URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

26. April 2018 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Regionale Abgabe für große Einzelhandelseinrichtungen – Niederlassungsfreiheit – Umweltschutz und Raumordnung – Staatliche Beihilfe – Selektive Maßnahme“

In den Rechtssachen C‑234/16 und C‑235/16

betreffend Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof, Spanien) mit Entscheidungen vom 10. und 11. März 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 25. April 2016, in den Verfahren

Asociación Nacional de Grandes Empresas de Distribución (ANGED)

gegen

Consejería de Economía y Hacienda del Principado de Asturias (C‑234/16),

Consejo de Gobierno del Principado de Asturias (C‑235/16),

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter C. G. Fernlund, J. C. Bonichot (Berichterstatter), A. Arabadjiev und E. Regan,

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: L. Carrasco Marco, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 6. Juli 2017,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der Asociación Nacional de Grandes Empresas de Distribución (ANGED), vertreten durch J. Pérez-Bustamante Köster und F. Löwhagen, abogados, sowie J. M. Villasante García, procurador,

der Consejería de Economía y Hacienda del Principado de Asturias und des Consejo de Gobierno del Principado de Asturias, vertreten durch A. Roces Llaneza, letrada,

der Europäischen Kommission, vertreten durch N. Gossement, P. Němečková und G. Luengo als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 9. November 2017

folgendes

Urteil

1

Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung der Art. 49 und 54 AEUV sowie von Art. 107 Abs. 1 AEUV.

2

Sie ergehen im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen der Asociación Nacional de Grandes Empresas de Distribución (ANGED) auf der einen Seite und der Consejería de Economía y Hacienda del Principado de Asturias (Ministerium für Wirtschaft und Finanzen der Regionalregierung des Fürstentums Asturien, Spanien) und dem Consejo de Gobierno del Principado de Asturias (Ministerrat des Fürstentums Asturien) auf der anderen Seite über die Rechtmäßigkeit einer Abgabe, die für große Einzelhandelseinrichtungen mit Sitz in der Autonomen Gemeinschaft Fürstentum Asturien zu entrichten ist.

Spanisches Recht

3

Mit Art. 21 der Ley del Principado de Asturias 15/2002, de medidas presupuestarias, administratives y fiscales (Gesetz 15/2002 des Fürstentums Asturien mit Haushalts-, Verwaltungs- und Steuermaßnahmen) vom 27. Dezember 2002 (BOPA Nr. 301 vom 31. Dezember 2002) in der auf die Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung (im Folgenden: Gesetz 15/2002) wurde zum 1. Januar 2003 eine Abgabe für große Einzelhandelseinrichtungen (im Folgenden: IGEC) eingeführt.

4

In der Präambel des Gesetzes 15/2002 heißt es, dass mit der IGEC die negativen Auswirkungen der Tätigkeit großer Einzelhandelseinrichtungen auf den Raum, die Umwelt und den örtlichen Einzelhandel auf diese Einrichtungen verlagert werden sollen.

5

Nach Art. 21 Nr. 2 des Gesetzes 15/2002 ist das Abgabeaufkommen zu verwenden für „die Aufstellung und Durchführung von Programmen zur Entwicklung sektoraler Leitlinien für die Geschäftsausstattung“ und für „Verbesserungen der Umweltsituation und der Infrastrukturnetze“.

6

Die Abgabenpflicht gilt gemäß Art. 21 Nr. 3 des Gesetzes 15/2002 für individuelle oder kollektive Einzelhandelseinrichtungen mit einer öffentlichen Auslage- und Verkaufsfläche von mindestens 4000 m2. Dieser Grenzwert gilt seit dem 1. Januar 2005, davor lag er bei 2500 m2.

7

Art. 21 Nr. 4 des Gesetzes 15/2002 sieht vor, dass für große individuelle Einzelhandelseinrichtungen, deren öffentliche Auslage- und Verkaufsfläche 10000 m2 nicht übersteigt und die ausschließlich in den Bereichen Gartenpflege, Verkauf von Fahrzeugen, Baustoffen, Maschinen und Industriebedarf tätig sind, die IGEC nicht zu entrichten ist.

