52005DC0077

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat - Ein Rahmen für den Ausbau der Luftverkehrsbeziehungen mit der Russischen Föderation /* KOM/2005/0077 endg. */


Brüssel, den 14.3.2005

KOM(2005) 77 endgültig

MITTEILUNG DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DEN RAT

Ein Rahmen für den Ausbau der Luftverkehrsbeziehungenmit der Russischen Föderation

EINFÜHRUNG UND ZUSAMMENFASSUNG

Die Bedeutung der Beziehungen zwischen der EU und der Russischen Föderation als strategische Partner und Nachbarn und die Bedeutung unserer jeweiligen Luft- und Raumfahrtbranchen sind gewichtige Argumente zugunsten einer Einigung über einen neuen Rahmen für die Gestaltung unserer Luftfahrtbeziehungen.

Gleichzeitig mit der Vorlage dieser Mitteilung empfiehlt die Kommission daher, der Rat möge die Kommission ermächtigen, im Namen der Europäischen Gemeinschaft ein umfassendes Luftverkehrsabkommen mit der Russischen Föderation auszuhandeln. Der Initiative liegen Entwicklungen zugrunde, die die Rolle der Gemeinschaft in den Luftfahrtaußenbeziehungen betreffen und sich aus den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs vom 5. November 2002 in den „Open skies“-Rechtssachen ergeben haben, in denen die ausschließliche Zuständigkeit der Gemeinschaft in wichtigen Aspekten der Luftfahrtaußenbeziehungen anerkannt wurde, und sie baut auf dem Weißbuch „ Die Europäische Verkehrspolitik bis 2010 – Weichenstellungen für die Zukunft “[1] der Kommission auf, in dem unterstrichen wurde, dass die Europäische Union zur Wahrung ihrer industrie-, sozial- und umweltpolitischen Interessen auf der Weltbühne mit einer Stimme sprechen muss.

Nach diesen Urteilen gab die Kommission bekannt, dass sie die Vorlage von Vorschlägen für die Ermächtigung zur Aufnahme von Verhandlungen über eine breite Palette von Luftverkehrsfragen mit ausgewählten Drittländern von strategischer Bedeutung beabsichtigte.

Gewichtige wirtschaftliche und politische Gründe sprechen dafür, eine kohärente Luftfahrtpolitik der Gemeinschaft gegenüber ihren Haupthandelspartnern festzulegen, insbesondere gegenüber Russland, mit dem die EU eine enge wirtschaftliche und politische Partnerschaft im Rahmen des Partnerschafts- und Kooperationsabkommens[2] und der vier „Gemeinsamen Räume“, deren Schaffung auf dem EU-Russland-Gipfel in St. Petersburg im Mai 2003 beschlossen wurde, ganz besonders im Rahmen des Gemeinsamen Wirtschaftsraums, anstrebt.

Die Partnerschaft zwischen der EU und Russland wurde nach dem Beitritt von zehn neuen Mitgliedstaaten zur EU am 1. Mai 2004, von denen acht in der Vergangenheit wirtschaftlich und politisch besonders eng mit Russland verbunden waren, verstärkt. Die EU ist Haupthandelspartner Russlands, auf den mehr als 50 % des Handels entfallen, und Russland ist wiederum der fünftwichtigste Handelspartner der EU (nach den USA, der Schweiz, China und Japan) mit einem Anteil von rund 5 % am gesamten EU-Handel. Russland ist der zweitwichtigste Handelspartner der zehn neuen EU-Mitgliedstaaten.

Die Integration des Verkehrssystems ist eine Voraussetzung für eine gedeihliche Zusammenarbeit. Der Luftverkehr ist ein besonders dynamischer Verkehrszweig und zur Verbindung der Europäischen Union mit ihren Nachbarn, insbesondere mit der Russischen Föderation, unabdingbar. Die Festlegung einer Luftfahrtpolitik gegenüber Russland ist daher ein wichtiges politisches Ziel in der Gesamtschau der sich entwickelnden Partnerschaft der EU mit ihrem großen östlichen Nachbarn.

Russland bietet gute Aussichten für das Wachstum von Luftfahrtunternehmen, Flugzeugherstellern und Luftfahrtdienstleistern in Europa. Der russische Passagierverkehr mit dem Ausland konzentriert sich im Wesentlichen auf europäische Ziele. Der gesamte russische Passagierverkehr wird zu rund 75 % mit europäischen Zielorten abgewickelt und soll Prognosen zufolge bis 2007 jährlich um 5,8 % wachsen[3]. Die Russische Föderation stellt für die EU derzeit den viertgrößten ausländischen Luftverkehrsmarkt dar[4].

