Praktische Verhaltensregeln zur Bekämpfung von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz

Entsprechend der Entschließung des Rates vom 29. Mai 1990 zum Schutz der Würde von Frauen und Männern am Arbeitsplatz beabsichtigt die Europäische Kommission, den Arbeitgebern, Gewerkschaften und Arbeitnehmern praktische Leitlinien an die Hand zu gegeben, um sexueller Belästigung entgegenzuwirken und die zügige Anwendung von gezielten Verfahren zur Bewältigung bzw. Vermeidung des Problems zu gewährleisten. Der Verhaltenskodex richtet sich des Weiteren an alle erwerbstätigen Frauen und Männer, um sie dazu anzuhalten, die Menschenwürde jedes Einzelnen zu achten.

RECHTSAKT

Praktische Verhaltensregeln der Kommission zur Bekämpfung von sexueller Belästigung [Amtsblatt L 49 vom 24.2.1992].

ZUSAMMENFASSUNG

Die Kommission verweist auf die in ihrer Empfehlung festgehaltene allgemeine Begriffsbestimmung der sexuellen Belästigung. Es obliegt weiterhin den Richtern in den Mitgliedstaaten, zu entscheiden, ob die ihnen unterbreiteten Fälle in diese Kategorie fallen und eine strafbare Handlung darstellen oder gegen gesetzliche Auflagen (insbesondere im Zusammenhang mit Sicherheit und Gesundheit) oder gegen die tarifvertraglich oder anderweitig festgelegte Fürsorgepflicht des Arbeitgebers verstoßen. Die Kommission fordert die öffentlichen und privaten Arbeitgeber, die Gewerkschaften und die Arbeitnehmer auf, die im Verhaltenskodex niedergelegten praktischen Regeln zu befolgen und entsprechende Klauseln in die Tarifvereinbarungen einzufügen.

Empfehlungen für Arbeitgeber

Vermeidung

Die Arbeitgeber sollten eine Grundsatzerklärung erlassen, in der ausdrücklich festgehalten wird, dass sexuelle Belästigung nicht erlaubt ist und nicht geduldet wird und dass die Beschäftigten das Recht haben, sich wegen sexueller Belästigung zu beschweren. In der Grundsatzerklärung ist zu verdeutlichen, was als unangebrachtes Verhalten gilt; außerdem soll darauf hingewiesen werden, dass ein derartiges Verhalten unter bestimmten Umständen gesetzeswidrig sein kann. Es soll erläutert werden, wie im Fall einer Beschwerde oder eines Hilfegesuchs vorzugehen ist. Ferner sollen die Disziplinarmaßnahmen aufgeführt werden. In der Grundsatzerklärung soll garantiert werden, dass Beschwerden ernst genommen und rasch und vertraulich abgewickelt werden und dass die beschwerdeführende Person vor Vergeltungsmaßnahmen geschützt wird. Nach Festsetzung der Grundsätze sind diese allen Beschäftigten mitzuteilen, um das Bewusstsein auf möglichst breiter Basis zu schärfen. Die Führungskräfte erläutern dem Personal die Grundsätze der Unternehmensleitung, ergreifen die einschlägigen Maßnahmen, unterstützen die Opfer und geben alle zweckdienlichen Informationen. Die Unterweisung der Führungskräfte stellt ein wichtiges Mittel zur Bekämpfung der sexuellen Belästigung dar.

Verfahren

Es müssen eindeutige und klare Vorgehensweisen mit praktischen Leitlinien für die Problembewältigung festgelegt werden, die die Beschäftigten auf ihre gesetzlich geschützten Rechte und auf die Fristen bei deren Wahrnehmung hinweisen. Es sollte empfohlen werden, zunächst möglichst eine informelle Ausräumung des Problems anzustreben, indem die betroffene Person oder eine Mittelsperson klarstellt, dass das Verhalten als belästigend und beleidigend empfunden wird und sich nachteilig auf die Arbeit auswirkt. Wenn die Belästigung andauert, sollte Beschwerde eingereicht werden. Es wird empfohlen, ein offizielles Verfahren zur Prüfung der Beschwerden festzulegen, in das die Beschäftigten volles Vertrauen haben. Es sollte auch präzisiert werden, an wen die Beschwerde zu richten ist. Außerdem wird empfohlen, eine Person zu nennen, die Beratung und Unterstützung anbietet. Sowohl die beschwerdeführende als auch die beschuldigte Person haben ein Recht auf Vertretung durch einen Gewerkschaftsvertreter, einen Freund oder einen Kollegen. Die Arbeitgeber sollten die Abwicklung von Beschwerden überwachen und überprüfen, um so zu gewährleisten, dass die Verfahren wirksam sind. Die Untersuchungen sind von unabhängigen Personen mit Takt und unter Respektierung der Rechte sowohl der beschwerdeführenden als auch der beschuldigten Person durchzuführen. Die Beschwerden sind schnell und vertraulich zu behandeln. Die Untersuchung muss sich auf die Fakten der Beschwerde konzentrieren. Verstöße gegen die Grundsätze des Unternehmens sind als Disziplinarvergehen zu behandeln. In den Disziplinarvorschriften muss eindeutig festgelegt sein, was als unangebrachtes Verhalten angesehen wird. Außerdem sollten die vorgesehenen Strafen genannt werden. Vergeltungsmaßnahmen gegen Beschäftigte, die bona fide eine Beschwerde vorgebracht haben, sind ebenfalls als Disziplinarvergehen anzusehen.

