11.4.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 88/48


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Schaffung einer gemeinsamen konsolidierten Bemessungsgrundlage für die Unternehmensbesteuerung in der EU“

(2006/C 88/12)

Herr László KOVÁCS, Mitglied der Europäischen Kommission, ersuchte mit seinem Schreiben vom 13. Mai 2005 den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Erarbeitung einer Stellungnahme zu folgendem Thema: „Schaffung einer gemeinsamen konsolidierten Bemessungsgrundlage für die Unternehmensbesteuerung in der EU“.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 27. Januar 2006 an. Berichterstatter war Herr NYBERG.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 424. Plenartagung am 14./15. Februar 2006 (Sitzung vom 14. Februar) mit 94 gegen 6 Stimmen bei 4 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

Schlussfolgerungen und Empfehlungen

Bereits im Ruding-Bericht von 1992 wurde festgehalten, dass gemeinsame Bestimmungen für die steuerliche Bemessungsgrundlage notwendig sind. Ferner wollte man den Vorschlag um Mindest- und Höchstwerte für die Steuersätze erweitern.

Der Ausschuss begrüßt es als einen Schritt in die richtige Richtung, dass nun eine Arbeitsgruppe unter Führung der Kommission einen Vorschlag für eine gemeinsame konsolidierte Bemessungsgrundlage für die Körperschaftsteuer erarbeitet. Angesichts der Komplexität des Problems ist es durchaus nachvollziehbar, dass die Arbeit mehr als drei Jahre in Anspruch nimmt. Die Arbeitsweise der Gruppe ist durch große Offenheit gekennzeichnet. Alle Dokumente sind unmittelbar über das Internet zugänglich, damit die Debatte von allen verfolgt werden kann. Anschließend sollte jedoch vermieden werden, dass die Einführung eines gemeinsamen Bemessungssystems durch mangelnde Bereitschaft zur Umgestaltung der in vielen Jahren aufgebauten einzelstaatlichen Systeme weiter verzögert wird. Die Mitgliedstaaten sollten zeigen, dass die EU-Mitgliedschaft ein Wert darstellt, da eine gemeinsame konsolidierte Bemessungsgrundlage für die Körperschaftsteuer nur im Rahmen der EU eingeführt werden kann. Die Frage der Steuersätze muss gegenwärtig zurückgestellt werden, um eine Einigung in Sachen Bemessungsgrundlage nicht über Gebühr zu belasten.

Steuersysteme müssen auf politischen Entscheidungen basieren. Die Erarbeitung gemeinsamer Bestimmungen unter Einbeziehung des Ministerrates und des Europäischen Parlaments ist erforderlich, will man vermeiden, dass die gemeinsamen Bestimmungen für die Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage statt dessen schließlich durch gerichtliche Entscheidungen des EuGH getroffen werden. Außerdem ist es wichtig, dass die Debatte in Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern und der Zivilgesellschaft geführt wird.

Die Frage einer gemeinsamen Bemessungsgrundlage ist dergestalt, dass „nichts geregelt ist, solange nicht alles geregelt ist“. Angesichts der großen Gefahr von Verzögerungen sollte gleichwohl stets erwogen werden, ob einzelne Kapitel, über die Einvernehmen erzielt wurde, nicht schrittweise in Form von Teilrichtlinien in Kraft treten können.

Die anzustellenden Überlegungen sind teils juristischer, teils steuertechnischer und teils ökonomischer Natur. Der Ausschuss legt der Kommission und den Mitgliedstaaten nahe, sich trotz der Vielzahl technischer Detailfragen und trotz der großen Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten jedoch von den wirtschaftlichen Vorteilen leiten zu lassen, die eine gemeinsame konsolidierte Bemessungsgrundlage bietet.

Die im Ausschuss geführte Debatte lässt sich mit den im Schlussteil vorgeschlagenen Grundsätzen für eine gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage zusammenfassen. Der Ausschuss fordert ferner die Kommission auf, bei der Erarbeitung der technischen Details stets die oben genannten Grundsätze zu beherzigen. Der Ausschuss hat sich auf diese Grundsätze konzentriert, da seiner Auffassung nach ihre Akzeptanz die Wahl zwischen den verschiedenen technischen Lösungsansätzen erleichtert.