Der russische Luftverkehrsmarkt war lange Zeit durch einen restriktiven Ansatz gekennzeichnet. Der Marktzugang ist streng begrenzt und der Staat spielt weiterhin eine wichtige und einflussreiche Rolle in der Luftverkehrsbranche. Angesichts steigender Nachfrage und ausländischem Wettbewerb hat die russische Regierung jedoch umfangreiche Reformen in dem Sektor angekündigt, unter anderem die schrittweise Liberalisierung des Inlandsmarkts und die Privatisierung von Luftfahrtunternehmen, womit mehr Wettbewerb, eine Steigerung der Investitionen und eine Konsolidierung der Branche bezweckt wird.

Die Luftverkehrsbeziehungen zwischen der EU und Russland wurden in der Vergangenheit von der umstrittenen Frage der Sibirienüberflug-Gebühren und von russischen Bedenken bezüglich Lärm- und Sicherheitsstandards der EU beherrscht. Die Frage des Sibirienüberflugs ist für europäische Luftfahrtunternehmen von großer Bedeutung, da sie sich auf die Dienste zwischen Europa und den wachsenden und gewinnträchtigen Märkten im Fernen Osten, insbesondere China, auswirkt. Diese Schwierigkeiten haben die Möglichkeiten einer konstruktiven Zusammenarbeit und Fortschritte in so wichtigen Bereichen von beiderseitigem Interesse wie der Flugsicherheit und der Gefahrenabwehr beeinträchtigt.

Derzeit sind die Beziehungen bruchstückhaft, besonders was die Verkehrsrechte und Marktchancen für Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft angeht. Die jeweils einzeln handelnden Mitgliedstaaten waren weder in der Lage, bilaterale Abkommen mit dem Gemeinschaftsrecht in Einklang zu bringen, noch solche wichtigen Fragen wie die der Sibirienüberflug-Gebühren zu lösen oder wesentliche Fortschritte beim Marktzugang zu erreichen. Unterschiedliche Ansätze bezüglich Sicherheit und Lärmschutz sind eine ständige Quelle möglicher Missverständnisse in den Luftverkehrsbeziehungen.

Ein umfassendes Luftverkehrsabkommen zwischen der EU und Russland würde eine Erweiterung der Luftfahrtbeziehungen bezwecken und einen Rahmen schaffen, in dem sowohl die Branche als auch die Luftverkehrsnutzer von verbesserten Marktbedingungen, einem stabilen und widerspruchsfreien rechtlichen Umfeld der beiden Märkte und von Verfahren zur Vermeidung oder wirksamen Beilegung von Streitigkeiten profitieren können.

Tendenzen der russischen Zivilluftfahrtpolitik: Modernisierung, Konsolidierung und Liberalisierung

Ein wachsender und sich entwickelnder Markt

Der Luftverkehr ist einer der Verkehrszweige mit der größten Dynamik in Russland. Die Zivilluftfahrt ist mit insgesamt rund 223 000 Beschäftigten ein wichtiger Sektor der russischen Wirtschaft. Nach Daten des russischen Verkehrsministeriums hat der Passagierverkehr 2003 um 9,9 % und der Frachtverkehr um 2,7 % zugenommen.

Obschon sich der russische Luftverkehrsmarkt schnell entwickelt, ist er in bestimmter Hinsicht doch noch vergleichsweise unreif und weist ein hohes Potenzial sowohl im Passagier- als auch im Frachtverkehr auf. Nach IATA-Prognosen wird der russische Zivilluftfahrtmarkt zwischen 2003 und 2007 jährliche Wachstumraten von 5,8 % aufweisen, mithin ein höheres Wachstum als die reiferen Märkte in Westeuropa und den USA.

Nur vier gewerbliche Luftfahrtunternehmen (Aeroflot, Sibir, Pulkovo und UT Air) befördern mehr als eine Million Fluggäste im Jahr. Aeroflot beherrscht den Auslandsmarkt, während sie sich im Inland dem Wettbewerb anderer Luftfahrtunternehmen stellen muss (die führende russische Inlandsfluggesellschaft ist Sibir). Aeroflot bietet 37,7 % aller Sitze im Gesamtmarkt zwischen Russland und der EU an, gefolgt von Lufthansa mit 12,6 %[5].

Eine neue Strategie für den Luftverkehr: Privatisierung und Liberalisierung

Im Oktober 2003 gab die russische Regierung ihre neue „Verkehrsstrategie für die russische Föderation“ bekannt.

