URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

16. Juli 2015 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung — Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen — Verordnung (EG) Nr. 44/2001 — Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen — Versagungsgründe — Verstoß gegen die öffentliche Ordnung des Vollstreckungsstaats — Dem Markenrecht der Union widersprechende Entscheidung eines Gerichts eines anderen Mitgliedstaats — Richtlinie 2004/48/EG — Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums — Prozesskosten“

In der Rechtssache C‑681/13

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Hoge Raad der Nederlanden (Niederlande) mit Entscheidung vom 20. Dezember 2013, beim Gerichtshof eingegangen am 23. Dezember 2013, in dem Verfahren

Diageo Brands BV

gegen

Simiramida-04 EOOD

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Tizzano, der Richter S. Rodin und E. Levits, der Richterin M. Berger (Berichterstatterin) sowie des Richters F. Biltgen,

Generalanwalt: M. Szpunar,

Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 9. Dezember 2014,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der Diageo Brands BV, vertreten durch F. Vermeulen, C. Gielen und A. Verschuur, advocaten,

der Simiramida-04 EOOD, vertreten durch S. Todorova Zhelyazkova, advokat, sowie durch M. Gerritsen und A. Gieske, advocaten,

der deutschen Regierung, vertreten durch T. Henze und J. Kemper als Bevollmächtigte,

der lettischen Regierung, vertreten durch I. Kalniņš und I. Ņesterova als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch A.‑M. Rouchaud-Joët und G. Wils als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 3. März 2015

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 34 Nr. 1 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1) und von Art. 14 der Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums (ABl. L 157, S. 45).

2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Diageo Brands BV (im Folgenden: Diageo Brands) und der Simiramida-04 EOOD (im Folgenden: Simiramida) wegen deren Klage auf Ersatz des Schadens, der ihr durch eine auf Antrag von Diageo Brands erfolgte Beschlagnahme von für sie bestimmten Waren entstanden sein soll.

Rechtlicher Rahmen

Verordnung Nr. 44/2001

3

Nach dem 16. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 44/2001 rechtfertigt „[d]as gegenseitige Vertrauen in die Justiz im Rahmen der [Europäischen Union]…, dass die in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen, außer im Falle der Anfechtung, von Rechts wegen, ohne ein besonderes Verfahren, anerkannt werden.“

4

Kapitel III („Anerkennung und Vollstreckung“) der Verordnung Nr. 44/2001 ist in drei Abschnitte unterteilt. Abschnitt 1 („Anerkennung“) umfasst u. a. die Art. 33, 34 und 36 dieser Verordnung.

5

Art. 33 Abs. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 lautet:

„Die in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen werden in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt, ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf.“

6

Art. 34 dieser Verordnung bestimmt:

„Eine Entscheidung wird nicht anerkannt, wenn

1.

die Anerkennung der öffentlichen Ordnung (ordre public) des Mitgliedstaats, in dem sie geltend gemacht wird, offensichtlich widersprechen würde;

…“

7

Art. 36 der Verordnung sieht vor:

„Die ausländische Entscheidung darf keinesfalls in der Sache selbst nachgeprüft werden.“

Richtlinie 89/104/EWG

8

Die Erste Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (ABl. 1989, L 40, S. 1) in der durch das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2. Mai 1992 (ABl. 1994, L 1, S. 3) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 89/104) wurde durch die Richtlinie 2008/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2008 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (kodifizierte Fassung) (ABL. L 299, S. 25) aufgehoben. Jedoch ist im Ausgangsverfahren aufgrund des Zeitpunkts der maßgeblichen Ereignisse noch die Richtlinie 89/104 anwendbar.

9

Art. 5 der Richtlinie 89/104 bestimmte:

„(1)   Die eingetragene Marke gewährt ihrem Inhaber ein ausschließliches Recht. Dieses Recht gestattet es dem Inhaber, Dritten zu verbieten, ohne seine Zustimmung im geschäftlichen Verkehr

a)

ein mit der Marke identisches Zeichen für Waren oder Dienstleistungen zu benutzen, die mit denjenigen identisch sind, für die sie eingetragen ist;

(3)   Sind die Voraussetzungen der Absätze l und 2 erfüllt, so kann insbesondere verboten werden:

a)

das Zeichen auf Waren oder deren Aufmachung anzubringen;

b)

unter dem Zeichen Waren anzubieten, in den Verkehr zu bringen oder zu den genannten Zwecken zu besitzen oder unter dem Zeichen Dienstleistungen anzubieten oder zu erbringen;

c)

Waren unter dem Zeichen einzuführen oder auszuführen;

…“

10

Art. 7 („Erschöpfung des Rechts aus der Marke“) Abs. 1 der Richtlinie 89/104 lautete:

„Die Marke gewährt ihrem Inhaber nicht das Recht, einem Dritten zu verbieten, die Marke für Waren zu benutzen, die unter dieser Marke von ihm oder mit seiner Zustimmung [im Europäischen Wirtschaftsraum] in den Verkehr gebracht worden sind.“

Richtlinie 2004/48

11

Nach ihrem zehnten Erwägungsgrund sollen mit der Richtlinie 2004/48 die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten einander angenähert werden, „um ein hohes, gleichwertiges und homogenes Schutzniveau für geistiges Eigentum im Binnenmarkt zu gewährleisten“.

12

Im 22. Erwägungsgrund der Richtlinie heißt es, dass unter den Maßnahmen, die die Mitgliedstaaten zur Verfügung stellen müssen, ferner „einstweilige Maßnahmen unabdingbar [sind], die … vorbehaltlich der Sicherheiten, die erforderlich sind, um dem Antragsgegner im Falle eines ungerechtfertigten Antrags den entstandenen Schaden und etwaige Unkosten zu ersetzen, die unverzügliche Beendigung der Verletzung ermöglichen, ohne dass eine Entscheidung in der Sache abgewartet werden muss“.

