Brüssel, den 26.4.2017

COM(2017) 251 final

Vorschlag für eine

interinstitutionelle Proklamation zur europäischen Säule sozialer Rechte


Das Europäische Parlament, der Rat und die Kommission proklamieren feierlich den nachstehenden Text als die europäische Säule sozialer Rechte:

EUROPÄISCHE SÄULE SOZIALER RECHTE

Präambel

Gemäß Artikel 3 des Vertrags über die Europäische Union sind die Ziele der Union unter anderem, das Wohlergehen ihrer Völker zu fördern und auf die nachhaltige Entwicklung Europas hinzuarbeiten – auf der Grundlage einer in hohem Maße wettbewerbsfähigen sozialen Marktwirtschaft, die auf Vollbeschäftigung und sozialen Fortschritt abzielt. Die Union bekämpft soziale Ausgrenzung und Diskriminierungen und fördert soziale Gerechtigkeit und sozialen Schutz, die Gleichstellung von Frauen und Männern, die Solidarität zwischen den Generationen und den Schutz der Rechte des Kindes.

Gemäß Artikel 9 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union trägt die Union bei der Festlegung und Durchführung ihrer Politik und ihrer Maßnahmen den Erfordernissen im Zusammenhang mit der Förderung eines hohen Beschäftigungsniveaus, mit der Gewährleistung eines angemessenen sozialen Schutzes, mit der Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung sowie mit einem hohen Niveau der allgemeinen und beruflichen Bildung und des Gesundheitsschutzes Rechnung.

Gemäß Artikel 151 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union verfolgen die Union und die Mitgliedstaaten eingedenk der sozialen Grundrechte, wie sie in der am 18. Oktober 1961 in Turin unterzeichneten Europäischen Sozialcharta und in der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeitnehmer von 1989 festgelegt sind, folgende Ziele: die Förderung der Beschäftigung, die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen, um dadurch auf dem Wege des Fortschritts ihre Angleichung zu ermöglichen, einen angemessenen sozialen Schutz, den sozialen Dialog, die Entwicklung des Arbeitskräftepotenzials im Hinblick auf ein dauerhaft hohes Beschäftigungsniveau und die Bekämpfung von Ausgrenzungen.

Gemäß Artikel 152 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union anerkennt und fördert die Union die Rolle der Sozialpartner auf Ebene der Union unter Berücksichtigung der Unterschiedlichkeit der nationalen Systeme. Sie fördert den sozialen Dialog und achtet dabei die Autonomie der Sozialpartner.

Mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, die erstmals am 7. Dezember 2000 vom Europäischen Rat in Nizza proklamiert wurde, wird eine Reihe wesentlicher Grundsätze, die für das Europäische Sozialmodell unerlässlich sind, geschützt und gefördert. Diese Charta gilt für die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips und für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union.

Der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union enthält Bestimmungen, mit denen die Zuständigkeiten der Union festgelegt werden; diese betreffen unter anderem die Freizügigkeit der Arbeitnehmer (Artikel 45 bis 48), die Niederlassungsfreiheit (Artikel 49 bis 55), die Sozialpolitik (Artikel 151 bis 161) – darunter die Förderung des Dialogs zwischen den Sozialpartnern (Artikel 154), was auch den Abschluss und die Durchführung auf Unionsebene geschlossener Vereinbarungen einschließt (Artikel 155), und den Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher Arbeit (Artikel 157) –, den Beitrag zur Entwicklung qualitativ hoch stehender allgemeiner und beruflicher Bildung (Artikel 165 und 166), Maßnahmen der Union zur Ergänzung der Politik der Mitgliedstaaten und Förderung der Zusammenarbeit im Bereich Gesundheitswesen (Artikel 168), den wirtschaftlichen, sozialen und territorialen Zusammenhalt (Artikel 174 bis 178), die Darlegung der Grundzüge der Wirtschaftspolitik und die Überwachung von deren Anwendung (Artikel 121), die Darlegung der beschäftigungspolitischen Leitlinien und die Prüfung von deren Umsetzung (Artikel 148) und ganz allgemein die Angleichung der Rechtsvorschriften (Artikel 114 bis 117).