Beim Luftverkehr verfolgt die russische Regierung in erster Linie das Ziel, den Inlandsluftverkehr durch eine umfassende Umstrukturierung weiterzuentwickeln und auf diese Weise Effizienz und Qualität der Dienste zu steigern. In Russland sind derzeit 215 Luftfahrtunternehmen registriert (gegenüber 267 im Jahr 2000), von denen 55 in Staatsbesitz sind. Diese Zahl dürfte in den nächsten Jahren zurückgehen angesichts eines schärfer werdenden Wettbewerbs, strengerer staatlicher Genehmigungsverfahren und der Durchsetzung höherer Sicherheitsanforderungen.

Nach eigenem Bekunden plant die russische Regierung, die Wettbewerbsfähigkeit russischer Luftfahrtunternehmen durch die Anpassung an internationale kommerzielle, umweltbezogene und dienstleistungsorientierte Standards wesentlich zu steigern und den Markt schrittweise zu liberalisieren.

Das Wachstum beim Passagierverkehr in den letzten Jahren ist der treibende Faktor hinter den Bestrebungen zu einer beschleunigten Liberalisierung des Inlandsluftverkehrsmarkts. Diese Liberalisierung des Inlandsmarkts setzte 2002 mit der Abschaffung des bestehenden Quotensystems ein. Die russische Regierung beabsichtigt, die Quoten weiter abzubauen und auf diese Weise die vollständige Liberalisierung im Inlandsluftverkehr schnell herbeizuführen.

Die Regierung will strategische Allianzen sowohl im Inland als auch auf internationaler Ebene fördern, um einen Beitrag zur Vorbereitung russischer Luftfahrtunternehmen auf den Wettbewerb zu leisten. Der Wettbewerbsdruck unter den russischen Luftfahrtunternehmen auf Inlands- als auch auf Auslandsstrecken dürfte in den kommenden Jahren erhebliche Veränderungen in der russischen Luftverkehrsbranche mit sich bringen. Eines der ersten Anzeichen für künftige Entwicklungen war die Unterzeichnung einer Absichtserklärung durch Aeroflot am 24. Mai 2004, die den Weg für den Beitritt des russischen Luftfahrtunternehmens zur SkyTeam -Allianz ebnete. Es hat ebenfalls Ankündigungen einer möglichen Privatisierung von Aeroflot gegeben.

Modernisierung der Infrastruktur

Die meisten russischen Flughäfen sind sanierungs- und modernisierungsbedürftig. Die von der russischen Regierung eingeschlagene Verkehrsstrategie sieht die weitere Privatisierung von Flughäfen wie auch eine „Optimierung“ des landesweiten Flughafennetzes vor. Ein besseres Funktionieren der Flughäfen wird für die erfolgreiche Entwicklung des zivilen Luftverkehrs in Russland ausschlaggebend sein. Fragen und Verfahren der Gefahrenabwehr spielen seit den dramatischen Terrorakten im Sommer 2004 eine immer größere Rolle. Ein neues Gesetz zur Gefahrenabwehr im Verkehr wurde ausgearbeitet.

So, wie die russische Regierung tief greifende Reformen der Luftverkehrsbranche beabsichtigt, hat sie auch Pläne zur Umstrukturierung der Luftfahrtindustrie angekündigt.

Derzeit ist die Verfügbarkeit wirtschaftlicher und moderner Flugzeuge der wichtigste das Wachstum begrenzende Faktor für russische Luftfahrtunternehmen. Nach Schätzungen werden die Luftfahrtunternehmen in den nächsten fünf Jahren ein Drittel ihrer alternden Flotten ersetzen müssen (rund 95 % der vorhandenen Flugzeuge wurden zwischen 1960 und 1980 konstruiert). Mehr als 1 600 in Betrieb befindliche Flugzeuge erfüllen die ICAO-Lärmvorschriften nicht.

Russland hat schon immer eine Luftfahrtindustrie erheblicher Größe besessen. Sie beschäftigt heute etwa 500 000 Menschen in rund 300 Unternehmen und Forschungs- und Konstruktionseinrichtungen. Die Industrie braucht aber dringend Investitionen und bedarf einer Modernisierung und Umstrukturierung.

