52000DC0051

Grünbuch der Kommission - Prozeßkostenhilfe in Zivilsachen: Probleme der Parteien bei grenzüberschreitenden Streitsachen /* KOM/2000/0051 endg. */


GRÜNBUCH DER KOMMISSION Prozeßkostenhilfe in Zivilsachen: Probleme der Parteien bei grenzüberschreitenden Streitsachen

GRÜNBUCH DER KOMMISSION

Prozeßkostenhilfe in Zivilsachen: Probleme der Parteien bei grenzüberschreitenden Streitsachen

Teil I: Überblick

Die vermehrte Nutzung der im Vertrag garantierten Rechte des freien Verkehrs von Personen, Waren und Dienstleistungen führt zum Anstieg möglicher grenzüberschreitender Streitfälle. Solche Streitfälle kommen nicht nur zwischen Großunternehmen vor; sie können auch Kleinbetriebe und Einzelpersonen betreffen, die lediglich über geringe Mittel verfügen. Einzelne können etwa während ihres Urlaubs oder einer Einkaufsfahrt ins Ausland einen Verkehrsunfall erleiden, oder sie könnten Waren kaufen, die sich später als fehlerhaft oder gefährlich erweisen. Ihr Ehegatte kann die eheliche Lebensgemeinschaft mit den gemeinsamen Kindern verlassen haben und in einem anderen Land seßhaft werden. In diesen Fällen müssen sie möglicherweise in dem Staat klagen, in dem der Streit entstanden ist, oder, schlimmer noch, sie werden in diesem Staat verklagt. Ein Kleinunternehmen kann Waren im Ausland verkaufen und später in dem Staat, in dem der Käufer seinen Wohnsitz hat, verklagt werden. Ein Verbraucher kann Waren über Internet aus dem Ausland bestellen, die nie geliefert werden oder Mängel aufweisen.

Der Umfang der "Prozeßkostenhilfe" kann sich je nach betreffendem Staat unterscheiden. Für die Zwecke dieses Grünbuchs faßt die Kommission unter dem Begriff "Prozeßkostenhilfe" folgende Leistungen zusammen:

- kostenlose bzw. nur zu einem geringen Satz verrechnete Rechtsberatung sowie die Vertretung durch einen Rechtsanwalt vor Gericht;

- gänzliche oder teilweise Befreiung von sonstigen Kosten wie Gerichtsgebühren, die normalerweise zu tragen wären;

- direkte Übernahme der mit einem Verfahren verbundenen Kosten wie den Anwaltshono raren, Gerichtsgebühren, Beträgen für Zeugen, den aus der Pflicht der Partei resultierenden Kosten, als Verlierer im Rechtsstreit die Kosten der obsiegenden Partei zu tragen, usw.

Eine Person, die im Ausland verklagt wird oder dort eine Klage einbringen möchte, könnte auf drei Stufen Prozeßkostenhilfe benötigen:

(1) Erstens Rechtsberatung vor Prozeßbeginn;

(2) Zweitens Unterstützung durch einen Anwalt während des Prozesses und Befreiung von den Gerichtsgebühren;

(3) Drittens Hilfe, wenn ein im Ausland ergangenes Urteil für vollstreckbar erklärt oder vollstreckt wird.

Während der letzten Jahre wurden in zahlreichen Fragen an das Europäische Parlament und Schreiben an die Kommission einige der Probleme deutlich, die sich stellen, wenn Personen, die in einem anderen Mitgliedstaat als ihrem Wohnsitzstaat in Streitigkeiten oder Prozesse verwickelt sind, Prozeßkostenhilfe in Anspruch nehmen möchten. Eine vergleichende Studie über die einzelstaatlichen Regelungen im Bereich der Prozeßkostenhilfe zeigte, daß es dabei deutliche Unterschiede gibt, die den Parteien in grenzüberschreitenden Streitsachen große Probleme bereiten.

Die Kommission hat bereits Initiativen in diesem Bereich unterstützt, wie etwa den von Professor D. Walters 1996 für die Kommission und unter der Schirmherrschaft des Rates der Anwaltschaften der EU (CCBE) erstellten "Leitfaden der Beratungs- und Prozeßkostenhilfe im EWR" sowie das Seminar an der Universität von Angers im April 1998 über Prozeß kostenhilfe, das sich auf den Bericht von Professor Adrian Wood mit dem Titel "Zugang zu Prozeßkostenhilfe in den Mitgliedstaaten der EU: Probleme und Lösungsmöglichkeiten" stützte, der eine finanzielle Unterstützung aus dem GROTIUS-Programm erhalten hat.

Die Kommission prüft auch das verwandte Problem der Betreibung von Anwalts- und Gerichtskosten. Sie wird im Laufe des ersten Halbjahres 2000 ein Arbeitspapier zu diesem Thema erstellen.

Selbst bei einer nur oberflächlichen Betrachtung zeigt sich, daß die Zielsetzung, die Regelung und Handhabung der Prozeßkostenhilfe in den Mitgliedstaaten wesentliche Unterschiede aufweisen. In einigen Mitgliedstaaten wird bezweckt, allen rechtliche Unterstützung und den Zugang zu den Gerichten zu sichern, während die Prozeßkostenhilfe in anderen Mitglied staaten als Teil des Sozialsystems zu sehen ist und nur den bedürftigsten Personen zugute kommt.

Diese Unterschiede haben auch praktische Auswirkungen: In einigen Staaten gibt es ein gut entwickeltes System, bei dem der Staat oder eine staatliche Einrichtung den betreffenden Rechtsanwälten direkt eine realistische Vergütung leistet, wohingegen in anderen Staaten die Regelung darin besteht, daß die Rechtsanwälte selbst (entweder freiwillig oder verpflichtend) ihre Dienste kostenlos oder zu einem niedrigeren Gebührensatz anbieten.

In zahlreichen Mitgliedstaaten wurde dieses System grundlegend reformiert oder soll bald geändert werden.

Nachdem die einzelstaatlichen Regelungen grundsätzlich nur für Verfahren gelten, die im Hoheitsgebiet des betreffenden Staates geführt werden, stößt ein Kläger von Mitgliedstaat A, der Prozeßkostenhilfe im Mitgliedstaat B benötigt, auf zahlreiche Schwierigkeiten, wobei einige unmittelbar darauf zurückzuführen sind, daß der Kläger im Ausland ansässig ist.

Diese Probleme können sich aus folgenden Faktoren ergeben:

- Der Erfordernis, in dem Mitgliedstaat, in dem die Prozeßkostenhilfe in Anspruch genommen wird, einen Wohnsitz zu haben oder sich dort aufzuhalten;

- Bedingungen hinsichtlich der Vermögensverhältnisse des Klägers;

- Bedingungen hinsichtlich der Begründetheit oder der Erfolgsaussichten des Verfahrens, für das Prozeßkostenhilfe beantragt wird;

- Fehlender Information über den Zugang zu Prozeßkostenhilfe in anderen Mitgliedstaaten oder über Möglichkeiten zur Übermittlung von Ansuchen um Prozeßkostenhilfe in anderen Mitgliedstaaten;

- Der Tatsache, daß einzelstaatliche Regelungen über Prozeßkostenhilfe die zusätzlichen Kosten für grenzüberschreitende Streitsachen nicht berücksichtigen (Übersetzung von Dokumenten, zweifache Rechtsberatung, Zustellung von Dokumenten usw.);

- Sprachprobleme

Die an zweiter und dritter Stelle genannten Hindernisse können zwar auch Antragsteller im Inland betreffen, bei ausländischen Antragstellern jedoch verstärkt auftreten. Diese Probleme werden im folgenden noch näher erläutert.

Es ergibt sich unmittelbar aus den Grundfreiheiten des EG-Vertrags, daß ein Bürger in der Lage sein muß, zur Lösung von Streitfällen, die aus seiner Tätigkeit in Ausübung einer dieser Freiheiten resultieren, vor den Gerichten eines Mitgliedstaats in derselben Weise wie Staatsangehörige dieses Mitgliedstaats zu klagen oder verklagt zu werden. In vielen Fällen kann dieses Recht auf Zugang zu den Gerichten nur dann wirksam ausgeübt werden, wenn Prozeßkostenhilfe zu bestimmten Bedingungen verfügbar ist.

Da keine gemeinschaftsweite Regelung besteht, obliegt es den Mitgliedstaaten, in ihrer Rechtsordnung genaue Verfahrensregeln zum Schutz der Rechte zu erlassen, die sich für Einzelpersonen aus Gemeinschaftsrechtsnormen ableiten lassen, einschließlich der Rechte in bezug auf Prozeßkostenhilfe. Solche Regeln dürfen weder jene Personen benachteiligen, die nach Gemeinschaftsrecht über einen Gleichbehandlungsanspruch verfügen, noch die vom Gemeinschaftsrecht garantierten Grundfreiheiten einschränken.

