URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)
23. Oktober 2014 ( *1 )
„Vorlage zur Vorabentscheidung — Übereinkommen von Rom über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht — Art. 4 Abs. 1, 2, 4 und 5 — Mangels Rechtswahl der Parteien anzuwendendes Recht — Speditionsvertrag — Güterbeförderungsvertrag“
In der Rechtssache C‑305/13
betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach dem Ersten Protokoll vom 19. Dezember 1988 betreffend die Auslegung des Übereinkommens über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften, eingereicht von der Cour de cassation (Frankreich) mit Entscheidung vom 22. Mai 2013, beim Gerichtshof eingegangen am 4. Juni 2013, in dem Verfahren
Haeger & Schmidt GmbH
gegen
Mutuelles du Mans assurances IARD (MMA IARD),
Jacques Lorio,
Dominique Miquel in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter der Safram intercontinental SARL,
Ace Insurance SA NV,
Va Tech JST SA,
Axa Corporate Solutions SA
erlässt
DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Ilešič, des Richters A. Ó Caoimh, der Richterin C. Toader (Berichterstatterin) sowie der Richter E. Jarašiūnas und C. G. Fernlund,
Generalanwalt: N. Jääskinen,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
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der Haeger & Schmidt GmbH, vertreten durch D. Le Prado, avocat, |
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der französischen Regierung, vertreten durch J.‑S. Pilczer und D. Colas als Bevollmächtigte, |
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der griechischen Regierung, vertreten durch F. Dedousi als Bevollmächtigte, |
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der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Wilderspin als Bevollmächtigten, |
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
1 |
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 4 Abs. 1, 2, 4 und 5 des Übereinkommens über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, aufgelegt zur Unterzeichnung am 19. Juni 1980 in Rom (ABl. 1980, L 266, S. 1, im Folgenden: Übereinkommen von Rom). |
2 |
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Haeger & Schmidt GmbH (im Folgenden: Haeger & Schmidt), einer Gesellschaft deutschen Rechts, einerseits, und der Mutuelles du Mans assurances IARD (MMA IARD), Herrn Lorio, Herrn Miquel in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter der Safram intercontinental SARL (im Folgenden: Safram), einer Gesellschaft französischen Rechts, der Ace Insurance SA NV, der Axa Corporate Solutions SA sowie der Va Tech JST SA (im Folgenden: Va Tech), andererseits, über den Ersatz des Schadens, der Va Tech bei der Beförderung eines Transformators entstanden ist, den sie für die Zwecke ihrer Tätigkeit erworben hatte. |
Rechtlicher Rahmen
Übereinkommen von Rom
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Art. 4 („Mangels Rechtswahl anzuwendendes Recht“) des Übereinkommens von Rom sieht vor: „(1) Soweit das auf den Vertrag anzuwendende Recht nicht nach Artikel 3 vereinbart worden ist, unterliegt der Vertrag dem Recht des Staates, mit dem er die engsten Verbindungen aufweist. Lässt sich jedoch ein Teil des Vertrages von dem Rest des Vertrages trennen und weist dieser Teil eine engere Verbindung mit einem anderen Staat auf, so kann auf ihn ausnahmsweise das Recht dieses anderen Staates angewendet werden (2) Vorbehaltlich des Absatzes 5 wird vermutet, dass der Vertrag die engsten Verbindungen mit dem Staat aufweist, in dem die Partei, welche die charakteristische Leistung zu erbringen hat, im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder, wenn es sich um eine Gesellschaft, einen Verein oder eine juristische Person handelt, ihre Hauptverwaltung hat. Ist der Vertrag jedoch in Ausübung einer beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit