13.2.2018   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 54/1


Entschließung des Europäischen Ausschusses der Regionen zum Europäischen Semester 2017 und mit Blick auf den Jahreswachstumsbericht 2018

(2018/C 054/01)

Vorlage der Fraktionen EVP, SPE, ALDE, EA und EKR

DER EUROPÄISCHE AUSSCHUSS DER REGIONEN (AdR),

gestützt auf die Dokumente des Europäischen Semesters 2017, nämlich den Jahreswachstumsbericht, die Länderberichte, die nationalen Reformprogramme und die länderspezifischen Empfehlungen;

unter Hinweis auf seine am 8. Februar 2017 angenommene Entschließung zum Jahreswachstumsbericht 2017 der Europäischen Kommission (RESOL-VI/019);

unter Hinweis auf den Bericht des Europäischen Parlaments zum Jahreswachstumsbericht 2017 (2016/2306 (INI));

Neubelebung der Investitionstätigkeit

1.

betont, dass sich 55 % aller 2017 abgegebenen länderspezifischen Empfehlungen auf Investitionshemmnisse beziehen, zu deren Beseitigung die lokalen und regionalen Gebietskörperschaften beitragen können (1); verweist darauf, dass die Diskrepanz zwischen den Aufgaben der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften (LRG) und den dafür bereitgestellten Finanzmitteln beseitigt werden muss;

2.

drängt darauf, dass die Kohäsionspolitik das Hauptinvestitionsinstrument der EU bleibt; ist gleichwohl der Auffassung, dass ihre Steuerung und die Wechselwirkung mit dem Europäischen Semester verbessert werden sollte, um den Multiplikatoreffekt der Ausgaben für die Kohäsionspolitik und ihren Beitrag zu nachhaltigem und integrativem Wachstum weiter zu erhöhen;

3.

begrüßt zwar die im Januar 2015 erfolgte Einführung von Spielräumen im Stabilitäts- und Wachstumspakt, fordert aber weitere Maßnahmen zur Belebung der öffentlichen Investitionen, insbesondere in die Infrastruktur und soziale Inklusion. Dabei ist die nationale, regionale oder lokale Kofinanzierung im Rahmen der europäischen Struktur- und Investitionsfonds beim Berechnungsverfahren des Stabilitäts- und Wachstumspaktes ebenso auszuklammern wie die Kofinanzierung beim Europäischen Fonds für strategische Investitionen. Des Weiteren soll auf EU-Ebene eine Klassifizierung für die Qualität öffentlicher Investitionen bei den Berechnungen der öffentlichen Ausgaben in Abhängigkeit von ihrer langfristigen Wirkung festgelegt werden. Die Methodik für die Berechnung des „strukturellen Defizits“, um den inhärenten Merkmalen der einzelnen Volkswirtschaften und den strukturellen Unterschieden bei den öffentlichen Ausgaben Rechnung zu tragen, ist zu überprüfen. Zudem wird vorgeschlagen, einen Indikator für die Investitionsquote in den makroökonomischen Anzeiger (Scoreboard) aufzunehmen;

4.

stellt fest, dass die LRG an ca. 25 % der über die EIB finanzierten Projekte des Europäischen Fonds für strategische Investitionen (EFSI) beteiligt sind, dass aber — wie eine aktuelle, vom AdR in Auftrag gegebene Studie belegt — erhebliche Probleme bezüglich ihrer Beteiligung fortbestehen, die auf ihre Verwaltungskapazitäten, die dem EFSI innewohnende Komplexität und seine geringe Bekanntheit bei den Städten und Regionen (2) zurückzuführen sind; betont, dass mehr Sensibilisierungsmaßnahmen, technische Unterstützung, Beratung sowie Synergien mit anderen EU-Finanzierungsquellen notwendig sind, um die Beteiligung der LRG an der Umsetzung des EFSI zu stärken und eine ausgewogenere geografische Verteilung der EFSI-Projekte zu gewährleisten;

5.

teilt die Einschätzung der Kommission bezüglich des EFSI, dass das „Potential im Hinblick auf die Dynamisierung des Aufbaus von Humankapital bei weitem noch nicht ausgeschöpft [ist]. Es muss intensiver an der Entwicklung geeigneter Instrumente hierfür gearbeitet und gewährleistet werden, dass gesellschaftliche Akteure und Geldgeber enger zusammenarbeiten“ (3);

6.

