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Document 52014IE0926

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Jagd nach Agrarland — ein Alarmsignal für Europa und eine Bedrohung für bäuerliche Familienbetriebe (Initiativstellungnahme)

OJ C 242, 23.7.2015, p. 15–23 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

23.7.2015   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 242/15


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Jagd nach Agrarland — ein Alarmsignal für Europa und eine Bedrohung für bäuerliche Familienbetriebe

(Initiativstellungnahme)

(2015/C 242/03)

Berichterstatter:

Kaul NURM

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 20. Januar 2014, gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

„Jagd nach Agrarland — ein Alarmsignal für Europa und eine Bedrohung für bäuerliche Familienbetriebe“ (Initiativstellungnahme).

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 8. Januar 2015 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 504. Plenartagung am 21./22. Januar 2015 (Sitzung vom 21. Januar) mit 209 gegen 5 Stimmen bei 9 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1.

In dieser Stellungnahme wird das weltweit und in der EU auftretende Problem der Jagd nach Agrarland (Land Grabbing) einschließlich der Landkonzentration behandelt, das eine Bedrohung für bäuerliche Familienbetriebe darstellt.

1.2.

Agrarland ist die Grundlage für die Lebensmittelerzeugung und damit auch die Voraussetzung für die Gewährleistung der Ernährungssicherheit gemäß Artikel 11 des Internationalen Pakts der Vereinten Nationen über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte sowie gemäß Artikel 25 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte.

1.3.

Die Jagd nach Agrarland wird durch folgende Faktoren ausgelöst: die zunehmend globalisierte Welt und die hiermit einhergehenden Grundsätze des freien Kapitalverkehrs, das Bevölkerungswachstum und die Verstädterung, die stetig steigende Nachfrage nach Nahrungsmitteln und Bioenergie, die steigende Nachfrage nach natürlichen Rohstoffen, die Schattenseiten der Agrar- und Umweltpolitik sowie die Möglichkeit, mit dem Wertzuwachs des Agrarlands spekulieren zu können.

1.4.

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss (EWSA) sieht die ernste Gefahr, die von der starken Landkonzentration in den Händen nicht landwirtschaftlicher Großinvestoren und landwirtschaftlicher Großbetriebe — auch in Teilen der Europäischen Union — ausgeht. Sie läuft dem europäischen Modell einer nachhaltigen, multifunktionalen und weithin von Familienbetrieben geprägten Landwirtschaft zuwider und gefährdet die Umsetzung der in Artikel 39 und 191 AEUV formulierten Ziele. Sie steht im Widerspruch zum agrarstrukturellen Ziel einer breiten Eigentumsstreuung, führt zu einer irreversiblen Schädigung der Wirtschaftsstrukturen auf dem Lande und zu einer von der Gesellschaft nicht gewünschten industrialisierten Landwirtschaft.

1.5.

Infolge der industriell betriebenen Landwirtschaft verschärfen sich die mit der Lebensmittelsicherheit und der Bodenverarmung verbundenen Risiken, und die Ernährungssicherheit nimmt ab.

1.6.

Der landwirtschaftliche Familienbetrieb erfüllt neben der Erzeugung von Nahrungsmitteln noch weitere wichtige Funktionen in der Gesellschaft und für die Umwelt, was das industrielle, von Großunternehmen dominierte Agrarmodell nicht bieten kann. Damit die familienbetriebene Landwirtschaft eine lebensfähige Alternative zur industriell betriebenen Agrarwirtschaft und zur Jagd nach Agrarland als eine ihrer Ausprägungen sein kann, müssen aktive Maßnahmen zum Schutz bäuerlicher Familienbetriebe ergriffen werden.

1.7.

Land ist keine gewöhnliche Handelsware, von der sich einfach mehr produzieren ließe. Land ist eine endliche Ressource, weswegen hier nicht die üblichen Regeln des Markts gelten sollten. Die Eigentumsverhältnisse in Bezug auf Land und die Flächennutzung müssen stärker als bisher reguliert werden. Aufgrund der erkannten Fehlentwicklungen hält der EWSA sowohl auf Ebene der Mitgliedstaaten und der EU die Formulierung eines eindeutigen agrarstrukturellen Leitbildes für erforderlich. Daraus gilt es die Konsequenzen für die Landnutzung und das Bodenrecht zu ziehen.

1.8.

Der Markt für Agrarland ist in den Mitgliedstaaten der EU sehr unterschiedlich reguliert. Während es in manchen Staaten Beschränkungen gibt, fehlen diese in anderen Staaten, wodurch Ungleichheit zwischen den Mitgliedstaaten entsteht.

1.9.

Die Bodenpolitik fällt zwar in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, doch wird sie durch den in den Verträgen festgeschriebenen Grundsatz des freien Kapital- und Warenverkehrs gewissen Beschränkungen unterworfen. Daher ersucht der EWSA das Europäische Parlament und den Rat, gemeinsam Überlegungen darüber anzustellen, ob der freie Kapitalverkehr auch in Bezug auf die Veräußerung und den Erwerb von Landwirtschaftsflächen und Agrarbetrieben gewährleistet sein muss — insbesondere mit Blick auf Drittstaaten, aber auch innerhalb der EU.

1.10.

Der EWSA ruft die Mitgliedstaaten dazu auf, die Bodennutzung dahin gehend zu lenken, dass die vorhandenen Möglichkeiten wie Steuern, Beihilfen und GAP-Mittel ausgeschöpft werden, um das auf bäuerlichen Familienbetrieben beruhende Landwirtschaftsmodell auf dem gesamten Gebiet der EU zu bewahren.

1.11.

