52004DC0608

Grünbuch - Beschaffung von verteidigungsgütern /* KOM/2004/0608 endg. */


GRÜNBUCH - Beschaffung von verteidigungsgütern

(von der Kommission vorgelegt)

EINFÜHRUNG

Dieses Grünbuch stellt eine der Maßnahmen dar, die die Europäische Kommission in ihrer am 11. März 2003 verabschiedeten Mitteilung ,in Richtung einer Politik der Europäischen Union im Bereich der Verteidigungsgüter" [1] angekündigt hatte. Durch diese Maßnahmen möchte die Europäische Kommission zum schrittweisen Aufbau eines transparenteren und offeneren europäischen Marktes für Verteidigungsgüter (« European Defence Equipement Market », EDEM) zwischen den Mitgliedstaaten beitragen. Ein solcher Markt würde die wirtschaftliche Effizienz dieses Wirtschaftssektors erhöhen und dabei seine Besonderheiten wahren.

[1] KOM(2003) 113 endg.

Die Entwicklung eines europäischen Marktes ist eines der Schlüsselelemente, um die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Industrien zu stärken, eine bessere Nutzung der Ressourcen im Verteidigungsbereich zu gewährleisten und den Ausbau der militärischen Kapazitäten der Union im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) zu unterstützen.

Der Aufbau der Europäischen Verteidigungsagentur mit Kompetenzen in den Bereichen Fähigkeiten, Forschung, Beschaffung und Rüstung erhöht das Interesse an der Schaffung eines derartigen Marktes.

Die Gründung eines EDEM würde die Umsetzung einer ganzen Reihe komplementärer Maßnahmen erfordern, zu denen auch die Einrichtung eines geeigneten Rechtsrahmens für die Beschaffung von Verteidigungsausrüstung gehört. Eine größere Öffnung der gegenwärtig auf die nationale Ebene begrenzten Verteidigungsmärkte könnte die Geschäftsmöglichkeiten für die europäischen Rüstungsunternehmen einschließlich der KMU erhöhen, ihr Wachstum fördern und zur Stärkung ihrer Wettbewerbsfähigkeit beitragen.

Dieses Grünbuch hat zum Ziel, unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips die auf diesem Gebiet bereits begonnene Debatte [2] fortzusetzen. Zu diesem Zweck hat die Europäische Kommission zwei Arbeitsgruppen aus Vertretern der Mitgliedstaaten und der europäischen Industrie an der Vorbereitung des Grünbuches beteiligt.

[2] Arbeiten der Arbeitsgruppe des Rates ,Europäische Rüstungspolitik" (POLARM), der Westeuropäischen Rüstungsgruppe (WEAG) und des Aufbaustabs für die Schaffung der Europäischen Verteidigungsagentur.

Zunächst werden in einem ersten Teil dieses Grünbuchs anhand einer Situationsbeschreibung der Märkte, ihrer vielseitigen Besonderheiten und der bestehenden Regelungen die Gründe für eine spezifische Maßnahme erläutert. Auf der Grundlage dieser Feststellungen werden in einem zweiten Teil Überlegungen zu den in Betracht zu ziehenden Instrumenten angestellt.

I. GRÜNDE FÜR HANDLUNGSBEDARF IM BEREICH DER BESCHAFFUNG VON VERTEIDIGUNGSGÜTERN

Auf die Verteidigung entfällt ein wichtiger Teil der öffentlichen Ausgaben in der Union: 160 Milliarden Euro für die 25 Mitgliedstaaten; davon wiederum wird ein Fünftel für militärische Ausrüstungen (Beschaffung sowie Forschung und Entwicklung) aufgewendet [3].

[3] Quellen : NATO (Nordatlantikpakt-Organisation) und SIPRI (Stockholm International Peace Research Institute, Stockholmer Friedensforschungsinstitut) 2002.

Die Beschaffungsmärkte für Verteidigungsgüter sind gegenwärtig weitgehend auf die einzelstaatliche Ebene begrenzt (s. Punkt 1.), sie weisen Besonderheiten auf, die sie von den anderen Beschaffungsmärkten unterscheidet (s. Punkt 2.) und basieren auf einem Rechtsrahmen, dessen Anwendung kompliziert ist (s. Punkt 3).