8

Aus Art. 21 Nr. 5 des Gesetzes Nr. 15/2002 ergibt sich, dass der IGEC die Inhaber unterliegen, die die großen individuellen oder kollektiven Einzelhandelseinrichtungen betreiben, d. h. die Eigentümer der Räumlichkeiten, in denen sich die großen Einzelhandelseinrichtungen befinden, die diese Räumlichkeiten entweder direkt zur Ausübung ihrer Geschäftstätigkeit nutzen oder Dritten zur Ausübung einer Geschäftstätigkeit zur Verfügung stellen.

9

Art. 21 Nr. 7 dieses Gesetzes regelt die Modalitäten für die Berechnung der Bemessungsgrundlage. Dabei wird u. a. die Bevölkerungsdichte in einem Umkreis von 10 km um den Standort der Einrichtung berücksichtigt.

10

Art. 21 Nr. 11 des Gesetzes Nr. 15/2002 bestimmt, dass auf den zu entrichtenden IGEC‑Betrag gegebenenfalls eine Ermäßigung von 10 % angewandt wird, die für große Einzelhandelseinrichtungen vorgesehen ist, die nicht in den Städten gelegen und mit mindestens zwei verschiedenartigen öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar sind, und für große Einzelhandelseinrichtungen, die von der zuständigen Umweltschutzbehörde als geeignet erachtete Umweltschutzprojekte durchführen.

11

Seit dem 1. Januar 2015 ist diese Abgabe mit ähnlichem Wortlaut im Decreto legislativo 1/2014, por el que se aprueba el texto refundido de las disposiciones legales del Principado de Asturias en materia de Tributos Propios (Gesetzesdekret 1/2014 zur Genehmigung der Neufassung der Steuervorschriften des Fürstentums Asturien) vom 23. Juli 2014 (BOPA Nr. 175 vom 29. Juli 2014) geregelt.

12

Abschnitt III der Präambel dieses Gesetzesdekrets übernimmt im Wesentlichen die Präambel des Gesetzes 15/2002, ohne jedoch die negativen Auswirkungen der Tätigkeit großer Einzelhandelseinrichtungen auf den örtlichen Einzelhandel zu erwähnen.

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

13

Mit dem Gesetz 15/2002 wurde eine regionale Abgabe für große Einzelhandelseinrichtungen im gesamten Gebiet der Autonomen Gemeinschaft Fürstentum Asturien eingeführt, um die Auswirkungen auf den Raum, insbesondere auf die Struktur des städtischen Einzelhandels, und auf die Umwelt auszugleichen, die sich aufgrund großer Einzelhandelseinrichtungen ergeben können. Mit Beschluss vom 3. Juli 2003 genehmigte das Ministerium für Wirtschaft und Finanzen der Regionalregierung des Fürstentums Asturien die Mustererklärung zur Anmeldung, Änderung und Abmeldung bezüglich der IGEC. Der Ministerrat des Fürstentums Asturien genehmigte am 11. November 2009 die IGEC‑Regelung durch das Decreto 139/2009, por el que se aprueba el Reglamento del Impuesto sobre Grandes Establecimientos Comerciales (Dekret 139/2009 zur Genehmigung der Verordnung über die Abgabe für große Einzelhandelseinrichtungen) (BOPA Nr. 273 vom 25. November 2009).

14

Im Laufe des Jahres 2003 erhob die ANGED, eine nationale Vereinigung großer Vertriebseinrichtungen, beim Tribunal Superior de Justicia del Principado de Asturias (Oberstes Gericht des Fürstentums Asturien, Spanien) Klage auf Nichtigerklärung des genannten Beschlusses wegen Unvereinbarkeit sowohl mit der Niederlassungsfreiheit als auch mit dem Beihilfenrecht.

15

Im Jahr 2009 erhob die ANGED bei diesem Gericht außerdem eine Klage auf Nichtigerklärung des genannten Dekrets.

16

Das Gericht setzte seine Entscheidungen in diesen beiden Rechtssachen bis zur Beantwortung der Frage zur Verfassungsmäßigkeit der Rechtsvorschriften über die IGEC, die es dem Tribunal Constitucional (Verfassungsgerichtshof, Spanien) vorgelegt hatte, aus. Nach der Zurückweisung des Antrags durch das Tribunal Constitucional (Verfassungsgerichtshof) am 10. April 2014 wies das Tribunal Superior de Justicia de Asturias (Oberstes Gericht von Asturien) die Klagen der ANGED ebenfalls ab. Diese legte daraufhin Kassationsbeschwerde gegen diese beiden Urteile beim Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof, Spanien) ein.

