Das Patentrecht im Bereich der Biotechnologie und der Gentechnik: Umsetzungsbericht (2002)

Es handelt sich hierbei um den ersten Jahresbericht der Kommission zur Umsetzung der Richtlinie Richtlinie 98/44/EG über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen. Darin wird zum einen die Entwicklung des Patentrechts im Bereich der Biotechnologie und der Gentechnik untersucht, zum anderen werden problematische sowie neue sensible Fragestellungen ermittelt und bewertet.

RECHTSAKT

Bericht der Kommission vom 7. Oktober 2002 „Entwicklung und Auswirkungen des Patentrechts im Bereich der Biotechnologie und der Gentechnik" [KOM(2002) 545 endg. - Nicht im Amtsblatt veröffentlicht].

ZUSAMMENFASSUNG

Hintergrund und allgemeines Ziel

Im März 2001 hat der Europäische Rat von Stockholm den Bereich der Biotechnologie als einen der Sektoren bezeichnet, die hinsichtlich der wirtschaftlichen Entwicklung und der Schaffung von Arbeitsplätzen besonderen Anlass zur Hoffnung geben. Mit der Entdeckung neuer äußerst viel versprechender Techniken für therapeutische und ernährungswissenschaftliche Zwecke haben biotechnologische Erfindungen einen echten Aufschwung erfahren. Daher hielt es der europäische Gesetzgeber für erforderlich, begleitend zu dieser Entwicklung einen sicheren Rechtsrahmen zu erarbeiten, der es europäischen Unternehmen ermöglicht, neue Produkte und Verfahren auf der Grundlage der Gentechnik zu entwickeln und zu vermarkten. Vor diesem Hintergrund entstand die Richtlinie 98/44/EG über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen, die nach fast zehnjähriger Diskussion im Ministerrat und im Europäischen Parlament verabschiedet wurde.

Grundlage für diesen Bericht ist eine Bestimmung der Richtlinie 98/44/EG, nach der die Kommission jedes Jahr dem Europäischen Parlament und dem Rat einen Bericht über die Entwicklung und die Auswirkungen des Patentrechts im Bereich der Biotechnologie und der Gentechnik vorlegen muss. Der Bericht gliedert sich auch ein in die Folgemaßnahmen zur Mitteilung der Kommission vom 23. Januar 2002 mit dem Titel „Biowissenschaften und Biotechnologie: Eine Strategie für Europa" (PDF). Mit dieser Mitteilung soll die die Biotechnologie innerhalb eines flexiblen Rechtsrahmens gefördert und die Kohärenz der unterschiedlichen mit diesem Bereich verknüpften politischen Maßnahmen und Sektoren gesichert werden.

Der Bericht untersucht die wichtigsten Bestimmungen der Richtlinie 98/44/EG, um festzustellen, ob das Patentsystem den Bedürfnissen der Wissenschaftler und Unternehmen gerecht wird.

Die gegenwärtige Situation in Europa

Als dieser Bericht erstellt wurde, hatten gerade einmal sechs Mitgliedstaaten die Richtlinie 98/44/EG in nationales Recht umgesetzt: Dänemark, Finnland, Irland, das Vereinigte Königreich, Griechenland und Spanien. Die Umsetzung ist jedoch unerlässlich, um Diskrepanzen zwischen den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften zu vermeiden. Wenn sich daran nichts ändert, wird die Entwicklung der Biotechnologie in Europa erheblich gebremst.

Die wichtigsten Bestimmungen der Richtlinie 98/44/EG wurden durch einen Beschluss des Verwaltungsrats der Europäischen Patentorganisation in das Europäische Patentübereinkommen übernommen, genauer gesagt in seine Ausführungsordnung. Die Berücksichtigung von Gemeinschaftsrecht durch die Organisation hat einen hohen Stellenwert. Das Europäische Patentübereinkommen beinhaltet nämlich ein einheitliches Prüfverfahren für Patentanmeldungen. Es ermöglicht die Erteilung einer ganzen Reihe nationaler Patente, die gleichzeitig unter nationales und gemeinschaftliches Recht fallen.