1. Abschottung der Verteidigungsmärkte

Zwar ergeben die Militärausgaben der EU-Mitgliedstaaten zusammengenommen eine beträchtliche Summe, doch bleiben sie weitgehend auf nationale Märkte zersplittert. Daraus ergibt sich heute ein großes Problem für alle rüstungsproduzierenden Mitgliedstaaten. Aufgrund der Haushaltskürzungen und Streitkräftereformen reichen die einzelstaatlichen Märkte - einschließlich der Märkte der großen Staaten - nicht mehr aus, um Produktionsmengen zu erreichen, die eine Amortisierung der hohen Kosten für Forschung und Entwicklung von Waffensystemen ermöglichen. Diese Situation wird noch durch die Zersplitterung der Anstrengungen für Forschung und Entwicklung verschärft; sie impliziert Mehrkosten für die Steuerzahler und beeinträchtigt die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Rüstungsindustrie sowie ihre Fähigkeit, die zur Durchführung der ESVP erforderlichen Mittel bereitzustellen. Angesichts der zunehmenden Dualität moderner Technologien (mit Anwendungsmöglichkeiten im militärischen und zivilen Bereich) ist die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Wirtschaft insgesamt betroffen.

In den letzten zehn Jahren wurden Fortschritte erzielt, vor allem durch die Verstärkung der europäischen Rüstungskooperation und durch eine beginnende Öffnung der nationalen Rüstungsmärkte für den europäischen Wettbewerb. Diese Maßnahmen brachten aber nur bescheidene Ergebnisse und konnten nicht zur Schaffung eines europäischen Verteidigungsmarktes führen. Bei den Kooperationsprogrammen beschränkt die nach wie vor verbreitete Anwendung des juste retour-Prinzips (Prinzip einer angemessenen Rendite) die Öffnung der Märkte im Allgemeinen nur auf die beteiligten Länder und impliziert eine Verteilung der Arbeiten nach Kriterien einer rein nationalen Industriepolitik. Bei nationalen Beschaffungen ist der Anteil der Aufträge, die im Wettbewerbsverfahren vergeben werden. nach wie vor gering. Unabhängig von den verwendeten Verfahren wird immer noch der größte Teil der Aufträge an nationale Lieferanten vergeben.

2. Besonderheiten der Verteidigungsmärkte

Die Besonderheiten der Verteidigungsmärkte ergeben sich bereits aus der besonderen Natur von Militärgütern und der dazugehörigen Dienstleistungen. Diese Besonderheiten sind nicht nur wirtschaftlicher und technologischer Art, sondern hängen auch von der Sicherheits- und Verteidigungspolitik der einzelnen Mitgliedstaaten ab [4]. Die Rüstungsindustrien haben demzufolge strategischen Charakter und unterhalten besondere Beziehungen mit den Staaten.

[4] Siehe Dokument der Arbeitsgruppe POLARM des Rates, Anhang zur Mitteilung KOM(1997) 583 vom 4.12.1997.

2.1 Die maßgebliche Rolle des Staates

Aufgrund der Privatisierungen und der Optimierungsbemühungen in der Beschaffungspolitik der letzten Jahre ist der Einfluss der Staaten zwar zurückgegangen, er ist aber immer noch vorherrschend. Als einzige Kunden bestimmen sie die Produktnachfrage durch ihren militärischen Bedarf, den sie wiederum aus ihren strategischen Zielen herleiten. Somit legen sie die Größe der Märkte fest. Sie beteiligen sich je nach Land in unterschiedlichem Maße an der Finanzierung von Forschung und Entwicklung und beeinflussen auf diese Weise das technologische Know-how und die langfristige Wettbewerbsfähigkeit der Industrien. Als regulierende Stellen kontrollieren sie den Rüstungshandel über Exportlizenzen, die auch für Lieferungen von Ausrüstung innerhalb der Union notwendig sind, und durch die Erteilung von Genehmigungen für die Teilnahme an Ausschreibungen. Die staatliche Kontrolle betrifft zudem, wenn auch weniger ausgeprägt, industrielle Umstrukturierungen, und wird sogar über Kapitalbeteiligungen ausgeübt.

2.2 Anforderungen hinsichtlich Versorgungssicherheit und Vertraulichkeit

Die Anforderungen der Verteidigung setzen voraus, dass Beschaffungsquellen während der gesamten Dauer der Rüstungsprogramme gesichert sind, von der Konzipierung bis zur Außerdienststellung der Ausrüstung, in Friedens- und in Kriegszeiten. Die Staaten können sich demzufolge veranlasst sehen, besondere Liefergarantien zu verlangen. Die Erhaltung einer rein nationalen Industriekapazität für den Verteidigungssektor kann dabei als ein zuverlässiges Instrument erscheinen, um strategischen Interessen und besonders dringlichen Situationen (militärische Operationen) gerecht zu werden.