Dies scheint auf gutem Wege zu sein, nachdem die russische Luft- und Raumfahrtbehörde (Rosaviakosmos) im Zusammenhang mit der neuen russischen Verkehrsstrategie Vorschläge vorgelegt hat. Darin werden radikale Maßnahmen zur Schaffung eines einzigen Luft- und Raumfahrtkonsortiums (OAK – Vereinigte Flugzeugwerke) vorgeschlagen, wobei man sich anscheinend am Beispiel von EADS orientiert. Das Konsortium soll von privaten Kapitaleignern kontrolliert werden (bei einem staatlichen Anteil von 25,5 %) und einen Anteil von 10 % am weltweiten Luftfahrtmarkt anstreben.

DIE LUFTVERKEHRSBEZIEHUNGEN ZWISCHEN DER EU UND RUSSLAND: NOTWENDIGKEIT EINES GEMEINSCHAFTSANSATZES

Wachsende Märkte von beiderseitigem großen wirtschaftlichen Interesse

Gut ausgebaute Luftverkehrsbeziehungen zur Europäischen Union und den wichtigen internationalen Zielen sind für die Entwicklung der russischen Wirtschaft und ihre Handelsbeziehungen mit der EU von wesentlicher Bedeutung.

Der russische Passagierverkehr mit dem Ausland konzentriert sich im Wesentlichen auf europäische Ziele. 2002 reisten 4,3 Millionen Fluggäste zwischen Russland und Westeuropa und 1 Million Fluggäste zwischen Russland und Mittel- und Osteuropa. Der russische Passagierverkehr wird zu rund 75 % mit europäischen Zielorten abgewickelt und soll Prognosen zufolge bis 2007 jährlich um 5,8 % wachsen[6].

Das Luftverkehrsaufkommen zwischen der EU und Russland ist in den letzten zehn Jahren stark gestiegen. Die wöchentlichen Hin- und Rückflüge zwischen EU-Mitgliedstaaten und Russland nahmen von 279 im Jahr 1992 auf 465 im Jahr 2003 zu, gleichzeitig stieg die Zahl der angebotenen Sitze im Luftverkehr zwischen der EU und Russland von 44 880 im Jahr 1992 auf 65 663 im Jahr 2003. Das Wachstumspotenzial des russischen Markts wird weithin anerkannt.

Der größte Anteil des Luftverkehrs zwischen der EU und Russland entfällt auf Flüge zwischen Russland und Deutschland (39 % der Flüge EU/Russland)[7], gefolgt vom Verkehr mit Spanien (12 %), Frankreich (11 %), dem Vereinigten Königreich (8,5 %) und Finnland (7 %). Unter den neuen Mitgliedstaaten weisen Polen und die Tschechische Republik einen maßgeblichen Luftverkehr mit der Russischen Föderation auf.

Zusammen mit China ist Russland einer der größten Tourismusmärkte mit hohem Potenzial in der Welt. Die Gesamtzahl der in die Russische Föderation reisenden Touristen nahm 2002 um 7,3 % zu (Europadurchschnitt 2,3 %). Europäische Reiseveranstalter haben die Zusammenarbeit mit Unternehmen in Russland aufgenommen und Gemeinschaftsunternehmen mit ihnen gegründet. Russische Touristen werden auch für die EU-Tourismusbranche immer wichtiger. Sie gehören zu den weltweit ausgabefreudigsten Touristen im internationalen Fremdenverkehr (12 Mrd. USD im Jahr 2002)[8].

Bilaterale Luftverkehrsbeziehungen zwischen EU-Mitgliedstaaten und Russland

Ein fragmentiertes und restriktives Marktumfeld

Die Russische Föderation hat bilaterale Luftverkehrsabkommen mit 23 der 25 Mitgliedstaaten geschlossen, die insbesondere Verkehrsrechte und damit zusammenhängende Fragen von bilateraler Bedeutung regeln (Benennung von Luftfahrtunternehmen, Flugsicherheit, Tarife, Zölle usw.). Diese Fragmentierung führt dazu, dass der Rechtsrahmen für Luftverkehrsdienste zwischen der EU und Russland unnöig komplex ist.

Außerdem regeln die bilateralen Luftverkehrsabkommen der Mitgliedstaaten mit Russland den Marktzugang in der Regel sehr strikt, nicht nur hinsichtlich der begrenzten Benennung von Luftfahrtunternehmen oder der bedienbaren Orte, sondern auch hinsichtlich der Flugfrequenzen oder Kapazitäten, die die benannten Luftfahrtunternehmen anbieten dürfen.

Außer den unzulässigen Regelungen, die der Europäische Gerichtshof in den „Open skies“-Rechtssachen bemängelt hat, bestehen auch im Bereich des europäischen Wettbewerbsrechts Bedenken, die im Zusammenhang mit einem künftigen Luftverkehrsabkommen zwischen der EU und Russland auszuräumen sind.

