EUR-Lex Access to European Union law

Back to EUR-Lex homepage

This document is an excerpt from the EUR-Lex website

Weißbuch über die Modernisierung der Vorschriften zur Anwendung der Artikel 81 und 82 (vormals 85 und 86) des EG-Vertrags

1) ZIEL

Plädoyer für den Ersatz des derzeitigen Systems der zentralen Anmeldung und Genehmigung gemäß der Verordnung Nr. 17 im Falle von Vereinbarungen und Missbräuchen marktbeherrschender Stellungen durch ein System der gesetzlichen Ausnahme. Dieses System sollte sich u.a. auf die dezentrale Anwendung der Wettbewerbsvorschriften und eine stärkere nachherige Kontrolle stützen, um Folgendes zu erreichen:

  • Vereinfachung der Verwaltungsformalitäten für Unternehmen,
  • Möglichkeit für die Kommission zur wirksameren Bekämpfung schwerer Wettbewerbsverstöße,
  • größere Rolle der einzelstaatlichen Behörden und Gerichte bei der Anwendung des Wettbewerbsrechts, ohne dass der Grundsatz der Rechtseinheitlichkeit gefährdet wird.

2) RECHTSAKT

Weißbuch über die Modernisierung der Vorschriften zur Anwendung der Artikel 81 und 82 des EG-Vertrags (vormals 85 und 86 des EG-Vertrags) [Amtsblatt C 132 v. 12.5.1999].

3) ZUSAMMENFASSUNG

Zusammenhang

Gemäß dem mit der Verordnung Nr. 17 aus dem Jahr 1962 errichteten Kontrollsystem sind wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen, die den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen, zwecks Freistellung bei der Kommission anzumelden. Die Kommission verfügt über die ausschließliche Zuständigkeit für die Genehmigung von wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen, die die Voraussetzungen von Artikel 81 Absatz 3 (vormals Art. 85 Abs. 3) EGV erfüllen.

Dieses zentral gesteuerte Genehmigungssystem war notwendig und für die Herausbildung einer europäischen "Wettbewerbskultur" sehr wirkungsvoll, solange noch Ungewissheit herrschte in Bezug auf die Auslegung der Artikel 81 (wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen) und 82 (Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung) und die Kommission um die Integration der noch sehr heterogenen nationalen Märkte bemüht war. Auf nationaler Ebene entstand dank dieses Systems ein Regelwerk, das inzwischen von allen Mitgliedstaaten und Wirtschaftszweigen als wesentliche Voraussetzung für ein ordnungsgemäßes Funktionieren des Binnenmarkts akzeptiert wird.

Das Freistellungsmonopol der Kommission hat die Unternehmen veranlasst, eine Vielzahl von Vereinbarungen in Brüssel anzumelden, nicht nur um Rechtssicherheit zu erlangen, sondern auch um Verfahren vor den staatlichen Gerichten und Wettbewerbsbehörden zu blockieren. Dies hat die Bemühungen zur Förderung einer dezentralen Anwendung der EG-Wettbewerbsregeln vereitelt.

Dieses System muss ferner unbedingt den seit 1962 eingetretenen wirtschaftlichen und sozialen Veränderungen angepasst werden, sodass den Unternehmen unnötige bürokratische Zwänge erspart bleiben, die Kommission in die Lage versetzt wird, verstärkt gegen schwere Wettbewerbsverstöße vorzugehen, und die Anwendung der gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln durch die einzelstaatlichen Behörden und Gerichte gestärkt und gefördert wird. Im Weißbuch wird hierzu die Einführung eines Systems der gesetzlichen Ausnahme vorgeschlagen, die mit einer Modernisierung der Wettbewerbsregeln einhergehen soll.

System der gesetzlichen Ausnahme

Im Weißbuch plädiert die Kommission dafür, das System der zentralen Genehmigung durch ein System der gesetzlichen Ausnahme zu ersetzen. Dies hätte zur Folge, dass alle Behörden und Gerichte, die das Verbot wettbewerbswidriger Vereinbarungen (Artikel 81 Absatz 1) anwenden, gleichzeitig auch die Freistellungsbestimmungen (Artikel 81 Absatz 3) anwenden können. Der Artikel 81 des EG-Vertrags erlangte damit den Charakter einer in ihrer Gesamtheit unmittelbar anwendbaren Vorschrift, auf die sich der Einzelne vor Gericht oder jeder zu diesem Zweck ermächtigten Behörde berufen könnte.