Die Anforderungen der Verteidigung können für die Staaten auch implizieren, über Ausrüstungen zu verfügen, die die technologische Überlegenheit ihrer Streitkräfte garantieren. Diese Überlegenheit beruht insbesondere auf der Vertraulichkeit der Programme und ihrer technischen Spezifikationen. Aufgrund der Verpflichtung, diese vertraulichen Informationen zu schützen, müssen die Unternehmen über besondere nationale Sicherheitszertifikate zu verfügen.

2.3 Komplexität der Rüstungsbeschaffungsprogramme

Rüstungsprogramme sind komplex. Ihr Produktionsvolumen ist beschränkt, und die besonderen wirtschaftlichen Risiken machen staatliche Unterstützungen erforderlich. Die Ausrüstungen bestehen oftmals aus neuen Systemen, die sowohl militärische als auch zivile Technologien beinhalten. Ihr Lebenszyklus ist lang: der Zeitraum zwischen der Anmeldung des operationellen Bedarfs und dem Lebensende eines Systems kann 50 Jahre erreichen. Das Preis/Leistungs-Verhältnis und das Risikomanagement müssen während des gesamten Zeitraums gewährleistet sein. Die Staaten müssen somit während des gesamten Lebenszyklus eines Systems Zugang zu adäquaten industriellen und technologischen Kapazitäten haben und dauerhafte, zuverlässige Beziehungen zu den Lieferanten unterhalten.

Außerdem ist die Beschaffung von standardisierten Rüstungsgütern [5] oftmals Gegenstand von Kompensationsgeschäften. Diese Offsets erlauben es dem Einkaufsland, eine Gegenleistung zu verlangen, die 100 % des Vertragswertes übersteigen kann. Dieser Rückfluss kann direkt sein, durch Aufträge für die nationalen Rüstungsunternehmen oder Transfers von Know-how und Technologie im Zusammenhang mit dem Ursprungsvertrag. Er kann auch indirekt sein und anderen als den vom entsprechenden Vertrag betroffenen Industriebereichen, auch nichtmilitärischen Sektoren, zugute kommen.

[5] Gebrauchsfertige Rüstungsgüter, deren Entwicklung abgeschlossen ist und die zum Verkauf stehen.

3. Grenzen des bestehenden Rechtsrahmens

3.1 Die gemeinschaftliche Ausnahmeregelung

Die Besonderheiten des Verteidigungssektors sind seit der Gründung der Gemeinschaft durch die Ausnahmeregelung des Artikels 296 EG-Vertrag anerkannt. In Absatz 1 dieses Artikels heißt es:

,a. Ein Mitgliedstaat ist nicht verpflichtet, Auskünfte zu erteilen, deren Preisgabe seines Erachtens seinen wesentlichen Sicherheitsinteressen widerspricht;

b. jeder Mitgliedstaat kann die Maßnahmen ergreifen, die seines Erachtens für die Wahrung seiner wesentlichen Sicherheitsinteressen erforderlich sind, soweit sie die Erzeugung von Waffen, Munition oder Kriegsmaterial oder den Handel damit betreffen; diese Maßnahmen dürfen auf dem Gemeinsamen Markt die Wettbewerbsbedingungen hinsichtlich der nicht eigens für militärische Zwecke bestimmten Waren nicht beeinträchtigen." [6]

[6] Gemäß Absatz 2 dieses Artikels wurde 1958 vom Rat eine Liste von Waren verabschiedet, auf die die Bestimmungen des Absatzes 1 Anwendung finden.

Aufgrund ihrer allgemeinen Tragweite kann diese Bestimmung auch im Bereich des öffentlichen Auftragswesens Anwendung finden.