13

Die Richtlinie 2004/48 betrifft nach ihrem Art. 1 „die Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe, die erforderlich sind, um die Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums sicherzustellen. Im Sinne dieser Richtlinie umfasst der Begriff ‚Rechte des geistigen Eigentums‘ auch die gewerblichen Schutzrechte.“

14

Gemäß Art. 2 Abs. 1 dieser Richtlinie finden die in ihr vorgesehenen Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe „auf jede Verletzung von Rechten des geistigen Eigentums, die im Gemeinschaftsrecht und/oder im innerstaatlichen Recht des betreffenden Mitgliedstaats vorgesehen sind, Anwendung“.

15

Nach Art. 3 Abs. 2 dieser Richtlinie müssen die von den Mitgliedstaaten vorzusehenden Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe, die zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums erforderlich sind, „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein und so angewendet werden, dass die Einrichtung von Schranken für den rechtmäßigen Handel vermieden wird und die Gewähr gegen ihren Missbrauch gegeben ist“.

16

Vor diesem Hintergrund haben die Mitgliedstaaten gemäß Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2004/48 sicherzustellen, dass die zuständigen Gerichte unter bestimmten Voraussetzungen „schnelle und wirksame einstweilige Maßnahmen zur Sicherung der rechtserheblichen Beweismittel hinsichtlich der behaupteten Verletzung anordnen können“. Diese Maßnahmen können „die dingliche Beschlagnahme der rechtsverletzenden Ware“ umfassen. Nach Art. 9 Abs. 1 Buchst. b dieser Richtlinie haben die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass die Gerichte die Möglichkeit haben, auf Antrag des Antragstellers „die Beschlagnahme oder Herausgabe der Waren, bei denen der Verdacht auf Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums besteht, anzuordnen“. Nach Art. 7 Abs. 4 und Art. 9 Abs. 7 dieser Richtlinie sind, wenn „in der Folge festgestellt [wird], dass keine Verletzung oder drohende Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums vorlag“, die Gerichte befugt, „auf Antrag des Antragsgegners anzuordnen, dass der Antragsteller dem Antragsgegner angemessenen Ersatz für durch diese Maßnahmen entstandenen Schaden zu leisten hat“.

17

Zu den Prozesskosten bestimmt Art. 14 der Richtlinie:

„Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass die Prozesskosten und sonstigen Kosten der obsiegenden Partei in der Regel, soweit sie zumutbar und angemessen sind, von der unterlegenen Partei getragen werden, sofern Billigkeitsgründe dem nicht entgegenstehen.“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

18

Diageo Brands mit Sitz in Amsterdam (Niederlande) ist Inhaberin der Marke „Johnny Walker“. In Bulgarien vertreibt sie Whisky dieser Marke über einen lokalen Alleinimporteur.

19

Simiramida mit Sitz in Varna (Bulgarien) handelt mit alkoholischen Getränken.

20

Am 31. Dezember 2007 kam ein an Simiramida adressierter Container mit 12096 Flaschen Whisky der Marke „Johnny Walker“ aus Georgien im Hafen von Varna an.

21

Da Diageo Brands der Auffassung war, dass die Einfuhr dieser Ladung Flaschen nach Bulgarien ohne ihre Zustimmung eine Verletzung ihrer Marke darstelle, beantragte sie die Genehmigung des Sofiyski gradski sad (Gericht der Stadt Sofia, Bulgarien), die Ladung beschlagnahmen zu lassen, die ihr mit Beschluss vom 12. März 2008 erteilt wurde.

22

Auf das Rechtsmittel von Simiramida hob der Sofiyski apelativen sad (Berufungsgericht Sofia) am 9. Mai 2008 den Beschluss auf.

23

Mit Entscheidungen vom 30. Dezember 2008 und 24. März 2009 wies der Varhoven kasatsionen sad (Oberster Kassationsgerichtshof) die von Diageo Brands eingelegte Kassationsbeschwerde aus formalen Gründen zurück.

24

Die von Diageo Brands veranlasste Beschlagnahme der Ladung Whisky wurde am 9. April 2009 aufgehoben.

25

In dem von Diageo Brands gegen Simiramida eingeleiteten Hauptsacheverfahren wegen Verletzung der Marke, deren Inhaberin Diageo Brands ist, wies der Sofiyski gradski sad mit Entscheidung vom 11. Januar 2010 die Anträge von Diageo Brands zurück. Der Sofiyski gradski sad stellte fest, dass aus einem auslegenden Beschluss des Varhoven kasatsionen sad vom 15. Juni 2009 hervorgehe, dass die Einfuhr von Erzeugnissen, die mit Zustimmung des Markeninhabers außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) in Verkehr gebracht worden seien, nach Bulgarien keine Verletzung von Markenrechten darstelle. Der Sofiyski gradski sad sah sich aufgrund des bulgarischen Verfahrensrechts an diesen auslegenden Beschluss gebunden.

26

Diageo Brands legte gegen die Entscheidung des Sofiyski gradski sad vom 11. Januar 2010 kein Rechtsmittel ein, so dass diese rechtskräftig wurde.

27

Im Ausgangsrechtsstreit beantragt Simiramida bei den niederländischen Gerichten, Diageo Brands zu verurteilen, an sie mehr als 10 Mio. Euro als Ersatz des Schadens zu zahlen, den sie aufgrund der von Diageo Brands beantragten Beschlagnahme erlitten habe. Simiramida stützt ihre Klage auf die Entscheidung des Sofiyski gradski sad vom 11. Januar 2010, soweit mit ihr die Rechtswidrigkeit dieser Beschlagnahme festgestellt worden sei. Diageo Brands hält dem entgegen, dass diese Entscheidung in den Niederlanden nicht anerkannt werden könne, da sie der niederländischen öffentlichen Ordnung im Sinne von Art. 34 Nr. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 offensichtlich widersprechen würde. Der Sofiyski gradski sad habe in dieser Entscheidung das Unionsrecht offensichtlich falsch angewandt, indem er sich auf den auslegenden Beschluss des Varhoven kasatsionen sad vom 15. Juni 2009 gestützt habe, der inhaltlich fehlerhaft sei und zudem vom Varhoven kasatsionen sad unter Verstoß gegen seine Verpflichtung, nach Art. 267 AEUV eine Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen, erlassen worden sei.

28

Mit Urteil vom 2. März 2011 folgte die Rechtbank Amsterdam (Gericht Amsterdam) dem Vorbringen von Diageo Brands und wies die Klage von Simiramida ab.

