30.4.2009   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 100/114


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe bestimmter öffentlicher Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit“

KOM(2007) 766 endg. — 2007/0280 (COD)

2009/C 100/18

Der Rat der Europäischen Union beschloss am 24. Januar 2008, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 47 Absatz 2, Artikel 55 und Artikel 95 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

„Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe bestimmter öffentlicher Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit“

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 1. Oktober 2008 an. Berichterstatter war Herr OPRAN.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 448. Plenartagung am 21.—23. Oktober 2008 (Sitzung vom 23. Oktober) mit 46 gegen 5 Stimmen bei 2 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen

1.1.   Breit angelegter Dialog zwischen den Sozialpartnern

1.1.1.   Der Ausschuss stellt mit großer Genugtuung fest, dass Experten aus den Mitgliedstaaten und Vertreter der Rüstungsindustrie und der Interessengruppen und erstmals auch führende Vertreter der Sozialpartner sich aktiv in die Vorbereitung des Vorschlags für diese Richtlinie eingebracht haben und eng in die Erarbeitung des von der Kommission am 5. Dezember 2007 vorgelegten Vorschlags einbezogen waren. Die sowohl auf multilateraler wie auch auf bilateraler Ebene geführten Konsultationen mit Vertretern der organisierten Zivilgesellschaft in der EU erstreckten sich auf alle Bereiche der Auftragsvergabe im Bereich Verteidigung (Nachfrage, Angebot, Rechtsrahmen und Produkte).

1.2.   Einschränkung der Inanspruchnahme von Artikel 296

1.2.1.   Nach Überzeugung des Ausschusses (1) stellt die von der Kommission vorgeschlagene Lösung unter strikter Achtung der Vorrechte der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Verteidigung in innovativer Weise einerseits die Einhaltung der Bestimmungen von Artikel 296 des Vertrags (bezüglich des Bereichs Verteidigung) und Artikel 14 der geltenden Richtlinie über öffentliche Aufträge (bezüglich des Bereichs Sicherheit) sicher, indem den Mitgliedstaaten das Recht eingeräumt wird, Aufträge in diesen Bereichen zum Schutz ihrer wesentlichen Sicherheitsinteressen von den Vorschriften auszunehmen, und gewährleistet andererseits die Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des EuGH und seiner ausdrücklichen Forderung, die Freistellung von Verteidigungsaufträgen von den Vorschriften des Gemeinschaftsrechts auf Ausnahmefälle (2) zu beschränken.

1.2.2.   Ziel der vorgeschlagenen Richtlinie über die Beschaffung von Verteidigungsgütern ist eine Verringerung der Zahl der Fälle, in denen Mitgliedstaaten Artikel 296 in Anspruch nehmen, weil die bestehenden EU-Vorschriften für die Auftragsvergabe nicht als für die Besonderheiten von Waffen, Munition und Kriegsmaterial geeignet angesehen werden.

1.2.3.   Artikel 296 bleibt in Kraft, womit die Mitgliedstaaten sich nach wie vor darauf berufen können, wenn sie Aufträge für so sensibel bzw. geheim erachten, dass sogar die Bestimmungen der neuen Richtlinie nicht ausreichen, um ihre Sicherheitsinteressen zu schützen. Es besteht also ein enger Zusammenhang zwischen der neuen Richtlinie und Artikel 296.

1.2.4.   Im Interesse der Kohärenz zwischen dem gemeinschaftlichen Primärrecht (Vertrag) und Sekundärrecht (Richtlinie) müssen sich beide auf den gleichen Anwendungsbereich erstrecken. Anderenfalls würde das zu Rechtsunsicherheit führen.

1.3.   Das gleichzeitige Bestehen und die willkürliche Verwendung von zwei „Militärgüterlisten“ durch die öffentlichen Auftraggeber in den Mitgliedstaaten und die Industrie haben für Verwirrung gesorgt. Hier sollte umgehend Abhilfe geschaffen werden durch die Entscheidung für eine gemeinsame Liste, die dann für alle Aufträge und Geschäftsverfahren gilt. Eine optimale Lösung wäre die Annahme und Verwendung einer gemeinsamen Militärgüterliste für das gesamte Spektrum von Anwendungen, das von den beiden von der Kommission vorgeschla-genen neuen Richtlinien abgedeckt wird. Derzeit gibt es im Wesentlichen folgende zwei Optionen:

1.3.1.   Option 1: fortgesetzte Nutzung der „Liste vom 15. April 1958“ für diese Zwecke, vor allem aus Gründen der Kontinuität, da die Liste erfahrenen Nutzern offenbar vertraut und leicht zugänglich ist. Gleichzeitig ist allgemein bekannt, dass die derzeitige Fassung der Liste zu allgemein gehalten und zu breit angelegt ist; sie wurde seit ihrer Aufstellung vor 50 Jahren nie aktualisiert; sie umfasst nicht alle neuen Technologien, die erforderlich sind, um sehr reale und komplexe Bedrohungen bewältigen zu können.