Gemäß Artikel 10 der neuen Richtlinie 2004/18/EG gelten die gemeinschaftlichen Regelungen auf dem Gebiet des öffentlichen Auftragswesens, vorbehaltlich des Artikels 296 EG-Vertrag des Vertrages für die Vergabe öffentlicher Aufträge im Verteidigungsbereich. Daher gelten die gemeinschaftlichen Regelungen im Prinzip auch für den Verteidigungsbereich. Gleichwohl haben die Mitgliedstaaten die Möglichkeit, in den dafür vorgesehenen Fällen und unter den speziell hierfür festgelegten Bedingungen von diesen Bestimmungen abzuweichen. Die Ausnahmeregelung des Artikels 296 EG-Vertrag kann keinesfalls für zivile Güter oder für Güter, die nicht für spezifisch militärische Zwecke bestimmt sind, in Anspruch genommen werden, selbst wenn sie von den nationalen Verteidigungsministerien beschafft wurden.

Die Rechtsprechung des Gerichtshofs schränkt die Bedingungen für die Inanspruchnahme dieser Ausnahmen restriktiv ein, indem festgestellt wird [7]:

[7] Unter anderem in dem Urteil Johnston, Rechtssache 222/84, und in dem Urteil Kommission gegen Spanien, Rechtssache C-414/97. Letzteres ist zwar in Bezug auf die Umsatzsteuer ergangen, aber im Bereich des öffentlichen Auftragwesens anwendbar.

- Ihre Inanspruchnahme stellt keinen allgemeinen und automatischen Vorbehalt dar, sondern muss fallweise begründet werden. Die Länder haben somit die Möglichkeit, Informationen, die ihre Sicherheit infrage stellen würden, geheim zu halten und die Option, eine Ausnahme von den Binnenmarktvorschriften im Bereich des Rüstungshandels geltend zu machen. Darüber hinaus sind sie verpflichtet, jeden Vertrag dahingehend zu prüfen, ob er von der Ausnahmeregelung betroffen ist oder nicht.

- Die Inanspruchnahme nationaler Ausnahmeregelungen ist nur dann gerechtfertigt, wenn diese notwendig sind, um das Ziel, nämlich den Schutz von geltend gemachten wesentlichen Sicherheitsinteressen, zu erreichen.

- Die Beweislast obliegt dem Mitgliedstaat, der sich auf die Ausnahmeregelung beruft.

- Dieser Beweis ist, wenn notwendig, vor den nationalen Gerichten oder gegebenenfalls vor dem Gerichtshof, zu erbringen, der von der Kommission in ihrer Funktion als Hüterin der Verträge angerufen werden kann.

Im Allgemeinen können somit die Mitgliedstaaten von den Bestimmungen des Vertrages und den Gemeinschaftsrichtlinien abweichen, allerdings nur unter den genau festgelegten Bedingungen. Gleichwohl ergeben sich bei der Anwendung zahlreiche Schwierigkeiten:

- Da eine genaue Interpretation dieser Bestimmungen fehlt, wird bei öffentlichen Aufträgen fast systematisch von dieser Ausnahmeregelung Gebrauch gemacht. Trotz der Klarstellungen des Gerichtshofes lässt die geringe Anzahl von Veröffentlichungen im Amtsblatt der Europäischen Union vermuten, dass bestimmte Mitgliedstaaten davon ausgehen, von der Ausnahme automatisch Gebrauch machen zu können;

- da der Begriff des wesentlichen Sicherheitsinteresses weder im Gemeinschaftsrecht noch in der Rechtsprechung des Gerichtshofes definiert ist, behalten sich die Staaten in der Praxis einen großen Ermessensspielraum vor, wenn sie festlegen, welche Aufträge diese Sicherheitsinteressen berühren könnten.

- Die Liste von 1958 [8] ist keine geeignete Bezugsbasis für die Einschränkung des Anwendungsbereichs des Artikels 296 EG-Vertrag, da sie weder jemals offiziell veröffentlicht noch aktualisiert wurde.

[8] Siehe Fußnote Nr.6.

Es ist daher festzuhalten, dass die Verteidigungsmärkte noch in starkem Maße den rein einzelstaatlichen Gesetzgebungen unterliegen.

3.2 Nicht homogene einzelstaatliche Gesetzgebungen

Für die Beschaffung von Verteidigungsgütern sehen die meisten nationalen Vorschriften Ausnahmen von den für das öffentliche Auftragswesen geltenden Regeln vor, die mehr oder weniger transparent sind. Dies stellt ausländische Lieferanten vor potenzielle Schwierigkeiten.

* Die Veröffentlichung der Ausschreibungen, sofern vorgesehen, erfolgt in speziellen nationalen Anzeigern, deren Inhalt, Erscheinungshäufigkeit und Verbreitungsart von Land zu Land unterschiedlich sind.

