52003DC0259

Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament und die Europäische Zentralbank - Anwendung von artikel 3 absätze 4 bis 6 der Richtlinie über den elektronischen geschäftsverkehr auf finanzdienstleistungen /* KOM/2003/0259 endg. */


MITTEILUNG DER KOMMISSION AN DEN RAT, DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DIE EUROPÄISCHE ZENTRALBANK - ANWENDUNG VON ARTIKEL 3 ABSÄTZE 4 BIS 6 DER RICHTLINIE ÜBER DEN ELEKTRONISCHEN GESCHÄFTSVERKEHR AUF FINANZDIENSTLEISTUNGEN

1. EINLEITUNG

In der vorliegenden Mitteilung wird die Anwendung von Artikel 3 Absätze 4 bis 6 der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr [1] auf den Finanzdienstleistungsbereich näher erläutert.

[1] Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000, ABl. L 178 vom 17.7.2000, S. 1.

Anlass zum vorliegenden Vermerk gaben Bedenken, die einige Mitgliedstaaten seit der Verabschiedung der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr, insbesondere während der Verhandlungen über die Richtlinie über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen, bezüglich der uneingeschränkten Anwendung der Binnenmarktklausel auf Finanzdienstleistungen zum Ausdruck gebracht haben. Diese Mitgliedstaaten vertraten die Auffassung, dass es ihnen bis zu einer stärkeren Harmonisierung in einigen Bereichen (z. B. durch Verhaltensregeln für Dienstleistungen im Anlagebereich oder nicht harmonisierte Investmentfonds) möglich sein müsste, auf elektronische Dienstleistungen aus anderen Mitgliedstaaten trotz der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr weiterhin bestimmte nationale Bestimmungen anzuwenden. Ein solcher Übergangszeitraum hätte zu einer - wenn auch zeitlich befristeten - Ausnahme von der Richtlinie geführt und wurde von der Kommission und den meisten Mitgliedstaaten abgelehnt.

Die Kommission hatte in diesem Zusammenhang betont, dass einem Mitgliedstaat gemäß Artikel 3 Absätze 4 bis 6 der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr ausreichend Möglichkeiten zur Verfügung stehen, um im Einzelfall Maßnahmen gegen einen Diensteanbieter zu ergreifen, der eines der unter Artikel 3 Absatz 4 Buchstabe a) Ziffer i der Richtlinie fallenden Ziele des Allgemeininteresses gefährdet oder eine ernsthafte Gefahr einer Beeinträchtigung dieser Ziele darstellt.

Die vorliegende Mitteilung soll den Mitgliedstaaten, die derartige Maßnahmen ergreifen möchten, als Hilfsmittel dienen und stellt keinesfalls ein Dokument zu Auslegungsfragen dar. Es werden darin nur jene Aspekte des Artikels 3 Absätze 4 bis 6 der Richtlinie behandelt, für die die Kommission Erläuterungsbedarf festgestellt hat.

Durch diese Mitteilung wird für die Mitgliedstaaten keinerlei rechtliche Verpflichtung geschaffen. Sie greift dem Standpunkt nicht vor, den die Kommission zu denselben Fragen einnehmen könnte, wenn sie aufgrund der gemachten Erfahrungen, einschließlich der Rechtsprechung des Gerichtshofes, die in diesem Papier dargelegten Standpunkte zum Teil revidieren müsste.

Darüber hinaus wird die Kommission in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten klären, inwiefern unter Umständen eine stärkere Angleichung der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften erforderlich ist. Sie wird den Harmonisierungsbedarf in den Bereichen prüfen, in denen sich möglicherweise durch zu unterschiedliche Regelungen Schwierigkeiten für den freien Dienstleistungsverkehr und im Verbraucherschutz ergeben (beispielsweise im Bereich der nicht harmonisierten Investmentfonds).

Der Kommission ist bewusst, dass nicht alle Gerichtsentscheidungen, auf die in dieser Mitteilung Bezug genommen wird, im Hinblick auf Finanzdienstleistungen ergangen sind und dass keine der Entscheidungen sich mit elektronischem Geschäftsverkehr beschäftigt. Da aber der Gerichtshof regelmäßig mit Analogien arbeitet und im engeren Sinne auch keine sektorspezifische Rechtsprechung erlässt, ist die Kommission der Auffassung, dass es sowohl möglich als auch angemessen ist, die folgende Analyse auf bestehende Rechtsprechung zu stützen.

Natürlich kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Gerichtshof eine Rechtsprechung speziell für den Bereich des elektronischen Geschäftsverkehrs entwickeln wird, die die bestehende Rechtsprechung bestätigen oder dieser entgegenstehen könnte. Dieses Risiko ist dem vorliegenden Vorhaben immanent.

2. AUSLEGUNG VON ARTIKEL 3 ABSÄTZE 4 BIS 6

Nach der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr tragen die Mitgliedstaaten dafür Sorge, dass die Dienste der Informationsgesellschaft, die von einem in ihrem Hoheitsgebiet niedergelassenen Diensteanbieter erbracht werden, den in diesem Mitgliedstaat geltenden innerstaatlichen Vorschriften entsprechen, die in den koordinierten Bereich fallen.

