführt; und nun im 8. UAP abermals. Es stellt den bisherigen Umweltaktionsprogrammen kein gutes Zeugnis aus, wenn Biodiversität seit über 40 (!) Jahren im Fokus dieser Programme steht, die Kommission aber in ihrer Biodiversitätsstrategie vom Mai 2020 dennoch feststellen muss, dass sich die Natur „in einer Notlage befindet“.

3.7.

Abseits aller Umweltaktionsprogramme gibt es aber klare Ideen und Vorschläge, wie Abhilfe geschaffen werden kann. Zum Beispiel ist in der von der Kommission vorgelegten Biodiversitätsstrategie (2) ein langer Aktionskatalog zu finden. Sowohl der Rat als auch das Europäische Parlament hätten u. a. bei der Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) ausreichend Gelegenheit gehabt, konkrete Forderungen daraus umzusetzen. Diese Chance wurde vertan. Dem EWSA erschließt sich nicht, was sich durch das von Rat und EP zu beschließende 8. UAP nun verbessern könnte.

3.8.

Damit wird allerdings auch klar, wie ein 8. UAP einen Mehrwert haben könnte: indem man die zur Umsetzung des EGD von der Kommission vorgelegte Biodiversitätsstrategie, die Strategie „Vom Hof auf den Tisch“ (und andere vergleichbare Strategiepapiere) mit ihren konkreten Detailforderungen formal integrieren würde, wodurch sich Rat und Parlament für die Umsetzung der konkreten Vorschläge aussprechen würden.

3.9.

Mehr noch: Rat und EP könnten über ein 8. UAP die Kommission auch zu einer Verstetigung und Vertiefung des EGD verpflichten, indem diese den ausdrücklichen Auftrag erhält, spätestens zum neuen Mandat eine Gesetzesvorlage für eine „EU-Agenda 2050“ (als ein modifizierter und erweiterter „EGD 2“) vorzulegen, die dem 8. UAP als Anlage einen konkreten und ausführlichen Maßnahmenkatalog hinzufügt.

3.10.

All dies ist aber derzeit nicht vorgesehen, weshalb sich der Mehrwert des 8. UAP in der vorgelegten Form darauf marginalisiert, ein verbessertes Überwachungsmodell und ein besseres Berichtswesen anzukündigen. Doch für eine bessere Überwachung und Governance, so wichtig beides auch ist, bedarf es keines „Aktionsprogramms“.

4.   Abschließende Bemerkungen

4.1.

Die Bedeutung und die Wirkung der letzten Umweltaktionsprogramme und des anstehenden 8. UAP schätzt die Kommission erkennbar höher ein als der EWSA es tut. So wird beispielsweise die Aussage der Kommission ausdrücklich nicht geteilt, dass das 7. UAP „die Agenda 2030 der Vereinten Nationen vorweggenommen hat“. Die UN-Agenda 2030 ist viel komplexer, als dass sie in einer noch so innovativen europäischen Umweltpolitik widergespiegelt werden könnte. Jede Umweltpolitik sollte selbstverständlich auch Armuts-, Hunger-, Bildungs- oder Genderfragen mitbedenken, ausreichend behandelt werden können sie dort aber nicht.

4.2.

Genau deshalb hat der EWSA sich dafür ausgesprochen, die EU möge eine eigenständige „EU-Agenda 2050“ entwerfen, die natürlich auch eine starke umweltpolitische Achse beinhalten muss. Selbst der jetzige EGD reicht zur Umsetzung der UN-Agenda 2030 nicht aus, da die sozialen Fragen — sowohl im europäischen wie im globalen Kontext –nicht hinreichend thematisiert sind. Dem EWSA ist es aber ein ausdrückliches Anliegen zu betonen, dass er im EGD eine gute und solide Grundlage für eine umfassende Nachhaltigkeitsstrategie „EU-Agenda 2050“ sieht.

4.3.

Der EWSA empfiehlt zudem, dass die politischen Ambitionen, die in Texten der Kommission beschrieben werden, so formuliert werden, dass sich die Bürgerinnen und Bürger Europas unter deren Umsetzung etwas vorstellen können. Im 8. UAP wird davon gesprochen, ein „regeneratives Wachstumsmodell“ zu fördern, das dem Planeten „mehr zurückgibt, als es ihm nimmt“. Vielen Bürgern und auch Politikern dürfte unklar sein, was sich hinter dem „regenerativen Wachstumsmodell“ verbirgt und was es in der täglichen Lebenswirklichkeit bedeuten würde, dem Planeten mehr zurückzugeben als ihm zu nehmen.

4.4.