Das Europäische Parlament forderte eine solide europäische Säule sozialer Rechte, um die sozialen Rechte zu stärken und kurz- und mittelfristig positive Auswirkungen auf das Leben der Menschen zu erreichen und somit die Unterstützung des Aufbaus Europas im 21. Jahrhundert zu ermöglichen. 1 Der Europäische Rat betonte, dass die wirtschaftliche und soziale Unsicherheit mit Vorrang angegangen werden muss, und forderte, eine aussichtsreiche Zukunft für alle zu schaffen, unsere Lebensweise zu bewahren und die Chancen für junge Menschen zu verbessern.  2 Die führenden Vertreter von 27 Mitgliedstaaten sowie des Europäischen Rates, des Europäischen Parlaments und der Europäischen Kommission bekannten sich in der Agenda von Rom dazu, auf ein soziales Europa hinzuarbeiten. Grundlage hierfür sind die Grundsätze des nachhaltigen Wachstums und der Förderung des wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts sowie Zusammenhalt und Annäherung, wobei zugleich die Integrität des Binnenmarktes gewahrt wird. 3 Die Sozialpartner haben zugesagt, weiter ihren Beitrag zu einem Europa zu leisten, von dem Arbeitnehmer und Unternehmen profitieren. 4

Die Vollendung des europäischen Binnenmarkts in den letzten Jahrzehnten ging mit der Entwicklung eines soliden sozialen Besitzstands einher, der zu Fortschritten bei der Freizügigkeit, den Lebens- und Arbeitsbedingungen, der Gleichstellung von Frauen und Männern, der Sicherheit und dem Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz, dem sozialen Schutz und der allgemeinen und beruflichen Bildung geführt hat. Mit der Einführung des Euro hat die Union eine stabile gemeinsame Währung für 340 Millionen Bürger in 19 Mitgliedstaaten bekommen, die das Leben im Alltag erleichtert und Schutz vor finanzieller Instabilität bietet. Außerdem hat die Union sich erheblich erweitert, wodurch mehr wirtschaftliche Chancen entstanden sind und der soziale Fortschritt auf dem Kontinent gefördert wird.

Arbeitsmärkte und Gesellschaften entwickeln sich schnell; die Globalisierung, die digitale Revolution, sich wandelnde Arbeitsmodelle und gesellschaftliche und demografische Entwicklungen bringen sowohl neue Chancen als auch neue Herausforderungen mit sich. Die Herausforderungen, z. B. erhebliche Ungleichheit, Langzeit- und Jugendarbeitslosigkeit oder die Solidarität zwischen den Generationen, sind in den verschiedenen Mitgliedstaaten oft ähnlich, wenn auch unterschiedlich stark ausgeprägt.

Europa hat bei der Überwindung der Wirtschafts- und Finanzkrise seine Entschlossenheit gezeigt, und durch dieses entschiedene Handeln ist die Wirtschaft der Union jetzt stabiler, das Beschäftigungsniveau ist so hoch wie nie zuvor und die Arbeitslosigkeit geht kontinuierlich zurück. Die sozialen Folgen der Krise – von Jugend- und Langzeitarbeitslosigkeit bis zum Armutsrisiko – sind jedoch weitreichend; hier besteht nach wie vor dringender Handlungsbedarf.

Die beschäftigungspolitischen und sozialen Herausforderungen Europas sind Folge des zurückhaltenden Wachstums, das wiederum durch das ungenutzte Potenzial bei der Teilhabe an Beschäftigung und Produktivität bedingt ist. Wirtschaftlicher und sozialer Fortschritt hängen miteinander zusammen, und die Errichtung einer europäischen Säule sozialer Rechte sollte in weitergehende Anstrengungen zum Aufbau eines inklusiven und nachhaltigen Wachstumsmodells eingebunden sein, bei dem Europas Wettbewerbsfähigkeit, seine Eignung für Investitionen sowie die Entstehung von Arbeitsplätzen und der soziale Zusammenhalt gestärkt werden.