17

Die ANGED hatte zudem bei der Kommission eine Beschwerde wegen der Einführung der IGEC eingelegt, mit der sie geltend machte, es handele sich bei der Abgabe um eine staatliche Beihilfe.

18

Mit Schreiben vom 28. November 2014 teilte die Kommission den spanischen Behörden mit, dass nach einer vorläufigen Würdigung der IGEC‑Regelung die Befreiung, die kleinen Einzelhandelseinrichtungen und bestimmten Fachgeschäften gewährt werde, als mit dem Binnenmarkt unvereinbare staatliche Beihilfe angesehen werden könne. Das Königreich Spanien sei gehalten, die Abgabe aufzuheben oder zu ändern.

19

Vor diesem Hintergrund hat das Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof) die Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende – in den Rechtssachen C‑234/16 und C‑235/16 gleichlautende – Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten Frage

20

Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Art. 49 und 54 AEUV dahin auszulegen sind, dass sie einer Abgabe für große Einzelhandelseinrichtungen wie der in den Ausgangsverfahren fraglichen entgegenstehen.

21

Nach ständiger Rechtsprechung soll mit der Niederlassungsfreiheit die Inländerbehandlung der Angehörigen anderer Mitgliedstaaten und der in Art. 54 AEUV genannten Gesellschaften im Aufnahmemitgliedstaat sichergestellt werden und verbietet sie in Bezug auf die Gesellschaften jede Diskriminierung, die auf den Ort des Sitzes abstellt (vgl. u. a. Urteile vom 12. Dezember 2006, Test Claimants in Class IV of the ACT Group Litigation,C‑374/04, EU:C:2006:773, Rn. 43, sowie vom 14. Dezember 2006, Denkavit Internationaal und Denkavit France, C‑170/05, EU:C:2006:783, Rn. 22).

22

Dabei sind nicht nur offensichtliche Diskriminierungen aufgrund des Sitzes der Gesellschaften verboten, sondern auch alle versteckten Formen der Diskriminierung, die durch die Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale tatsächlich zu dem gleichen Ergebnis führen (Urteil vom 5. Februar 2014, Hervis Sport-és Divatkereskedelmi, C‑385/12, EU:C:2014:47, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).

23

Zudem ist eine Pflichtabgabe, die an ein scheinbar objektives Unterscheidungskriterium anknüpft, aber aufgrund ihrer Merkmale in den meisten Fällen die Gesellschaften benachteiligt, die ihren Sitz in anderen Mitgliedstaaten haben und sich in einer vergleichbaren Situation wie die Gesellschaften befinden, die ihren Sitz in dem die Abgabe erhebenden Mitgliedstaat haben, eine nach den Art. 49 und 54 AEUV verbotene mittelbare Diskriminierung aufgrund des Sitzes der Gesellschaften (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. Februar 2014, Hervis Sport-és Divatkereskedelmi, C‑385/12, EU:C:2014:47, Rn. 37 bis 41).

24

In den Ausgangsverfahren knüpfen die fraglichen Rechtsvorschriften an die Auslage- und Verkaufsfläche der Einrichtung als Kriterium an. Ein solches Kriterium begründet keine unmittelbare Diskriminierung.

25

Den dem Gerichtshof vorgelegten Unterlagen ist auch nicht zu entnehmen, dass dieses Kriterium in den meisten Fällen Angehörige anderer Mitgliedstaaten oder Gesellschaften mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten benachteiligen würde.

26

Eine solche Feststellung ergibt sich nämlich nicht aus dem von der ANGED in ihren schriftlichen Erklärungen gelieferten Zahlenmaterial, das sich im Übrigen in erster Linie auf die von der Autonomen Gemeinschaft Katalonien eingeführte Abgabe für große Einrichtungen bezieht. Die Autonome Gemeinschaft Fürstentum Asturien hat zudem geltend gemacht, dass die IGEC in erster Linie Abgabenschuldner spanischer Herkunft belaste.

27

Im Übrigen weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass ihm „beweiskräftige“ Informationen zum Nachweis einer eventuellen versteckten Diskriminierung fehlten.

28

Daher ist auf die erste Frage zu antworten, dass die Art. 49 und 54 AEUV dahin auszulegen sind, dass sie einer Abgabe für große Einzelhandelseinrichtungen wie der in den Ausgangsverfahren fraglichen nicht entgegenstehen.