dieser Partei geschlossen worden, so wird vermutet, dass er die engsten Verbindungen zu dem Staat aufweist, in dem sich deren Hauptniederlassung befindet oder in dem, wenn die Leistung nach dem Vertrag von einer anderen als der Hauptniederlassung zu erbringen ist, sich die andere Niederlassung befindet. … (4) Die Vermutung nach Absatz 2 gilt nicht für Güterbeförderungsverträge. Bei diesen Verträgen wird vermutet, dass sie mit dem Staat die engsten Verbindungen aufweisen, in dem der Beförderer im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses seine Hauptniederlassung hat, sofern sich in diesem Staat auch der Verladeort oder der Entladeort oder die Hauptniederlassung des Absenders befindet. Als Güterbeförderungsverträge gelten für die Anwendung dieses Absatzes auch Charterverträge für eine einzige Reise und andere Verträge, die in der Hauptsache der Güterbeförderung dienen. (5) Absatz 2 ist nicht anzuwenden, wenn sich die charakteristische Leistung nicht bestimmen lässt. Die Vermutungen nach den Absätzen 2, 3 und 4 gelten nicht, wenn sich aus der Gesamtheit der Umstände ergibt, dass der Vertrag engere Verbindungen mit einem anderen Staat aufweist.“ |
Verordnung (EG) Nr. 593/2008
4 |
Die Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) (ABl. L 177, S. 6) hat das Übereinkommen von Rom ersetzt. Gemäß ihrem Art. 28 wird diese Verordnung auf ab dem 17. Dezember 2009 geschlossene Verträge angewandt. |
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Der 20. Erwägungsgrund der Verordnung lautet: „Weist ein Vertrag eine offensichtlich engere Verbindung zu einem anderen als dem in Artikel 4 Absätze 1 und 2 genannten Staat auf, so sollte eine Ausweichklausel vorsehen, dass das Recht dieses anderen Staates anzuwenden ist. Zur Bestimmung dieses Staates sollte unter anderem berücksichtigt werden, ob der betreffende Vertrag in einer sehr engen Verbindung zu einem oder mehreren anderen Verträgen steht.“ |
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Im 22. Erwägungsgrund der Verordnung heißt es: „In Bezug auf die Auslegung von ‚Güterbeförderungsverträgen‘ ist keine inhaltliche Abweichung von Artikel 4 Absatz 4 Satz 3 des Übereinkommens von Rom beabsichtigt. Folglich sollten als Güterbeförderungsverträge auch Charterverträge für eine einzige Reise und andere Verträge gelten, die in der Hauptsache der Güterbeförderung dienen …“ |
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Art. 5 („Beförderungsverträge“) der Verordnung sieht vor: „(1) Soweit die Parteien in Bezug auf einen Vertrag über die Beförderung von Gütern keine Rechtswahl nach Artikel 3 getroffen haben, ist das Recht des Staates anzuwenden, in dem der Beförderer seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, sofern sich in diesem Staat auch der Übernahmeort oder der Ablieferungsort oder der gewöhnliche Aufenthalt des Absenders befindet. Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, so ist das Recht des Staates des von den Parteien vereinbarten Ablieferungsorts anzuwenden. … (3) Ergibt sich aus der Gesamtheit der Umstände, dass der Vertrag im Falle fehlender Rechtswahl eine offensichtlich engere Verbindung zu einem anderen als dem nach Absatz 1 oder 2 bestimmten Staat aufweist, so ist das Recht dieses anderen Staates anzuwenden.“ |
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
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Mit Vertrag vom 24. Dezember 2002 betraute Va Tech, eine Gesellschaft französischen Rechts mit Sitz in Lyon (Frankreich), Safram mit Sitz in Dechy (Frankreich) damit, als Hauptspediteur die Beförderung eines Transformators mit Herkunft in den Vereinigten Staaten vom Hafen Antwerpen (Belgien) nach Lyon zu organisieren. |
9 |