Abschließend empfiehlt der EWSA nachdrücklich, eine generelle Debatte über die Rolle eventuell zukünftiger Umweltaktionsprogramme anzustoßen. Dazu wäre es hilfreich, nicht erst neun Monate vor Auslaufen des 8. UAP eine Bewertung vorzunehmen.

Brüssel, den 27. Januar 2021

Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Christa SCHWENG


(1)  https://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2020:0652:FIN:DE:PDF, Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe c.

(2)  EU-Biodiversitätsstrategie bis 2030, COM(2020) 380 final.


9.4.2021   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 123/80


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Mindestanforderungen für die Ausbildung von Seeleuten (kodifizierter Text)“

(COM(2020) 739 final — 2020/0329 (COD))

(2021/C 123/13)

Befassungen

Europäisches Parlament, 23.11.2020

Rat der Europäischen Union, 27.11.2020

Rechtsgrundlage

Artikel 100 Absatz 2 und Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft

Verabschiedung auf der Plenartagung

27.1.2021

Plenartagung Nr.

557

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

einstimmig

Da der Ausschuss dem Vorschlag vorbehaltlos zustimmt und keine Bemerkungen dazu vorzubringen hat, beschloss er auf seiner 557. Plenartagung am 27./28. Januar 2021 (Sitzung vom 27. Januar) einstimmig, eine befürwortende Stellungnahme zu diesem Vorschlag abzugeben.

Brüssel, den 27. Januar 2021

Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Christa SCHWENG


9.4.2021   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 123/81


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über gemeinsame Regeln zur Gewährleistung der grundlegenden Konnektivität im Güter- und Personenkraftverkehr nach dem Ende des im Abkommen über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft genannten Übergangszeitraums“

(COM(2020) 826 final — 2020/0362 (COD))

(2021/C 123/14)

Befassungen

Rat der Europäischen Union, 11.12.2020

Europäisches Parlament, 14.12.2020

Rechtsgrundlage

Artikel 91 Absatz 1 und Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft

Verabschiedung auf der Plenartagung

27.1.2021

Plenartagung Nr.

557

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

einstimmig

Da der Ausschuss dem Vorschlag vorbehaltlos zustimmt und keine Bemerkungen dazu vorzubringen hat, beschloss er auf seiner 557. Plenartagung am 27./28. Januar 2021 (Sitzung vom 27. Januar) einstimmig, eine befürwortende Stellungnahme zu diesem Vorschlag abzugeben.

Brüssel, den 27. Januar 2021

Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Christa SCHWENG


9.4.2021   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 123/82


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über gemeinsame Vorschriften zur Gewährleistung der grundlegenden Konnektivität im Luftverkehr nach dem Ende des im Abkommen über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft genannten Übergangszeitraums“

(COM(2020) 827 final — 2020/0363 (COD))

(2021/C 123/15)

Befassung

Rat der Europäischen Union, 11.12.2020

Europäisches Parlament, 14.12.2020

Rechtsgrundlage

Artikel 100 Absatz 2 und Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft

Verabschiedung auf der Plenartagung

27.1.2021

Plenartagung Nr.

557

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

einstimmig

Da der Ausschuss dem Vorschlag vorbehaltlos zustimmt und keine Bemerkungen dazu vorzubringen hat, beschloss er auf seiner 557. Plenartagung am 27./28. Januar 2021 (Sitzung vom 27. Januar) einstimmig, eine befürwortende Stellungnahme zu diesem Vorschlag abzugeben.

Brüssel, den 27. Januar 2021

Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Christa SCHWENG


9.4.2021   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 123/83


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte Aspekte der Flugsicherheit im Hinblick auf das Ende des im Abkommen über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft genannten Übergangszeitraums“

(COM(2020) 828 final — 2020/0364 (COD))

(2021/C 123/16)

Befassungen

Rat der Europäischen Union, 11.12.2020

Europäisches Parlament, 14.12.2020

Rechtsgrundlage

Artikel 100 Absatz 2 und Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft

Verabschiedung auf der Plenartagung

27.1.2021

Plenartagung Nr.

557

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

einstimmig

Da der Ausschuss dem Vorschlag vorbehaltlos zustimmt und keine Bemerkungen dazu vorzubringen hat, beschloss er auf seiner 557. Plenartagung am 27./28. Januar 2021 (Sitzung vom 27. Januar) einstimmig, eine befürwortende Stellungnahme zu diesem Vorschlag abzugeben.