1.3.2.   Option 2: Übergang zur Verwendung der „Gemeinsamen EU-Militärgüterliste“, die der Rat am 19. März 2007 angenommen und am 10. März 2008 aktualisiert hat, einschließlich der Güter, die unter den am 7. Juli 2000 vom Rat verabschiedeten „Verhaltenskodex der EU für Waffenausfuhren“ fallen. Dieser Kodex gilt auch im Zusammenhang mit der neuen Richtlinie über die innergemeinschaftliche Verbringung von Verteidigungsgütern.

1.4.   Artikel 296: für Sonderfälle weiter gültig (3)

1.4.1.   Der Ausschuss kann sich dem Vorgehen der Kommission, Artikel 14 der derzeit geltenden Vergaberichtlinie 18/2004 (geheime Aufträge) nicht in die neue Richtlinie aufzunehmen und stattdessen einen direkten Verweis auf die relevanten Artikel des Vertrags über öffentliche Aufträge im Bereich Sicherheit (insbesondere auf Artikel 30 und 296) einzufügen, nicht anschließen. Das kann bei den öffentlichen Auftraggebern Verwirrung darüber stiften, was als angemessen bzw. nicht angemessen gilt.

1.4.2.   Da die meisten Verträge zur Beschaffung von sensiblen Verteidigungs- und Sicherheitsgütern zumindest einige geheime oder vertrauliche Informationen enthalten, hat die Kommission beschlossen, besondere Bestimmungen über die Geheimhaltung von Informationen in die neue Richtlinie aufzunehmen. Alle „geheimen Aufträge“ und Aufträge, die „bestimmte Sicherheitsmaßnahmen“ erfordern, ohne nähere Bestimmung dieser Maßnahmen ausdrücklich freizustellen, würde den Anwendungsbereich der neuen Richtlinie möglicherweise drastisch einschränken und — schlimmer noch — den Vorschlag in seinem Wesen vollkommen aushöhlen.

1.4.3.   Der Ausschuss unterstützt einerseits die Kommission in ihrem zweistufigen Ansatz zur Lösung dieser sensiblen Frage:

geheime Aufträge sollten nicht automatisch von der Anwendung der neuen Richtlinie freigestellt werden, sondern

nur erforderlichenfalls von den Mitgliedstaaten ausgenommen werden können.

Der Ausschuss hält das von der Kommission vorgeschlagene Verfahren daher für eine nicht unvernünftige Lösung für alle Beteiligten, empfiehlt jedoch anderseits auch die ergänzende Aufnahme geeigneter Elemente von Artikel 14 der allgemeinen Vergaberichtlinie in passender Form in die Richtlinie über die Beschaffung von Verteidigungsgütern.

1.5.   Ein Rechtsrahmen für die Vergabe öffentlicher Aufträge

1.5.1.   Nach Einschätzung des Ausschusses ist die neue Richtlinie aus folgenden Gründen bestens für die Besonderheiten von Verfahren zur Vergabe von öffentlichen Aufträgen (Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträgen) (4) in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit geeignet:

1.5.1.1.   Öffentliche Aufträge für Waffen, Munition und Rüstungsgüter sind vom Anwendungsbereich des im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO) geschlossenen Übereinkommens über das öffentliche Beschaffungswesen ausgenommen.

1.5.1.2.   Es gibt in jedem Mitgliedstaat nur einen einzigen Auftraggeber, nämlich die Regierung (5).

1.5.1.3.   Hier besteht das Erfordernis einer langfristigen Versorgungssicherheit (6), die zu gewährleisten ist.

1.5.1.4.   Den Mitgliedstaaten muss ein hoher Grad an Freiheit bei der Gestaltung des Vergabeverfahrens eingeräumt werden.

1.5.2.   Im Hinblick auf die FuE schließt sich der Ausschuss der Auffassung an, dass die Marktmechanismen und öffentliche Ausschreibungen nicht immer realistische Möglichkeiten sind, da die Mitgliedstaaten bei der Entwicklung der von den Streitkräften nachgefragten Systeme einen Teil dieser Arbeiten selbst ausführen und oft langfristige Beziehungen zu Forschungseinrichtungen und Technologieinstituten sowie zur Industrie vereinbaren.