Bereits in Titel VI des Vertrags über die Europäische Union in der Fassung des Vertrags von Maastricht wurde die justitielle Zusammenarbeit in Zivilsachen als Angelegenheit von gemeinsamem Interesse angesehen, unabhängig von der Art der Rechte, bei denen Zusammenarbeit erforderlich war. Titel VI sollte "unbeschadet der Zuständigkeiten der Europäischen Gemeinschaft" diese ergänzen und zur Verwirklichung einer "immer engeren Union" beitragen; d.h. über ein Europa als reiner Markt hinausgehen.

Nach dem Vertrag von Amsterdam ist die Frage der justitiellen Zusammenarbeit in Zivilsachen mit grenzüberschreitenden Bezügen in Titel IV EG-Vertrag (Artikel 65) geregelt. Der Rat kann nun Maßnahmen etwa zur Beseitigung der Hindernisse für eine reibungslose Abwicklung von Zivilverfahren ergreifen. In den Schlußfolgerungen der Sondertagung in Tampere am 15. und 16. Oktober 1999 über die Schaffung eines Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts in der Europäischen Union hat der Europäische Rat den Rat aufgefordert, auf Vorschlag der Kommission Mindeststandards zur Gewährleistung eines angemessenen Niveaus der Prozeßkostenhilfe bei grenzüberschreitenden Rechtssachen in allen Ländern der Union zu verabschieden. Dieses Grünbuch stellt einen ersten Schritt zur Erreichung dieser Zielsetzung dar.

Neben Verpflichtungen, die sich unmittelbar aus dem Gemeinschaftsrecht ergeben, sind auch andere internationale Rechtsakte von Bedeutung. Insbesondere gewährt Artikel 6 Absatz 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (die für alle Mitgliedstaaten der Gemeinschaft gilt) jedem Angeklagten das Recht, unentgeltlich rechtlichen Beistand zu erhalten, falls er nicht über die Mittel zur Bezahlung eines Verteidigers verfügt und dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist. Zusätzlich zu dieser speziellen Vorschrift, die nur für Strafverfahren gilt, wurde aus dem allgemeinen Recht nach Art. 6 auf ein faires Verfahren unabhängig von der Verfahrensart unter bestimmten Umständen ein Recht auf Prozeßkostenhilfe abgeleitet.

In diesem Grünbuch, das sich vor allem auf Prozeßkostenhilfe in Zivilsachen konzentriert, werden die bestehenden Hindernisse für einen wirksamen Zugang der Bürger Europas, die in einem anderen Mitgliedstaat einen Rechtsstreit führen, zu Prozeßkostenhilfe geprüft und einzelne Reformvorschläge dargelegt. Das Hauptziel ist jedoch, Bemerkungen interessierter Parteien einzuholen.

Die Kommission fordert daher alle interessierten Parteien auf, ihre Bemerkungen schriftlich bis zum 31. Mai 2000 an folgende Anschrift zu richten:

Der Generaldirektor

Generaldirektion Justiz und Inneres

Europäische Kommission

Rue de la Loi 200

B-1049 Brüssel

Fax: (+32 2) 2967481

Teil II: Entwicklung einer Gemeinschaftspolitik zur Verbesserung des Zugangs zu Prozeßkostenhilfe für die Parteien grenzüberschreitender Streitsachen

Die Unterschiede zwischen den einzelstaatlichen Systemen, die dieses Problem hervorrufen, sind großteils historisch bedingt, aber das ist in diesem Zusammenhang von geringer Bedeutung. Die Weigerung zu einer Veränderung hat vor allem politische und finanzielle Gründe, auch wenn dies kaum ausdrücklich gesagt wird. Diese Gründe lassen sich jedoch aus einer vergleichenden Studie der einzelnen nationalen Systeme leicht ableiten:

F Jede Änderung der derzeitigen Regelungen könnte die Kosten für die verantwortlichen Regierungen und letztlich die Steuerzahler erhöhen;

F Jede Verbesserung des Zugangs zu Prozeßkostenhilfe könnte die Zahl der Prozesse erhöhen (es gibt Debatten darüber, ob die Ausgaben für Prozeßkostenhilfe nachfrage- oder angebotsorientiert sind);

F Es könnte sich die Frage nach der Qualität der Prozeßkostenhilfe stellen, wobei eine Verbesserung die Nachfrage nach weiteren Verbesserungen schaffen könnte;

F Es besteht die Befürchtung, daß eine kohärente Politik nur mit einem bestimmten Grad an Harmonisierung zu erreichen wäre.

In manchen Mitgliedstaaten wird derzeit überlegt, wie ein für alle Bürger erschwinglicher Zugang zu den Gerichten gewährleistet werden kann. Dabei werden auch Lösungen geprüft, die über die Bereitstellung von Prozeßkostenhilfe hinausgehen und auf der Einführung oder Ausweitung an Bedingungen geknüpfter Gebühren, einer Versicherung durch die Mandanten oder Rechtsanwälte oder auf Marktlösungen zur Verringerung der Anwaltskosten beruhen. Prozeßkostenhilfe wird dabei jedoch nach wie vor eine wichtige Rolle spielen.

Um sicherzustellen, daß die Interessen der Parteien in Streitfällen mit grenzüberschreitenden Bezügen sowie die zusätzlichen Probleme, mit denen sie konfrontiert sind, berücksichtigt werden, sind Überlegungen auf Gemeinschaftsebene und die Entwicklung einer Gemeinschaftspolitik über Prozeßkostenhilfe erforderlich.

Denkbar wären dabei verschiedene Maßnahmen zur Beseitigung der Diskriminierungen von Gemeinschaftsbürgern aufgrund des Wohnsitzes oder der Staatsangehörigkeit und zur Beseiti gung bzw. Verringerung der Hindernisse durch zusätzliche Kosten grenzüberschreitender Streitsachen und der Unterschiede der einzelstaatlichen Regelungen in bezug auf finanzielle Kriterien und die Prüfung der Begründetheit der Klage.

A. Persönliche Voraussetzungen

1. Gegenwärtige Situation in den Mitgliedstaaten

Ein Gemeinschaftsbürger, der ein Rechtsproblem in einem anderen Mitgliedstaat hat als jenem, in dem er ansässig ist, muß, selbst wenn er Informationen über die Rechtslage und die Voraussetzungen für die Gewährung von Prozeßkostenhilfe in diesem Staat hat, noch verschiedene Hürden bewältigen.

Zuerst muß er klären, ob er nach der Rechtsordnung des Staates, in dem er Prozeßkostenhilfe in Anspruch nehmen möchte, überhaupt zum Kreis der Anspruchsberechtigten gehört.

Im allgemeinen sind die Regelungen der Mitgliedstaaten für die Prozeßkostenhilfe vom Territorialitätsprinzip gekennzeichnet, so daß nur für Verfahren in diesem Staat Unter stützung gewährt wird (in den skandinavischen Staaten gibt es einzelne Ausnahmen dazu, die jedoch nur für besondere Verfahren wie das grenzüberschreitende Sorgerecht für Kinder gelten). Ein Gemeinschaftsbürger, der im Mitgliedstaat A ansässig und im Mitgliedstaat B Kläger oder Beklagter in einem Rechtsstreit ist, wird daher kaum Unterstützung vom Staat A bekommen, sondern die Rechtslage im Mitgliedstaat B prüfen müssen.

Nicht alle Mitgliedstaaten behandeln jedoch Antragsteller auf Prozeßkostenhilfe unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit, ihrem Wohnsitz und ihrem Aufenthalt in dem Staat der Prozeßführung in gleicher Weise. Auch internationale Verträge und Übereinkommen, denen die Mitgliedstaaten beigetreten sind, wirken sich auf die Regelung über Prozeßkostenhilfe aus und komplizieren die Situation. Es können jedoch vier Gruppen unterschieden werden:

& Manche Mitgliedstaaten gewähren Prozeßkostenhilfe unabhängig von Staatsangehörig keit oder Wohnsitz;

& Ein Mitgliedstaat gewährt Ausländern nur auf Grundlage der Gegenseitigkeit Prozeßkostenhilfe;

& Ein Mitgliedstaat gewährt nur den im Inland Ansässigen Prozeßkostenhilfe, so daß den Staatsangehörigen, die dort keinen Wohnsitz haben, bestimmte Vergünstigungen durch Prozeßkostenhilfe nicht gewährt werden;

& Einige Mitgliedstaaten gewähren ihren Staatsangehörigen unabhängig vom Wohnsitz Prozeßkostenhilfe und stellen Ausländer, die auf ihrem Staatsgebiet ansässig sind bzw., in einzelnen Fällen, ihren Aufenthalt haben, gleich.

Bei den beiden letztgenannten Staatengruppen kann eine Person, die nicht im betreffenden Staat ansässig ist, aber dort klagen möchte oder verklagt wird, in diesem Staat keine Prozeßkostenhilfe erhalten.