1.   Hintergrund

1.1

Kommissionsmitglied László Kovács ersuchte den Ausschuss am 13. Mai 2005 um Erarbeitung einer Sondierungsstellungnahme zu einer gemeinsamen konsolidierten Bemessungsgrundlage für die Unternehmensbesteuerung. Das Kommissionsmitglied wies darauf hin, dass eine solche gemeinsame Bemessungsgrundlage zahlreiche Probleme, die Unternehmen heute bei grenzüberschreitenden Geschäften in der EU zu bewältigen haben, beseitigen würde. Der Vorschlag findet bei der Wirtschaft wie auch bei vielen Regierungen große Unterstützung.

1.2

Die Kommission legte seit 2001 zahlreiche Mitteilungen und Berichte über die Körperschaftsteuer vor, u.a. im Oktober 2001 einen umfangreichen Bericht über die Unternehmensbesteuerung.

1.2.1

Nach der Vorlage eines „Non-Papers“ über eine gemeinsame konsolidierte Bemessungsgrundlage für die Körperschaftsteuer im Juli 2004 und einer Erörterung im Ministerrat wurde eine technische Arbeitsgruppe eingerichtet, die mit Sachverständigen aus den Mitgliedstaaten besetzt ist. Diese Gruppe soll bis zum Jahr 2007 alle Details bezüglich der praktischen Realisierung einer gemeinsamen Bemessungsgrundlage erörtern. Diese Gespräche haben ebenso wie die vorliegende Stellungnahme ausschließlich die Bemessungsgrundlage für die Körperschaftsteuer, nicht aber den Körperschaftsteuersatz zum Gegenstand. Die Besteuerung im Heimatland (home state taxation) wird ebenfalls nicht behandelt. Dabei könnte es sich um ein zeitlich begrenztes Pilotprojekt handeln, während die gemeinsame Bemessungsgrundlage ein übergreifendes Projekt darstellt.

1.3

Bei den Gesprächen geht es nicht nur um die Schaffung einer gemeinsamen Bemessungsgrundlage, sondern eben auch einer konsolidierten Bemessungsgrundlage. Dies betrifft speziell Unternehmen mit Aktivitäten in mehreren Mitgliedstaaten. Damit eine gemeinsame Bemessungsgrundlage optimal funktionieren kann, muss die Unternehmensgruppe alle Gewinne zusammen nach einheitlicher Bemessungsgrundlage für den gesamten Konzern berechnen können, womit die Berechnung als konsolidiert bezeichnet wird. Dies macht ein System zur Aufteilung des Gesamtgewinns auf die verschiedenen Unternehmensteile erforderlich.

1.4

Die Diskussionen berühren ausschließlich die Körperschaftsteuer und nicht sämtliche Formen der Gesellschaftsbesteuerung. Es gibt eine Vielzahl von Unternehmensformen wie z.B. gemeinnützige Organisationen und Stiftungen, die sich je nach Mitgliedstaat unterscheiden. Führt man z.B. eine gemeinsame Besteuerungsgrundlage für Aktiengesellschaften ein, dann verschiebt man die Gewichte zwischen dieser Unternehmensform und anderen Formen von Unternehmen und Einrichtungen bezüglich der Gewinnbesteuerung. Einzelstaatliche Angleichungen bei der Gewinnbesteuerung anderer Formen von Unternehmen und Einrichtungen könnten deshalb notwendig sein. Dieser Aspekt wird aber weder von der oben genannten, aus Vertretern der Kommission und den Mitgliedstaaten besetzten Arbeitsgruppe, noch im Rahmen der vorliegenden Stellungnahme behandelt.

2.   Frühere Stellungnahmen des Ausschusses zur Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage

2.1

Der Ausschuss hat sich bereits in mehreren Stellungnahmen mit dem Problem unterschiedlicher Bemessungsgrundlagen für die Körperschaftsteuer in den EU-Mitgliedstaaten befasst. Er tritt für die Schaffung freier und fairer Wettbewerbsbedingungen zur Förderung grenzüberschreitender Aktivitäten ein, ohne dass jedoch die einzelstaatlichen Grundlagen der Unternehmensbesteuerung beseitigt würden (1). Der Ausschuss empfiehlt, zunächst eine gemeinsame Bemessungsgrundlage für Körperschaftsteuern anzustreben und erst dann über Steuersätze zu reden (2).

2.2

Mit einer gemeinsamen Bemessungsgrundlage für die Körperschaftsteuer könnten die meisten Hindernisse bei grenzüberschreitenden Aktivitäten innerhalb der EU verringert oder sogar beseitigt werden. Solche Hindernisse bestehen u.a. in

der Doppelbesteuerung;

den internen Preisen für grenzüberschreitende Aktivitäten;

den unterschiedlichen Auffassungen bezüglich verschiedener Rückstellungen bei grenzüberschreitenden Unternehmenskonsolidierungen;

der Wahl des Besteuerungsortes von Kapitalgewinnen oder –verlusten bei grenzüberschreitenden Unternehmensumstrukturierungen;

dem Verlustausgleich innerhalb eines in mehreren Mitgliedstaaten aktiven Unternehmens;

den unterschiedlichen Bestimmungen zur steuerlichen Behandlung von Investitionen.

