Verbundene Rechtssachen T‑236/04 und T‑241/04

European Environmental Bureau (EEB)

und Stichting Natuur en Milieu

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften

„Nichtigkeitsklage – Entscheidungen 2004/247/EG und 2004/248/EG – Einrede der Unzulässigkeit – Klagebefugnis“

Beschluss des Gerichts (Zweite Kammer) vom 28. November 2005 

Leitsätze des Beschlusses

1.     Nichtigkeitsklage – Natürliche oder juristische Personen – Handlungen, die sie unmittelbar und individuell betreffen – Richtlinie über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln – Entscheidungen über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln – Klage von Vereinigungen, die einen Status als Berater bei den Gemeinschaftsorganen und/oder bei nationalen und supranationalen Behörden besitzen – Unzulässigkeit

(Artikel 230 Absatz 4 EG; Richtlinie 91/414 des Rates)

2.     Europäische Gemeinschaften – Gerichtliche Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Handlungen der Organe – Handlungen mit allgemeiner Geltung – Erfordernis für natürliche oder juristische Personen, eine Einrede der Rechtswidrigkeit zu erheben oder ein Vorabentscheidungsersuchen zur Prüfung der Gültigkeit zu veranlassen

(Artikel 230 Absatz 4 EG, 234 EG und 241 EG)

1.     Die von einem Verband und einer Stiftung, deren Zweck darin besteht, den Schutz und die Erhaltung der Umwelt zu fördern, gegen die Entscheidungen 2004/248 und 2004/247 über die Nichtaufnahme von Atrazin bzw. Simazin in Anhang I der Richtlinie 91/414 und den Widerruf der Zulassungen für Pflanzenschutzmittel mit diesen Wirkstoffen sind unzulässig.

Diese Bestimmungen beeinträchtigen die Kläger nämlich in ihrer objektiven Eigenschaft als Einrichtungen, die die Aufgabe haben, die Umwelt zu schützen, und dies in gleicher Weise wie alle anderen Personen, die sich in der gleichen Situation befinden.

Der Umstand, dass die Kläger einen besonderen Beraterstatus bei der Kommission oder bei anderen europäischen oder innerstaatlichen Organen haben, wobei die auf den Erlass der besagten Entscheidungen anwendbare Gemeinschaftsregelung aber weder eine Verfahrensgarantie für die Kläger noch auch nur eine Beteiligung der im Rahmen dieser Regelung bestimmten gemeinschaftlichen beratenden Gremien vorsieht, zu denen die Kläger nach ihrem Vortrag gehören, gestattet es ebenso wenig, sie als von den fraglichen Entscheidungen individuell betroffen anzusehen. Die Tatsache, dass eine Person in irgendeiner Weise in das Verfahren eingreift, das zum Erlass einer Gemeinschaftshandlung führt, ist nämlich nur dann geeignet, diese Person hinsichtlich der fraglichen Handlung zu individualisieren, wenn für sie in der anwendbaren Gemeinschaftsregelung gewisse Verfahrensgarantien vorgesehen sind.

Auch die den Klägern in einigen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten zuerkannte Klagebefugnis ist für ihre Befugnis zur Erhebung einer Klage auf Nichtigerklärung eines Gemeinschaftsrechtsakts nach Artikel 230 Absatz 4 EG irrelevant.

Überdies befreit der Umstand, dass die Kommission in der Begründung eines Vorschlags für eine Verordnung angibt, dass die Kläger klagebefugt seien, diese nicht von dem Nachweis, dass sie von dem angefochtenen Rechtsakt individuell betroffen sind. Die Grundsätze der Normenhierarchie gestatten es nämlich nicht, dass eine Maßnahme abgeleiteten Rechts Einzelnen, die die Erfordernisse des Artikels 230 Absatz 4 EG nicht erfüllen, eine Klagebefugnis verleiht. Das gilt erst recht für die Begründung eines Vorschlags für eine Maßnahme abgeleiteten Rechts.

(vgl. Randnrn. 56, 58, 61-62, 71-72)

2.     Der EG-Vertrag hat mit den Artikeln 230 EG und 241 EG auf der einen und Artikel 234 EG auf der anderen Seite ein vollständiges System von Rechtsbehelfen und Verfahren geschaffen, das die Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Handlungen der Organe, mit der der Gemeinschaftsrichter betraut wird, gewährleisten soll. In diesem System haben natürliche oder juristische Personen, die wegen der Zulässigkeitsvoraussetzungen des Artikels 230 Absatz 4 EG abstrakt generelle Gemeinschaftshandlungen nicht unmittelbar anfechten können, die Möglichkeit, je nach den Umständen des Falles die Ungültigkeit solcher Handlungen entweder inzident nach Artikel 241 EG vor dem Gemeinschaftsrichter oder aber vor den nationalen Gerichten geltend zu machen und diese Gerichte, die nicht selbst die Ungültigkeit der genannten Handlungen feststellen können, zu veranlassen, dem Gerichtshof insoweit Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen.

(vgl. Randnr. 66)




BESCHLUSS DES GERICHTS (Zweite Kammer)

28. November 2005(*)

„Nichtigkeitsklage – Entscheidungen 2004/247/EG und 2004/248/EG – Einrede der Unzulässigkeit – Klagebefugnis“

In den verbundenen Rechtssachen T‑236/04 und T‑241/04

European Environmental Bureau (EEB) mit Sitz in Brüssel (Belgien),

Stichting Natuur en Milieu mit Sitz in Utrecht (Niederlande),

Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte P. van den Biesen und B. Arentz,

Kläger,

unterstützt durch

Französische Republik, vertreten durch J.-L. Florent und G. de Bergues als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Streithelferin,

gegen

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch B. Doherty als Bevollmächtigten, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Beklagte,

unterstützt durch

Syngenta Crop Protection AG mit Sitz in Basel (Schweiz), Prozessbevollmächtigte: D. Abrahams, Barrister, und C. Simpson, Solicitor,

