URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

16. Juli 2015 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung — Marken — Richtlinie 89/104/EWG — Art. 5 — Mit einer Marke versehene Waren, die ohne die Zustimmung des Markeninhabers in den zollrechtlich freien Verkehr überführt und einem Verfahren der Steueraussetzung unterstellt worden sind — Recht des Markeninhabers, diesem Unterstellen zu widersprechen — Begriff ‚im geschäftlichen Verkehr … benutzen‘“

In der Rechtssache C‑379/14

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Gerechtshof Den Haag (Niederlande) mit Entscheidung vom 22. Juli 2014, beim Gerichtshof eingegangen am 7. August 2014, in den Verfahren

TOP Logistics BV,

Van Caem International BV

gegen

Bacardi & Company Ltd,

Bacardi International Ltd

und

Bacardi & Company Ltd,

Bacardi International Ltd

gegen

TOP Logistics BV,

Van Caem International BV

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič (Berichterstatter), des Richters A. Ó Caoimh, der Richterin C. Toader sowie der Richter E. Jarašiūnas und C. G. Fernlund,

Generalanwalt: Y. Bot,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der TOP Logistics BV, vertreten durch G. van der Wal und M. Tsoutsanis, advocaten,

der Van Caem International BV, vertreten durch J. S. Hofhuis, advocaat,

der Bacardi & Company Ltd und der Bacardi International Ltd, vertreten durch N.W. Mulder, R. E. van Schaik und A. M. E. Voerman, advocaten,

der französischen Regierung, vertreten durch D. Colas und F. Gloaguen als Bevollmächtigte,

der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes, M. Rebelo und N. Vitorino als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch F. Wilman, F. W. Bulst und L. Grønfeldt als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 5 der Ersten Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (ABl. 1989, L 40, S. 1).

2

Es ergeht im Rahmen von zwei Rechtsstreitigkeiten zwischen der TOP Logistics BV (im Folgenden: TOP Logistics) sowie der Van Caem International BV (im Folgenden: Van Caem) auf der einen und der Bacardi & Company Ltd sowie der Bacardi International Ltd (im Folgenden zusammen: Bacardi) auf der anderen Seite, bzw. Bacardi auf der einen und TOP Logistics sowie Van Caem auf der anderen Seite über von Bacardi stammende Waren, die ohne deren Zustimmung in den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) eingeführt und dort dem Verfahren der Steueraussetzung unterstellt worden waren.

Rechtlicher Rahmen

Richtlinie 89/104

3

In Art. 5 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 89/104 hieß es:

„(1)   Die eingetragene Marke gewährt ihrem Inhaber ein ausschließliches Recht. Dieses Recht gestattet es dem Inhaber, Dritten zu verbieten, ohne seine Zustimmung im geschäftlichen Verkehr

a)

ein mit der Marke identisches Zeichen für Waren oder Dienstleistungen zu benutzen, die mit denjenigen identisch sind, für die sie eingetragen ist;

b)

ein Zeichen zu benutzen, wenn wegen der Identität oder der Ähnlichkeit des Zeichens mit der Marke und der Identität oder Ähnlichkeit der durch die Marke und das Zeichen erfassten Waren oder Dienstleistungen für das Publikum die Gefahr von Verwechslungen besteht, die die Gefahr einschließt, dass das Zeichen mit der Marke gedanklich in Verbindung gebracht wird.

(3)   Sind die Voraussetzungen der Absätze l und 2 erfüllt, so kann insbesondere verboten werden:

b)

unter dem Zeichen Waren anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder zu den genannten Zwecken zu besitzen oder unter dem Zeichen Dienstleistungen anzubieten oder zu erbringen;

c)

Waren unter dem Zeichen einzuführen oder auszuführen;

…“

4

Die Richtlinie 89/104 wurde durch die am 28. November 2008 in Kraft getretene Richtlinie 2008/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2008 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (ABl. L 299, S. 25) aufgehoben. Für die Sachverhalte der Ausgangsverfahren gilt jedoch aufgrund des zeitlichen Rahmens weiterhin die Richtlinie 89/104.

