7.10.2017   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

L 259/21


EMPFEHLUNG (EU) 2017/1803 DER KOMMISSION

vom 3. Oktober 2017

über den Ausbau legaler Einreisemöglichkeiten für Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz

(Bekannt gegeben unter Aktenzeichen C(2017) 6504)

DIE EUROPÄISCHE KOMMISSION —

gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf Artikel 292,

in Erwägung nachstehender Gründe:

(1)

Die Neuansiedlung ist ein wichtiges Instrument zum Schutz Vertriebener und ein eindeutiges Zeichen weltweiter Solidarität mit Drittländern, in denen zahlreiche Menschen Schutz suchen, die vor Krieg oder Verfolgung fliehen. Indem sie Migranten eine sichere und legale Alternative zu gefährlichen und irregulären Migrationsrouten bietet, trägt die Neuansiedlung zur Rettung von Menschenleben, zur Reduzierung der irregulären Migration und zur Bewältigung des Migrationsdrucks bei und zeigt, dass es andere Möglichkeiten gibt, als sich auf Schleusernetze einzulassen. Sie ist somit ein wichtiger Baustein in der Asyl- und Migrationspolitik der EU.

(2)

Im September 2015 veranlasste die Flüchtlingskrise im Mittelmeer die Unionsorgane, auf die Dringlichkeit der Lage aufgrund des außergewöhnlich hohen Migrantenandrangs in der Region unverzüglich zu reagieren und zu kurz- und langfristigen Maßnahmen aufzurufen. Dazu zählten die Behandlung der Migrationsproblematik außerhalb der EU, die Gewährleistung einer wirksamen Kontrolle der EU-Außengrenzen, die Verschärfung der EU-Rückkehrpolitik und die gleichzeitige Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) sowie die Ausweitung sicherer und legaler Einreisemöglichkeiten in die EU.

(3)

Als Teil der Sofortmaßnahmen, aber auch mit dem Ziel eines umfassenden Herangehens an die Migrationskrise und als Zeichen der Solidarität mit den Drittländern, die die Hauptlast der weltweiten Flüchtlingskrise zu tragen haben, empfahl die Kommission am 8. Juni 2015 eine EU-weite Regelung zur Neuansiedlung von 20 000 Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz binnen zwei Jahren (1). Am 20. Juli 2015 vereinbarten die Mitgliedstaaten zusammen mit den assoziierten Dublin-Staaten, 22 504 Schutzbedürftige aus dem Nahen Osten, Nordafrika und dem Horn von Afrika aufzunehmen (2).

(4)

Um Schleusernetze zu bekämpfen und Migranten eine Alternative zu lebensgefährlichen Unterfangen zu bieten, entschlossen sich die EU und die Türkei am 18. März 2016, den unkontrollierten Migrantenströmen, die zu einer humanitären Krise geführt hatten, Einhalt zu gebieten, und vereinbarten eine Reihe von Maßnahmen, darunter die Neuansiedlung von Syrern mit Anspruch auf internationalen Schutz in den Mitgliedstaaten.

(5)

Im Anschluss an die EU-Türkei-Erklärung änderte der Rat seinen Beschluss (EU) 2015/1601 (3) ab, um den Mitgliedstaaten die Erfüllung ihrer Umverteilungspflichten in Bezug auf 54 000 Schutzsuchende mittels Neuansiedlung, Aufnahme aus humanitären Gründen oder anderer Wege der legalen Aufnahme von in der Türkei aufhältigen Syrern mit Anspruch auf internationalen Schutz im Rahmen ihrer nationalen und multilateralen Programme zu ermöglichen.

(6)

In ihrer New Yorker Erklärung für Flüchtlinge und Migranten vom 19. September 2016 riefen sämtliche 193 Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen dazu auf, die Last und die Verantwortung für die Beherbergung und Unterstützung der Flüchtlinge ausgewogener zu teilen. Die Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen bekundeten ihre Absicht, Zahl und Reichweite legaler Einreisemöglichkeiten für Flüchtlinge auszuweiten, damit diese in Drittländern aufgenommen oder neu angesiedelt werden können (4).

(7)

Bis zum 20. September 2017 sind mehr als 23 000 Personen auf Grundlage der am 20. Juli 2015 vereinbarten Regelung und der EU-Türkei-Erklärung umgesiedelt worden. Weitere Schutzbedürftige wurden von den Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer nationalen Programme neu angesiedelt.

