Erb- und Testamentsrecht (Grünbuch)

Mit diesem Grünbuch leitet die Europäische Kommission eine öffentliche Konsultation ein, um den Bürgern bei praktischen Schwierigkeiten in Erbschafts- und Testamentsfragen konkrete Lösungen an die Hand zu geben. Die Schwierigkeiten, die sich bei einer Erbschaft mit Auslandsbezug stellen, sind oftmals auf die Unterschiede im materiellen Recht, im Verfahrensrecht und im Kollisionsrecht der Mitgliedstaaten zurückzuführen. Die zunehmende Mobilität in der Europäischen Union (EU) sowie die steigende Zahl der familiären Bindungen zwischen EU-Bürgern aus verschiedenen Mitgliedstaaten haben auch Auswirkungen im Bereich des Erb- und Testamentsrechts.

RECHTSAKT

Grünbuch: Erb- und Testamentsrecht [KOM(2005) 65 endg. - Nicht im Amtsblatt veröffentlicht]

ZUSAMMENFASSUNG

Für die Europäische Kommission kommt eine vollständige Angleichung des nationalen Erb- und Testamentsrechts der Mitgliedstaaten nicht in Frage. Im vorliegenden Grünbuch stellt sie vor allem Fragen zu dem anwendbaren Recht und den Anknüpfungskriterien sowie zu der gerichtlichen Zuständigkeit, um auf dieser Grundlage gegebenenfalls ein gemeinschaftliches Rechtsinstrument auszuarbeiten. Im Grünbuch werden Lösungswege aufgezeigt, wie die administrative Abwicklung von Erbschaften erleichtert werden kann (Einführung eines Europäischen Erbscheins und Registrierung von Testamenten).

KOLLISIONSNORMEN INNERHALB DER EUROPÄISCHEN UNION

In den Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten ist für ein und denselben Sachverhalt nicht unbedingt das Erbrecht maßgebend. Mithin sollte die Harmonisierung der erbrechtlichen Kollisionsnormen mit einer Abgrenzung ihres Anwendungsbereichs einhergehen. Anschließend sind ein oder mehrere Anknüpfungspunkte festzulegen.

Die Kommission führt eine öffentliche Konsultation zu der Frage durch, welche erbrechtlichen Aspekte geregelt werden sollen und ob sich insbesondere die Kollisionsnormen auf die Bestimmung der Erben und ihrer Rechte beschränken oder auch die Abwicklung oder Teilung des Nachlasses einbeziehen sollten. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage nach dem anwendbaren Recht: Sollte für den gesamten Anwendungsbereich derselbe Anknüpfungspunkt gelten, oder könnten für die verschiedenen erbrechtlichen Aspekte unterschiedliche Anknüpfungspunkte herangezogen werden? Muss die gemeinschaftsrechtliche Kollisionsnorm beispielsweise zwischen beweglichem und unbeweglichem Vermögen unterscheiden?

Errichtung der Testamente und Erbreihenfolge (Kommorienten)

Was die Testierfähigkeit, die Form testamentarischer Verfügungen, die Gültigkeit der Testamente usw. anbelangt, so sind die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten für Testamente und Erbverträge sehr unterschiedlich ausgestaltet. Gleiches gilt für die Kollisionsnormen. Im vorliegenden Grünbuch fragt die Kommission, welches Recht für die allgemeine Testierfähigkeit maßgebend sein soll. Eine weitere Frage betrifft die Gültigkeit des Testaments.

Die Zeitfolge, in der zwei Personen versterben, die sich gegenseitig als Erben eingesetzt haben, kann sich auf die Rechte ihrer eigenen Erben auswirken. Wenn die Personen bei demselben Ereignis sterben, gelten in den Mitgliedstaaten unterschiedliche Rechtsvorschriften: Manche Mitgliedstaaten nehmen an, dass sie zum selben Zeitpunkt verstorben sind, während andere auf die mutmaßliche zeitliche Reihenfolge ihres Todes abstellen. Wie ist eine etwaige Unvereinbarkeit der diesbezüglich geltenden Rechtsvorschriften aufzulösen, um zu verhindern, dass die Abwicklung des Nachlasses unmöglich wird?

Wahl des Erbstatuts

Die meisten Mitgliedstaaten lassen eine Rechtswahl des Erblassers oder der Erben beim Erbstatut nicht zu. Nach Ansicht der Kommission wäre hier im Hinblick auf den Anknüpfungspunkt eine gewisse Flexibilität angebracht.

Die Kommission fragt unter anderem, ob die Erblasser vor ihrem Tod das Erbstatut mit oder ohne Zustimmung ihrer mutmaßlichen Erben wählen können, oder ob die Möglichkeiten einer solchen Rechtswahl beschränkt und deren Modalitäten festgelegt werden sollten.

Sonstige Fragen im Zusammenhang mit der Abwicklung von Erbschaften

Die Konsultation der Kommission bezieht sich auch auf das Pflichtteilsrecht, die „Erbschaftstrusts" und die Frage der Rückverweisung, wenn die Kollisionsnormen als anwendbares Recht das Recht eines Drittstaats bestimmen. Zudem hängt das auf den Erbfall anwendbare Recht oftmals von einer Vorfrage ab: Gültigkeit einer Ehe, Feststellung der Abstammung usw. Welche Kollisionsnorm sollte bei solchen Fragen maßgebend sein?