29

Auf die Berufung von Simiramida änderte der Gerechtshof te Amsterdam (Berufungsgericht Amsterdam) mit Urteil vom 5. Juni 2012 die Entscheidung der Rechtbank Amsterdam dahin ab, dass die Entscheidung des Sofiyski gradski sad vom 11. Januar 2010 in den Niederlanden anzuerkennen sei, ohne jedoch über den Schadensersatzanspruch zu entscheiden.

30

Vor diesem Hintergrund hat der Hoge Raad der Nederlanden (Oberster Gerichtshof der Niederlande), bei dem Diageo Brands Kassationsbeschwerde gegen die Entscheidung des Gerechtshof te Amsterdam eingelegt hatte, beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Ist Art. 34 Nr. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 dahin auszulegen, dass dieser Ablehnungsgrund auch den Fall erfasst, dass die Entscheidung des Gerichts des Ursprungsmitgliedstaats mit dem Unionsrecht offensichtlich unvereinbar ist und dies von diesem Gericht erkannt wurde?

2. a)

Ist Art. 34 Nr. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 dahin auszulegen, dass einer erfolgreichen Berufung auf diesen Ablehnungsgrund der Umstand im Weg steht, dass die Partei, die sich auf ihn beruft, es unterlassen hat, im Ursprungsmitgliedstaat der Entscheidung die dort verfügbaren Rechtsbehelfe einzulegen?

2. b)

Falls Frage 2 a) zu bejahen ist: Ändert sich dies, wenn das Einlegen von Rechtsbehelfen im Ursprungsmitgliedstaat der Entscheidung zwecklos war, weil angenommen werden muss, dass dies nicht zu einer anderen Entscheidung geführt hätte?

3.

Ist Art. 14 der Richtlinie 2004/48 dahin auszulegen, dass diese Bestimmung auch die Kosten der Parteien erfasst, die ihnen in einem Rechtsstreit in einem Mitgliedstaat wegen einer Schadensersatzforderung entstehen, wenn die Forderung und die Verteidigung dagegen die geltend gemachte Haftung der beklagten Partei wegen der Beschlagnahme und der Ankündigungen betreffen, die diese zur Durchsetzung ihres Markenrechts in einem anderen Mitgliedstaat vorgenommen hat, und sich in diesem Zusammenhang die Frage nach der Anerkennung einer Entscheidung des Gerichts des letztgenannten Mitgliedstaats im erstgenannten Mitgliedstaat stellt?

Zum Antrag auf Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens

31

Nachdem das mündliche Verfahren am 3. März 2015 nach Stellung der Schlussanträge des Generalanwalts abgeschlossen worden war, hat Diageo Brands mit Schreiben vom 6. März 2015, das am 20. März 2015 bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen ist, die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens beantragt.

32

Diageo Brands stützt ihren Antrag erstens darauf, dass der Generalanwalt in den Nrn. 27 ff. seiner Schlussanträge Zweifel an der Richtigkeit der Prämissen geäußert habe, auf die der Hoge Raad der Nederlanden seine Vorlageentscheidung gestützt habe. Zum einen handele es sich um die Prämisse, dass sich aus dem auslegenden Beschluss des Varhoven kasatsionen sad vom 15. Juni 2009, der mit einem zweiten Beschluss vom 26. April 2012 bestätigt worden sei, und aus der Entscheidung des Sofiyski gradski sad ein offensichtlicher und bewusster Verstoß gegen einen tragenden Grundsatz des Unionsrechts ergebe, und zum anderen um die Prämisse, dass es für Diageo Brands zwecklos gewesen sei, einen Rechtsbehelf beim Varhoven kasatsionen sad einzulegen. Sollte der Gerichtshof zulassen, dass die Frage der Richtigkeit dieser Prämissen noch mit den Parteien erörtert werde, so habe diese Erörterung den Erfordernissen des tragenden Grundsatzes des kontradiktorischen Verfahrens zu entsprechen, der in Art. 6 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie in Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert sei.

33

Zweitens macht Diageo Brands geltend, sie habe keine Gelegenheit gehabt, zu bestimmten von der Europäischen Kommission in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Dokumenten Stellung zu nehmen.

34

Insoweit ist zu beachten, dass der Gerichtshof nach Art. 83 seiner Verfahrensordnung jederzeit nach Anhörung des Generalanwalts die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens beschließen kann, insbesondere wenn er sich für unzureichend unterrichtet hält oder wenn eine Partei nach Abschluss des mündlichen Verfahrens eine neue Tatsache unterbreitet hat, die von entscheidender Bedeutung für die Entscheidung des Gerichtshofs ist, oder wenn ein zwischen den Parteien oder den in Art. 23 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union bezeichneten Beteiligten nicht erörtertes Vorbringen entscheidungserheblich ist (vgl. Urteil Kommission/Parker Hannifin Manufacturing und Parker-Hannifin, C‑434/13 P, EU:C:2014:2456, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).

35

Im vorliegenden Fall hält sich der Gerichtshof nach Anhörung des Generalanwalts für ausreichend unterrichtet, um den Rechtsstreit zu entscheiden, und erachtet kein Vorbringen für entscheidungserheblich, das zwischen den Parteien nicht erörtert worden ist. Die Prämissen der Begründung des vorlegenden Gerichts, auf die sich Diageo Brands stützt, sind erwähnt worden und waren Gegenstand einer kontradiktorischen Erörterung in der mündlichen Verhandlung.

36

Zu den von der Kommission in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Unterlagen ist festzustellen, dass sie nicht registriert worden sind und nicht Bestandteil der Akten sind.

37

Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass der Generalanwalt nach Art. 252 Abs. 2 AEUV öffentlich in völliger Unparteilichkeit und Unabhängigkeit begründete Schlussanträge zu den Rechtssachen zu stellen hat, in denen nach der Satzung des Gerichtshofs seine Mitwirkung erforderlich ist. Die Schlussanträge des Generalanwalts oder ihre Begründung binden den Gerichtshof jedoch nicht (vgl. Urteil Kommission/Parker Hannifin Manufacturing und Parker-Hannifin, C‑434/13 P, EU:C:2014:2456, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

38

Der Antrag auf Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens ist daher zurückzuweisen.

