24.2.2016   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 71/27


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Nanotechnologie für eine wettbewerbsfähige Chemieindustrie

(Initiativstellungnahme)

(2016/C 071/05)

Berichterstatter:

Egbert BIERMANN

Ko-Berichterstatter:

Tautvydas MISIŪNAS

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 28. Mai 2015 gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung, eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

Nanotechnologie für eine wettbewerbsfähige Chemieindustrie

(Initiativstellungnahme).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Beratende Kommission für den industriellen Wandel (CCMI) nahm ihre Stellungnahme am 5. November 2015 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 512. Plenartagung am 9./10. Dezember 2015 (Sitzung vom 9. Dezember 2015) mit 115 gegen 2 Stimmen bei 4 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

Der EWSA unterstützt die Aktivitäten zur Gestaltung einer europäischen Industriepolitik, insbesondere zur Förderung von Schlüsseltechnologien, die unsere Wettbewerbsfähigkeit stärken. Wenn Europa international mit einer Stimme spricht, stärkt dies seine Rolle beim weltweiten Dialog. Die Innovationskraft aus Nanomaterialien und Nanotechnologie — insbesondere in der Chemischen Industrie — leistet dazu einen wichtigen Beitrag.

1.2.

Eine Initiative zur Förderung der Nanotechnologie kann dazu beitragen, die gemeinsame europäische Industriepolitik weiter zu entwickeln. Forschung und Entwicklung sind so komplex, dass sie nicht von einzelnen Unternehmen oder Institutionen allein zu leisten sind. Hierfür bedarf es einer übergreifenden Zusammenarbeit zwischen Universitäten, wissenschaftlichen Institutionen, Unternehmen und Gründerzentren. Ein positiver Ansatz sind Forschungs-Hubs, wie sie u. a. im Chemie- und Pharmasektor installiert wurden. Eine Integration der KMU ist zu gewährleisten.

1.3.

Für die Nanotechnologie sind europäische Exzellenzcluster (Nanocluster) weiter zu entwickeln. Die Kompetenzträger aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Gesellschaft sollen sich vernetzen, um den Technologietransfer, die digitale und persönliche Zusammenarbeit, eine verbesserte Risikobewertung, eine spezielle Lebenszyklus-Analyse oder die Sicherheit von Nanoprodukten zu fördern.

Die Finanzinstrumente im Forschungsrahmenprogramm Horizont 2020 sind im Bereich Nanotechnologie vor allem für KMU-Betriebe einfacher und flexibler zu gestalten. Die öffentliche Finanzierung muss verstetigt sowie die Bereitstellung privater Finanzmittel angeregt werden.

1.4.

Um die multidisziplinäre Nanotechnologie besser in den Bildungs- und Ausbildungssystemen zu verankern, sollten befähigte Wissenschaftler und Techniker in Disziplinen wie Chemie, Biologie, Ingenieurwissenschaften, der Medizin oder den Sozialwissenschaften eingesetzt werden. Und die Unternehmen müssen durch gezielte Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen auf die steigenden Qualifikationsanforderungen an ihre Mitarbeiter reagieren. Die Beschäftigten mit ihren Erfahrungen und Kompetenzen sind einzubeziehen.

1.5.

Der EU-Normungsprozess ist weiter zu fördern. Normen spielen eine Schlüsselrolle bei der Einhaltung von Gesetzen, insbesondere wenn für die Sicherheit der Beschäftigten eine Risikobewertung verlangt wird. Deshalb sind für zertifizierte Referenzmaterialien Werkzeuge zu entwickeln, um Verfahren zu prüfen, die die Eigenschaften von Nanomaterialien messen.

1.6.

Die Verbraucher sind über Nanomaterialien umfassend zu informieren. Die gesellschaftliche Förderung der Akzeptanz dieser Schlüsseltechnologien ist unerlässlich. Es haben regelmäßig Dialoge zwischen Verbraucher- und Umweltverbänden, Wirtschaft und Politik stattzufinden. Dazu sind europaweite Informationsplattformen und Akzeptanzinstrumente zu entwickeln.

1.7.

Der EWSA erwartet, dass die EU-Kommission eine Beobachtungsstelle für Nanomaterialien einrichtet, die deren Entwicklungsprozesse und Anwendungen, Verwertung (Recycling) und Entsorgung erfasst und bewertet. Sie sollte auch die Wirkungen auf Beschäftigung und Arbeitsmarkt beobachten und bewerten sowie die daraus zu entwickelnden politischen, wirtschaftlichen und sozialen Schlussfolgerungen beschreiben. Noch vor dem Jahr 2020 sollte ein aktueller „Bericht zu Nanomaterialien und Nanotechnologie in Europa“ vorlegt werden, der mögliche Entwicklungslinien bis 2030 aufzeigt.