Aus den obigen Beispielen zeigt sich, daß Parteien grenzüberschreitender Streitsachen in einigen Staaten zwischen zwei Stühle fallen und weder in ihrem Herkunftsland noch in ihrem Aufnahmestaat Anspruch auf Prozesskostenhilfe haben.

Ergänzend sei hinzugefügt, daß in einigen Mitgliedstaaten Organisationen aufgrund der bestehenden nationalen Gesetze Anspruch auf Prozeßkostenhilfe haben. Diese Tatsache könnte in einem grenzüberschreitenden Rahmen eine bedeutende Auswirkung auf die Art und Weise haben, wie die Mitgliedstaaten die Richtlinie 98/27 über Unterlassungsklagen (die spätestens am 1. Januar 2001 umzusetzen ist) anwenden. Die Prozesskostenhilfe könnte nämlich das wesentliche Problem lösen, mit dem Verbraucherverbände rechnen müssen, wenn sie versuchen, vom ihnen durch die Richtlinie gewährten "locus standi" Gebrauch zu machen, und zwar aus Geldmangel.

Die Auswirkungen des Gemeinschaftsrechts auf diese Erfordernisse

Die Frage der Vereinbarkeit solcher Erfordernisse (Wohnsitz, Staatsangehörigkeit, Aufenthalt im Hoheitsgebiet usw.) mit dem Gemeinschaftsrecht ist sehr komplex.

Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften hat darüber im Zusammenhang mit Prozeßkostenhilfe noch nie zu entscheiden gehabt. Es gibt jedoch zahlreiche Fälle zu ähnlichen Bereichen, aus denen sich bestimmte Schlußfolgerungen ableiten lassen.

* Erstens dürfte feststehen, daß eine förmliche Regelung, nach der Prozeßkostenhilfe auf Staatsangehörige jenes Staates beschränkt wird, in dem der Prozeß stattfindet oder stattzu finden droht (der "Aufnahmestaat"), gegen Gemeinschaftsbürger, die in dem Aufnahmestaat arbeiten (unabhängig davon, ob sie dort ihren Wohnsitz haben oder nicht), oder ihre Familien angehörigen, für deren Unterhalt sie aufkommen, nicht geltend gemacht werden kann [1].

[1] Dies ergibt sich aus dem Urteil Mutsch (Rs. 137/84, Slg. 1985, 2681), in dem der Gerichtshof festgestellt hat, daß das Recht, sich in einem Gerichtsverfahren seiner eigenen Sprache zu bedienen, in besonderem Maße zur Integration des Wanderarbeitnehmers in die Lebensverhältnisse des Aufnahmelandes beiträgt und daher unter den Begriff der "sozialen Vergünstigung" im Sinne des Artikels 7 Absatz 2 der Verordnung 1612/68 fällt. Wanderarbeitnehmer, die Staatsangehörige eines anderen Mitgliedstaats sind, konnten dieses Recht daher unter denselben Bedingungen wie die Staatsangehörigen des Aufnahmemitgliedstaats ausüben. Diese Begründung sollte a fortiori auch für die Prozeßkostenhilfe gelten. Die Rechtsprechung zeigt ferner, daß dieses Recht auch Grenzarbeitnehmern (siehe Meints, Rs. C-57/96, Slg. 1997, I-6689) und Familienmitgliedern des Arbeitnehmers, für deren Unterhalt er aufkommt, zusteht (siehe Deak, Rs. 94/84, Slg. 1985, 1873 und Bernini, Rs. C-3/90, Slg. 1992, 1071).

* Zweitens zeigt die jüngere Rechtsprechung, daß einem Gemeinschaftsbürger mit Wohnsitz im Aufnahmestaat unabhängig von seiner Arbeitnehmereigenschaft dieselbe Behandlung gewährt werden muß wie Staatsangehörigen dieses Staates [2].

[2] Siehe das Urteil Martinez Sala, Rs. C-85/96, Slg. 1998, I-2694. Dieser Fall betraf den Zugang zu Sozial leistungen des Mitgliedstaats zu denselben Bedingungen, obwohl die Klägerin keinen Arbeitsvertrag hatte.

* Drittens hat der Gerichtshof entschieden, daß das Recht, in einen anderen Mitgliedstaat auch nur für eine gewisse Zeit als Dienstleistungsempfänger einzureisen (ein vom Gemeinschaftsrecht garantiertes Recht) das Recht mitumfaßt, im Hinblick auf den Schutz der körperlichen Unversehrtheit gleichermaßen wie Staatsangehörige dieses Staates behandelt zu werden (siehe das Urteil Cowan) [3]. Wie der Gerichtshof ferner in einem jüngeren Urteil festgestellt hat, ist es eine logische Folge der vom Gemeinschaftsrecht garantierten Freiheiten, daß die Begünstigten dieser Freiheiten ebenso wie die Staatsangehörigen dieses Staates die Gerichte eines Mitgliedstaats mit Rechtsstreitigkeiten befassen können (siehe das Urteil Data Delecta Aktibolag) [4].

[3] Urteil vom 2. Februar 1989, Rs. 186/87, Slg. 1989, 195. Dieser Fall betraf einen Anspruch aus der französischen Entschädigungsregelung für Opfer von Straftaten. Dem Kläger (ein Staatsangehöriger des Vereinigten Königreichs) wurde als einfachem Touristen (und Dienstleistungsempfänger) ein Gleichbe handlungsanspruch mit französischen Staatsangehörigen zugestanden, obwohl er zum maßgeblichen Zeitpunkt weder in Frankreich gearbeitet noch einen Wohnsitz gehabt hatte.

[4] Urteil vom 26. September 1996, Rs. C-43/95, Slg. 1996, I-4661.

* Schließlich hat der Gerichtshof im Urteil Bickel [5] festgestellt, daß der Anspruch auf Gebrauch der eigenen Sprache in einem Strafverfahren in den Anwendungsbereich des EG-Vertrags und somit unter das Verbot jeder Diskriminierung aus Gründen der Staatsange hörigkeit nach Artikel 12 (ex-Artikel 6) EG-Vertrag fällt. Demnach kann ein Gemeinschafts bürger, gegen den im Aufnahmestaat (im vorliegenden Fall die italienische Provinz Bozen) ein Strafverfahren eingeleitet wurde, seine eigene Sprache (Deutsch) gebrauchen. Der Kläger wurde somit nicht nur einem italienischen Staatsbürger, sondern einem italienischen Staatsbürger mit Wohnsitz in der Provinz Bozen (dem dieses Vorrecht nach italienischem Recht zugestanden wird) gleichgestellt, ohne daß er in diesem Staat Arbeitnehmereigenschaft oder einen Wohnsitz haben mußte.

[5] Urteil vom 24. November 1998, Bickel & Franz, Rs. C-274/96, Slg. 1998, I-7637.

Insgesamt zeigt diese Rechtsprechung, daß jeder Begünstigte einer vom Gemeinschaftsrecht garantierten Grundfreiheit (einschließlich ein Empfänger von Dienstleistungen oder ein Käufer von Waren in einem anderen Mitgliedstaat) sowohl hinsichtlich der formellen Berechtigung zur Klageerhebung als auch der damit verbundenen praktischen Modalitäten einen Anspruch auf Gleichbehandlung mit den Staatsangehörigen des Aufnahmestaats hat, unabhängig davon, ob er in diesem Staat einen Wohnsitz hat oder hatte bzw. sich dort auch nur aufhält. Das tatsächliche Recht auf Zugang zu den Gerichten und damit der Anspruch auf Prozeßkostenhilfe ist eine logische Folge des Rechts auf Klageerhebung, sofern auch ein Angehöriger des betreffenden Staates mutatis mutandis anspruchsberechtigt wäre.

Dies würde bedeuten, daß nicht nur Vorschriften zur Beschränkung des Anspruchs auf Prozeßkostenhilfe auf Staatsangehörige des betreffenden Staates, sondern auch die Festlegung von Wohnsitz- oder Aufenthaltserfordernissen für Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten gegen Artikel 12 EG-Vertrag verstoßen und daher gegen Gemeinschaftsbürger, die im Aufnahmestaat einen Rechtsstreit führen, nicht geltendgemacht werden könnten.

Selbst eine formell nicht diskriminierende Bedingung (wie ein Wohnsitz- oder Aufenthalts erfordernis, das gleichermaßen für In- und Ausländer gilt) könnte eine versteckte Diskriminie rung darstellen (da Inländer dieses Kriterium leichter erfuellen als Ausländer) [6] und somit verboten sein, sofern nicht objektive Gründe dafür vorliegen. Der Mitgliedstaat müßte solche Gründe im betreffenden Fall einwenden; a priori läßt sich jedoch schwer sagen, worin diese bestehen könnten.