2.2.1

Wenngleich die Unternehmensbesteuerung für die Schaffung günstiger Bedingungen von grundlegender Bedeutung ist, so darf man doch nicht vergessen, dass zahlreiche andere Faktoren sowohl für den grenzüberschreitenden Handel wie auch für die Wahl des Produktionsstandorts von entscheidender Bedeutung sein können (3).

2.3

Der Ausschuss hat auch darauf hingewiesen, dass Probleme nicht nur allein auf Unterschiede bei den Bemessungsgrundlagen selbst zurückzuführen sind. So sind auch zahlreiche praktische Unterschiede, z.B. bei den Bestimmungen über Zahlungsmodalitäten für Steuern, bei der Rechnungslegung sowie der Klärung von Einsprüchen festzustellen. Ein Teil dieser Probleme könnte im Zuge der praktischen Bestimmungen, die mit einer gemeinsamen Bemessungsgrundlage einhergehen müssen, verringert werden (4).

2.3.1

Der größte praktische Vorteil einer gemeinsamen Bemessungsgrundlage für die Unternehmen liegt vielleicht in der Tatsache, dass sie nur ein Regelwerk kennen und anwenden müssen. Unterschiedliche Unternehmensteile können anstelle einer getrennten Buchführung eine einheitliche Buchführung anwenden. Ferner kann eine gemeinsame Bemessungsgrundlage neben einem faireren Wettbewerb auch zu Effektivitätssteigerungen nicht nur bei den Unternehmen, sondern auch bei den Steuerbehörden führen (5).

2.4

Der Ausschuss hat auch empfohlen, sich bei der Debatte über eine gemeinsame Bemessungsgrundlage nicht nur auf die Kernproblematik grenzüberschreitender Aktivitäten zu beschränken. Die Einführung einer gemeinsamen Bemessungsgrundlage bietet nicht nur für Unternehmen mit grenzüberschreitenden Aktivitäten, sondern auch für Unternehmen mit ausschließlich inländischem Aktionsradius Vorteile. Die zentrale Aufgabe der Schaffung eines fairen Wettbewerbs für Unternehmen mit grenzüberschreitenden Aktivitäten darf nicht dazu führen, dass neue Unterschiede zwischen diesen Unternehmen und Unternehmen mit ausschließlich inländischem Aktionsfeld aufgeworfen werden.

2.4.1

Dahinter liegt auch der Wunsch nach Erleichterungen für Kleinunternehmen, die fast alle nur auf heimischen Märkten aktiv sind. Der Versuch, einfache und klare Steuerregelungen einzuführen, ist auch in diesem Zusammenhang von großer Bedeutung (6).

2.5

Der Ausschuss hat bereits zum Ausdruck gebracht, dass eine gemeinsame Bemessungsgrundlage keinen freiwilligen Charakter haben kann, d.h. dass eine Wahl zwischen den weiter bestehenden nationalen Steuersystemen und einer besonderen Regelung für Unternehmen mit grenzüberschreitenden Aktivitäten nicht möglich sein darf. Der Ausschuss ist deshalb der Auffassung, dass eine neue gemeinsame Bemessungsgrundlage für die Körperschaftsteuer obligatorisch zu sein hat (7).

2.6

Der Ausschuss vertrat immer schon die Auffassung, dass die Bestimmungen für die internationale Buchführung im Rahmen einer Regelung für die gemeinsame Bemessungsgrundlage weitestgehend berücksichtigt werden sollten. Dabei ist sich der Ausschuss bewusst, dass die IFRS für die internationale Buchführung nur als Ausgangspunkt für eine Regelung für die gemeinsame Bemessungsgrundlage dienen können.

2.7

Eine unerwünschte Nebenwirkung des bisherigen Unvermögens von Rat und Europäischem Parlament, in Sachen gemeinsamer Bemessungsgrundlage für die Unternehmensbesteuerung zu einer Einigung zu kommen, ist, dass die notwendigen Entscheidungen letztlich vom Europäischen Gerichtshof getroffen werden. Solange es Unterschiede zwischen den Steuersystemen der Mitgliedstaaten gibt, werden immer wieder auch gerichtliche Entscheidungen notwendig sein. Die Steuersysteme der Mitgliedstaaten werden ohne politische Beschlüsse durch die Rechtsprechung des EuGH im Binnenmarkt sukzessive verändert (8), (9). Dies wird im Fall der unlängst vom EuGH entschiedenen Rechtssache Marks & Spencer deutlich vor Augen geführt.