Es muss den Mitgliedstaaten gestattet werden, Obergrenzen für den Erwerb von Agrarland festzulegen und ein System für Vorkaufsrechte für diejenigen zu schaffen, deren Landbesitz unterhalb dieser Obergrenze liegt.

1.12.

Der EWSA ruft die Europäische Kommission und das Parlament dazu auf, auf Grundlage eines einheitlichen Verfahrens umfassende Untersuchungen über die Folgen der in den verschiedenen Staaten angewendeten politischen Maßnahmen (Beihilfen und Beschränkungen) bezüglich der Konzentration von Agrarflächen und der landwirtschaftlichen Erzeugung durchzuführen. Gleichzeitig müssten die Risiken der Landkonzentration für die Bereiche Ernährungssicherheit, Beschäftigung, Umwelt, Bodenqualität und ländliche Entwicklung untersucht werden.

1.13.

Der EWSA fordert alle EU-Mitgliedstaaten auf, die Freiwilligen Leitlinien für die verantwortungsvolle Verwaltung von Boden- und Landnutzungsrechten (VGGT) anzuwenden und der Europäischen Kommission und der Welternährungsorganisation über den Einsatz und die Anwendung dieser Leitlinien in ihrer Landnutzungspolitik Bericht zu erstatten.

1.14.

Es muss eine Politik verfolgt werden, die nicht zu einer Landkonzentration, sondern zu einem Übergang von der industriellen Erzeugung zu kleineren Erzeugungseinheiten führt, indem das Modell des bäuerlichen Familienbetriebs gestärkt wird, was auch der Nahrungsmittelautarkie zuträglich wäre.

1.15.

Der EWSA wird auch künftig die Entwicklung der Landkonzentration aufmerksam verfolgen, deren Folgen untersuchen und sich an der Ausarbeitung von Vorschlägen für ihre Eindämmung beteiligen.

2.   Die weltweite Jagd nach Agrarland — der allgemeine Kontext

2.1.

In dieser Stellungnahme werden die Probleme der Jagd nach Agrarland (Land Grabbing) und der Landkonzentration behandelt, deren Folgen eine Bedrohung für die Existenz bäuerlicher Familienbetriebe darstellen.

2.2.

Eine international anerkannte, einheitliche Definition des Begriffs „Jagd nach Agrarland“ existiert nicht. Unter der Jagd nach Agrarland versteht man im Allgemeinen den Prozess des Aufkaufs landwirtschaftlicher Nutzflächen in großem Maßstab, ohne zuvor die lokale Bevölkerung anzuhören oder ihre Zustimmung einzuholen. Im Endergebnis führt sie dazu, dass die Möglichkeiten der lokalen Bevölkerung, selbstständig einen landwirtschaftlichen Betrieb zu führen und die Lebensmittelversorgung zu sichern, beeinträchtigt werden. Auch das Recht auf die Nutzung der Ressourcen (Land, Wasser, Wald) und der Gewinn aus deren Nutzung liegen beim Eigentümer. Eine mögliche Begleiterscheinung ist, dass die bisherige landwirtschaftliche Nutzung zugunsten anderer, außerlandwirtschaftlicher Tätigkeiten aufgegeben wird.

2.3.

Die landwirtschaftlichen Nutzflächen und der Zugang zu Wasser sind die Grundlagen für die Lebensmittelerzeugung. Der Selbstversorgungsgrad der Länder mit Nahrungsmitteln hängt von verschiedenen Faktoren ab, grundlegende Voraussetzungen sind jedoch das Vorhandensein ausreichender landwirtschaftlicher Nutzflächen und das Recht der Staaten, die Eigentums- und Nutzungsverhältnisse von Agrarflächen zu regeln.

2.4.

Durchschnittlich kommen auf jeden Menschen auf der Erde etwa 2  000 m2 landwirtschaftliche Nutzfläche. Die für die Landwirtschaft geeigneten Flächen sind in den einzelnen Ländern weltweit sehr unterschiedlich auf die Bewohner verteilt, weswegen einige Länder versuchen, für ihre landwirtschaftliche Erzeugung geeignete Flächen durch Landaufkäufe in anderen Ländern zu vergrößern.

2.5.

Die Jagd nach Agrarland wird durch folgende Faktoren begünstigt:

2.5.1.

die zunehmende Globalisierung und die mit ihr einhergehenden Grundsätze des freien Kapitalverkehrs;

2.5.2.

das Bevölkerungswachstum und die Verstädterung;

2.5.3.

den kontinuierlichen Anstieg der Nachfrage nach Lebensmitteln;

2.5.4.

die steigende Nachfrage nach Bioenergie;

2.5.5.

die steigende Nachfrage nach natürlichen Rohstoffen (Fasern und andere Holzprodukte);

2.5.6.

die Schattenseiten der Agrar- und Umweltpolitik;

2.5.7.

die Möglichkeit der Spekulation mit Nahrungsmitteln auf dem Weltmarkt oder zumindest auf dem europäischen Markt;

2.5.8.

die Möglichkeit, mit dem Wertzuwachs des Agrarlands und künftigen Beihilfen spekulieren zu können;

2.5.9.

das Streben von Großinvestoren, das in der Folge der Finanzkrise von 2008 freigesetzte Kapital in Agrarland als sicherere Geldanlage zu investieren.

2.6.

Diese Jagd nach landwirtschaftlichen Nutzflächen findet in großem Umfang in Afrika, Südamerika und in anderen Gebieten statt — auch in den Regionen Europas, in denen das Land im Vergleich zu den entwickelten Ländern und dem weltweiten Durchschnitt vergleichsweise billig ist.

2.7.