Safram schloss im eigenen Namen, aber für Rechnung von Va Tech, mit Haeger & Schmidt, die ihren Sitz in Duisburg (Deutschland) hat, einen zweiten Speditionsvertrag über die Durchführung der Beförderung des Transformators per Binnenschiff. Haeger & Schmidt wählte hierfür Herrn Lorio, einen in Douai (Frankreich) niedergelassenen Transportunternehmer, aus, der Eigentümer des in Belgien registrierten Lastkahns El-Diablo war. |
10 |
Beim Verladen in Antwerpen am 23. Januar 2003 verrutschte der Transformator im Laderaum und brachte den Lastkahn zum Kentern, worauf dieser mitsamt der Ladung sank. |
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Va Tech verklagte Safram und Haeger & Schmid beim Tribunal de commerce de Douai (Handelsgericht Douai) auf Schadensersatz. Haeger & Schmidt wiederum verkündete Herrn Lorio als Beförderer sowie seiner Versicherung Mutuelles du Mans assurances IARD (MMA IARD), die ihren Sitz in Frankreich hat, den Streit. |
12 |
Das Tribunal de commerce de Douai gab der Schadensersatzklage mit Urteil vom 23. Juni 2010 statt. Es war der Auffassung, dass auf die betreffenden Verträge allein französisches Recht Anwendung finde und dass Safram und Haeger & Schmidt als Spediteure für den Schaden vom 23. Januar 2003 hafteten. |
13 |
Haeger & Schmidt legte gegen dieses Urteil Berufung ein. |
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Mit Urteil vom 2. Oktober 2011 bestätigte die Cour d’appel de Douai dieses Urteil und verurteilte Haeger & Schmidt zur Zahlung von Schadensersatz in Höhe von 285659,64 Euro zuzüglich gesetzlicher Zinsen an die Versicherungsgesellschaften Axa Corporate Solutions SA und Ace Insurance SA NV, auf die die Rechte von Va Tech übergegangen waren. Dieselbe Forderung wurde in die Schuldenmasse von Safram aufgenommen, über deren Vermögen in der Zwischenzeit ein gerichtliches Insolvenzverfahren eröffnet worden war. Die Cour d’appel führte insoweit aus, dass auf die zwischen den verschiedenen betroffenen Gesellschaften bestehenden Vertragsverhältnisse französisches Recht anzuwenden sei. In Bezug auf Safram und Haeger & Schmidt ging sie davon aus, dass deutsches Recht auf einen Güterbeförderungsvertrag im Sinne von Art. 4 Abs. 4 des Übereinkommens von Rom, den eine französische Gesellschaft mit Sitz in Frankreich für Rechnung einer anderen französischen Gesellschaft geschlossen habe, keine Anwendung finde, sofern sich auch der Entladeort in Frankreich befinde. |
15 |
Haeger & Schmidt legte bei der Cour de cassation Kassationsbeschwerde ein, in der sie als einzigen Grund eine unzutreffende Bestimmung des auf den Rechtsstreit anzuwendenden Rechts rügte. Sie machte insoweit geltend, sie habe die charakteristische Leistung des zwischen den Parteien bestehenden Speditionsvertrags erbracht und ihr Sitz befinde sich in Deutschland. Daher hätte die Cour d’appel de Douai nicht aufgrund von Art. 4 Abs. 5 des Übereinkommens französisches Recht anwenden dürfen, ohne zuvor die Verbindungen zwischen dem Vertrag und der Bundesrepublik Deutschland, deren Recht nach der allgemeinen Vermutung in Art. 4 Abs. 2 des Übereinkommens anzuwenden wäre, mit denen zwischen dem Vertrag und der Französischen Republik zu vergleichen, um anhand aller Umstände des bei ihr anhängigen Rechtsstreits den Staat zu ermitteln, mit dem der Vertrag die engsten Verbindungen im Sinne von Art. 4 Abs. 5 des Übereinkommens aufweise. |
16 |
Unter diesen Umständen hat die Cour de cassation das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
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Zu den Vorlagefragen
Zur ersten Frage
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Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 4 Abs. 4 Satz 3 des Übereinkommens von Rom dahin auszulegen ist, dass er auf einen Speditionsvertrag anwendbar ist, und, bejahendenfalls, unter welchen Voraussetzungen ein Speditionsvertrag als Güterbeförderungsvertrag angesehen werden kann. |