Diese Beziehungen können sich in Form einer Entwicklungsspirale oder anderer Mechanismen gestalten, um Kontinuität und Wachstum im Entwicklungsprozess sicherzustellen.

Der Ausschuss ist der Ansicht, dass der gegenwärtige Wortlaut des Richtlinienvorschlags die tatsächlichen Gegebenheiten nur unzureichend widerspiegelt, und befürchtet negative Auswirkungen für die Mitgliedstaaten sowie für die Industrie für den Fall, dass eine künstliche Trennung zwischen dem FuE-Prozess und dem Produktionsprozess durchgesetzt wird.

1.6.   Präferenz für europäische Produkte: eine Entscheidung der einzelnen Mitgliedstaaten

1.6.1.   Im Hinblick auf den Vorschlag, das Prinzip der Präferenz für europäische Produkte bzw. die Gegenseitigkeitsklausel zu vermeiden, ist der Ansatz der Kommission nach Ansicht des Ausschusses und unter Berücksichtigung folgender Aspekte für die Mitgliedstaaten annehmbar.

1.6.1.1.   In der Richtlinie wird geregelt, wie Aufträge für Verteidigungsgüter vergeben werden müssen, jedoch nicht, welche Verteidigungsgüter beschafft werden müssen. Diese Frage liegt im Ermessen der Kunden, das heißt der Mitgliedstaaten.

1.6.1.2.   Es liegt nach wie vor im Ermessen der einzelnen Mitgliedstaaten zu entscheiden, ob dieser Bereich gemäß Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen (GPA) für den Wettbewerb von Anbietern aus Drittländern geöffnet werden soll.

1.6.1.3.   Die öffentlichen Auftraggeber können weiterhin frei entscheiden, ob sie nur Unternehmen aus der EU oder auch Firmen aus Drittländern zur Abgabe eines Angebots auffordern.

1.6.2.   Der Ausschuss vertritt somit die Ansicht, dass die Nennung einer Präferenz für europäische Produkte nicht Protektionismus bedeutet, sondern eher ein notwendiger Schritt ist, um in der internationalen Zusammenarbeit im Bereich Verteidigungsindustrie und -technologie wieder Ausgewogenheit herzustellen, was insbesondere für die Zusammenarbeit mit den USA gilt.

1.7.   Handel mit Drittländern

1.7.1.   Im Hinblick auf den Handel von Verteidigungsgütern mit Drittländern ändert sich mit der neuen Richtlinie nichts an der derzeitigen Situation, was der Ausschuss für richtig erachtet.

1.7.2.   Dieser Bereich unterliegt weiterhin im Allgemeinen den WTO-Vorschriften und im Besonderen dem Übereinkommen über das öffentliche Beschaffungswesen (GPA).

1.8.   Schaffung eines europäischen Marktes für Verteidigungsgüter (EDEM)

1.8.1.   Nach Dafürhalten des Ausschusses stellt die neue Richtlinie aus folgenden Gründen einen wichtigen Schritt in Richtung Schaffung eines europäischen Marktes für Verteidigungsgüter (EDEM) dar, der ein erklärtes Ziel der EU ist.

1.8.1.1.   Die Einbeziehung von Verteidigungsgütern in den Binnenmarkt wird die Wettbewerbsfähigkeit des EDEM verbessern.

1.8.1.2.   Nach Auffassung des Ausschusses ist die Einführung EU-weit geltender transparenter und wettbewerbsorientierter Vorschriften für die Auftragsvergabe von entscheidender Bedeutung für die erfolgreiche Schaffung des gemeinsamen Marktes für Verteidigungsgüter (EDEM). Damit wird die Offenheit der innergemeinschaftlichen Märkte für Verteidigungsgüter im Interesse aller Beteiligten — Streitkräfte, Steuerzahler und Unternehmen — verbessert.

1.9.   Kompensationsgeschäfte  (7)

1.9.1.   Die Kommission hat es vermieden, konkrete und direkte Vorschläge für Kompensationsgeschäfte vorzulegen, da sie diese für unproduktive Mechanismen hält, welche den Markt verzerren. Doch auch die Kommission räumt ein, dass es in dieser Frage verschiedene Ansichten gibt.