2.   Nanotechnologie in einem innovativen Europa

2.1.

Es gab und gibt seitens der Europäischen Kommission vielfältige Initiativen zur Förderung von Innovation und Schlüsseltechnologien mit dem Ziel, die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen. Als Beispiele seien die Mitteilungen der Kommission für eine „Gemeinsame Strategie für Schlüsseltechnologien“ (2009, 2012) und die Mitteilung „Forschung und Innovation“ aus dem Jahre 2014 genannt. In mehreren Stellungnahmen des EWSA (1) wurde die Nanotechnologie besonders gewürdigt.

2.2.

Mit der Verabschiedung des Juncker-Plans 2014 erhält die EU-Industriepolitik einen besonderen Stellenwert, und damit die Förderung von innovativen Technologien. Die formulierten Präferenztechnologien verdeutlichen, dass eine wettbewerbsfähige europäische Industriepolitik strategisch auf zukunftsorientierte Technologien und Materialien setzen muss. Dies trifft auf die Chemie- und Pharmabranche im besonderen Maße zu.

2.3.

Die europäische Chemie- und Pharmabranche ist ein Innovationsmotor für andere Branchen. Bei der Entwicklung neuer Produkte besitzt die Nanotechnologie eine Schlüsselfunktion. Dies steigert die Wettbewerbsfähigkeit und ist ein Beitrag zur nachhaltigen Industrieentwicklung.

2.4.

Nanomaterialien gibt es bereits heute in vielen Produkten des täglichen Lebens (z. B. Sportwäsche, Kosmetika, Beschichtungen). Daneben eröffnen sich Innovationen für neue Produkte und Verfahren (z. B. Energie- und Umwelttechnik, Medizintechnik, Optik, Chipentwicklung und -herstellung, technischer Datenschutz, Bauindustrie sowie bei Lacken und Farben oder bei Arzneimitteln und Medizintechnik).

2.5.

Aufgrund der geringen Größe können Nanomaterialien neue optische, magnetische, mechanische, chemische und biologische Eigenschaften besitzen. Mit ihnen können innovative Produkte mit neuen Funktionalitäten und besonderen Eigenschaften entwickelt werden.

2.6.

„Nanomaterialien“ sind gemäß einer von der Europäischen Kommission angenommenen Empfehlung Materialien, deren Hauptbestandteile eine Größe zwischen 1 und 100 milliardstel Metern haben. Diese Definition ist ein bedeutender Fortschritt, da darin klar beschrieben wird, welche Materialien als Nanomaterialien anzusehen sind, und sie die Wahl des am besten geeigneten Prüfverfahrens ermöglicht (2).

2.7.

Die Nanotechnologie bietet ein großes Wachstumspotenzial. Experten rechnen für den Zeitraum von 2006 bis 2021 mit einer Steigerung von 8 Mrd. USD auf 119 Mrd. USD pro Jahr (3).

3.   Nanotechnologie in der chemischen Industrie und in der Medizin  (4)

3.1.

Das Spektrum der Nanotechnologie in der chemischen Industrie ist riesig. Es sei darauf hingewiesen, dass vieles, was heute unter Nano subsumiert wird, nichts Neues ist, auch wenn „Nanotechnologie“ neu klingt. So enthalten farbige Kirchenfenster, die im Mittelalter entstanden, Gold-Nano-Teilchen. Das eigentlich Neue an der Nanotechnologie, wie wir sie heute verstehen, ist die Tatsache, dass man jetzt ihre Wirkungsweise besser kennt.

3.2.

Mit der Nanotechnologie ergeben sich viele Anwendungsfelder in der Medizin. Der Wunsch, einen Wirkstoff gezielt zum kranken Gewebe zu transportieren, ist so alt wie die Herstellung von Medikamenten und rührt daher, dass viele Wirkstoffe starke Nebenwirkungen haben. Solche Nebenwirkungen werden häufig durch eine unspezifische Verteilung der Wirkstoffe im Körper verursacht. Die Entwicklung nanoskaliger Wirkstofftransportsysteme ermöglicht es, die Wirkstoffe im kranken Gewebe gezielt anzureichern und so Nebenwirkungen zu reduzieren.