2.8

Der Wunsch des Ausschusses, die Unternehmensbesteuerung in einen umfassenderen politischen Zusammenhang einzuordnen bedeutet, dass steuerpolitische Neutralität nicht nur auf die Unternehmensbesteuerung, sondern auch auf die beiden Produktionsfaktoren Arbeit und Kapital zu beziehen ist. Diese prinzipielle Überlegung hängt jedoch in erster Linie mit der Wahl des Steuersatzes zusammen (10).

2.9

Integration und Wettbewerbssteigerung sind eng miteinander verbunden und können zu Effektivitätssteigerungen und vermehrtem Wachstum führen. Gleichzeitig bedeutet dies aber auch, dass diejenigen Akteure, die dem wachsenden Wettbewerbsdruck nicht standhalten, mangelnde Produktivität nicht durch eine verringerte Unternehmensbesteuerung ausgleichen können. Wettbewerbsverzerrende Elemente der Unternehmensbesteuerung müssen folglich beseitigt werden, damit die positiven Auswirkungen der Integration zum Tragen kommen (11).

2.10

Eine — hoffentlich obligatorische — gemeinsame Bemessungsgrundlage würde die Kontrolle der Steuerzahlung erleichtern, da die Behörden nur ein System beherrschen müssten und sich leichter austauschen könnten. Dies würde auch zur Verringerung von Steuerhinterziehung beitragen. Eine nicht bindende gemeinsame Bemessungsgrundlage mit der Wahlmöglichkeit zwischen letzterer und den bisherigen einzelstaatlichen Berechnungsmethoden für Unternehmen mit ausschließlich heimischen Aktivitäten würde außerdem zu einer Situation führen, in der die Staaten — anstelle der Unternehmen — mit mehreren Steuersystemen operieren müssten.

3.   Einige Fakten zur Körperschaftsteuer

3.1

Die steuerliche Belastung von Unternehmen ist von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich, was hauptsächlich auf divergierende Steuersätze (die zwischen 12,5 % und 40 % liegen) zurückzuführen ist. Da gleichzeitig auch die Bemessungsgrundlagen variieren, ist nicht deutlich erkennbar, in welchem Maße dies tatsächlich auf unterschiedlichen Steuersätzen beruht (12).

3.2

Die Kommission stellte Angaben zur so genannten „implicit tax rate“ zusammen, die über den Anteil der tatsächlich gezahlten Steuern am Gesellschaftsgewinn Aufschluss gibt. Oftmals werden nur die Steuersätze verglichen, was irreführend sein kann, da z.B. ein hoher Steuersatz bei hohen Freibeträgen zu niedrigen Steuereinnahmen führen kann. Unterschiede in der Steuerbelastung können auch auf der Effektivität der Steuereinziehung oder der Art der Steuerkontrolle basieren. Für den Umfang der Unternehmensressourcen, die durch die Zahlung der Körperschaftsteuer gebunden werden, ist es auch von Bedeutung, ob eine Steuerverwaltung effektiv oder vielmehr bürokratisch ist (13).

3.3

Die OECD stellte 1990 fest, dass 60 % des Welthandels innerhalb von Unternehmensgruppen abgewickelt werden. Die unterschiedlichen staatlichen Steuersysteme sind deshalb für die Unternehmen problematisch, weil die Unterschiede innerhalb desselben Unternehmens auftreten.

3.4

Die wirtschaftlichen Auswirkungen einer gemeinsamen Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage sind nicht einfach zu berechnen. In einer aktuellen Studie wurden die Auswirkungen auf das BIP zwischen 0,2 und 0,3 % des BIP veranschlagt. Die Berechnungen beziehen sich nur auf die gemeinsamen Bestimmungen für die Bemessungsgrundlage und nicht auf die Konsolidierung oder auf administrative Einsparungen. Dies ist auch im Zusammenhang mit der Tatsache zu sehen, dass die gesamte Unternehmensbesteuerung ca. 3 % des BIP beträgt (14).

