Brüssel, den 23.5.2018

COM(2018) 405 final

Empfehlung für eine

EMPFEHLUNG DES RATES

zum Nationalen Reformprogramm Deutschlands 2018

mit einer Stellungnahme des Rates zum Stabilitätsprogramm Deutschlands 2018


Empfehlung für eine

EMPFEHLUNG DES RATES

zum Nationalen Reformprogramm Deutschlands 2018

mit einer Stellungnahme des Rates zum Stabilitätsprogramm Deutschlands 2018

DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION –

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf Artikel 121 Absatz 2 und Artikel 148 Absatz 4,

gestützt auf die Verordnung (EG) Nr. 1466/97 des Rates vom 7. Juli 1997 über den Ausbau der haushaltspolitischen Überwachung und der Überwachung und Koordinierung der Wirtschaftspolitiken 1 , insbesondere auf Artikel 5 Absatz 2,

gestützt auf die Verordnung (EU) Nr. 1176/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2011 über die Vermeidung und Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte 2 , insbesondere auf Artikel 6 Absatz 1,

auf Empfehlung der Europäischen Kommission 3 ,

unter Berücksichtigung der Entschließungen des Europäischen Parlaments 4 ,

unter Berücksichtigung der Schlussfolgerungen des Europäischen Rates,

nach Stellungnahme des Beschäftigungsausschusses,

nach Stellungnahme des Wirtschafts- und Finanzausschusses,

nach Stellungnahme des Ausschusses für Sozialschutz,

nach Stellungnahme des Ausschusses für Wirtschaftspolitik,

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)Am 22. November 2017 nahm die Kommission den Jahreswachstumsbericht an, mit dem das Europäische Semester der wirtschaftspolitischen Koordinierung 2018 eingeleitet wurde. Dabei wurde der europäischen Säule sozialer Rechte, die am 17. November 2017 vom Europäischen Parlament, vom Rat und von der Kommission proklamiert wurde, gebührend Rechnung getragen. Die Prioritäten des Jahreswachstumsberichts wurden am 22. März 2018 vom Europäischen Rat gebilligt. Am 22. November 2017 nahm die Kommission auf der Grundlage der Verordnung (EU) Nr. 1176/2011 auch den Warnmechanismus-Bericht an, in dem sie Deutschland als einen der Mitgliedstaaten nannte, für die eine eingehende Überprüfung durchzuführen sei. Am selben Tag nahm die Kommission auch eine Empfehlung für eine Empfehlung des Rates zur Wirtschaftspolitik des Euro-Währungsgebiets an, die am 22. März 2018 vom Europäischen Rat gebilligt wurde. Am 14. Mai 2018 nahm der Rat die Empfehlung zur Wirtschaftspolitik des Euro-Währungsgebiets (im Folgenden „Empfehlung für das Euro-Währungsgebiet“) an.

(2)Als Mitgliedstaat, dessen Währung der Euro ist, und angesichts der engen Verflechtungen zwischen den Volkswirtschaften in der Wirtschafts- und Währungsunion sollte Deutschland die vollständige und fristgerechte Umsetzung der Empfehlung zur Wirtschaftspolitik des Euro-Währungsgebiets, die in den nachstehenden Empfehlungen 1 und 2 ihren Niederschlag findet, sicherstellen.

