Auf dem Weg zu einem Europa ohne Hindernisse für Menschen mit Behinderungen

Die Kommission untersucht, durch welche Maßnahmen die Zugänglichkeit für Menschen mit Behinderungen verbessert werden kann. Sie fordert eine Zusammenarbeit und einen Austausch über bewährte Verfahren zum Abbau bestehender Hindernisse. Um die Öffentlichkeit für das Thema zu sensibilisieren, schlägt sie vor, das Jahr 2003 zum „Europäischen Jahr der Menschen mit Behinderung" auszurufen.

RECHSAKT

Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen vom 12. Mai 2000 - Auf dem Weg zu einem Europa ohne Hindernisse für Menschen mit Behinderungen - [KOM(2000) 284 endg. - nicht im Amtsblatt veröffentlicht].

ZUSAMMENFASSUNG

Etwa 37 Millionen Menschen in der Europäischen Union sind von der einen oder anderen Form der Behinderung betroffen (motorische, geistige, Hör-, Sprach- und Sehstörungen). Sie sehen sich im täglichen Leben mit erheblichen Barrieren konfrontiert, beispielsweise im Hinblick auf die Verkehrsbeförderung, mangelnde Hilfsmittel und die allgemeine und berufliche Bildung. Die bestehenden Hindernisse müssen durch Rechtsvorschriften, Anpassungen, universelles Design und andere Mittel aus dem Weg geräumt werden. Die Verbesserung der Zugänglichkeit für Menschen mit Behinderungen hat positive Auswirkungen auf die berufliche Lebensqualität, den Verbraucherschutz und die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen.

Negative Einstellungen gegenüber Behinderungen müssen unbedingt abgebaut werden. Um die Öffentlichkeit für das Thema zu sensibilisieren und neue Maßnahmen anzustoßen, könnte das Jahr 2003 zum „Europäischen Jahr der Menschen mit Behinderung" ausgerufen werden. Die Beteiligung von Menschen mit Behinderungen kann dank des modernen technologischen Fortschritts, statistischer Daten über die Inzidenz von Behinderungen und ihre Auswirkungen auf die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben sowie mithilfe von Instrumenten der Koordination und Anhörung verbessert werden. Obgleich diese Bereiche in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen, können die Gemeinschaftsaktivitäten einen wesentlichen Beitrag und eine Ergänzung zur Behindertenpolitik der Mitgliedstaaten leisten. Die Europäische Gemeinschaft kann dazu beitragen, die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten sowie den Austausch und die Weiterentwicklung bewährter Praktiken zu fördern.

ERREICHTES UND NEUE IMPULSE

Die Mitgliedstaaten, NRO und Sozialpartner führen derzeit Diskussionen und Untersuchungen über neue Tendenzen, Konzepte und innovative Strategien und Verfahren im Bereich der Beschäftigungschancen für Menschen mit Behinderungen durch. Die europäischen Institutionen haben darüber hinaus einen Verhaltenskodex zur Chancengleichheit im öffentlichen Dienst für die Generaldirektionen und Dienststellen angenommen. Finanzielle Unterstützung wurde im Rahmen der Initiativen EMPLOYMENT gewährt, um denen zu helfen, die Schwierigkeiten haben, einen Arbeitsplatz zu finden oder zu behalten. Im Rahmen von HORIZON wurden 1700 Projekte für Menschen mit physischen oder psychischen Behinderungen unterstützt. Aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) werden beträchtliche Summen bereitgestellt, um die Beschäftigungsperspektiven von Menschen mit Behinderungen zu verbessern. Im Programmplanungszeitraum 2000-2006 lag der Schwerpunkt auf den Bereichen Beschäftigung und Chancengleichheit. Die Sozialpartner haben darüber hinaus ein Kompendium vorbildlicher Verfahren erstellt und auf die Notwendigkeit verwiesen, die Beschäftigungsfähigkeit behinderter Menschen zu fördern. Im Rahmen von Gemeinschaftsprogrammen (wie Sokrates, Phare, Tacis...) wurden zahlreiche Projekte, die sich zentral mit den Bedürfnissen von Menschen mit Behinderungen befassen, unterstützt.