1.9.2.   So haben die Mitgliedstaaten und die Industrie voneinander abweichende Erfahrungen mit diesem Instrument gemacht, das sie auch unterschiedlich bewerten. Die Europäische Verteidigungsagentur prüft derzeit die Möglichkeiten für den entsprechenden Umgang mit diesen Praktiken, damit Kompensationsgeschäfte, soweit es sie gibt, der Entwicklung der verteidi-gungstechnologischen und -industriellen Basis Europas (DTIB) zum Vorteil gereichen. Gleichzeitig wird anerkannt, dass Kompensationen in einem gut funktionierenden europäischen Markt für Verteidigungsgüter nicht mehr erforderlich sind.

2.   Vorschläge

2.1.   Der Ausschuss empfiehlt nachdrücklich, dass alle EU-Initiativen in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit auf höchster politischer Ebene (Europäischer Rat, Hoher Vertreter für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und dem Lenkungsausschuss der Europäischen Verteidigungsagentur (EDA) in Minister-Formation (EDA-SBMF) beschlossen werden.

2.2.   Nach Auffassung des Ausschusses sollten die Gemeinschaftsinstitutionen ihre Unterstützung schwerpunktmäßig auf folgende Hauptziele der Verteidigungsindustrie ausrichten:

2.2.1.   Förderung der Leistungskraft und Wettbewerbsfähigkeit der verteidigungstechnologischen und -industriellen Basis Europas auf dem Weltmarkt, um die frühzeitige Erkennung der tat-sächlichen industriellen und militärischen Hauptzielstellungen zu gewährleisten, und zwar sowohl für Großunternehmen als auch für KMU;

2.2.2.   Verbesserung der internationalen Sichtbarkeit der wichtigsten Programme dieses bedeutenden Industriezweigs;

2.2.3.   Förderung der derzeitigen und künftigen Investitionen zur Entwicklung innovativer Technologien;

2.2.4.   EU-weite Sicherung von Arbeitsplätzen in der Verteidigungsindustrie, denn die Bewahrung des Humankapitals, das heißt einer Arbeitnehmerschaft mit sektorspezifischer Ausbildung, ist eine der wichtigsten Bedingungen für ein nachhaltiges Wachstum des Sektors und für die Entwicklung und Implementierung modernster Technologien;

2.2.5.   Förderung des Sektors durch Schaffung gleicher Wettbewerbsbedingungen für alle Marktteilnehmer, wofür das staatliche Eingreifen in die Geschäftstätigkeit der Unternehmen abgebaut werden muss;

2.2.6.   Unterstützung der Initiativen der Europäischen Verteidigungsagentur, die in der Lage sein muss, als Katalysator für die von einem oder mehreren Mitgliedstaaten unternommenen Pro-jekte zu wirken. Die EDA kann dazu beitragen, den Kreis der an den Programmen teilneh-menden Mitgliedstaaten zu erweitern, so zum Beispiel im Fall des künftigen europäischen schweren Transporthubschraubers, unbemannter Luftfahrzeuge (Drohnen oder UAV), digitaler taktischer Funksysteme usw.

2.3.   Der Ausschuss empfiehlt dem Europäischen Rat, dem Hohen Vertreter für die GASP und dem EDA-SBMF, die entsprechenden Erwägungen und die Auswahl für die Liste der Vertei-digungsgüter zu treffen, die von allen EU-Teilnehmern am europäischen Markt für Verteidigungsgüter und an der verteidigungstechnologischen und -industriellen Basis Europas verwendet werden sollen, und die endgültige Entscheidung darüber zu veröffentlichen. Dabei besteht die Wahl zwischen folgenden Optionen:

2.3.1.   Weiterverwendung der Liste von 1958 vor allem aus Gründen der Kontinuität, auch wenn die Liste zu allgemein gehalten und zu breit angelegt ist und seit ihrer Aufstellung vor 50 Jahren nie aktualisiert wurde.

2.3.2.   Ersetzen der alten, immer noch verwendeten Liste durch die „Gemeinsame Militärgüterliste der EU“, die der Rat am 19. März 2007 angenommen und am 10. März 2008 aktualisiert hat, einschließlich der Güter, die unter den am 7. Juli 2000 vom Rat verabschiedeten „Verhaltenskodex der EU für Waffenausfuhren“ fallen, umbenannt in „gemeinsame EU-Militärgüterliste“. Der Verhaltenskodex wurde bereits im Zusammenhang mit der neuen Richtlinie über die innergemeinschaftliche Verbringung von Verteidigungsgütern aufgestellt.