1998 haben die Niederlande, unterstützt von Italien und Norwegen, vor dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften die Nichtigerklärung der Richtlinie 98/44/EG beantragt. Die niederländische Klage umfasste sechs Klagegründe, unter anderem: falsche Wahl der Rechtsgrundlage, Verstoß gegen das Subsidiaritätsprinzip und den Grundsatz der Rechtssicherheit sowie Verstoß gegen internationale Verpflichtungen. Im Oktober 2001 wies der Gerichtshof die Klage ab.

Die Vereinbarkeit der Richtlinie mit den einschlägigen internationalen Übereinkommen

Die Richtlinie steht im Einklang mit den geltenden internationalen Verträgen in diesem Bereich. Dennoch sind von den auf internationaler Ebene im Rahmen der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) (EN) (ES) (FR) laufenden Arbeiten zum Entwurf eines Übereinkommens über materielles Patentrecht noch Rückwirkungen auf die Richtlinie 98/44/EG zu erwarten. Ziel dieses Vorhabens ist es, auf internationaler Ebene Bestimmungen für das materielle Patentrecht festzulegen. Beim derzeitigen Stand der Verhandlungen wären Einflüsse auf die Richtlinienbestimmungen zu erwarten, die sich auf die gewerbliche Anwendbarkeit und die Hinterlegung von biologischem Material bei einer anerkannten Hinterlegungsstelle beziehen.

Die Patentierbarkeit von Erfindungen, die Pflanzen und Tiere zum Gegenstand haben

Die Richtlinie unterscheidet zwischen patentierfähigen Pflanzen und Tieren einerseits und nicht patentierfähigen Pflanzensorten und Tierrassen andererseits. Die unterschiedliche Regelung ist durch die Art und Weise begründet, wie das entsprechende Produkt entsteht: Eine Pflanzensorte oder eine Tierrasse entstehet im Allgemeinen vornehmlich durch biologische Verfahren, während transgene Pflanzen und Tiere das Ergebnis nicht biologischer, gentechnischer Verfahren sind.

Die Richtlinie legt fest, dass Pflanzen patentierbar sind. Pflanzensorten sind es dagegen nicht; sie werden durch das Sortenschutzrecht geschützt. In seinem Urteil vom Oktober 2001 hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, dass gemäß Artikel 4 der Richtlinie für eine Pflanzensorte kein Patent erteilt werden kann. Gleichwohl kann eine Erfindung patentiert werden, deren Ausführung technisch nicht auf eine bestimmte Pflanzensorte beschränkt ist. Im Übrigen hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, dass anders als eine genetische Veränderung an einer bestimmten Pflanzensorte eine weiter gehende Veränderung mit größerem Anwendungsbereich, die sich z. B. auf eine Art bezieht, patentierbar sein kann.

Bei Tieren bestimmt die Richtlinie 98/44/EG, dass Tierrassen nicht patentierbar sind. Allerdings können Erfindungen, die Tiere zum Gegenstand haben, patentrechtlich geschützt werden, sofern die Ausführung der Erfindung technisch nicht auf eine Tierrasse beschränkt ist. Von den zahlreichen Biotechnologiepatenten, die seit der Verabschiedung der Richtlinie im Jahr 1998 erteilt wurden, waren einige in der Öffentlichkeit heftig umstritten. Dies gilt beispielsweise für das Patent, das dem Unternehmen Seabright vom Europäischen Patentamt für die Schaffung eines transgenen Fischs erteilt wurde. In einer schriftlichen Anfrage eines Abgeordneten des Europäischen Parlaments an die Kommission ging es um die Frage, ob die Erteilung dieses Patents mit dem Verbot der Patentierbarkeit von Tierrassen vereinbar wäre. Die Kommission wies in ihrer Antwort darauf hin, dass die Ausführungsordnung des Europäischen Patentübereinkommens - die die einschlägigen Bestimmungen der Richtlinie 98/44/EG im Wesentlichen übernimmt - eine Bestimmung enthält, nach der eine Erfindung, die ein Tier zum Gegenstand hat, patentierbar ist, sofern deren Ausführung technisch nicht auf eine bestimmte Tierrasse beschränkt ist. Dies dürfte bei dem Patent, das Seabright erteilt wurde, der Fall gewesen sein.