3.5

Grenzüberschreitende Wirtschaftsaktivitäten werden heute größtenteils von Großunternehmen getätigt. Unterschiedliche Unternehmensbesteuerung stellt deshalb für diese Unternehmen ein Problem dar. In mehreren Ländern tätige Unternehmen haben sich das diesbezüglich erforderliche Wissen angeeignet und die Finanzierung dieser Zusatzkosten sichergestellt. Doch die größten Auswirkungen haben die Unterschiede zwischen den Steuersystemen vermutlich auf diejenigen KMU, die Aktivitäten im Ausland zwar erwogen, aber davon Abstand genommen haben. Gemeinsame Bestimmungen könnten die Hürden für das Aufnehmen wirtschaftlicher Aktivitäten in mehreren Ländern erheblich verringern. Hier besteht viel Raum für erhöhte Integration und verstärkten Wettbewerb, einer der vielleicht größten Vorteile eines gemeinsamen Systems für die Berechnung der Bemessungsgrundlagen.

4.   Bisherige Beschlüsse in Sachen gemeinsamer Körperschaftsteuer

4.1

Bislang wurden nur drei Richtlinien zur Unternehmensbesteuerung angenommen. In der Mutter/Tochterrichtlinie (90/435/EWG) wird festgelegt, dass Ausschüttungen einer Tochtergesellschaft in einem bestimmten Land im Mitgliedstaat, in dem die Muttergesellschaft ansässig ist, von der Steuer befreit sind. Diese Steuerfreiheit kann jedoch durch eine Regel ersetzt werden, der zufolge die von einer Tochtergesellschaft gezahlten Steuern von den von der Muttergesellschaft zu zahlenden Steuern abgezogen werden.

4.2

Mit der Fusionsrichtlinie (90/434/EWG) wird die Besteuerung bei Unternehmensumstrukturierungen geregelt. Obwohl keine zivilrechtlichen Vorschriften zu grenzüberschreitenden Unternehmensfusionen oder -spaltungen vorliegen, werden letztere in der Richtlinie, die hauptsächlich Unternehmensveräußerungen betrifft, noch nicht geregelt.

4.3

Eine dritte, unlängst angenommene Richtlinie (2003/49/EG) betrifft die Besteuerung der Zahlung von Zinsen und Lizenzgebühren zwischen verbundenen Unternehmen. Mit der Richtlinie werden solche grenzüberschreitende Zahlungen von der Quellensteuer befreit.

4.4

Seit 1997 besteht ein Verhaltenskodex für die Unternehmensbesteuerung, dem zufolge Mitgliedstaaten keine Investitionen durch unlautere Maßnahmen im Steuerbereich anlocken dürfen. Die Mitgliedstaaten verpflichten sich mit dem Verhaltenskodex, keine unlauteren neuen Steuern einzuführen und die bestehenden Bestimmungen entsprechend zu überarbeiten. Der Verhaltenskodex wurde durch eine Liste mit 66 Maßnahmen des unlauteren Wettbewerbs im steuerlichen Bereich ergänzt, die nun gerade beseitigt werden.

5.   Erörterung technischer Details

5.1

Die größten Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten bei der Berechnung der Bemessungsgrundlage liegen in den Bestimmungen über die Freibeträge, die folglich bei den Gesprächen zwischen den Mitgliedstaaten eine wichtige Rolle spielen. In diesem Zusammenhang soll mit Nachdruck auf die Bedeutung breiter Bemessungsgrundlagen für die Körperschaftsteuer hingewiesen werden. Es muss jedoch betont werden, dass breitere Bemessungsgrundlagen eine Überprüfung der Steuersätze erforderlich machen können.

Die Gespräche müssen leider an einem sehr grundlegenden Stadium ansetzen. Kosten können heute unterschiedlich eingestuft werden, je nachdem, ob sie als gewöhnliche Ausgaben zu betrachten und folglich in die Bemessungsgrundlage einzubeziehen sind, oder ob sie erst nach Bestimmung der Bemessungsgrundlage vom Gewinn abgezogen werden können. Bevor die Steuerexperten einen gemeinsamen Vorschlag vorlegen können, müssen noch viele Fragen gelöst werden.

5.2

Das System der steuerlichen Bemessungsgrundlage muss wettbewerbsorientiert sein, um gute Voraussetzungen für Investitionen in Europa zu schaffen. Das Steuersystem darf im Allgemeinen aber keinen Einfluss darauf ausüben, welche Arten von Investitionen und in welchem Mitgliedstaat sie getätigt werden. Ausschlaggebend sollte die Rentabilität sein und nicht die Frage, wie man Mittel für Investitionen erschließen kann. Natürlich muss es z.B. möglich sein, umweltfreundliche Investitionen zu fördern oder Investitionen in benachteiligte Regionen zu lenken, aber andere Instrumente eignen sich hierfür besser als die Bemessungsgrundlage für die Körperschaftsteuer.