[6] Siehe dazu das Urteil Bickel aaO. Die angefochtene nationale Vorschrift enthielt Elemente, die sowohl direkt als auch indirekt diskriminierend waren, indem nur deutschsprachige italienische Staatsangehörige mit Wohnsitz in der Provinz Bozen das Recht auf Gebrauch der deutschen Sprache in Gerichtsverfahren hatten. Wie der Gerichtshof entschieden hat, mußten nicht nur die Staatsangehörigen anderer Mitglied staaten als Italien mit Wohnsitz in der Provinz Bozen, sondern auch jene, die sich dort nur vorübergehend aufhielten, italienischen Staatsangehörigen mit Wohnsitz in dieser Provinz gleichgestellt werden, da die meisten italienischen Staatsangehörigen, die dieses Recht in Anspruch nahmen, tatsächlich in der Provinz Bozen wohnten, während die Mehrzahl der deutschsprachigen Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten dieses Kriterium nicht erfuellten.

In diesem Zusammenhang muß auch berücksichtigt werden, daß die Partei bei einer grenzüberschreitenden Streitsache meist zwei Rechtsanwälte - einen in ihrem Herkunftsstaat, der sie vorweg berät, sowie einen im Aufnahmestaat, der die Streitsache betreut - benötigen wird. Eine Regelung des Aufnahmestaats, nach der die Gewährung von Prozeßkostenhilfe bezüglich der Befassung eines Rechtsanwalts außerhalb dieses Staates strengeren Erfordernissen unterliegt, als diejenige, die gelten, wenn der Rechtsanwalt innerhalb dieses Staates ansässig ist, könnte ebenfalls eine versteckte Diskriminierung gegenüber der Partei (hinsichtlich ihres Rechts, Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen) und des Rechtsanwalts (hinsichtlich seines Rechts, Dienstleistungen anzubieten) darstellen [7].

[7] Siehe Urteil vom 30. November 1995, Gebhard, Rs. C-55/94, Slg. 1995 I-4165 (freie Niederlassung), Urteil vom 28. März 1996, Guiot, Rs. C-272/94, Slg. 1996-I-1905 (freier Dienstleistungsverkehr) und Urteil vom 28. April 1998, Kohl, Rs. C-158/96, Slg. 1998-I-1831 (freier Empfang von Dienstleistungen)

Eine Bestimmung mit begrenztem Geltungsbereich, die jedoch direkt die Prozeßkostenhilfe betrifft, ist Artikel 44 des Brüsseler Übereinkommens (Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handels sachen von 1968, das mehrmals geändert wurde und dem alle Mitgliedstaaten als Vertrags parteien angehören). Dieser Artikel kommt zur Anwendung, wenn ein "Urteilsgläubiger", d.h. ein erfolgreicher Kläger, die Vollstreckung eines in einem Vertragsstaat erwirkten Urteils in einem anderen Vertragsstaat erreichen möchte. Nach dieser Regelung genießt eine Person, der in dem Staat, in dem das Urteil ergangen ist, Prozeßkostenhilfe oder Kosten- und Gebühren befreiung gewährt wurde, automatisch hinsichtlich der Prozeßkostenhilfe oder Kosten- und Gebührenbefreiung die günstigste Behandlung, die das Recht des Vollstreckungsstaates vorsieht. Aufgrund dieser Bestimmung kann der Kläger - zwar nur in einem begrenzten Geltungsbereich - günstiger behandelt werden als Staatsangehörige des Aufnahmestaats, die dort eine Klage einbringen.

2. Die Auswirkungen anderer internationaler Rechtsakte

Neben Verpflichtungen aus dem Gemeinschaftsrecht, die in allen Mitgliedstaaten anwendbar sind, hat auch die Europäische Menschenrechtskonvention Auswirkungen [8]. In Artikel 6 über ein faires Verfahren sind besondere Erfordernisse für die Gewährung von Prozeßkostenhilfe in Strafverfahren festgelegt (Absatz 3). Diese Bestimmung wurde so ausgelegt, daß bedürftige Personen auch in Zivilverfahren Anspruch auf Prozeßkostenhilfe haben, wenn dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist (siehe Airey gegen Irland A32-1979).

[8] Das Verhältnis zwischen dem Gemeinschaftsrecht und der Menschenrechtskonvention ist sehr komplex. In diesem Zusammenhang genügt die Feststellung, daß alle Mitgliedstaaten Vertragsparteien und damit von der Konvention gebunden sind.

Obwohl die Frage, inwieweit Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention diese Verpflichtung auch für Zivilverfahren festlegt, überaus bedeutend ist, kann darauf keine eindeutige Antwort gegeben werden. Fest steht jedoch, daß dieser Artikel die Regelungen über Prozeßkostenhilfe in den Vertragsstaaten beeinflußte.

Schließlich sollen auch zwei Haager Übereinkommen genannt werden, nämlich das Übereinkommen II vom März 1954 über den Zivilprozeß und das Übereinkommen XXIX vom 25. Oktober 1980 über die Erleichterung des internationalen Zugangs zu den Gerichten. Das Übereinkommen II, das von Österreich, Belgien, Dänemark, Finnland, Frankreich, Deutschland, Italien, Luxemburg, den Niederlanden, Portugal, Spanien und Schweden ratifiziert worden ist, enthält einen Abschnitt über Prozeßkostenhilfe. Die Vertragsparteien werden darin im wesentlichen verpflichtet, die Inländerbehandlung auf Staatsangehörige anderer Vertragsparteien auszudehnen.

Das von Finnland, Frankreich, den Niederlanden, Spanien und Schweden ratifizierte Überein kommen XXIX geht weiter, indem es festlegt, daß Staatsangehörige der Vertragsparteien und Personen, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einem Vertragsstaat haben, zum Zwecke des Anspruchs auf Prozeßkostenhilfe in Gerichtsverfahren in den Vertragsstaaten wie in diesem Staat ansässige Staatsangehörige dieser Vertragspartei behandelt werden. Dieser Grundsatz gilt auch für die Rechtsberatung vor Prozeßbeginn, sofern sich die betreffende Person in dem Staat, in dem die Beratung in Anspruch genommen wird, aufhält.

Eine allgemeine Ratifizierung und die ordnungsgemäße Anwendung des Haager Überein kommens über die Erleichterung des internationalen Zugangs zu den Gerichten wäre höchst wünschenswert. Die Kommission hat dem Rat dazu 1986 einen Vorschlag für eine Empfehlung übermittelt (KOM(86) 610 endg. vom 13.11.1986). Das Europäische Parlament und der Wirtschafts- und Sozialausschuß haben diese Vorschlag begrüßt, der jedoch auf Ebene des Rates und der Mitgliedstaaten ohne Wirkungen geblieben ist.

Lösungsmöglichkeiten

Derzeit bilden die internationalen Regelungen und die Gemeinschaftsrechtsnormen über grenzübergreifende Ansprüche auf Prozeßkostenhilfe in derselben Weise wie für Staatsange hörige des Aufnahmestaates ein kompliziertes Stückwerk, das die Bürger über ihre konkreten Rechte im Unklaren läßt.

Das Haager Übereinkommen von 1980 über internationalen Zugang zu den Gerichten ist zwar eindeutig formuliert, wurde jedoch nur von wenigen Mitgliedstaaten ratifiziert. Der Anwendungsbereich der Europäischen Menschenrechtskonvention ist hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Verpflichtungen der Vertragsparteien zur Gewährung von Prozeßkostenhilfe nicht eindeutig. Die Pflichten nach Artikel 12 EG-Vertrag sind einheitlich anwendbar, aber nicht eindeutig umschrieben; sie müssen aus der Rechtsprechung abgeleitet werden und sind daher für die Bürger unzugänglich.

Bevor Regelungsmassnahmen in diesem Bereich ergriffen werden, sollten die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten nach Artikel 12 (ex-Artikel 6) EG-Vertrag klargestellt werden und die Notwendigkeit einer allgemeinen Ratifizierung des Haager Übereinkommens über die Erleichterung des internationalen Zugangs zu den Gerichten sollte unterstrichen werden.

Die Kommission würde Bemerkungen interessierter Parteien zur Frage begrüßen, welche Vorgehensweise für diesen Bereich geeignet, und insbesondere darüber, ob eine Regelung auf Gemeinschaftsebene erforderlich ist. Nach Ansicht der Kommission sollten diese Grundsätze zur Wahrung der Transparenz in einer leicht zugänglichen und verbindlichen Form festgelegt werden. Die Kommission wird daher prüfen, ob sie Maßnahmen vorschlagen sollte, in denen die Pflichten der Mitgliedstaaten, Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten bei der Gewährung von Prozeßkostenhilfe bzw. der gesamten oder teilweisen Befreiung von Kosten oder Gebühren weder direkt noch indirekt zu diskriminieren, eindeutig festgelegt sind.