Außerdem dürfen die Mitgliedstaaten gemäß der Richtlinie den freien Verkehr von Diensten der Informationsgesellschaft aus einem anderen Mitgliedstaat nicht aus Gründen einschränken, die in den koordinierten Bereich fallen.

* Die Richtlinie sieht jedoch einige Ausnahmen vor.

Einige Ausnahmen von der Binnenmarktklausel sind im Anhang zur Richtlinie enthalten. Sie betreffen Bestimmungen aus den Versicherungsrichtlinien [2], die Werbung von Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW) [3] und die Ausgabe elektronischen Geldes durch Institute ohne europäischen Pass [4].

[2] Artikel 30 und Titel IV der Richtlinie 92/49/EWG (ABl. L 311 vom 14.11.1997, S. 42), Titel IV der Richtlinie 92/96/EWG (ABl. L 311 vom 14.11.1997, S. 43), Artikel 7 und 8 der Richtlinie 88/357/EWG (ABl. L 172 vom 4.7.1988, S. 1) und Artikel 4 der Richtlinie 90/619/EWG (ABl. L 330 vom 29.11.1990, S. 50-61).

[3] Artikel 44 Absatz 2 der Richtlinie 85/611/EWG (ABl. L 375 vom 31.12.1985, S. 3-18).

[4] Institute, auf die die Mitgliedstaaten eine der in Artikel 8 Absatz 1 der Richtlinie 2000/46/EG (ABl. L 275 vom 27.10.2000, S. 39-43) vorgesehenen Ausnahmen angewendet haben.

Manche allgemeinen Ausnahmen könnten für Finanzdienstleistungen besonders relevant sein. Sie betreffen u. a. die Freiheit der Rechtswahl für Vertragsparteien und vertragliche Schuldverhältnisse in Bezug auf Verbraucherverträge.

Auch können die Mitgliedstaaten gemäß Artikel 3 Absätze 4 bis 6 der Richtlinie Maßnahmen (z. B. Sanktionen oder Verfügungen) ergreifen, um die Erbringung von Online-Finanzdienstleistungen aus einem anderen Mitgliedstaat einzuschränken. Dafür gelten strenge Voraussetzungen.

In Artikel 3 Absätze 4 bis 6 heißt es:

"(4) Die Mitgliedstaaten können Maßnahmen ergreifen, die im Hinblick auf einen bestimmten Dienst der Informationsgesellschaft von Absatz 2 abweichen, wenn die folgenden Bedingungen erfuellt sind:

a) Die Maßnahmen

i) sind aus einem der folgenden Gründe erforderlich:

- Schutz der öffentlichen Ordnung, insbesondere Verhütung, Ermittlung, Aufklärung und Verfolgung von Straftaten, einschließlich des Jugendschutzes und der Bekämpfung der Hetze aus Gründen der Rasse, des Geschlechts, des Glaubens oder der Nationalität, sowie von Verletzungen der Menschenwürde einzelner Personen,

- Schutz der öffentlichen Gesundheit,

- Schutz der öffentlichen Sicherheit, einschließlich der Wahrung nationaler Sicherheits- und Verteidigungsinteressen,

- Schutz der Verbraucher, einschließlich des Schutzes von Anlegern;

ii) betreffen einen bestimmten Dienst der Informationsgesellschaft, der die unter Ziffer i) genannten Schutzziele beeinträchtigt oder eine ernsthafte und schwerwiegende Gefahr einer Beeinträchtigung dieser Ziele darstellt;

iii) stehen in einem angemessenen Verhältnis zu diesen Schutzzielen.

b) Der Mitgliedstaat hat vor Ergreifen der betreffenden Maßnahmen unbeschadet etwaiger Gerichtsverfahren, einschließlich Vorverfahren und Schritten im Rahmen einer strafrechtlichen Ermittlung,

- den in Absatz 1 genannten Mitgliedstaat aufgefordert, Maßnahmen zu ergreifen, und dieser hat dem nicht Folge geleistet oder die von ihm getroffenen Maßnahmen sind unzulänglich;

- die Kommission und den in Absatz 1 genannten Mitgliedstaat über seine Absicht, derartige Maßnahmen zu ergreifen, unterrichtet.

5. Die Mitgliedstaaten können in dringlichen Fällen von den in Absatz 4 Buchstabe b) genannten Bedingungen abweichen. In diesem Fall müssen die Maßnahmen so bald wie möglich und unter Angabe der Gründe, aus denen der Mitgliedstaat der Auffassung ist, dass es sich um einen dringlichen Fall handelt, der Kommission und dem in Absatz 1 genannten Mitgliedstaat mitgeteilt werden.