2.3.2.1.   Der Ausschuss hält die Vereinigung der aktualisierten „1958er Liste“ für die unter die Ausnahmeregelung fallenden Güter und Technologien mit der „Gemeinsamen Militärgüterliste der EU“, wie sie im „Verhaltenskodex der EU für Waffenausfuhren“ definiert wird, für eine mögliche Lösung.

2.3.3.   Nach Ansicht des Ausschusses sollte die Europäische Verteidigungsagentur als wichtige Triebkraft dieses Sektors und als Forum für Diskussionen zwischen den Regierungen über die Zukunft des Verteidigungssektors, FuE im Bereich Verteidigung und den Ausbau der verteidigungstechnologischen und -industriellen Basis Europas (DTIB) wirken.

2.3.4.   Zugleich anerkennt der Ausschuss die Zuständigkeit der Europäischen Kommission und ihre herausragende Rolle im Bereich des öffentliche Beschaffung und bei der Aktivierung und Stärkung der verteidigungstechnologischen und -industriellen Basis Europas und vertritt die Ansicht, dass die Erfahrung der Europäischen Kommission auf diesem Gebiet bei den Bemühungen um Umstrukturierung und Entwicklung der Verteidigungsindustrie in den Mitgliedstaaten nützlich sein wird.

2.3.5.   Der Ausschuss anerkennt, dass bei der Gestaltung einer europäischen Verteidigungsgüterpolitik die Belange und Vorschläge der Rüstungsindustrie selbst Berücksichtigung finden müssen. Dessen ungeachtet sieht der Ausschuss in der Tätigkeit der EDA ein großes Potenzial für Verbesserungen, wenn Vertreter der Rüstungsindustrie und regierungsunabhängige Fach-leute offiziell und enger in die Arbeit in den einzelnen Direktionen der Agentur einbezogen werden. Diese Vertreter und Fachleute (Mitglieder der organisierten Zivilgesellschaft) sollten im Lenkungsausschuss der Agentur vertreten sein, wobei ihr Status, ihr Rede- und Stimmrecht und ähnliche Aspekte noch zu regeln wären.

2.3.6.   Im Hinblick auf die Anwendung des Verhaltenskodex für Verteidigungsaufträge vertritt der Ausschuss die Ansicht, dass allen EU-Mitgliedstaaten und europäischen NATO-Mitgliedern die Möglichkeit offenstehen muss, im Rahmen ihrer finanziellen, industriellen und technologischen Möglichkeiten an Kooperationsprogrammen teilzunehmen, und dass den Interessen kleinerer und mittlerer Staaten gebührend Rechnung zu tragen ist.

2.4.   Der Ausschuss vertritt die Ansicht, dass die Kommission für die Zwecke der statistischen Bewertung und des korrekten Benchmarking regelmäßig Fortschrittsberichte über die Umsetzung der Richtlinie in den einzelnen Ländern sowie auf Gemeinschaftsebene vorlegen sollte.

2.5.   Der Ausschuss vertritt die Auffassung, dass die vorgeschlagene Richtlinie auf den gesamten Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) ausgedehnt werden sollte.

3.   Allgemeine Informationen

3.1.   Derzeitige Lage

3.1.1.   Viele Mitgliedstaaten haben ausgiebig die Ausnahmeregelungen des Artikels 296 (8) EG-Vertrag und des Artikels 14 der Vergaberichtlinie (2004/18) in Anspruch genommen, um die öffentliche Beschaffung von Militär- und Sicherheitsgütern fast automatisch vom Gemeinschaftsrecht freizustellen. Das heißt, was eine Ausnahme sein sollte, ist in Wirklichkeit oft die Regel.

3.1.2.   Auf dem Gebiet des öffentlichen Auftragswesens gibt es keine wirklich geeigneten europäischen Rechtsvorschriften für die Vergabe sensibler öffentlicher Aufträge in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit.

3.1.3.   Die Verwendung von nichtharmonisierten Normen behindert die Zusammenarbeit in den Bereichen FuE, Beschaffung und Produktionsprogramme.

3.1.4.   Nachfrageseitig haben die 27 einzelstaatlichen Kunden große Schwierigkeiten, eine Angleichung ihrer militärischen Anforderungen und die Bündelung ihrer Macht als Einkäufer in gemeinsamen Beschaffungsprojekten zu vereinbaren.