* Die einzelstaatlichen Gesetze sehen zahlreiche Möglichkeiten der Nichtveröffentlichung vor, die ebenfalls je nach Land differieren.

* Die technischen Spezifikationen sind oft sehr detailliert und beruhen auf nicht homogenen Normen.

* Die Auswahlkriterien für die Lieferanten beinhalten in einigen Ländern die Fähigkeit, Kompensationsgeschäfte anzubieten und - in den meisten Staaten - die Vertraulichkeit und Versorgungssicherheit. Diese wiederum sind nicht eindeutig definiert, und ihre Bewertung erfolgt nach unterschiedlichen Erfordernissen, manchmal mit Bezug auf die Herkunft der Güter oder die Nationalität der Lieferanten.

* Die Ausschreibung erfolgt im Wesentlichen im Wege von Verhandlungsverfahren, die nicht alle nach denselben Modalitäten ablaufen, vor allem was den Verhandlungsspielraum und die Möglichkeit von Änderungen des Vertragsgegenstandes angeht.

* Die Auftragsvergabe erfolgt vornehmlich nach dem Kriterium des wirtschaftlich günstigsten Angebots. Gleichwohl werden in einigen Ländern auch in diesem Stadium noch einmal die Versorgungssicherheit und Kompensationsgeschäfte berücksichtigt.

Diese Hindernisse führten dazu, dass sich einige Staaten im Rahmen einer zwischenstaatlichen Vereinbarung der WEAG [9] politisch verpflichteten, den Inhalt und die Modalitäten der Veröffentlichung ihrer nationalen Amtsblätter zu harmonisieren und offenere Ausschreibungsregeln zu befolgen. Dieses System beruht auf einschlägigen Grundsätzen, hat aber wegen seines rechtlich nicht bindenden Charakters nur eingeschränkte Ergebnisse erbracht, sowohl im Hinblick auf die Transparenz als auch auf den Wettbewerb.

[9] Die 16 Mitgliedsländer, darunter 14 Mitgliedstaaten der Union (BE, DK, DE, EL, ES, FR, IT, LU, NL, PT, UK, AT, FI, SE), haben 1990 Leitlinien für Ausschreibungen verabschiedet, die im Jahr 1999 aktualisiert wurden.

3.3 Besondere Regelungen für Kooperationsprogramme

Neben nationalen Bestimmungen gibt es spezielle Ad-hoc-Regeln für Beschaffungen bei Rüstungskooperationsprogrammen, die in zwischenstaatlichen Vereinbarungen festgelegt sind [10]. Aufgrund der hohen Investitionen, die die beteiligten Länder im Rahmen derartiger Programme tätigen, erfolgt die Auftragsvergabe im Allgemeinen auf der Grundlage des juste retour-Prinzips.

[10] Diese Aufträge werden im Allgemeinen von Ad-hoc-Stellen oder NATO-Stellen vergeben, die im Auftrag der Staaten handeln, die sich an den entsprechenden Programmen beteiligen.

Um die durch diese Praxis hervorgerufenen hohen Kosten zu senken, wurde 1996 die transnationale Agentur OCCAR [11] eingerichtet, die im Jahr 2000 eine eigene Rechtspersönlichkeit erhielt. Ihr Vertragssystem ist wettbewerbsfähiger und sieht vor, das juste retour-Prinzip nicht mehr auf jedes einzelne Programm anzuwenden, sondern global über mehrere Jahre und auf mehrere Programme. Diese flexiblere Anwendung des juste retour-Prinzips hängt jedoch von der Anzahl neuer Programme ab, mit denen die Organisation betraut wird.

[11] Organisation für die Rüstungszusammenarbeit; unter bestimmten Voraussetzungen offen für alle Mitgliedstaaten, heute sind nur fünf Staaten beteiligt (DE, BE, FR, IT, UK).

Da diese Versuche keine zufrieden stellenden Ergebnisse brachten, haben die Mitgliedstaaten kürzlich eine Europäische Verteidigungsagentur eingerichtet, die innerhalb des institutionellen Rahmens der Europäischen Union dem Rat untersteht. Diese Agentur hat unter anderem die Aufgabe, in Beratung mit der Kommission zur Schaffung eines wettbewerbsfähigen europäischen Verteidigungsmarktes beizutragen [12].