Es ist schwer, zuverlässige Daten über das Ausmaß der Jagd nach Agrarland zu erhalten, da nicht alle Geschäfte mit Land registriert werden und Landtransaktionen juristischer Personen untereinander häufig nicht besonders transparent sind, wie beispielsweise im Falle des Landaufkaufs über Tochter- und Partnerunternehmen. Einige Nichtregierungsorganisationen und Forschungsinstitute haben jedoch einschlägige Untersuchungen durchgeführt. Demnach erstreckte sich das Land Grabbing in den Jahren 2008-2009 nach Schätzungen der Weltbank weltweit auf eine Fläche von 45 Mio. Hektar. In einem Bericht von Land Matrix (1) wird beschrieben, wie in 1  217 groß angelegten Geschäften in den Entwicklungsländern insgesamt 83,2 Mio. Hektar Agrarland veräußert wurden, also 1,7 % der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche weltweit.

2.8.

Am umfangreichsten wurde Agrarland in Afrika aufgekauft (56,2 Mio. Hektar bzw. 4,8 % der landwirtschaftlichen Nutzfläche Afrikas), gefolgt von Asien (17,7 Mio. Hektar) und Lateinamerika (7 Mio. Hektar). Bevorzugt wurden dabei stets Flächen, die gut gelegen und zugänglich sind, eine Wasserversorgung haben, sich für den Anbau von Getreide und Gemüse eignen und hohe Ernteerträge versprechen. Investoren interessieren sich auch für Waldgebiete. Die Investoren kommen in erster Linie aus China, Indien, Korea, Ägypten, den Golfstaaten, Brasilien und Südafrika, aber auch aus den USA und den EU-Mitgliedstaaten. Länder mit hohen Bodenpreisen interessieren die Aufkäufer nicht. In diesen Ländern kommt es eher zur Konzentration von Landbesitz, wenn landwirtschaftliche Großbetriebe das Land der Kleinerzeuger aufkaufen.

2.9.

Dem Bericht der Madariaga-Stiftung (2) vom 10. Juli 2013 zufolge haben einige EU-Politikbereiche direkte oder indirekte Auswirkungen auf das Land Grabbing in der EU und weltweit, z. B. die Bioökonomie-, die Handels- und die Agrarpolitik. Auch die liberalistische Bodenpolitik und der allgemein anerkannte Grundsatz des freien Kapital- und Warenverkehrs spielen hier hinein.

2.10.

In erster Linie werden die von der EU aufgestellte Forderung nach einem höheren Anteil an Biokraftstoffen und die Ermöglichung des zoll- und quotenfreien Zuckerhandels genannt, die als Auslöser hinter einigen mit der Jagd nach Agrarland verbundenen Projekten in Asien und Afrika stehen.

3.   Land Grabbing und Landkonzentration in Europa

3.1.

Europa ist in die globalen Prozesse eingebettet, und deshalb vollziehen sich diese Prozesse auch innerhalb Europas, in einigen Gegenden augenfällig, in anderen eher schleichend. Die Jagd nach Agrarland findet vor allem in den Ländern Ost- und Mitteleuropas statt.

3.2.

Neben dem klassischen Landerwerb findet eine Übernahme der Kontrolle über die Anbauflächen auch dadurch statt, dass Unternehmen mit Landbesitz oder entsprechenden Pachtverträgen aufgekauft werden oder versucht wird, Anteile an derartigen Unternehmen zu erwerben. Dies führt dazu, dass sich der Landbesitz immer stärker auf eine geringere Zahl von Großbetrieben konzentriert und in einigen mittel- und osteuropäischen Ländern eine industriell geprägte Landwirtschaft vorherrscht.

3.3.

Während die Agrarfläche in Europa insgesamt schrumpft, konzentriert sich ein immer größerer Landbesitz in der Hand einzelner großer Unternehmen. Ein Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe kontrolliert 20 % des Agrarlands in der Europäischen Union. Drei Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe kontrollieren 50 % des Agrarlands in der Europäischen Union. Auf der anderen Seite kontrollieren 80 % der landwirtschaftlichen Betriebe lediglich 14,5 % des Agrarlands.

3.4.

In Europa lässt sich ein Zusammenhang zwischen der abnehmenden Zahl landwirtschaftlicher Produktionseinheiten und der sinkenden Zahl der in der Landwirtschaft Beschäftigten feststellen. So nahm beispielsweise in den Jahren 2005-2010 in den osteuropäischen Ländern, insbesondere in den baltischen Staaten (Estland, Lettland und Litauen), die Zahl der Produktionseinheiten am stärksten ab, und parallel dazu sank in dieser Region auch der Arbeitskräftebedarf am stärksten (in Bulgarien und Rumänien um 8,9 % pro Jahr und in den baltischen Staaten um 8,3 % pro Jahr). In Irland und in Malta ist die Zahl der Landwirtschaftsbetriebe hingegen angestiegen, und damit auch die Nachfrage nach Arbeitskräften in der Landwirtschaft.

3.5.

Für die Landaufkäufe und die Konzentration von Landbesitz sind im Wesentlichen drei Kategorien von Investoren verantwortlich: Investoren aus Drittländern, der EU und dem Land selber.

3.6.

Den gründlichsten Überblick über die Konzentration von Landbesitz in Europa, auch in der Europäischen Union, bietet der Bericht „Concentration, land grabbing and people’s struggles in Europe“  (3), den Via Campesina und das Netz Hands off the Land im April 2013 vorgelegt haben. Diesem Bericht zufolge ist derzeit in der Europäischen Union ein schleichender Prozess der Jagd nach Agrarland und der Konzentration von Landbesitz im Gange, der sich auf die Menschenrechte und insbesondere auf das Recht auf angemessene Nahrung auswirkt. Die größten Ausmaße hat die Jagd nach Agrarland in Ungarn und Rumänien gehabt. Dieser Prozess ist aber auch in anderen mittel- und osteuropäischen Staaten zu beobachten.