(3)Der Länderbericht Deutschland 2018 5 wurde am 7. März 2018 veröffentlicht. Darin wurden die Fortschritte Deutschlands bei der Umsetzung der länderspezifischen Empfehlungen des Rates vom 11. Juli 2017, bei der Umsetzung der Empfehlungen der Vorjahre und bei der Verwirklichung seiner nationalen Ziele im Rahmen der Strategie Europa 2020 bewertet. Im Länderbericht wurde außerdem eine eingehende Überprüfung nach Artikel 5 der Verordnung (EU) Nr. 1176/2011 vorgenommen, deren Ergebnisse ebenfalls am 7. März 2018 6 veröffentlicht wurden. Die Kommission gelangt aufgrund ihrer Analyse zu dem Schluss, dass in Deutschland makroökonomische Ungleichgewichte bestehen. Insbesondere der anhaltend hohe Leistungsbilanzüberschuss ist von grenzüberschreitender Bedeutung und spiegelt die im Vergleich zur Sparquote verhaltene Investitionstätigkeit sowohl im privaten als auch im öffentlichen Sektor wider. Der weitgehend gegenüber Nicht-EU-Staaten bestehende Leistungsbilanzüberschuss ist seit 2016 leicht zurückgegangen und dürfte wegen der stärkeren Inlandsnachfrage in den kommenden Jahren allmählich weiter sinken, wird innerhalb des Prognosezeitraums allerdings auf historisch hohem Niveau bleiben. Auch wenn das Wachstum zunehmend durch die Inlandsnachfrage getragen wird, bleiben Verbrauch und Investitionen im Verhältnis zum BIP doch gedämpft, obwohl die konjunkturellen und finanziellen Bedingungen günstig sind und Bedarf an Infrastrukturinvestitionen besteht, für die haushaltspolitischer Spielraum vorhanden ist. Auch wenn eine Reihe von Maßnahmen ergriffen wurde, um die öffentlichen Investitionen zu stärken, haben diese Anstrengungen bislang doch noch keinen nachhaltigen Aufwärtstrend bei der öffentlichen Investitionsquote bewirkt. Auch bei der Umsetzung der Empfehlungen in anderen Bereichen wurden nur begrenzte Fortschritte erzielt.

(4)Am 30. April 2018 übermittelte Deutschland sein Nationales Reformprogramm 2018 und sein Stabilitätsprogramm 2018. Um wechselseitigen Zusammenhängen Rechnung zu tragen, wurden beide Programme gleichzeitig bewertet.

(5)Die einschlägigen länderspezifischen Empfehlungen wurden bei der Programmplanung der europäischen Struktur- und Investitionsfonds für den Zeitraum 2014-2020 berücksichtigt. Gemäß Artikel 23 der Verordnung (EU) Nr. 1303/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates 7 kann die Kommission einen Mitgliedstaat zur Überarbeitung seiner Partnerschaftsvereinbarung und der jeweiligen Programme und zur Unterbreitung von Änderungsvorschlägen auffordern, wenn dies für die Förderung der Umsetzung der einschlägigen Empfehlungen des Rates notwendig ist. In den Leitlinien für die Anwendung von Maßnahmen zur Schaffung einer Verbindung zwischen der Wirksamkeit der europäischen Struktur- und Investitionsfonds und der ordnungsgemäßen wirtschaftspolitischen Steuerung 8 hat die Kommission erläutert, wie sie diese Bestimmung anzuwenden gedenkt.

(6)Deutschland befindet sich derzeit in der präventiven Komponente des Stabilitäts- und Wachstumspakts und unterliegt der Schuldenregel. In ihrem Stabilitätsprogramm 2018 plant die Bundesregierung für den Zeitraum 2018-2021 einen Haushaltsüberschuss zwischen 1 und 1 ½ % des BIP. Das mittelfristige Haushaltsziel – ein strukturelles Defizit von 0,5 % des BIP – wird im gesamten Programmzeitraum weiterhin mit Abstand erfüllt. Dem Stabilitätsprogramm zufolge soll die gesamtstaatliche Schuldenquote bis 2021 allmählich auf 53 % sinken. Im Stabilitätsprogramm werden zwar mehrere geplante Maßnahmen des Koalitionsvertrags vom März 2018 genannt und beschrieben, die sich im Zeitraum 2018-2021 auf insgesamt rund 1 ½ % des BIP belaufen sollen, doch werden diese noch nicht in die Projektionen des Stabilitätsprogramms eingerechnet, da sie noch nicht verabschiedet sind. Das diesen Haushaltsprojektionen zugrunde liegende makroökonomische Szenario, das nicht von einer unabhängigen Einrichtung gebilligt wurde, ist plausibel. 9 Ausgehend von der Frühjahrsprognose 2018 der Kommission dürfte der strukturelle Saldo bei einem Überschuss von rund 1,2 % des BIP im Jahr 2018 und rund 1,0 % des BIP im Jahr 2019 liegen, womit das mittelfristige Haushaltsziel übertroffen wird. Der gesamtstaatliche Schuldenstand soll weiter auf einem festen Abwärtskurs bleiben. Alles in allem ist der Rat der Auffassung, dass Deutschland die Bestimmungen des Stabilitäts- und Wachstumspakts in den Jahren 2018 und 2019 aller Voraussicht nach einhalten wird. Zugleich besteht unter Einhaltung des mittelfristigen Haushaltsziels nach wie vor Spielraum, die Haushalts- und Strukturpolitik zu nutzen, um einen nachhaltigen Aufwärtstrend bei den öffentlichen und den privaten Investitionen insbesondere in Bildung, Forschung und Innovation herbeizuführen.