Die Kommission würde von interessierten Parteien ferner gerne erfahren, ob dieser Grundsatz wie beim Haager Übereinkommen von 1980 auch auf Drittstaatsangehörige, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einem Mitgliedstaat haben, ausgedehnt werden sollte. Die Kommission würde auch Bemerkungen zur Frage begrüssen, ob die Mitgliedstaaten die Erweiterung des Anwendungsbereiches der Prozesskostenhilfegesetze als eine mögliche Lösung der finanziellen Probleme betrachten, mit denen Verbraucherverbände rechnen müssen, wenn sie im Rahmen der obengenannten "Unterlassungsrichtlinie" als qualifizierte Einrichtungen einen Rechtsbehelf einlegen.

B. Inhaltliche Voraussetzungen

Selbst wenn der Kläger die persönlichen Voraussetzungen im Aufnahmestaat erfuellt, muß er noch nachweisen, daß die in der Rechtsordnung dieses Staates vorgesehenen Anspruchs voraussetzungen insbesondere hinsichtlich der finanziellen Kriterien und der Begründetheit des Falles, für den er Prozeßkostenhilfe beantragt, vorliegen, sowie daß Prozeßkostenhilfe für die entsprechende Verfahrensart in Anspruch genommen werden kann.

(a) Finanzielle Anspruchsvoraussetzungen

Einige Mitgliedstaaten setzen einen bestimmten Betrag fest, der sich je nach Familienstand, Einkommen und Vermögen des Antragstellers unterscheiden kann. Verdient er mehr als diese Summe, besteht kein Anspruch auf Prozeßkostenhilfe. Diese Regelung scheint zwar neutral zu sein, da sie keine offene Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit oder des Wohnsitzes enthält, läßt jedoch die unterschiedliche Einkommenshöhe in den Mitgliedstaaten unberücksichtigt, insbesondere dort, wo der betreffende Betrag an das im Wohnsitzland des Antragstellers staatlich garantierte Mindesteinkommen anknüpft.

Ein Antragsteller mit Wohnsitz in einem Hochpreisstaat, dessen Vermögen den finanziellen Kriterien in diesem Staat genügen würde, der jedoch in dem (Niedrigpreis-) Staat, in dem das Verfahren stattfinden soll, über dem Schwellenwert liegt, hat somit keinen Anspruch auf Prozeßkostenhilfe.

Andere Mitgliedstaaten legen hingegen keinen bestimmten Betrag fest. Der Antragsteller muß nachweisen, daß er die Kosten der Verfahrensführung nicht bestreiten kann, was meist durch eine von den Behörden des Wohnsitzstaats ausgestellte Bestätigung über die Vermögensver hältnisse des Antragstellers nachzuweisen ist. Bei ordnungsgemäßer Anwendung diese Regelung können die Behörden sowohl das Vermögen des Antragstellers als auch die voraussichtlichen Kosten des Rechtsstreits berücksichtigen.

Die unterschiedlichen Voraussetzungen in den Mitgliedstaaten haben abschreckende Wirkung auf Personen, die einen grenzüberschreitenden Streitfall führen möchten, insbesondere auf jene aus einem Hochpreisstaat, die in einem Niedrigpreisstaat an einem Verfahren beteiligt sind, und stellen somit ein zusätzliches Hindernis für den wirksamen Zugang zum Recht dar. Erschwerend kommt hinzu, daß die Prozeßkostenhilfe in einigen Staaten zurückzuzahlen ist, wenn sich die finanziellen Verhältnisse des Antragstellers innerhalb einer gewissen Zeit-spanne verbessern.

(b) Voraussetzungen hinsichtlich der Begründetheit des Verfahrens, für das Prozeßkosten hilfe beantragt wird

Die Mitgliedstaaten versuchen im allgemeinen, unbegründete Anträge auf Prozeßkostenhilfe durch die Prüfung der Begründetheit abzuwenden. Unbegründete Anträge können abgelehnt werden, wobei jedoch das Ermessen der Entscheidungsträger den EU-Bürgern große Probleme beim Zugang zum Gerichtssystem eines anderen Mitgliedstaats bereiten kann.

Die meisten Mitgliedstaaten prüfen die Begründetheit der Klage aufgrund variabler Kriterien, die Raum für einen breiten Ermessensspielraum lassen. In einigen Fällen wird verlangt, daß die Klage "hinreichende Aussicht auf Erfolg hat", "der Kläger voraussichtlich obsiegen wird", "eine nicht die Prozeßkostenhilfe beanspruchende Partei nicht von der Führung des Verfahrens absehen würde" und ähnliches. Diese Kontrolle wird in einigen Mitgliedstaaten relativ formell gehandhabt, während sie in anderen Mitgliedstaaten die Form einer richtiggehenden Vorprüfung annehmen kann.

(c) Voraussetzungen hinsichtlich der Verfahrensart, für die Prozeßkostenhilfe beantragt wird

In den meisten Mitgliedstaaten kann Prozeßkostenhilfe für Verfahren bei allen Gerichten in Zivil-, Handels-, Verwaltungs- oder Strafverfahren gewährt werden. In einigen Mitglied staaten ist Prozeßkostenhilfe bei bestimmten Gerichten, z.B. Verwaltungsgerichten, oder für bestimmte Klagen wie etwa Verleumdungsklagen ausgeschlossen.

Lösungsmöglichkeiten

Die Herausforderung besteht darin, Möglichkeiten zur Beseitigung oder Verringerung der Probleme der Parteien bei grenzüberschreitenden Streitsachen zu finden, ohne in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten zur Regelung der Prozeßkostenhilfe nach ihren Vorstellungen einzugreifen.

6 Die finanziellen Kriterien richten sich bei jedem System nach der Höhe der Prozeßkosten und des Einkommens im betreffenden Staat. Eine Person mit Wohnsitz in einem Hoch preisstaat, die dort die finanziellen Voraussetzungen erfuellen würde, könnte bei Führung eines Rechtsstreits in einem Niedrigpreisstaat über ein zu hohes Einkommen verfügen, um einen Anspruch auf Prozeßkostenhilfe zu haben. Die Unterschiede bei den finanziellen Kriterien spiegeln jedoch nicht nur diese Kosten und die Einkommenshöhe wider, sondern können sich auch durch einen unterschiedlichen Ansatz in bezug auf den Zugang zu den Gerichten ergeben, da die Kriterien in einzelnen Staaten selbst unter Berücksichtigung der Einkommensunterschiede großzügiger geregelt sind als in anderen Staaten. Es wäre nicht sinnvoll, vom Staat der Prozeßführung grundsätzlich zu verlangen, einfach die Kriterien des Wohnsitzstaats des Antragstellers anzuwenden, da eine Partei aus dem Mitgliedstaat A dadurch im Mitgliedstaat B günstiger behandelt werden könnte als die in diesem Staat ansässigen Parteien. Eine gezieltere Lösung könnte jedoch darin bestehen, auf die Kriterien des Staates der Prozeßführung ergänzt um ein "Korrektiv" oder eine "Abwägung" abzustellen, mit der die unterschiedlichen Lebenshaltungskosten in beiden Staaten berücksichtigt werden können, oder eine flexiblere und objektivere Prüfung vorzusehen, bei der die Behörden sowohl das verfügbare Einkommen des Antragstellers als auch die Kosten der Verfahrensführung einbeziehen können.

6 Bei der Prüfung der Begründetheit muß zumindest die Transparenz vergrößert werden. Dies könnte durch die Pflicht zur Festlegung und Veröffentlichung der angewandten Kriterien nicht nur im Staat der Prozeßführung, sondern auch in den anderen Mitglied staaten erreicht werden. Dafür könnten die durch das Übereinkommen des Europarats von 1977 über die Übermittlung von Anträgen auf Bewilligung der Prozeßkostenhilfe eingerichteten Behörden zuständig sein (der Mechanismus, mit dem grenzüberschreitende Anträge auf Prozeßkostenhilfe übermittelt werden können, siehe nachstehend). Darüber hinaus sollten die Behörden verpflichtet werden, die Gründe für die Ablehnung eines Antrags auf Prozeßkostenhilfe wegen fehlender Begründetheit genau darzulegen.

