52002DC0280

Bericht der Kommission über den Stand der Arbeiten im Bereich der Leitlinien für staatliche Beihilfen im Rahmen der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse /* KOM/2002/0280 endg. */


BERICHT DER KOMMISSION über den Stand der Arbeiten im Bereich der Leitlinien für staatliche Beihilfen im Rahmen der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse

A. Einleitung

1. Auf Ersuchen des Europäischen Rates vom 7., 8. und 9. Dezember 2000 in Nizza unterbreitete die Kommission dem Europäischen Rat in Laeken am 14. und 15. Dezember 2001 einen Bericht über die Leistungen der Daseinsvorsorge (KOM(2001)598 endg.). In diesem Bericht weist die Kommission u.a. darauf hin, dass sie zur Verbesserung der Rechtssicherheit im Bereich der Vergütungen für öffentliche Dienstleistungen beabsichtigt, "in enger Abstimmung mit den Mitgliedstaaten, im Laufe des Jahres 2002 einen gemeinschaftsrechtlichen Rahmen für staatliche Beihilfen für mit der Erbringung von Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse beauftragte Unternehmen zu schaffen. Durch einen solchen rechtlichen Rahmen werden die Mitgliedstaaten und Unternehmen über die Bedingungen informiert, unter denen staatliche Beihilfen, die als Ausgleich dafür gewährt werden, dass Verpflichtungen zur Erbringung öffentlicher Dienstleistungen auferlegt werden, von der Kommission genehmigt werden können. Insbesondere könnte man in einem solchen Rahmen die Bedingungen für die Genehmigung staatlicher Beihilfensysteme durch die Kommission festlegen, so dass die Verpflichtung zur Unterrichtung für Einzelbeihilfen abgemildert wird. In einem zweiten Schritt wird die Kommission die Erfahrung mit der Anwendung dieses rechtlichen Rahmens prüfen, und, falls und soweit dies gerechtfertigt ist, wird sie eine Verordnung erlassen, mit der bestimmte Beihilfen im Bereich der Leistungen der Daseinsvorsorge von der Verpflichtung zur vorherigen Unterrichtung ausgenommen werden."

2. Der Europäische Rat, der am 15. und 16. März 2002 in Barcelona stattfand, forderte die Kommission insbesondere auf, "ihm auf seiner Tagung in Sevilla über den Stand der Arbeiten betreffend die Leitlinien für staatliche Beihilfen zu berichten und erforderlichenfalls eine Gruppenfreistellungsverordnung in diesem Bereich vorzuschlagen."

Der vorliegende Bericht ist eine Antwort auf dieses Ersuchen.

B. Rechtscharakter der Vergütungen für öffentliche Dienstleistungen

3. Die Kommission hat lange die Auffassung vertreten, dass die aus staatlichen Mitteln finanzierte Unterstützung der mit Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse (DAWI) beauftragten Unternehmen keine staatliche Beihilfe im Sinne des Artikels 87 Absatz 1 EG-Vertrag darstellt, wenn durch eine derartige Unterstützung lediglich zusätzliche Lasten ausgeglichen werden, die vom Staat aus Gründen der Daseinsvorsorge auferlegt werden [1].

[1] Wie die Kommission in ihren Mitteilungen über die Leistungen der Daseinsvorsorge in Europa im Jahre 1996 (ABl. C 281 vom 26.9.1996) und 2000 (ABl. C 17 vom 19.1.2001) erklärt hat, können nur öffentliche Unterstützungen zugunsten von Dienstleistungen, bei denen es sich um Wirtschaftstätigkeiten handelt und der Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigt werden kann, staatliche Beihilfen im Sinne des Artikels 87 EG-Vertrag darstellen.