3.6.1.

Nach Angaben verschiedener Quellen sind in Rumänien nunmehr bis zu 10 % der Agrarflächen in den Händen von Investoren aus Drittländern, und weitere 20-30 % werden von Investoren aus der EU kontrolliert. In Ungarn sind durch Geheimverträge eine Million Hektar Land unter die Kontrolle von Kapital vorwiegend aus den EU-Mitgliedstaaten geraten. Obwohl es Ausländern in Polen bis Mai 2016 verboten ist, Land zu erwerben, ist bekannt, dass ausländische Unternehmer vor allem aus den EU-Ländern bereits 2 00  000 Hektar Land aufgekauft haben. Im französischen Bordeaux-Gebiet haben Chinesen ca. 100 Weingüter aufgekauft. Nach der deutschen Wiedervereinigung wurden auf dem Gebiet der ehemaligen DDR die landwirtschaftlichen Produktgenossenschaften aufgelöst, und es entstanden sowohl landwirtschaftliche Familienbetriebe wie auch juristische Personen. Inzwischen mehren sich die Hinweise, dass die juristischen Personen besonders anfällig für außerlandwirtschaftliche Investoren und Kapitalgeber sind.

3.7.

Die folgenden Beispiele lassen den Umfang dieser Konzentration in den Betrieben erahnen: In Rumänien bewirtschaftet der größte Landwirtschaftsbetrieb ca. 65  000 Hektar Land, in Deutschland 38  000 Hektar. Der größte Milchviehbetrieb in Estland hat 2  200 Kühe und soll sogar noch bis auf 3  300 Tiere aufgestockt werden.

3.8.

Ein Grund für die Landkonzentration in Europa ist die einheitliche Flächenzahlung im Rahmen der ersten Säule der GAP, da sie Großerzeugern eine größere finanzielle Durchschlagskraft und somit Vorteile und mehr freies Kapital für Landzukäufe verschafft. In den Ländern der EU-15 wird hauptsächlich die Betriebsprämie und in denen der EU-12 hauptsächlich die einheitliche Flächenzahlung angewandt. Zugleich schreitet die Landkonzentration in der EU-15 erheblich langsamer voran als in der EU-12.

3.9.

Die Konzentration von Agrarland führt ihrerseits zu einer Konzentration der GAP-Beihilfen. 2009 erhielten 2 % der landwirtschaftlichen Familienbetriebe 32 % der GAP-Zahlungen. Dabei gibt es Unterschiede zwischen den westeuropäischen und den osteuropäischen Ländern. So erhielten beispielsweise 2009 landwirtschaftliche Großbetriebe, die in Bulgarien insgesamt 2,8 % aller Betriebe ausmachen, 66,6 % der Beihilfen. Die entsprechenden Zahlen für Estland sind 3 % und 53 %, in Dänemark liegen sie hingegen bei 3 % und 25 % und in Österreich bei 5,5 % und 25 %.

4.   Folgen der Jagd nach landwirtschaftlichen Nutzflächen

4.1.

In den Staaten, in denen Landkonzentration und Landaufkäufe stattfinden, wird das durch landwirtschaftliche Familienbetriebe geprägte multifunktionale europäische Landwirtschaftsmodell durch eine industrielle landwirtschaftliche Großerzeugung verdrängt.

4.2.

Aus den vorliegenden Untersuchungen geht hervor, dass die auf dem aufgekauften Agrarland erzeugten Nahrungsmittel und Rohstoffpflanzen überwiegend in die Länder exportiert werden, aus denen die Investitionen stammen. Lediglich ein Bruchteil dieser Erzeugnisse ist für den heimischen Markt bestimmt. Je nach Ausmaß der Jagd nach Agrarland verschlechtert sich die einheimische Ernährungssicherheit entsprechend.

4.3.

Die Jagd nach Agrarland und die Konzentration von Landbesitz führen dazu, dass die landwirtschaftlichen Betriebe, die die Flächen bislang genutzt haben, verdrängt werden. Die Folge davon ist der Verlust von Arbeits- und Lebensmöglichkeiten in den ländlichen Gebieten. Dieser Prozess ist in der Regel irreversibel, da es für Kleinerzeuger oder auch für neue Betriebe (und Jungbauern) sehr schwer ist, Land zu erwerben und in diesem Wirtschaftsbereich Fuß zu fassen, wenn sie nicht über ausreichend Kapital verfügen.

4.4.

Obwohl die Weltbank sich bemüht hat, auf die positive Seite der Jagd nach Agrarland wie beispielsweise Effizienzgewinn, Innovation und Entwicklung hinzuweisen, kritisieren zahlreiche Organisationen der Zivilgesellschaft und Bewegungen das Land Grabbing. Ihrer Ansicht nach führt es zu Umweltschäden, Bodenverschlechterung und einem Rückgang der Lebensmöglichkeiten in den ländlichen Gebieten, und anstelle einer nachhaltigen Landwirtschaft entwickelt sich eine auf Monokulturen beruhende riesige Agrarindustrie.

4.5.

Die Jagd nach Agrarland wirkt sich negativ auf die Entwicklung der ländlichen Gemeinschaft aus. Die negative Seite des großflächigen Anbaus ist der Anstieg der Arbeitslosigkeit in den ländlichen Gebieten, was soziale Kosten nach sich zieht.

4.6.