3.3.

Es gibt konkrete Nanoentwicklungen im Bereich der Lebenswissenschaften, so z. B. „Biochips“ für Tests, mit deren Hilfe Krankheiten wie Alzheimer, Krebs, multiple Sklerose oder rheumatoide Arthritis frühzeitig erkannt und behandelt werden können (5). Nanopartikel-basierte Kontrastmittel binden gezielt kranke Zellen und ermöglichen eine wesentlich schnellere und bessere Diagnostik. Nano-Gele beschleunigen die Regeneration von Knorpelmasse. Nanopartikel, die die Blut-Hirn-Schranke überwinden können, tragen z. B. zu einer gezielten Behandlung von Hirntumoren bei (6).

3.4.

In Kunststoffmembranen sorgen rund 20 Nanometer kleine Poren dafür, dass Keime, Bakterien und Viren aus dem Wasser gefiltert werden können. Die sogenannte Ultrafiltration wird sowohl bei der Reinigung von Trinkwasser als auch von Prozesswasser, also Wasser aus industriellen Produktionsprozessen, eingesetzt.

3.5.

Nanotechnologie wird bereits in naher Zukunft die Wirkungsgrade von Solarzellen maßgeblich erhöhen. Durch neue Oberflächenbeschichtungen kann die Energiegewinnung und Energieeffizienz stark erhöht werden.

3.6.

Ob als Zusatz in Kunststoffen, Metallen oder anderen Materialien können sogenannte Nanotubes, Kohlenstoff-Nanoröhrchen oder Graphen, Werkstoffen neue Eigenschaften verleihen. Sie verbessern beispielsweise die elektrische Leitfähigkeit, erhöhen die mechanische Belastbarkeit oder fördern den Leichtbau.

3.7.

Auch die Nutzung von Windkraftanlagen kann mit der Nanotechnologie effizienter werden. Neue Baustoffe machen Windkraftanlagen leichter, was zu niedrigeren Stromentstehungskosten führt, aber auch zu einer Optimierung des Baus von Windkraftanlagen.

3.8.

Rund 20 % des weltweiten Energieverbrauchs verwenden wir für Beleuchtung. Da die Nanoforschung Energiesparlampen in Aussicht stellt, die mit sehr viel weniger elektrischer Energie auskommen, wird er sich um mehr als ein Drittel senken lassen. Und durch Lithium-Ionen-Batterien, die ohne Nanotechnologie nicht möglich wären, wird das Elektroauto erst wirtschaftlich.

3.9.

Beton ist einer der weitverbreitetsten Baustoffe. Dank nanobasierter Kristallteile aus Kalzium lassen sich Betonfertigteile zum einen sehr schnell und in besserer Qualität und zum anderen mit geringerem Energieverbrauch herstellen.

3.10.

Bereits heute arbeitet die Automobilindustrie mit Nanobeschichtungen, die mit besonderen Eigenschaften ausgestattet sind. Dies gilt auch für andere Verkehrsträger, z. B. Flugzeuge oder Schiffe.

4.   Nanotechnologie als wirtschaftliche Komponente

4.1.

Die Wettbewerbsfaktoren auf dem Weltmarkt verändern sich beständig. Manches ist geplant, doch einiges kommt auch unvorhergesehen. Um Entwicklungen zu verstetigen, werden politische Programme aufgelegt. So wurde im Jahr 2010 die Europa-2020-Strategie vereinbart. Sie zielt ab auf ein nachhaltiges und integratives Wachstum mit einer stärkeren Koordinierung transeuropäischer Maßnahmen. Der voll entbrannte „Kampf um Innovationen“ soll so gewonnen werden. Es geht um Forschung und Entwicklung, um Patentsicherung sowie um Produktionsstandorte und Arbeitsplätze.

4.2.

Die chemische Industrie ist eine der erfolgreichsten Industriebranchen der EU mit einem Verkaufserlös von 527 Mrd. EUR im Jahr 2013, was sie zum zweitgrößten Erzeuger macht. Trotz dieser Stärke scheint die aktuelle Lage Anlass zur Sorge zu geben. Nach einer raschen konjunkturbedingten Trendwende stagniert die Produktion seit Beginn 2011. Der Anteil der EU an der weltweiten Produktion und an den globalen Exporten ist über einen längeren Zeitraum hinweg zurückgegangen (7).

4.3.