5.2.1

Ebenso muss eine deutliche Abgrenzung gegenüber der Einkommensteuer vorgenommen werden. Die Behandlung von Gewinnausschüttungen an Aktieninhaber ist eine Frage der Einkommensteuer, die für die Debatte über die Besteuerung von Gesellschaftsgewinnen als solchen nicht relevant ist. Ferner ist diese Frage für Entscheidungen bezüglich des Standorts der Gesellschaft nicht von Bedeutung.

5.3

Sollte es gelingen, eine gemeinsame Bemessungsgrundlage zu vereinbaren, so müssen für bestimmte Branchen spezielle Bestimmungen vorgesehen werden. So könnten z.B. spezielle Bestimmungen in Bezug auf Rückstellungen z.B. für den Bank- und Finanzsektor und insbesondere die Lebensversicherungsbranche — wo Rückstellungen eine ganz besondere, branchentypische Bedeutung haben — erforderlich sein. Ein anderes Beispiel ist die Forstwirtschaft, in der sich Einnahmen im Extremfall erst nach bis zu einhundert Jahren ergeben können.

5.4

Ein weiterer Aspekt ist die Frage, ob die Unternehmensfinanzierung hauptsächlich auf Kredit oder vielmehr auf Eigenkapital basiert. Sind Kreditzinsen abzugsfähig, wird nur ein kleiner Teil des Einkommens der Unternehmen in Form von Aktiengewinnen versteuert. Wurden keine Kredite aufgenommen und der gesamte Finanzierungsbedarf mit Eigenkapital gedeckt, wird alles als Gewinn besteuert. Eine Beeinflussung der Wahl der Unternehmensfinanzierung mittels Körperschaftsteuer sollte tunlichst vermieden werden.

5.5

Nach der Bestimmung des Umfangs der Freibeträge muss man sich über Zeitpunkt und Verfahren einig werden. Der größte Unterschied zwischen den Mitgliedstaaten besteht darin, dass entweder jede Art von Investitionen einzeln abgeschrieben werden, oder aber alle Investitionen zusammengefasst und global abschreibungsfähig sind. Das System der globalen Abschreibung ist für Unternehmen leichter zu handhaben, da nicht für einzelne Maschinen oder Ausrüstungsgegenstände Berechnungen angestellt werden müssen.

5.6

Um eine konsolidierte steuerliche Bemessungsgrundlage zur Ermittlung des Gewinns einer gesamten Unternehmensgruppe einführen zu können, muss definiert werden, was unter einer Unternehmensgruppe zu verstehen ist. Alternativ für eine solche Definition könnte auch der prozentuale Eigentumsanteil für jedes Teilunternehmen oder die Beteiligung eines jeden Teilunternehmens an den Aktivitäten der Muttergesellschaft herangezogen werden. Man sollte eine Kombination aus beiden Möglichkeiten wählen, da kein Grund besteht, eine konsolidierte Bemessungsgrundlage für Unternehmen unterschiedlicher Branchen mit gemeinsamer Eigentumsstruktur einzuführen.

5.7

Hat man sich über eine gemeinsame Bemessungsgrundlage für die Körperschaftsteuer geeinigt, gilt es immer noch, Schwierigkeiten im Bereich der Konsolidierung zu lösen: Wie sollen die Gewinne von Unternehmen mit Aktivitäten in mehreren Ländern auf die verschiedenen Länder verteilt werden. Eine gemeinsame Bemessungsgrundlage reicht nicht aus, will man das Verschieben von Gewinnen im Rahmen unterschiedlicher Steuersysteme vermeiden. Es bedarf ebenfalls eines einfachen und logischen Systems zur Verteilung der Unternehmensgewinne auf die Mitgliedstaaten (und damit auf Länder mit unterschiedlichen Steuersätzen). Werden die von verschiedenen Teilen eines Unternehmens in unterschiedlichen Ländern erzielten Gewinne auf diese Weise zusammengefasst, ist eine verstärkte Zusammenarbeit der Steuerbehörden erforderlich.

5.7.1

Angesichts dieses Anforderungsprofils könnte eine Untersuchung des kanadischen Systems von Interesse sein (der Gewinn wird je zur Hälfte gemäß prozentualem Anteil der Beschäftigten und der Verkäufe aufgeteilt).