Richtlinie 92/12/EWG

5

Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 92/12/EWG des Rates vom 25. Februar 1992 über das allgemeine System, den Besitz, die Beförderung und die Kontrolle verbrauchsteuerpflichtiger Waren (ABl. L 76, S. 1) bestimmte:

„Diese Richtlinie findet auf Gemeinschaftsebene Anwendung auf die folgenden … Waren:

 

 

Alkohol und alkoholische Getränke,

 

…“

6

Art. 4 Buchst. b und c der Richtlinie 92/12 sah vor:

„Im Sinne dieser Richtlinie gelten als

b)

Steuerlager: jeder Ort, an dem unter bestimmten, von den zuständigen Behörden des Mitgliedstaats, in dem sich das Steuerlager befindet, festgelegten Voraussetzungen verbrauchsteuerpflichtige Waren unter Steueraussetzung vom zugelassenen Lagerinhaber hergestellt, bearbeitet, gelagert, empfangen oder versandt werden;

c)

Verfahren der Steueraussetzung: die steuerliche Regelung, die auf die Herstellung, die Verarbeitung, die Lagerung sowie die Beförderung der Waren unter Steueraussetzung Anwendung findet;

…“

7

Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 92/12 lautete:

„Die in Artikel 3 Absatz 1 genannten Waren werden verbrauchsteuerpflichtig mit ihrer Herstellung im Gebiet der Gemeinschaft, wie es in Artikel 2 festgelegt ist, oder mit ihrer Einfuhr in dieses Gebiet.

Als Einfuhr einer verbrauchsteuerpflichtigen Ware gilt das Verbringen dieser Ware in die Gemeinschaft …

Wird diese Ware jedoch bei ihrem Verbringen in die Gemeinschaft einem gemeinschaftlichen Zollverfahren unterworfen, so gilt ihre Einfuhr als zu dem Zeitpunkt erfolgt, an dem sie aus dem gemeinschaftlichen Zollverfahren entnommen wird.“

8

Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 92/12 bestimmte:

„Die Verbrauchsteuer entsteht mit der Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr …

Als Überführung von verbrauchsteuerpflichtigen Waren in den steuerrechtlich freien Verkehr gelten

a)

jede – auch unrechtmäßige – Entnahme der Ware aus dem Verfahren der Steueraussetzung;

b)

jede – auch unrechtmäßige – Herstellung dieser Erzeugnisse außerhalb eines Verfahrens der Steueraussetzung;

c)

jede – auch unrechtmäßige – Einfuhr dieser Waren, sofern sie nicht einem Verfahren der Steueraussetzung unterstellt worden sind.“

9

Art. 11 Abs. 2 der Richtlinie 92/12 lautete:

„Die Herstellung, die Verarbeitung und der Besitz verbrauchsteuerpflichtiger und noch unversteuerter Waren erfolgen in einem Steuerlager.“

10

Mit Wirkung vom 1. April 2010 wurde die Richtlinie 92/12 durch die Richtlinie 2008/118/EG des Rates vom 16. Dezember 2008 über das allgemeine Verbrauchsteuersystem und zur Aufhebung der Richtlinie 92/12 (ABl. 2009, L 9, S. 12) aufgehoben. Für die Sachverhalte der Ausgangsverfahren gilt jedoch aufgrund des zeitlichen Rahmens weiterhin die Richtlinie 92/12.

Verordnung (EWG) Nr. 2913/92

11

Art. 91 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L 302, S. 1) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 955/1999 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. April 1999 geänderten Fassung (ABl. L 119, S. 1) (im Folgenden: Zollkodex) bestimmte:

„Im externen Versandverfahren können folgende Waren zwischen zwei innerhalb des Zollgebiets der Gemeinschaft gelegenen Orten befördert werden:

a)

Nichtgemeinschaftswaren, ohne dass diese Waren Einfuhrabgaben, anderen Abgaben oder handelspolitischen Maßnahmen unterliegen;

…“

12

Art. 92 des Zollkodex lautete:

„(1)   Das externe Versandverfahren endet und die Verpflichtungen des Inhabers des Verfahrens sind erfüllt, wenn die in dem Verfahren befindlichen Waren und die erforderlichen Dokumente entsprechend den Bestimmungen des betreffenden Verfahrens am Bestimmungsort der dortigen Zollstelle gestellt werden.