Streithelferin,

wegen teilweiser Nichtigerklärung der Entscheidung 2004/248/EG der Kommission vom 10. März 2004 über die Nichtaufnahme von Atrazin in Anhang I der Richtlinie 91/414/EWG des Rates und den Widerruf der Zulassungen für Pflanzenschutzmittel mit diesem Wirkstoff (ABl. L 78, S. 53) (Rechtssache T‑236/04) und teilweiser Nichtigerklärung der Entscheidung 2004/247/EG der Kommission vom 10. März 2004 über die Nichtaufnahme von Simazin in Anhang I der Richtlinie 91/414/EWG des Rates und den Widerruf der Zulassungen für Pflanzenschutzmittel mit diesem Wirkstoff (ABl. L 78, S. 50) (Rechtssache T‑241/04)

erlässt

DAS GERICHT ERSTER INSTANZ
DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten J. Pirrung sowie des Richters A. W. H. Meij und der Richterin I. Pelikánová,

Kanzler: E. Coulon,

folgenden

Beschluss

 Rechtlicher Rahmen

 Richtlinie 91/414/EWG

1       Artikel 4 der Richtlinie 91/414/EWG des Rates vom 15. Juli 1991 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln (ABl. L 230, S. 1) bestimmt die Voraussetzungen und das Verfahren, das generell für die Gewährung, die Überprüfung und die Entziehung der Zulassung des Inverkehrbringens von Pflanzenschutzmitteln durch die Mitgliedstaaten gilt. Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie 91/414 regelt, dass nur die Pflanzenschutzmittel, deren Wirkstoffe in Anhang I der Richtlinie 91/414 aufgenommen wurden, zugelassen werden können.

2       Die Voraussetzungen der Aufnahme von Wirkstoffen in Anhang I der Richtlinie 91/414 sind in Artikel 5 der Richtlinie 91/414 geregelt. Diese Aufnahme ist nur möglich, wenn nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen und technischen Erkenntnisse angenommen werden kann, dass die den betreffenden Wirkstoff enthaltenden Pflanzenschutzmittel bestimmte Voraussetzungen erfüllen, die bezwecken, dass sie für die Gesundheit von Mensch und Tier sowie für die Umwelt nicht schädlich sind.

3       Artikel 8 Absatz 2 der Richtlinie 91/414 sieht vor, dass die Mitgliedstaaten abweichend von Artikel 4 der Richtlinie 91/414 während eines Übergangszeitraums zulassen können, dass in ihrem Gebiet Pflanzenschutzmittel in den Verkehr gebracht werden, die nicht in Anhang I aufgeführte Wirkstoffe enthalten und zwei Jahre nach dem Zeitpunkt der Bekanntgabe dieser Richtlinie, d. h. am 26. Juli 1993, bereits im Handel waren.

4       Die in den Pflanzenschutzmitteln enthaltenen Wirkstoffe, die von der in Artikel 8 Absatz 2 der Richtlinie 91/414 vorgesehenen Ausnahme erfasst werden, sind Gegenstand einer schrittweisen Prüfung im Rahmen eines Arbeitsprogramms der Kommission.

 Verordnung (EWG) Nr. 3600/92

5       Artikel 5 der Verordnung (EWG) Nr. 3600/92 der Kommission vom 11. Dezember 1992 mit Durchführungsbestimmungen für die erste Stufe des Arbeitsprogramms gemäß Artikel 8 Absatz 2 der Richtlinie 91/414 (ABl. L 366, S. 10) sieht vor, dass die Kommission die Liste der zu prüfenden Wirkstoffe aufstellt und den Bericht erstattenden Mitgliedstaat für die Bewertung jedes Wirkstoffes bestimmt.

6       Aus den Artikeln 6 und 7 der Verordnung Nr. 3600/92 ergibt sich, dass der als Berichterstatter benannte Mitgliedstaat den betreffenden Wirkstoff bewerten und der Kommission einen Bericht über seine Bewertung der Unterlage übersenden muss, der eine Empfehlung, den Wirkstoff in Anhang I der Richtlinie 91/414 aufzunehmen oder andere Maßnahmen zu treffen, wie ihn aus dem Handel zu nehmen, einschließt.

7       Die Kommission überträgt dann dem nach Artikel 58 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit (ABl. L 31, S. 1) eingerichteten Ständigen Ausschuss für die Lebensmittelkette und die Tiergesundheit den Auftrag, die Unterlage und den Bericht zu prüfen.

8       Artikel 7 Absatz 3a der Verordnung Nr. 3600/92, der durch die Verordnung (EG) Nr. 1199/97 der Kommission vom 27. Juni 1997 zur Änderung der Verordnung Nr. 3600/92 (ABl. L 170, S. 19) eingefügt wurde, sieht vor, dass die Kommission dem Ständigen Ausschuss für die Lebensmittelkette und die Tiergesundheit einen Entwurf vorlegt, der verschiedene Formen annehmen kann. Wenn vorgeschlagen wird, den Wirkstoff in Anhang I der Richtlinie 91/414 aufzunehmen, handelt es sich um den Entwurf einer Richtlinie. Wenn der Entwurf darauf gerichtet ist, negative Maßnahmen gegen den Wirkstoff einschließlich des Widerrufs der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln, die diesen Wirkstoff enthalten, zu erlassen, so kann die Kommission einen an die Mitgliedstaaten gerichteten Entwurf einer Entscheidung vorschlagen.

 Richtlinie 2004/35/EG

9       In der 25. Begründungserwägung der Richtlinie 2004/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Umwelthaftung zur Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden (ABl. L 143, S. 56) heißt es:

„Personen, die von einem Umweltschaden nachteilig betroffen oder wahrscheinlich betroffen sind, sollten berechtigt sein, die zuständige Behörde zum Tätigwerden aufzufordern. Der Umweltschutz stellt jedoch kein klar abgegrenztes Interesse dar, so dass Einzelpersonen sich nicht immer dafür einsetzen oder einsetzen können. Nichtregierungsorganisationen, die sich für den Umweltschutz einsetzen, sollte daher ebenfalls die Möglichkeit gegeben werden, angemessen zur wirksamen Umsetzung dieser Richtlinie beizutragen.“