Zur zweiten Frage

29

Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob eine Abgabe wie die in den Ausgangsverfahren fragliche, die für große Vertriebseinrichtungen im Wesentlichen in Abhängigkeit von ihrer Auslage- und Verkaufsfläche erhoben wird, eine staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV darstellt, soweit von ihr Einrichtungen, deren Verkaufsfläche weniger als 4000 m2 beträgt, sowie solche Einrichtungen ausgenommen sind, die in den Bereichen Gartenpflege, Verkauf von Fahrzeugen, Baustoffen, Maschinen und Industriebedarf tätig sind und deren Verkaufsfläche 10000 m2 nicht übersteigt.

30

Die Einstufung einer nationalen Maßnahme als staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV verlangt, dass alle folgenden Voraussetzungen erfüllt sind. Erstens muss es sich um eine staatliche Maßnahme oder eine Maßnahme unter Inanspruchnahme staatlicher Mittel handeln. Zweitens muss die Maßnahme geeignet sein, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen. Drittens muss dem Begünstigten durch sie ein selektiver Vorteil gewährt werden. Viertens muss sie den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen (vgl. u. a. Urteil vom 21. Dezember 2016, Kommission/World Duty Free Group SA u. a., C‑20/15 P und C‑21/15 P, EU:C:2016:981, Rn. 53).

31

Zum Merkmal der Selektivität des Vorteils, das vor dem Gerichtshof ausgiebig erörtert wurde, ist darauf hinzuweisen, dass dessen Beurteilung nach ständiger Rechtsprechung die Feststellung verlangt, ob die fragliche nationale Maßnahme im Rahmen einer bestimmten rechtlichen Regelung geeignet ist, „bestimmte Unternehmen oder Produktionszweige“ gegenüber anderen Unternehmen oder Produktionszweigen zu begünstigen, die sich im Hinblick auf das mit der betreffenden Regelung verfolgte Ziel in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden und somit eine unterschiedliche Behandlung erfahren, die im Wesentlichen als „diskriminierend“ eingestuft werden kann (vgl. u. a. Urteil vom 21. Dezember 2016, Kommission/World Duty Free Group SA u. a., C‑20/15 P und C‑21/15 P, EU:C:2016:981, Rn. 54 und die dort angeführte Rechtsprechung).

32

Insbesondere in Bezug auf nationale Maßnahmen, die einen Steuervorteil verschaffen, ist zu beachten, dass eine Maßnahme dieser Art, die zwar nicht mit der Übertragung staatlicher Mittel verbunden ist, die Begünstigten aber finanziell besser stellt als die übrigen Steuerpflichtigen, den Empfängern einen selektiven Vorteil verschaffen kann und daher eine staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV darstellt. Dagegen stellt ein Steuervorteil aus einer unterschiedslos auf alle Wirtschaftsteilnehmer anwendbaren allgemeinen Maßnahme keine staatliche Beihilfe im Sinne dieser Bestimmung dar (Urteil vom 21. Dezember 2016, Kommission/World Duty Free Group SA u. a., C‑20/15 P und C‑21/15 P, EU:C:2016:981, Rn. 56).

33

Für die Einstufung einer steuerrechtlichen Maßnahme als „selektiv“ muss in einem ersten Schritt die in dem betreffenden Mitgliedstaat geltende allgemeine oder „normale“ Steuerregelung ermittelt und in einem zweiten Schritt dargetan werden, dass die geprüfte steuerliche Maßnahme vom allgemeinen System insoweit abweicht, als sie Unterscheidungen zwischen Wirtschaftsteilnehmern einführt, die sich im Hinblick auf das mit dieser allgemeinen Regelung verfolgte Ziel in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden (vgl. u. a. Urteil vom 21. Dezember 2016, Kommission/World Duty Free Group SA u. a., C‑20/15 P und C‑21/15 P, EU:C:2016:981, Rn. 57 und die dort angeführte Rechtsprechung).