6. Unbeschadet der Möglichkeit des Mitgliedstaates, die betreffenden Maßnahmen durchzuführen, muss die Kommission innerhalb kürzestmöglicher Zeit prüfen, ob die mitgeteilten Maßnahmen mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sind; gelangt sie zu dem Schluss, dass die Maßnahme nicht mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist, so fordert sie den betreffenden Mitgliedstaat auf, davon Abstand zu nehmen, die geplanten Maßnahmen zu ergreifen, bzw. bereits ergriffene Maßnahmen unverzüglich einzustellen."

2.1. AUSLEGUNG VON ARTIKEL 3 ABSATZ 4

2.1.1. Von Artikel 3 Absatz 4 abgedeckte Bereiche

Artikel 3 Absatz 4 deckt nicht alle Gründe ab, die gemäß der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zu Artikel 28 und 49 EGV eine Beschränkung im Interesse des Allgemeininteresses rechtfertigen. Außer den in Artikel 46 EGV genannten Gründen (öffentliche Ordnung, Sicherheit und Gesundheit) wird in Artikel 3 Absatz 4 nur eines der Ziele aufgeführt, die nach Auffassung des Gerichtshofs eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs rechtfertigen können: der Schutz der Verbraucher, einschließlich der Anleger.

Da diese Aufzählung als abschließend und erschöpfend zu betrachten ist, ist es ausgeschlossen, dass einige der Ziele, die nach Ansicht des Gerichtshofs im Allgemeininteresse sind, wie beispielsweise der gute Ruf des Finanzsektors [5], Maßnahmen aufgrund von Artikel 3 Absatz 4 rechtfertigen können, außer in Fällen, in denen diese Maßnahmen tatsächlich auf den Schutz des Verbrauchers abzielen.

[5] Urteil vom 10. Mai 1995, Alpine Investments, Rs. C-384/93, Slg. 1995, I-1141.

2.1.2. Ausdruck "bestimmter Dienst der Informationsgesellschaft"

Durch die Bezeichnung "bestimmter" Dienst soll klargestellt werden, dass die Mitgliedstaaten im Rahmen von Artikel 3 Absatz 4 keine allgemeinen Maßnahmen gegenüber einer Kategorie von Finanzdienstleistungen als Ganzes - wie z. B. Investmentfonds oder Kredite - ergreifen dürfen.

Um unter Artikel 3 Absatz 4 zu fallen, muss sich eine Maßnahme also auf einen konkreten Fall beziehen, d. h. gegenüber einer ganz bestimmten Finanzdienstleistung ergriffen werden, die von einem bezeichneten Anbieter erbracht wird.

Es könnte sich z. B. um eine Mahnung oder ein Zwangsgeld von Seiten eines Mitgliedstaats (Bestimmungsmitgliedstaats) gegenüber einer Bank handeln, die von dem Mitgliedstaat aus, in dem sie niedergelassen ist (Herkunftsmitgliedstaat), in seinem Hoheitsgebiet nicht harmonisierte Investmentdienste anbietet. Derartige Maßnahmen könnten damit begründet werden, dass die Bank bestimmte Verhaltensregeln missachtet, die im Bestimmungsmitgliedstaat dem Verbraucherschutz dienen.

Nicht zulässig wäre es hingegen, wenn ein Mitgliedstaat auf der Grundlage von Artikel 3 Absatz 4 die Gesamtheit seiner Rechtsvorschriften für nicht harmonisierte Investmentfonds allgemein und horizontal auf alle Dienste anwendet, zu denen die Einwohner dieses Staates Zugang haben.

2.1.3. Schutz der "öffentlichen Ordnung"

Die im Absatz der Richtlinie zur öffentlichen Ordnung angeführten Gründe haben Beispielcharakter.

Es ist relativ unwahrscheinlich, dass Finanzdienstleistungen die öffentliche Ordnung nach der gemeinschaftlichen Auslegung dieses Begriffs gefährden können. Bei der Definition der öffentlichen Ordnung ist die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zu berücksichtigen, der den Begriff sehr eng auslegt [6].

[6] Urteil vom 19. Januar 1999, Rs. C-348/96, Calfa, Slg. 1999, I-11.

So können nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs wirtschaftliche Ziele nicht unter die in Artikel 46 EGV genannten Gründe der öffentlichen Ordnung fallen [7].

[7] Urteil vom 26. April 1988, Rs. 352/85, Bond van Adverteerders, Slg. 1988, 2085.

Für den Gerichtshof setzt "die Berufung einer nationalen Behörde auf den Begriff der öffentlichen Ordnung [...], wenn er gewisse Beschränkungen der Freizügigkeit von dem Gemeinschaftsrecht unterliegenden Personen rechtfertigen soll, jedenfalls voraus, dass außer der Störung der öffentlichen Ordnung, die jede Gesetzesverletzung darstellt, eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt" [8].

[8] Urteil vom 27. Oktober 1977, Rs. 30/77, Bouchereau, Slg. 1977, 1999.

Mit Ausnahme von illegalen Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Finanzierung von Straftaten (einschließlich Terrorismus) und der Geldwäsche ist davon auszugehen, dass diese juristische Voraussetzung einer "schweren Gefährdung [...], die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt" im Finanzdienstleistungsbereich kaum erfuellt sein wird.