Willis Peterson, Forscher an der Universität Minnesota, behauptet sogar, dass kleine landwirtschaftliche Familienbetriebe mindestens ebenso effizient sind wie landwirtschaftliche Großunternehmen. Auch die Behauptung, dass eine Konzentration der Landflächen zu größeren Erträgen führt, entspricht nicht den Tatsachen (4). Daten der FAO belegen das Gegenteil, da weltweit 90 % der landwirtschaftlichen Betriebe bäuerliche Familienbetriebe sind, die 75 % der landwirtschaftlichen Flächen bewirtschaften und weltweit 80 % der Nahrungsmittel erzeugen.

4.7.

Ein mahnendes Beispiel für die Folgen von Landaufkäufen ist Schottland, wo vor 200 Jahren eine Fläche von der Größe Hollands in Landeinheiten von einer Größe zwischen 8  000 und 20  000 Hektar aufgeteilt und an Investoren verkauft wurde. In diesem Gebiet lebten 1,5 Millionen bis 2 Millionen Menschen. Bis heute ist dieses Gebiet aufgrund der industriell betriebenen Landwirtschaft entvölkert. Das schottische Parlament beschäftigt sich derzeit mit der Neubesiedlung dieses Gebiets, was jedoch erheblich teurer sein wird, als wenn das auf kleineren Betrieben beruhende Agrarmodell erhalten worden wäre.

5.   Die Bedeutung der bäuerlichen Familienbetriebe für die Gesellschaft und die Ernährungssicherheit

5.1.

Der EWSA hat mit Befriedigung zur Kenntnis genommen, dass die Vereinten Nationen das Jahr 2014 zum Jahr der familienbetriebenen Landwirtschaft ausgerufen haben. Er hat sich verschiedentlich daran beteiligt, die strategische Bedeutung von Familienbetrieben für die Ernährungssicherheit und die Entwicklung des ländlichen Raums zu betonen und stärker in die gesellschaftliche Diskussion zu tragen.

5.2.

Da es bislang weder international noch innerhalb der Europäischen Union eine allgemein anerkannte Definition des bäuerlichen Familienbetriebs gibt, ruft der EWSA die Europäische Kommission, das Parlament und den Rat auf, diesen Begriff festzulegen. Der EWSA schlägt folgende Merkmale vor, die ein landwirtschaftlicher Betrieb erfüllen muss, um als bäuerlicher Familienbetrieb zu gelten:

5.2.1.

Betriebliche Beschlüsse werden von den Familienmitgliedern getroffen.

5.2.2.

Der wesentliche Teil der Hofarbeiten wird von Familienmitgliedern verrichtet.

5.2.3.

Sowohl der Besitz als auch der größte Teil des Kapitals gehören der Familie, oder das Land gehört einer örtlichen Gemeinschaft.

5.2.4.

Auch die Kontrolle über die Bewirtschaftung des Betriebes liegt in den Händen der Familie.

5.2.5.

Der Betrieb wird innerhalb der Familie von einer Generation an die nächste weitergegeben.

5.2.6.

Die Familie lebt auf dem zum landwirtschaftlichen Betrieb gehörenden eigenen Grund und Boden oder in der Nähe.

5.3.

Das gesellschaftlich und ökologisch adäquate, auf Familienbetrieben beruhende Leben und Arbeiten auf dem Lande und in der Landwirtschaft kann in den meisten Regionen der Erde auf eine jahrtausendealte Tradition zurückblicken. Wo Rechtssicherheit und politische Verlässlichkeit gegeben sind, haben sich weltweit die bäuerlichen Familienbetriebe gegenüber anderen Agrarsystemen als stabil bzw. überlegen erwiesen.

5.4.

Der landwirtschaftliche Familienbetrieb erfüllt neben der Erzeugung von Nahrungsmitteln noch weitere nützliche Funktionen in der Gesellschaft, die das industrielle, von Großunternehmen dominierte, auf abhängigen Beschäftigten beruhende Agrarmodell nicht bieten kann.

5.4.1.

Bäuerliche Familienbetriebe wie auch Agrargenossenschaften spielen eine aktive Rolle im Wirtschaftsgefüge der ländlichen Gebiete. Für ihre Stabilität und Flexibilität ist die Mitgliedschaft in genossenschaftlichen und berufsständischen Organisationen von erheblicher Bedeutung. Die bäuerlichen Familienbetriebe bewahren das kulturelle Erbe und das ländliche Leben, sie bilden den Kern des gesellschaftlichen Lebens auf dem Land, sie erzeugen hochwertige Produkte, sie gehen nachhaltig mit den natürlichen Ressourcen um und sorgen für eine breite Streuung des Eigentums in den ländlichen Gebieten.

5.4.2.

Bäuerliche Familienbetriebe beklagen nicht den Mangel an Arbeitsplätzen, sie schaffen diese selbst und sind offen für Innovation.

5.4.3.

Der Bauernhof bietet Kindern ein ideales Umfeld, wo erforderliches Wissen und Fähigkeiten von Generation zu Generation weitergegeben werden können, was die Kontinuität dieser Betriebe sichert.

5.4.4.

Die landwirtschaftliche Erzeugung durch Familienbetriebe ist dadurch gekennzeichnet, dass sie vielgestaltig und dezentral ist. Dadurch wird der Wettbewerb auf dem Markt gewährleistet und die mit der Landkonzentration einhergehenden Risikofaktoren verringert.

5.4.5.