Empfehlungen für Gewerkschaften

Sexuelle Belästigung ist ein Problem, das die Gewerkschaften betrifft und das diese im Fall einer Beschwerde ernst nehmen und mit Verständnis behandeln müssen. Es obliegt den Gewerkschaften, klare Aussagen zur sexuellen Belästigung zu formulieren und bekannt zu machen, sowie Maßnahmen zu ergreifen, die das Bewusstsein der Beschäftigten für das Problem wecken, um so ein Klima zu schaffen, in dem sexuelle Belästigung weder geduldet noch ignoriert wird. Die Gewerkschaften sollten erklären, dass sexuelle Belästigung eine unangebrachte Verhaltensweise darstellt; außerdem sollten sie das Personal über die möglichen Folgen aufklären. Ferner ist es ratsam, sicherzustellen, dass es genügend weibliche Vertreter gibt, die sexuell belästigte Frauen unterstützen können.

Arbeitnehmerpflichten

Die Arbeitnehmer spielen eine wichtige Rolle, indem sie jeder anstößigen Verhaltensweise entgegenwirken und zeigen, dass für sie ein derartiges Verhalten unannehmbar ist. Sie können zur Verhinderung von sexueller Belästigung dadurch beitragen, dass sie sich das Problem bewusst machen, sensibel darauf reagieren und sicherstellen, dass ihr eigenes Verhalten und das der Kollegen nicht verletzend ist. Die Arbeitnehmer müssen die Opfer unterstützen und die Betriebsleitung und/oder den Arbeitnehmervertreter auf dem entsprechenden Dienstweg informieren.

VERBUNDENE RECHTSAKTE

Mitteilung der Kommission vom 24. Juli 1996 über die Anhörung der Sozialpartner zum Thema Verhütung der sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz

Im Jahr 1996 veröffentlichte die Kommission eine Mitteilung, mit der die erste Phase der Anhörung der Sozialpartner zur Vermeidung von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz eingeleitet wurde. Gleichzeitig legte sie den Bewertungsbericht zur Empfehlung von 1991 zum Schutz der Würde von Frauen und Männern am Arbeitsplatz vor, der anhand der von den Mitgliedstaaten übermittelten Informationen erstellt worden war. Bei der Anhörung der Sozialpartner zeigte sich, dass die Ansichten darüber, wie gegen sexuelle Belästigung vorzugehen ist, auseinandergingen. Die Arbeitgeberorganisationen sprachen sich für Initiativen auf nationaler Ebene aus, während die Arbeitnehmerorganisationen ein verbindliches gemeinschaftliches Rechtsinstrument forderten. Aufgrund der Unwirksamkeit der nationalen Vorschriften mit repressivem Charakter befürwortete die Kommission daher die Realisierung einer globalen Präventionsstrategie, die Bestimmungen und Verfahren beinhalten sollte, die sich speziell auf die Arbeitsumgebung anwenden ließen. Mit der Mitteilung der Kommission vom 19. März 1997 wurde eine zweite Konsultationsphase eingeleitet. Da die Sozialpartner der Aufforderung, Stellung zu den Elementen einer globalen Politik zu beziehen und über eine Tarifvereinbarung auf europäischer Ebene zu verhandeln, nicht Folge geleistet haben, könnte die Kommission, wie in ihrer Mitteilung aus dem Jahr 1997 angekündigt, andere Mittel zur Verhinderung sexueller Belästigung erwägen, u. a. die Annahme eines verbindlichen Rechtsinstruments.

Erklärung des Rates vom 19. Dezember 1991 zur Durchführung der Empfehlung der Kommission zum Schutz der Würde von Frauen und Männern am Arbeitsplatz, einschließlich des Verhaltenskodex gegen sexuelle Belästigung [Amtsblatt C 27 vom 4. Februar 1992]

Der Rat teilt die Ansicht der Kommission und

Entschließung des Rates vom 29. Mai 1990 zum Schutz der Würde von Frauen und Männern am Arbeitsplatz [Amtsblatt C 157 vom 27.06.1990].

Letzte Änderung: 21.05.2007