Auch wenn bereits vieles erreicht wurde, bleibt noch einiges zu tun, um das Ziel der uneingeschränkten Teilhabe für Menschen mit Behinderungen zu erreichen. In der Initiative EQUAL (2000-2006) wird untersucht, welche Möglichkeiten zur Bekämpfung von Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt bestehen. Die Annahme dieser Instrumente ist aber nur Teil einer breiter angelegten Strategie. Es ist von größter Bedeutung, auf EU-Ebene umfassendere Normen anzunehmen, die die allgemeinen Konzepte der Nichtdiskriminierung und des gleichberechtigten Zugangs in den Prozess zur Vollendung des Binnenmarktes einfließen lassen. Die Kommission empfiehlt eine stärkere Koordinierung in den Bereichen Beschäftigung, allgemeine und berufliche Bildung, Transport, Binnenmarkt, Informationsgesellschaft, neue Technologien und Verbraucherpolitik.

WEGWEISER

Zu mehr Mobilität und Zugänglichkeit

Ungehinderte Fortbewegung ist Voraussetzung für die Teilhabe an allen Aktivitäten des Lebens. Sie sollte als Recht angesehen werden, das allen Menschen zusteht. So laufen derzeit auch zahlreiche Initiativen, um die ungehinderte Fortbewegung zu verbessern. Sie zielen darauf ab, die Inanspruchnahme des Verkehrssystems zu erleichtern und die Zugänglichkeit von Fahrzeugen, die für den öffentlichen Personenverkehr auf Straße und Schiene bestimmt sind, auszubauen. Bessere Transportmöglichkeiten tragen zu einer Aufwertung des öffentlichen Personenverkehrs bei, vermindern die soziale Ausgrenzung und halten Mobilität und Integration aufrecht.

Die Kommission schlägt vor, Dienstleistungen und Infrastruktur der öffentlichen Verkehrsmittel zu verbessern. Sie erarbeitet technische Beschreibungen, um den Eisenbahnverkehr für Menschen mit Behinderungen zugänglich zu machen. Sie setzt die Empfehlung der Internationalen Seeschifffahrtsorganisation über den Bau und den Betrieb von Schiffen, die den Bedürfnissen älterer und behinderter Menschen entsprechen, um. Sie empfiehlt, die Leitlinien für das transeuropäische Verkehrsnetz (TEN) zu überarbeiten, damit die Mitgliedstaaten einen besseren Netzzugang für Menschen mit eingeschränkter Bewegungsfähigkeit schaffen. Darüber hinaus untersucht die Kommission die Möglichkeit, die „gegenseitige Anerkennung" auf Gemeinschaftsebene voranzutreiben, wie bereits in Punkto Parkausweis für behinderte Menschen geschehen. Sie hat eine Datenbank mit dem Titel „Europäischer Informationsdienst für den Lokalverkehr" eingerichtet, in der vorbildliche Verfahren für den Lokal- und Regionalverkehr erfasst sind. Sie schlägt zudem vor, im fünften Rahmenprogramm für Forschung die Verkehrsinfrastrukturen und ihre Schnittstellen zu Verkehrsmitteln und -systemen, die nachhaltige Mobilität und Intermodalität sowie die Systeme und Dienstleistungen für den Bürger zu berücksichtigen.

Zugängliche Busse nützen nur wenig, wenn Personen mit eingeschränkter Beweglichkeit die Haltestelle nicht erreichen oder sie den Fahrkartenautomat nicht benutzen können. Durch eine engere Zusammenarbeit und Einbeziehung der Aspekte Verkehrssysteme, Gebäude und sonstige öffentlich zugängliche Orte könnten wirksame Ergebnisse erzielt werden. Eine Überprüfung der Zugänglichkeitsanforderungen muss im Übrigen bereits bei der Planung von Verkehrsmitteln und Infrastruktureinrichtungen erfolgen. Eine bessere Zugänglichkeit hat viele positive Auswirkungen. Erstens ist eine gute und sichere Arbeitsumwelt sowohl dem Gesundheitsschutz als auch der Wahrung der Arbeitsfähigkeit und somit der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen zuträglich. Zweitens ist die Zugänglichkeit lukrativ, dies gilt insbesondere für den Fremdenverkehr, wo sie die Zahl der Kunden beträchtlich ansteigen lässt. Schließlich trägt die Harmonisierung von Bauvorschriften entscheidend zur Förderung eines europaweiten Marktes bei. Die Kommission schlägt daher vor, die Bereiche zu ermitteln, in denen Gemeinschaftsnormen gelten sollten, und will sich dafür einsetzen, dass diese angewandt und eingehalten werden.