Die Vielzahl der Betriebe ist unter der Perspektive des Fortbestands der Menschheit ein Wert an sich, da diese einer größeren Zahl an Menschen Fähigkeiten und Kenntnisse über die Lebensmittelerzeugung sichert und somit die Grundlagen dafür schafft, dass für das Überleben notwendige Fähigkeiten und Kenntnisse auch in Krisenzeiten vorhanden sind. Damit die familienbetriebene Landwirtschaft eine lebensfähige Alternative zur industriell betriebenen Landwirtschaft und zur Jagd nach Agrarland als eine ihrer Ausprägungen sein kann, müssen aktive Maßnahmen zum Schutz bäuerlicher Familienbetriebe ergriffen werden, u. a. Fördermaßnahmen für Erzeugerorganisationen und Maßnahmen gegen unlautere Handelspraktiken. Politische Maßnahmen auf europäischer und nationaler Ebene können dazu beitragen, die familienbetriebene Landwirtschaft nachhaltiger und widerstandsfähiger zu machen (5).

6.   Möglichkeiten zur Regulierung des Marktes für landwirtschaftliche Flächen und zur Vermeidung der Jagd nach Agrarland und der Landkonzentration

6.1.

Land ist die Grundlage für die Lebensmittelerzeugung. Artikel 11 des Internationalen Pakts der Vereinten Nationen über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (6) und Artikel 25 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (7) verpflichten die Staaten dazu, das Recht eines jeden, der in ihrem Hoheitsgebiet lebt, auf ausreichende und sichere Ernährung anzuerkennen, und dies ist unmittelbar mit dem Zugang zu Land verbunden.

6.2.

Da es in der EU wenig Erdöl und Erdgas gibt, ist auch die Ernährungssicherheit in der Union gefährdet. Daher müssen eine nachhaltige Landwirtschaft und bäuerliche Familienbetriebe erhalten werden.

6.3.

Land ist keine gewöhnliche Handelsware, von der sich einfach mehr produzieren ließe. Land ist eine endliche Ressource, weswegen hier nicht die üblichen Regeln des Markts gelten sollten. Der EWSA ist der Überzeugung, dass in den Mitgliedstaaten und auf EU-Ebene eine eingehende Diskussion über ein eindeutiges agrarstrukturelles Leitbild stattfinden muss. Nur auf dieser Grundlage können und müssen die politischen Konsequenzen und Maßnahmen abgeleitet werden. Ein Beispiel hierfür ist die rechtliche Bewertung des Erwerbs von Anteilen landwirtschaftlicher Gesellschaften (sog. „Share Deals“). Die Eigentumsverhältnisse in Bezug auf Land und die Flächennutzung müssen stärker als bisher reguliert werden.

6.4.

Organisationen unterschiedlicher politischer Couleur haben sich mit der Regulierung des Landbesitzes und der Ausarbeitung entsprechender politischer Maßnahmen befasst und darauf verwiesen, dass für diesen Bereich unbedingt eine gute Governance erforderlich ist. Die FAO hat Freiwillige Leitlinien zu diesem Thema erarbeitet: „The Voluntary Guidelines of the Responsible Governance of Tenure of Land, Fisheries and Forestry“ (8). Ziel dieser Leitlinien sind geregelte, sichere Nutzungsrechte, die einen gleichberechtigten Zugang zu den Ressourcen (Land, Fischgründe, Wälder) gewährleisten sollen, um so Hunger und Armut zu verringern, eine nachhaltige Entwicklung zu fördern und die Umwelt zu bereichern. Unctad, FAO, IFAD und die Weltbank haben gemeinsam Grundsätze für verantwortliche Agrarinvestitionen ausgearbeitet (9), in denen Rechte, Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts und Ressourcen anerkannt werden. Die OECD hat einen politischen Rahmen für Agrarinvestitionen herausgegeben (Policy Framework for Investment in Agriculture — PFIA) (10). Dadurch soll den Staaten eine Orientierungshilfe bei der Ausarbeitung politischer Maßnahmen für Anreize zu privaten Agrarinvestitionen an die Hand gegeben werden.

6.5.

Der EWSA hält die Leitlinien der FAO/UNO zu Landnutzungsrechten für Bauern für einen Meilenstein und fordert eine entschiedene und genaue Umsetzung in allen Staaten. Unklare Eigentumsrechte sind ein Indiz für „schlechtes Regieren“ und umgekehrt ein Anreiz für die Jagd nach Agrarland.

6.6.

In dem von Factor Markets 2012 veröffentlichten Dokument (11) werden die Rechtsbestimmungen für Landverkäufe in den EU-Mitgliedstaaten und den Kandidatenländern untersucht. Hieraus geht hervor, dass eine Reihe von Mitgliedstaaten eigene Rechtsbestimmungen haben, um forcierte Landkonzentrationen und den Aufkauf von Land durch Ausländer zu verhindern, z. B. durch die Einräumung von Vorkaufsrechten. In manchen Staaten müssen sämtliche Transaktionen landwirtschaftlicher Flächen unabhängig von dem Herkunftsland des Käufers behördlich bestätigt werden. Dies ist beispielsweise in Frankreich, Deutschland und Schweden üblich. Ferner gibt es Staaten (Ungarn und Litauen), in denen eine Obergrenze für die landwirtschaftliche Nutzfläche festgelegt wurde, die ein einzelner Besitzer haben darf.

6.6.1.

In Frankreich liegt die Kontrolle über Landtransaktionen in der Hand regionaler Landgesellschaften (Sociétés d’Aménagement Foncier et d’Etablissement Rural, SAFER). SAFER ist eine Behörde, deren Aufgabe darin besteht, landwirtschaftlichen Erzeugern, und hier vor allem Junglandwirten, bei der Neuordnung von Besitzverhältnissen zur Seite zu stehen und die Transparenz des Marktes für landwirtschaftliche Flächen zu sichern.

6.6.2.