10     Nach der 26. Begründungserwägung der Richtlinie 2004/35 gilt:

„Die betroffenen natürlichen oder juristischen Personen sollten Zugang zu Verfahren haben, in deren Rahmen Entscheidungen, Handlungen oder die Untätigkeit der zuständigen Behörden überprüft werden.“

11     Artikel 11 Absatz 1 der Richtlinie 2004/35 lautet:

„Die Mitgliedstaaten benennen die zuständige(n) Behörde(n), die mit der Erfüllung der in dieser Richtlinie vorgesehenen Aufgaben betraut ist (sind).“

12     Artikel 12 Absatz 1 Richtlinie 2004/35 sieht vor:

„Natürliche oder juristische Personen, die

a)      von einem Umweltschaden betroffen oder wahrscheinlich betroffen sind oder

b)      ein ausreichendes Interesse an einem umweltbezogenen Entscheidungsverfahren bezüglich des Schadens haben oder alternativ

c)      eine Rechtsverletzung geltend machen, sofern das Verwaltungsverfahrensrecht bzw. Verwaltungsprozessrecht eines Mitgliedstaats dies als Voraussetzung erfordert,

erhalten das Recht, der zuständigen Behörde Bemerkungen zu ihnen bekannten Umweltschäden oder einer ihnen bekannten unmittelbaren Gefahr solcher Schäden zu unterbreiten und die zuständige Behörde aufzufordern, gemäß dieser Richtlinie tätig zu werden.

Was als ‚ausreichendes Interesse‘ und als ‚Rechtsverletzung‘ gilt, bestimmen die Mitgliedstaaten.

Zu diesem Zweck gilt das Interesse einer Nichtregierungsorganisation, die sich für den Umweltschutz einsetzt und alle nach nationalem Recht geltenden Voraussetzungen erfüllt, als ausreichend im Sinne des Buchstabens b). Derartige Organisationen gelten auch als Träger von Rechten, die im Sinne des Buchstabens c) verletzt werden können.“

 Vorgeschichte des Rechtsstreits

13     In beiden vorliegenden Rechtssachen gibt es zwei Kläger. Der erste ist das European Environmental Bureau (EEB), ein Verband nach belgischem Recht, dessen Satzungszweck insbesondere darin besteht, den Schutz und die Erhaltung der Umwelt in den Ländern der Europäischen Union zu fördern. Das EEB soll an verschiedenen beratenden Gremien der Kommission, insbesondere am Ständigen Ausschuss „Pflanzenschutzmittel“ und am Beratenden Ausschuss „Landwirtschaft und Umwelt“ teilnehmen. Es soll auch Mitglied des European Habitats Forum sein und daher den Status eines Adressaten und eines Beobachters im Rahmen der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wild lebenden Tiere und Pflanzen (ABl. L 206, S. 7) haben.

14     Der zweite Kläger, die Stichting Natuur en Milieu (im Folgenden: Natuur en Milieu), ist eine Stiftung nach niederländischem Recht, die nach ihrer Satzung insbesondere zum Ziel hat, „den Elementen eine Stimme zu geben, die keine haben“, und den gegenwärtigen und künftigen Generationen eine lebendige Natur und eine gesunde Umwelt zu erhalten. Diese Stiftung ist Mitglied des EEB.

15     Im Jahr 1996 äußerten mehrere Unternehmen gegenüber der Kommission den Wunsch, Atrazin und Simazin in Anhang I der Richtlinie 91/414 aufzunehmen.

16     Atrazin und Simazin wurden in die Nummern 61 bzw. 62 des Anhangs I der Verordnung Nr. 3600/92 aufgenommen, der die Liste der für die erste Stufe des Arbeitsprogramms der Kommission gemäß Artikel 8 Absatz 2 der Richtlinie 91/414 in Betracht kommenden Stoffe enthält.

17     Die Verordnung (EG) Nr. 933/94 der Kommission vom 27. April 1994 über die Festsetzung der Wirkstoffe von Pflanzenschutzmitteln und die Bestimmung der Bericht erstattenden Mitgliedstaaten zur Durchführung der Verordnung Nr. 3600/92 (ABl. L 107, S. 8) benannte das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland als Bericht erstattenden Mitgliedstaat für Atrazin und Simazin.

18     Das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland legte der Kommission Berichte über seine Bewertung nach Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe c der Verordnung Nr. 3600/92 vor. Diese Berichte, die im Fall von Atrazin am 11. November 1996 und im Fall von Simazin am 20. Dezember 1996 vorgelegt wurden, wurden von den Mitgliedstaaten und der Kommission im Rahmen des Ständigen Ausschusses für die Lebensmittelkette und die Tiergesundheit geprüft.

 Angefochtene Entscheidungen

19     Am 10. März 2004 erließ die Kommission die Entscheidung 2004/248/EG über die Nichtaufnahme von Atrazin in Anhang I der Richtlinie 91/414 und den Widerruf der Zulassungen für Pflanzenschutzmittel mit diesem Wirkstoff (ABl. L 78, S. 53, im Folgenden: Atrazin‑Entscheidung).

20     Am selben Tag erließ sie auch die Entscheidung 2004/247/EG über die Nichtaufnahme von Simazin in Anhang I der Richtlinie 91/414 und den Widerruf der Zulassungen für Pflanzenschutzmittel mit diesem Wirkstoff (ABl. L 78, S. 50, im Folgenden: Simazin‑Entscheidung).

21     Aus Artikel 1 der Atrazin‑ und der Simazin‑Entscheidung ergibt sich, dass beide Wirkstoffe nicht in Anhang I der Richtlinie 91/414 aufgenommen werden.

22     Nach Artikel 2 Nummern 1 und 2 der Atrazin‑ und der Simazin‑Entscheidung tragen die Mitgliedstaaten dafür Sorge, dass die Zulassungen von Pflanzenschutzmitteln, die Atrazin oder Simazin enthalten, bis zum 10. September 2004 widerrufen werden und dass ab 16. März 2004 Zulassungen im Rahmen der Ausnahmeregelung gemäß Artikel 8 Absatz 2 der Richtlinie 91/414 für Atrazin oder Simazin enthaltende Pflanzenschutzmittel weder erteilt noch erneuert werden.