(2)   Die Zollbehörden erledigen das externe Versandverfahren, wenn für sie auf der Grundlage eines Vergleichs der der Abgangszollstelle zur Verfügung stehenden Angaben mit den der Bestimmungszollstelle zur Verfügung stehenden Angaben ersichtlich ist, dass das Verfahren ordnungsgemäß beendet ist.“

13

Art. 98 Abs. 1 des Zollkodex sah vor:

„Im Zolllagerverfahren können folgende Waren im Zollgebiet der Gemeinschaft gelagert werden:

a)

Nichtgemeinschaftswaren, ohne dass diese Waren Einfuhrabgaben oder handelspolitischen Maßnahmen unterliegen;

…“

14

Der Zollkodex wurde durch die Verordnung (EG) Nr. 450/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaft (Modernisierter Zollkodex) (ABl. L 145, S. 1) aufgehoben. Für die in Rn. 19 des vorliegenden Urteils genannten Waren galt jedoch aufgrund des zeitlichen Rahmens der Ausgangsverfahren der Zollkodex.

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

15

TOP Logistics, vormals „Mevi Internationaal Expeditiebedrijf BV“ (im Folgenden: Mevi), ist ein Unternehmen, das in der Lagerung und im Umschlag von Waren tätig ist. Sie verfügt über eine Genehmigung zum Betrieb eines Zoll- und eines Steuerlagers.

16

Van Caem ist ein Unternehmen, das im internationalen Handel mit Markenwaren tätig ist.

17

Bacardi ist in der Herstellung und Vermarktung alkoholischer Getränke tätig und ist Inhaberin verschiedener Marken für diese Waren.

18

Im Jahr 2006 wurden im Auftrag von Van Caem mehrere von Bacardi hergestellte Partien, die aus einem Drittstaat in die Niederlande transportiert worden waren, bei Mevi im Hafen von Rotterdam (Niederlande) gelagert.

19

Diese Waren befanden sich in einem zollrechtlichen Nichterhebungsverfahren, dem externen Versandverfahren oder dem Zolllagerverfahren. Solche Waren werden „T‑1-Waren“ genannt.

20

Einige dieser Waren wurden in der Folge in den zollrechtlich freien Verkehr überführt und dem Verfahren der Steueraussetzung unterstellt. Diese Waren verließen somit die in den Art. 91, 92 und 98 des Zollkodex geregelten zollrechtlichen Nichterhebungsverfahren und befanden sich in einem Steuerlager.

21

Da Bacardi der Einfuhr der in Rede stehenden Waren in den EWR nicht zugestimmt hatte und außerdem erfahren hatte, dass die Produktcodes von den zu den fraglichen Partien gehörenden Flaschen entfernt worden waren, ließ Bacardi diese beschlagnahmen und beantragte mehrere Maßnahmen bei der Rechtbank Rotterdam. Hierzu machte Bacardi eine Verletzung ihrer Benelux-Marken geltend.

22

Mit Urteil vom 19. November 2008 bestätigte die Rechtbank Rotterdam, dass die Einfuhr der in Rede stehenden Waren in den EWR die Benelux-Marken von Bacardi verletze und ergriff einige der beantragten Maßnahmen.

23

Hiergegen legte TOP Logistics ein Rechtsmittel beim Gerechtshof Den Haag ein. Im Rahmen dieses Rechtsmittelverfahrens wurde Van Caem als Streithelferin zugelassen.

24

Mit Zwischenurteil vom 30. Oktober 2012 entschied der Gerechtshof, dass die Benelux-Marken von Bacardi nicht verletzt worden seien, solange die in Rede stehenden Waren T‑1-Waren gewesen seien.

25

Hinsichtlich der Frage, ob diese Marken verletzt wurden, als die in Rede stehenden Waren dem Verfahren der Steueraussetzung unterstellt wurden, gab der Gerechtshof in seinem Zwischenurteil an, dass er beabsichtige, ein Vorabentscheidungsersuchen einzureichen.