(8)

Allein im Jahr 2016 haben die Mitgliedstaaten 14 205 Flüchtlinge neu angesiedelt. 2015 betrug die Zahl der Neuansiedlungen 8 155, 2014 waren es 6 550 und im Zeitraum 2010-2013 rund 4 000-5 000 pro Jahr. Der Anstieg zeigt den Mehrwert und das Potenzial der Zusammenarbeit und Koordination auf EU-Ebene im Bereich Neuansiedlung auf. Er verdeutlicht aber auch, wie wichtig eine angemessene finanzielle Unterstützung der Neuansiedlungsbemühungen aus dem EU-Haushalt ist, da aus diesem für die Jahre 2014-2017 293,3 Mio. EUR bereitgestellt wurden.

(9)

Die Mitgliedstaaten, die ihre Zusagen im Rahmen der laufenden Regelungen noch nicht erfüllt haben, sollten dies unverzüglich nachholen. Bei Ablauf der beiden Regelungen nicht ausgeschöpfte Kontingente sollten in den nächsten Neuansiedlungszyklus dort zusätzlich zu den neuen Zusagen der Mitgliedstaaten übernommen werden.

(10)

Die EU muss von Adhoc-Regelungen für die Neuansiedlung und humanitäre Aufnahme zu einem stabilen Neuansiedlungsrahmen für die EU übergehen. Zu diesem Zweck hat die Kommission im Zuge der Neugestaltung des EU-Asylsystems einen Vorschlag zur Schaffung eines Neuansiedlungsrahmens der Union (5) vorgelegt, um sichere und legale Wege des Zugangs zu internationalem Schutz in der Union zu schaffen. Die rasche Verabschiedung dieses Vorschlags würde erheblich zu einer effizienteren, gerechteren und stabileren europäischen Asyl- und Migrationspolitik beitragen.

(11)

Um die Fortsetzung der Neuansiedlungsmaßnahmen bis zur Schaffung eines solchen Neuansiedlungsrahmens der Union zu gewährleisten, forderte die Kommission die Mitgliedstaaten am 4. Juli 2017 auf dem 8. Forum für Neuansiedlungs- und Umsiedlungsmaßnahmen auf, entsprechend den für diesen Zeitraum vereinbarten Prioritäten und den Bedarfsprognosen des Flüchtlingskommissariats der Vereinten Nationen (UNHCR) für 2018 ambitionierte Neuansiedlungszusagen einzugehen.

(12)

Diese Empfehlung soll gewährleisten, dass die Neuansiedlungsanstrengungen im Zeitraum zwischen dem Auslaufen der gegenwärtigen EU-Neuansiedlungsregelungen und dem Beginn der praktischen Anwendung des Neuansiedlungsrahmens der Union fortgesetzt und der am 4. Juli 2017 eingeleitete Neuansiedlungszyklus, mit dem sich aus der Prognose des UNHCR über den weltweiten Neuansiedlungsbedarf für 2018 ergebenden zusätzlichen Bedarf Rechnung getragen werden soll, umgesetzt werden.

(13)

Ferner soll die Empfehlung die fortlaufenden Bemühungen der Mitgliedstaaten um die Schaffung und Ausweitung legaler und sicherer Migrationsmöglichkeiten für Menschen mit Anspruch auf internationalen Schutz unterstützen. Mit Maßnahmen, die sie im Einklang mit dieser Empfehlung ergreifen, üben die Mitgliedstaaten gegenüber den Drittländern, in denen sich zahlreiche Vertriebene mit Anspruch auf internationalen Schutz aufhalten, Solidarität, leisten ihren Beitrag zu internationalen Neuansiedlungsinitiativen und tragen dazu bei, dass die Migrationslage insgesamt beherrschbarer wird. Die Ziele dieser Empfehlungen stimmen daher mit dem Vorschlag für einen Neuansiedlungsrahmen der Union überein.

(14)

Die Auswahl der prioritären Regionen beruht auf der Notwendigkeit, die Anwendung der EU-Türkei-Erklärung vom 18. März 2016 auch mittels der künftigen Regelung über die freiwillige Aufnahme aus humanitären Gründen (VHAS) fortzusetzen, die Neuansiedlungen aus Jordanien und dem Libanon weiterzuführen und der Ankündigung im „Aktionsplan mit Maßnahmen zur Unterstützung Italiens, zur Verringerung des Drucks auf der zentralen Mittelmeerroute und für mehr Solidarität“ (6), Personen aus den wichtigsten afrikanischen Ländern entlang der und hin zur Migrationsroute über das zentrale Mittelmeer einschließlich Libyens, Nigers, des Tschad, Ägyptens, Somalias und Sudans neu anzusiedeln, Taten folgen zu lassen.