23     Nach Artikel 2 Nummer 3 der Atrazin‑ und der Simazin‑Entscheidung tragen die Mitgliedstaaten dafür Sorge, dass ein im Anhang Spalte A dieser Entscheidungen angegebener Mitgliedstaat Zulassungen für Atrazin oder Simazin enthaltende Pflanzenschutzmittel hinsichtlich der in Spalte B dieses Anhangs aufgeführten Anwendungen bis zum 30. Juni 2007 weiter gelten lassen darf, sofern er

a)      sicherstellt, dass diese Pflanzenschutzmittel, die auf dem Markt bleiben, entsprechend den eingeschränkten Anwendungsbedingungen neu gekennzeichnet werden;

b)      alle geeigneten Risikominimierungsmaßnahmen zur Auflage macht, um etwaige Risiken zu verringern und den Schutz der Gesundheit von Mensch und Tier wie auch der Umwelt zu gewährleisten, und

c)      insbesondere durch Aktionspläne sicherstellt, dass ernsthaft nach Alternativerzeugnissen oder -verfahren für diese Anwendungen geforscht wird.

24     Der betreffende Mitgliedstaat hat nach dieser Vorschrift die Kommission spätestens am 31. Dezember 2004 über die Anwendung des genannten Artikels, insbesondere über die gemäß den Buchstaben a bis c eingeleiteten Maßnahmen, zu unterrichten und unterbreitet jährlich Schätzungen der Mengen von Atrazin oder Simazin, die für die unverzichtbaren Anwendungen gemäß diesem Artikel verwendet wurden.

25     Der Anhang der Atrazin‑Entscheidung und der Anhang der Simazin‑Entscheidung zählen die Mitgliedstaaten und die Anwendungen nach Artikel 2 Nummer 3 jeder dieser Entscheidungen auf.

26     Artikel 3 Buchstabe b der Atrazin‑ und der Simazin‑Entscheidung bestimmen, dass jede von den Mitgliedstaaten gemäß Artikel 4 Absatz 6 der Richtlinie 91/414 eingeräumte Frist so kurz wie möglich sein und für Anwendungen, für die die Zulassung bis zum 30. Juni 2007 widerrufen werden soll, spätestens am 31. Dezember 2007 ablaufen muss.

27     Aus Artikel 4 der Atrazin‑ und der Simazin‑Entscheidung ergibt sich, dass sie an die Mitgliedstaaten gerichtet sind.

 Verfahren

28     Mit Klageschriften, die am 9. Juni 2004 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen sind, haben die Kläger die vorliegenden Klagen erhoben.

29     Mit gesonderten Schriftsätzen, die am 1. Oktober 2004 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen sind, hat die Beklagte in beiden Rechtssachen eine Einrede der Unzulässigkeit nach Artikel 114 der Verfahrensordnung des Gerichts erhoben. Die Kläger haben am 24. Dezember 2004 zu dieser Einrede Stellung genommen.

30     Mit am 7. Oktober 2004 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Schriftsätzen hat die Syngenta Crop Protection AG (im Folgenden: Syngenta) beantragt, in den vorliegenden Rechtssachen als Streithelferin zur Unterstützung der Kommission zugelassen zu werden. Mit Beschlüssen vom 13. Dezember 2004 hat der Präsident der Zweiten Kammer des Gerichts diese Streithilfe zugelassen. Mit Schreiben vom 7. Januar 2005 hat Syngenta in beiden Rechtssachen mitgeteilt, dass sie keinen Streithilfeschriftsatz zur Stützung der Anträge der Kommission einreichen werde, wenn diese darauf gerichtet seien, die Klagen als unzulässig abzuweisen, sich aber das Recht vorbehalten, einen Schriftsatz einzureichen, wenn das Verfahren in der Hauptsache fortgesetzt werden sollte.

31     Mit am 11. Oktober 2004 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangenen Schriftsätzen hat die Französische Republik beantragt, in den vorliegenden Rechtssachen als Streithelferin zur Unterstützung der Kläger zugelassen zu werden. Mit Beschlüssen vom 13. Dezember 2004 hat der Präsident der Zweiten Kammer des Gerichts diese Streithilfe zugelassen. Mit Schreiben vom 25. Januar 2005 hat die Französische Republik mitgeteilt, dass sie infolge der von der Kommission erhobenen Einreden der Unzulässigkeit keine Streithilfeschriftsätze über die Zulässigkeit der beiden Klagen einreichen werde, aber dass sie sich das Recht vorbehalte, Schriftsätze einzureichen, wenn das Gericht entscheiden sollte, die Entscheidungen über die Unzulässigkeitseinreden in den fraglichen Rechtssachen dem Endurteil vorzubehalten.

 Anträge der Parteien

 In der Rechtssache T‑236/04

32     Die Kläger beantragen,

–       Artikel 2 Nummer 3 und Artikel 3 Buchstabe b der Atrazin‑Entscheidung für nichtig zu erklären;

–       der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

33     Die Kommission beantragt,

–       die Klage als unzulässig abzuweisen;

–       den Klägern die Kosten aufzuerlegen.

 In der Rechtssache T‑241/04

34     Die Kläger beantragen,

–       Artikel 2 Nummer 3 und Artikel 3 Buchstabe b der Simazin‑Entscheidung für nichtig zu erklären;

–       der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

35     Die Kommission beantragt,

–       die Klage als unzulässig abzuweisen;

–       den Klägern die Kosten aufzuerlegen.

 Rechtliche Würdigung

36     Angesichts des zwischen den vorliegenden Rechtssachen bestehenden Zusammenhangs hält es das Gericht nach Anhörung der Beteiligten für zweckmäßig, diese Rechtssachen nach Artikel 50 der Verfahrensordnung für das weitere Verfahren zu verbinden.

37     Gemäß Artikel 114 § 1 der Verfahrensordnung kann das Gericht vorab über die Zulässigkeit entscheiden, wenn eine Partei dies beantragt. Gemäß Artikel 114 § 3 wird darüber mündlich verhandelt, sofern das Gericht nichts anderes bestimmt. Sowohl in der Rechtssache T‑236/04 als auch in der Rechtssache T‑241/04 ist das Gericht in der Lage, aufgrund des Akteninhalts ohne mündliche Verhandlung über den Antrag zu entscheiden.