26

In der Vorlageentscheidung legt der Gerechtshof Den Haag dar, dass – anders als es für T‑1-Waren der Fall sei – die eventuell geschuldeten Einfuhrabgaben für die sich im Steuerlager befindlichen Waren entrichtet worden seien. Diese Waren seien daher im Sinne der Richtlinie 92/12 eingeführt und in den zollrechtlich freien Verkehr überführt worden. Sie seien Gemeinschaftswaren geworden.

27

Diese Feststellungen müssten allerdings nicht zwingend zu der Schlussfolgerung führen, dass die in Rede stehenden Waren im Sinne von Art. 5 Abs. 3 Buchst. c der Richtlinie 89/104 eingeführt worden seien.

28

Im Übrigen hat der Gerechtshof Den Haag Zweifel hinsichtlich der Frage, ob in Bezug auf Waren, die dem Verfahren der Steueraussetzung unterstellt worden sind, von „benutzen“„im geschäftlichen Verkehr“ im Sinne von Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 89/104 und die Gefahr der Beeinträchtigung einer der Funktionen der Marke im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs die Rede sein kann.

29

Unter diesen Umständen hat der Gerechtshof Den Haag beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Sind von außerhalb des EWR stammende Waren, die unter Umständen, wie sie in der vorliegenden Rechtssache gegeben sind, nachdem sie (nicht vom Markeninhaber oder mit dessen Zustimmung) in das Gebiet des EWR verbracht wurden, in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union in das externe Versand- oder das Zolllagerverfahren … überführt worden sind und anschließend einem Verfahren der Steueraussetzung unterstellt werden, als eingeführt im Sinne von Art. 5 Abs. 3 Buchst. c der Richtlinie 89/104 anzusehen, so dass davon die Rede sein kann, das Zeichen „im geschäftlichen Verkehr … zu benutzen“ was vom Markeninhaber gemäß Art. 5 Abs. 1 der genannten Richtlinie verboten werden kann?

2.

Sofern Frage 1 bejaht wird: Hat dann zu gelten, dass unter Umständen, wie sie in der vorliegenden Rechtssache gegeben sind, das bloße Vorhandensein in einem Mitgliedstaat von solchen Waren (die in diesem Mitgliedstaat einem Verfahren der Steueraussetzung unterstellt worden sind) die Funktionen der Marke nicht beeinträchtigt oder beeinträchtigen kann, so dass der Markeninhaber, der sich in diesem Mitgliedstaat auf nationale Markenrechte beruft, diesem Vorhandensein nicht widersprechen kann?

Zu den Vorlagefragen

30

Mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 5 der Richtlinie 89/104 dahin auszulegen ist, dass der Inhaber einer in einem oder mehreren Mitgliedstaaten eingetragenen Marke dem widersprechen kann, dass ein Dritter mit dieser Marke versehene Waren dem Verfahren der Steueraussetzung unterstellen lässt, nachdem er sie ohne die Zustimmung des Markeninhabers in den EWR hat einführen und in den zollrechtlich freien Verkehr überführen lassen.

31

In diesem Zusammenhang ist zunächst darauf hinzuweisen, dass es entscheidend ist, dass der Inhaber einer in einem oder mehreren Mitgliedstaaten eingetragenen Marke das erste Inverkehrbringen der mit dieser Marke versehenen Waren im EWR kontrollieren kann (vgl. u. a. Urteile Zino Davidoff und Levi Strauss, C‑414/99 bis C‑416/99, EU:C:2001:617, Rn. 33, Makro Zelfbedieningsgroothandel u. a., C‑324/08, EU:C:2009:633, Rn. 32, sowie L’Oréal u. a., C‑324/09, EU:C:2011:474, Rn. 60).

32

Hierzu gewährt Art. 5 der Richtlinie 89/104 dem Markeninhaber ein ausschließliches Recht, das es ihm u. a. gestattet, Dritten zu verbieten, mit seiner Marke versehene Waren ohne seine Zustimmung einzuführen, anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder zu den genannten Zwecken zu besitzen (Urteile Zino Davidoff und Levi Strauss, C‑414/99 bis C‑416/99, EU:C:2001:617, Rn. 40, Van Doren + Q, C‑244/00, EU:C:2003:204, Rn. 33, sowie Peak Holding, C‑16/03, EU:C:2004:759, Rn. 34).