Im Jahr 2012 investierte die chemische Industrie in der EU rund 9 Mrd. EUR in die Forschung. Diese Ausgaben stagnieren seit 2010 in dieser Größenordnung. Demgegenüber hat Nanotechnologieforschung und -entwicklung z. B. in den USA, in China, aber auch in Japan und Saudi-Arabien einen steigenden Stellenwert, sodass sich der Wettbewerb hier weiter zuspitzen wird.

5.   Nanotechnologie als Umweltkomponente

5.1.

Umweltgerechtes Wirtschaften ist in der europäischen Industriepolitik sowohl bei der Binnenmarkt- als auch bei der Weltmarktorientierung ein wesentlicher Wettbewerbsfaktor.

5.2.

Nanomaterialien leisten sowohl als Vor-, Zwischen- oder auch als Endprodukte mit ihren vielfältigen Materialeigenschaften einen Beitrag zur Verbesserung der Effizienz bei der Energieumwandlung und zur Verringerung des Energieverbrauchs. Nanotechnologie bietet die Perspektive, CO2-Emissionen zu verringern (8). Damit trägt sie zum Klimaschutz bei.

5.3.

Das deutsche Bundesland Hessen hat eine Studie veröffentlicht, die die Innovationspotenziale der Nanotechnologie für den Umweltschutz hervorhebt (9), z. B. bei der Aufbereitung und Reinigung von Wasser, der Vermeidung von Abfall, der Energieeffizienz und der Luftreinhaltung. Hieraus ergeben sich gerade für KMU bessere Auftragslagen. Die chemische Industrie erforscht und entwickelt Grundlagen und entsprechende Vor- und Endprodukte.

5.4.

Die Umweltkomponente als Teil eines Nachhaltigkeitskonzeptes muss in die Strategien der Unternehmen integriert werden, also auch der KMU. Die Beschäftigten sind in diese Prozesse aktiv einzubeziehen.

5.5.

Das Vorsorgeprinzip ist ein wesentlicher Bestandteil der aktuellen Umweltpolitik und Gesundheitspolitik in Europa. Belastungen bzw. Gefährdungen für die Umwelt bzw. die menschliche Gesundheit sollen danach im Vorfeld minimiert werden. Es ist allerdings notwendig, die Verhältnismäßigkeit von Kosten, Nutzen und Aufwand bei der Umsetzung der Vorsorgemaßnahmen zu wahren, insbesondere zum Schutz der KMU.

6.   Nano als Beschäftigungskomponente/soziale Komponente

6.1.

Die Beschäftigungspotenziale durch Nanotechnologie in der chemischen Industrie werden weltweit sehr hoch angesiedelt. Der Anteil von Nanoarbeitsplätzen in der Europäischen Union wird bereits heute auf 300 000 bis 400 000 (10) geschätzt.

6.2.

Neben diesem Wachstum gilt es aber auch, die Risiken durch Arbeitsplatzabbau, Verlagerung von Produktionsstätten oder das sich wandelnde Qualifikationsspektrum zu betrachten.

6.3.

Die Zahl der Arbeitsplätze ist die eine Seite, die Qualität dieser Arbeitsplätze die andere Seite. In den „Nanobereichen“ der verschiedenen Unternehmen, nicht nur in der chemischen Industrie, entstehen in aller Regel gut bezahlte Arbeitsplätze für qualifizierte Beschäftigte (11).

6.4.

Dies führt in den Unternehmen zu einem großen Bildungs- und Weiterbildungsbedarf. Es entstehen neue Formen der Zusammenarbeit. Sozialpartnerschaft wird hier selbst zu einem Innovationsfaktor in dem Sinne, dass ein ständiger Dialog z. B. über Arbeitsorganisation, Gesundheitsschutz und Weiterbildung stattfinden muss. In der deutschen Chemieindustrie gibt es hierzu sozialpartnerschaftliche Vereinbarungen, die sehr weittragend sind (12).

7.   Chancen und Risiken der Nanotechnologie

7.1.

Bereits heute gibt die Europäische Kommission pro Jahr zwischen 20 und 30 Mio. EUR für Nanosicherheitsforschung aus. Hinzu kommen jährlich etwa 70 Mio. EUR aus den Mitgliedstaaten (13). Dies ist ein angemessener und ausreichender Rahmen.

7.2.

Es sollte ein umfassendes Programm öffentlicher und privater Langzeitforschung auf europäischer Ebene koordiniert werden, um das Wissen über Nanomaterialien, ihre Eigenschaften und potenziellen Chancen und Risiken für die Gesundheit von Beschäftigten und Verbrauchern und für die Umwelt zu erweitern.