2.1.4. Schutz der Verbraucher, einschließlich der Anleger

In der Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr wird ein Verbraucher definiert als "jede natürliche juristische Person, die zu Zwecken handelt, die nicht zu ihren gewerblichen, geschäftlichen oder beruflichen Tätigkeiten gehören".

Aus diesem Text geht somit deutlich hervor, dass eine juristische Person nicht als "Verbraucher" im Sinne dieser Richtlinie betrachtet werden kann.

Der Begriff "Anleger" wird dagegen nicht näher bestimmt. Es geht jedoch aus dem Wortlaut des Artikels 3 Absatz 4 klar hervor, dass nur unter die Definition des "Verbrauchers" fallende "Anleger" gemeint sind. Maßnahmen beispielsweise, die im Rahmen ihrer gewerblichen Tätigkeit handelnde, im Investmentbereich tätige natürliche oder juristische Personen betreffen, fallen nicht unter Artikel 3 Absatz 4. [9]

[9] Urteil vom 22. November 2001, verb. Rs. C-541/99 und C-542/99, Idealservice, Slg. 2001, I-9049.

Der Gerichtshof hat entschieden, dass sowohl im Versicherungsbereich [10] als auch im Bankensektor [11] verstärkt auf den Verbraucherschutz zu achten ist.

[10] Urteil vom 4. Dezember 1986, Rs. 205/84, Kommission / Deutschland, Slg. 1986, 3755.

[11] Urteil vom 9. Juli 1997, Rs. C-222/95, Parodi, Slg. 1997, I-3899.

2.1.5. Ausdruck "ernsthafte und schwerwiegende Gefahr"

Die Maßnahmen müssen einen bestimmten Dienst betreffen, der entweder die aufgeführten Schutzziele beeinträchtigt oder eine ernsthafte und schwerwiegende Gefahr einer Beeinträchtigung dieser Ziele darstellt.

Diese Formulierung erlaubt es dem Bestimmungsmitgliedstaat der Dienstleistungen im Falle einer ernsthaften und schwerwiegenden Gefahr einer Beeinträchtigung seiner Ziele, nicht nur repressive, sondern auch präventive Maßnahmen zu treffen.

2.1.6. Unterrichtung

Im Zusammenhang mit der Unterrichtung müssen drei Voraussetzungen erfuellt sein:

Der Mitgliedstaat, der die Maßnahmen ergreift, hat

- den Mitgliedstaat, in dem der Anbieter niedergelassen ist, aufgefordert, Maßnahmen zu ergreifen, und

- dieser hat dem nicht Folge geleistet oder die von ihm getroffenen Maßnahmen sind unzulänglich;

- die Kommission und den Mitgliedstaat, in dem der Anbieter niedergelassen ist, über seine Absicht, derartige Maßnahmen zu ergreifen, unterrichtet.

Diese drei Voraussetzungen sind sehr klar formuliert.

Erstere bedeutet, dass der Mitgliedstaat, in dem der Anbieter niedergelassen ist, zuvor über die Schwierigkeiten unterrichtet worden sein und die Möglichkeit gehabt haben muss, selbst eine Lösung zu finden. Die zweite Voraussetzung besagt, dass die getroffenen Maßnahmen nach Auffassung des Bestimmungsmitgliedstaats unzureichend sein müssen. Gemäß der dritten Voraussetzung ist sowohl die Kommission als auch der Herkunftsmitgliedstaat vor dem Ergreifen von Maßnahmen zu informieren. So kann die Kommission ihre Aufgaben nach Absatz 6 ausüben. In der Richtlinie ist keine Frist vorgesehen, innerhalb derer der Staat des Anbieters auf die Unterrichtung durch den Bestimmungsmitgliedstaat des Anbieters reagieren muss. Doch haben die Mitgliedstaaten dem Amtshilfe- und Auskunftsbegehren anderer Mitgliedstaaten oder der Kommission nach Artikel 19 Absatz 3 der Richtlinie "so rasch wie möglich" nachzukommen.

Aus dem Wortlaut des Artikels 3 Absatz 4 Buchstabe b der Richtlinie geht außerdem klar hervor, dass die Unterrichtungspflicht dem betreffenden Mitgliedstaat keinesfalls die Möglichkeit nimmt, ein Gerichtsverfahren, einschließlich Vorverfahren, und Schritte im Rahmen einer strafrechtlichen Ermittlung einzuleiten.

Schließlich sei daran erinnert, dass der Dialog mit dem Mitgliedstaat der Niederlassung des Anbieters und die Unterrichtung der Kommission in die Zuständigkeit der zentralen staatlichen Verwaltung und nicht beispielsweise eines Richters fällt.