3.1.5.   Auf EU-Ebene umfasst der Rechtsrahmen 27 verschiedene nationale Regelwerke und Verfahren für alle relevanten Bereiche (Ausfuhr, Transfer, Beschaffung usw.), was sowohl für den Wettbewerb als auch für die Zusammenarbeit ein großes Hindernis darstellt und erhebliche Mehrkosten verursacht (9).

3.1.6.   Die Schaffung eines europäischen Marktes für Verteidigungsgüter ist ein entscheidender Faktor für die Förderung der Ziele der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik.

3.2.   Konvergenz der Bereiche Verteidigung und Sicherheit

3.2.1.   Der Ausschuss begrüßt die Initiative der Kommission, den Anwendungsbereich der neuen Richtlinie auf sensible nichtmilitärische Sicherheitsgüter auszudehnen, und stützt sich dabei auf folgende Erwägungen:

3.2.1.1.   Im heutigen geostrategischen Umfeld haben neue, asymmetrische und länderübergreifende Bedrohungen (10) dazu geführt, dass sich die Grenze zwischen äußerer und innerer, militärischer und nichtmilitärischer Sicherheit zunehmend verwischt, weshalb ein umfassendes Konzept als Antwort erforderlich ist.

3.2.1.2.   Streitkräfte und Sicherheitskräfte arbeiten zum Beispiel häufig eng zusammen und verwenden ähnliches Material, das auf der Grundlage der gleichen Technologien entwickelt und von den gleichen Unternehmen hergestellt wurde.

3.2.1.3.   Aufträge für nichtmilitärische Güter in bestimmten Bereichen, wie z. B. der Terrorismusbekämpfung, können ebenso sensibel sein wie Aufträge für militärische Güter, und ihre Vergabe kann das gleiche oder ein noch höheres Sicherheitsniveau erfordern.

3.2.1.4.   In Fällen, wo die Aufträge für Sicherheits- und Rüstungsgüter die gleichen Besonderheiten aufweisen, scheint es nur logisch, auch die gleichen Vergaberegeln zur Anwendung zu bringen.

3.2.2.   Der Ausschuss vertritt zudem die Auffassung, dass die Gleichbehandlung aller europäischen Einrichtungen mit Zuständigkeiten in den Bereichen Verteidigung, innere Sicherheit und nachrichtendienstliche Tätigkeit die optimale Lösung darstellt.

3.3.   Einführung innovativer Lösungen

3.3.1.   Um den einzigartigen Anforderungen dieses Bereichs gerecht zu werden, wurden mit der neuen Richtlinie drei wettbewerbliche Verfahren vorgeschlagen, die pragmatische Fortschritte ermöglichen:

Das Verhandlungsverfahren mit öffentlicher Vergabebekanntmachung (11) ist ohne Verpflichtung zur Begründung zulässig.

Das nichtoffene Verfahren  (12) und der wettbewerbliche Dialog können ebenfalls Anwendung finden (13).

Das offene Verfahren, bei dem die Auftragsspezifikationen allen interessierten Wirtschaftsteilnehmern übermittelt werden müssen, wurde jedoch aufgrund der Vertraulichkeit und Sicherheit der für diese Art der Vergabe notwendigen Informationen für nicht angemessen befunden.

3.3.1.1.   Die Richtlinie enthält besondere Bestimmungen über die Informationssicherheit (14) bei den Verfahren, womit sichergestellt wird, dass sensible Informationen vor nicht autorisiertem Zugriff geschützt sind.

3.3.1.2.   Durch die Aufnahme besonderer Klauseln über die Versorgungssicherheit in das Verfahren wird sichergestellt, dass die Streitkräfte rechtzeitig beliefert werden, was insbesondere für Krisensituation oder den Fall eines bewaffneten Konflikts gilt:

a)

In dem Verfahren ist eine gemeinsame Regelung angemessener Garantien vorgesehen, die von einem klaren Benchmarkingverfahren unterstützt wird.

b)

Der Ausschuss begrüßt die Entscheidung der Kommission, dass die neue Richtlinie nur für die Vergabe öffentlicher Aufträge in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit Gültigkeit erlangen wird, für die die derzeit geltende Vergaberichtlinie ungeeignet ist.

c)

Diese Aufträge betreffen die Beschaffung von militärischen Gütern (Waffen, Munition und Kriegsmaterial) und von Sicherheitsgütern, die besonders sensibel und von ihrer Art her Verteidigungsgütern ähnlich sind.

d)

Die Vergabe von Aufträgen für nichtsensible und nichtmilitärische Güter erfolgt weiterhin nach der geltenden Vergaberichtlinie (2004/18), selbst wenn diese Aufträge von öffentlichen Auftraggebern in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit vergeben werden.