34

Ferner ist der rechtliche Bezugsrahmen für die Beurteilung der Selektivität einer Maßnahme nicht zwangsläufig in den Grenzen des Staatsgebiets des betreffenden Mitgliedstaats festzulegen, sondern kann sich auch auf das Gebiet beziehen, in dem eine regionale oder lokale Körperschaft die ihr durch die Verfassung oder durch Gesetz übertragenen Befugnisse ausübt. Das ist der Fall, wenn diese Einrichtung aufgrund ihrer rechtlichen und tatsächlichen Stellung gegenüber der Zentralregierung eines Mitgliedstaats so autonom ist, dass sie – und nicht die Zentralregierung – durch die von ihr erlassenen Maßnahmen eine grundlegende Rolle bei der Festlegung des politischen und wirtschaftlichen Umfelds spielt, in dem die Unternehmen tätig sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. September 2008, Union General de Trabajadores de La Rioja [UGT‑Rioja] u. a., C‑428/06 bis C‑434/06, EU:C:2008:488, Rn. 47 bis 50 und die dort angeführte Rechtsprechung).

35

Keine staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV ist jedoch eine Maßnahme, die eine Unterscheidung zwischen Unternehmen einführt, die sich im Hinblick auf das von der in Rede stehenden rechtlichen Regelung verfolgte Ziel in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befinden, und damit a priori selektiv ist, wenn der betreffende Mitgliedstaat nachweisen kann, dass diese Unterscheidung gerechtfertigt ist, weil sie sich aus der Natur oder dem Aufbau des Systems ergibt, in das sie sich einfügt (Urteil vom 21. Dezember 2016, Kommission/World Duty Free Group SA u. a., C‑20/15 P und C‑21/15 P, EU:C:2016:981, Rn. 58 und die dort angeführte Rechtsprechung).

36

Eine Maßnahme, die eine Ausnahme von der Anwendung des allgemeinen Steuersystems darstellt, kann durch die Natur und den inneren Aufbau des Steuersystems gerechtfertigt sein, wenn der betreffende Mitgliedstaat nachweisen kann, dass sie unmittelbar auf den Grund- oder Leitprinzipien seines Steuersystems beruht. Insoweit ist zu unterscheiden zwischen den mit einer bestimmten Steuerregelung verfolgten Zielen, die außerhalb dieser Regelung liegen, und den dem Steuersystem selbst inhärenten Mechanismen, die zur Erreichung dieser Ziele erforderlich sind (Urteil vom 6. September 2006, Portugal/Kommission, C‑88/03, EU:C:2006:511, Rn. 81).

37

Zwar ist für den Nachweis der Selektivität einer steuerlichen Maßnahme nicht immer erforderlich, dass sie einen von einer als allgemein angesehenen Steuerregelung abweichenden Charakter aufweist, doch ist der Umstand, dass sie einen solchen Charakter aufweist, für diese Zwecke durchweg relevant, wenn sich daraus ergibt, dass zwei Gruppen von Wirtschaftsteilnehmern unterschieden werden und a priori unterschiedlich behandelt werden, nämlich diejenigen, die unter die abweichende Maßnahme fallen, und diejenigen, die weiterhin unter die allgemeine Steuerregelung fallen, obwohl sich diese beiden Gruppen im Hinblick auf das mit dieser Regelung verfolgte Ziel in einer vergleichbaren Situation befinden (Urteil vom 21. Dezember 2016, Kommission/World Duty Free Group SA u. a., C‑20/15 P und C‑21/15 P, EU:C:2016:981, Rn. 77).

38

In Bezug auf die in den Ausgangsverfahren fraglichen Rechtsvorschriften ist vor dem Gerichtshof nicht erörtert worden, ob der räumliche Bezugsrahmen die Autonome Gemeinschaft Fürstentum Asturien sein sollte.

39

Ferner scheint das an die Auslage- und Verkaufsfläche anknüpfende Kriterium zwar nicht formal von einem bestimmten rechtlichen Bezugsrahmen abzuweichen, doch führt es dazu, dass die Einzelhandelseinrichtungen, deren Auslage- und Verkaufsfläche kleiner als 4000 m2 ist, vom Geltungsbereich dieser Abgabe ausgenommen sind. Somit kann die IGEC nicht von einer regionalen Abgabe unterschieden werden, die Einzelhandelseinrichtungen zu entrichten haben, deren Auslage- und Verkaufsfläche einen bestimmten Grenzwert übersteigt.

40

Art. 107 Abs. 1 AEUV beschreibt die staatlichen Maßnahmen aber nach ihren Wirkungen, unabhängig von den verwendeten Techniken (Urteil vom 22. Dezember 2008, British Aggregates Association, C‑487/06 P, EU:C:2008:757, Rn. 89).