2.1.7. Folgen einer unterlassenen Unterrichtung

Unterlässt es ein Mitgliedstaat, die Kommission und den Herkunftsmitgliedstaat im voraus zu unterrichten, kann die Kommission Klage gegen ihn erheben. Da die Bestimmungen über die Unterrichtungspflicht in der Richtlinie klar gefasst sind und keinen Einschränkungen unterliegen, ist es möglich, dass sie bei einem Rechtsstreit vor einem einzelstaatlichen Gericht von einer Partei herangezogen werden. So kann beispielsweise eine Bank vor einem einzelstaatlichen Gericht geltend machen, dass die in einem Mitgliedstaat auf der Grundlage von Artikel 3 Absatz 4 gegen sie ergriffenen Maßnahmen nicht im voraus mitgeteilt wurden.

2.2. AUSLEGUNG VON ARTIKEL 3 ABSATZ 6

Artikel 3 Absatz 6 verpflichtet die Kommission, auf der Grundlage von Absatz 4 zu prüfen, ob die mitgeteilten Maßnahmen mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sind.

Diese Prüfung hat keine aufschiebende Wirkung, d. h. der Bestimmungsmitgliedstaat kann die beabsichtigten Maßnahmen ergreifen, ohne das Ergebnis der Prüfung durch die Kommission abwarten zu müssen.

Bei der Vereinbarkeitsprüfung stützt sich die Kommission auf die in Absatz 4 genannten Kriterien und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes.

Nach dessen ständiger Rechtsprechung müssen "nationale Maßnahmen, die die Ausübung der durch den Vertrag garantierten grundlegenden Freiheiten behindern oder weniger attraktiv machen können, vier Voraussetzungen erfuellen [...]: Sie müssen in nichtdiskriminierender Weise angewandt werden, sie müssen aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein, sie müssen geeignet sein, die Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Zieles zu gewährleisten, und sie dürfen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist" [12].

[12] Urteil vom 30. November 1995, Rs. C-55/94, Gebhard, Slg. 1995, I-4165.

Ausgehend von dieser Rechtsprechung des Gerichtshofs, prüft die Kommission die mitgeteilten Maßnahmen auf Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht. Sie untersucht folgende Aspekte:

2.2.1. Allgemeininteresse

Die ergriffene Maßnahme muss sich auf einen der in Artikel 3 Absatz 4 ausdrücklich genannten Bereiche beziehen. Wie bereits erläutert, gehören hierzu nicht alle Ziele, die der Europäische Gerichtshof als im Allgemeininteresse liegend anerkannt hat.

2.2.2. Nichtdiskriminierung

Nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs liegt Diskriminierung dann vor, "wenn unterschiedliche Vorschriften auf gleichartige Situationen angewandt werden oder wenn dieselbe Vorschrift auf unterschiedliche Situationen angewandt wird" [13].

[13] Urteil vom 27. Juni 1996, Rs. C-107/94, Asscher, Slg. 1996, I-3089.

Bei der Feststellung, ob es sich tatsächlich um eine Diskriminierung handelt, sind die objektiven Umstände zu berücksichtigen. [14]

[14] Urteil vom 19. März 2002, Rs. C-224/00, Kommission / Italien, noch nicht veröffentlicht.

Derartige diskriminierende Maßnahmen kommen in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften über Finanzdienstleistungen inzwischen nur noch selten vor, doch kann nicht ausgeschlossen werden, dass weiterhin einige existieren. Diskriminierung würde z. B. vorliegen, wenn in einem vergleichbaren Fall gegen einen Anbieter von Dienstleistungen, der nicht im Mitgliedstaat niedergelassen ist, härtere Maßnahmen ergriffen werden als gegen einen im Mitgliedstaat niedergelassenen Anbieter.

Eine diskriminierende Maßnahme kann nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs nur dann gerechtfertigt sein, wenn sie verhältnismäßig ist und auf einem der in Artikel 46 EGV genannten Gründe (öffentliche Ordnung, Sicherheit und Gesundheit) beruht. [15]

[15] Urteil vom 4. Mai 1993, Rs. C-17/92, Federación de Distribuidores Cinematográficos, Slg. 1993, I-2239.

2.2.3. Duplizität

Die Kommission stellt durch Prüfung der Rechtsvorschriften des Herkunftsmitgliedstaats fest, ob dort nicht bereits entsprechende Bestimmungen gelten bzw. Kontrollen durchgeführt werden, die die beabsichtigten Maßnahmen beispielsweise im Verbraucherschutz überfluessig machen. Sollte dies der Fall sein, wäre das vom Bestimmungsmitgliedstaat verfolgte Ziel des Allgemeininteresses durch die im Herkunftsmitgliedstaat des Anbieters geltenden Bestimmungen schon abgedeckt. Ebenso prüft die Kommission, ob die Maßnahmen des Mitgliedstaats, in dem der Anbieter niedergelassen ist, tatsächlich im Sinne des Artikels 3 Absatz 4 Buchstabe b) unzulänglich sind.

Im Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 9. März 2000 wird dieses Kriterium verdeutlicht:

"Indem es verlangt, dass alle Unternehmen dieselben Voraussetzungen erfuellen, um eine vorherige Genehmigung oder Zulassung zu erhalten, macht es das belgische Recht [...] unmöglich, den Verpflichtungen Rechnung zu tragen, denen der Dienstleistende in dem Mitgliedstaat unterliegt, in dem er ansässig ist." [16]

[16] Urteil vom 9. März 2000, Rs. C-355/98, Kommission / Belgien, Slg. 2000, I-1221.