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten und zur zweiten Frage

39

Mit diesen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob der Umstand, dass eine Entscheidung eines mitgliedstaatlichen Gerichts offensichtlich gegen das Unionsrecht verstößt und unter Verletzung von Verfahrensgarantien ergangen ist, nach Art. 34 Nr. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 einen Grund darstellt, die Anerkennung abzulehnen. Das vorlegende Gericht möchte außerdem wissen, ob in einem solchen Zusammenhang das Gericht des Mitgliedstaats, in dem die Anerkennung geltend gemacht wird, zu berücksichtigen hat, dass die Person, die sich gegen die Anerkennung wehrt, nicht die nach den Rechtsvorschriften des Ursprungstaats vorgesehenen Rechtsbehelfe eingelegt hat.

Vorbemerkungen

40

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten, der im Unionsrecht fundamentale Bedeutung hat, von jedem Mitgliedstaat, namentlich in Bezug auf den Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, verlangt, dass er, abgesehen von außergewöhnlichen Umständen, davon ausgeht, dass alle anderen Mitgliedstaaten das Unionsrecht und insbesondere die in diesem Recht anerkannten Grundrechte beachten (vgl. in diesem Sinne Gutachten 2/13, EU:C:2014:2454, Rn. 191 und die dort angeführte Rechtsprechung). Wie aus dem 16. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 44/2001 hervorgeht, ist die Anerkennungs- und Vollstreckungsregelung dieser Verordnung gerade auf das gegenseitige Vertrauen in die Justiz im Rahmen der Union gestützt. Ein solches Vertrauen erfordert u. a., dass die in einem Mitgliedstaat ergangenen gerichtlichen Entscheidungen von Rechts wegen in einem anderen Mitgliedstaat anerkannt werden (vgl. Urteil flyLAL-Lithuanian Airlines, C‑302/13, EU:C:2014:2319, Rn. 45).

41

Nach dieser Regelung ist Art. 34 der Verordnung Nr. 44/2001, der die Gründe nennt, die der Anerkennung einer Entscheidung entgegengehalten werden können, eng auszulegen, da er ein Hindernis für die Verwirklichung eines der grundlegenden Ziele dieser Verordnung bildet. Was speziell die Ordre‑public‑Klausel in Art. 34 Nr. 1 dieser Verordnung betrifft, so kann sie nur in Ausnahmefällen eingreifen (vgl. Urteil Apostolides, C‑420/07, EU:C:2009:271, Rn. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung).

42

Nach gefestigter Rechtsprechung können die Mitgliedstaaten zwar aufgrund des in Art. 34 Nr. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 vorgesehenen Vorbehalts grundsätzlich selbst bestimmen, welche Anforderungen sich nach ihren innerstaatlichen Anschauungen aus ihrer öffentlichen Ordnung ergeben, doch gehört die Abgrenzung dieses Begriffs zur Auslegung dieser Verordnung. Es ist demnach zwar nicht Sache des Gerichtshofs, den Inhalt der öffentlichen Ordnung eines Mitgliedstaats festzulegen, doch hat er über die Grenzen zu wachen, innerhalb deren sich das Gericht eines Mitgliedstaats auf diesen Begriff stützen darf, um einer in einem anderen Mitgliedstaat ergangenen Entscheidung die Anerkennung zu versagen (vgl. Urteil flyLAL-Lithuanian Airlines, C‑302/13, EU:C:2014:2319, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).

43

Hierzu ist festzustellen, dass es Art. 36 der Verordnung Nr. 44/2001 mit dem Verbot, die in einem anderen Mitgliedstaat ergangene Entscheidung in der Sache selbst nachzuprüfen, dem Gericht des Staates, in dem die Anerkennung der Entscheidung geltend gemacht wird, untersagt, diese nur deshalb zu versagen, weil die vom Gericht des Ursprungsstaats angewandten Rechtsvorschriften von denen abweichen, die das Gericht des Vollstreckungsstaats im Fall seiner eigenen Befassung mit dem Rechtsstreit angewandt hätte. Ebenso wenig darf das Gericht des Vollstreckungsstaats nachprüfen, ob das Gericht des Ursprungsstaats den Fall rechtlich und tatsächlich fehlerfrei gewürdigt hat (vgl. Urteil flyLAL‑Lithuanian Airlines, C‑302/13, EU:C:2014:2319, Rn. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung).

44

Eine Anwendung der Ordre-public-Klausel von Art. 34 Nr. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 kommt nur dann in Betracht, wenn die Anerkennung der in einem anderen Mitgliedstaat erlassenen Entscheidung gegen einen wesentlichen Rechtsgrundsatz verstieße und deshalb in einem nicht hinnehmbaren Gegensatz zur Rechtsordnung des Vollstreckungsstaats stünde. Damit das Verbot, die in einem anderen Mitgliedstaat ergangene Entscheidung in der Sache nachzuprüfen, gewahrt bleibt, muss es sich bei diesem Verstoß um eine offensichtliche Verletzung einer in der Rechtsordnung des Vollstreckungsstaats als wesentlich geltenden Rechtsnorm oder eines dort als grundlegend anerkannten Rechts handeln (vgl. Urteil flyLAL-Lithuanian Airlines, C‑302/13, EU:C:2014:2319, Rn. 49 und die dort angeführte Rechtsprechung).

45

Im Licht dieser Erwägungen ist zu prüfen, ob die vom vorlegenden Gericht angeführten Gesichtspunkte belegen können, dass die Anerkennung der Entscheidung des Sofiyski gradski sad vom 11. Januar 2010 eine offensichtliche Verletzung der niederländischen öffentlichen Ordnung im Sinne von Art. 34 Nr. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 darstellen würde.

46

Diese Gesichtspunkte betreffen einen in der Entscheidung begangenen Verstoß gegen eine materiell-rechtliche Vorschrift sowie eine Verletzung von Verfahrensgarantien im Rahmen des Verfahrens, das zu der Entscheidung geführt hat.