4. In seinen Urteilen FFSA vom 27. Februar 1997 [2] und SIC vom 10. Mai 2002 [3] vertrat das Gericht erster Instanz (GEI) folgende Auffassung: "Der Umstand, dass die staatlichen Stellen einem Unternehmen einen finanziellen Vorteil gewähren, um die Kosten aufgrund der von diesem Unternehmen angeblich übernommenen gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen auszugleichen, hat keine Auswirkung auf die Qualifizierung dieser Maßnahme als Beihilfe im Sinne des Artikels 87 Absatz 1 EG-Vertrag, auch wenn dies bei der Prüfung der Vereinbarkeit der betreffenden Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt gemäß Artikel 86 Absatz 2 EG-Vertrag berücksichtigt werden kann."

[2] Rechtssache T-106/95, Slg. 1997, S. II-0229.

[3] Rechtssache T-46/97, Slg. 2000, S. II-2125.

5. Das GEI erklärt aber auch, dass Artikel 86 Absatz 2 für mit DAWI beauftragte Unternehmen eine Ausnahme vorsieht: "Daher fällt die Zahlung einer staatlichen Beihilfe dann nicht unter das Verbot des Artikels 87 des Vertrages, wenn die betreffende Beihilfe nur die Mehrkosten ausgleichen soll, die dem mit einer Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse betrauten Unternehmen durch die Erfuellung der ihm übertragenen besonderen Aufgabe entstehen, und wenn die Gewährung der Beihilfe erforderlich ist, um diesem Unternehmen die Erfuellung seiner Verpflichtungen als öffentlicher Dienstleistungserbringer unter wirtschaftlich tragbaren Bedingungen zu ermöglichen."

6. Am 25. März 1998 wies der Gerichtshof das gegen das Urteil des GEI vom 27. Februar 1987 in der Rechtssache FFSA eingelegte Rechtsmittel zurück. Außerdem erklärte er in seinem Urteil CELF vom 22. Juni 2000 [4], dass es Artikel 86 Absatz 2 EG-Vertrag nicht zulässt, von der Anwendung des Artikels 88 Absatz 3 abzuweichen, der die vorherige Anmeldung vorsieht und eine aufschiebende Wirkung auf die Zahlung der Beihilfe hat.

[4] Rechtssache C-332/98.

7. Am 22. November 2001 erließ der Gerichtshof sein Urteil in der Rechtssache Ferring [5] über den Großhandelsvertrieb von Arzneimitteln in Frankreich. In diesem Urteil erklärte er, dass im Falle einer Steuerbefreiung zugunsten von mit DAWI betrauten Unternehmen, durch die lediglich die Mehrkosten der öffentlichen Dienstleistung ausgeglichen wird, die begünstigten Unternehmen keinen Vorteil im Sinne des Artikels 87 Absatz 1 erhalten und die betreffende Maßnahme demnach keine staatliche Beihilfe darstellt.

[5] Rechtssache C-53/00.

Denn durch die öffentlichen Dienstleistungsverpflichtungen können Mehrkosten entstehen, die Konkurrenten nicht haben, und durch die Ausgleichszahlung wird das begünstigte Unternehmen in dieselbe Lage wie seine Konkurrenten versetzt. Übersteigt aber die Steuerbefreiung den für die Erfuellung des öffentlichen Dienstleistungsauftrags notwendigen Betrag, so liegt eine staatliche Beihilfe vor. Die Kommission hat ihre Entscheidungspraxis auf diese neue Rechtsprechung des Gerichtshofs abgestellt.

8. Am 19. März 2002 stellte Generalanwalt LEGER in der Rechtssache Altmark Trans seine Schlussanträge [6]. Gegenstand dieser Rechtssache sind die Bedingungen, unter denen ein Mitgliedstaat Unternehmen, die einen regionalen Personenverkehrsdienst betreiben, Zuschüsse gewähren dürfen. In seinen Schlussanträgen schlägt der Generalanwalt dem Gerichtshof vor, sein Urteil Ferring vom 22. November 2001 umzustoßen und sich der Rechtsprechung des GEI in den Rechtssachen FFSA und SIC anzuschließen, für das Abgeltungen für öffentliche Dienstleistungen staatliche Beihilfen sind.

[6] Rechtssache C-280/00.