18 |
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass Art. 4 des Übereinkommens vorsieht, anhand welcher Anknüpfungskriterien der Richter das anzuwendende Recht für jede Vertragsart zu bestimmen hat, wenn die Parteien keine Rechtswahl getroffen haben (vgl. Urteil ICF, C‑133/08, EU:C:2009:617, Rn. 25). |
19 |
Art. 4 des Übereinkommens beruht auf dem allgemeinen, in seinem Abs. 1 niedergelegten Grundsatz, wonach zur Bestimmung, welchem nationalen Recht ein Vertrag zuzuordnen ist, der Staat festzustellen ist, mit dem der Vertrag „die engsten Verbindungen aufweist“ (vgl. Urteil ICF, EU:C:2009:617, Rn. 26). |
20 |
Die Anwendung dieses allgemeinen Grundsatzes wird jedoch durch die in Art. 4 Abs. 2 bis 4 des Übereinkommens vorgesehenen Vermutungen erleichtert. |
21 |
Insbesondere enthält Art. 4 Abs. 2 des Übereinkommens eine Vermutung allgemeinen Charakters, die als Anknüpfungskriterium auf den gewöhnlichen Aufenthaltsort derjenigen Vertragspartei abstellt, die die charakteristische Leistung erbringt. |
22 |
In Art. 4 Abs. 4 Sätze 1 und 2 des Übereinkommens wird der Besonderheit des Güterbeförderungsvertrags Rechnung getragen, der zumindest in einem grenzüberschreitenden Kontext schwerlich eine Anknüpfung an den Aufenthaltsstaat der Vertragspartei, die die charakteristische Leistung erbringt, zulässt, da im Hinblick darauf, dass der Hauptgegenstand eines solchen Vertrags in der Güterbeförderung besteht, der Ort des gewöhnlichen Aufenthalts des Beförderers keine objektive Verbindung mit dem Vertrag aufweist. Infolgedessen werden in Art. 4 Abs. 4 Satz 2 des Übereinkommens spezifische Anknüpfungskriterien für das auf Güterbeförderungsverträge anzuwendende Recht erschöpfend aufgezählt. |
23 |
Art. 4 Abs. 5 des Übereinkommens enthält eine Ausweichklausel, die es erlaubt, von den genannten Vermutungen abzusehen, wenn sich aus den gesamten Umständen ergibt, dass der Vertrag engere Verbindungen mit einem anderen Staat aufweist (vgl. in diesem Sinne Urteil ICF, EU:C:2009:617, Rn. 27). |
24 |
Aufgrund dieser Erwägungen ist zur Beantwortung der ersten Frage des vorlegenden Gerichts Art. 4 Abs. 4 Satz 3 des Übereinkommens zu prüfen, wonach „[a]ls Güterbeförderungsverträge … Charterverträge für eine einzige Reise und andere Verträge [gelten], die in der Hauptsache der Güterbeförderung dienen“. |
25 |
Was die Wendung „als Güterbeförderungsverträge gelten“ und die Voraussetzungen anbelangt, unter denen ein anderer Vertrag als Beförderungsvertrag gilt, ist darauf hinzuweisen, dass einheitliche und autonome Kriterien notwendig sind, um die volle Wirksamkeit des Übereinkommens im Hinblick auf seine Ziele sicherzustellen (vgl. entsprechend Urteil Koelzsch, C‑29/10, EU:C:2011:151, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
26 |
Ferner hat der Gerichtshof Art. 4 Abs. 4 Satz 3 des Übereinkommens in den Rn. 32 bis 34 des Urteils ICF (EU:C:2009:617) bereits dahin ausgelegt, dass andere Verträge den Beförderungsverträgen gleichgestellt werden können, da einer der Zwecke dieser Bestimmung darin besteht, die Anwendung von Art. 4 Abs. 4 Satz 2 des Übereinkommens auf Verträge auszudehnen, deren Hauptgegenstand, auch wenn sie nach nationalem Recht als Charterverträge eingestuft werden, die Güterbeförderung ist. Zur Feststellung dieses Gegenstands sind der Vertragszweck und infolgedessen die Gesamtheit der Verpflichtungen der Partei, die die charakteristische Leistung erbringt, zu berücksichtigen. |
27 |
Dies gilt auch für den Speditionsvertrag, der ein anderer Vertrag ist, da seine charakteristische Leistung in der Organisation der Güterbeförderung besteht. Da die Güterbeförderung als solche nicht sein Hauptgegenstand ist, kann der Speditionsvertrag nicht als Beförderungsvertrag angesehen werden. |
28 |