Zum Verstoß gegen die materiell-rechtliche Bestimmung in Art. 5 der Richtlinie 89/104

47

Im Ausgangsverfahren geht das vorlegende Gericht von der Prämisse aus, der Sofiyski gradski sad habe Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 89/104 offensichtlich falsch angewandt, indem er in seiner Entscheidung vom 11. Januar 2010 festgestellt habe, dass die Einfuhr von Erzeugnissen, die mit Zustimmung des Markeninhabers außerhalb des EWR in Verkehr gebracht worden seien, nach Bulgarien keine Verletzung von Markenrechten darstelle.

48

Hierzu ist zunächst festzustellen, dass sich die Voraussetzungen für die Anwendung der Ordre-public-Klausel im Sinne von Art. 34 Nr. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 nicht dadurch ändern, dass der offensichtliche Fehler, den das Gericht des Ursprungsstaats begangen haben soll, wie im Ausgangsverfahren eine unionsrechtliche Bestimmung und nicht eine Bestimmung des nationalen Rechts betrifft. Denn das nationale Gericht hat den Schutz der durch die nationale Rechtsordnung verliehenen Rechte und der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte in gleicher Weise wirksam zu gewährleisten (vgl. in diesem Sinne Urteil Renault, C‑38/98, EU:C:2000:225, Rn. 32).

49

Sodann ist zu beachten, dass das Gericht des Vollstreckungsstaats die Anerkennung einer Entscheidung aus einem anderen Mitgliedstaat nicht allein deshalb ablehnen darf, weil es der Ansicht ist, dass in dieser Entscheidung das nationale Recht oder das Unionsrecht falsch angewandt worden sei, da andernfalls die Zielsetzung der Verordnung Nr. 44/2001 in Frage gestellt würde. Vielmehr ist in solchen Fällen davon auszugehen, dass das in jedem Mitgliedstaat eingerichtete Rechtsbehelfssystem, ergänzt durch das in Art. 267 AEUV vorgesehene Vorabentscheidungsverfahren, den Rechtsbürgern eine ausreichende Garantie bietet (vgl. in diesem Sinne Urteil Apostolides, C‑420/07, EU:C:2009:271, Rn. 60 und die dort angeführte Rechtsprechung).

50

Daher würde die Ordre-public-Klausel nur insofern eingreifen, als der Rechtsfehler bedeuten würde, dass die Anerkennung der betreffenden Entscheidung im Vollstreckungsstaat die offensichtliche Verletzung einer in der Unionsrechtsordnung und somit in der Rechtsordnung des Vollstreckungsstaats wesentlichen Rechtsnorm zur Folge haben würde.

51

Wie der Generalanwalt in Nr. 52 seiner Schlussanträge festgestellt hat, steht die im Ausgangsverfahren fragliche materiell-rechtliche Bestimmung, d. h. Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 89/104, in einer Mindestharmonisierungsrichtlinie, die die teilweise Annäherung der uneinheitlichen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet des Markenwesens zum Gegenstand hat. Zwar haben die Durchsetzung der dem Inhaber einer Marke durch Art. 5 dieser Richtlinie verliehenen Rechte und die richtige Anwendung der in Art. 7 der Richtlinie enthaltenen Bestimmungen über die Erschöpfung dieser Rechte unmittelbare Auswirkungen auf das Funktionieren des Binnenmarkts, jedoch kann daraus nicht abgeleitet werden, dass ein Fehler bei der Umsetzung dieser Bestimmungen gegen einen fundamentalen Grundsatz der Unionsrechtsordnung verstieße und deshalb in einem nicht hinnehmbaren Gegensatz zur Unionsrechtsordnung stünde.

52

Vielmehr ist davon auszugehen, dass der bloße Umstand, dass die Entscheidung des Sofiyski gradski sad vom 11. Januar 2010 nach Ansicht des Gerichts des Vollstreckungsstaats mit einem Fehler behaftet ist, der die Anwendung der Bestimmungen über die Rechte des Inhabers einer Marke – wie sie in der Richtlinie 89/104 vorgesehen sind – auf die Umstände des Ausgangsfalls betreffe, nicht die Versagung der Anerkennung dieser Entscheidung im Vollstreckungsstaat rechtfertigen kann, da dieser Fehler keine Verletzung einer in der Unionsrechtsordnung und somit in der Rechtsordnung des Vollstreckungsstaats wesentlichen Rechtsnorm darstellt.

Zur Verletzung von Verfahrensgarantien

53

In der vorliegenden Rechtssache weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass der seiner Ansicht nach vom Sofiyski gradski sad begangene Fehler seinen Ursprung im auslegenden Beschluss des Varhoven kasatsionen sad vom 15. Juni 2009 habe, in dem dieses Gericht Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 89/104 offensichtlich falsch, aber für die nachgeordneten Gerichte verbindlich ausgelegt habe. Das Varhoven kasatsionen sad habe die offensichtliche Unrichtigkeit dieser Auslegung aller Wahrscheinlichkeit nach erkannt, da mehrere Mitglieder dieses Gerichts durch Sondervoten zum Ausdruck gebracht hätten, dass sie diese Auslegung nicht teilten.

54

Hierzu ist zu bemerken, dass die bloße Tatsache, dass gemäß den in Bulgarien geltenden Verfahrensbestimmungen mehrere Mitglieder des Varhoven kasatsionen sad in dem betreffenden auslegenden Beschluss eine von der Mehrheitsmeinung abweichende Meinung kundgetan haben, nicht als Beleg dafür angesehen werden kann, dass diese Mehrheit absichtlich gegen das Unionsrecht verstoßen wollte, sondern als Reflex der Diskussion zu sehen ist, zu der die Prüfung einer komplexen Rechtsfrage hat führen können.

55

Außerdem ist festzustellen, dass die Kommission in ihren beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen angegeben hat, dass sie im Rahmen eines gegen die Republik Bulgarien eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahrens geprüft habe, ob die auslegenden Beschlüsse des Varhoven kasatsionen sad vom 15. Juni 2009 bzw. 26. April 2012 mit dem Unionsrecht vereinbar seien. Nach erfolgter Prüfung sei sie zu dem Ergebnis gelangt, dass beide Beschlüsse unionsrechtskonform seien, und habe das Vertragsverletzungsverfahren eingestellt.