Diese Rechtsprechung könnte insofern besonders hilfreich sein, als die Kommission festgestellt hat, dass in einigen Mitgliedstaaten insbesondere für bestimmte Bereiche weiterhin eine Zulassungs- bzw. Genehmigungspflicht besteht.

Der Gerichtshof hat auch entschieden, dass sich "die Mitgliedstaaten [...] hinsichtlich der in ihrem jeweiligen Hoheitsgebiet durchgeführten Kontrollen gegenseitig Vertrauen entgegenbringen müssen" [17].

[17] Urteil vom 10. September 1996, Rs. C-11/95, Kommission / Belgien, Slg. 1996, I-4115.

Wird also beispielsweise ein Anbieter von Investmentdienstleistungen von einem Mitgliedstaat, für dessen Einwohner er Leistungen erbringt, verpflichtet, dessen einzelstaatliche Verhaltensregeln zu beachten, so prüft die Kommission, ob die im Herkunftsmitgliedstaat geltenden Verhaltensregeln mit denen des Bestimmungsmitgliedstaats nicht gleichwertig sind.

2.2.4. Verhältnismäßigkeit

Hier wird zweierlei geprüft: zum einen, ob die Maßnahmen geeignet sind, um das verfolgte Ziel zu erreichen (Zweckmäßigkeit), zum anderen, ob sie nicht über das zur Erreichung des Ziels notwendige Maß hinausgehen (Ersetzbarkeit durch weniger restriktive Maßnahmen).

2.2.4.1. Zweckmäßigkeit

Auch wenn ein Mitgliedstaat eine Maßnahme mit dem Schutz des Allgemeininteresses begründet, stellt sich die Frage, ob sie dazu wirklich erforderlich ist. Es kann sich herausstellen, dass sie zum Schutz des Allgemeininteresses nicht notwendig oder nicht geeignet ist.

Der Europäische Gerichtshof hat in einigen Fällen entschieden, dass eine Bestimmung, die ein Mitgliedstaat als im Interesse des Verbraucherschutzes liegend anführte, letztlich für den Verbraucher nicht von Nutzen war.

Ein wichtiges Ziel des Verbraucherschutzes beispielsweise ist die Information. So hat der Gerichtshof geurteilt, dass von einem Mitgliedstaat auferlegte Verhaltensregeln, die letztlich den Zugang der Verbraucher zu bestimmten Informationen einschränken, nicht als Verbraucherschutzmaßnahmen gerechtfertigt werden können. [18]

[18] Urteil vom 7. März 1990, Rs. C-362/88, GB-INNO-BM, Slg. 1990, I-667.

Der Gerichtshof prüft daher genau, ob eine ihm vorgestellte Maßnahme wirklich dem Verbraucher zugute kommt [19] und ob der Mitgliedstaat, der sie ergreift, nicht das Urteilsvermögen des Verbrauchers unterschätzt [20]. Er bezieht sich dabei auf einen "Durchschnittsverbraucher" [21] und stellt darauf ab, "wie ein durchschnittlich informierter, aufmerksamer und verständiger Durchschnittsverbraucher [eine Angabe] wahrscheinlich auffassen wird" [22].

[19] Urteil vom 27. Juni 1996, Rs. C-240/95, Schmit, Slg. 1996, I-3179.

[20] Urteil vom 6. Juli 1995, Rs. C-470/93, Mars, Slg.1995, I-1923.

[21] Urteil vom 13. Januar 2000, Rs. C-220/98, Estée Lauder, Slg. 2000, I-117.

[22] Urteil vom 16. Juli 1998, Rs. C-210/96, Gut Springenheide Gmbh, Slg. 1998, I-4657.

Auf diese Weise überwacht der Gerichtshof insbesondere, dass Maßnahmen, die durch den Verbraucherschutz gerechtfertigt werden, nicht in Wirklichkeit protektionistische Ziele haben, d. h. den Markt des jeweiligen Mitgliedstaates schützen sollen.

Außerdem prüft der Gerichtshof, um welche Art von Dienstleistungen es geht und ob entsprechend überhaupt ein Schutz erforderlich ist. Im Bereich der Bankdienstleistungen hat er z. B. entschieden, dass "... zwischen der Art der betreffenden Banktätigkeit und dem Risiko, das für den Dienstleistungsempfänger besteht, zu unterscheiden [ist]. So ergeben sich aus dem Abschluss eines Vertrages über ein Hypothekendarlehen für den Verbraucher andere Risiken als aus der Anlage von Geld bei einem Kreditinstitut. Die Notwendigkeit eines Schutzes des Darlehensnehmers hängt von der Natur der Hypothekendarlehen ab, da in bestimmten Fällen gerade aufgrund der Besonderheiten des gewährten Darlehens und der Eigenschaft des Darlehensnehmers kein Bedürfnis besteht, diesen durch die Anwendung der zwingenden Vorschriften seines nationalen Rechts zu schützen." [23]

[23] Urteil vom 9. Juli 1997, Rs. C-222/95, Parodi, Slg. 1997, I-3899.