In Schweden ist in dünn besiedelten Gebieten der Landerwerb genehmigungspflichtig. Für die Erteilung einer Genehmigung wird auch auf die Ausbildung bzw. frühere Erfahrungen geschaut, und manchmal wird auch gefordert, dass der Landkäufer auf dem von ihm gekauften Land wohnt. In Schweden können landwirtschaftliche Flächen nur von natürlichen Personen erworben werden.

6.6.3.

In Litauen darf eine juristische Person Land erwerben, wenn sie aus der landwirtschaftlichen Tätigkeit mindestens 50 % ihres gesamten Einkommens bezieht. Einheimische natürliche und juristische Personen dürfen bis zu 500 Hektar Land besitzen.

6.6.4.

In Belgien, Italien und Frankreich haben die Pächter landwirtschaftlicher Flächen bei einer Veräußerung das Vorkaufsrecht.

6.7.

Wie dieser Überblick erkennen lässt, ist der Markt für landwirtschaftliche Nutzflächen in den EU-Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich reguliert. Während es in manchen Staaten Beschränkungen gibt, fehlen diese in anderen Staaten, wodurch eine Ungleichheit zwischen den Mitgliedstaaten entsteht. So ist auch der Beschluss des bulgarischen Parlaments zu verstehen, das ein am 22. Oktober 2013 auslaufendes Moratorium für den Erwerb landwirtschaftlicher Flächen entgegen der Warnung der EU bis zum Jahr 2020 verlängert hat, weil es die unmittelbare Gefährdung der einheimischen Landwirtschaftsflächen erkannte, da in Bulgarien die Preise für Land, aber auch die Kaufkraft der Landwirte bedeutend unter dem Niveau der wohlhabenden Staaten liegen.

6.8.

In der Analyse von Factor Markets aus dem Jahr 2012 (12) wird festgestellt, dass die Dominanz der Großunternehmen auf dem Markt für landwirtschaftliche Flächen auch das normale Funktionieren dieses Marktes beeinträchtigt. Die Großunternehmen, die Land Grabbing betreiben, spielen ihre Macht sowohl auf den lokalen als auch auf den regionalen Märkten für landwirtschaftliche Flächen aus, um die Landpreise und die Bedingungen für Pachtverträge zu beeinflussen.

6.9.

Die Bodenpolitik fällt in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, sie können Beschränkungen für Transaktionen festlegen, wenn die nationale Energie- oder Ernährungssicherheit gefährdet ist und wenn ein überwiegendes öffentliches Interesse an Beschränkungen besteht. Beschränkungen sind zulässig zur Verhinderung von Spekulationen, zum Erhalt lokaler Traditionen und zur Sicherstellung einer angemessenen Landnutzung. Gleichzeitig wird durch solche Beschränkungen der in den Verträgen festgelegte Grundsatz des freien Waren- und Kapitalverkehrs eingeschränkt. Daher ersucht der EWSA das Europäische Parlament und den Rat, zu erörtern, ob der freie Kapitalverkehr in Bezug auf die Veräußerung und den Erwerb von Landwirtschaftsflächen und Agrarbetrieben immer gewährleistet sein muss — vor allem mit Blick auf Drittstaaten, aber auch innerhalb der EU. Diesbezüglich ist zu berücksichtigen, dass die Preise für Landwirtschaftsflächen und die Einkommen der Menschen in den Mitgliedstaaten stark divergieren. Es muss eine Antwort auf die Frage gefunden werden, ob der freie Kapitalverkehr und der freie Markt sämtlichen Bürgern und juristischen Personen gleiche Chancen zum Landerwerb bieten.

6.10.

Nach Auffassung des EWSA müssen den Mitgliedstaaten mit Blick auf die Ernährungssicherheit und andere legitime Zielsetzungen auf der Grundlage eines nachhaltigen Agrarmodells mehr Möglichkeiten gegeben werden, ihren Markt für landwirtschaftliche Flächen zu regulieren und Beschränkungen dafür festzulegen. Gleichzeitig fordert der EWSA alle EU-Mitgliedstaaten auf, alle ihre Möglichkeiten bei der Gestaltung von Rechtsvorschriften auszuschöpfen. Offenkundig mangelt es einigen Ländern an klaren politischen Zielstellungen, oder die Ziele enthalten diskriminierende Ansätze.

6.11.

Wenn das Europäische Parlament und der Rat zu dem Schluss gelangen, dass Beschränkungen des Kapitalverkehrs im Hinblick auf die Ernährungssicherheit begründet sind, muss auch auf internationaler Ebene darüber beraten werden, da der freie Kapitalverkehr durch verschiedene internationale Übereinkommen gewährleistet wird.

6.12.

Die vorhandenen rechtlichen und politischen Möglichkeiten der EU und der Mitgliedstaaten ermöglichen eine Beeinflussung der Flächennutzung über Subventionen oder Steuern. Über einen geschickten Einsatz des Instrumentariums der GAP und über die Bodenpolitik kann dafür gesorgt werden, dass die Erzeugung auch für kleine Landwirtschaftsbetriebe möglich und wirtschaftlich rentabel ist, was wiederum einer Landkonzentration vorbeugen würde.

6.13.