56

Diese Divergenzen in der Beurteilung, über die der Gerichtshof im Rahmen der vorliegenden Rechtssache nicht zu befinden hat, zeigen zumindest, dass dem Varhoven kasatsionen sad nicht vorgeworfen werden kann, dass er einen offensichtlichen Verstoß gegen eine unionsrechtliche Bestimmung begangen und den nachgeordneten Gerichten aufgezwungen habe.

57

Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts macht Diageo Brands zudem geltend, dass die bulgarischen Gerichte gegen den Grundsatz der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof verstoßen hätten. Dieser Grundsatz schlägt sich nach Ansicht von Diageo Brands in der Verpflichtung nieder, auf den Mechanismus der Vorlage zur Vorabentscheidung zurückzugreifen, und sei eine Ausprägung des in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerten Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten.

58

Hierzu ist zunächst festzustellen, dass der Sofiyski gradski sad, der die Entscheidung, deren Anerkennung begehrt wird, erlassen hat, ein erstinstanzliches Gericht ist, gegen dessen Entscheidungen nach innerstaatlichem Recht ein Rechtsmittel eingelegt werden kann. Daher hat dieses Gericht nach Art. 267 Abs. 2 AEUV die Möglichkeit, dem Gerichtshof eine Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen, ist aber dazu nicht verpflichtet.

59

Sodann ist zu beachten, dass das System, das mit Art. 267 AEUV geschaffen wurde, um die einheitliche Auslegung des Unionsrechts in den Mitgliedstaaten zu gewährleisten, eine unmittelbare Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten durch ein Verfahren einführt, das der Parteiherrschaft entzogen ist. Die Vorlage zur Vorabentscheidung beruht nämlich auf einem Dialog der Gerichte, dessen Aufnahme ausschließlich von der Beurteilung der Erheblichkeit und der Notwendigkeit der Vorlage durch das nationale Gericht abhängt (Urteil Kelly, C‑104/10, EU:C:2011:506, Rn. 62 und 63 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

60

Selbst wenn unterstellt wird, dass die Frage der Auslegung von Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 89/104 vor dem Sofiyski gradski sad aufgeworfen wurde, war dieser daher nicht verpflichtet, den Gerichtshof zu befragen.

61

In diesem Zusammenhang ist zu bemerken, dass nach den dem Gerichtshof vorgelegten Informationen gegen die Entscheidung des Sofiyski gradski sad vom 11. Januar 2010 Berufung und gegebenenfalls im Anschluss daran ein Rechtsmittel beim Varhoven kasatsionen sad hätte eingelegt werden können.

62

Aus der Vorlageentscheidung geht aber hervor, dass Diageo Brands es unterlassen hat, gegen die genannte Entscheidung die ihr nach dem nationalen Recht offenstehenden Rechtsbehelfe einzulegen. Dass sie davon keinen Gebrauch gemacht hat, rechtfertigt Diageo Brands damit, dass dies zwecklos gewesen wäre, da es nicht zu einer anderen Entscheidung der höheren Gerichte hätte führen können, was nach Ansicht des vorlegenden Gerichts nicht jeder Grundlage entbehrt.

63

Hierzu ist festzustellen, dass die Anerkennungs- und Vollstreckungsregelung der Verordnung Nr. 44/2001, wie in Rn. 40 des vorliegenden Urteils ausgeführt, auf das gegenseitige Vertrauen in die Justiz im Rahmen der Union gestützt ist. Dieses Vertrauen, das die Mitgliedstaaten ihren Rechtsordnungen und ihren Gerichten wechselseitig entgegenbringen, erlaubt es, davon auszugehen, dass im Fall einer falschen Anwendung des nationalen Rechts oder des Unionsrechts das in jedem Mitgliedstaat eingerichtete Rechtsbehelfssystem, ergänzt durch das in Art. 267 AEUV vorgesehene Vorabentscheidungsverfahren, den Rechtsbürgern eine ausreichende Garantie bietet (vgl. Rn. 49 des vorliegenden Urteils).

64

Folglich ist die Verordnung Nr. 44/2001 dahin auszulegen, dass sie auf dem grundlegenden Gedanken beruht, dass die Rechtsbürger grundsätzlich verpflichtet sind, sich aller Rechtsbehelfe zu bedienen, die nach dem Recht des Ursprungsmitgliedstaats eröffnet sind. Wie der Generalanwalt in Nr. 64 seiner Schlussanträge festgestellt hat, haben die Rechtsbürger – unter der Voraussetzung, dass keine besonderen Umstände vorliegen, die das Einlegen der Rechtsbehelfe im Ursprungsmitgliedstaat zu sehr erschweren oder unmöglich machen – in diesem Mitgliedstaat von allen gegebenen Rechtsbehelfen Gebrauch zu machen, um im Vorhinein zu verhindern, dass es zu einem Verstoß gegen die öffentliche Ordnung kommt. Dies gilt erst recht, wenn sich der Verstoß gegen die öffentliche Ordnung wie im Ausgangsverfahren aus einem Verstoß gegen das Unionsrecht ergeben soll.

65

Zu den Umständen, mit denen es Diageo Brands im Ausgangsverfahren gerechtfertigt hat, dass sie die ihr zur Verfügung stehenden Rechtsbehelfe nicht genutzt hatte, ist erstens festzustellen, dass ausweislich der Akten nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Sofiyski gradski sad in seiner Entscheidung vom 11. Januar 2010 den auslegenden Beschluss des Varhoven kasatsionen sad vom 15. Juni 2009 falsch angewandt hat. Hätte Diageo Brands aber gegen die Entscheidung Berufung eingelegt, hätte ein solcher Fehler – unterstellt, er wurde begangen – vom Berufungsgericht korrigiert werden können. Jedenfalls hätte das Berufungsgericht die Möglichkeit gehabt, bei Zweifeln an der Richtigkeit der vom Varhoven kasatsionen sad vorgenommenen rechtlichen Beurteilung den Gerichtshof mit einer Frage nach der Auslegung des von dieser Beurteilung betroffenen Unionsrechts zu befassen (vgl. in diesem Sinne Urteil Elchinov, C‑173/09, EU:C:2010:581, Rn. 27).