41

Es kann daher nicht von vornherein ausgeschlossen werden, dass ein solches Kriterium in der Praxis zu einer Begünstigung „bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige“ im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV führen kann, indem es ihre Belastungen im Vergleich zu den Einrichtungen, die die in den Ausgangsverfahren fragliche Abgabe zu entrichten haben, vermindert.

42

In diesem Zusammenhang ist daher zu klären, ob sich die vom Geltungsbereich der Abgabe ausgenommenen Einzelhandelseinrichtungen in einer vergleichbaren Situation befinden wie die Einrichtungen, die darunter fallen.

43

Dabei ist zu berücksichtigen, dass mangels einer einschlägigen Unionsregelung die Bestimmung der Bemessungsgrundlage und die Verteilung der Steuerbelastung auf die unterschiedlichen Produktionsfaktoren und Wirtschaftssektoren in die Steuerzuständigkeit der Mitgliedstaaten oder der unterhalb der staatlichen Ebene angesiedelten Einheiten, die über Steuerautonomie verfügen, fallen (Urteil vom 15. November 2011, Kommission und Spanien/Government of Gibraltar und Vereinigtes Königreich, C‑106/09 P und C‑107/09 P, EU:C:2011:732, Rn. 97).

44

Wie nämlich die Kommission in Rn. 156 ihrer Bekanntmachung zum Begriff der staatlichen Beihilfe im Sinne des Artikels 107 Absatz 1 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (ABl. 2016, C 262, S. 1) ausgeführt hat, steht es „[d]en Mitgliedstaaten … frei, ihre wirtschaftspolitischen Maßnahmen nach eigenem Ermessen [im Einklang mit dem Unionsrecht] festzulegen und insbesondere die Steuerlast gemäß ihren Vorstellungen auf die verschiedenen Produktionsfaktoren zu verteilen …“.

45

Aus den Angaben des vorlegenden Gerichts ergibt sich, dass mit der in den Ausgangsverfahren fraglichen Abgabe ein Beitrag zum Umweltschutz und zur Raumordnung geleistet werden soll. Es gehe nämlich darum, die Folgen der Tätigkeit der großen Einzelhandelseinrichtungen für die Umwelt und die Raumplanung, die sich insbesondere aus dem verursachten Verkehrsaufkommen ergäben, dadurch zu korrigieren und auszugleichen, dass diese einen Beitrag zur Finanzierung von Umweltaktionsplänen und Infrastrukturverbesserungen leisten müssten.

46

Unbestreitbar hängen die Umweltauswirkungen von Einzelhandelseinrichtungen weitgehend von ihrer Größe ab. Je größer nämlich ihre Verkaufsfläche ist, desto größer ist der Andrang der Öffentlichkeit, wodurch vermehrt Umweltbeeinträchtigungen entstehen. Daraus folgt, dass ein Kriterium, das an einen flächenbezogenen Grenzwert anknüpft, wie es in den nationalen Rechtsvorschriften, um die es in den Ausgangsverfahren geht, vorgesehen ist, um Unternehmen nach ihren mehr oder weniger großen Auswirkungen zu unterscheiden, mit den angestrebten Zielen vereinbar ist.

47

Ebenso ist offensichtlich, dass die Ansiedlung solcher Einrichtungen unabhängig von ihrem Standort eine besondere Herausforderung für die Raumordnungspolitik darstellt (vgl. entsprechend Urteil vom 24. März 2011, Kommission/Spanien, C‑400/08, EU:C:2011:172, Rn. 80).

48

Zur Festlegung der Höhe des Grenzwerts ist festzustellen, dass sie im Ermessen des nationalen Gesetzgebers liegt und auf komplexen technischen Beurteilungen beruht, die der Gerichtshof nur eingeschränkt gerichtlich überprüfen kann. Es ist daher nicht anzunehmen, dass der ursprüngliche Grenzwert von 2500 m2 oder der später festgesetzte Grenzwert von 4000 m2 zur Erreichung der angestrebten Ziele offensichtlich ungeeignet wäre.