 Vorbringen der Parteien

38     Die Kommission trägt vor, die Kläger seien weder von der Atrazin‑Entscheidung noch von der Simazin‑Entscheidung, deren Adressaten sie nicht seien, unmittelbar und individuell betroffen.

39     Was die Frage angehe, ob die Kläger individuell betroffen seien, macht die Kommission geltend, dass eine natürliche oder juristische Person nach der Rechtsprechung nur dann von einem Verwaltungsakt individuell betroffen sein könne, wenn dieser sie wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer, sie aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berühre und sie daher in ähnlicher Weise individualisiere wie einen Adressaten der Maßnahme (Urteil des Gerichtshofes vom 1. April 2004 in der Rechtssache C‑263/02 P, Kommission/Jégo-Quéré, Slg. 2004, I‑3425, Randnr. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung). Dies sei im vorliegenden Fall nicht gegeben, da die Atrazin‑ und die Simazin‑Entscheidung keine besondere Auswirkung auf die Kläger hätten.

40     Die Kläger tragen vor, sie seien durch die Atrazin‑ und die Simazin‑Entscheidung unmittelbar und individuell betroffen.

41     Zur Voraussetzung der individuellen Betroffenheit tragen sie, erstens, vor, dass sie durch die Atrazin‑ und die Simazin‑Entscheidung besonders betroffen seien. Diese Letzteren seien Entscheidungen im Sinne von Artikel 249 EG und führten unter Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht zu einer „Regression“ des Schutzes der Interessen, die sie verträten.

42     Zweitens ergebe sich aus der 25. und der 26. Begründungserwägung sowie aus Artikel 12 Absatz 1 der Richtlinie 2004/35, dass sie die in Artikel 230 Absatz 4 EG genannten Voraussetzungen erfüllten. Aus Artikel 12 Absatz 1 der Richtlinie 2004/35 ergebe sich, dass das Interesse jeder nichtstaatlichen Umweltschutzorganisation, die etwaige nach nationalem Recht erforderliche Voraussetzungen erfülle, als ausreichend dafür betrachtet werde, dass diese Organisation berechtigt sei, der zuständigen Behörde zum einen Bemerkungen zu Umweltschäden oder deren Gefahr zu unterbreiten und zum anderen die zuständige Behörde aufzufordern, nach der genannten Richtlinie tätig zu werden.

43     Ferner habe die Kommission eingeräumt, dass Atrazin und Simazin Schäden für die Umwelt hervorrufen könnten, weshalb sie diese Substanzen nicht in Anhang I der Richtlinie 91/414 aufgenommen habe. Unter diesen Umständen decke Artikel 12 der Richtlinie 2004/35, dessen Anwendungsbereich nicht auf die von der genannten Richtlinie vorgesehenen Situationen beschränkt sei, das Vorgehen der Kläger in den vorliegenden Rechtssachen. Demnach müssten die in Artikel 230 Absatz 4 EG vorgesehenen Voraussetzungen als von den Klägern erfüllt gelten.

44     Drittens stellen die Kläger im Wesentlichen fest, dass der Ansatz der Richtlinie 2004/35 der in mehreren Mitgliedstaaten, darunter den Niederlanden, gültigen juristischen Praxis entspreche, nach der Verbände Zivilrechtsstreitigkeiten vor die innerstaatlichen Gerichte bringen und sich dabei auf die Tatsache stützen könnten, dass sie im Hinblick auf ihre Satzung, ihre konkrete Situation und ihre tatsächlichen Aktivitäten, unter denen der tatsächliche Schutz der betreffenden Interessen sei, unmittelbar und individuell betroffen seien. Im Einzelnen würde der Kläger Natuur en Milieu in der niederländischen Rechtsordnung als unmittelbar und individuell von den Verstößen gegen Rechtsvorschriften betroffen gelten, die die Interessen der Umwelt und der wild lebenden Tiere beträfen.

45     Viertens seien die Kläger individuell betroffen, weil sie ihre Tätigkeiten im Bereich des Umweltschutzes und der Erhaltung der Natur einschließlich der wild lebenden Tiere im Rahmen der Richtlinie 92/43 ausübten und weil der Kläger EEB danach einen besonderen Status als Berater der Kommission und anderer europäischer Organe habe. Außerdem werde dem Kläger Natuur en Milieu bei den niederländischen Behörden ein ähnlicher Status eingeräumt.

46     Fünftens sei die Zulässigkeit ihrer Klagen erforderlich, um ihnen einen wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz zu gewährleisten. Die Nichtigerklärung der Atrazin‑ und der Simazin‑Entscheidung vermeide die Einleitung einer Vielzahl von komplexen, langen und kostspieligen Genehmigungsverfahren in verschiedenen Mitgliedstaaten. Wenn sie sich an die innerstaatlichen Gerichte wenden müssten, müssten sie die Genehmigungen über Atrazin und Simazin in allen Mitgliedstaaten identifizieren, das Rechtssystem der Staaten, die mit einer Genehmigung über das Inverkehrbringen befasst würden, untersuchen und die Verfahren bei den zuständigen nationalen Gerichten einleiten. Zudem handele es sich dabei nicht um eine Frage reiner Bequemlichkeit, da es praktisch unmöglich sei, dass sich ein innerstaatliches Gericht über die Gültigkeit der Atrazin‑ und der Simazin‑Entscheidung äußere. Daraus folge, dass die Kläger vom Standpunkt der Wirksamkeit der ihnen eröffneten Rechtsbehelfe nach den Artikeln 6 und 13 der (Europäischen) Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK) aus, die nach Artikel 6 Absatz 2 EU auf das Gericht anwendbar seien, berechtigt seien, die vorliegenden Klagen vor dem Gericht zu erheben.