Brüssel, den 27. Januar 2021

Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Christa SCHWENG


9.4.2021   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 123/84


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung besonderer und vorübergehender Maßnahmen im Hinblick auf den COVID-19-Ausbruch hinsichtlich der Erneuerung oder Verlängerung bestimmter Bescheinigungen, Lizenzen und Genehmigungen und der Verschiebung bestimmter regelmäßiger Kontrollen und Weiterbildungen in bestimmten Bereichen des Verkehrsrechts für Bezugszeiträume, die auf die in der Verordnung (EU) 2020/698 genannten Zeiträume folgen“

(COM(2021) 25 final — 2021/0012 (COD))

(2021/C 123/17)

Befassung

Rat der Europäischen Union, 28.1.2021

Europäisches Parlament, 8.2.2021

Rechtsgrundlage

Artikel 91, Artikel 100 Absatz 2 und Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft

Verabschiedung auf der Plenartagung

27.1.2021

Plenartagung Nr.

557

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

einstimmig

Da der Ausschuss dem Vorschlag vorbehaltlos zustimmt und keine Bemerkungen dazu vorzubringen hat, beschloss er auf seiner 557. Plenartagung am 27./28. Januar 2021 (Sitzung vom 27. Januar) einstimmig, eine befürwortende Stellungnahme zu diesem Vorschlag abzugeben.

Brüssel, den 27. Januar 2021

Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Christa SCHWENG


9.4.2021   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 123/85


Stellungnahme des Europäischer Wirtschafts- und Sozialausschuss zum „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EU) 2017/2403 hinsichtlich der Fanggenehmigungen für Fischereifahrzeuge der Union in den Gewässern des Vereinigten Königreichs und der Fischereitätigkeiten von Fischereifahrzeugen des Vereinigten Königreichs in den Unionsgewässern“

(COM(2020) 830 final — 2020/0366 (COD))

(2021/C 123/18)

Befassung

Europäisches Parlament, 14.12.2020

Rat, 11.12.2020

Rechtsgrundlage

Artikel 43 Absatz 2 und Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umwelt

Verabschiedung im Plenum

27.1.2021

Plenartagung Nr.

557

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

einstimmig befürwortend

Da der Ausschuss dem Vorschlag zustimmt und keine Bemerkungen dazu vorzubringen hat, beschloss er auf seiner 557. Plenartagung am 27./28. Januar 2021 (Sitzung vom 27. Januar) einstimmig, eine befürwortende Stellungnahme zu diesem Vorschlag abzugeben.

Brüssel, den 27. Januar 2021

Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Christa SCHWENG


9.4.2021   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 123/86


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum „Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Entscheidung 2008/971/EG des Rates im Hinblick auf die Gleichstellung von im Vereinigten Königreich erzeugtem mit in der Union erzeugtem forstlichem Vermehrungsgut“

(COM(2020) 852 final — 2020/0378 (COD))

(2021/C 123/19)

Befassung

Europäisches Parlament, 18.1.2021

Rat, 8.1.2021

Rechtsgrundlage

Artikel 43 Absatz 2 und Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umwelt

Verabschiedung im Plenum

27.1.2021

Plenartagung Nr.

557

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

einstimmig befürwortend

Da der Ausschuss dem Vorschlag zustimmt und keine Bemerkungen dazu vorzubringen hat, beschloss er auf seiner 557. Plenartagung am 27./28. Januar 2021 (Sitzung vom 27. Januar) einstimmig, eine befürwortende Stellungnahme zu diesem Vorschlag abzugeben.

Brüssel, den 27. Januar 2021

Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Christa SCHWENG


9.4.2021   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 123/87


Stellungnahme des EEuropäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für einen Beschluss des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Entscheidungen 2003/17/EG und 2005/834/EG des Rates im Hinblick auf die Gleichstellung von Feldbesichtigungen im Vereinigten Königreich und die Gleichstellung von im Vereinigten Königreich durchgeführten Kontrollen von Erhaltungszüchtungen landwirtschaftlicher Pflanzenarten“

(COM(2020) 853 final — 2020/0379 (COD))

(2021/C 123/20)

Befassung

Europäisches Parlament, 18.1.2021

Rat, 8.1.2021

Rechtsgrundlage

Artikel 43 Absatz 2 und Artikel 304 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union

Zuständige Fachgruppe

Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umwelt

Verabschiedung auf der Plenartagung

27.1.2021

Plenartagung Nr.

557

Ergebnis der Abstimmung

(Ja-Stimmen/Nein-Stimmen/Enthaltungen)

einstimmig befürwortet

Da der Ausschuss dem Vorschlag zustimmt und keine Bemerkungen dazu vorzubringen hat, beschloss er auf seiner 557. Plenartagung am 27./28. Januar 2021 (Sitzung vom 27. Januar) einstimmig, eine befürwortende Stellungnahme zu diesem Vorschlag abzugeben.

Brüssel, den 27. Januar 2021

Die Präsidentin des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Christa SCHWENG