Schließlich sieht die Richtlinie ausdrücklich die Patentierbarkeit mikrobiologischer Verfahren sowie der mit diesen Verfahren gewonnenen Erzeugnisse vor.

Die Patentierbarkeit von Erfindungen, die isolierte Bestandteile des menschlichen Körpers zum Gegenstand haben

Gemäß der Richtlinie 98/44/EG ist der menschliche Körper in den einzelnen Phasen seiner Entstehung und Entwicklung - also auch als Embryo - nicht patentierbar. Daraus folgt, dass die Entdeckung einer Gensequenz sowie die grundlegenden Rohdaten hinsichtlich des menschlichen Genoms keine patentierbaren Erfindungen sind. Zum Patent können nur solche Erfindungen angemeldet werden, die einen natürlichen Bestandteil mit einem technischen Verfahren verknüpfen, durch das dieser im Hinblick auf eine gewerbliche Anwendung isoliert oder reproduziert werden kann.

In diesem Bereich haben zwei Patente, die Myriad Genetics erteilt wurden, zu zahlreichen Anfragen von Europaabgeordneten an die Kommission geführt. Es handelt sich um Patente auf eine Erfindung zur Früherkennung von Brust- und Eierstockkrebs bei der Frau. In den Anfragen ging es hauptsächlich um die Gefahren, die sich aus der Erteilung dieser Patente für die Freiheit der Forschung innerhalb der EU ergeben können, sowie um die hohen Kosten, die die europäischen Patientinnen zu tragen haben, um in den Genuss der patentierten Technologie zu kommen. In ihrer Antwort wies die Kommission darauf hin, dass die Richtlinie 98/44/EG die Freiheit der Forschung in Europa nicht in Frage stellen wolle. Wenn bei Forschungsergebnissen eine bereits patentierte Technik verwendet werde und diese Ergebnisse gewerblich genutzt würden, sei beim Patentinhaber in jedem Fall eine Abhängigkeitslizenz einzuholen. Im Übrigen hätten die meisten Mitgliedstaaten in ihren Rechtsvorschriften ein Vorbenutzungsrecht verankert, das es jeder Person, die vor der Anmeldung des Patents die Erfindung in der Europäischen Gemeinschaft benutze oder konkrete Anstalten für eine solche Benutzung getroffen habe, gestattet, die Erfindung weiter zu nutzen beziehungsweise wie in den Vorarbeiten geplant zu benutzen.

Ausschluss der Patentierbarkeit von Erfindungen, deren gewerbliche Verwertung gegen die öffentliche Ordnung und die guten Sitten verstößt

Die Richtlinie 98/44/EG schließt Erfindungen von der Patentierbarkeit aus, deren gewerbliche Verwertung gegen die öffentliche Ordnung und die guten Sitten verstoßen würde. Im Gegensatz zu der in der Nichtigkeitsklage vorgebrachten Argumentation ist der Gerichtshof zu der Einschätzung gelangt, dass die Richtlinie in diesem Punkte hinreichend präzise ist und daher die Gefahr abweichender Auslegungen kein stichhaltiges Argument sei. Nach Ansicht des Gerichtshofs sind die Gesetzgebungs- und Rechtsprechungsinstanzen und die Verwaltung der Mitgliedstaaten am besten in der Lage, die Schutzfähigkeit einer biotechnologischen Erfindung im ethischen, soziologischen und philosophischen Umfeld des jeweiligen Landes zu beurteilen.

Die Richtlinie nennt vier ausdrückliche Patentierbarkeitsausschlüsse, was gegenüber den bisherigen Patentrechtsvorschriften neu ist. Ausgeschlossen sind in erster Linie Verfahren zum Klonen menschlicher Lebewesen, Verfahren zur Veränderung der genetischen Identität der Keimbahn des menschlichen Lebewesens sowie die Verwendung von menschlichen Embryonen zu industriellen oder kommerziellen Zwecken. Diese expliziten Ausschließungen schaffen Rechtssicherheit.