(7)Die realen öffentlichen Investitionen stiegen im Zeitraum 2015-2017 robust an. Dieser Trend spiegelt die staatlichen Bemühungen um eine Stärkung der Investitionen wider. Die öffentlichen Investitionen nehmen zwar zu, doch ist der Anstieg in Relation zum BIP noch bescheiden, und der auf 4 % des BIP geschätzte erhebliche Investitionsstau auf kommunaler Ebene besteht fort. Der öffentliche Kapitalstock schmilzt im Verhältnis zum BIP weiter ab, was auf negative Nettoinvestitionen auf kommunaler Ebene (rund 6 Mrd. EUR pro Jahr im Zeitraum 2010-2016) zurückzuführen ist. Um den Investitionsstau auf kommunaler Ebene aufzulösen, müsste die öffentliche Hand in den kommenden zehn Jahren jährlich 0,3 % des BIP mehr investieren. Der prozentuale Anteil der Investitionen am Kapitalstock des öffentlichen Sektors und der prozentuale Anteil der öffentlichen Investitionen an den öffentlichen Ausgaben liegen unter dem Durchschnitt des Euro-Währungsgebiets. Eine zur Unterstützung der öffentlichen Investitionen auf kommunaler Ebene eingerichtete Infrastrukturgesellschaft hat 2017 ihre Arbeit aufgenommen, doch sind zusätzlichen Anstrengungen erforderlich, um den Investitionsstau aufzulösen. Zusammen mit der günstigen Haushaltslage weist dies darauf hin, dass Spielraum für eine Erhöhung der Investitionen auf allen Ebenen des Staates, namentlich auf regionaler und kommunaler Ebene, vorhanden ist.

(8)Die öffentlichen Bildungsausgaben blieben 2016 mit 4,2 % des BIP hinter dem EU-Durchschnitt von 4,7 % des BIP zurück. Die Gesamtausgaben für Bildung und Forschung lagen 2016 bei 9,0 % des BIP und damit unter dem nationalen Zielwert von 10 % des BIP. Dies entspricht einer Investitionslücke von schätzungsweise rund 33 Mrd. EUR. Auch wenn die Bildungsausgaben real gestiegen sind, ist der Investitionsrückstand doch nach wie vor beträchtlich. Derweil werden Herausforderungen wie die wachsenden Studierendenzahlen, der Lehrkräftemangel und der weitere Ausbau der frühkindlichen Betreuung, Bildung und Erziehung eine angemessene öffentliche Finanzierung erfordern. Zusätzliche Ausgaben für Bildung, Forschung und Innovation sind von entscheidender Bedeutung für das deutsche Wachstumspotenzial.