Berücksichtigt man jedoch den Vertragszweck, die tatsächlich erbrachte Leistung und die Gesamtheit der Verpflichtungen der Partei, die die charakteristische Leistung zu erbringen hat, und stellt nicht darauf ab, wie der Vertrag von den Parteien eingestuft wird, so kann ein Speditionsvertrag einen Bezug zu der Besonderheit eines Beförderungsvertrags, wie sie in Rn. 22 des vorliegenden Urteils genannt ist, aufweisen, wenn er in der Hauptsache der Beförderung des Gutes als solcher dient. |
29 |
Im Ausgangsverfahren geht aus dem Vorabentscheidungsersuchen hervor, dass das vorlegende Gericht die ersten beiden, zwischen Va Tech und Safram sowie zwischen Safram und Haeger & Schmidt geschlossenen Verträge als Speditionsverträge eingestuft hat. Zur Durchführung der Beförderung des Transformators per Binnenschiff schloss Haeger & Schmidt einen Beförderungsvertrag mit Herrn Lorio, dem Eigentümer des beim Verladen des Gutes gekenterten Lastkahns El-Diablo. |
30 |
Wie ebenfalls aus der Vorlageentscheidung hervorgeht, war Hauptgegenstand des Vertrags zwischen Safram und Haeger & Schmidt „die gesamte Organisation der Beförderung und nicht die bloße rechtliche Vertretung des Auftraggebers“, wobei Haeger & Schmidt als eigenverantwortlicher Vermittler im eigenen Namen, aber für Rechnung des Auftraggebers auftrat, um die zur Beförderung des in Rede stehenden Transformators erforderlichen Handlungen vorzunehmen. |
31 |
Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, im Rahmen einer Würdigung aller Umstände des Ausgangsrechtsstreits – d. h. der Vertragsklauseln, in denen sich die wirtschaftliche und geschäftliche Realität der zwischen den Parteien bestehenden Beziehungen widerspiegelt, und des Zwecks von Art. 4 Abs. 4 des Übereinkommens – zu prüfen, ob und inwieweit Hauptgegenstand des in Rede stehenden Speditionsvertrags die eigentliche Beförderung des in Rede stehenden Gutes ist. |
32 |
Daher ist auf die erste Frage zu antworten, dass Art. 4 Abs. 4 Satz 3 des Übereinkommens von Rom dahin auszulegen ist, dass er nur dann auf einen Speditionsvertrag anwendbar ist, wenn dessen Hauptgegenstand die eigentliche Beförderung des betreffenden Gutes ist, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist. |
Zur zweiten Frage
33 |
Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob das auf einen Güterbeförderungsvertrag anzuwendende Recht, wenn es nicht nach Art. 4 Abs. 4 Satz 2 des Übereinkommens von Rom bestimmt werden kann, nach der allgemeinen Regel des Art. 4 Abs. 1 oder nach der allgemeinen Vermutung in Art. 4 Abs. 2 des Übereinkommens zu bestimmen ist. |
34 |
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs hat das nationale Gericht das anzuwendende Recht stets auf der Grundlage der in Art. 4 Abs. 2 bis 4 des Übereinkommens aufgestellten Vermutungen zu bestimmen, die dem allgemeinen Erfordernis der Vorhersehbarkeit des Rechts und damit der Rechtssicherheit in den Vertragsbeziehungen Rechnung tragen (vgl. in diesem Sinne Urteil ICF, EU:C:2009:617, Rn. 62). |
35 |
Daher ist zu prüfen, ob eine festgestellte Unanwendbarkeit der Vermutung des Art. 4 Abs. 4 des Übereinkommens zur Folge hat, dass der Rückgriff auf die allgemeine Vermutung in Art. 4 Abs. 2 ausgeschlossen ist und somit die allgemeine Regel des Art. 4 Abs. 1 anzuwenden ist. |
36 |
Nach Art. 4 Abs. 4 Satz 1 des Übereinkommens gilt die Vermutung nach Art. 4 Abs. 2 des Übereinkommens nicht für Güterbeförderungsverträge. Diese unterliegen gemäß Art. 4 Abs. 4 Satz 2 des Übereinkommens dem Recht des Staates, in dem der Beförderer zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses seine Hauptniederlassung hat, sofern sich in diesem Staat auch der Verladeort oder der Entladeort des Gutes oder die Hauptniederlassung des Absenders befindet. |
37 |