betont die Bedeutung weiterer Strukturreformen auf allen Regierungs- und Verwaltungsebenen und der Beseitigung unnötigen bürokratischen Aufwands für laufende Investitionen, um die Rahmenbedingungen für Unternehmen und Investitionen zu verbessern;

7.

weist darauf hin, dass der Zugang zu Finanzierungsmöglichkeiten KMU, Start-ups und Scale-ups in Europa nach wie vor erhebliche Probleme bereitet; begrüßt Maßnahmen wie den europaweiten Wagniskapitaldachfonds; fordert die Kommission auf, in Zusammenarbeit mit den lokalen, regionalen und nationalen Behörden weitere Schritte zur Hebelung privater Investitionen und zur Förderung der Differenzierung von Finanzierungsquellen zu ergreifen;

Fortsetzung der Strukturreformen und einer verantwortungsvollen Haushaltspolitik

8.

wiederholt seine Forderung nach einer stärkeren Koordinierung aller Maßnahmen der EU zum Kapazitätsaufbau und zur Vereinfachung der EU-Fonds; unterstreicht, dass 53 % aller länderspezifischen Empfehlungen im Jahr 2017 Fragen der Verwaltungskapazität — insbesondere auf der subnationalen Ebene — betreffen;

9.

ist der Auffassung, dass die Anstrengungen der Mitgliedstaaten bei der Durchführung von Strukturreformen und bei der Senkung des Verwaltungsaufwands in Kombination mit laufenden Investitionen durch den EU-Haushalt unterstützt werden sollten, und begrüßt daher die im Mai 2017 beschlossene Aufstellung des mit 142,8 Mio. EUR ausgestatteten Programms zur Unterstützung von Strukturreformen (2017-2020). Das Programm wird einen Beitrag zu institutionellen, administrativen und strukturellen Reformen leisten, um Maßnahmen mit einem europäischen Mehrwert zur Steigerung von Wettbewerbsfähigkeit, Produktivität, Wachstum, Beschäftigung, Zusammenhalt und Investitionen zu finanzieren;

10.

fordert die Kommission erneut auf, den Vorschlag einer Fiskalkapazität für das Euro-Währungsgebiet zu erwägen, mit der der Euroraum ggf. stabilisiert werden könnte;

11.

legt der Kommission nahe, mögliche Schwierigkeiten der LRG bei der Anwendung der Richtlinien über die Vergabe öffentlicher Aufträge zu bewerten, und unterstreicht, dass auf lokaler und regionaler Ebene Instrumente wie z. B. Wissenszentren notwendig sind, mit denen die Verwaltungskapazitäten auf allen Regierungs- und Verwaltungsebenen in Bezug auf die öffentliche Auftragsvergabe und staatliche Beihilfen mit technischer Hilfe und Anleitung verbessert werden können;

12.

betont die Notwendigkeit integrativen Wachstums und der Verbesserung der sozialen Dimension der EU mittels Einrichtung einer Europäischen Säule sozialer Rechte (4) mithilfe einer starken europäischen Sozialagenda, bei der sich Wettbewerbsfähigkeit und soziale Gerechtigkeit gegenseitig ergänzen, und die u. a. ein stärkeres Gewicht der sozialen Indikatoren im Rahmen des Europäischen Semesters und Konvergenz bei den Löhnen im Einklang mit der Produktivität vorsehen würde;

13.

betont vor dem Hintergrund des Reflexionspapiers der Kommission zum Thema „Die Globalisierung meistern“ (5), dass es notwendig ist, die Vorteile der Globalisierung einem größeren Kreis zugutekommen zu lassen, das Konzept der territorialen Resilienz weiterzuentwickeln und die Förderung von Strukturreformen zu stoppen, bei denen ungleiche territoriale Auswirkungen aufgrund regionaler Unterschiede nicht berücksichtigt werden. Außerdem müssen die Anstrengungen der EU zur Bewältigung der Globalisierung mit folgenden drei Schwerpunkten verstärkt werden: einer proaktiven Strategie zur Verbesserung der Kompetenzen, Kenntnisse und Infrastruktur, einer Risikominderungsstrategie einschließlich des Europäischen Fonds für die Anpassung an die Globalisierung (EGF) und anderer politischer Instrumente, und einer Beteiligungsstrategie zur besseren Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger an der politischen Entscheidungsfindung in der EU; fordert auch: eine Verbesserung des EGF durch Aufstockung seiner Haushaltsmittel; seine Integration in den MFR; die deutliche Herabsetzung der Kriterien für die Inanspruchnahme des EGF sowie die Gewährleistung von Synergien mit den europäischen Struktur- und Investitionsfonds;