(9)Die Digitalisierung der deutschen Wirtschaft kommt langsam voran, und das Land steht vor beträchtlichen Herausforderungen. Beim schnellen Internet der nächsten Generation (bis zu 30 Mbit/s) ist eine digitale Kluft zwischen Stadt und Land offensichtlich (nur 54 % der ländlichen Gebiete haben Zugang). Auch beim Ausbau der Breitbandnetze mit sehr hoher Kapazität (> 100 Mbit/s) hinkt Deutschland nach. Flächenmäßig hat nur ein geringer Teil Deutschlands (7,3 %) Zugang zum hoch leistungsfähigen Glasfaser-Internet, gegenüber 26,8 % im EU-Durchschnitt. Stattdessen setzte der marktbeherrschende etablierte Anbieter als bevorzugte technische Lösung weiterhin auf den Ausbau der vorhandenen Kupferkabelnetze („Vectoring“). Viele Dienstleistungen sind auf Hochgeschwindigkeitsverbindungen angewiesen, und 25,3 % der deutschen Unternehmen empfanden ihre Internetverbindung 2017 als zu langsam für ihre tatsächlichen geschäftlichen Bedürfnisse. Das Fehlen solcher schnellen Verbindungen bremst die Investitionen, insbesondere kleiner und mittlerer Unternehmen, die häufig in ländlichen und halbländlichen Gebieten angesiedelt sind. Auch bei den digitalen öffentlichen Diensten und bei elektronischen Gesundheitsdiensten liegt die Leistung weit unter dem EU-Durchschnitt.

(10)Die Unternehmensinvestitionen in Forschung und Entwicklung wachsen, und Deutschland hat sein Ziel für die FuE-Intensität im Rahmen der Strategie Europa 2020 fast erreicht. Allerdings konzentriert sich die Investitionstätigkeit zunehmend auf große Unternehmen sowie auf Medium-/High-Tech-Fertigungssektoren, während der Beitrag kleiner und mittlerer Unternehmen rückläufig ist. Eine Reihe von Maßnahmen wurde auf den Weg gebracht, um die unternehmerische Tätigkeit zu beleben, insbesondere indem private Investitionen in Risikokapital mobilisiert werden. Allerdings ist der deutsche Risikokapitalmarkt nach wie vor nicht so weit entwickelt wie in anderen Ländern an der internationalen Innovationsspitze.

(11)Trotz gewisser Verbesserungen in den letzten Jahren ist das deutsche Steuersystem nach wie vor ineffizient, insbesondere weil es komplex ist und Entscheidungen, z. B. bei Investitionen, Finanzierungen und Erwerbsbeteiligung, verzerrt. Deutschland setzt bei seinen Steuereinnahmen in relativ hohem Maße auf direkte Steuern, und es ist Potenzial vorhanden, die verzerrend wirkende direkte Besteuerung zu reduzieren oder eine Verlagerung hin zu weniger verzerrend wirkenden Steuern, wie Grund-, Erbschaft- und Verbrauchsteuern, zu vollziehen. Die auf Einkünfte aus nichtselbstständiger Arbeit erhobenen Steuern und Sozialversicherungsbeiträge waren 2015 die sechsthöchsten in der EU. Die Kapitalkosten und der durchschnittliche effektive Körperschaftsteuersatz, die in den einzelnen Regionen unterschiedlich sind, gehören EU-weit zu den höchsten (28,2 % als nationaler Gesamtwert gegenüber einem EU-Durchschnitt von 20,9 %). Durch das Zusammenspiel von Körperschaftsteuer, Gewerbesteuer und Solidaritätszuschlag ist die Unternehmensbesteuerung komplex, verursacht hohe Steuerverwaltungskosten und verzerrt Höhe und Standort von Investitionen. Außerdem verzerrt die Körperschaftsteuer Finanzierungsentscheidungen insofern, als sie tendenziell die Fremdfinanzierung begünstigt. Dieser verzerrende Effekt ist der siebtgrößte in der EU. Würden die Kapitalkosten für Eigenkapital gesenkt, könnte dies die privaten Investitionen und den vergleichsweise unterentwickelten Wagniskapitalmarkt stärken. Darüber hinaus ist die Verlustvortragsregelung nach wie vor relativ streng, denn Verlustvorträge sind auf 60 % des im betreffenden Jahr zu versteuernden Einkommens begrenzt.