47     Sechstens müsse der Grundsatz der Waffengleichheit dazu führen, dass ihre Klagen zulässig seien. Der in den Artikeln 6, 13 und 14 EMRK anerkannte Grundsatz der Waffengleichheit erfordere, dass Parteien, für die eine Handlung der Kommission entgegengesetzte Wirkungen habe, die gleichen Rechtsbehelfe hätten. Eine Klage gegen die Atrazin‑ und die Simazin‑Entscheidung, die von einem Hersteller dieser Wirkstoffe wie Syngenta erhoben werde, müsse nach Artikel 230 Absatz 4 EG für zulässig erklärt werden. Das ergebe sich aus dem Beschluss des Gerichts vom 24. Januar 2001 in den Rechtssachen T‑112/00 und T‑122/00 (Iberotam u. a./Kommission, Slg. 2001, II‑97, Randnr. 79), in dem das Gericht im Wesentlichen entschieden habe, dass es nicht ausgeschlossen sei, dass die Hersteller eines Wirkstoffes beim Gericht gegen eine Entscheidung der Kommission über die Ablehnung eines Antrags auf Aufnahme eines Wirkstoffes in Anhang I der Richtlinie 91/414 nach Artikel 230 Absatz 4 EG Klage erheben könnten.

48     Das Urteil des Gerichtshofes vom 10. Dezember 1969 in den Rechtssachen 10/68 und 18/68 (Eridania u. a./Kommission, Slg. 1969, 459), nach dem die Klagebefugnis von Einzelnen sich nicht allein aus der Tatsache ergeben könne, dass sie in einem Wettbewerbsverhältnis mit den Empfängern der angefochtenen Handlung stünden, sei in der vorliegenden Rechtssache nicht erheblich, da dieses Urteil Bezug zu Wettbewerbsverhältnissen habe, die im vorliegenden Fall vollständig fehlten.

49     Schließlich seien die Klagen im Hinblick auf die Begründung des Vorschlags für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Anwendung der Bestimmungen des Århus-Übereinkommens über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten auf Organe und Einrichtungen der Europäischen Gemeinschaft (KOM[2003] 622 endg., im Folgenden: Vorschlag für eine Verordnung zum Århus‑Übereinkommen) zulässig. In dieser Begründung habe die Kommission die Meinung vertreten, dass es nicht erforderlich sei, Artikel 230 EG zu ändern, damit europäische Umweltschutzorganisationen klagebefugt sein könnten, die bestimmte objektive von dem genannten Vorschlag aufgestellte Kriterien erfüllten. Die Kläger erfüllten die genannten Kriterien, was – nach der These der Kommission – ausreiche, um ihnen die Klagebefugnis für eine Nichtigkeitsklage gegen die angefochtenen Entscheidungen zuzuerkennen.

 Würdigung durch das Gericht

50     Nach Artikel 230 Absatz 4 EG kann „[j]ede natürliche oder juristische Person … gegen die an sie ergangenen Entscheidungen sowie gegen diejenigen Entscheidungen Klage erheben, die, obwohl sie als Verordnung oder als eine an eine andere Person gerichtete Entscheidung ergangen sind, sie unmittelbar und individuell betreffen“.

51     Im vorliegenden Fall ergibt sich aus Artikel 4 der Atrazin‑ und der Simazin‑Entscheidung, dass diese Entscheidungen nur an die Mitgliedstaaten gerichtet sind. Daher haben die Kläger u. a. nachzuweisen, dass sie von diesen Entscheidungen individuell betroffen sind.

52     Hierzu ergibt sich aus der Rechtsprechung, dass Kläger, die – wie im vorliegenden Fall – nicht Adressaten einer Handlung sind, nur dann geltend machen können, individuell von dieser betroffen zu sein, wenn diese sie wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften oder besonderer, sie aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berührt und sie dadurch in ähnlicher Weise individualisiert wie den Adressaten der Handlung (Urteil des Gerichtshofes vom 25. Juli 2002 in der Rechtssache C‑50/00 P, Unión de Pequeños Agricultores/Rat, Slg. 2002, I‑6677, Randnr. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).

53     Es ist daher zu prüfen, ob die Kläger im vorliegenden Fall wegen bestimmter persönlicher Eigenschaften von der Atrazin‑ und der Simazin‑Entscheidung betroffen sind oder ob bei ihnen besondere, sie aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebende Umstände in Bezug auf diese Entscheidungen vorliegen.

54     Um nachzuweisen, dass sie von der Atrazin‑ und der Simazin‑Entscheidung individuell betroffen sind, tragen die Kläger erstens vor, dass sie von diesen Entscheidungen wegen der Regression, die sie für den Umweltschutz bedeuteten, besonders betroffen seien.

55     Hierzu ist zunächst festzustellen, dass die Kläger nichts Nachvollziehbares dazu vorbringen, dass die Atrazin‑ und die Simazin‑Entscheidung eine Regression für den Umweltschutz bedeuten. Denn sie geben nur an, dass der Erlass der Atrazin‑ und der Simazin‑Entscheidung unter Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht offensichtlich solche negativen Wirkungen habe.

56     Auch wenn man annimmt, dass die Kläger – zumindest stillschweigend – vortragen, dass sich die vorgebrachte Regression daraus ergebe, dass die angefochtenen Bestimmungen der Atrazin‑ und der Simazin‑Entscheidung es einigen Mitgliedstaaten erlaubten, für bestimmte Anwendungen vorläufig die Genehmigungen für Pflanzenschutzmittel mit Atrazin oder Simazin – Wirkstoffe, die nach Ansicht der Kläger die Umwelt beeinträchtigen – weiter gelten lassen zu dürfen, so ist festzustellen, dass diese Bestimmungen die Kläger in ihrer objektiven Eigenschaft als Einrichtungen, die die Aufgabe haben, die Umwelt zu schützen, beeinträchtigen, und dies in gleicher Weise wie alle anderen Personen, die sich in der gleichen Situation befinden. Aus dieser Eigenschaft der Kläger allein ergibt sich nach der Rechtsprechung nicht, dass sie von der angefochtenen Handlung individuell betroffen wären (in diesem Sinne Urteil des Gerichtshofes vom 2. April 1998 in der Rechtssache C‑321/95 P, Greenpeace u. a./Kommission, Slg. 1998, I‑1651, Randnr. 28, und Beschluss des Gerichts vom 30. April 2003 in der Rechtssache T‑154/02, Villiger Söhne/Rat, Slg. 2003, II‑1921, Randnr. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).