Art. 4 des Übereinkommens sieht somit zum einen ausdrücklich vor, dass die in seinem Abs. 2 aufgestellte Vermutung nicht für Güterbeförderungsverträge gilt. Zum anderen enthält er mehrere spezifische Anknüpfungskriterien für die Bestimmung des auf diese Vertragsart anzuwendenden Rechts, wobei der Aufenthaltsort des Beförderers für sich allein nicht ausreichend ist. |
38 |
Unter diesen Umständen widerspräche es sowohl dem Buchstaben als auch der Logik von Art. 4 Abs. 4 des Übereinkommens, die Vermutung nach Art. 4 Abs. 2 auf einen Vertrag wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden anzuwenden, wenn, weil die in Art. 4 Abs. 4 Satz 2 genannten Kriterien nicht erfüllt sind, feststeht, dass die in diesem Absatz aufgestellte Vermutung nicht gelten kann. |
39 |
Die sich aus der vorstehenden Randnummer ergebende Auslegung steht auch im Einklang mit dem Wortlaut der in Bezug auf Güterbeförderungsverträge vorgesehenen Kollisionsnormen der Verordnung Nr. 593/2008, die allerdings ratione temporis nicht auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbar ist. Art. 5 dieser Verordnung schließt nämlich für derartige Verträge, wenn die darin genannten Anknüpfungskriterien nicht erfüllt sind, die Anwendung des Rechts des Staates, in dem der Beförderer seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, aus und bestimmt ausdrücklich, dass in diesem Fall das Recht des Staates des von den Parteien vereinbarten Ablieferungsorts anzuwenden ist. |
40 |
Daher hat das nationale Gericht, wenn die Voraussetzungen des Art. 4 Abs. 4 Satz 2 des Übereinkommens nicht erfüllt sind, das auf den Vertrag anzuwendende Recht nicht auf der Grundlage der in Art. 4 Abs. 2 aufgestellten Vermutung, die eindeutig ausgeschlossen ist, sondern nach dem in Art. 4 Abs. 1 Satz 1 des Übereinkommens niedergelegten allgemeinen Grundsatz zu ermitteln, d. h. indem es den Staat bestimmt, mit dem der Vertrag die engsten Verbindungen aufweist. |
41 |
Wie die französische Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen zu Recht ausgeführt hat, muss nämlich das nationale Gericht, da es nach Art. 4 Abs. 5 des Übereinkommens das Recht des Staates, mit dem der Vertrag die engsten Verbindungen aufweist, anzuwenden und von dem auf der Grundlage der Vermutungen des Art. 4 Abs. 2 bis 4 des Übereinkommens bestimmten anzuwendenden Recht abzusehen hat, erst recht, wie in Art. 4 Abs. 1 des Übereinkommens vorgesehen, das Recht des Staates, mit dem der betreffende Vertrag die engsten Verbindungen aufweist, anwenden, wenn das auf einen Güterbeförderungsvertrag anzuwendenden Rechts nicht nach Abs. 4 bestimmt werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteil ICF, EU:C:2009:617, Rn. 63 und 64). |
42 |
Daher ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 4 Abs. 4 des Übereinkommens von Rom dahin auszulegen ist, dass das auf einen Güterbeförderungsvertrag anzuwendende Recht, wenn es nicht nach Art. 4 Abs. 4 Satz 2 bestimmt werden kann, nach der allgemeinen Regel des Art. 4 Abs. 1 zu bestimmen ist, was bedeutet, dass dieser Vertrag dem Recht des Staates unterliegt, mit dem er die engsten Verbindungen aufweist. |
Zur dritten Frage
43 |
Zunächst ist angesichts der Antwort auf die erste Frage klarzustellen, dass die dritte Frage nur für den Fall gestellt wird, dass das vorlegende Gericht unter den Umständen der Rechtssache feststellen sollte, dass der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Vertrag nicht mit einem Beförderungsvertrag gleichgesetzt werden kann und für ihn auch nicht die allgemeine Vermutung nach Art. 4 Abs. 2 des Übereinkommens von Rom gilt. |
44 |
Mit dieser Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 4 Abs. 2 des Übereinkommens dahin auszulegen ist, dass das nationale Gericht das Recht, das auf Vertragsverhältnisse wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, bei denen an die Stelle des ersten Spediteurs ein zweiter Spediteur mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat getreten ist, anzuwenden ist, allein nach dem Ort der Niederlassung des Hauptspediteurs bestimmen kann. |