(12)Die Regulierung ist in Deutschland nach wir vor hoch restriktiv, insbesondere was die Unternehmensdienstleistungen, die reglementierten Berufe und die Verwaltungsauflagen für die grenzübergreifende Erbringung von Dienstleistungen betrifft. Wesentliche Beschränkungen bestehen unter anderem für die Rechtsform und die Beteiligung am Gesellschaftskapital. Die Kundenfluktuation liegt bei maßgeblichen Unternehmensdienstleistungen wie Rechtsberatung, Buchhaltung/Steuerberatung, Architektur und Ingenieurwesen unter dem EU-Durchschnitt, während die Bruttobetriebsraten in diesen Branchen darüber liegen, was auf geringeren Wettbewerbsdruck schließen lässt. Da es sich bei Dienstleistungen um Vorleistungen handelt, führt eine weniger restriktive Regulierung von Dienstleistungen dazu, dass die Produktivität in nachgelagerten dienstleistungsintensiven Branchen steigt.

(13)Der deutsche Arbeitsmarkt hat sich überaus kraftvoll entwickelt. Die Arbeitslosigkeit sank im vierten Quartal 2017 auf ein Rekordtief von 3,6 % und die Beschäftigung erreichte 79,8 %. Die Jugendarbeitslosigkeit (6,7 % im Jahr 2017) gehört zu den niedrigsten in der EU. In Deutschland werden Fachkräfte zunehmend knapp, während das Erwerbspotenzial bestimmter Gruppen nach wie vor nicht ausgeschöpft wird. Der Anteil der Teilzeitkräfte ist insbesondere bei Frauen sowie bei Menschen mit Migrationshintergrund und Betreuungspflichten einer der höchsten in der EU. Bei Frauen liegt dies vor allem an den Fehlanreizen, die einer Aufstockung der Arbeitszeit entgegenwirken, gepaart mit fehlenden Kinderbetreuungsangeboten und Ganztagsschulen. Besondere Steuerregelungen, insbesondere für Zweitverdiener und Geringverdienende, sowie die Lock-in-Effekte der Minijob-Verdienstgrenze von 450 EUR haben weitere Fehlanreize gegen eine Aufstockung der Arbeitszeit geschaffen. Deutschland weist eine der höchsten Steuer- und Abgabenbelastungen für Geringverdienende auf, die meist Frauen sind. Zum hohen Frauenanteil an der Teilzeitbeschäftigung gesellt sich eines der EU-weit höchsten geschlechtsspezifischen Lohngefälle bei der Teilzeitbeschäftigung (37,5 % gegenüber 23,1 % im EU-Durchschnitt). Dies trägt zu einem sehr großen Lohngefälle zwischen Männern und Frauen in Deutschland bei.

(14)Obwohl die Arbeitslosigkeit auf Rekordwerte gesunken ist und viele Stellen unbesetzt sind, stiegen die Nominallöhne 2017 mit 2,4 % weiterhin nur maßvoll. Dieser vergleichsweise verhaltene Anstieg ist teilweise auf die langsamen Produktivitätszuwächse im Dienstleistungssektor, die geringe Tarifbindung in einigen Sektoren und einen Rückgang der strukturellen Arbeitslosigkeit zurückzuführen. Die Reaktion auf die Inflationsbelebung war begrenzt und das Reallohnwachstum verlangsamte sich von 1,8 % im Jahr 2016 auf 0,7 % im Jahr 2017. Die ab Anfang 2018 erzielten Tarifverträge könnten zu einer gewissen Beschleunigung des Lohnwachstums führen; die Entwicklungen in diesem Bereich sollten beobachtet werden. Der Anteil der Geringverdienenden ist nach wie vor hoch, und in den unteren Lohndezilen besteht Spielraum für eine Erhöhung der Zahl der geleisteten Arbeitsstunden. Die stärkere Zuwanderung hat einen Anstieg der Löhne in den Niedriglohnsegmenten nicht verhindert. Die Einführung des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns im Jahr 2015 und dessen Anhebung im Jahr 2017 haben dazu geführt, dass die Löhne im unteren Segment der Lohnverteilung gestiegen sind. Neben Lohnerhöhungen geht es den Sozialpartnern bei der aktuellen Tarifrunde auch um die Flexibilisierung der Arbeitszeit.

