Einreise von Flüchtlingen in die EU und Stärkung ihres Schutzes in den Erstasylstaaten

Die Mitgliedstaaten befassen sich schon lange mit der Möglichkeit der Bearbeitung von Asylanträgen außerhalb der Europäischen Union (EU), um die Flüchtlingsströme auf das EU-Territorium besser ordnen und kontrollieren wie auch den Schutzbedürftigen rascher internationalen Schutz gewähren zu können. In diesem Zusammenhang schlägt die Kommission die Durchführung eines Programms zur Neuansiedlung und Eingliederung von Asylbewerbern in der EU vor, was auch den Auf- und Ausbau der Aufnahmekapazitäten der Erstasylstaaten in den Herkunftsregionen von Flüchtlingen umfasst.

RECHTSAKT

Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament vom 4. Juni 2004 zur kontrollierten Einreise von Personen, die internationalen Schutz benötigen, in die Europäische Union und zur Stärkung der Schutzkapazität von Herkunftsregionen: „Verbesserung des Zugangs zu dauerhaften Lösungen" [KOM(2004) 410 endg. - Nicht im Amtsblatt veröffentlicht]

ZUSAMMENFASSUNG

In dieser Mitteilung gibt die Kommission Empfehlungen für die praktische und konkrete Durchführung des Auftrags von Thessaloniki und trägt dabei den Gesamtumständen Rechnung, dass die meisten der in der EU gestellten Asylanträge die Voraussetzungen für die Gewährung von internationalem Schutz nicht erfüllen. Die Kommission gelangt daher zu dem Schluss, dass es unter dem Gesichtspunkt der gemeinsamen Asylpolitik angebracht ist, die Einreise von Flüchtlingen in das EU-Territorium besser zu ordnen und zu kontrollieren.

Zur dauerhaften Lösung der Flüchtlingsströme in die EU verfolgt die Kommission drei Aspekte der Asylpolitik: geordnete und kontrollierte Einreise der Asylbewerber in die EU, Stärkung ihres Schutzes in den Herkunftsregionen und Durchführung von regionalen Schutzprogrammen der EU.

Geordnete und kontrollierte Einreise der Flüchtlinge in die EU

Die Kommission vertritt die Auffassung, dass die Neuansiedlung und Eingliederung der Flüchtlinge, die häufig erst an zweiter Stelle hinter der freiwilligen Rückführung in die Heimat rangiert, eine wichtige Rolle innerhalb der gemeinsamen Asylpolitik der EU spielen könnte. Daher befürwortet sie die Schaffung eines EU-weiten Neuansiedlungsprogramms. Alle Mitgliedstaaten sollten sich daran beteiligen, aber diese Beteiligung wäre flexibler Natur und nicht zwingend.

Das wichtigste Ziel dieses Neuansiedlungsprogramms bestünde in der Gewährung von internationalem Schutz unter erleichterten Bedingungen für eine geregelte und kontrollierte Einreise der Flüchtlinge in die EU. Das Programm sollte sich durch Flexibilität auszeichnen und würde dann der jeweiligen spezifischen Krisensituation angepasst. Es sollte auf konstante, obschon begrenzte Flüchtlingszahlen ausgelegt und je nach Kapazität der einzelnen Mitgliedstaaten für die Aufnahme von Asylbewerbern entsprechend modulierbar sein. Auf europäischer Ebene sollten quantitative Zielvorgaben erfolgen.

Die Neuansiedlung beträfe vor allem Einzelpersonen, die die Kriterien für die Gewährung von internationalem Schutz erfüllen, wie auch Flüchtlingsgruppen, die nach EU-Auffassung als besonders schutzbedürftig gelten. Die Auswahl der Aufnahmekandidaten könnte durch die Einwanderungsbehörden der Mitgliedstaaten im Rahmen von Befragungen auf Besuchsreisen in der jeweiligen Herkunftsregion erfolgen. Die Auswahlkriterien könnten kollektiv für alle oder spezifisch für einzelne Mitgliedstaaten gelten. Gegebenenfalls könnten die Nichtregierungsorganisationen (NRO) den Aufnahmekandidaten bei der Zusammenstellung ihrer Antragsunterlagen behilflich sein.