7.3.

Viele Chemieunternehmen haben im Rahmen ihres Risikomanagements unterschiedliche Maßnahmen ergriffen, einen nachhaltigen Arbeitsschutz und nachhaltige Produktsicherheit verantwortungsvoll umzusetzen. Dies geschieht vielfach unter dem Dach der weltweit etablierten „Responsible Care“-Initiative der chemischen Industrie (14). Vergleichbare Initiativen gibt es auch in anderen Sektoren.

7.4.

Die Produktverantwortung gilt von der Forschung bis zur Entsorgung. Bereits in der Entwicklungsphase untersuchen die Unternehmen, wie ihre neuen Produkte sicher hergestellt und verwendet werden können. Bis zur Markteinführung müssen die Untersuchungen abgeschlossen und Hinweise zur sicheren Verwendung erstellt sein. Zudem müssen die Unternehmen angeben, wie die Produkte fachgerecht zu entsorgen sind.

7.5.

In ihren Ausführungen zur Sicherheit von Nanomaterialien betont die Europäische Kommission, dass wissenschaftliche Studien belegt hätten, dass Nanomaterialien in ihrer Essenz als „normale Chemikalien“ gelten (15). Das Wissen über die Eigenschaften von Nanomaterialien wächst beständig. Die derzeit verfügbaren Methoden zur Risikobewertung sind anwendbar.

7.6.

Die Europäische Kommission betrachtet REACH (16) als den besten Rahmen für das Risikomanagement von Nanomaterialien. Für Nanomaterialien seien einige Klarstellungen und Präzisierungen in den Anhängen der REACH-Verordnung und im REACH-Leitfaden der europäischen Chemikalienagentur erforderlich — nicht jedoch im Kerntext der Verordnung (17).

7.7.

In der pharmazeutischen Industrie spielt bei der Verarbeitung von Nanomaterialien die Good Manufacturing Practice (GMP) eine zentrale Rolle. Darunter versteht man Richtlinien zur Qualitätssicherung der Produktionsabläufe in der Produktion von Arzneimitteln und Wirkstoffen.

7.8.

Selbstverständlich müssen Verbraucher informiert werden. Die Nano-Dialoge großer Chemieunternehmen sind hierfür positive Beispiele (18). Diese Dialoge zielen auf Information, auf Akzeptanzförderung und auf Gefahrenerkennung ab. Um Informationen über Nanomaterialien leichter zugänglich zu machen, hat die Europäische Kommission Ende 2013 eine Web-Plattform freigeschaltet (19). Sie enthält Hinweise auf alle verfügbaren Informationsquellen, darunter auch nationale oder branchenbezogene Register.

8.   Wettbewerbsfaktoren/Impulse für Nanotechnologie in Europa

8.1.

Ein positives Forschungs- und Innovationsklima ist ein wesentlicher Wettbewerbsfaktor. Dies bezieht sich auf Produkt- und Prozessinnovationen und auf soziale Erneuerungen. Die Bedeutung der Nanotechnologie sollte auch in den Prioritäten der EU sowie ihren Forschungs- und regionalen Förderprogrammen stärker anerkannt und unterstützt werden.

8.2.

Forschung und Entwicklung müssen in der EU eine Schlüsselrolle einnehmen. Wichtig ist hier eine europaweite Vernetzung, Kooperation und Clusterbildung zwischen Start-Up-Unternehmen, etablierten Unternehmen, Universitäten sowie anwendungs- und grundlagenorientierten Forschungseinrichtungen. So lassen sich heute wirkungsvolle Innovationspotenziale generieren. Hubs werden zur Optimierung der Zusammenarbeit unternehmensübergreifend an geografischen Schlüsselpunkten etabliert.

8.3.

Aus- und Weiterbildung sind bei hochinnovativen Verfahren wie der Nanotechnologie ein zentraler Schlüsselfaktor. Eine Mischung aus Facharbeitern und Hochschulabsolventen zeigt dort die stärksten Innovationseffekte, wo der Wissensaustausch zwischen unterschiedlichen Qualifikationsarten unterstützt wird — durch komplementäre personal- oder organisationspolitische Maßnahmen wie Teamarbeit, Jobrotation und Delegation von Entscheidungen. Die weltweite Konkurrenz um Innovationen birgt auch eine Konkurrenz um qualifizierte Fachkräfte. Entsprechende Anreizsysteme müssen durch Politik und Wirtschaft entwickelt werden.