45 |
Wie in Rn. 22 des vorliegenden Urteils ausgeführt, wird in Art. 4 Abs. 2 des Übereinkommens vermutet, dass der Vertrag die engsten Verbindungen mit dem Staat aufweist, in dem die Partei, die die charakteristische Leistung zu erbringen hat, im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses ihren gewöhnlichen Aufenthalt, ihre Hauptverwaltung, ihre Hauptniederlassung oder eine andere Niederlassung hat, von der die Leistung zu erbringen ist. |
46 |
Demnach hat das nationale Gericht, wenn es sich um einen Vertrag handelt, der unter Art. 4 Abs. 2 des Übereinkommens fällt und dessen charakteristische Leistung bestimmt werden kann, das anzuwendende Recht, wie in Rn. 35 des vorliegenden Urteils ausgeführt, in erster Linie auf der Grundlage der in Art. 4 Abs. 2 genannten spezifischen Anknüpfungskriterien zu bestimmen (vgl. in diesem Sinne Urteil ICF, EU:C:2009:617, Rn. 62). |
47 |
Sowohl nach dem Wortlaut von Art. 4 Abs. 2 des Übereinkommens von Rom, der ausdrücklich die Anwendung von Art. 4 Abs. 5 vorbehält, als auch nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs kann diese Vermutung unangewendet bleiben, wenn die Voraussetzungen des Art. 4 Abs. 5 erfüllt sind (vgl. in diesem Sinne Urteil ICF, EU:C:2009:617, Rn. 63 und 64). |
48 |
Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass der Richter in zweiter Linie zu prüfen hat, ob die Lösung, zu der er nach Art. 4 Abs. 2 des Übereinkommens gelangt ist, im Hinblick auf alle Umstände des bei ihm anhängigen Rechtsstreits anzuwenden oder nicht anzuwenden ist. Zu diesem Zweck hat er die Verbindungen zwischen dem Vertrag und dem Staat, in dem die Partei, die die charakteristische Leistung erbringt, im Zeitpunkt des Vertragsschlusses ihren gewöhnlichen Aufenthalt hat, mit denen zwischen dem Vertrag und einem anderen Staat, mit dem der Vertrag enge Verbindungen aufweist, zu vergleichen. |
49 |
Das vorlegende Gericht hat nämlich sämtliche objektiven Gesichtspunkte, die das Vertragsverhältnis kennzeichnen, umfassend zu würdigen und auf den oder die Gesichtspunkte einzugehen, die seiner Ansicht nach am bedeutsamsten sind (vgl. entsprechend Urteil Schlecker, C‑64/12, EU:C:2013:551, Rn. 40). Wie die Kommission hervorgehoben hat, sind unter den bedeutsamen Anknüpfungspunkten insbesondere das Vorhandensein enger Verbindungen zwischen dem betreffenden Vertrag und einem oder mehreren anderen Verträgen, die gegebenenfalls Glieder derselben Kette von Verträgen sind, und der Ablieferungsort der Güter zu berücksichtigen. |
50 |
Für diese Auslegung spricht auch der 20. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 593/2008, in dem als relevantes Anknüpfungskriterium ausdrücklich eine Kette von mit dem betreffenden Vertrag in engem Zusammenhang stehenden Verträgen erwähnt ist. |
51 |
Daher ist auf die dritte Frage zu antworten, dass Art. 4 Abs. 2 des Übereinkommens von Rom dahin auszulegen ist, dass das nationale Gericht, falls geltend gemacht wird, dass ein Vertrag engere Verbindungen mit einem anderen Staat als demjenigen, dessen Recht nach der in Art. 4 Abs. 2 aufgestellten Vermutung anzuwenden wäre, aufweist, die Verbindungen zwischen dem Vertrag und dem Staat, dessen Recht nach der Vermutung anzuwenden wäre, mit denen zwischen dem Vertrag und dem betreffenden anderen Staat zu vergleichen hat. Dabei hat das nationale Gericht alle Umstände einschließlich des Bestehens anderer, mit dem betreffenden Vertrag in engem Zusammenhang stehender Verträge zu berücksichtigen. |
Kosten
52 |
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig. |
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt: |
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Unterschriften |
( *1 ) Verfahrenssprache: Französisch.