Vereinbarungen, welche zugleich die Voraussetzungen für die Anwendung von Artikel 81 Absatz 1 und Artikel 85 Absatz 3 erfüllen, wären demnach grundsätzlich zulässig. Andererseits wären alle wettbewerbsbeschränkenden Vereinbarungen, welche die Voraussetzungen des Artikels 81 Absatz 3 EGV nicht oder nicht mehr erfüllen, unzulässig. Eine Anmeldung, die darauf abzielt, Vereinbarungen für gültig erklären zu lassen, würde sich in diesem Falle erübrigen.

Die gegenwärtigen Reformen im Bereich der vertikalen Beschränkungen und der Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit werden die Anwendung des Artikels 81 Absätze 1 und 3 zusätzlich vereinfachen.

Der neue Verordnungstyp sieht vielmehr eine allgemeine Freistellung sämtlicher Vereinbarungen einer bestimmten Kategorie und sämtlicher darin enthaltener Klauseln vor, vorbehaltlich: a) einer Liste grundsätzlich verbotener Beschränkungen ("schwarze Liste") und bestimmter Anwendungsmodalitäten sowie b) der Begrenzung der Allgemeingültigkeit der Freistellung durch ein Marktanteilskriterium. Durch diese Freistellungstechnik würde eine größere Rechtssicherheit für eine größere Gruppe von Vereinbarungen entstehen. Außerdem würden die Unternehmen wieder über eine größere Vertragsfreiheit verfügen. Gleichzeitig aber würde der Wettbewerb wirksam geschützt.

Mit der Einführung des Systems der gesetzlichen Ausnahme ginge die Modernisierung der Wettbewerbsregeln auf drei Ebenen einher:

  • Abschaffung des Genehmigungs- und Anmeldesystems

Die Anmeldepflicht der Unternehmen, die für ihre Vereinbarungen Art. 81 Abs. 3 geltend machen wollen, ist mit mehreren Nachteilen verbunden: Sie behindert sie in erheblichem Maße in ihrer Geschäftspolitik, verursacht hohe Kosten und erschwert zunehmend die Aufdeckung der schwersten Wettbewerbsverstöße auf Gemeinschaftsebene.

Mit der gesetzlichen Freistellung aus dem Weißbuch würde dieses Verfahren erheblich vereinfacht.

  • Dezentrale Anwendung der Wettbewerbsregeln

Die Reform macht eine Neuaufteilung der Zuständigkeit erforderlich, damit:

a) die Kommission weiterhin in Einzelentscheidungen Vereinbarungen verbieten kann, die den zwischenstaatlichen Handel und den Wettbewerb in schwer wiegender Weise beeinträchtigen;

b) die einzelstaatlichen Behörden und Gerichte auf nationaler Ebene unmittelbar intervenieren und die Einhaltung der Wettbewerbsvorschriften gewährleisten können, wobei die Einheitlichkeit der Rechtsanwendung durch einen europäischen Rahmen sichergestellt wird.

Konkret würden die Wettbewerbsbehörden der Mitgliedstaaten angehalten, in enger Zusammenarbeit mit der Kommission und den Wettbewerbsbehörden der übrigen Mitgliedstaaten dafür zu sorgen, dass die Wettbewerbsordnung nicht verfälscht und die Einheitlichkeit der Rechtsanwendung durch Bildung eines wirklichen Netzes gefördert wird. Mit diesem Netz verbunden wären logischerweise der Verzicht der Kommission auf ihr Freistellungsmonopol, das Recht der staatlichen Behörden, die Anwendbarkeit einer Gruppenfreistellungsverordnung zu widerrufen und die Möglichkeit für die mit dem Fall befasste Behörde, einer anderen Behörde die Akte mit allen vertraulichen Angaben zu übermitteln.

Die einzelstaatlichen Gerichte würden Artikel 81 EGV in drei Verfahrensformen anwenden: bei Rechtsstreitigkeiten zwischen den an einer Vereinbarung beteiligten Unternehmen, bei Rechtsstreitigkeiten zwischen einer oder mehreren an einer Vereinbarung beteiligten Unternehmen und Dritten und bei Anträgen auf einstweilige Verfügungen. Außerdem müsste die Kommission die Befugnis erhalten, mit Zustimmung des befassten Gerichts in einzelstaatlichen Gerichtsverfahren zu intervenieren.

Ganz wesentlich ist, dass die Dezentralisierung keine Unstimmigkeiten bei der Anwendung des gemeinschaftlichen Wettbewerbsrechts oder mangelnde Rechtssicherheit für die Unternehmen zur Folge hat. Daher erinnert die Kommission an den grundsätzlichen Vorrang des Gemeinschaftsrechts sowie an die bestehenden Informations- und Kooperationsverfahren (Artikel 169 und 177 EGV) und ist bereit, weitere Bekanntmachungen und Leitlinien zu veröffentlichen, um die Anwendung der gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln zu erläutern. Ferner ist im Weißbuch eine Verpflichtung der nationalen Behörden vorgesehen, die Kommission rechtzeitig von Fällen mit Gemeinschaftsrechtsbezug zu unterrichten, die auch auf die nationalen Gerichte ausgeweitet werden könnte.