3.4.   Rechtsgrundlagen für diesen Richtlinienvorschlag:

3.4.1.   das Beitragsprinzip: Verstößen und Zuwiderhandlungen, die aus dem Fehlen gemeinschaftlicher Bestimmungen zur Koordinierung der geltenden Vergabeverfahren erwachsen, muss ein Riegel vorgeschoben werden.

3.4.2.   Grundsatz der Verhältnismäßigkeit: Bei uneingeschränkter Einhaltung der Richtlinie wird jeder Mitgliedstaat bei der Umsetzung in einzelstaatliches Recht die Möglichkeit haben, den Besonderheiten und Charakteristika seiner sensiblen Aufträge in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit Rechnung zu tragen.

3.5.   Wahl des Instruments

3.5.1.   Den Mitgliedstaaten steht es frei, bei der Umsetzung Rechtvorschriften zu erlassen, die für sämtliche öffentlichen Aufträge einschließlich sensibler Aufträge in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit gelten.

3.5.2.   Das neue Instrument sollte ein hohes Maß an Flexibilität bieten, eine angemessene Transparenz gewährleisten und den Marktzugang für Anbieter und insbesondere KMU aus anderen Ländern verbessern.

3.5.3.   Für eine umfassende Wirksamkeit der Richtlinie bedarf es der Unterstützung im Bereich der Normung und einer geeigneten Regelung für den innergemeinschaftlichen Verkehr mit entsprechenden Gütern.

3.6.   KMU und europäische Verteidigungsindustrie

3.6.1.   Der Ausschuss betont, dass die kleineren und mittleren Anbieter von Verteidigungsgütern und -technologien eine wesentliche Rolle bei der praktischen Umsetzung des Verhaltenskodex für Verteidigungsaufträge spielen, da sie sowohl zur Forschung als auch zur Beschäftigung und Entwicklung der nationalen und europäischen Verteidigungsfähigkeit beitragen.

3.7.   Abschließende Frage

3.7.1.   Wie bei jeder Reform besteht auch hier die Gefahr, dass zwar alle grundsätzlich darin übereinstimmen, dass „etwas“ getan werden muss, jedoch niemand konkrete Maßnahmen ergreift oder Dokumente oder Vereinbarungen zur Förderung des Sektors unterzeichnet.

3.7.2.   Hauptfrage: Wie lange kann die verteidigungstechnologische und -industrielle Basis Europas noch Bestand haben, wenn die EU die als unvermeidbar angesehenen Reformen weiter aufschiebt?

Brüssel, den 23. Oktober 2008

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI


(1)  In dieser Stellungnahme legt der Ausschuss seinen Standpunkt dar und stellt Folgendes fest: 1) Die Länder, die den wirtschaftlichen, industriellen und technologischen Kern der europäischen Verteidigungsfähigkeit bilden, befürworten die Beibehaltung der sicherheitsbegründeten Ausnahmebestimmung des Artikels 296 EG-Vertrag (EGV). 2) Die Inanspruchnahme von Artikel 296 wird durch die Rechtsprechung des EuGH eingeschränkt.

(2)  Die Vergabe öffentlicher Aufträge in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit fällt derzeit unter die Bestimmungen der Richt-linie 2004/18/EG; davon ausgenommen sind die in den Artikeln 30, 45, 46, 55 und 296 des Vertrags geregelten Fälle. In seiner ständigen Rechtsprechung hat der Gerichtshof klargestellt, dass nur in außergewöhnlichen, genau festgelegten Fällen vom Gemeinschaftsrecht abgewichen werden darf, was auch für die in Artikel 296 EG-Vertrag vorgesehene Ausnahmeregelung gilt.

(3)  Laut Urteil des Europäischen Gerichtshofes gilt diese Ausnahmeregelung nur für „beschränkte außergewöhnliche Tatbestände“ und eignet sich „nicht für eine extensive Auslegung“.

(4)  Ein Auftrag gilt nur dann als öffentlicher Bauauftrag, wenn er speziell die Ausführung der Tätigkeiten zum Gegenstand hat, die unter die Abteilung 45 des „Gemeinsamen Vokabulars für öffentliche Aufträge“ (CPV) fallen.

(5)  Abgesehen von den unwesentlichen Mengen, die private Sicherheitsfirmen und lokale Gebietskörperschaften in Auftrag geben.