66

Zweitens wäre der Varhoven kasatsionen sad – wenn sodann ein Rechtsmittel bei ihm eingelegt worden wäre – als einzelstaatliches Gericht, dessen Entscheidungen selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden können im Sinne von Art. 267 Abs. 3 AEUV, grundsätzlich zur Anrufung des Gerichtshofs verpflichtet gewesen, sobald Zweifel hinsichtlich der Auslegung der Richtlinie 89/104 aufgekommen wären (vgl. in diesem Sinne Urteil Köbler, C‑224/01, EU:C:2003:513, Rn. 35). Ein ungerechtfertigter Verstoß des Varhoven kasatsionen sad gegen diese Verpflichtung hätte nach den in der Rechtsprechung des Gerichtshofs insoweit festgelegten Grundsätzen die Haftung der Republik Bulgarien zur Folge gehabt (Urteil Köbler, C‑224/01, EU:C:2003:513, Rn. 50 und 59).

67

Unter diesen Umständen ist es weder ersichtlich, dass die bulgarischen Gerichte offenkundig gegen den Grundsatz der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof verstoßen hätten, noch dass Diageo Brands der Schutz verwehrt worden wäre, der durch das in diesem Mitgliedstaat eingerichtete Rechtsbehelfssystem, wie es durch das in Art. 267 AEUV vorgesehene Vorabentscheidungsverfahren ergänzt wird, gewährleistet wird.

68

Nach alledem ist auf die erste und die zweite Frage zu antworten, dass Art. 34 Nr. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 dahin auszulegen ist, dass der Umstand, dass eine in einem Mitgliedstaat ergangene Entscheidung gegen das Unionsrecht verstößt, nicht die Versagung der Anerkennung dieser Entscheidung in einem anderen Mitgliedstaat mit der Begründung rechtfertigt, dass sie gegen die öffentliche Ordnung (ordre public) dieses Staates verstößt, sofern der geltend gemachte Rechtsfehler keine offensichtliche Verletzung einer in der Unionsrechtsordnung und somit in der Rechtsordnung des Vollstreckungsstaats als wesentlich geltenden Rechtsnorm oder eines in diesen Rechtsordnungen als grundlegend anerkannten Rechts darstellt. Dies ist bei der fehlerhaften Anwendung einer Bestimmung wie Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 89/104 nicht der Fall.

Wenn das Gericht des Vollstreckungsstaats das mögliche Vorliegen eines offensichtlichen Verstoßes gegen die öffentliche Ordnung dieses Staates prüft, hat es zu berücksichtigen, dass die Rechtsbürger – unter der Voraussetzung, dass keine besonderen Umstände vorliegen, die das Einlegen der Rechtsbehelfe im Ursprungsmitgliedstaat zu sehr erschweren oder unmöglich machen – in diesem Mitgliedstaat von allen gegebenen Rechtsbehelfen Gebrauch machen müssen, um im Vorhinein zu verhindern, dass es zu einem Verstoß gegen die öffentliche Ordnung kommt.

Zur dritten Frage

69

Mit dieser Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 14 der Richtlinie 2004/48, wonach die unterlegene Partei in der Regel die Kosten der obsiegenden Partei zu tragen hat, dahin auszulegen ist, dass er für die Prozesskosten gilt, die den Parteien im Rahmen einer in einem Mitgliedstaat erhobenen Klage entstanden sind, mit der Ersatz des Schadens verlangt wird, der durch eine in einem anderen Mitgliedstaat zur Verhinderung einer Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums erfolgte Beschlagnahme verursacht wurde, wenn sich im Rahmen dieser Schadensersatzklage die Frage der Anerkennung einer in dem anderen Mitgliedstaat ergangenen Entscheidung stellt, mit der festgestellt worden ist, dass die Beschlagnahme ungerechtfertigt war.

70

Für die Beantwortung dieser Frage ist festzustellen, ob das Ausgangsverfahren in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2004/48 fällt.

71

Mit der Richtlinie 2004/48 sollen nach ihrem zehnten Erwägungsgrund die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Instrumente zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums einander angenähert werden, um ein hohes, gleichwertiges und homogenes Schutzniveau für geistiges Eigentum im Binnenmarkt zu gewährleisten.

72

Zu diesem Zweck betrifft die Richtlinie 2004/48 nach ihrem Art. 1 alle Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe, die erforderlich sind, um die Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums sicherzustellen. Gemäß Art. 2 Abs. 1 dieser Richtlinie finden diese Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfe auf jede Verletzung dieser Rechte des geistigen Eigentums, die im Unionsrecht und/oder im innerstaatlichen Recht des betreffenden Mitgliedstaats vorgesehen sind, Anwendung.

73

Der Gerichtshof hat entschieden, dass die Bestimmungen der Richtlinie 2004/48 nicht darauf abzielen, alle Aspekte im Zusammenhang mit den Rechten des geistigen Eigentums zu regeln, sondern nur diejenigen, die zum einen eng mit der Durchsetzung dieser Rechte verbunden sind und zum anderen Verletzungen dieser Rechte betreffen, indem sie das Vorhandensein wirksamer Rechtsbehelfe vorschreiben, die dazu bestimmt sind, jede Verletzung eines bestehenden Rechts des geistigen Eigentums zu verhüten, abzustellen oder zu beheben (vgl. Urteil ACI Adam BV u. a., C‑435/12, EU:C:2014:254, Rn. 61 und die dort angeführte Rechtsprechung).