Die europäische Säule sozialer Rechte soll bei der Reaktion auf die derzeitigen und künftigen Herausforderungen als Kompass für effiziente beschäftigungspolitische und soziale Ergebnisse dienen, die unmittelbar die wesentlichen Bedürfnisse der Menschen berücksichtigen, und sie soll als Richtschnur dazu beitragen, dass soziale Rechte besser in konkrete Rechtsvorschriften umgesetzt und angewandt werden.

Ein stärkerer Schwerpunkt auf Beschäftigungs- und Sozialfragen ist besonders wichtig, um für mehr Stabilität zu sorgen und die Wirtschafts- und Währungsunion zu vertiefen. Daher ist die europäische Säule sozialer Rechte in erster Linie für das Euro-Währungsgebiet konzipiert, doch sie gilt für alle Mitgliedstaaten, die sich beteiligen wollen.

In der europäischen Säule sozialer Rechte kommen Grundsätze und Rechte zum Ausdruck, die im Europa des 21. Jahrhunderts für faire und gut funktionierende Arbeitsmärkte und Sozialsysteme unerlässlich sind. Es werden einige Rechte bekräftigt, die bereits Teil des Besitzstands der Union sind. Zudem kommen neue Grundsätze hinzu, die auf die Herausforderungen abzielen, die sich aus gesellschaftlichen, technischen und wirtschaftlichen Entwicklungen ergeben.

Die Grundsätze, die in der europäischen Säule sozialer Rechte verankert sind, betreffen Unionsbürgerinnen und -bürger und Drittstaatsangehörige mit rechtmäßigem Wohnsitz in der EU. Wenn sich ein Grundsatz auf Arbeitnehmerinnen bzw. Arbeitnehmer bezieht, betrifft er alle erwerbstätigen Personen, unabhängig von ihrem Beschäftigungsstatus und den Modalitäten und der Dauer ihrer Beschäftigung.

Die europäische Säule sozialer Rechte soll die Mitgliedstaaten oder ihre Sozialpartner nicht davon abhalten, höhere Sozialstandards festzusetzen. Insbesondere soll kein Bestandteil der europäischen Säule sozialer Rechte derart ausgelegt werden, dass Rechte und Grundsätze eingeschränkt oder beeinträchtigt werden, die im jeweiligen Anwendungsbereich durch Unionsrecht oder internationales Recht oder durch internationale Übereinkünfte, bei denen die Union oder alle Mitgliedstaaten Vertragspartei sind, anerkannt sind; dies schließt die am 18. Oktober 1961 in Turin unterzeichnete Europäische Sozialcharta und die einschlägigen Übereinkommen und Empfehlungen der Internationalen Arbeitsorganisation ein.

 

Die Umsetzung der europäischen Säule sozialer Rechte ist eine gemeinsame Verpflichtung und Verantwortung der Union, der Mitgliedstaaten und der Sozialpartner. Die Grundsätze und Rechte der Säule sollten entsprechend den jeweiligen Zuständigkeiten und im Einklang mit dem Subsidiaritätsprinzip sowohl auf Unionsebene als auch auf Ebene der Mitgliedstaaten umgesetzt werden.

Was die Unionsebene betrifft, so bringt die europäische Säule sozialer Rechte keine Ausweitung der in den Verträgen festgelegten Kompetenzen der Union mit sich. Sie sollte innerhalb der Grenzen dieser Kompetenzen umgesetzt werden.

Auf der Ebene der Mitgliedstaaten wahrt die Säule die Vielfalt der Kulturen und Traditionen der Völker Europas sowie die nationale Identität der Mitgliedstaaten und den Aufbau ihrer Behörden auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene. Insbesondere berührt die Errichtung der Säule nicht das Recht der Mitgliedstaaten, die wesentlichen Grundsätze ihrer Systeme der sozialen Sicherheit festzulegen, und sie sollte nicht das finanzielle Gleichgewicht dieser Systeme beeinträchtigen.