C. Das Problem der Zusatzkosten durch grenzüberschreitende Bezüge einer Streitsache

Selbst wenn der Kläger die rechtlichen Hürden überwunden und in dem Staat, in dem er den Rechtsstreit führt, Anspruch auf Prozeßkostenhilfe hat, wird er wohl erkennen müssen, daß die Regelung auf inländische Streitsachen abstellt und die zusätzlichen Kosten aufgrund des grenzüberschreitenden Bezugs des Falles nicht berücksichtigt werden. Diese Zusatzkosten können sich aus folgenden Elementen ergeben:

(1) Notwendigkeit der Befassung zweier Rechtsanwälte. Sicherlich haben die Richtlinien über die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit für Rechtsanwälte in den Mitgliedstaaten den grenzüberschreitenden Zugang zu Rechtsanwälten verbessert. Der Kläger wird in der Praxis jedoch meist zwei Anwälte benötigen - einen im Herkunftsstaat (d.h. in seinem Wohnsitzstaat), um einen Überblick über die Rechtslage und die Verfahren im Aufnahmestaat zu erhalten, sowie einen zweiten im Aufnahmestaat, der ihn in Detailfragen berät und gegebenenfalls vor Gericht vertritt. In den meisten Fällen gewährt der Herkunftsstaat keine Prozeßkostenhilfe, wenn die Beratung ausländisches Recht betrifft oder es sich um einen Fall handelt, der im Ausland verhandelt wird. Auch der Aufnahmestaat wird möglicherweise keine Prozeßkostenhilfe für die Dienste eines Rechtsanwalts in einem anderen Staat zur Verfügung stellen, selbst wenn die Beratung einen Rechtsstreit betrifft, der im Aufnahmestaat geführt wird. Die Regelung in diesem Staat könnte zudem vorsehen, daß jedenfalls nur die Gebühren für einen Rechtsanwalt erstattet werden. Die Frage der Zulässigkeit solcher Bedingungen wurde in Punkt A behandelt; solange es diese jedoch gibt, ist es sehr wahrscheinlich, daß der Antragsteller zwischen zwei Stühle fällt und die Zusatzkosten eines Rechtsanwalts im Herkunftsstaat selbst zu tragen hat.

(2) Kosten für Übersetzung und Dolmetscherdienste. Für die Verhandlung und für die Beratungen zwischen dem Rechtsanwalt und seinem Mandanten im Aufnahmestaat könnten Dolmetscherdienste erforderlich sein, sofern kein Rechtsanwalt gefunden werden konnte, der sich mit dem Kläger in einer gemeinsamen Sprache verständigen kann. Auch Unterlagen müssen möglicherweise übersetzt werden.

(3) Verschiedenen Faktoren wie erhöhten Reisekosten der Parteien, Zeugen, Rechtsanwälte usw.

Lösungsmöglichkeiten

Wie kann am besten sichergestellt werden, daß die zusätzlichen Kosten aufgrund grenzüber schreitender Streitsachen kein Hindernis für den Zugang zu den Gerichten darstellen-

Sollte der Herkunftsstaat zumindest die in diesem Staat angefallenen Zusatzkosten der Rechtsberatung vor Prozeßbeginn übernehmen, selbst wenn das Verfahren in einem anderen Staat stattfindet- (Selbst diese Lösung könnte für die Partei nur von geringem Nutzen sein, da die Auskünfte eines Rechtsanwalts im Herkunftsstaat des Antragstellers über die Rechtslage und die Verfahren in einem anderen Staat möglicherweise zu wenig detailliert sind, als daß die Partei auf einen zweiten Rechtsanwalt in diesem Staat verzichten könnte.)

D. Wirksamer Zugang zu einem ausreichend qualifizierten Rechtsanwalt

Eine Partei in einer grenzüberschreitenden Streitsache, die im Staat der Prozeßführung nicht persönlich anwesend ist, könnte sich mit dem sehr schwierigen praktischen Problem konfrontiert sehen, einen Rechtsanwalt in diesem Staat zu finden, der sie in dieser Rechtssache vertritt. Die Partei benötigt einen Rechtsanwalt, der zur Vertretung vor den zuständigen Gerichten befugt ist, über Erfahrung im betreffenden Sachgebiet verfügt und, wenn möglich, eine gemeinsame Sprache mit ihr teilt.

Die Partei könnte auch einen Rechtsanwalt in ihrem Herkunftsstaat befassen wollen, der ihr erste Auskünfte erteilt, über Kenntnisse der Rechtsnormen und des Rechtssystems im Staat der Prozeßführung verfügt, die Sprache in diesem Land beherrscht und ihr behilflich ist, mit einem Rechtsanwalt im Aufnahmestaat in Kontakt zu treten.

Nationale und gemeinschaftsweite Datenbanken

Die Kommission begrüßt die Schaffung von Datenbanken über Vertreter der Rechtsberufe. In einigen Staaten (z.B. Deutschland) bestehen solche Datenbanken bereits auf nationaler Ebene. Die Kommission hat insbesondere durch das GROTIUS-Programm ein Projekt des CCBE über die Frage der Errichtung einer Datenbank der Rechtsanwälte in Europa finanziert, die den Bürgern der Europäischen Union zugänglich gemacht werden könnte. Die auf den einzelnen Datenbanken gespeicherten Informationen könnten zwar je nach Land kleine Unterschiede entsprechend den anwendbaren Berufsregeln aufweisen, sollten jedoch die Gerichte, vor denen der Rechtsanwalt vertretungsbefugt ist, seine Spezialgebiete und Erfahrungsbereiche, seine Sprachkenntnisse und seine Verfügbarkeit (auf freiwilliger Basis oder automatisch) für Verfahren im Rahmen der Prozeßkostenhilfe anführen.

Einzelstaatliche Anwälte könnten innerhalb eines Europäischen Netzes der Rechtsanwälte als Verbindungspersonen für einen oder mehrere andere Mitgliedstaaten tätig werden. Diese Verbindungspersonen sollten Anwälte sein, die bereit sind, Rechtssachen mit Anknüpfungs punkten in mehr als einem Mitgliedstaat falls erforderlich auch im Rahmen der Prozeßkostenhilfe oder kostenlos zu übernehmen. Sie müßten in der Lage sein, ihre Mandanten in ihrem eigenen Mitgliedstaat in folgenden Fragen zu beraten:

G Einleitung eines Verfahrens oder Verteidigung in einer Rechtssache in einem anderen Mitgliedstaat;

G Bekämpfung der Vollstreckung eines in einem anderen Mitgliedstaat ergangenen Urteils im Herkunftsstaat des Mandanten;

G Zugang zu Prozeßkostenhilfe in einem anderen Mitgliedstaat;

sowie ihre Mandanten aus einem anderen Mitgliedstaat hinsichtlich folgender Bereiche:

G Einleitung eines Verfahrens oder Verteidigung in einer Rechtssache im Mitgliedstaat des Rechtsanwalts;

G Vollstreckung eines in einem anderen Mitgliedstaat ergangenen Urteils in diesem Staat;

G Zugang zu Prozeßkostenhilfe in diesem Mitgliedstaat.

Die Verbindungspersonen sollten die notwendigen Formblätter für die Korrespondenz zwischen den betreffenden Gerichten bearbeiten und die Rechtssache der zuständigen Behörde im anderen Mitgliedstaat weiterleiten können. Wo die Möglichkeiten des Rechtsanwalts enden, sollte er sich mit einem anderen Anwalt des Netzes in Verbindung setzen können, damit der Fall in einer anderen Rechtsordnung fortgesetzt wird.

Um die Idee eines Netzes für die entsprechenden Berufsgruppen interessant und für die Begünstigten leicht erkennbar zu machen sowie die Qualität der angebotenen Dienste zu sichern, könnte ein ISO-ähnliches System erwogen werden, bei dem die daran teilnehmenden Rechtsanwälte etwa die Möglichkeit erhalten, ein bestimmtes Emblem oder Logo neben ihrem eigenen zu führen. Nur diese Rechtsanwälte würden dann auf den offiziellen Listen aufscheinen, die unionsweit verbreitet und u.a. auch bei den Delegationen und Büros der Kommission in den Hauptstädten der Mitgliedstaaten für die Bürger bereitgestellt werden.

Die Kommission würde es begrüßen, Bemerkungen interessierter Parteien über Möglichkeiten zur Durchführung dieser Ideen zu erhalten.

E. Technische Verfahren

Neben den bereits genannten Problemen könnte für die Parteien in grenzüberschreitenden Streitsachen auch das Verfahren zur Beantragung von Prozeßkostenhilfe im Ausland ein Hindernis für den Zugang zu den Gerichten darstellen.

Die Frage der Vorgehensweise bei der Beantragung von Prozeßkostenhilfe im Ausland ist zumindest in der Theorie relativ einfach zu lösen, da alle Mitgliedstaaten der Union mit Ausnahme von Deutschland das Übereinkommen des Europarats von 1977 über die Übermittlung von Anträgen auf Bewilligung der Prozeßkostenhilfe, das "Straßburger Übereinkommen", ratifiziert haben. Nach diesem Übereinkommen können Anträge in einem Staat gestellt und über ein System von durch die Vertragsparteien benannten Übermittlungs- und Empfangsstellen in den Vertragsstaat gelangen, in dem die Prozeßkostenhilfe beantragt wird. Mit dieser Regelung wurde bezweckt, Antragsteller auf Prozeßkostenhilfe zu unterstützen, die damit nicht mehr die zuständigen Behörden im Ausland ermitteln müssen, sondern sich darauf beschränken können, der Übermittlungsstelle in ihrem Herkunftsstaat einen Antrag zuzuleiten, die ihnen dann dabei behilflich ist, die notwendigen Unterlagen zusammenzustellen und gegebenenfalls die einschlägigen Stellen zu übersetzen, bevor der Antrag an die Empfangsstelle im Aufnahmestaat gesandt wird.