Nutzung einer Informationsgesellschaft zum Wohle aller

Die neuen Technologien können ungeahnte Möglichkeiten eröffnen und müssen allen zugänglich gemacht werden. Die Kommission hat gezielte Maßnahmen zur Maximierung des Beitrags der Informationsgesellschaft zur Förderung von Beschäftigung und Integration aufgezeigt. Sie fordert die Mitgliedstaaten auf, den Zugang zu festen öffentlichen Telefondiensten zu einem erschwinglichen Preis sicherzustellen. Die Kommission hat die europäischen Normungsorganisationen aufgefordert, die besonderen Bedürfnisse zur besseren Integration von älteren Menschen und Menschen mit Behinderungen in die Informationsgesellschaft zu ermitteln. Sie wird ein europäisches Netzwerk ins Leben rufen, um die Interaktion zwischen den nationalen Spitzenforschungszentren zu fördern und die Entwicklung von Ausbildungsgängen in „Design for all" für Entwickler und Ingenieure voranzutreiben. Die gemeinsame Forschungsstelle der Kommission ist ebenfalls mit Forschungsarbeiten auf dem Gebiet der neuen Technologien (Internetzugang, Spracherkennungssysteme …) tätig.

Die Initiative eEurope verfolgt das Ziel, den Nutzen der Informationsgesellschaft allen Europäern zugänglich zu machen. Sie überprüft die Rechtsvorschriften und Normungsprogramme im Zusammenhang mit der Informationsgesellschaft, um sicherzustellen, dass sie dem Grundsatz der Zugänglichkeit Rechnung tragen. Sie zielt darauf ab, die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen bei der Beschaffung von Informations- und Kommunikationsprodukten durch die öffentliche Hand mit zu berücksichtigen. Sie möchte gewährleisten, dass Gestaltung und Inhalt von Internetseiten durch die Initiative „Webzugänglichkeit" (WAI) für alle zugänglich werden.

Für eine intensivere Entwicklung des gemeinsamen Marktes für unterstützende Technologie (AT)

Das Konzept „Design for all" trägt den Bedürfnissen eines sehr breiten Verbraucherspektrums Rechnung. Es ist jedoch nicht immer möglich, den Ansprüchen von Menschen zu genügen, die schwerbehindert sind. Idealerweise wird daher eine unterstützende Technologie gewählt, das heißt eine Anpassung oder Kopplung bestehender Produkte und Dienstleistungen an besondere Anforderungen. Die Branche für unterstützende Technologie ist jedoch leider sehr stark zersplittert, was auch auf durch die uneinheitlichen nationalen Bestimmungen, die Modalitäten für die Ausgabe und die Anspruchsberechtigung der für die Inanspruchnahme von Hilfsmitteln und sonstigen Vorrichtungen in Frage kommenden Betroffenen bedingt ist. Diese Segmentierung betrifft insbesondere die Produkte und Dienstleistungen für Kunden mit einer besonderen Behinderung. Diese Spezialprodukte werden häufig von kleinen und mittelständischen Betrieben hergestellt, die eine beschränkte Auswahl anbieten und nur über begrenzte Ressourcen verfügen. Eine angemessene Entwicklung dieses Marktes brächte ein gewaltiges Kostensenkungspotential und die Chance auf eine Verfügbarkeit der Produkte zu einem guten Preis-/Leistungsverhältnis mit sich. Es gilt sich schnellstmöglich mit den angesprochenen Problemen auseinanderzusetzen, um den Markt nicht an die ausländische Konkurrenz zu verlieren.