Der soziale Dialog spielt eine zentrale Rolle bei der Stärkung der sozialen Rechte und der Förderung nachhaltigen und inklusiven Wachstums. Die Sozialpartner auf allen Ebenen nehmen eine entscheidende Rolle bei der Umsetzung und Anwendung der europäischen Säule sozialer Rechte ein, im Einklang mit ihrer Autonomie und dem Recht auf Kollektivmaßnahmen –

Europäische Säule sozialer Rechte

Kapitel I: Chancengleichheit und Arbeitsmarktzugang

1. Allgemeine und berufliche Bildung und lebenslanges Lernen

Jede Person hat das Recht auf allgemeine und berufliche Bildung und lebenslanges Lernen von hoher Qualität und in inklusiver Form, damit sie Kompetenzen bewahren und erwerben kann, die es ihr ermöglichen, vollständig am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben und Übergänge auf dem Arbeitsmarkt erfolgreich zu bewältigen.

2. Gleichstellung der Geschlechter

a. Die Gleichbehandlung und Chancengleichheit von Frauen und Männern muss in allen Bereichen gewährleistet und gefördert werden; dies schließt die Erwerbsbeteiligung, die Beschäftigungsbedingungen und den beruflichen Aufstieg ein.

b. Frauen und Männer haben das Recht auf gleiches Entgelt für gleichwertige Arbeit.

3. Chancengleichheit

Unabhängig von Geschlecht, Rasse oder ethnischer Herkunft, Religion oder Weltanschauung, Behinderung, Alter oder sexueller Orientierung hat jede Person das Recht auf Gleichbehandlung und Chancengleichheit im Hinblick auf Beschäftigung, sozialen Schutz, Bildung und den Zugang zu öffentlich verfügbaren Gütern und Dienstleistungen. Die Chancengleichheit unterrepräsentierter Gruppen wird gefördert.

4. Aktive Unterstützung für Beschäftigung

a. Jede Person hat das Recht auf frühzeitige und bedarfsgerechte Unterstützung zur Verbesserung der Beschäftigungs- oder Selbstständigkeitsaussichten. Dazu gehört das Recht auf Unterstützung bei der Arbeitssuche, bei Fortbildung und Umschulung. Jede Person hat das Recht, Ansprüche auf sozialen Schutz und Fortbildung bei beruflichen Übergängen zu übertragen.

b. Junge Menschen haben das Recht auf eine Weiterbildungsmaßnahme, einen Ausbildungsplatz, einen Praktikumsplatz oder ein qualitativ hochwertiges Beschäftigungsangebot von gutem Ansehen innerhalb von vier Monaten, nachdem sie arbeitslos geworden sind oder ihre Ausbildung abgeschlossen haben.

c. Arbeitslose haben das Recht auf individuelle, fortlaufende und konsequente Unterstützung. Langzeitarbeitslose haben spätestens nach 18-monatiger Arbeitslosigkeit das Recht auf eine umfassende individuelle Bestandsaufnahme.

Kapitel II: Faire Arbeitsbedingungen

5. Sichere und anpassungsfähige Beschäftigung

a. Ungeachtet der Art und Dauer des Beschäftigungsverhältnisses haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer das Recht auf faire und gleiche Behandlung im Hinblick auf Arbeitsbedingungen sowie den Zugang zu sozialem Schutz und Fortbildung. Der Übergang in eine unbefristete Beschäftigungsform wird gefördert.

b. Im Einklang mit der Gesetzgebung und Kollektiv- bzw. Tarifverträgen wird die notwendige Flexibilität für Arbeitgeber gewährleistet, damit sie sich schnell an sich verändernde wirtschaftliche Rahmenbedingungen anpassen können.

c. Innovative Arbeitsformen, die gute Arbeitsbedingungen sicherstellen, werden gefördert. Unternehmertum und Selbstständigkeit werden unterstützt. Die berufliche Mobilität wird erleichtert.

d. Beschäftigungsverhältnisse, die zu prekären Arbeitsbedingungen führen, werden unterbunden, unter anderem durch das Verbot des Missbrauchs atypischer Verträge. Probezeiten sollten eine angemessene Dauer nicht überschreiten.