Die Logistikorganisation sollte sich an den Neuansiedlungsprogrammen ausrichten, die in einigen europäischen Ländern derzeit durchgeführt werden, und steht unter der Federführung des Amtes des Hohen Flüchtlingskommissars (HCR). Die Beförderung von Personen könnte von der Internationalen Organisation für Migration (IOM) in die Wege geleitet werden. Die EU würde den Mitgliedstaaten außerdem technische Hilfe bereitstellen, so u. a. für die Vorbereitung, Weiterverweisung und Auswahl der Neuansiedlungsdossiers.

Schutz der Flüchtlinge in den Herkunftsregionen

Die Kommission teilt die Auffassung des HCR, dass die internationale Staatengemeinschaft den Erstasylstaaten die nötigen Mittel an die Hand geben muss, damit diese den Flüchtlingen zu einer Existenzgrundlage verhelfen können, die mit den internationalen Standards vereinbar ist. Die Kommission weist daher mit Nachdruck auf die Notwendigkeit hin, diese Drittstaaten in Herkunftsregionen von Flüchtlingen so zu unterstützen, dass sie ihre juristischen und administrativen Kapazitäten auf- und ausbauen und eine bessere Achtung der Menschenrechte sowie mehr Rechtsstaatlichkeit sicherstellen können.

An konkreten Schritten empfiehlt die Kommission, die Bearbeitung der Asylanträge effizienter zu gestalten und auf eine stärkere lokale Integration der Asylbewerber in den Drittstaaten ihrer Herkunftsregion hinzuwirken. Die Flüchtlinge erhalten damit die Möglichkeit, sich in einem dieser Erstasylländer einzugliedern, wenn die Rückkehr in ihr Herkunftsland oder eine Neuansiedlung unmöglich sind.

Nach der Auffassung der Kommission muss das System des Flüchtlingsschutzes zwei Zweckbestimmungen dienen: Evaluierung und Stärkung der Kapazitäten für einen nachhaltigen Flüchtlingsschutz im Aufnahmestaat. Die mittel- und langfristige Zielvorgabe besteht in der Bereitstellung einer für die Zielgruppe maßgeschneiderten technischen Hilfe auf der Grundlage folgender Grundsätze:

Für die positive Bewertung, dass ein Staat in der Lage ist, den Asylbewerbern wirksamen Schutz zu bieten, müssen nach Auffassung der Kommission bestimmte Grundsätze zwingend eingehalten sein:

Die Kommission schlägt vor, das neue Programm für die finanzielle und technische Hilfe für Drittländer im Asyl- und Migrationsbereich (AENEAS) (EN) (FR) als Bezugsgröße heranzuziehen. Denn dieses Finanzinstrument bietet den Mitgliedstaaten wie auch Drittländern, internationalen Organisationen und NRO die Möglichkeit, in den Ländern der jeweiligen Herkunftsregion Projekte zum Auf- und Ausbau von Flüchtlingsschutzkapazitäten durchzuführen.

Regionale Schutzprogramme der EU

Die Kommission ist aufgefordert, zur Stärkung der Schutzkapazitäten von Drittländern und zur besseren Steuerung und Kontrolle der Einreise von Flüchtlingen in das EU-Territorium regionale EU-Schutzprogramme vorzuschlagen, die in Partnerschaft mit den Drittländern der betreffenden Herkunftsregion auszuarbeiten sind. Diesen Mehrjahresprogrammen ist beizufügen:

Darüber hinaus könnten sie als Orientierungsrahmen für die Maßnahmen der einzelnen Mitgliedstaaten in einem bestimmten Land oder einer speziellen Region dienen. Das HCR sollte eine zentrale Rolle bei der Planung und Durchführung dieser Programme spielen.

Diese regionalen Schutzprogramme der EU könnten folgenden „Maßnahmenkatalog" enthalten, wobei der Schwerpunkt auf folgenden Schutzfaktoren liegt:

Zusammenhang

Der Rat „Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen" hatte die Kommission auf seiner Tagung vom 19. Mai 2003 aufgefordert, insbesondere im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit Mittel und Wege zur Stärkung der Aufnahmekapazitäten von Drittländern zu prüfen. Es komme darauf an, die finanziellen und institutionellen Kapazitäten vieler Entwicklungsländer sowie die Tatsache zu berücksichtigen, dass die Flüchtlingsströme Auswirkungen auf diese Strukturen haben könnten.