57     Die Kläger tragen, zweitens, im Wesentlichen vor, dass sich aus Artikel 12 Absatz 1 der Richtlinie 2004/35 ergebe, dass sie als nichtstaatliche Umweltschutzorganisationen, die die Voraussetzungen nach nationalem Recht erfüllten, berechtigt seien, der zuständigen Behörde Bemerkungen zu unterbreiten und diese Behörde aufzufordern, nach dieser Richtlinie tätig zu werden. Daraus ergebe sich, dass sie für eine Nichtigkeitsklage gegen die Atrazin‑ und die Simazin‑Entscheidung im Sinne von Artikel 230 Absatz 4 EG klagebefugt seien.

58     Jedoch ist die Tatsache, dass eine Person in irgendeiner Weise in das Verfahren eingreift, das zum Erlass einer Gemeinschaftshandlung führt, nur dann geeignet, diese Person hinsichtlich der fraglichen Handlung zu individualisieren, wenn für sie in der anwendbaren Gemeinschaftsregelung gewisse Verfahrensgarantien vorgesehen sind (vgl. Beschluss des Gerichts vom 29. April 2002 in der Rechtssache T‑339/00, Bactria/Kommission, Slg. 2002, II‑2287, Randnr. 51 und die dort angeführte Rechtsprechung).

59     Aus Artikel 11 Absatz 1 der Richtlinie 2004/35 ergibt sich, dass die in Artikel 12 dieser Richtlinie genannte zuständige Behörde eine Behörde ist, die vom jeweiligen Mitgliedstaat bestimmt wird. Auch wenn man also unterstellt, dass die Kläger berechtigt sind, Bemerkungen zu unterbreiten und zum Erlass von Maßnahmen aufzufordern, wie es in Artikel 12 der Richtlinie 2004/35 vorgesehen ist, können diese Verfahrensrechte doch nur gegenüber einer „zuständigen Behörde“ ausgeübt werden, die nach Artikel 11 der Richtlinie 2004/35 kein Gemeinschaftsorgan ist. Zudem lässt sich weder aus dem Wortlaut noch der Struktur dieser Richtlinie ableiten, dass diese – wie die Kläger behaupten – auch auf die vorliegenden Klagen gerichtet ist.

60     Daraus folgt, dass die Verfahrensrechte, auf die sich die Kläger berufen, gegenüber der Kommission im Rahmen des Verfahrens des Erlasses der Atrazin‑ und der Simazin‑Entscheidung nicht geltend gemacht werden können und dass sie daher nichts zu der Frage beitragen, ob die Kläger von der Atrazin‑ und der Simazin‑Entscheidung individuell betroffen sind.

61     Drittens ist zum Vorbringen, dass Umweltschutzverbände nach dem Recht einiger Mitgliedstaaten von den Handlungen, die die Interessen beeinträchtigten, die sie verträten, unmittelbar und individuell betroffen seien, und dass dies beim Kläger Natuur en Milieu nach niederländischem Recht der Fall sei, festzustellen, dass die diesen Klägern in einigen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten zuerkannte Klagebefugnis für ihre Befugnis zur Erhebung einer Klage auf Nichtigkeit eines Gemeinschaftsrechtsakts nach Artikel 230 Absatz 4 EG irrelevant ist (in diesem Sinne Beschluss des Gerichts vom 9. August 1995 in der Rechtssache T‑585/93, Greenpeace u. a./Kommission, Slg. 1995, II‑2205, Randnr. 51).

62     Viertens ist zum besonderen Beraterstatus der Kläger bei der Kommission und bei anderen europäischen oder innerstaatlichen Organen, insbesondere nach der Richtlinie 92/43, festzustellen, dass die auf den Erlass der Atrazin‑ und der Simazin‑Entscheidung anwendbare Gemeinschaftsregelung weder eine Verfahrensgarantie für die Kläger noch auch nur eine Beteiligung der im Rahmen der Richtlinie 92/43 bestimmten gemeinschaftlichen, nationalen oder internationalen beratenden Gremien vorsieht, zu denen die Kläger nach ihrem Vortrag gehören. Somit gestattet es entsprechend der in Randnummer 56 genannten Rechtsprechung der Beraterstatus, auf den die Kläger sich berufen, nicht, sie als von der Atrazin‑ und der Simazin‑Entscheidung individuell betroffen anzusehen.

63     Aus alledem ergibt sich, dass das Gemeinschaftsrecht derzeit für Verbandsinteressen keine Klagebefugnis vor dem Gemeinschaftsgericht vorsieht, wie sie von den Klägern im vorliegenden Fall vorgeschlagen wird.

64     Die Kläger tragen, fünftens, vor, dass ein wirksamer gerichtlicher Rechtsschutz, wie er in den Artikeln 6 und 13 EMRK vorgeschrieben ist, die nach Artikel 6 Absatz 2 EU auf Gemeinschaftsorgane anwendbar sind, verlange, dass die vorliegenden Klagen für zulässig erklärt würden, da zum einen die vor den innerstaatlichen Gerichten eingeleiteten Verfahren lang, komplex und kostspielig wären und diese Gerichte zum anderen nicht in der Lage wären, über die im Rahmen der vorliegenden Klagen gestellten Fragen zu entscheiden.

65     Hierzu hat der Gerichtshof entschieden, dass das Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen gehört, die sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergeben, und dass dieses Recht auch in den Artikeln 6 und 13 EMRK verankert ist (oben in Randnr. 52 angeführtes Urteil Unión de Pequeños Agricultores/Rat, Randnrn. 38 und 39).