Wolken am Himmel: Die wichtigsten noch offenen Fragen

Sibirienüberflüge

Luftfahrtunternehmen der EU, die russisches Hoheitsgebiet überfliegen, müssen ihrem russischen Wettbewerber Aeroflot besondere Zahlungen leisten, die nicht mit üblichen Zahlungen für Flugsicherungsleistungen in Verbindung stehen. Diese Zahlungen, die von Russland in bilateralen Abkommen mit Mitgliedstaaten durch verbindliche kommerzielle Vereinbarungen zwischen EU-Luftfahrtunternehmen und Aeroflot auferlegt werden, stellen eine unannehmbare Gebühr für den Durchflug dar, widersprechen der allgemein üblichen Praxis und werden als mit dem Völkerrecht, einschließlich Artikel 15 des Abkommens von Chicago von 1944, unvereinbar angesehen. Im Jahr 2003 beliefen sich diese Zahlungen europäischer Luftfahrtunternehmen auf schätzungsweise rund 250 Millionen €. Russland ist das einzige Land der Erde, in dem solche Zahlungen zu leisten sind. Darüber hinaus werden diese Zahlungen weder auf nachvollziehbare Weise erhoben noch gelten sie für alle Handelspartner Russlands. Der Sibirientransit ist für EU-Luftfahrtunternehmen von wesentlicher Bedeutung, um einen wirtschaftlichen Zugang zum wachsenden Luftverkehrsmarkt im Fernen Osten, einschließlich China, zu erlangen. Der Fernost-Flugbetrieb ist für die Wirtschaftlichkeit der EU-Luftfahrtunternehmen mit Ausschlag gebend.

Die meisten EU-Luftfrachtgesellschaften, die zwischen Westeuropa und Fernost verkehren, vermeiden Überfluggebühren durch das Umfliegen des russischen Hoheitsgebiets. Russische Luftfrachtunternehmen, insbesondere Aeroflot, genießen somit einen erheblichen Vorteil, weil sie Luftfrachtdienste von Westeuropa nach Fernost direkt über Russland anbieten können.

Umwelt- und Sicherheitsstandards

Russische Luftfahrtunternehmen betreiben noch eine große Zahl alter Flugzeuge, die internationalen und europäischen Umweltvorschriften (Lärmschutz) und Sicherheitsstandards nicht entsprechen. Dies erweist sich als andauerndes Hindernis bei der Verbesserung der Luftverkehrsbeziehungen zwischen der EU und Russland, das mit Hilfe eines umfassenden Ansatzes auf EU-Ebene angegangen werden muss.

Nutzen eines Gemeinschaftsansatzes für die Luftverkehrsbeziehungen zwischen der EU und Russland

Gesamtwirtschaftlicher Nutzen

Die Luftverkehrsbranche und die luftfahrttechnische Industrie der EU und der Russischen Föderation sind grundlegende Bestandteile unserer wirtschaftlichen Zusammenarbeit, die zur Mobilität unserer Bürger und zur industriellen Entwicklung beitragen. Die Bedeutung der Luftverkehrsbeziehngen zwischen der Russischen Föderation und der EU ist mit der EU-Erweiterung gestiegen, und der Verkehr zwischen den Märkten der 25 EU-Mitgliedstaaten und der Russischen Föderation hat erheblich zugenommen.

Im Zeitraum etwa des letzten Jahrzehnts hat sich die EU zu einem wirklich einheitlichen europäischen Luftverkehrsmarkt entwickelt. Die Verbraucher profitieren ebenfalls von einer größeren Auswahl und niedrigeren Tarifen, besonders dank der neuen Billigfluganbieter. Die EU arbeitet auch gemeinsame Standards für die Flugsicherheit, die Gefahrenabwehr und die Flugsicherung im einheitlichen europäischen Luftraum aus.

Dennoch dürfte sich das ganze Potenzial des Binnenmarkts erst verwirklichen lassen, wenn die Gemeinschaft als eine koordinierte Einheit in ihren Luftverkehrsbeziehungen mit Drittländern auftritt, wann immer solche koordinierten Maßnahmen einen zusätzlichen Nutzen für die europäische Luftfahrtindustrie und die Luftverkehrsnutzer versprechen. Wie eine vor kurzem im Auftrag der Kommission durchgeführte Studie ergeben hat, könnte ein ganz geöffneter Markt zwischen der EU und Russland beiden Seiten einen Nutzen von bis zu 680 Millionen € im Jahr bringen, der sich aus der Schaffung von Arbeitsplätzen in der Luftfahrtindustrie, Ausgaben von Touristen und Reisenden und Unterstützungsleistungen der umfassenderen luftfahrttechnischen Industrie speist.