In der Folge forderte der Europäische Rat von Thessaloniki auf seiner Tagung vom 19. und 20. Juni 2003 die Kommission auf, sich mit den Möglichkeiten einer geordneteren und kontrollierteren Einreise von Flüchtlingen, die internationalen Schutz benötigen, in die EU zu befassen und über einen besseren Schutz in ihren Herkunftsregionen nachzudenken.

Im Rahmen eines Seminars, das von der italienischen EU-Präsidentschaft im Oktober 2003 in Rom veranstaltet wurde, verteidigten die Mitgliedstaaten schließlich die Idee eines EU-weiten Neuansiedlungsprogramms. Dieses Programm stelle ein nützliches politisches Instrument zur Erarbeitung umfassender Lösungen für Flüchtlingssituationen und zur Bekämpfung der illegalen Einwanderung und des Menschenhandels dar. Die kontrollierte Einreise von Asylbewerbern wäre ebenfalls ein wirksames Instrument zur Bekämpfung rassistischer und fremdenfeindlicher Einstellungen, da die öffentliche Meinung dafür günstig sein dürfte.

VERWANDTE RECHTSAKTE

Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes [Amtsblatt L 304 vom 30.9.2004]

Mitteilung der Kommission vom 3. Juni 2003: „Für leichter zugängliche, gerechtere und besser funktionierende Asylsysteme" [KOM(2003) 315 endg. - Amtsblatt C 76/21 vom 25.3.2004] Die Kommission stellt fest, dass im derzeitigen internationalen Schutzsystem gravierende Lücken vorhanden sind und kommt zu dem Schluss, dass es angebracht ist, das gemeinsame europäische Asylsystem Stufe für Stufe zu verwirklichen. Ihr zufolge sind drei Ziele zu verfolgen:

Mitteilung der Kommission vom 26. März 2003 über die gemeinsame Asylpolitik und die Agenda für den Flüchtlingsschutz [KOM(2003) 152 endg. - Amtsblatt C 76/2 vom 25.3.2004] In dieser Mitteilung befasst sich die Kommission mit Lösungsmöglichkeiten, wie die beträchtlichen Human- und Finanzmittel der Mitgliedstaaten wirkungsvoller in die Aufnahme von Asylbewerbern investiert werden könnten. Mit Blick auf ein besser funktionierendes Asylsystem legt sie drei komplementäre Ziele fest:

Mitteilung der Kommission vom 3. Dezember 2002: „Einbeziehung von Migrationsbelangen in die Beziehungen der Europäischen Union zu Drittländern" [KOM(2002) 703 endg. - Nicht im Amtsblatt veröffentlicht] In dieser Mitteilung stellt die Kommission die verschiedenen Gemeinschaftsmaßnahmen zugunsten von Flüchtlingen vor, so insbesondere auf dem Gebiet der humanitären Hilfe und der Entwicklungszusammenarbeit. Dabei gelangt sie zu dem Schluss, dass diese Hilfe jedoch weder ausreichend noch hinreichend geeignet ist, um den gesamten Bedarf zu decken, der durch eine lang anhaltende Präsenz von Flüchtlingen entsteht. Auch hebt sie die Bedeutung von Initiativen hervor, die eine Verknüpfung zwischen Soforthilfe, Rehabilitation und Entwicklungszusammenarbeit herstellen, wie auch von Gemeinschaftsaktionen wie dem Europäischen Entwicklungsfonds (EEF), dem MEDA-Programm oder dem CARDS-Programm.

Mitteilung der Kommission vom 22. November 2000: „Für ein gemeinsames Asylverfahren und einen unionsweit geltenden einheitlichen Status für die Personen, denen Asyl gewährt wird" [KOM(2000) 755 endg. - Nicht im Amtsblatt veröffentlicht] In dieser Mitteilung gibt die Kommission die Anregung, dass eine Bearbeitung der Asylanträge in den Herkunftsregionen in Verbindung mit einer Neuansiedlungs- und Eingliederungsstrategie geeignete Mittel sein könnten, um den Flüchtlingen Zugang zum Schutz zu gewähren, ohne dass sie Opfer von illegalen Einwanderungsnetzen und Menschenhandel werden. Zudem müssten die Asylbewerber nicht längere Wartezeiten auf sich nehmen, bis ihnen der Flüchtlingsstatus zuerkannt wird.

Letzte Änderung: 25.02.2005