9. Am 30. April 2002 stellte Generalanwalt JACOBS seine Schlussanträge in der Rechtssache GEMO SA [7], in der es um einen öffentlichen Dienst der Sammlung und Verwertung von Tierkörpern und gefährlichen Schlachtabfällen geht. Der Generalanwalt schlägt vor, zwischen zwei Fallkategorien zu unterscheiden, die sich nach der Art des Zusammenhangs zwischen der gewährten Finanzierung und den auferlegten Gemeinwohlverpflichtungen und danach richtet, wie klar diese Verpflichtungen definiert sind. In den Fällen, in denen der Zusammenhang zwischen der vom Mitgliedstaat gewährten Finanzierung und der auferlegten klar definierten Gemeinwohlverpflichtung unmittelbar und offensichtlich ist, gilt - wie im Urteil Ferring - der Ausgleichsansatz. Das deutlichste Beispiel für einen solchen Zusammenhang sind Verträge über die Erbringung öffentlicher Dienstleistungen, die nach Durchführung eines offenen, transparenten und nicht diskriminierenden Vergabeverfahrens geschlossen werden. In den Fällen aber, in denen der Zusammenhang zwischen der staatlichen Finanzierung und den auferlegten Gemeinwohlverpflichtungen entweder nicht unmittelbar oder nicht offensichtlich oder die Verpflichtung nicht klar definiert ist, würde der Beihilfenansatz gelten.

[7] Rechtssache C-126/01.

10. Der Bericht der Kommission für den Europäischen Rat in Laeken wurde auf der Grundlage der Rechtsprechung erstellt, wonach Ausgleichszahlungen staatliche Beihilfen darstellen. Den letzten Entwicklungen zufolge gibt es aber noch keine konstante Rechtsprechung und sind die Urteile in den beiden Rechtssachen Altmark und GEMO abzuwarten, bevor in einem gemeinschaftlichen Rechtsrahmen eine endgültige Position bezogen werden kann.

C. Auswirkung der Fortentwicklung der Rechtsprechung auf die weiteren Arbeiten der Kommission im Bereich der Abgeltung öffentlicher Dienstleistungen

11. Falls der Gerichtshof in den kommenden Urteilen seine Rechtsprechung in der Rechtssache Ferring nicht bestätigt, sondern die Auffassung vertritt, dass Ausgleichszahlungen für öffentliche Dienstleistungen staatliche Beihilfen sind, so kann die Kommission die in ihrem Bericht für den Europäischen Rat in Laeken vorgeschlagenen beiden Verfahrensschritte fortsetzen, nämlich in einem ersten Schritt einen gemeinschaftlichen Rechtsrahmen erstellen und in einem zweiten Schritt, aufgrund der Erfahrung mit der Anwendung dieses Gemeinschaftsrahmens gegebenenfalls eine Verordnung erlassen, mit der bestimmte Beihilfen im Bereich der Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse von der Verpflichtung zur vorherigen Anmeldung ausgenommen werden.

12. Falls der Gerichtshof in seinen kommenden Urteilen seine Rechtsprechung in der Rechtssache Ferring bestätigt, werden die Ausgleichszahlungen für öffentliche Dienstleistungen als Maßnahmen angesehen werden müssen, die keine staatlichen Beihilfen im Sinne des Artikels 87 Absatz 1 EG-Vertrag darstellen, soweit sie den für eine ordnungsgemäße Erbringung der DAWI notwendigen Betrag nicht überschreiten. In diesem Falle unterliegen die Ausgleichszahlungen nicht der Verpflichtung zur vorherigen Anmeldung nach Artikel 88 Absatz 3 EG-Vertrag.

13. Allerdings hat der Gerichtshof in seinem Urteil in der Rechtssache Ferring erklärt, dass der Betrag, der über die für die Erbringung der öffentlichen Dienstleistung notwendige Abgeltung hinausgeht, eine staatliche Beihilfe darstellt, die nicht aufgrund von Artikel 86 Absatz 2 EG-Vertrag genehmigt werden kann. Ob eine derartige Beihilfe gegebenenfalls mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar ist, müsste die Kommission nach den allgemeinen Gemeinschaftsvorschriften über staatliche Beihilfen prüfen.