Die Freizügigkeit von Personen, die grenzüberschreitende Inanspruchnahme von Dienstleistungen und der barrierefreie Verkauf von Produkten sind Ziele, für die sich die EU weiterhin stark machen wird. Die Kommission befürwortet die Senkung oder Abschaffung von Zöllen und anderen Abgaben auf Hilfsmittel und sonstige Vorrichtungen für behinderte Menschen. Sie untersucht ferner, ob es möglich ist, Normungsanforderungen festzulegen, um die Wettbewerbsfähigkeit des Marktes zu stärken und einen besseren Zugang zu den Produkten zu schaffen. Sie setzt sich dafür ein, die Zusammenarbeit und den Austausch zwischen den bestehenden und zukünftigen einzelstaatlichen Informationsstellen für unterstützende Technologie unter Berücksichtigung der Möglichkeiten, die sich durch die zunehmende Nutzung des Internets bieten, zu verbessern.

POLITISCHE INSTRUMENTE

Solide Grundkenntnisse, angemessene Koordinations- und Anhörungsmechanismen sowie zuverlässige statistische und demografische Daten sind für die Konzeption erfolgreicher Maßnahmen unerlässlich. Es werden Daten über den Gesundheitszustand, den sozialen Schutz, die Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz, die Beschäftigung und die allgemeine Bildung gesammelt. Im Hinblick auf einheitliche Begriffsbestimmungen, Definitionen und Methoden und eine bessere Vergleichbarkeit der Daten ist eine Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten stark erwünscht. Darüber hinaus schlägt die Kommission vor, ein Programm für Gesundheitsüberwachung zu schaffen, um zu einer besseren Einschätzung der unterschiedlichen Behinderungsarten und -schweregrade zu gelangen. Sie will Programme entwerfen, die allen Bürgern zugänglich sind und spezifische Maßnahmen in den allgemeinen Programmen vorsehen.

Menschen mit Behinderungen haben aufgrund ihrer Lebenserfahrung die Fähigkeit, sehr schnell Strategien und Verfahren aufzuzeigen, die ihnen den Zugang erschweren, und andererseits zahlreiche mögliche Lösungsansätze zu finden. Die Kommission unterstützt Partnerschaften und bemüht sich, Verfahren und Mechanismen zugunsten einer intensiveren Anhörung der Betroffenen zu fördern. Hauptinstrument für die Koordinierung der Behindertenpolitik auf Ebene der Kommission ist bisher die interdirektionale Gruppe für Behindertenfragen. Sie hat zum Ziel, Audit-Instrumente und Informationen für die Kommissionsdienststellen zu erarbeiten.

SENSIBILISIERUNG, INTENSIVIERUNG DER ZUSAMMENARBEIT UND DYNAMISIERUNG

Die erläuterten Leitlinien und die laufenden Arbeiten werden dazu beitragen, dass weitere Fortschritte beim Abbau von Barrieren und bei der Förderung der Chancengleichheit von behinderten Menschen erzielt werden, damit diese uneingeschränkt an allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens teilhaben können. Die Zugänglichkeit ist ein Thema, mit dem politische Entscheidungsträger, Unternehmen und die gesamte Gesellschaft für das Erforderliche sensibilisiert werden können. Sie ist eng verknüpft mit der uneingeschränkten Wahrnehmung der Bürgerrechte. Für eine Verwirklichung dieser Zielvorgabe bedarf es allerdings der Beteiligung, der Unterstützung und der Zusammenarbeit aller (staatliche Stellen, Privatsektor, Gebietskörperschaften, Interessenverbände, behinderte Menschen und ihre Familienangehörigen). Die Kommission wird auch die Beitrittsländer anregen, die Entwicklung der Gemeinschaftspolitik zugunsten von behinderten Menschen aufmerksam zu verfolgen. Und schließlich werden die Fortschritte bei der Umsetzung dieser Mitteilung in einem Bericht an den Rat und das Europäische Parlament bewertet werden. Dieser Bericht wird einer der Beiträge der Kommission zu diesem Europäischen Jahr sein.

Letzte Änderung: 15.05.2007