Engere Luftverkehrsbeziehungen zwischen der EU und Russland, die sich aus einem Luftverkehrsabkommen ergeben, könnten die Integration der russischen Zivilluftfahrt in das bestehende Netz globaler Allianzen fördern.

Der Ausbau engerer Beziehungen zwischen der europäischen und der russischen Luft- und Raumfahrtindustrie und die Stärkung der industriellen Zusammenarbeit wurden als einige der vorrangigen Maßnahmen des Fahrplans für den Gemeinsamen Wirtschaftsraum EU/Russland benannt. Die Verstärkung dieser Zusammenarbeit könnte im Rahmen von Verhandlungen über ein Luftverkehrsabkommen zwischen der Gemeinschaft und Russland ins Auge gefasst werden und würde auch zu neuen Marktchancen mit großem wirtschaftlichen Nutzen führen.

Die erheblichen Einsparungen (rund 250 Mio. € jährlich), die europäische Luftfahrtunternehmen bei Abschaffung der Gebühren für Sibirienüberflüge erzielen könnten, sowie die Vorteile eines liberaleren Umfelds mit der Möglichkeit, die Dienste nach Fernost via Russland auszuweiten, sind ebenfalls zu berücksichtigen.

Die Öffnung und Integration der Märkte muss ausgewogen erfolgen, wobei anderen wichtigen Politikzielen Rechnung zu tragen ist und potenzielle negative Auswirkungen abgemildert werden müssen, sei es beim Wettbewerb, im Umweltschutz, bei der nachhaltigen Entwicklung oder in anderen Bereichen.

Verkehrsrechte: Neue Chancen schaffen und den Luftraum öffnen

Die derzeitigen Rahmenbedingungen sind bei den Verkehrsrechten sehr restriktiv, was die Benennung von Luftfahrtunternehmen, die Flugfrequenzen, die Kapazität und die Strecken angeht. Dies behindert den Ausbau der Luftverkehrsdienste trotz wachsender Nachfrage. Das Abkommen würde daher die schrittweise Öffnung des Zugangs zu den beiden Luftverkehrsmärkten zum Ziel haben, um die Investitionen und den Wettbewerb zu fördern und die Dienste im Passagier- und Frachtverkehr zu verbessern.

Die derzeitigen Marktbedingungen und rechtlichen Rahmenbedingungen sind derart, dass die Schaffung eines „offenen Luftverkehrsraums“ zwar längerfristig angestrebt werden kann, aber nicht unmittelbar zu verwirklichen sein dürfte. Ein solches Ziel wäre am besten in mehreren Stufen zu erreichen, damit ein reibungsloser und ausgewogener Übergang möglich ist.

Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht

Gemäß der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in seinen Urteilen vom 5. November 2002 sind die bestehenden bilateralen Luftverkehrsabkommen zwischen den Mitgliedstaaten und der Russischen Föderation als mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar anzusehen, insoweit sie Benennungsklauseln enthalten, die Luftfahrtunternehmen anderer Mitgliedstaaten diskriminieren, oder andere Klauseln umfassen, die die ausschließliche Zuständigkeit der Gemeinschaft beeinträchtigen. Sofern diese Abkommen nicht prompt geändert oder durch mit dem Gemeinschaftsrecht konforme Abkommen ersetzt werden, sind sie von den betreffenden Mitgliedstaaten zu kündigen. Diese Situation nimmt den Luftfahrtunternehmen im Luftverkehr zwischen der EU und der Russischen Föderation die unabdingbare Rechtssicherheit und droht, die künftige Entwicklung unserer Luftverkehrsbeziehungen zu beeinträchtigen.

Die bilateralen Verhandlungen zwischen den Mitgliedstaaten und der Russischen Föderation haben noch nicht zu den notwendigen Anpassungen bestehender Abkommen an das Gemeinschaftsrecht geführt.

Ein Hauptziel eines umfassenden Luftverkehrsabkommens zwischen der Gemeinschaft und der Russischen Föderation wäre es daher, die noch offenen Rechtsfragen im Zusammenhang mit bestehenden bilateralen Abkommen zwischen Russland und den Mitgliedstaaten zu lösen.

Sibirienüberflug: Durchführung der Auslaufregelung bis 2013

In einem umfassenden Luftverkehrsabkommen zwischen der EU und Russland würde eine Übergangsfrist für die Modernisierung des derzeitigen Zahlungsmechanismus für den Sibirienüberflug bis spätestens 2013 vorgesehen und sichergestellt, dass die nach Ende der Übergangsfrist berechneten Gebühren transparent und kostenbezogen sind und nicht zur Diskriminierung von Luftfahrtunternehmen führen.