(15)Deutschland verfügt über ein insgesamt solides System der sozialen Sicherung. Allerdings ist die Armutsgefährdung bezogen auf die Gesamtbevölkerung im Zeitraum 2005 bis 2015 beständig gestiegen (16,7 %), bevor sich der Trend 2016 leicht umkehrte. Die Einkommensungleichheit hat sich seit 2015 ebenfalls verringert, wobei die S80/S20-Quote in bescheidenem Maße zurückging, da sich die Einkommen der ärmeren Haushalte verbesserten. Die jüngste Verbesserung bei der Erwerbsarmut im Jahr 2016 war ebenfalls bescheiden und kam ausschließlich Männern zugute.

(16)Deutschland kann die Arbeitsmarktbindung älterer Arbeitskräfte verbessern, was das Alterseinkommen erhöhen, das Wachstumspotenzial steigern, die Anpassung an einen angespannten Arbeitsmarkt unterstützen und die Notwendigkeit des Altersvorsorgesparens verringern würde. Die Risiken für die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen sind derzeit gering, was zu einem großen Teil einem vergleichsweise hohen Primärüberschuss geschuldet ist. Indes werden die Rentenausgaben in Deutschland dem Bericht über die Bevölkerungsalterung 2018 zufolge bis zum Jahr 2070 im EU-Vergleich mit am stärksten ansteigen. Das Risiko der Altersarmut (d. h. der Armut im Alter von über 65 Jahren) war 2016 mit 17,6 % höher als im EU-Durchschnitt (14,7 %). Durch die künftig abnehmende Angemessenheit der gesetzlichen Rente dürfte das Risiko der Altersarmut insbesondere für Geringverdienende, Personen in atypischen Beschäftigungsverhältnissen und Personen mit Erwerbsunterbrechungen zunehmen. Das Rentengefälle zwischen Frauen und Männern ist eines der höchsten in der EU. Gleichzeitig war die Beschäftigungsquote der 60- bis 64-Jährigen (58,4 % im Jahr 2017) zwar unter den höchsten in der EU, doch lag die Beschäftigungsquote der 65- bis 69-Jährigen nur im mittleren Drittel der Mitgliedstaaten (16,1 %).

(17)Der sozioökonomische Hintergrund hat nach wie vor beträchtlichen Einfluss auf die Bildungsergebnisse und die Arbeitsmarktintegration. In den Naturwissenschaften trägt er nach der internationalen Schulleistungsstudie (PISA) von 2015 dazu bei, dass zwischen dem untersten und dem obersten Quartil der Gesellschaft ein Leistungsabstand von drei Schuljahren besteht. Nationale Daten bestätigen die erhebliche Korrelation auch bei der Grundschulbildung. Besondere Herausforderungen stellen sich bei Schülerinnen und Schülern mit Migrationshintergrund. Im Vergleich zu ihren im Inland geborenen Mitstreitern ist es bei ihnen weitaus wahrscheinlicher, dass sie bei Grundkompetenzen schwach abschneiden und früh von der Schule abgehen oder das Studium abbrechen. Auch wird das Arbeitsmarktpotenzial von Menschen mit Migrationshintergrund nicht voll ausgeschöpft. Im Jahr 2017 war die Beschäftigungsquote von Drittstaatsangehörigen (im Alter von 20-64 Jahren) über 27 Prozentpunkte niedriger bei deutschen Staatsangehörigen (bei Frauen aus Drittstaaten sogar fast 33 Prozentpunkte niedriger). Zu denken gibt im Hinblick auf die künftigen Arbeitsmarktchancen der Erwerbsbevölkerung, dass die Erwachsenenbildung unter dem EU-Durchschnitt liegt und eine Herausforderung insbesondere für die 7,5 Millionen gering qualifizierten Erwachsenen bleibt, denen es an grundlegenden Lese- und Schreibkompetenzen fehlt.

(18)Im Rahmen des Europäischen Semesters 2018 hat die Kommission die Wirtschaftspolitik Deutschlands umfassend analysiert und diese Analyse im Länderbericht 2018 veröffentlicht. Sie hat auch das Stabilitätsprogramm 2018 und das Nationale Reformprogramm 2018 sowie die Maßnahmen zur Umsetzung der an Deutschland gerichteten Empfehlungen der Vorjahre bewertet. Dabei hat sie nicht nur deren Relevanz für eine auf Dauer tragfähige Haushalts-, Sozial- und Wirtschaftspolitik in Deutschland berücksichtigt, sondern angesichts der Notwendigkeit, die wirtschaftspolitische Steuerung der Union insgesamt durch auf Unionsebene entwickelte Vorgaben für künftige nationale Entscheidungen zu verstärken, auch deren Übereinstimmung mit Unionsvorschriften und -leitlinien bewertet.