Die Kommission könnte sich somit bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer mitgeteilten Maßnahme auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs stützen.

2.2.4.2. Ersetzbarkeit durch eine weniger restriktive Maßnahme

Gibt es weniger restriktive Maßnahmen?

Um beurteilen zu können, ob eine Maßnahme angemessen ist, prüft die Kommission, ob sie nicht über das zur Erreichung des Ziels erforderliche Maß hinausgeht und ob das verfolgte Ziel des Allgemeininteresses nicht auch anders erreicht werden kann, d. h. auf weniger restriktive Weise bzw. durch Maßnahmen, die den Handel im Binnenmarkt weniger beschränken. [24]

[24] Urteil vom 26. Juni 1997, Rs. C-368/95, Familiapress, Slg. 1997, I-3689.

Der Gerichtshof hat beispielsweise entschieden, dass ein Mitgliedstaat nicht die Ausstrahlung und Weiterverbreitung von Sendungen eines Fernsehsenders verbieten darf, wenn das damit verfolgte, im Allgemeininteresse liegende Ziel auch durch Maßnahmen direkt gegen den Werbetreibenden erreicht werden kann, der für eine zu verhindernde Werbung verantwortlich und in einem anderen Mitgliedstaat niedergelassen ist. [25]

[25] Urteil vom 9. Juli 1997, Rs. C-34/95, Konsumentombudsmannen (KO) / De Agostini (Svenska) Förlag AB, und Rs. C-35/95 und C-36/95, TV-Shop i Sverige AB, Slg. 1997, I-3843.

In einem Fall, in dem es um die von den belgischen Gemeinden erhobenen Abgaben auf Parabolantennen ging, hat der Gerichtshof vor kurzem das Prinzip der "Ersetzbarkeit" angewendet. Seinem Urteil zufolge sind "andere, den freien Dienstleistungsverkehr weniger beschränkende Mittel als die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Abgabe für die Erreichung eines derartigen Zweckes des Schutzes der städtischen Umwelt denkbar, so z. B. der Erlass von Bestimmungen über die Größe der Antennen, über den Ort und die Einzelheiten ihrer Anbringung am Gebäude oder in dessen Umgebung oder über die Benutzung von Gemeinschaftsantennen." [26]

[26] Urteil vom 29. November 2001, Rs. C-17/00, De Coster, Slg. 2001, I-9445.

Auch wenn es in der vorliegenden Mitteilung um einen anderen Bereich geht, eignet sich das obige Beispiel sehr gut zur Veranschaulichung der Vorgehensweise des Gerichtshofs, und die Kommission könnte sich bei ihrer Prüfung gemäß Artikel 3 Absatz 6 von den gleichen Erwägungen leiten lassen.

In der Rechtssache Ambry [27] entschied der Gerichtshof, dass die den Reiseveranstaltern auferlegte Verpflichtung, eine Garantie bei einem im eigenen Hoheitsgebiet ansässigen Finanzinstitut zu stellen, unverhältnismäßig ist, da das "Gebot der unmittelbaren Verfügbarkeit der Beträge ersichtlich in der Regel auch dann adäquat erfuellt sein [kann], wenn der Sicherheitsgeber in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist".

[27] Urteil vom 1. Dezember 1998, Rs. C-410/96, Ambry, Slg.1998, I-7875.

Besonders aufschlussreich ist das letzte Beispiel, in dem es zwar nicht direkt um die Erbringung von Online-Finanzdienstleistungen, aber zumindest um Dienstleistungen im Investmentbereich geht. Der Gerichtshof hat in diesem Fall besonders genau geprüft, ob die betreffende Maßnahme ersetzbar war. Sein Urteil in der Rechtssache "SIM" enthält folgenden Absatz:

"Zwar erleichtert die Verpflichtung der Marktteilnehmer, ihren Sitz in Italien zu haben, ihre Überwachung und Kontrolle. Es gibt jedoch auch andere Möglichkeiten, zum einen sicherzustellen, dass die Marktteilnehmer die vom italienischen Gesetzgeber erlassenen Vorschriften über die Ausübung der Tätigkeit des Wertpapiermaklers einhalten, und zum anderen diejenigen wirksam mit Sanktionen zu belegen, die gegen diese Vorschriften verstoßen." [28]

[28] Urteil vom 6. Juni 1996, Rs. C-101/94, Kommission / Italien, Slg. 1996, I-2691.

Wie ist die Situation in den anderen Mitgliedstaaten?

Durch Prüfung der Rechtsvorschriften der anderen Mitgliedstaaten kann die Kommission feststellen, ob weniger restriktive Maßnahmen existieren, die ebenfalls geeignet sind, den Verbraucher zu schützen. [29]

[29] Urteil vom 18. Mai 1993, Rs. C-126/91, Yves Rocher, Slg. 1993, I-2361.