[12] Gemeinsame Maßnahme zur Schaffung einer Europäischen Verteidigungsagentur (EDA), die am 12. Juli 2004 vom Rat verabschiedet wurde.

II. ÜBERLEGUNGEN ZUR FESTLEGUNG VON MAßNAHMEN AUF EUROPÄISCHER EBENE

Die bisherigen Ausführungen zur Lage des öffentlichen Auftragswesens für Verteidigungsgüter zeigen, dass zahlreiche Hindernisse die Zugangsmöglichkeiten der europäischen Industrien zu den Märkten der Mitgliedstaaten und damit ihre Wachstumschancen beschränken.

Die Kommission möchte daher die Diskussion über die Zweckmäßigkeit einer Gemeinschaftsinitiative für die Beschaffung von Verteidigungsgütern fortsetzen. Im derzeitigen Stadium ihrer Überlegungen hat die Kommission zwei mögliche Instrumente identifiziert. Das erste beschränkt sich darauf, den bestehenden Rechtsrahmen zu erläutern

(s. Ziff. 1), das zweite zielt darauf ab, spezifische Regeln im Bereich der Verteidigung aufzustellen, die den Besonderheiten dieses Sektors Rechnung tragen (s. Ziff. 2).

Beide Instrumente würden ergänzende Initiativen der Mitgliedstaaten in den entsprechenden Foren nicht präjudizieren. Sie könnten in der Tat allein keine erschöpfenden Antworten auf alle Aspekte geben, die im Zusammenhang mit den Besonderheiten der Verteidigungsmärkte relevant sind. Dies gilt vor allem für die Versorgungssicherheit, deren begrifflicher Inhalt sich mit der wachsenden Konvergenz der nationalen Sicherheitsinteressen im Rahmen der europäischen Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik weiterentwickeln sollte. Die schrittweise Entwicklung eines gemeinsamen Ansatzes auf diesem Gebiet könnte die Anwendung der Gemeinschaftsinstrumente erleichtern. In gleicher Weise könnten diese Gemeinschaftsinstrumente wiederum zur erfolgreichen Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten beitragen.

1. Den bestehenden gemeinschaftlichen Rechtsrahmen besser erläutern

Die Erläuterung des Rechtsrahmens könnte mittels eines nichtlegislativen Instrumentes erfolgen, beispielsweise einer Mitteilung der Kommission zu Auslegungsfragen. Darin würden die bestehenden Gemeinschaftsvorschriften näher erläutert, um ihre Anwendung durch die zuständigen Behörden zu erleichtern und sie für die betroffenen Wirtschaftsteilnehmer verständlicher zu machen. Eine Mitteilung zu Auslegungsfragen könnte relativ kurzfristig angenommen werden, könnte sich aber nur auf das bestehende Recht beziehen.

Die Kommission würde die vom Gerichtshof dargelegten Prinzipien über die Auslegung des Artikels 296 EG-Vertrag näher erläutern, und sich dabei vor allem auf ihre Umsetzung im Bereich des öffentlichen Auftragswesens konzentrieren, um in der Praxis die Abgrenzung zwischen den Aufträgen, die unter die Ausnahmeregeln fallen, und jenen Aufträgen, die nicht darunter fallen, zu erleichtern. Auf letztere würden weiterhin die Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts - die ,Beschaffungsrichtlinien" - Anwendung finden.

Die Mitteilung wäre als solche rechtlich nicht bindend, würde aber rechtlich bindende Prinzipien und Bestimmungen erläutern. Aus diesem Grund wäre die Kommission gezwungen, sich bei der Ausübung ihrer Funktion als Hüterin der Verträge an diese Auslegung zu halten. Die Kommission müsste auch alle operationellen Konsequenzen tragen, die sich aus der Annahme einer solchen Erläuterung des bestehenden Rechts ergeben.

Fragen

1. Glauben Sie, dass es nützlich/notwendig/ausreichend ist, den derzeitigen Rechtsrahmen gemäß den dargelegten Modalitäten zu erläutern?