14.

macht deutlich, dass der gegenwärtige globale Druck eine umfassende und ortsbezogene Strategie für die Industriepolitik der EU (6) erfordert, die eine strategische Koordinierung zwischen den einschlägigen Maßnahmen und Instrumenten der Union umfasst;

Europäisches Semester 2017 und Ausblick auf den Jahreswachstumsbericht 2018

15.

betont, dass 76 % aller länderspezifischen Empfehlungen 2017 gebietsbezogen sind, weil sie sich auf Probleme beziehen, die einige Regionen oder Städte mehr betreffen als andere, und weil ihre Umsetzung auf subnationalen Regierungs- bzw. Verwaltungsebenen beruht; stellt fest, dass 62 % dieser Empfehlungen direkt an die LRG gerichtet sind, was deren Rolle bei der Durchführung von Strukturreformen unterstreicht;

16.

hebt hervor, dass in zwei Dritteln der nationalen Reformprogramme 2017 die Existenz regionaler Unterschiede anerkannt und in allen die Beteiligung der LRG an ihrer Umsetzung erwähnt wird; in 70 % der nationalen Reformprogramme wird auch auf ihre Beteiligung an deren Vorbereitung — wenngleich immer noch hauptsächlich im Rahmen einer reinen Konsultation — eingegangen;

17.

unterstreicht, dass die frühzeitige Beteiligung der LRG als Partner bei der Mitgestaltung der nationalen Reformprogramme und die systematische Anwendung eines Multi-Level-Governance-Ansatzes die erfolgreiche Umsetzung der Empfehlungen spürbar verbessern würde, beim Abbau regionaler Unterschiede behilflich wäre, die Eigenverantwortung vor Ort erhöhen und das Vertrauen innerhalb und zwischen den Mitgliedstaaten stärken würde;

18.

fordert die EU-Organe auf, den Vorschlag des AdR für einen Verhaltenskodex zur Einbeziehung der LRG in das Europäische Semester (7) umzusetzen, und begrüßt die Unterstützung des Europäischen Parlaments (8) für diesen Vorschlag;

19.

empfiehlt, im Jahreswachstumsbericht 2018 ein eigenes Kapitel über die Lage der Regionen aufzunehmen und auf die Rolle der LRG einzugehen; fordert die Mitgliedstaaten auf, in ihren nationalen Reformprogrammen entsprechend zu verfahren; begrüßt die Unterstützung für die Forderung, in den länderspezifischen Empfehlungen eine territoriale Dimension aufzunehmen; fordert die Europäische Kommission auf, sich bei den Länderbesuchen zu Beginn des Semesters auch mit Vertretern der LRG zu treffen; betont — im Rahmen der Unterstützung für die Aufnahme der territorialen Dimension in das Europäische Semester —, dass eines der aufzunehmenden und mit diesem zu verknüpfenden Elemente der demografische Wandel sein sollte — wie dies der AdR in seiner Stellungnahme „Die Antwort der EU auf die demografische Herausforderung“ vorgeschlagen hat;

20.

bekräftigt angesichts der gegenwärtigen Diskrepanz zwischen dem jährlichen Verfahren der Erarbeitung der länderspezifischen Empfehlungen und dem für die ESI-Fonds erforderlichen mittel- bzw. langfristigen Planungsansatz seine Überzeugung (9), dass die Einbeziehung der Kohäsionspolitik in die nationalen Reformprogramme so umgestaltet werden muss, dass die territoriale Dimension sowie der partnerschaftliche und dezentrale Ansatz erhalten bleiben;

21.

stellt fest, dass zahlreiche länderspezifische Empfehlungen jahrelang wiederholt werden, weil die Umsetzung komplexer Reformen Zeit in Anspruch nimmt; begrüßt, dass die Europäische Kommission den Vorschlag des AdR teilt, die Fortschritte bei der Umsetzung der Empfehlungen anstatt auf jährlicher auf mehrjähriger Basis zu messen; verweist darauf, dass die Kommission auf dieser Grundlage festgestellt hat, „dass etwa zwei Drittel der bis 2016 abgegebenen länderspezifischen Empfehlungen zumindest mit ‚einigen Fortschritten‘ umgesetzt wurden“ (10) (im Vergleich zu 43 % aller 2016 abgegebenen länderspezifischen Empfehlungen); fordert die Kommission auf, alle Anhaltspunkte für solche Bewertungen transparent zu veröffentlichen;