66     In demselben Urteil stellt der Gerichtshof fest, dass der EG-Vertrag mit den Artikeln 230 EG und 241 EG auf der einen und Artikel 234 EG auf der anderen Seite ein vollständiges System von Rechtsbehelfen und Verfahren errichtet hat, das die Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Handlungen der Organe gewährleisten soll, mit der der Gemeinschaftsrichter betraut wird. In diesem System haben natürliche oder juristische Personen, die wegen der Zulässigkeitsvoraussetzungen des Artikels 230 Absatz 4 EG abstrakt generelle Gemeinschaftshandlungen nicht unmittelbar anfechten können, die Möglichkeit, je nach den Umständen des Falles die Ungültigkeit solcher Handlungen entweder inzident nach Artikel 241 EG vor dem Gemeinschaftsrichter oder aber vor den nationalen Gerichten geltend zu machen und diese Gerichte, die nicht selbst die Ungültigkeit der genannten Handlungen feststellen können, zu veranlassen, dem Gerichtshof insoweit Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen (oben in Randnr. 52 angeführtes Urteil Unión de Pequeños Agricultores/Rat, Randnr. 40).

67     Schließlich ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes, dass die Zulässigkeit einer Nichtigkeitsklage vor dem Gemeinschaftsrichter nicht von der Frage abhängen kann, ob ein Rechtsbehelf vor einem nationalen Gericht gegeben ist, der die Prüfung der Gültigkeit der Handlung, deren Nichtigerklärung beantragt wird, ermöglicht hätte (in diesem Sinne oben in Randnr. 52 angeführtes Urteil Unión de Pequeños Agricultores/Rat, Randnr. 46).

68     Daraus ergibt sich, dass nach dem Rechtsprechungsverständnis des Gerichtshofes das Vorbringen der Kläger zum Fehlen eines wirksamen gerichtlichen Rechtsschutzes für sich genommen die Zulässigkeit ihrer Klagen nicht begründet.

69     Sechstens ist zu dem Vorbringen, dass die Klagen wegen des Grundsatzes der Waffengleichheit für zulässig erklärt werden müssten, festzustellen, dass nach der Rechtsprechung die Tatsache allein, dass eine Handlung gegenüber einem Kläger Wirkungen verursacht, die den Wirkungen, die sie gegenüber einer Person verursacht, die gegen diese Handlung klagebefugt ist, entgegengesetzt sind, nicht ausreicht, um diesem Kläger die Klagebefugnis zu verleihen (in diesem Sinne oben in Randnr. 48 angeführtes Urteil Eridania u. a./Kommission, Randnr. 7, und Urteil des Gerichtshofes vom 23. Mai 2000 in der Rechtssache C‑106/98 P, Comité d’entreprise de la Société française de production u. a./Kommission, Slg. 2000, I‑3659, Randnr. 41). Selbst wenn man also annimmt, wie die Kläger es vortragen, dass Syngenta für eine Nichtigkeitsklage gegen die Atrazin‑ und die Simazin‑Entscheidung klagebefugt wäre, genügt dies allein weder für den Nachweis, dass die Kläger das Erfordernis der individuellen Betroffenheit durch die Atrazin‑ und die Simazin‑Entscheidung erfüllen, noch für die Befreiung von diesem Nachweis.

70     Schließlich machen die Kläger, siebtens, geltend, dass ihre Klagebefugnis für eine Nichtigkeitsklage gegen die Atrazin‑ und die Simazin‑Entscheidung sich daraus ergebe, dass die Kommission in der Begründung des Vorschlags für eine Verordnung zum Århus‑Übereinkommen festgelegt habe, dass europäische Umweltschutzverbände, die bestimmte objektive Kriterien erfüllten, im Sinne von Artikel 230 Absatz 4 EG klagebefugt seien. Im vorliegenden Fall erfüllten die Kläger die genannten objektiven Kriterien.

71     Hierzu ist festzustellen, dass die Grundsätze der Normenhierarchie (u. a. Urteil des Gerichtshofes vom 27. Oktober 1992 in der Rechtssache C‑240/90, Deutschland/Kommission, Slg. 1992, I‑5383, Randnr. 42) es nicht gestatten, dass eine Maßnahme abgeleiteten Rechts Einzelnen, die die Erfordernisse des Artikels 230 Absatz 4 EG nicht erfüllen, eine Klagebefugnis verleiht. Das gilt erst recht für die Begründung eines Vorschlags für eine Maßnahme abgeleiteten Rechts.

72     Somit befreit die Begründung, auf die die Kläger sich berufen, sie nicht vom Nachweis, dass sie von der Atrazin‑ und der Simazin‑Entscheidung individuell betroffen sind. Selbst unterstellt, dass die Kläger im Sinne des Vorschlags für eine Verordnung zum Århus‑Übereinkommen geeignete Einrichtungen sind, ist ferner festzustellen, dass sie keinen Grund dafür vorbringen, dass diese Eigenschaft den Schluss zulasse, sie seien von der Atrazin‑ und der Simazin‑Entscheidung individuell betroffen.

73     Nach allem ist festzustellen, dass die Kläger von der Atrazin‑ und der Simazin‑Entscheidung nicht individuell betroffen sind. Folglich sind die Klagen als unzulässig abzuweisen, ohne dass zu prüfen wäre, ob die Kläger von diesen Entscheidungen unmittelbar betroffen sind.

 Kosten

74     Nach Artikel 87 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kläger in beiden Rechtssachen unterlegen sind, sind ihnen entsprechend dem Antrag der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

75     Nach Artikel 87 § 4 Absatz 1 der Verfahrensordnung tragen die Mitgliedstaaten, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten. Daher hat die Französische Republik ihre Kosten selbst zu tragen. Nach Artikel 87 § 4 Absatz 3 der Verfahrensordnung kann das Gericht entscheiden, dass ein Streithelfer seine eigenen Kosten trägt. Im vorliegenden Fall trägt Syngenta, die dem Verfahren zur Stützung der Anträge der Kommission beigetreten ist, ihre eigenen Kosten.

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Zweite Kammer)

beschlossen:

1.      Die Rechtssachen T‑236/04 und T‑241/04 werden verbunden.

2.      Die Klagen in den Rechtssachen T‑236/04 und T‑241/04 werden als unzulässig abgewiesen.

3.      Die Kläger tragen außer ihren eigenen Kosten die Kosten der Kommission in den Rechtssachen T‑236/04 und T‑241/04.

4.      Die Streithelfer tragen ihre eigenen Kosten. 

Luxemburg, den 28. November 2005

Der Kanzler

 

       Der Präsident

E. Coulon

 

      J. Pirrung


* Verfahrenssprache: Englisch.