14. Daher vertritt die Kommission die Auffassung, dass es nützlich wäre, auch wenn sich die Rechtsprechung in der Rechtssache Ferring bestätigt, über ein Dokument zu verfügen, dessen Rechtsform zu gegebener Zeit festgelegt werden müsste, um die Rechtssicherheit zu erhöhen, insbesondere was die Berechnung des finanziellen Ausgleichs und die Wahl der mit DAWI betrauten Unternehmen betrifft.

15. Die Rechtsdiskussion über die Einstufung der Ausgleichszahlungen für öffentliche Dienstleistungen nach Artikel 87 EG-Vertrag hat keinerlei Auswirkungen auf das reibungslose Funktionieren der DAWI. Falls nämlich die Rechtsprechung der Rechtssache Ferring bestätigt wird, stellt die korrekt berechnete Ausgleichszahlung keine staatliche Beihilfe dar. Wird die Rechtsprechung in der Rechtssache Ferring nicht bestätigt, so stellt die korrekt berechnete Ausgleichszahlung eine staatliche Beihilfe dar, die aber in Anwendung des Artikels 86 Absatz 2 EG-Vertrag mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar ist, soweit die Entwicklung des Handelsverkehrs nicht in einem Ausmaß beeinträchtigt wird, das dem Interesse der Gemeinschaft zuwiderläuft. Stellt ein finanzieller Ausgleich eine staatliche Beihilfe im Sinne des Artikels 87 Absatz 1 EG-Vertrag dar, so muss diese gemäß Artikel 88 Absatz 3 zunächst der Kommission mitgeteilt werden. Stellt hingegen der finanzielle Ausgleich keine staatliche Beihilfe dar, so entfällt die Verpflichtung zur Anmeldung gemäß Artikel 88 Absatz 3.

D. Stand der Arbeiten in der Kommission und Voraussagen

16. Die Kommissionsdienststellen arbeiten auf der Grundlage der in den Rdnr. 11 bis 15 beschriebenen Orientierungen an einem Textentwurf. Dabei muss der weiteren Entwicklung der gemeinschaftlichen Rechtsprechung Rechnung getragen werden. Nach Auffassung der Kommission sollten vorsichtshalber die kommenden Urteile des Gerichtshofs in der Frage der Ausgleichszahlungen für öffentliche Dienstleistungen abgewartet werden, bevor in einem Gemeinschaftsrahmen endgültig Stellung bezogen wird.

17. Wie bereits in dem Bericht der Kommission für den Europäischen Rat in Laeken erklärt wurde, müssen diese Arbeiten in enger Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten erfolgen. Zu diesem Zweck werden die Kommissionsdienststellen im Herbst 2002 eine erste Sitzung mit den nationalen Sachverständigen auf der Grundlage eines Arbeitsdokuments der beteiligten Dienststellen abhalten. Dieses Dokument wird anhand der künftigen Rechtsprechung im Hinblick auf die Annahme eines Textes durch die Kommission nach Möglichkeit gegen Jahresende fertiggestellt.

In diesem Dokument dürften u.a. die einschlägige Rechtsprechung insbesondere hinsichtlich der Begriffe Wirtschaftstätigkeit und Beeinträchtigung des Handels präsentiert und die Modalitäten für die Berechnung der Ausgleichszahlung insbesondere in Verbindung mit öffentlichen Aufträgen präzisiert werden, um eine Überkompensation zu vermeiden.

Von diesem Text bleiben die besonderen Vorschriften im Bereich des Eisenbahn-, Straßen- und Binnenschiffsverkehrs unberührt.

18. Was die Frage einer Gruppenfreistellungsverordnung betrifft, so wird die Kommission anhand der in ihrem Bericht für den Europäischen Rat in Laeken niedergelegten Orientierungen die Notwendigkeit und Durchführbarkeit einer derartigen Verordnung prüfen.