5.8

Damit die Gewinnverteilung in der Praxis reibungslos funktionieren kann, müssen — neben jenen bezüglich der Bemessungsgrundlage — weitere Bestimmungen vereinheitlicht werden. Berechnungen sollten z.B. auf Ganzjahresbasis durchgeführt werden und Steuerzahlungen sollten in allen Mitgliedstaaten gleichzeitig erfolgen. Eine weitere Forderung betrifft computergestützte Standüberweisungen.

5.9

Eine der wichtigsten Folgen einer gemeinsamen Bemessungsgrundlage ist die erhöhte Transparenz des Systems. Heutzutage dient dem Laien lediglich der Steuersatz als Vergleichsmaßstab. Vergleicht man aber den Körperschaftsteuersatz mit dem Anteil der Einnahmen aus der Körperschaftsteuer am BIP, so zeigt sich, wie irreführend ein solches Vorgehen sein kann. Der niedrigste Anteil der Einnahmen aus der Körperschaftsteuer in Bezug auf das BIP ist mit 0,8 % in 2003 in Deutschland bei einem Steuersatz von 39,5 % zu verzeichnen, was wahrscheinlich auch in gewissem Maße auf Probleme bei der Definition der Bemessungsgrundlagen zurückzuführen ist. Die neuen Mitgliedstaaten verfügen über Einnahmen aus der Körperschaftsteuer in Höhe von durchschnittlich 2,7 % des BIP, wobei die Steuersätze zwischen 15 und 35 % liegen. In den meisten alten Mitgliedstaaten machen die Einnahmen aus der Körperschaftsteuer — bei einer Bandbreite der Steuersätze zwischen 12,5 und 38 % — ca. 3 % des BIP aus (15). So große und unerwartete Unterschiede sollten nicht nur für die Unternehmen, sondern — dies ist ein Gebot der Demokratie — auch für die Wähler sichtbar gemacht werden.

6.   Grundsätze einer gemeinsamen konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage  (16)

6.1   Breite Grundlagen

Steuern haben den Zweck, das Gemeinwohl zu finanzieren, weshalb die Grundlage für das Steueraufkommen möglichst breit sein sollte. Eine breite Grundlage trägt auch dazu bei, dass die Funktionsweise der Wirtschaft so wenig wie möglich beeinträchtigt wird, da die Steuersätze selbst niedrig gehalten werden können.

6.2   Neutralität

Eine gemeinsame Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage muss investitionsneutral sein und darf nicht den Wettbewerb zwischen den Sektoren verzerren. Realwirtschaftliche Überlegungen sollten für die Ansiedlung unternehmerischer Aktivitäten und den steuertechnischen Standort der Bemessungsgrundlage ausschlaggebend sein. Eine neutrale Bemessungsgrundlage trägt zur Stärkung des freien und lauteren Wettbewerbs unter den Unternehmen bei.

6.3   Einfachheit

Die gemeinsamen Bestimmungen müssen einfach, deutlich und transparent zugleich sein. Aus Gründen der Einfachheit und sofern unter steuerlichen Gesichtspunkten angezeigt sollten sie an die bereits von zahlreichen Unternehmen verwandten internationalen Buchführungsstandards anknüpfen. Gleiche Bestimmungen für Zeitpunkt und Modalität der Zahlungen tragen auch zur Vereinfachung der Systeme bei.

6.4   Effizienz

Die Steuererhebung muss auch in dem Sinne effizient sein, dass sie sich leicht kontrollieren lässt, wodurch Steuerfehler und Steuerhinterziehung bekämpft werden.

6.5   Stabilität

Steuersysteme müssen stabil sein. Unternehmerische Investitionen müssen langfristige Ziele verfolgen. Da Steuersysteme bei Investitionsentscheidungen berücksichtigt werden, dürfen sie nicht allzu zahlreichen Veränderungen unterworfen werden.

6.6   Legitimität

Die Bestimmungen müssen von den unmittelbar Betroffenen, den Sozialpartnern sowie von der gesamten Bevölkerung akzeptiert werden, da sie die Finanzierung des öffentlichen Sektors betreffen.

6.7   Gerechtigkeit

Die Verteilung der mittels gemeinsamer Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage ermittelten Gewinne auf die Mitgliedstaaten muss gerecht sein. Eine gerechte Verteilung trägt dazu bei, dass die Steuersätze von den Mitgliedstaaten selbst festgelegt werden können.

6.8   Internationaler Wettbewerb

Bei der Festlegung der Bemessungsgrundlage sollte auch berücksichtigt werden, wie sich diese im Vergleich zu Körperschaftsteuersystemen in Drittländern ausnimmt.