33

Im vorliegenden Fall wurden die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Waren in einem Drittstaat hergestellt. Sie wurden ohne Zustimmung des Markeninhabers in das Zollgebiet der Europäischen Union eingeführt und in ein zollrechtliches Nichterhebungsverfahren überführt. Sodann wurden sie ohne die Zustimmung des Markeninhabers in den zollrechtlich freien Verkehr überführt, was das genannte zollrechtliche Nichterhebungsverfahren beendete und zur Zahlung der Einfuhrabgaben führte.

34

Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Waren keinem zollrechtlichen Nichterhebungsverfahren mehr unterstellt sind. Daher ist die Rechtsprechung, wonach die Überführung von Markenwaren in ein zollrechtliches Nichterhebungsverfahren wie das externe Versandverfahren nach den Art. 91 und 92 des Zollkodex oder das Zolllagerverfahren nach Art. 98 des Zollkodex für sich genommen das ausschließliche Recht des Markeninhabers nicht beeinträchtigen kann (vgl. u. a. Urteil Philips und Nokia, C‑446/09 und C‑495/09, EU:C:2011:796, Rn. 55 und 56 sowie die dort angeführte Rechtsprechung), in einem Fall wie dem der Ausgangsverfahren nicht anwendbar.

35

Vielmehr sind die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Waren, da für sie die Einfuhrabgaben entrichtet und sie in den zollrechtlich freien Verkehr überführt wurden, im Sinne von Art. 5 Abs. 3 Buchst. c der Richtlinie 89/104 eingeführt worden (vgl. in diesem Sinne Urteil Class International, C‑405/03, EU:C:2005:616, Rn. 43 und 44, sowie Beschluss Canon, C‑449/09, EU:C:2010:651, Rn. 18).

36

Da die in den Ausgangsverfahren in Rede stehenden Waren im Übrigen unter eine der in Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 92/12 genannten Kategorien von Waren fallen, sind sie nach Art. 5 Abs. 1 dieser Richtlinie zum Zeitpunkt der Entnahme aus dem Zollverfahren auch eingeführte Waren im Sinne dieser Richtlinie geworden.

37

Die Zweifel des vorlegenden Gerichts hinsichtlich der Frage, ob der Markeninhaber einer Überführung der Waren, die auf diese Weise ohne seine Zustimmung in den zollrechtlich freien Verkehr überführt worden sind, in das Verfahren der Steueraussetzung widersprechen kann, hängen erstens damit zusammen, dass nach den Bestimmungen der Richtlinie 92/12 während dieser Steuerlagerung keine Verbrauchsteuern entrichtet werden und dass die betreffenden Waren folglich noch nicht in den steuerrechtlich freien Verkehr überführt werden können.

38

Wie Bacardi und die französische Regierung ausgeführt haben, geht jedoch aus dem Wortlaut von Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 89/104 sowie aus der in Rn. 32 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung hervor, dass der Markeninhaber keineswegs verpflichtet ist, die Überführung der mit seiner Marke versehenen Waren in den steuerrechtlich freien Verkehr abzuwarten, um sein ausschließliches Recht auszuüben. Er kann nämlich auch bestimmten Handlungen widersprechen, die vor dieser Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr ohne seine Zustimmung vorgenommen werden. Zu diesen Handlungen zählen insbesondere die Einfuhr der betreffenden Waren und ihre Lagerung zum Zweck ihres Inverkehrbringens.

39

Auf der Grundlage von Art. 5 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 89/104 ist festzustellen, dass Handlungen eines Wirtschaftsteilnehmers, wie im vorliegenden Fall Van Caem, die darin bestehen, Waren ohne die Zustimmung des Markeninhabers in die Union einführen zu lassen und diese Waren in das Verfahren der Steueraussetzung überführen zu lassen, sie somit bis zur Entrichtung der Verbrauchsteuern und bis zur Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr im Steuerlager zu lagern, so einzustufen sind, als würde der Wirtschaftsteilnehmer im Sinne von Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 89/104 „ein mit der Marke identisches Zeichen im geschäftlichen Verkehr für Waren …, benutzen, die mit denjenigen identisch sind, für die sie eingetragen ist“.