Grundsätzlich können der Antrag und die ergänzenden Unterlagen nach Wahl des Antragstellers entweder in der Sprache der Empfangsbehörde oder in Englisch bzw. Französisch abgefaßt werden. Die Vertragsparteien können jedoch einen Vorbehalt gegenüber der Möglichkeit einlegen, den Antrag in Englisch oder Französisch zu stellen und darauf bestehen, daß er in der Sprache des Aufnahmestaats verfaßt wird.

- Das Übereinkommen wird durch einen Leitfaden über die Verfahren, der periodisch aktu alisiert wird und derzeit nur den zuständigen Behörden zur Verfügung steht, sowie durch Empfehlungen des Ministerkomitees ergänzt. Die derzeit gültige Empfehlung (Nr. R(97) 6) behandelt u.a. die rasche Abwicklung von Ansprüchen und enthält ein Formblatt für die Antragstellung, das die Vertragsparteien verwenden und anerkennen sollen.

- Die Durchführung des Übereinkommens wird von einem multilateralen Ausschuß der Vertragsparteien überwacht, der dem Ministerkomitee Bericht erstattet und auch Vorschläge zur Verbesserung der Funktionsweise des Übereinkommens unterbreitet.

Das Übereinkommen scheint jedoch relativ selten angewandt zu werden. Die geringe Nutzung läßt sich möglicherweise auf mangelnde Kenntnisse über den Anspruch auf Prozeßkostenhilfe im Ausland [9] und die vom Übereinkommen geschaffenen Instrumente zurückführen. Offenbar sind auch die zentralen Behörden nicht ausreichend über die geltenden Rechtsnormen anderer Staaten oder über etwaige Änderungen informiert.

[9] In einigen Staaten können Anträge direkt an die zuständige Behörde übermittelt werden, wodurch die vom Übereinkommen geschaffenen Instrumente nicht benötigt werden.

Es besteht auch die Gefahr, daß Verzögerungen bei der Übermittlung eines Antrags auf Prozeßkostenhilfe dazu führen, daß der Antrag nicht binnen angemessener Frist geprüft wird.

Lösungsmöglichkeiten

Das Übereinkommen von 1977 über die Übermittlung von Anträgen auf Bewilligung der Prozeßkostenhilfe wurde nicht von allen Mitgliedstaaten ratifiziert. Darüber hinaus haben einige Staaten Vorbehalte hinsichtlich der Sprachenregelung angebracht, die den Klägern Probleme bereiten.

Es ist zu prüfen, ob man sich auf die bestehenden Instrumente des Straßburger Übereinkommens konzentrieren sollte oder ob die Mitgliedstaaten der Union unabhängig davon auf Gemeinschaftsebene tätig werden sollten.

Wählt man die erste Option, wäre zumindest eine Empfehlung erforderlich, in der alle Mitgliedstaaten zur Ratifizierung des Straßburger Übereinkommens aufgefordert werden. Der Vorteil dabei wäre, daß auf bereits bestehenden Strukturen aufgebaut und Doppelarbeit vermieden wird. Eine solche Lösung würde allerdings wenig zusätzlichen Nutzen bringen, da bereits 14 der 15 Mitgliedstaaten das Übereinkommen unterzeichnet haben und die Probleme hinsichtlich seiner Funktionsweise, insbesondere die geringe Nutzung und Verzögerungen, nicht gelöst würden.

Die zweite Möglichkeit könnte im Rahmen einer weitergehenden und integrierten Maßnahme auf Unionsebene verwirklicht werden. Sie könnte etwa darin bestehen, daß stärker lokalisierte Empfangsstellen geschaffen werden, ein Formblatt erstellt wird, die Ablehnung von Anträgen begründet werden muß und eine Überprüfungsmöglichkeit gegeben ist. Ferner könnten die Nutzung neuer Technologien zur Übermittlung von Formblättern und Informationen und der Kontakt zwischen den zuständigen Behörden gefördert werden. Schließlich könnte auch ein Handbuch oder Leitfaden für die zuständigen Behörden, für Anspruchsberechtigte auf Prozeßkostenhilfe und Rechtsanwälte erstellt, regelmäßig aktualisiert und gegebenenfalls im Internet veröffentlicht werden. Damit würde die Transparenz steigen und, was in diesem Bereich besonders wichtig sein kann, Verzögerungen würden verringert werden.

Das vor kurzem unterzeichnete Übereinkommen über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen vom 26. Mai 1997 (ABl. C 261 vom 27. August 1997) (das derzeit als Verordnungsentwurf vorliegt) könnte als Muster für ein solches System dienen.

Die Übermittlungsbehörde sollte sicherstellen müssen, daß alle dem Aufnahmestaat übermittelten Unterlagen und ergänzenden Dokumente richtig sind.

Schließlich sei noch darauf hingewiesen, daß die vielen Fragen an europäische Stellen zu dieser bisher nur einzelstaatlich geregelten Angelegenheit das Fehlen einer Pflicht zur Zusammenarbeit zwischen den Behörden der Mitgliedstaaten aufzuzeigen scheinen. Probleme, die die Behörden zweier Mitgliedstaaten betreffen, könnten oft durch einen Brief oder einen Telefonanruf gelöst werden.

F. Information und Ausbildung

Jede Verbesserung der Rechtsgrundlage für den Zugang zu den Gerichten ist nur von begrenztem Wert, wenn sie den Anspruchsberechtigten nicht hinreichend mitgeteilt wird. Informationen über die Rechte und Verfahren wurden bisher vor allem auf einzelstaatlicher Ebene und meist nur über die im Inland verfügbaren Hilfsmittel und Unterstützungs maßnahmen bereitgestellt. Nur selten wird versucht, den Gemeinschaftsbürgern ihre Rechte in der gesamten Gemeinschaft darzulegen, und die bereitgestellten Informationen werden auch nicht auf die einzelnen "Ansprechpartner" abgestimmt, wie es nötig wäre, damit sie tatsächlich von Nutzen sind. Daher wäre eine Unterscheidung erforderlich zwischen:

(1) Information der Bürger als den möglichen Anspruchsberechtigten auf Prozeßkosten hilfe über die bestehenden Rechte und Verfahren in der Union;

(2) Information der betreffenden Berufsgruppen, wie sie den Antragstellern Zugang zu Prozeßkostenhilfe verschaffen können;

(3) Information der Berufsgruppen, die Entscheidungen über die Gewährung von Prozeßkostenhilfe ausführen.

Professor D. Walters hat 1995 für die Kommission unter der Schirmherrschaft des CCBE einen Leitfaden der Beratungs- und Prozeßkostenhilfe im EWR erstellt. Dieser Leitfaden enthält Informationen über die entsprechenden Regelungen im EWR, d.h. in Norwegen, Island und Liechtenstein, der jedoch hauptsächlich auf die Erfordernisse der in Punkt 2) genannten Gruppe, der Angehörigen der Rechtsberufe, abstellt. Da sich die Rechtsnormen der Mitgliedstaaten ständig ändern, sollte dieser Leitfaden häufiger aktualisiert und, da ihn die Behörden der beteiligten Staaten nicht zu nutzen scheinen, besser bekanntgemacht werden.

Ferner wurde ein Leitfaden mit dem Titel "Wie Sie Ihre Rechte im europäischen Binnenmarkt geltend machen" erstellt, damit Einzelpersonen darüber unterrichtet werden, wie sie Probleme bei der Ausübung ihrer im Binnenmarkt garantierten Freiheiten lösen können. Der Leitfaden wurde im Rahmen der Initiative "Dialog mit Bürgern und Unternehmern" erstellt und beschreibt verschiedene Rechtschutzmöglichkeiten auf nationaler und europäischer Ebene einschließlich der Prozeßkostenhilfe.

Die Prozeßkostenhilfe wird in diesem Leitfaden beigefügten Ländermerkblättern, zu denen alle Mitgliedstaaten beigetragen haben, näher erläutert. Diese Ländermerkblätter enthalten Angaben über den Zugang zu Prozeßkostenhilfe, die Anspruchsberechtigung und die verschiedenen Arten der Prozeßkostenhilfe, die zur Verfügung stehen. Auch Kontaktstellen werden darin aufgeführt, die weitere Auskünfte erteilen können. Die einzelnen Ländermerk blätter werden in die 11 Amtssprachen der EU übersetzt, so daß die Bürger in ihrer eigenen Sprache Informationen über die Regelungen in anderen Mitgliedstaaten erhalten können.

Der Leitfaden und die Ländermerkblätter werden Anfang 2000 veröffentlicht. Die Ländermerkblätter können dann auf der Internetseite "Dialog mit Bürgern" unter http://europa.eu.int/citizens abgerufen werden.