22.

betont, dass das Europäische Semester in einen langfristigen strategischen Rahmen gestellt werden muss; anerkennt in diesem Zusammenhang die Bemühungen der Kommission, die von den Vereinten Nationen verabschiedete Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung und die darin verankerten Ziele für nachhaltige Entwicklung mit der Strategie Europa 2020 und dadurch mit den ESI-Fonds zu verknüpfen. Unterstreicht angesichts der Komplexität und Vielzahl unterschiedlicher Bezugsrahmen gleichwohl die Notwendigkeit der politischen Kohärenz, der gemeinsamen Ausrichtung und eines einheitlichen Governance-Rahmens und legt der Kommission nahe, zügig diesbezügliche Vorschläge vorzulegen;

23.

unterstreicht, dass die 2015 eingetretene europäische Flüchtlings- und Migrationskrise für viele Regionen und Kommunen immer noch ein großes Problem ist; fordert daher eine deutliche und konkrete Antwort auf europäischer Ebene, auch in Form neuer Fonds;

24.

weist besorgt auf die hohe Langzeitarbeitslosigkeit insbesondere bei jungen Menschen hin, von der die Wirtschaft verschiedener EU-Mitgliedstaaten betroffen ist; fordert folglich die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, alle zur Stützung des Arbeitsmarktes notwendigen Maßnahmen zu intensivieren;

25.

beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung der Kommission, dem Europäischen Parlament, dem Rat, dem Präsidenten des Europäischen Rates und dem estnischen Ratsvorsitz der EU zu übermitteln.

Brüssel, den 11. Oktober 2017

Der Präsident des Europäischen Ausschusses der Regionen

Karl-Heinz LAMBERTZ


(1)  AdR, Europäisches Semester 2016, Territoriale Analyse der länderspezifischen Empfehlungen, Bericht des Lenkungsausschusses der Europa-2020-Monitoringplattform.

(2)  http://cor.europa.eu/en/documentation/studies/Documents/Implementation-EFSI/implementation_EFSI_pdf.pdf.

(3)  Siehe Mitteilung der Kommission „Das Europäische Semester 2017: Bewertung der Fortschritte bei den Strukturreformen, Vermeidung und Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte und Ergebnisse der eingehenden Überprüfungen gemäß Verordnung (EU) Nr. 1176/2011“, COM(2017) 90 final.

(4)  Stellungnahme des AdR zum Thema „Die Europäische Säule sozialer Rechte und das Reflexionspapier zur sozialen Dimension Europas“, Berichterstatter: Mauro D’Attis (EVP/IT), verabschiedet vom AdR am 11. Oktober 2017 (SEDEC-VI/027).

(5)  Stellungnahme des AdR zum Reflexionspapier der Kommission „Die Globalisierung meistern“, Berichterstatterin: Micaela Fanelli (SPE/IT), verabschiedet vom AdR am 10. Oktober 2017 (ECON-VI/024).

(6)  Eine Initiativstellungnahme des AdR zum Thema „Eine europäische Industriestrategie: Rolle und Perspektive der regionalen und lokalen Gebietskörperschaften“ wird derzeit von Heinz Lehmann (EVP/DE) erarbeitet.

(7)  Stellungnahme des AdR vom 11. Mai 2017 zum Thema „Bessere Steuerung des Europäischen Semesters: ein Verhaltenskodex für die Einbeziehung der lokalen und regionalen Gebietskörperschaften“, Berichterstatter: Rob Jonkman (EKR/NL).

(8)  Siehe die Entschließung des Europäischen Parlaments zum Europäischen Semester 2016 vom 26. Oktober 2016.

(9)  Stellungnahme des AdR vom 11. Mai 2017 zum Thema „Die Zukunft der Kohäsionspolitik nach 2020 — Für eine starke und wirkungsvolle europäische Kohäsionspolitik nach 2020“, Berichterstatter: Michael Schneider (EVP/DE).

(10)  Mitteilung der Europäischen Kommission „Europäisches Semester 2017: Länderspezifische Empfehlungen“, COM(2017) 500 (https://ec.europa.eu/info/files/2017-european-semester-communication-country-specific-recommendations_de).