Im Rahmen der reformierten GAP wäre es sicherlich möglich, Obergrenzen einzuführen und die Direktzahlungen so zu lenken, dass die ersten Hektare stärker gewichtet werden, und Investitions- und Direkthilfen für landwirtschaftliche Kleinbetriebe vereinfacht auszuzahlen. Allerdings bezweifelt der EWSA, dass bestehende Beschränkungen großen Einfluss auf die Verhinderung von Landkonzentration haben und ob von diesen Möglichkeiten in denjenigen Mitgliedstaaten ausreichend Gebrauch gemacht wird, in denen die strukturellen Unterschiede der landwirtschaftlichen Betriebe und die Intensität der Landkonzentration am größten sind. Der EWSA empfiehlt den Mitgliedstaaten, diese Möglichkeiten intensiv zu nutzen, und fordert die Institutionen der Europäischen Union auf, einen stärkeren Mechanismus für die Umverteilung der Beihilfen einzuführen.

6.14.

Agrarland ist eine begrenzte natürliche Ressource, weshalb die Jagd nach Agrarland die Umsetzung der in Artikel 39 und 191 AEUV formulierten Ziele gefährdet. Daher appelliert der EWSA an die Europäische Kommission und das Europäische Parlament, sich aktiv mit der Regelung der Bodennutzung (Governance) zu befassen.

6.15.

Der EWSA empfiehlt, in allen EU-Mitgliedstaaten eine Obergrenze für den Erwerb von Landwirtschaftsflächen sowohl für natürliche als auch für juristische Personen einzuführen. Wer unterhalb dieser Obergrenze liegt, sollte ein Vorkaufsrecht erhalten. Die zuständigen Stellen können das Vorkaufsrecht nur für solche Landwirte ausüben, die unterhalb dieser Obergrenze liegen.

6.16.

Die örtlichen Gemeinschaften sollten in den Entscheidungsprozess in Bezug auf die Flächennutzung einbezogen werden, was zugleich bedeutet, dass ihnen größere Rechte und Möglichkeiten eingeräumt werden müssen.

6.17.

Bei der Nutzung landwirtschaftlicher Flächen sollte die Nahrungsmittelerzeugung Vorrang vor der Produktion von Biokraftstoffen haben.

6.18.

Es muss eine Politik verfolgt werden, die nicht zu einer Landkonzentration, sondern zu einem Übergang von der industriellen Erzeugung zu kleineren Erzeugungseinheiten führt, was auch die Nahrungsmittelautarkie stärken würde. In den EU-Mitgliedstaaten müsste es staatliche Einrichtungen geben, die einen Überblick über die Eigentums- und Nutzungsverhältnisse landwirtschaftlicher Flächen haben. Zu diesem Zweck müssten auf nationaler Ebene in staatlichen Datenbanken neben Angaben über den Besitzer des Landes auch dessen Nutzer erfasst werden. Derartige Daten könnten es ermöglichen, die erforderlichen Untersuchungen durchzuführen und auf Änderungen zu reagieren.

6.19.

Der EWSA ruft die Europäische Kommission und das Parlament dazu auf, auf der Grundlage eines einheitlichen Verfahrens umfassende Untersuchungen darüber durchzuführen, wie sich die politischen Maßnahmen und Beschränkungen in den verschiedenen Staaten auf die Landkonzentration auswirken. Gleichzeitig sollten die Gefahren der Landkonzentration für die Ernährungssicherheit, die Beschäftigung, die Umwelt und die ländliche Entwicklung untersucht werden.

6.20.

Der EWSA fordert alle EU-Mitgliedstaaten auf, der Europäischen Kommission und der Welternährungsorganisation über den Einsatz und die Anwendung der Freiwilligen Leitlinien für die verantwortungsvolle Verwaltung von Boden- und Landnutzungsrechten (VGGT, von der FAO 2012 angenommen) in ihrer Landnutzungspolitik Bericht zu erstatten. Der Geltungsbereich der Freiwilligen Leitlinien ist weltweit angelegt (Artikel 2.4) und umfasst somit auch Europa. In den Freiwilligen Leitlinien werden die Staaten aufgefordert, Multi-Stakeholder-Plattformen einzurichten, an denen die am stärksten Betroffenen beteiligt werden sollen, um die Umsetzung der Leitlinien zu begleiten und ihre Politik auf diese abzustimmen (13).

6.21.

Der EWSA wird auch künftig die Entwicklung der Landkonzentration aufmerksam verfolgen, deren Folgen untersuchen und sich an der Ausarbeitung von Vorschlägen für ihre Eindämmung beteiligen. Daneben unterstützt auch das WFAL (World Forum on Access to Land and Natural Resources) die Initiative und fordert die Europäische Kommission und das Parlament auf, diese Tätigkeit zu unterstützen.

Brüssel, den 21. Januar 2015.

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Henri MALOSSE


(1)  http://www.landmatrix.org/en

(2)  www.madariaga.org

(3)  http://www.eurovia.org/IMG/pdf/Land_in_Europe.pdf

(4)  http://familyfarmingahap.weebly.com/family-vs-corporate-farming.html

(5)  http://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/note/join/2014/529047/IPOL-AGRI_NT(2014)529047_EN.pdf

(6)  http://www.ohchr.org/en/professionalinterest/pages/cescr.aspx

(7)  http://www.un.org/en/documents/udhr/index.shtml#a25

(8)  http://www.fao.org/docrep/016/i2801e/i2801e.pdf

(9)  http://unctad.org/en/Pages/DIAE/G-20/PRAI.aspx

(10)  http://www.oecd.org/daf/inv/investment-policy/PFIA_April2013.pdf

(11)  http://ageconsearch.umn.edu/bitstream/120249/2/FMWP14CEPSonSalesMarketRegulations_D15.1_Final.pdf

(12)  http://ageconsearch.umn.edu/bitstream/120249/2/FM_WP14CEPSonSalesMarketRegulations_D15.1_Final.pdf

(13)  Siehe Artikel 26.2 der Freiwilligen Leitlinien: http://www.fao.org/docrep/016/i2801e/i2801e.pdf


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