(19)Vor dem Hintergrund dieser Bewertung hat der Rat das Stabilitätsprogramm 2018 geprüft und ist zu der Stellungnahme 10 gelangt, dass Deutschland den Stabilitäts- und Wachstumspakt voraussichtlich einhalten wird.

(20)Vor dem Hintergrund der eingehenden Überprüfung durch die Kommission und dieser Bewertung hat der Rat das Nationale Reformprogramm und das Stabilitätsprogramm geprüft. Seine Empfehlungen gemäß Artikel 6 der Verordnung (EU) Nr. 1176/2011 spiegeln sich in den nachstehenden Empfehlungen 1 und 2 wider –

EMPFIEHLT, dass Deutschland 2018 und 2019

1.unter Einhaltung des mittelfristigen Ziels die Haushalts- und Strukturpolitik nutzt, um auf allen Ebenen des Staates, namentlich auf regionaler und kommunaler Ebene, einen nachhaltigen Aufwärtstrend bei den öffentlichen und den privaten Investitionen, insbesondere in Bildung, Forschung und Innovation, herbeizuführen; verstärkte Anstrengungen unternimmt, um die Verfügbarkeit von Breitbandinfrastruktur mit sehr hoher Kapazität flächendeckend sicherzustellen; die Effizienz und Investitionsfreundlichkeit des Steuersystems weiter verbessert; bei Unternehmensdienstleistungen und reglementierten Berufen den Wettbewerb verstärkt;

2.die Fehlanreize, die einer Aufstockung der Arbeitszeit entgegenwirken, darunter auch die hohe Steuer- und Abgabenbelastung, insbesondere für Gering- und Zweitverdiener verringert; Maßnahmen ergreift, um längere Erwerbsleben zu fördern; die Voraussetzungen schafft, um unter Achtung der Rolle der Sozialpartner ein höheres Lohnwachstum zu fördern; die Bildungsergebnisse und das Kompetenzniveau benachteiligter Gruppen verbessert.

Geschehen zu Brüssel am […]

   Im Namen des Rates

   Der Präsident

(1)    ABl. L 209 vom 2.8.1997, S. 1.
(2)    ABl. L 306 vom 23.11.2011, S. 25.
(3)    COM(2018) 405 final.
(4)    P8_TA(2018)0077 und P8_TA(2018)0078.
(5)    SWD(2018) 204 final.
(6)    COM(2018) 120 final.
(7)    Verordnung (EU) Nr. 1303/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Dezember 2013 mit gemeinsamen Bestimmungen über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds, den Kohäsionsfonds, den Europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums und den Europäischen Meeres- und Fischereifonds sowie mit allgemeinen Bestimmungen über den Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, den Europäischen Sozialfonds, den Kohäsionsfonds und den Europäischen Meeres- und Fischereifonds und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1083/2006 des Rates (ABl. L 347 vom 20.12.2013, S. 320).
(8)    COM(2014) 494 final.
(9)    Mit der vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen erlassenen Verordnung über die Erstellung der gesamtwirtschaftlichen Vorausschätzungen der Bundesregierung (Vorausschätzungsverordnung – EgVV), die ab Juli 2018 gelten wird, wurde die Projektgruppe Gemeinschaftsdiagnose (Gemeinschaftsdiagnose) zur unabhängigen Einrichtung für die Bewertung der gesamtwirtschaftlichen Vorausschätzungen erklärt, die den Übersichten über die Haushaltsplanung und den Stabilitätsprogrammen im Sinne des Gesetzes zur Erstellung gesamtwirtschaftlicher Vorausschätzungen der Bundesregierung (Vorausschätzungsgesetz – EgVG) zugrunde liegen.
(10)    Gemäß Artikel 5 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 1466/97 des Rates.