(6)  Versorgungssicherheit: Die besonderen Anforderungen der Mitgliedstaaten in Bezug auf die Versorgungssicherheit bei sensiblen öffentlichen Aufträgen in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit rechtfertigen besondere Bestimmungen sowohl im Hinblick auf die vertraglichen Anforderungen als auch auf die Kriterien für die Auswahl der Bewerber.

(7)  Bei Kompensations- oder Offsetgeschäften handelt es sich um ein Verfahren, bei dem sich der ausländische Verkäufer von Rüstungsgütern bei einem Lieferwert, der über einem von der Regierung des Auftraggeberlandes festgelegten Höchstbetrag liegt, zu Gegenaufträgen an die Industrie des Auftraggeberlandes verpflichtet, die einen Mindestprozentsatz der Wertschöpfung des auftraggebenden Landes ausmachen. Kompensationsaufträge werden vom Verkäufer an Unternehmen des Auftraggeberlandes vergeben; sie müssen ein hohes technisches Niveau aufweisen und den Unternehmen vor Ort, die von diesen Kompensationsaufträgen profitieren, einen neuen oder zusätzlichen Geschäftsverkehr bringen. Der Verkäufer muss diese wirtschaftliche Verpflichtung innerhalb einer genau festgelegten und angemessenen Frist erfüllen oder andernfalls eine Vertragsstrafe zahlen. Die Kompensation gilt dann als erreicht, wenn die Aufträge von den durch die Kompensation begünstigten Unternehmen innerhalb der Frist in Rechnung gestellt wurden.

(8)  Artikel 296 EGV lautet: „(1) Die Vorschriften dieses Vertrages stehen folgenden Bestimmungen nicht entgegen: a) Ein Mitgliedstaat ist nicht verpflichtet, Auskünfte zu erteilen, deren Preisgabe seines Erachtens seinen wesentlichen Sicherheitsinteressen widerspricht; b) jeder Mitgliedstaat kann die Maßnahmen ergreifen, die seines Erachtens für die Wahrung seiner wesentlichen Sicherheitsinteressen erforderlich sind, soweit sie die Erzeugung von Waffen, Munition oder Kriegsmaterial oder den Handel damit betreffen; diese Maßnahmen dürfen auf dem Gemeinsamen Markt die Wettbewerbsbedingungen hinsichtlich der nicht eigens für militärische Zwecke bestimmten Waren nicht beeinträchtigen. (2) Der Rat kann die von ihm am 15. April 1958 festgelegte Liste der Waren, auf die Absatz 1 Buchstabe b Anwendung findet, einstimmig auf Vorschlag der Kommission ändern.“

(9)  So beliefen sich z. B. die durch Einschränkungen der innergemeinschaftlichen Transfers verursachten Mehrkosten im Jahr 2003 auf 3,16 Mrd. EUR, Quelle: UNISYS, „Innergemeinschaftliche Transfers von Rüstungsgütern“, Europäische Kommission, Brüssel, 2005, S. 6.

(10)  Mitteilung der Europäischen Kommission „Auf dem Weg zu einer Verteidigungsgüterpolitik der Europäischen Union“, KOM(2003) 113 endg. vom 11.3.2003; EWSA-Stellungnahme ABl. C 10, S. 1 vom 10.1.2004, Berichterstatter: Herr WILKINSON.

(11)  Verfahren, bei denen der öffentliche Auftraggeber sich an Anbieter seiner Wahl wendet und die Vertragsinhalte mit ihnen aushandelt.

(12)  Verfahren, für die sich jeder Anbieter bewerben kann, wobei aber nur diejenigen ein Angebot unterbreiten können, die vom öffentlichen Auftraggeber dazu aufgefordert werden.

(13)  Der öffentliche Auftraggeber kann die Anzahl der Bewerber für die nichtoffenen Verfahren, Verhandlungsverfahren mit öffentlicher Vergabebekanntmachung und den wettbewerblichen Dialog begrenzen. Jedwede Einschränkung der Anzahl von zulässigen Bewerbern sollte auf der Grundlage der in der Bekanntmachung angegebenen objektiven Kriterien stattfinden.

(14)  Informationssicherheit: Der oftmals vertrauliche Charakter der Informationen, die bei sensiblen öffentlichen Aufträgen in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit erteilt werden, erfordert Schutzmaßnahmen sowohl 1) beim Zuschlagsverfahren selbst als auch 2) bei den Kriterien für die Auswahl der Bewerber und 3) den vertraglichen Anforderungen der öffentlichen Auftraggeber.