(15)

Der am 4. Juli 2017 eingeleitete Neuansiedlungszyklus hat bis zum 20. September 14 000 Neuansiedlungszusagen von Mitgliedstaaten ergeben. Ein stärkeres Engagement aller Mitgliedstaaten ist erforderlich, damit die gemeinsamen Bemühungen um die Rettung von Menschenleben und um glaubwürdige Alternativen zur irregulären Migration Früchte tragen.

(16)

Der weltweite Neuansiedlungsbedarf umfasst derzeit 1,2 Millionen Menschen. Der UNHCR hat sämtliche Staaten wiederholt aufgefordert, den Umfang ihrer Neuansiedlungsprogramme entsprechend ihren Absichtsbekundungen in der New Yorker Erklärung für Flüchtlinge schrittweise zu erhöhen. Vor diesem Hintergrund sollte die Union, aufbauend auf den Fortschritten seit 2015, mindestens 50 000 Neuansiedlungsplätze für die Aufnahme von Schutzbedürftigen aus Drittländern bis 31. Oktober 2019 anbieten.

(17)

Zur Unterstützung der einschlägigen Anstrengungen der Mitgliedstaaten sollten aus dem Unionshaushalt 500 Mio. EUR zur Verfügung gestellt werden. Vorbehaltlich der im Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds (AMIF) vorgesehenen Bedingungen können die Mitgliedstaaten eine Pauschale von 10 000 EUR je neu angesiedelter Person aus einer der prioritären Regionen erhalten.

(18)

Der UNHCR plant einen vorübergehenden Mechanismus für eine Notfall-Evakuierung der schutzbedürftigsten Gruppen von Migranten aus Libyen. Die EU sollte zusammen mit anderen weltweit tätigen Akteuren zu diesem Mechanismus beitragen und ihm mit dem Angebot einer echten Neuansiedlungsperspektive für besonders schutzbedürftige Personengruppen, die sich derzeit in Libyen aufhalten, zum Erfolg verhelfen. Die irreguläre Migration wird erst aufhören, wenn eine echte Alternative zu den gefährlichen Routen geboten wird. Bei der Prüfung ihrer Neuansiedlungs-Angebote sollten die Mitgliedstaaten daher auch diese UNHCR-Initiative berücksichtigen und unterstützen.

(19)

In ihrer Gemeinsamen Erklärung über die Bewältigung der migrations- und asylpolitischen Herausforderungen vom 28. August 2017 haben die Vertreter Frankreichs, Deutschlands, Italiens und Spaniens gemeinsam mit der Hohen Vertreterin der Union für die Außen- und Sicherheitspolitik und Vizepräsidentin der Kommission gemeinsam mit den Vertretern Nigers und des Tschads sowie dem Vorsitz des Präsidialrats von Libyen die Notwendigkeit anerkannt, die Neuansiedlung besonders gefährdeter Personengruppen mit Anspruch auf internationalen Schutz zu organisieren, während die Migration durch Schleuserbanden eingedämmt wird.

(20)

Die mindestens 50 000 von der Union anzubietenden Neuansiedlungsplätze für Personen aus den prioritären Regionen werden zu den globalen Solidaritätsinitiativen zum Ausbau legaler Migrationsmöglichkeiten einschließlich des jüngsten weltweiten Aufrufs des UNHCR zur Bereitstellung von 40 000 Neuansiedlungsplätzen für Menschen aus den Ländern entlang der zentralen Mittelmeerroute für 2018 beitragen.

(21)

Um eine Umsetzungskontrolle zu gewährleisten, sollten die Mitgliedstaaten der Kommission monatlich berichten, wie viele Personen sie, aufgeschlüsselt nach dem Land, aus dem heraus sie neu angesiedelt werden, im Einklang mit ihren Zusagen in ihrem Hoheitsgebiet aufgenommen haben.

(22)

Die Kommission sollte die Fortschritte bei der Umsetzung dieser Empfehlung bis 31. Oktober 2018 einer Bestandsaufnahme unterziehen. Auf der Grundlage dieser Bestandsaufnahme und unter Berücksichtigung der Migrationslage insgesamt in der EU könnten die Mitgliedstaaten zu einer Korrektur ihrer Zusagen aufgefordert werden.