6. Löhne und Gehälter

a. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben das Recht auf eine gerechte Entlohnung, die ihnen einen angemessenen Lebensstandard ermöglicht.

b. Es werden angemessene Mindestlöhne gewährleistet, die vor dem Hintergrund der nationalen wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen den Bedürfnissen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und ihrer Familien gerecht werden; dabei werden der Zugang zu Beschäftigung und die Motivation, sich Arbeit zu suchen, gewahrt. Armut trotz Erwerbstätigkeit ist zu verhindern.

c. Alle Löhne und Gehälter werden gemäß den nationalen Verfahren und unter Wahrung der Tarifautonomie auf transparente und verlässliche Weise festgelegt.

7. Informationen über Beschäftigungsbedingungen und Kündigungsschutz

a. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben das Recht, am Beginn ihrer Beschäftigung schriftlich über ihre Rechte und Pflichten informiert zu werden, die sich aus dem Beschäftigungsverhältnis ergeben, auch in der Probezeit. 

b. Bei jeder Kündigung haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer das Recht, zuvor die Gründe zu erfahren, und das Recht auf eine angemessene Kündigungsfrist. Sie haben das Recht auf Zugang zu wirkungsvoller und unparteiischer Streitbeilegung und bei einer ungerechtfertigten Kündigung Anspruch auf Rechtsbehelfe einschließlich einer angemessenen Entschädigung.

8. Sozialer Dialog und Einbeziehung der Beschäftigten

a. Die Sozialpartner werden bei der Konzeption und Umsetzung der Wirtschafts-, Beschäftigungs- und Sozialpolitik gemäß den nationalen Verfahren angehört. Sie werden darin bestärkt, Kollektivverträge über sie betreffende Fragen auszuhandeln und zu schließen, und zwar unter Wahrung ihrer Autonomie und des Rechts auf Kollektivmaßnahmen. Wenn angebracht, werden Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern auf Unionsebene und auf Ebene der Mitgliedstaaten umgesetzt.

b. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer oder ihre Vertretungen haben das Recht auf rechtzeitige Unterrichtung und Anhörung in für sie relevanten Fragen, insbesondere beim Übergang, der Umstrukturierung und der Fusion von Unternehmen und bei Massenentlassungen.

c. Die Unterstützung für bessere Fähigkeiten der Sozialpartner wird gefördert, um den sozialen Dialog voranzubringen.

9. Vereinbarkeit von Berufs- und Privatleben

Eltern und Menschen mit Betreuungs- oder Pflegepflichten haben das Recht auf angemessene Freistellungs- und flexible Arbeitszeitregelungen sowie Zugang zu Betreuungs- und Pflegediensten. Frauen und Männer haben gleichermaßen Zugang zu Sonderurlaub für Betreuungs- oder Pflegepflichten und werden darin bestärkt, dies auf ausgewogene Weise zu nutzen.

10. Gesundes, sicheres und geeignetes Arbeitsumfeld und Datenschutz

a. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben das Recht auf ein hohes Gesundheitsschutz- und Sicherheitsniveau bei der Arbeit.

b. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben das Recht auf ein Arbeitsumfeld, das ihren beruflichen Bedürfnissen entspricht und ihnen eine lange Teilnahme am Arbeitsmarkt ermöglicht.

c. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben das Recht auf den Schutz ihrer persönlichen Daten im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses.

 

Kapitel III: Sozialschutz und soziale Inklusion

11. Betreuung und Unterstützung von Kindern

a. Kinder haben das Recht auf hochwertige, bezahlbare frühkindliche Bildung und Betreuung.

b. Kinder haben das Recht auf Schutz vor Armut. Kinder aus benachteiligten Verhältnissen haben das Recht auf besondere Maßnahmen zur Förderung der Chancengleichheit.