Lösungsmöglichkeiten

Um einen wirksamen Zugang zu Informationen über die bestehenden Rechte zu gewähr leisten, wird die Erstellung einer aktuellen Broschüre über den Zugang zu den Gerichten empfohlen, der von den zuständigen Behörden an Verbraucherverbände, Bürgerberatungs stellen und Rechtsanwaltskammern weitergeleitet werden könnte. Da eine solche Initiative bereits unternommen wurde, könnten wohl die besten Ergebnisse erzielt werden, wenn auf dem bereits Vorhandenen, d.h. dem Leitfaden über Prozeßkostenhilfe, aufgebaut wird.

Die Broschüre könnte in ihrer geänderten Form nicht nur die ursprünglich enthaltenen Angaben über Verfahren für Prozeßkostenhilfe und Kontaktstellen, sondern auch Informatio nen von den vorgeschlagenen Datenbanken der Rechtsanwälte und das in den Buchstaben D und E genannte Handbuch umfassen. Damit würde ein Verzeichnis qualifizierter Rechtsanwälte vorliegen, die Prozeßkostenhilfe in Fällen mit Bezügen zu anderen EU-Mitgliedstaaten handhaben können. Diese Information sollte in allen Sprachen der Mitgliedstaaten erhältlich sein. Sie könnte im Rahmen der Initiative "Dialog mit Bürgern und Unternehmern" oder des Leitfadens "Zugang zum Recht" sowie auch auf elektronischem Weg bereitgestellt werden und sollte regelmäßig aktualisiert werden.

Darüber hinaus sollte eine Fassung für Laien erstellt werden, die z.B. Reiseprospekten beige legt werden kann und praktische Informationen über den Anspruch auf Prozeßkostenhilfe für Ausländer, die richtige Vorgehensweise und die Anschrift der zuständigen Behörden enthält.

Der im Rahmen der Initiative "Dialog mit Bürgern und Unternehmern" erstellte Leitfaden mit dem Titel "Wie Sie Ihre Rechte im europäischen Binnenmarkt geltend machen" und insbesondere die Ländermerkblätter über Prozeßkostenhilfe könnten besser bekanntgemacht werden. Die nationalen Behörden werden aufgefordert, auf diese Unterlagen hinzuweisen, die nützliche Informationen für Personen enthalten, die Prozeßkostenhilfe in Anspruch nehmen möchten. Die Bürger sollten Bescheid wissen, daß solche Informationen zur Verfügung stehen.

Solche Initiativen könnten durch Maßnahmen zur Förderung der Ausbildung und der interdis ziplinären Bildung sowie zur Information der Berufsgruppen, die mit Prozeßkostenhilfe befaßt sind (Rechtsanwälte, Richter, Polizeibeamte, Sozialarbeiter, Einwanderungsbehörden), ergänzt werden. Ferner könnte überlegt werden, entsprechende Ausbildungsangebote im Rahmen von internationalen Kursen zu schaffen. Auch die Einrichtung eines ständigen Informationszentrums könnte erwogen werden, das den Rechtsanwälten, die bereit sind, im Rahmen der Prozeßkostenhilfe tätig zu werden, aktuelle Informationen liefert.

Die Unterstützung durch die Gemeinschaft könnte ein starker Anreiz für junge, nicht ausschließlich auf ihr Rechtssystem spezialisierte Anwälte sein und sie ermutigen, eher diesen Weg als eine traditionelle Karriere als Wirtschaftsanwalt einzuschlagen. Daß Rechtsanwälte, die im Rahmen der Prozeßkostenhilfe bestimmt werden, in einzelnen Mitgliedstaaten nur eine geringe bzw. gar keine Entschädigung erhalten, kann nur negative Auswirkungen auf die Qualität der erbrachten Leistungen haben.

Informationskampagnen zielen meist stärker auf den einzelnen Bürger, der besser informiert werden soll, als auf die öffentlichen Stellen und Behörden ab, die dazu da sind, ihn zu beraten. Die Kommission hat Fortbildungsmöglichkeiten etwa für Zollbeamte an den Außengrenzen der Union geschaffen. Derartiges könnte auch für Beamte, die mit Prozeßkostenhilfe befaßt sind, erwogen werden.

G. Reform der einzelstaatlichen Regelungen für die Prozeßkostenhilfe und alternative Möglichkeiten, den Zugang zu den Gerichten sicherzustellen

Bei Überlegungen über die Probleme der Parteien beim Zugang zu Prozeßkostenhilfe in grenzüberschreitenden Streitsachen darf nicht übersehen werden, daß einige Mitgliedstaaten aufgrund der Kosten eines gut funktionierenden Systems der Prozeßkostenhilfe alternative Möglichkeiten geprüft haben, mit denen sichergestellt werden kann, daß sich die Bürger den Rechtsschutz leisten können. Zu den Alternativen, über die beraten wird oder die eingeführt wurden, gehören:

- An Bedingungen geknüpfte Honorare. Vor allem im Vereinigten Königreich werden solche Regelungen angewandt, bei denen die Rechtsanwälte nicht honoriert werden, wenn ihr Mandant den Fall verliert, jedoch einen bestimmten Prozentsatz des Schadensersatzes erhalten, wenn er gewinnt. Eine solche Regelung hat bestimmte Vorteile. Die Partei trägt dabei jedoch das Risiko, als Verlierer im Rechtsstreit die Kosten der anderen Partei tragen zu müssen, und nach nationalem Recht hat sie die Kosten der obsiegenden Partei zu begleichen. Darüber hinaus hat ein Anwalt wenig Anreiz, einen Fall auf dieser Grundlage zu übernehmen, sofern er nicht davon ausgehen kann, daß sein Mandant den Fall gewinnen wird.

- Rechtsschutzversicherungen. In einigen Mitgliedstaaten werden Rechtsschutzversicherun gen als Möglichkeit zur Sicherstellung des Zugangs zu den Gerichten gefördert. In Deutschland haben etwa die meisten Familien eine solche Versicherung abgeschlossen. In Schweden wird nach der jüngsten Reform Prozeßkostenhilfe nur dann gewährt, wenn vom Antragsteller unter den gegebenen Umständen nicht verlangt werden konnte, daß er eine Rechtschutzversicherung abschließt.

Diese Tendenz könnte positive Auswirkungen haben, da dadurch ein breiterer, erschwinglicher Zugang zu den Gerichten geschaffen wird. Dennoch ist etwas Vorsicht geboten. Die Mitgliedstaaten scheinen zu zögern, Rechtsschutzversicherungen gesetzlich vorzuschreiben. Die Versicherungen werden daher auf kommerzieller Basis abgeschlossen und müssen somit sowohl für die Versicherungsunternehmen als auch für die Bürger attraktiv sein, damit sie Erfolg haben. Der Schutz würde voraussichtlich je nach betreffendem Staat unterschiedlich sein und minderbemittelte Personen würden kaum eine solche Versicherung abschließen. Daher müßten die Mitgliedstaaten wohl ein gewisses Maß an Prozeßkostenhilfe zumindest für die ärmsten Bevölkerungsschichten aufrechterhalten.

Ein allgemeiner Trend zu Rechtsschutzversicherungen könnte für die Parteien in grenzüber schreitenden Streitsachen auch Nachteile bringen. Ist das Risiko einer Prozeßführung im Ausland nicht ausdrücklich im Versicherungsvertrag abgedeckt, müßte die betreffende Person nach wie vor auf die Prozeßkostenhilfe im Aufnahmestaat zurückgreifen. Wenn die Partei in einem Staat ansässig ist, in dem Rechtsschutzversicherungen nicht üblich sind und in einem Staat einen Rechtsstreit führt, in dem dies sehr wohl der Fall ist, könnte die Regelung über Prozeßkostenhilfe in diesem Staat bereits auf ein Minimum reduziert worden sein oder die Partei nur dann Anspruch auf Prozeßkostenhilfe haben, wenn nach den im Aufnahmestaat geltenden Kriterien unter den gegebenen Umständen nicht von ihr erwartet werden konnte, daß sie eine Rechtsschutzversicherung abschließt.

Nachdem der Europäische Rat den Rat erst vor kurzem ersucht hat, Mindeststandards zur Gewährleistung eines angemessenen Niveaus der Prozeßkostenhilfe in grenzüberschreitenden Streitsachen zu verabschieden, kann nicht hingenommen werden, daß Reformen auf einzelstaatlicher Ebene dieses Ziel in Frage stellen. Mitgliedstaaten, die ihre Regelungen über Prozeßkostenhilfe ändern wollen, müssen daher sicherstellen, daß diese Änderungen nicht im Widerspruch zur Gemeinschaftspolitik stehen.

Lösungsmöglichkeiten

Wie kann am besten sichergestellt werden, daß das Ziel, ein angemessenes Niveau der Prozeßkostenhilfe in grenzüberschreitenden Streitsachen zu gewährleisten, nicht durch Reformen der Regelung über Prozeßkostenhilfe in den Mitgliedstaaten beeinträchtigt wird-

Wie kann die Strategie der Festlegung von Mindestnormen für diesen Bereich am besten umgesetzt werden-