40

Zwar benutzt dieser Wirtschaftsteilnehmer ein Zeichen, wenn er Waren einführen und lagern lässt, die mit einem mit einer Marke eines anderen identischen Zeichen versehen sind, für Waren, die mit denjenigen identisch sind, für die diese Marke eingetragen ist, nicht in Wirtschaftsvorgängen mit Verbraucherbezug. Doch können die in Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 89/104 verwendeten Begriffe „benutzen“ und „im geschäftlichen Verkehr“ nicht dahin ausgelegt werden, dass sie nur auf unmittelbare Beziehungen zwischen einem Händler und einem Verbraucher abstellen, da sonst Art. 5 Abs. 3 dieser Richtlinie seine praktische Wirksamkeit verlieren würde.

41

Der Gerichtshof hatte zum einen hinsichtlich des Begriffs „benutzen“ bereits die Gelegenheit, klarzustellen, dass eine Benutzung eines mit der Marke identischen Zeichens im Sinne von Art. 5 der Richtlinie 89/104 vorliegt, wenn der betreffende Wirtschaftsteilnehmer dieses Zeichen im Rahmen seiner eigenen kommerziellen Kommunikation benutzt (Urteil Google France und Google, C‑236/08 bis C‑238/08, EU:C:2010:159, Rn. 56).

42

Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn ein Wirtschaftsteilnehmer Waren, die mit einer Marke versehen sind, deren Inhaber er nicht ist, im Hinblick auf ihr Inverkehrbringen einführt oder einem Lagerinhaber aushändigt. Anderenfalls könnten die in Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 89/104 genannten Handlungen der Einfuhr und der Lagerung zum Zweck des Inverkehrbringens, die normalerweise ohne unmittelbaren Kontakt mit den potenziellen Verbrauchern durchgeführt werden, nicht als „benutzen“ im Sinne dieser Vorschrift eingestuft werden und könnten daher nicht verboten werden, obwohl sie der Unionsgesetzgeber ausdrücklich als potenziell verbotsbewehrte Handlungen identifiziert hat.

43

Was zum anderen den Ausdruck „im geschäftlichen Verkehr“ betrifft, so wird nach ständiger Rechtsprechung ein mit der Marke identisches Zeichen im geschäftlichen Verkehr benutzt, wenn die Benutzung im Zusammenhang mit einer auf einen wirtschaftlichen Vorteil gerichteten kommerziellen Tätigkeit und nicht im privaten Bereich erfolgt (Urteile Arsenal Football Club, C‑206/01, EU:C:2002:651, Rn. 40, Céline, C‑17/06, EU:C:2007:497, Rn. 17, sowie Google France und Google, C‑236/08 bis C‑238/08, EU:C:2010:159, Rn. 50).

44

Dies ist offensichtlich der Fall, wenn, wie im Ausgangsrechtsstreit, ein Wirtschaftsteilnehmer, der Parallelhandel mit Markenwaren betreibt, solche Waren einführen und lagern lässt.

45

Hinsichtlich des Lagerinhabers – wie im vorliegenden Fall TOP Logistics – ist hingegen festzustellen, dass dessen Erbringung der Dienstleistung der Lagerung von mit der Marke eines anderen versehenen Waren keine Benutzung des mit dieser Marke identischen Zeichens für Waren oder Dienstleistungen darstellt, die mit denjenigen identisch oder ihnen ähnlich sind, für die diese Marke eingetragen ist. Soweit dieser Dienstleistende seinem Kunden eine solche Benutzung ermöglicht, kann seine Rolle nicht nach den Bestimmungen der Richtlinie 89/104, sondern muss gegebenenfalls nach anderen Rechtsvorschriften beurteilt werden (vgl. entsprechend Urteil Frisdranken Industrie Winters, C‑119/10, EU:C:2011:837, Rn. 28 bis 35).