2. Gibt es andere Aspekte des einschlägigen Gemeinschaftsrechts, die einer Erläuterung bedürfen?

2. Den gemeinschaftlichen Rechtsrahmen durch ein spezifisches Instrument ergänzen

2.1 Ziele

Der gemeinschaftliche Rechtsrahmen könnte durch ein neues Legislativinstrument ergänzt werden, das speziell auf Verteidigungsaufträge (Liefer-, Dienstleistungs- und Bauaufträge) zugeschnitten ist, wie z. B. eine Richtlinie zur Koordinierung der Verfahren zur Auftragsvergabe in diesem Bereich [13]. Eine solche Richtlinie würde einen besonderen Rechtsrahmen schaffen, der bei Verträgen Anwendung findet, die ratione materiae in den Anwendungsbereich des Artikels 296 EG-Vertrag fallen, aber für die die Inanspruchnahme der Ausnahmeregelung nicht gerechtfertigt ist (die Voraussetzungen sind in der Rechtsprechung des Gerichtshofes festgelegt). Sie würde Anwendung finden auf Verteidigungsaufträge, die derzeit in den Anwendungsbereich der bestehenden Richtlinien fallen, würde aber Bestimmungen enthalten, die erlauben, die Besonderheiten dieser Aufträge berücksichtigen.

[13] Die Vorgehensweise wäre analog zur der von 1990, bei der die Besonderheiten der Auftragsvergabe in den Bereichen Wasser, Energie und Verkehr berücksichtigt wurden, und die in die Richtlinie 93/38 mündete (geändert durch die Richtlinie 2004/17/EG vom 31. März 2004).

Sie würde drei Hauptziele verfolgen:

- Eine höhere Rechtssicherheit, da sie eine bessere Einteilung der Verträge ermöglicht: (a) von den klassischen Richtlinien abgedeckt ; (b) von der neuen Richtlinie selbst abgedeckt; und (c) von allen gemeinschaftlichen Rahmenvorschriften ausgeschlossen,

- eine umfangreichere Information auf Gemeinschaftsebene über die betreffenden Verträge und davon ausgehend eine stärkere Öffnung der Märkte, die es den europäischen Rüstungsunternehmen ermöglichen würde, sich gleichberechtigt an den Ausschreibungen in allen Mitgliedstaaten zu beteiligen;

- Einführung der notwendigen Flexibilität bei der Auftragsvergabe durch die Schaffung eines Regelwerks, das den Besonderheiten der betreffenden Aufträge Rechnung trägt.

Ein derartiges Instrument könnte auch als Referenz dienen, wenn ein Mitgliedstaat nicht von der Ausnahmeregelung des Artikels 296 EG-Vertrag Gebrauch machen will, obwohl er sie in Anspruch nehmen könnte.

2.2 Inhalt

* Der Anwendungsbereich könnte anhand einer allgemeinen Definition der Kategorie der entsprechenden Militärgüter und/oder einer Liste bestimmt werden. Dabei könnte auf die Liste von 1958 oder auf eine andere genauere und aktualisierte Liste zurückgegriffen werden, wie etwa die des Verhaltenskodex für Rüstungsexporte [14].

[14] Anlage der Erklärung des Rats vom 5. Juni 1998 (8675/2/98, GASP) zur Schaffung eines Mechanismus zur Transparenz der Rüstungsexportpolitik.

* Nach dem Vorbild der in den anderen Bereichen bestehenden Richtlinien würde festgelegt, dass die Richtlinie die Möglichkeit der Inanspruchnahme des Artikels 296 EG-Vertrag unter den vom Gerichtshof festgelegten Voraussetzungen unberührt lässt. Außerdem würde sie die Fälle präzisieren, in denen die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Ausnahmeregelung eindeutig und zweifelsfrei erfuellt sind (wie zum Beispiel bei nuklearem Material).

* Auftraggeber wären die Verteidigungsministerien und die Stellen, die in ihrem Auftrag handeln sowie die anderen Ministerien, die Militärgüter beschaffen. Inwieweit die Richtlinie auf andere Einrichtungen, wie die neue Verteidigungsagentur, Anwendung findet, müsste noch im Rahmen der entsprechenden Gremien präzisiert werden.

* Die Anwendung der Richtlinie ließe die Ausnahmeregelungen unberührt, die die Mitgliedstaaten im Rahmen der Abkommen der WTO und des Beschaffungsübereinkommens in Anspruch nehmen können.

* Die Verfahren müssten die Einhaltung der Prinzipien der Transparenz und Nichtdiskriminierung unter Berücksichtigung der Besonderheiten dieser Aufträge garantieren. Der Rückgriff auf das Verhandlungsverfahren mit vorheriger Bekanntmachung einer Ausschreibung sollte generell erlaubt sein. Der Rückgriff auf das Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung könnte in noch zu definierenden Fällen, auf der Grundlage der in den bestehenden Richtlinien vorgesehenen Ausnahmen, und, gegebenenfalls in anderen Fällen, die von nationalen Gesetzen beeinflusst werden, in Betracht gezogen werden.