(23)

Diese Empfehlung sollte an die Mitgliedstaaten gerichtet werden. Die assoziierten Staaten werden eingeladen, sich an den gemeinsamen europäischen Neuansiedlungsmaßnahmen zu beteiligen —

HAT FOLGENDE EMPFEHLUNG ABGEGEBEN:

ERHÖHUNG DER NEUANSIEDLUNGSZUSAGEN

1.

Die Mitgliedstaaten sollten, aufbauend auf den Erfahrungen mit der Umsetzung der gegenwärtigen EU-Neuansiedlungsregelungen und zur Überbrückung der Zeit zwischen diesen und dem Beginn der praktischen Anwendung des Neuansiedlungsrahmens der Union, mindestens 50 000 Neuansiedlungsplätze für die Aufnahme von Schutzbedürftigen aus Drittländern bis 31. Oktober 2019 anbieten.

2.

Die Mitgliedstaaten, die noch keine Zusagen im Rahmen des von der Kommission am 4. Juli 2017 eingeleiteten Neuansiedlungszyklus vorgelegt haben, sollten dies bis spätestens 31. Oktober 2017 nachholen; die übrigen Mitgliedstaaten sollten eine Erhöhung ihrer Zusagen in Betracht ziehen, damit die Zielvorgabe erreicht wird.

3.

Die Mitgliedstaaten sollten ihre Zusagen auf folgende Ziele ausrichten:

a)

Fortsetzung der Neuansiedlungen von Syrern, anderen Drittstaatlern und Staatenlosen, die durch den Konflikt in Syrien vertrieben wurden, aus der Türkei im Rahmen der EU-Türkei-Erklärung vom 18. März 2016 und mittels der künftigen Regelung über die freiwillige Aufnahme aus humanitären Gründen (VHAS);

b)

Fortsetzung der Neuansiedlungen aus dem Libanon und aus Jordanien;

c)

Fortsetzung der Lagestabilisierung an der zentralen Mittelmeerroute durch Neuansiedlung von Schutzbedürftigen aus Libyen, Niger, dem Tschad, Ägypten, Äthiopien und dem Sudan auch im Rahmen des vorübergehenden UNHCR-Mechanismus für eine Notfall-Evakuierung der schutzbedürftigsten Gruppen von Migranten aus Libyen.

4.

Die Mitgliedstaaten werden aufgefordert, ihre Neuansiedlungszusagen in enger Zusammenarbeit mit dem UNHCR und gegebenenfalls mit Unterstützung des EASO baldmöglichst einzulösen.

KONTROLLE

5.

Die Mitgliedstaaten sollten der Kommission monatlich berichten, wie viele Personen sie, aufgeschlüsselt nach dem Land, aus dem heraus sie neu angesiedelt werden, in Erfüllung ihrer Zusagen in ihrem Hoheitsgebiet aufgenommen haben.

FINANZIELLE UNTERSTÜTZUNG

6.

Die Mitgliedstaaten sollten die zur Erfüllung der in dieser Empfehlung genannten Neuansiedlungszusagen über den Asyl-, Migrations- und Integrationsfonds bereitgestellte finanzielle Unterstützung in Höhe von 500 Mio. EUR vollumfänglich nutzen.

ÜBERPRÜFUNG

7.

Die Kommission wird diese Empfehlung bis 31. Oktober 2018 überprüfen. Im Anschluss an die Überprüfung der Umsetzung dieser Empfehlung und unter Berücksichtigung der Migrationslage insgesamt in der EU könnten die Mitgliedstaaten gegebenenfalls zu einer Aktualisierung ihrer Zusagen aufgefordert werden.

ADRESSATEN

8.

Diese Empfehlung ist an die Mitgliedstaaten gerichtet.

Brüssel, den 3. Oktober 2017

Für die Kommission

Dimitris AVRAMOPOULOS

Mitglied der Kommission


(1)  Empfehlung der Kommission vom 8. Juni 2015 für eine europäische Neuansiedlungsregelung (C(2015) 3560 final).

(2)  Schlussfolgerungen der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten vom 20. Juli 2015.

(3)  Beschluss (EU) 2016/1754 des Rates vom 29. September 2016 zur Änderung des Beschlusses (EU) 2015/1601 zur Einführung von vorläufigen Maßnahmen im Bereich des internationalen Schutzes zugunsten von Italien und Griechenland (ABl. L 268 vom 1.10.2016, S. 82).

(4)  New Yorker Erklärung für Flüchtlinge und Migranten, abrufbar unter: http://www.unhcr.org/new-york-declaration-for-refugees-and-migrants.html.

(5)  COM(2016) 468 final.

(6)  SEC(2017)339.