46

Zweitens wirft das vorlegende Gericht die Frage auf, ob die Handlung, die darin besteht, mit der Marke eines anderen versehene Waren in das Verfahren der Steueraussetzung überführen zu lassen, die Gefahr der Beeinträchtigung der Funktionen der Marke heraufbeschwören kann. In diesem Zusammenhang führt es die Rechtsprechung des Gerichtshofs an, wonach in dem in Art. 5 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 89/104 geregelten Fall die Ausübung des durch die Marke gewährten ausschließlichen Rechts Fällen vorbehalten bleiben muss, in denen die Benutzung des Zeichens durch einen Dritten eine der Funktionen der Marke, sei es die Hauptfunktion, auf die Herkunft der von der Marke erfassten Ware oder Dienstleistung hinzuweisen, oder eine ihrer anderen Funktionen, beeinträchtigt oder beeinträchtigen könnte (Urteile Google France und Google, C‑236/08 bis C‑238/08, EU:C:2010:159, Rn. 79, sowie Interflora und Interflora British Unit, C‑323/09, EU:C:2011:604, Rn. 38).

47

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass es die Hauptfunktion des Hinweises auf die Herkunft ermöglicht, die mit der Marke gekennzeichnete Ware oder Dienstleistung als von einem bestimmten Unternehmen stammend zu identifizieren, wobei es sich um das Unternehmen handelt, unter dessen Kontrolle die Ware oder Dienstleistung vermarktet wird (Urteil Backaldrin Österreich The Kornspitz Company, C‑409/12, EU:C:2014:130, Rn. 20 und die dort angeführte Rechtsprechung).

48

Wie Bacardi und die französische Regierung ausgeführt haben, stellt jede Handlung eines Dritten, die den Inhaber einer in einem oder mehreren Mitgliedstaaten eingetragenen Marke an der Ausübung seines durch die in Rn. 32 des vorliegenden Urteils angeführte Rechtsprechung anerkannten Rechts, das erste Inverkehrbringen von mit dieser Marke versehenen Waren im EWR zu kontrollieren, hindert, naturgemäß eine Beeinträchtigung dieser Hauptfunktion der Marke dar. Die Einfuhr von Waren ohne Zustimmung des Inhabers der betreffenden Marke und die Lagerung dieser Waren im Steuerlager bis zu ihrer Überführung in den steuerrechtlich freien Verkehr in der Union bewirken, dass dem Inhaber dieser Marke die Möglichkeit genommen wird, die Modalitäten des ersten Inverkehrbringens von mit seiner Marke versehenen Waren im EWR zu kontrollieren. Diese Handlungen beeinträchtigen daher die Funktion der Marke, die darin besteht, das Unternehmen zu identifizieren, aus dem die Waren stammen und unter dessen Kontrolle das erste Inverkehrbringen organisiert wird.

49

Diese Einschätzung wird nicht durch den Umstand entkräftet, dass die Waren, die eingeführt und dem Verfahren der Steueraussetzung unterstellt worden sind, in der Folge in einen Drittstaat ausgeführt werden können und somit niemals in einem Mitgliedstaat in den steuerrechtlich freien Verkehr überführt werden. In diesem Zusammenhang genügt der Hinweis, dass jede Ware im zollrechtlich freien Verkehr ausgeführt werden kann. Diese Möglichkeit kann der Anwendung der markenrechtlichen Vorschriften auf die in die Union eingeführten Waren nicht entgegenstehen. Außerdem ist auch die Ausfuhr selbst eine in Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 89/104 genannte Handlung.

50

Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 5 der Richtlinie 89/104 dahin auszulegen ist, dass der Inhaber einer in einem oder mehreren Mitgliedstaaten eingetragenen Marke dem widersprechen kann, dass ein Dritter mit dieser Marke versehene Waren dem Verfahren der Steueraussetzung unterstellen lässt, nachdem er sie ohne die Zustimmung des Markeninhabers in den EWR hat verbringen und in den zollrechtlich freien Verkehr hat überführen lassen.

Kosten

51

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

 

Art. 5 der Ersten Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken ist dahin auszulegen, dass der Inhaber einer in einem oder mehreren Mitgliedstaaten eingetragenen Marke dem widersprechen kann, dass ein Dritter mit dieser Marke versehene Waren dem Verfahren der Steueraussetzung unterstellen lässt, nachdem er sie ohne die Zustimmung des Markeninhabers in den Europäischen Wirtschaftsraum hat verbringen und in den zollrechtlich freien Verkehr hat überführen lassen.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Niederländisch.