12. Sozialschutz

Unabhängig von Art und Dauer ihres Beschäftigungsverhältnisses haben Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und unter vergleichbaren Bedingungen Selbstständige das Recht auf angemessenen Sozialschutz.

13. Leistungen bei Arbeitslosigkeit

Arbeitslose haben das Recht auf angemessene Unterstützung öffentlicher Arbeitsverwaltungen bei der (Wieder-)eingliederung in den Arbeitsmarkt durch arbeitsmarktpolitische Maßnahmen und auf angemessene Leistungen von angemessener Dauer entsprechend ihren Beiträgen und den nationalen Bestimmungen zur Anspruchsberechtigung. Diese Leistungen sollen die Empfänger nicht davon abhalten, schnell wieder in Beschäftigung zurückzukehren.

14. Mindesteinkommen

Jede Person, die nicht über ausreichende Mittel verfügt, hat in jedem Lebensabschnitt das Recht auf angemessene Mindesteinkommensleistungen, die ein würdevolles Leben ermöglichen, und einen wirksamen Zugang zu dafür erforderlichen Gütern und Dienstleistungen. Für diejenigen, die in der Lage sind zu arbeiten, sollten Mindesteinkommensleistungen mit Anreizen zur (Wieder-)eingliederung in den Arbeitsmarkt kombiniert werden.  

15. Alterseinkünfte und Ruhegehälter

a. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und Selbstständige im Ruhestand haben das Recht auf ein Ruhegehalt, das ihren Beiträgen entspricht und ein angemessenes Einkommen sicherstellt. Frauen und Männer sind gleichberechtigt beim Erwerb von Ruhegehaltsansprüchen.

b. Jeder Mensch im Alter hat das Recht auf Mittel, die ein würdevolles Leben sicherstellen.

16. Gesundheitsversorgung

Jede Person hat das Recht auf rechtzeitige, hochwertige und bezahlbare Gesundheitsvorsorge und Heilbehandlung.

17. Inklusion von Menschen mit Behinderungen

Menschen mit Behinderungen haben das Recht auf Einkommensbeihilfen, die ein würdevolles Leben sicherstellen, Dienstleistungen, die ihnen Teilhabe am Arbeitsmarkt und am gesellschaftlichen Leben ermöglichen, und ein an ihre Bedürfnisse angepasstes Arbeitsumfeld.

18. Langzeitpflege

Jede Person hat das Recht auf bezahlbare und hochwertige Langzeitpflegedienste, insbesondere häusliche Pflege und wohnortnahe Dienstleistungen.

19. Wohnraum und Hilfe für Wohnungslose

a. Hilfsbedürftigen wird Zugang zu hochwertigen Sozialwohnungen oder hochwertiger Unterstützung bei der Wohnraumbeschaffung gewährt.

b. Sozial schwache Personen haben das Recht auf angemessene Hilfe und Schutz gegen Zwangsräumungen.

c. Wohnungslosen werden angemessene Unterkünfte und Dienste bereitgestellt, um ihre soziale Inklusion zu fördern.

20. Zugang zu essenziellen Dienstleistungen

Jede Person hat das Recht auf den Zugang zu essenziellen Dienstleistungen wie Wasser-, Sanitär- und Energieversorgung, Verkehr, Finanzdienste und digitale Kommunikation. Hilfsbedürftigen wird Unterstützung für den Zugang zu diesen Dienstleistungen gewährt.

(1) Entschließung des Europäischen Parlaments vom 19. Januar 2017 zu einer europäischen Säule sozialer Rechte (2016/2095(INI)).
(2) Erklärung von Bratislava vom 16. September 2016.
(3) Erklärung von Rom vom 25. März 2017.
(4) Gemeinsame Erklärung der Sozialpartner vom 24. März 2017.