8.4.

Mehr Flexibilität bei der Ausrichtung der Forschung und weniger bürokratische Anforderungen würden die Wettbewerbsfähigkeit sichern. Medikamente, Medizintechnik, Oberflächenbeschichtungen, Umwelttechnik haben eine hohe Bedeutung für den europäischen Export und den Binnenmarkt. Insbesondere die Binnenmarktorientierung mit regionalen Schwerpunkten eröffnet hier vielfältige Chancen für KMU.

8.5.

Die Kosten für den Faktor Arbeit dürfen nicht nur als anfallende Gehaltskosten betrachtet werden. In die Bewertung müssen auch anfallende Verwaltungskosten (z. B. Kontrolltätigkeiten, Qualitätssicherung) einfließen.

8.6.

Energiekosten sind in der energieintensiven chemischen Industrie ein relevanter Wettbewerbsfaktor. Konkurrenzfähige Preise und eine stabile Energieversorgung in der EU sind Voraussetzung für eine Wettbewerbsfähigkeit insbesondere auch für KMU.

Brüssel, den 9. Dezember 2015.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Georges DASSIS


(1)  Stellungnahme des EWSA zum Thema Technische Textilien als Wachstumsmotor (ABl. C 198 vom 10.7.2013, S. 14), Stellungnahme des EWSA zur Strategie für mikro- und nanoelektronische Komponenten und Systeme (ABl. C 67 vom 6.3.2014, S. 175).

(2)  Europäische Kommission, Brüssel, 18. Oktober 2011. Ein Nanometer entspricht einem milliardstel Meter. Auf diese Länge passen etwa fünf bis zehn Atome. Ein Nanometer ist im Verhältnis zu einem Meter so groß wie ein Fußball zur Erdkugel. Der Begriff Nanotechnologie bezeichnet die gezielte und kontrollierte Messung, Entwicklung, Herstellung und Anwendung von Nanomaterialien, die Strukturen, Partikel, Fasern oder Plättchen kleiner als 100 Nanometer besitzen.

(3)  Quelle www.vfa.de/…/nanobiotechnologie-nanomedizin-positionspapier.pdf.

(4)  Im Folgenden beinhaltet der Begriff „chemische Industrie“ auch die pharmazeutische Industrie.

(5)  Quelle: www.vfa.de/…/nanobiotechnologie-nanomedizin-positionspapier.pdf.

(6)  Quelle: www.vfa.de/…/nanobiotechnologie-nanomedizin-positionspapier.pdf.

(7)  Oxford Economics Report, Evolution of competitiveness in the European chemical industry: historical trends and future prospects, Oktober 2014.

(8)  So haben das Fraunhofer-Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik aus Deutschland und ENEA aus Italien eine Technologie zum Speichern von CO2 als Methangas entwickelt. Quelle: Fraunhofer-Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik, 2012.

(9)  Quelle: Hess. Ministerium für Wirtschaft und Verkehr, Einsatz von Nanotechnologie in der hessischen Umwelttechnologie, 2009.

(10)  Otto Linher, Europäische Kommission, Grimm u. a.: Nanotechnologie: Innovationsmotor für den Standort Deutschland, Baden-Baden, 2011.

(11)  IG BCE/VCI: Zum verantwortungsvollen Umgang mit Nanomaterialien. Positionspapier, 2011.

(12)  IG BCE: Nanomaterialien — Herausforderungen für den Arbeits- und Gesundheitsschutz.

(13)  Otto Linher, Europäische Kommission.

(14)  http://www.icca-chem.org/en/Home/Responsible-care/.

(15)  Hintergrundpapier für die WHO-Leitlinien zum Schutz der Arbeitnehmer vor potenziellen Gefahren beim Umgang mit hergestellten Nanomaterialien (Guidelines on Protecting Workers from Potential Risks of Manufactured Nanomaterials).

(16)  REACH ist die Europäische Chemikalienverordnung zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe. http://echa.europa.eu/web/guest.

(17)  Quelle: Sector Social Dialogue, Committee of the European Chemical Industry.

(18)  http://www.cefic.org/Documents/PolicyCentre/Nanomaterials/Industry-messages-on-nanotechnologies-and-nanomaterials-2014.pdf.

(19)  https://ihcp.jrc.ec.eur<opa.eu/our_databases/web-platform-on-nanomaterials.