1997 begrüßte der Rat die Initiative der Kommission, unmittelbare Konsultationen mit der Russischen Föderation in dieser Frage aufzunehmen.

Die Gemeinschaft konnte ihre Stärke bei den Verhandlungen mit Russland nachweisen, was am 21. Mai 2004 im Zusammenhang mit den Verhandlungen über den WTO-Beitritt Russlands zu der Zusage der russischen Regierung führte, nichtkommerzielle Elemente des derzeitigen russischen Systems für Sibirienüberflug-Gebühren abzuschaffen, um es bis spätestens 2013 durch ein kostenbezogenes, transparentes und nichtdiskriminierendes System zu ersetzen. Es wurde auch vereinbart, die Modalitäten des schrittweisen Auslaufens der Überfluggebühren in einer Übergangsfrist bis 2013 im Zusammenhang mit Verhandlungen zwischen Russland und der EU über ein umfassendes Luftverkehrsabkommen zu regeln. Damit sind die besten Rahmenbedingungen gegeben, unter denen sich die EU und Russland über weitere Fortschritte einigen können. Eine Abschaffung dieser Gebühren brächte für die EU-Luftfahrtunternehmen erhebliche wirtschaftliche Vorteile mit sich, besonders für die Entwicklung des Verkehrs mit den lukrativen und schnell wachsenden Märkten in Fernost.

Sollten sich weitere Fortschritte in dieser Frage als schwierig erweisen, könnten parallele Maßnahmen, beispielsweise im Rahmen der ICAO und der Anwendung von Artikel 15 des Abkommens von Chicago, verfolgt werden.

Marktintegration verstärken: Flugsicherheit, Luftsicherheit und Umweltstandards

Vor dem Hintergrund der Liberalisierung des russischen Inlandsluftverkehrsmarkts hat sich die russische Regierung interessiert daran gezeigt, einen Dialog mit der EG in Regulierungsangelegenheiten zu führen. Dies könnte in Form einer technischen Unterstützung im Regulierungsbereich auf der Grundlage der von der EG gemachten Erfahrungen mit einem liberalisierten Regulierungsrahmen oder gar der Annäherung des Luftfahrtrechts erfolgen. Ein solches Vorgehen, das zu einer stärkeren Konsistenz und Bestimmtheit bei der Regulierung führt, läge eindeutig im Interesse der Gemeinschaft und derjenigen Teile der Branche, die ihre Tätigkeit in Russland ausweiten wollen und engere wirtschaftliche Bindungen mit russischen Unternehmen suchen.

Die Gewährleistung strikter Vorschriften zur Flugsicherheit und Luftsicherheit wäre von maßgebender Bedeutung und würde sicherstellen, dass die Marktöffnung mit einem angemessenen Niveau an Integration und Konvergenz bei der Regulierung einherginge. Das Abkommen könnte eine enge Zusammenarbeit regeln, mit der sichergestellt wird, dass die höchsten internationalen Standards der Gefahrenabwehr (Luftsicherheit) erfüllt werden, wobei den im Gebiet der Gemeinschaft geltenden Verfahren und Standards und den sich dort vollziehenden Entwicklungen umfassend Rechnung getragen wird. Gemeinsame Mechanismen und Verfahren für die Zusammenarbeit im Bereich der Luftsicherheit könnten im Rahmen des Abkommens ebenfalls ausgearbeitet werden.

Im Rahmen der neuen Luftverkehrsbeziehungen zwischen der EG und der Russischen Föderation, die durch das Abkommen geschaffen würden, könnte (wo nötig) Unterstützung geleistet werden bei der Harmonisierung von Zertifizierungsstandards in Vorbereitung einer engeren Zusammenarbeit zwischen dem Zwischenstaatlichen Luftfahrtausschuss (Межгосударственный авиационный комитет, МАК) und der Europäischen Agentur für Flugsicherheit (EASA). Eine Arbeitsbeziehung zwischen den beiden Einrichtungen wurde im Juli 2004 vereinbart.

Bezüglich Umweltfragen könnte das Abkommen den Rahmen für Konsultationen zwischen der EG und der Russischen Föderation schaffen, um unter anderem die Umsetzung verbesserter Umweltstandards in Russland, namentlich für den Fluglärm, zu erleichtern. Außerdem sollte das Abkommen die Flexibilität der EU bezüglich Maßnahmen wahren, mit denen die Auswirkungen des Luftverkehrs auf die Klimaänderung und andere Umweltprobleme eingedämmt werden.