Dies ist allerdings von begrenzter Tragweite, da einem Urteil des Gerichtshofs zufolge "der Umstand, dass ein Mitgliedstaat weniger strenge Vorschriften erlässt als ein anderer Mitgliedstaat, nicht [bedeutet], dass dessen Vorschriften unverhältnismäßig und folglich mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar sind" [30]

[30] Urteil vom 10. Mai 1995, Rs. C-384/93, Alpine Investments, Slg. 1995, I-1141.

und

"... allein der Umstand, dass ein Mitgliedstaat ein anderes Schutzsystem als ein anderer Mitgliedstaat gewählt hat, keinen Einfluss auf die Beurteilung der Notwendigkeit und der Verhältnismäßigkeit der einschlägigen Bestimmungen haben [kann]. Diese sind allein im Hinblick auf die von den nationalen Stellen des betreffenden Staates verfolgten Ziele und das von ihnen angestrebte Schutzniveau zu beurteilen." [31]

[31] Urteil vom 21. September 1999, Rs. C-124/97, Läärä, Slg. 1999, I-6067.

Die Situation in den anderen Mitgliedstaaten zu kennen, ist daher zwar hilfreich, um verschiedene weniger restriktive Maßnahmen vorschlagen zu können, doch bedeutet die Tatsache, dass ein anderer Staat weniger strenge Maßnahmen ergriffen hat, allein noch keine Unverhältnismäßigkeit. Auch wenn die Situation in den anderen Mitgliedstaaten nicht außer Acht gelassen werden darf, sind doch die Rechtsvorschriften des Bestimmungslandes unabhängig davon und unter Berücksichtigung der damit verfolgten Ziele zu prüfen.

Der elektronische Geschäftsverkehr als Sonderfall

Schließlich könnte berücksichtigt werden, dass die Maßnahmen gegenüber elektronisch erbrachten Dienstleistungen ergriffen werden. In diesem Zusammenhang ist folgende Feststellung des Gerichtshofs von Interesse:

"Eine [...] Beschränkung ist erst recht unzulässig, wenn die Dienstleistung anders als in dem in Artikel 60 Absatz 3 EWG-Vertrag [inzwischen Artikel 50 Absatz 3 EG-Vertrag] geregelten Fall erbracht wird, ohne dass sich der Dienstleistende in das Gebiet des Mitgliedstaats zu begeben braucht, in dem die Leistung erbracht wird." [32]

[32] Urteil vom 25. Juli 1991, Rs. C-76/90, Säger, Slg. 1991, I-4221.

Nach diesem Urteil könnte eine bestimmte Maßnahme somit theoretisch verhältnismäßig sein, solange sie gegenüber Diensteanbietern ergriffen wird, die sich physisch in das Hoheitsgebiet des Bestimmungsmitgliedstaats begeben, jedoch unverhältnismäßig, wenn es um elektronisch erbrachte Dienstleistungen geht. Es stände der Kommission daher frei, aufgrund dieser Rechtsprechung von einem Mitgliedstaat zu verlangen, auch die Art und Weise der Erbringung der Dienstleistung zu berücksichtigen, und eine Beschränkung u. U. nicht zuzulassen, wenn es um Online-Dienste geht.

Natürlich ist bei der analogen Anwendung dieses Urteils auf den elektronischen Handel Vorsicht geboten. Bei der Sachlage, die zu dem Urteil in der vorstehend angeführten Rechtssache Säger führte, konnte es dem Kunden zu keinem Zeitpunkt unbekannt sein, dass er sich es mit einem nicht ansässigen Diensteanbieter zu tun hatte.

2.2.5. Entscheidung der Kommission

Kommt die Kommission gemäß Artikel 3 Absatz 6 durch die vorgenommenen Prüfungen zu dem Schluss, dass die Maßnahme nicht mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist, so fordert sie den betreffenden Mitgliedstaat auf, davon Abstand zu nehmen, die geplanten Maßnahmen zu ergreifen bzw. bereits ergriffene Maßnahmen unverzüglich einzustellen.

Es sei darauf hingewiesen, dass die Untersuchung der Kommission keine aufschiebende Wirkung hat und dem Mitgliedstaat daher nicht der Möglichkeit nimmt, die ins Auge gefassten Maßnahmen zu treffen.

Selbst wenn die Untersuchung der Kommission nicht an genaue Fristen gebunden ist, müssen diese Fristen doch, wie in der Richtlinie vorgesehen "möglichst kurz" sein.

Kommt die Kommission zu dem Schluss, dass die gegen das fragliche Unternehmen in der Gemeinschaft ergriffenen Maßnahmen mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sind, kann der betroffene Mitgliedstaat sie weiterführen (oder einleiten, sofern er dies als Vorsichtsmaßnahme noch nicht getan haben sollte) .

Mit der Stellungnahme der Kommission in einem bestimmten Fall wird einem Urteil des Gerichtshofs und der von der Kommission in einem etwaigen Rechtsstreit vor dem Gerichtshof vertretenen Position in keiner Weise vorgegriffen.