Verstärkung der nachherigen Kontrolle

Damit die Kommission Wettbewerbsbeschränkungen wirksam bekämpfen kann, müssten auch ihre Untersuchungsbefugnisse verstärkt und ihr die Einholung einer richterlichen Verfügung bei einem etwaigen Widerstand des betroffenen Unternehmens erleichtert werden. Hierzu wird im Weißbuch vorgeschlagen, die richterliche Kontrolle zu zentralisieren und sie einem Gericht der Gemeinschaft anzuvertrauen und die beauftragten Bediensteten zu ermächtigen, im Laufe einer Nachprüfung mündliche Fragen jedweder Art stellen und Protokolle zu führen.

Insoweit die Kommission ihre Tätigkeit auf die Bekämpfung der besonders schweren Wettbewerbsbeschränkungen konzentrieren will, werden Beschwerden und Sanktionen eine noch größere Rolle als bisher spielen. Deswegen soll mit einer Reihe von Maßnahmen die Einreichung von Beschwerden erleichtert werden. Geplant ist eine Frist von vier Monaten, nach deren Ablauf die Kommission verpflichtet wäre, dem Beschwerdeführer mitzuteilen, wie sie in seinem Fall zu verfahren gedenkt. Außerdem sollen die Beträge der Geldbußen und Zwangsgelder aktualisiert werden.

Schlussfolgerungen

Die Kommission ist davon überzeugt, dass nur durch eine tief greifende Reform des gegenwärtigen Systems eine wirksame Anwendung der Wettbewerbsregeln gewährleistet werden kann. Deswegen plant sie erhebliche Veränderungen nicht nur bei der Verordnung Nr. 17, wie oben erläutert, sondern auch bei den Verkehrsverordnungen und den Vorschriften über vertikale und horizontale Wettbewerbsbeschränkungen.

4) durchführungsmassnahmen

5) weitere arbeiten

Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 des Vertrags niedergelegten Wettbewerbsregeln [Amtsblatt L1 vom 4.1.2003]

Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 EG-Vertrag niedergelegten Wettbewerbsregeln und zur Änderung der Verordnungen (EWG) Nr. 1017/68, (EWG) Nr. 2988/74, (EWG) Nr. 4056/86 und (EWG) Nr. 3975/87 (Durchführungsverordnung zu den Artikeln 81 und 82 EG-Vertrag) (KOM(2000) 582 - C5-0527/2000 - 2000/0243(CNS)) [Amtsblatt C 72E vom 21.3.2002]

Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zum "Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 EG-Vertrag niedergelegten Wettbewerbsregeln und zur Änderung der Verordnungen (EWG) Nr. 1017/68, (EWG) Nr. 2988/74, (EWG) Nr. 4056/86 und (EWG) Nr. 3975/87 ("Durchführungsverordnung zu den Artikeln 81 und 82 EG-Vertrag")" [Amtsblatt C155 vom 29.5.2001]

Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Durchführung der in den Artikeln 81 und 82 EG-Vertrag niedergelegten Wettbewerbsregeln und zur Änderung der Verordnungen (EWG) Nr. 1017/68, (EWG) Nr. 2988/74, (EWG) Nr. 4056/86 und (EWG) Nr. 3975/87 ("Durchführungsverordnung zu den Artikeln 81 und 82 EG-Vertrag") [Amtsblatt C 365 E vom 19.12.2000].

Dieser Vorschlag zur Ersetzung der Verordnung Nr. 17 stützt sich größtenteils auf das Weißbuch und berücksichtigt die wichtigsten Anliegen, die von den Betroffenen (Industrieverbände, Rechtsberufe usw.) im Konsultationsverfahren zum Ausdruck gebracht wurden.

Entschließung der Europäischen Parlaments vom 18. Januar 2000 zum Weißbuch der Kommission über die Modernisierung der Vorschriften zur Anwendung der Artikel 81 und 82 EG-Vertrag [Amtsblatt C 304 vom 24.10.2000].

Im Hinblick auf die Annahme des Weißbuchs am 28. April 1999 betont das Europäische Parlament, dass bei einem System paralleler Zuständigkeiten auf eine einheitliche Anwendung der Wettbewerbsregeln zu achten ist und ein angemessenes Niveau an Rechtssicherheit gewährleistet werden muss.

Letzte Änderung: 14.01.2003

Top