Industrielle Zusammenarbeit: Nutzung der Stärken und Bedürfnisse der jeweiligen Luft- und Raumfahrtindustrien

Die europäische Luft- und Raumfahrtindustrie hat großes Interesse daran, die Zusammenarbeit mit russischen Partnern und Forschungszentren auszubauen. Eine Vielzahl gemeinsamer Vorhaben, unter anderem in den Bereichen Konstruktion, Herstellung, Ausbildung und Sicherheitszertifizierung, an denen große europäische und russische Unternehmen beteiligt sind, ist bereits angelaufen. Im Jahr 2003 hat Airbus ein Technikzentrum (ECAR – Engineering Centre Airbus in Russland) in Zusammenarbeit mit dem russischen Unternehmen Kaskol eröffnet. Die EU-Industrie ist auch an russischen Projekten zur Entwicklung neuer umweltfreundlicherer Flugzeuge wie der Tu-204 und des Regionalflugzeugs RRJ beteiligt. Das Abkommen könnte einen neuen Rahmen für die Luftfahrtbeziehungen zwischen der Russischen Föderation und der EU schaffen, innerhalb dessen die industrielle Zusammenarbeit gefördert werden könnte. Eine solche Zusammenarbeit würde gemeinsam ermittelte Luftfahrt- und Forschungsprojekte unterstützen, die die derzeit stattfindende Umstrukturierung und Modernisierung der russischen Luftfahrtindustrie begleiten. Dazu könnten Forschungs- und entsprechende Entwicklungsarbeiten zu gemeinsamen Standards (in den Bereichen Flugsicherheit, Luftsicherheit und Umweltstandards), Schulungs- und Ausbildungsprogramme sowie die Unterstützung bei der Modernisierung des russischen Flugverkehrsmanagementssystems und der Flughafeninfrastruktur gehören.

Fazit

In dieser Mitteilung werden die Hintergrundinformationen und Argumente dargelegt, die für ein umfassendes Luftverkehrsabkommen zwischen der Gemeinschaft und der Russischen Föderation sprechen, das den beiden Partnern die Schaffung eines eindeutigen und kohärenten Rahmens für den konstruktiven Ausbau ihrer Luftfahrtbeziehungen in den kommenden Jahren erlauben würde.

Ein solcher Rahmen hätte unter anderem zum Ziel, den Marktzugang beider Seiten zu verbessern, die Einhaltung des Gemeinschaftsrechts zu gewährleisten, die schrittweise Abschaffung der Sibirienüberflug-Gebühren zu verwirklichen, eine angemessene Angleichung des Luftfahrtrechts zu fördern, gemeinsame Mechanismen für die Zusammenarbeit in den Bereichen Luftsicherheit, Flugsicherheit und Umweltstandards zu schaffen und die Zusammenarbeit im industriellen Bereich zu fördern. Es wäre auch mit erheblichen wirtschaftlichen Vorteilen verbunden.

In der derzeitigen Situation, in der jeder Mitgliedstaat für sich und nicht die Gemeinschaft als Ganzes Verkehrsrechte und Zugangsbedingungen mit Drittländern aushandelt, liegt eindeutig ein Handicap vor. Solange die Mitgliedstaaten bilaterale Verhandlungen mit Russland führen, wird es erheblich schwieriger sein, die von der Gemeinschaft angestrebten wesentlichen Vorteile beim Marktzugang und bei der Integration zu erreichen und maßgebliche Chancen für die Zusammenarbeit in den Bereichen Regulierung, Technologie und Industrie zu eröffnen.

[1] KOM(2001) 370.

[2] Artikel 43 des Abkommens eröffnet die Möglichkeit, besondere Verkehrsabkommen mit dem Ziel zu schließen, die Bedingungen des gegenseitigen Marktzugangs und der Erbringung von Dienstleistungen zu verbessern.

[3] Quelle: IATA

[4] Quelle: Europäische Kommission, Daten zum Sitzangebot, 2004.

[5] Quelle: OAG

[6] Quelle: IATA

[7] Deutschland ist Russlands größter Einzelmarkt im internationalen Luftverkehr. Lufthansa, Aeroflot, Pulkovo und Air Sibir bieten wöchentlich jeweils mehr als 100 Hin- und Rückflüge zwischen der Russischen Föderation und Deutschland an.

[8] Quelle: Welttourismusorganisation, „Tourism Highlights 2003“.