Die jüngsten Entwicklungen im Bereich der Biotechnologie und der menschlichen Stammzellen geben Anlass zu großen therapeutischen Hoffnungen, vor allem bei der Behandlung degenerativer Erkrankungen. Dies gilt zum Beispiel für die Technik der Parthenogenese, bei der unbefruchtete Eizellen zur Teilung veranlasst werden. Der Bericht der Kommission geht auch auf die umstrittene Rechtslage bei Zelllinien ein, die von multipotenten Zellen herrühren, die ihrerseits durch „therapeutisches Klonen" erzeugt werden können. Dabei darf nicht übersehen werden, dass diese Zelllinien den Weg für entscheidende Fortschritte ebnen. Aus diesem Grund ruft die Kommission dazu auf, diese Frage weiter zu untersuchen und zu prüfen, mit welchen Maßnahmen Forschungsarbeiten auf diesem Gebiet gefördert werden können.

Nachdem der Kommissionspräsident die Europäische Sachverständigengruppe für Ethik (EN) (FR) gebeten hatte, sich mit der Frage der ethischen Aspekte der Patentierbarkeit von Erfindungen zu befassen, die sich auf menschliche Stammzellen beziehen, legte diese im Mai 2002 ihre Stellungnahme vor. Darin unterstreicht die Gruppe, wie wichtig es sei, ein angemessenes Gleichgewicht zwischen den Interessen der Erfinder und den Interessen der Gesellschaft zu finden und die Bedingungen und Grenzen für die Patentierbarkeit menschlicher Stammzellen festzulegen. Der Patentschutz müsse sich auf genau definierte gewerbliche Anwendungen beziehen und nicht etwa auf ein breites Spektrum möglicher Anwendungen.

Fazit

Der Bericht der Kommission kommt zu dem Schluss, dass der europäische Gesetzgeber seine Aufgabe darin sah, ein funktionierendes System zu entwickeln, das die gemeinschaftsweit anerkannten ethischen Grundsätze respektiert. Im Rahmen dieses Berichts haben sich zwei Themen von übergeordneter Bedeutung herauskristallisiert:

Beide Fragen werden von einer Gruppe unabhängiger Sachverständiger geprüft werden, die sich aus Patentspezialisten zusammensetzt (Wissenschaftler, Juristen, Ökonomen), die über hohe Qualifikationen im Bereich biotechnologischer und gentechnischer Erfindungen verfügen. Darüber hinaus wird diese Sachverständigengruppe die Kommission bei der Festlegung der Prioritäten für nachfolgende Berichte unterstützen.

VERWANDTE RECHTSAKTE

ZWEITER BERICHT

Bericht der Kommission vom 14. Juli 2005 an den Rat und das Europäische Parlament: Entwicklung und Auswirkungen des Patentrechts im Bereich der Biotechnologie und der Gentechnik [KOM(2005) 312 endg. -- nicht im Amtsblatt veröffentlicht]

Dieser Bericht befasst sich mit den markantesten Entwicklungen seit Veröffentlichung des ersten Berichts. Er konzentriert sich auf Fragen der Patentierung von isolierten Gensequenzen des Menschen und der Patentierbarkeit von Erfindungen mit Stammzellen. Darüber hinaus informiert er über den Stand der Umsetzung der Richtlinie.

RICHTLINIE 98/44/EG

Richtlinie 98/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Juli 1998 über den rechtlichen Schutz biotechnologischer Erfindungen, [Amtsblatt L 213 vom 30.7.1998] Die Richtlinie trifft eine klare Abgrenzung zwischen Patentierbarkeit und Nichtpatentierbarkeit. Sie stellt insbesondere klar, dass der menschliche Körper in den einzelnen Phasen seiner Entstehung und Entwicklung ebenso wenig als patentierbare Erfindung angesehen werden darf wie die Verfahren zum Klonen von menschlichen Lebewesen und die Verfahren zur genetischen Veränderung der menschlichen Keimbahn.

Letzte Änderung: 07.09.2005