GERICHTLICHE ZUSTÄNDIGKEIT

Die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten unterscheiden sich hinsichtlich der Anknüpfungspunkte, die im Falle einer Erbschaftsklage die gerichtliche Zuständigkeit regeln: letzter Wohnsitz des Erblassers, Wohnsitz des Klägers oder des Beklagten, Belegenheit der Vermögensgegenstände usw. Die Kommission geht auf die Möglichkeit, einen Gerichtsstand zu wählen, die Verfahren zur Übertragung unbeweglicher Vermögensgegenstände, die Zuständigkeit außergerichtlicher Stellen und die Trusts ein.

Wahl des Gerichtsstands. Die Kommission erwägt, einen einzigen Gerichtsstand festzulegen, ohne zwischen beweglichem oder unbeweglichem Vermögen zu unterscheiden. Sie fragt, welches allgemeine, einheitliche Zuständigkeitskriterium herangezogen werden könnte und ob man den Erben gestatten sollte, ein anderes Gericht als das bezeichnete anzurufen.

Eine Anwendung der in der künftigen EU-Regelung festgelegten Anknüpfungspunkte könnte die Zuständigkeit eines Gerichts in einem Drittstaat begründen. Nach Ansicht der Kommission ist es nicht wünschenswert, einseitig auf die Zuständigkeit der mitgliedstaatlichen Gerichte zu verzichten, zumal andere, auf Gemeinschaftsebene nicht anwendbare Anknüpfungspunkte relevant sein könnten, um einseitig die Zuständigkeit der mitgliedstaatlichen Gerichte gegenüber den Drittstaatsgerichten abzugrenzen. Wird dem Recht der Mitgliedstaaten lediglich eine „Restzuständigkeit" eingeräumt, ist eine gemeinsame Lösung nicht mehr möglich; dies kann zu anderen Kompetenzkonflikten führen. Die Kommission fragt deshalb, welche Kriterien für die Bestimmung der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten gegenüber Drittstaaten relevant wären, auch im Hinblick auf die im Hoheitsgebiet eines Drittstaats belegenen unbeweglichen Vermögensgegenstände.

Verfahren zur Übertragung unbeweglicher Vermögensgegenstände. Die Übertragung von Grundeigentum erfordert die Eintragung in mehreren Registern. Die Eintragungsformalitäten sind von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich: In manchen erfolgt die Eintragung nur auf der Grundlage einer gerichtlichen Entscheidung oder einer von den einzelstaatlichen Behörden ausgefertigten Urkunde. Hier wäre nach Meinung der Kommission zu überlegen, ob eine Änderung der Registereinträge nicht auch auf der Grundlage von in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Dokumenten erfolgen könnte.

Zuständigkeit außergerichtlicher Stellen. Nach Ansicht der Kommission könnte den Erben erlaubt werden, bestimmte Formalitäten bei außergerichtlichen Stellen wie etwa Notaren oder Bediensteten von Behörden in ihrer Nähe zu erledigen, wenn sie nicht an dem Ort wohnhaft sind, der durch die allgemeine Zuständigkeitsnorm bezeichnet wird.

Trusts. Da Erbsachen vom Anwendungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 ausgenommen sind, gibt es keine gemeinschaftsrechtlichen Zuständigkeitsvorschriften für Streitigkeiten wegen Trusts, die zur Regelung der Erbfolge errichtet worden sind („Erbschaftstrusts"). Welche Zuständigkeitsvorschriften sollten in der künftigen Gemeinschaftsregelung für „Erbschaftstrusts" vorgesehen werden?

Anerkennung und Vollstreckung. Die Kommission möchte die Abwicklung von Erbschaften erleichtern, indem sie die Anerkennung und Vollstreckung der zur Anerkennung der Erbenstellung notwendigen Urkunden und sonstigen Dokumente ermöglicht. Hierbei handelt es sich einerseits um die Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen, notariellen Urkunden und Testamenten und andererseits um die etwaige Anerkennung von Rechts wegen in sämtlichen Mitgliedstaaten.

ERLEICHTERUNG DER ADMINISTRATIVEN ABWICKLUNG VON ERBSCHAFTEN

Die Kommission möchte nicht nur die Anerkennungs- und Vollstreckungsvorschriften vereinfachen, sondern auch einen Europäischen Erbschein einführen, um die Erbringung des Nachweises der Erbenstellung zu erleichtern, ohne dass hierzu ein Verfahren angestrengt werden müsste. Zudem erwägt sie eine Registrierung der Testamente in allen Mitgliedstaaten, um die Suche nach Testamenten zu erleichtern, die oftmals schwierig ist, vor allem wenn sie im Ausland errichtet wurden.

Die Kommission stellt schließlich auch die Frage, ob sämtliche Förmlichkeiten im Zusammenhang mit der Legalisation oder der Anbringung der Apostille auf in einem Mitgliedstaat errichtete öffentliche erbrechtliche Urkunden aufgehoben werden könnten.

Letzte Änderung: 24.08.2006