* Die Bekanntmachung könnte mittels eines zentralen Systems auf Gemeinschaftsebene in einem vereinheitlichten Mitteilungsblatt erfolgen. Der Auftragsgegenstand könnte anhand technischer Leistungsparameter beschrieben werden, um eine potenzielle Diskriminierung der Lieferanten zu vermeiden.

* Die Auswahlkriterien sollten die Nichtdiskriminierung und Gleichbehandlung der Unternehmen garantieren und die Besonderheiten der Verteidigungsaufträge, wie Vertraulichkeit und Versorgungssicherheit, berücksichtigen. Sie müssten auch die Ermächtigungen gemäß den Vorschriften zum Schutz des Verteidigungsgeheimnisses berücksichtigen.

* Die Auftragsvergabe würde nach festgelegten Kriterien erfolgen. Dies würde eine Diskussion über die schrittweise Abschaffung von Praktiken, wie den direkten und indirekten Kompensationsgeschäften implizieren.

Fragen

3. Erscheinen Ihnen die Bestimmungen der bestehenden Richtlinien den Besonderheiten der Verteidigungsaufträge angemessen/nicht angemessen? Erläutern Sie warum.

4. Wäre eine spezifische Richtlinie sinnvoll/notwendig, um einen europäischen Markt für Verteidigungsgüter zu schaffen und die rüstungsindustrielle und -technologische Basis Europas zu stärken ?

5. Sollte die mögliche Richtlinie auch auf Beschaffungen anderer Einrichtungen, wie beispielsweise die Europäische Verteidigungsagentur, Anwendung finden?

6. Verfahren: Erscheint Ihnen das Verhandlungsverfahren mit vorheriger Bekanntmachung den Besonderheiten der Verteidigungssaufträge angemessen? In welchen Fällen sollte der Rückgriff auf Verhandlungsverfahren ohne Bekanntmachung möglich sein?

7. Anwendungsbereich: Wie könnte der Anwendungsbereich am besten definiert werden? Eine allgemeine Definition, und wenn ja, welche? Eine neue Liste und wenn ja, welche? Eine Kombination aus Definition und Liste?

8. Ausnahmen: Wäre es Ihrer Meinung nach sinnvoll/notwendig, eine Kategorie von Gütern zu definieren, die nicht unter die Richtlinie fallen?

9. Veröffentlichung: Erscheint Ihnen ein zentrales Bekanntmachungssystem geeignet und wenn ja, unter welchen Modalitäten?

10. Auswahlkriterien: Welche Kriterien sollten Ihrer Meinung nach neben den in den aktuellen Richtlinien vorgesehenen Kriterien berücksichtigt werden, um den Besonderheiten des Verteidigungsbereichs Rechnung zu tragen? Die Vertraulichkeit, die Versorgungssicherheit,etc.? Wie sollen diese definiert werden?

11. Wie sollte Ihrer Meinung nach die Praxis der Kompensationsgeschäfte behandelt werden?

KONSULTATIONSMODALITÄTEN

Dieses Grünbuch eröffnet eine offizielle Konsultation, die sich über 4 Monate ab dem Datum der Veröffentlichung erstreckt. Sie wird von der Kommission, Generaldirektion Binnenmarkt durchgeführt.

Grünbuch

Konsultationsprozess

Ende der Konsultation : 4 Monate nach dem Datum der Veröffentlichung des Grünbuches

Die interessierten Parteien werden gebeten, ihre Antworten, Anmerkungen und Vorschläge an folgende Anschrift zu übermitteln:

C/o Europäische Kommission, GD Binnenmarkt

Konsultation ,Grünbuch über die Beschaffung von Verteidigungsgütern"

Av. de Cortenbergh/Kortenberglaan 100 (1/100)

B-1049 Brüssel

oder per E-Mail an

(MARKT-D2-DPP@cec.eu.int)

Das Grünbuch ist auch auf folgender Website abrufbar :

http://europa.eu.int/comm/internal_market/consultations

Anmerkung: Jeder Beitrag kann veröffentlicht werden, sofern nicht ausdrücklich um vertrauliche Behandlung gebeten wird..