74

Aus den in der Richtlinie 2004/48 vorgesehenen Maßnahmen, Verfahren und Rechtsbehelfen geht hervor, dass die Rechtsbehelfe, die den Schutz der Rechte des geistigen Eigentums sichern sollen, durch Schadensersatzklagen, die eng mit ihnen verbunden sind, ergänzt werden. So sehen Art. 7 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 1 dieser Richtlinie Sicherungsmaßnahmen und einstweilige Maßnahmen vor, die insbesondere darauf gerichtet sind, eine drohende Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums zu verhindern, und u. a. die Beschlagnahme von Waren, bei denen der Verdacht auf Verletzung eines solchen Rechts besteht, umfassen, wohingegen Art. 7 Abs. 4 und Art. 9 Abs. 7 dieser Richtlinie Maßnahmen vorsehen, die es dem Antragsgegner gestatten, Schadensersatz zu verlangen, falls sich später herausstellt, dass keine Verletzung oder drohende Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums vorlag. Wie aus dem 22. Erwägungsgrund dieser Richtlinie hervorgeht, sind diese Entschädigungsmaßnahmen Sicherheiten, die der Gesetzgeber als Gegenstück zu den von ihm vorgesehenen schnellen und wirksamen einstweiligen Maßnahmen für erforderlich hielt.

75

Im vorliegenden Fall ist das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Verfahren – das darauf gerichtet ist, den Schaden zu ersetzen, der dadurch entstanden ist, dass eine Beschlagnahme zunächst von den Justizbehörden eines Mitgliedstaats zur Verhinderung einer unmittelbar bevorstehenden Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums angeordnet wurde, dann von diesen Behörden aufgehoben wurde, weil eine Verletzung nicht erwiesen gewesen sei – die Folge der vom Inhaber des Rechts des geistigen Eigentums erhobene Klage, die auf den Erlass einer unmittelbar wirksamen Maßnahme gerichtet war, die es ihm ermöglichte, jede etwaige Verletzung seines Rechts zu verhindern, ohne dass eine Entscheidung in der Sache abgewartet werden musste. Eine solche Schadensersatzklage entspricht den Sicherheiten, die in der Richtlinie 2004/48 zugunsten des Antragsgegners im Gegenzug für den Erlass einer einstweiligen Maßnahme, die seine Interessen beeinträchtigt hat, vorgesehen sind.

76

Daraus folgt, dass ein Verfahren wie das im Ausgangsverfahren in Rede stehende in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2004/48 fällt.

77

Zu Art. 14 der Richtlinie 2004/48 hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass er das Schutzniveau für geistiges Eigentum erhöhen soll, indem er verhindern soll, dass ein Geschädigter von der Einleitung eines gerichtlichen Verfahrens zur Sicherung seiner Rechte abgehalten wird (vgl. Urteil Realchemie Nederland, C‑406/09, EU:C:2011:668, Rn. 48).

78

Angesichts dieses Ziels sowie der weiten und allgemeinen Formulierung von Art. 14 der Richtlinie 2004/48, der sich auf die „obsiegende Partei“ und die „unterlegene Partei“ bezieht, ohne dies zu präzisieren oder die Verfahrensarten, für die diese Regel gelten soll, zu beschränken, ist davon auszugehen, dass diese Bestimmung für die Prozesskosten jedes Verfahrens gilt, das in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fällt.

79

Insoweit ist der Umstand, dass sich im Ausgangsverfahren im Rahmen der Beurteilung der Frage, ob die Beschlagnahme gerechtfertigt war, die Frage der Anerkennung oder Versagung der Anerkennung einer in einem anderen Mitgliedstaat ergangenen Entscheidung stellt, irrelevant. Eine solche Frage ist nämlich nebensächlich und ändert nicht den Streitgegenstand.

80

Nach alledem ist auf die dritte Frage zu antworten, dass Art. 14 der Richtlinie 2004/48 dahin auszulegen ist, dass er für die Prozesskosten gilt, die den Parteien im Rahmen einer in einem Mitgliedstaat erhobenen Klage entstanden sind, mit der Ersatz des Schadens verlangt wird, der durch eine in einem anderen Mitgliedstaat zur Verhinderung einer Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums erfolgte Beschlagnahme verursacht wurde, wenn sich im Rahmen dieser Schadensersatzklage die Frage der Anerkennung einer in dem anderen Mitgliedstaat ergangenen Entscheidung stellt, mit der festgestellt worden ist, dass die Beschlagnahme ungerechtfertigt war.

Kosten

81

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

 

1.

Art. 34 Nr. 1 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass der Umstand, dass eine in einem Mitgliedstaat ergangene Entscheidung gegen das Unionsrecht verstößt, nicht die Versagung der Anerkennung dieser Entscheidung in einem anderen Mitgliedstaat mit der Begründung rechtfertigt, dass sie gegen die öffentliche Ordnung (ordre public) dieses Staates verstößt, sofern der geltend gemachte Rechtsfehler keine offensichtliche Verletzung einer in der Unionsrechtsordnung und somit in der Rechtsordnung des Vollstreckungsstaats als wesentlich geltenden Rechtsnorm oder eines in diesen Rechtsordnungen als grundlegend anerkannten Rechts darstellt. Dies ist bei der fehlerhaften Anwendung einer Bestimmung wie Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken in der durch das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2. Mai 1992 geänderten Fassung nicht der Fall.

Wenn das Gericht des Vollstreckungsstaats das mögliche Vorliegen eines offensichtlichen Verstoßes gegen die öffentliche Ordnung dieses Staates prüft, hat es zu berücksichtigen, dass die Rechtsbürger – unter der Voraussetzung, dass keine besonderen Umstände vorliegen, die das Einlegen der Rechtsbehelfe im Ursprungsmitgliedstaat zu sehr erschweren oder unmöglich machen – in diesem Mitgliedstaat von allen gegebenen Rechtsbehelfen Gebrauch machen müssen, um im Vorhinein zu verhindern, dass es zu einem Verstoß gegen die öffentliche Ordnung kommt.

 

2.

Art. 14 der Richtlinie 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums ist dahin auszulegen, dass er für die Prozesskosten gilt, die den Parteien im Rahmen einer in einem Mitgliedstaat erhobenen Klage entstanden sind, mit der Ersatz des Schadens verlangt wird, der durch eine in einem anderen Mitgliedstaat zur Verhinderung einer Verletzung eines Rechts des geistigen Eigentums erfolgte Beschlagnahme verursacht wurde, wenn sich im Rahmen dieser Schadensersatzklage die Frage der Anerkennung einer in dem anderen Mitgliedstaat ergangenen Entscheidung stellt, mit der festgestellt worden ist, dass die Beschlagnahme ungerechtfertigt war.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Niederländisch.