49

Unter diesen Umständen führt ein Kriterium für die Abgabenpflicht, das wie das in den Ausgangsverfahren fragliche an die Verkaufsfläche des Unternehmens anknüpft, dazu, dass Gruppen von Einrichtungen unterschieden werden, die sich im Hinblick auf diese Ziele nicht in einer vergleichbaren Situation befinden.

50

Mithin ist davon auszugehen, dass die Abgabenbefreiung für Einzelhandelseinrichtungen mit Sitz im Gebiet der Autonomen Gemeinschaft Fürstentum Asturien, deren Verkaufsfläche unterhalb eines bestimmten Grenzwerts bleibt, diesen Einrichtungen keinen selektiven Vorteil verschafft und somit auch keine staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV sein kann.

51

Das vorlegende Gericht wirft auch zu den weiteren Merkmalen der in den Ausgangsverfahren fraglichen Abgabe Fragen auf. Es möchte wissen, ob die Abgabenbefreiung für Einzelhandelseinrichtungen, die ausschließlich in den Bereichen Gartenpflege, Verkauf von Fahrzeugen, Baustoffen, Maschinen und Industriebedarf tätig sind und deren Verkaufsfläche 10000 m2 nicht übersteigt, eine Begünstigung dieser Einrichtungen darstellt.

52

Es ist festzustellen, dass diese Maßnahme eine Ausnahmeregelung zu dem durch die besondere Abgabe gebildeten Bezugsrahmen darstellt.

53

Die Autonome Gemeinschaft Fürstentum Asturien trägt in ihren schriftlichen Erklärungen vor, die Tätigkeiten der betreffenden Einzelhandelseinrichtungen erforderten naturgemäß große Verkaufs- und Lagerflächen. Die Beeinträchtigungen der Umwelt und der Raumordnung, die sie verursachten, würden anhand eines gesonderten Grenzwerts ermittelt, der aber demjenigen entspreche, der grundsätzlich auf abgabenpflichtige Tätigkeiten des Einzelhandels angewandt werde.

54

Ein solcher Gesichtspunkt kann geeignet sein, die in den Rechtsvorschriften, die in den Ausgangsverfahren in Streit stehen, vorgenommene Unterscheidung zu rechtfertigen, die dann nicht zu einem selektiven Vorteil für die betreffenden Einzelhandelseinrichtungen führen würde. Es ist jedoch Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob dies tatsächlich der Fall ist.

55

Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass eine Abgabe wie die in den Ausgangsverfahren fragliche, die für große Vertriebseinrichtungen im Wesentlichen in Abhängigkeit von ihrer Verkaufsfläche erhoben wird, keine staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV darstellt, soweit von ihr Einrichtungen ausgenommen sind, deren Verkaufsfläche weniger als 4000 m2 beträgt. Eine solche Abgabe stellt auch insoweit keine staatliche Beihilfe im Sinne dieser Bestimmung dar, als von ihr Einrichtungen ausgenommen sind, die in den Bereichen Gartenpflege, Verkauf von Fahrzeugen, Baustoffen, Maschinen und Industriebedarf tätig sind und deren Verkaufsfläche 10000 m2 nicht übersteigt, sofern sie die Umwelt und die Raumordnung nicht so stark beeinträchtigen wie die anderen Einrichtungen, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

Kosten

56

Für die Parteien der Ausgangsverfahren ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

 

1.

Die Art. 49 und 54 AEUV sind dahin auszulegen, dass sie einer Abgabe für große Einzelhandelseinrichtungen wie der in den Ausgangsverfahren fraglichen nicht entgegenstehen.

 

2.

Eine Abgabe wie die in den Ausgangsverfahren fragliche, die für große Vertriebseinrichtungen im Wesentlichen in Abhängigkeit von ihrer Verkaufsfläche erhoben wird, stellt keine staatliche Beihilfe im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV dar, soweit von ihr Einrichtungen ausgenommen sind, deren Verkaufsfläche weniger als 4000 m2 beträgt. Eine solche Abgabe stellt auch insoweit keine staatliche Beihilfe im Sinne dieser Bestimmung dar, als von ihr Einrichtungen ausgenommen sind, die in den Bereichen Gartenpflege, Verkauf von Fahrzeugen, Baustoffen, Maschinen und Industriebedarf tätig sind und deren Verkaufsfläche 10000 m2 nicht übersteigt, sofern sie die Umwelt und die Raumordnung nicht so stark beeinträchtigen wie die anderen Einrichtungen, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Spanisch.