6.9   Obligatorische Regelung

Um zu vermeiden, dass sich neue Unterschiede in der steuerlichen Praxis innerhalb der Mitgliedstaaten ergeben, müssen die Bestimmungen für die Bemessungsgrundlagen in einem optimalen System sowohl für Unternehmen mit grenzübergreifenden Aktivitäten, als auch für ausschließlich auf heimischen Märkten aktiven Unternehmen obligatorisch sein. Entspricht ein gemeinsames System den übrigen Grundsätzen und ist es für die Unternehmen hinreichend einfach und wettbewerbsorientiert, wird sich die Frage des Gegensatzes zwischen obligatorischem oder fakultativem System alsbald erübrigen. Zweifel an einem obligatorischen System hängen auch von der konkreten Ausgestaltung des Systems ab.

6.10   Zwischen-/Übergangsbestimmungen

Die freie Wahlmöglichkeit für Unternehmen kann indes eine akzeptable Zwischenlösung darstellen. Eine so umfangreiche Änderung wie ein neues System für die Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage könnte auch Übergangsregelungen erforderlich machen. Eine Zwischenlösung als Alternative zu Übergangsregelungen kann die Einführung eines gemeinsamen Systems flexibler gestaltet werden.

6.11   Flexible Beschlussfassungsregeln

Obwohl ein gemeinsames System für die Unternehmensbesteuerung auf lange Sicht stabil sein sollte, muss es doch im Hinblick auf Veränderungen unserer Umwelt oder zur Behebung von Systemlücken — wobei es sich z.B. auch um den Ausschluss unerwünschter Nebenwirkungen des Systems handeln kann — anpassungsfähig sein. Der Beschluss für ein neues gemeinsames System sollte deshalb auch Bestimmungen zur reibungslosen Durchführung von Anpassungen beinhalten.

Brüssel, den 14. Februar 2006

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  Stellungnahme des EWSA zum Thema „Steuerpolitik in der Europäischen Union - Prioritäten für die nächsten Jahre“ - ABl. C 48/19 vom 21.2.2002, S. 73.

(2)  Stellungnahme des EWSA zum Thema „Steuerpolitik in der EU: gemeinsame Grundsätze, Konvergenz des Steuerrechts und Möglichkeit der Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit“ - ABl. C 80/33 vom 30.3.2004, S. 139.

(3)  Stellungnahme des EWSA zum Thema „Der Steuerwettbewerb und seine Auswirkungen auf die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen“ - ABl. C 149/16 vom 21.6.2002, S. 73.

(4)  Stellungnahme des EWSA zum Thema „Direktbesteuerung von Unternehmen“ - ABl. C 241/14 vom 7.10.2002, S. 75.

(5)  Siehe ebenda.

(6)  Siehe ebenda.

(7)  Siehe ebenda.

(8)  Stellungnahme des EWSA zum Thema „Ein Binnenmarkt ohne unternehmenssteuerliche Hindernisse - Ergebnisse, Initiativen, Herausforderungen“ - ABl. C 117/10 vom 30.4.2004, S. 41.

(9)  In den Jahren 2003 und 2004 fällte der EuGH 25 Urteile in Sachen Direktbesteuerung.

(10)  Stellungnahme des EWSA zum Thema „Direktbesteuerung von Unternehmen“ - ABl. C 241/14 vom 7.10.2002, S. 75.

(11)  Stellungnahme des EWSA zum Thema „Steuerpolitik in der EU: gemeinsame Grundsätze, Konvergenz des Steuerrechts und Möglichkeit der Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit“ - ABl. C 80/33 vom 30.3.2004, S. 139.

(12)  Stellungnahme des EWSA zum Thema „Direktbesteuerung von Unternehmen“ - ABl. C 241/14 vom 7.10.2002, S. 75.

(13)  Stellungnahme des EWSA zum Thema „Steuerpolitik in der EU: gemeinsame Grundsätze, Konvergenz des Steuerrechts und Möglichkeit der Beschlussfassung mit qualifizierter Mehrheit“ - ABl. C 80/33 vom 30.3.2004, S. 139.

(14)  Economic effects of tax cooperation in an enlarged European Union, in: Copenhagen Economics (2005), S. 36.

(15)  Structures of the taxation systems in the European Union, Copenhagen Economics (Ausgabe 2005).

(16)  Die Reihenfolge, in der die Grundsätze aufgeführt werden, soll keine Rangordnung widerspiegeln.