EUROPÄISCHE KOMMISSION
Brüssel, den 29.5.2019
COM(2019) 261 final
MITTEILUNG DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DEN RAT
Stellungnahme der Kommission zum Antrag Bosnien und Herzegowinas auf Beitritt zur Europäischen Union
{SWD(2019) 222 final}
comprehen
MITTEILUNG DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT
UND DEN RAT
Stellungnahme der Kommission zum Antrag Bosnien und Herzegowinas auf Beitritt zur Europäischen Union
A.Einleitung
a) Beitrittsantrag
Bosnien und Herzegowina hat seinen Antrag auf Beitritt zur Europäischen Union am 15. Februar 2016 gestellt. Daraufhin forderte der Rat der Europäischen Union am 20. September 2016 die Kommission gemäß dem Verfahren des Artikels 49 des Vertrags über die Europäische Union auf, zu diesem Beitrittsantrag Stellung zu nehmen. In diesem Artikel heißt es: „Jeder europäische Staat, der die in Artikel 2 genannten Werte achtet und sich für ihre Förderung einsetzt, kann beantragen, Mitglied der Union zu werden. Das Europäische Parlament und die nationalen Parlamente werden über diesen Antrag unterrichtet. Der antragstellende Staat richtet seinen Antrag an den Rat; dieser beschließt einstimmig nach Anhörung der Kommission und nach Zustimmung des Europäischen Parlaments, das mit der Mehrheit seiner Mitglieder beschließt. Die vom Europäischen Rat vereinbarten Kriterien werden berücksichtigt.“
Artikel 2 des Vertrags über die Europäische Union lautet: „Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte, einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören. Die Werte sind allen Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft gemein, die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Frauen und Männern auszeichnet.“
Diese Artikel bilden die rechtliche Grundlage der vorliegenden Stellungnahme der Kommission.
Auf seiner Tagung in Feira im Juni 2000 erkannte der Europäische Rat die am Stabilisierungs- und Assoziierungsprozess beteiligten Länder des westlichen Balkans als „potenzielle Kandidaten“ für die EU-Mitgliedschaft an. Die europäische Perspektive dieser Länder wurde auf der Tagung des Europäischen Rates in Thessaloniki im Juni 2003 bestätigt. Auf dieser Tagung wurde die „Agenda von Thessaloniki für die westlichen Balkanstaaten“ gebilligt, die nach wie vor das Kernstück der EU-Politik gegenüber dieser Region bildet.
Der Europäische Rat bekräftigte im Dezember 2006 erneut, dass „die Zukunft der westlichen Balkanstaaten in der Europäischen Union liegt“ und erinnerte daran, „dass das Vorankommen der einzelnen Länder auf dem Weg in die Europäische Union von ihren jeweiligen Bemühungen abhängt, die Kopenhagener Kriterien und die Bedingungen des Stabilisierungs- und Assoziierungsprozesses zu erfüllen. Bei der Prüfung des Beitrittsantrags eines Landes ist eine zufrieden stellende Bilanz bei der Einhaltung seiner Verpflichtungen aus dem Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen, einschließlich der handelsbezogenen Bestimmungen, ein wesentliches Element für die EU.“
In der Strategie für den westlichen Balkan vom Februar 2018 stellte die Kommission Folgendes fest: „Mit kontinuierlichen Anstrengungen und nachdrücklichem Engagement könnte sich Bosnien und Herzegowina als Beitrittskandidat qualifizieren“. Auf dem Gipfeltreffen EU-Westbalkan, das im Mai 2018 in Sofia stattfand, bekräftigten die Staats- und Regierungschefs der EU ihre uneingeschränkte Unterstützung für die europäische Perspektive des Westbalkans, und die Westbalkan-Partner bestätigten ihrerseits, dass sie der europäischen Perspektive als ihrer festen strategischen Entscheidung verpflichtet bleiben. Die Staats- und Regierungschefs der EU einigten sich auf die Erklärung von Sofia und die Prioritätenagenda von Sofia, in denen neue Maßnahmen für eine verstärkte Zusammenarbeit mit der Region in Schlüsselbereichen wie Sicherheit, Rechtsstaatlichkeit und Migration dargelegt wurden.
In dieser Stellungnahme prüft die Kommission den Beitrittsantrag Bosnien und Herzegowinas auf der Grundlage der Fähigkeit des Landes, die vom Europäischen Rat von Kopenhagen im Jahr 1993 und in Madrid im Jahr 1995 aufgestellten Kriterien, namentlich hinsichtlich der Verwaltungskapazität des Landes, und die Bedingungen des Stabilisierungs- und Assoziierungsprozesses zu erfüllen. Die Stellungnahme berücksichtigt außerdem die Bilanz Bosnien und Herzegowinas hinsichtlich der Einhaltung seiner Verpflichtungen aus dem Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen (Stabilisation and Association Agreement, SAA), das am 1. Juni 2015 in Kraft getreten ist.
Der Europäische Rat kam im Juni 1993 auf seiner Tagung in Kopenhagen zu dem Schluss, dass
„der Beitritt erfolgen kann, sobald ein Land in der Lage ist, den mit einer Mitgliedschaft verbundenen Verpflichtungen nachzukommen und die erforderlichen wirtschaftlichen und politischen Bedingungen zu erfüllen.“
Als Voraussetzung für die Mitgliedschaft muss der Beitrittskandidat
— eine institutionelle Stabilität als Garantie für demokratische und rechtsstaatliche Ordnung, für die Wahrung der Menschenrechte sowie die Achtung und den Schutz von Minderheiten verwirklicht haben,
— über eine funktionsfähige Marktwirtschaft sowie die Fähigkeit, dem Wettbewerbsdruck und den Marktkräften innerhalb der Union standhalten zu können und
— in der Lage sein, die aus einer Mitgliedschaft erwachsenden Verpflichtungen zu übernehmen und sich auch die Ziele der politischen Union sowie der Wirtschafts- und Währungsunion zu eigen zu machen.“
Im Dezember 1995 hob der Europäische Rat auf seiner Tagung in Madrid die Notwendigkeit hervor, „die Voraussetzungen für eine schrittweise und harmonische Integration dieser [Bewerber-]Länder zu schaffen, und zwar insbesondere durch die Entwicklung der Marktwirtschaft, die Anpassung der Verwaltungsstrukturen dieser Länder und die Schaffung stabiler wirtschaftlicher und monetärer Rahmenbedingungen“.
Im Dezember 2006 kam der Europäische Rat überein, „dass die auf Konsolidierung, Konditionalität und Kommunikation gestützte Erweiterungsstrategie, verbunden mit der Fähigkeit der EU zur Integration neuer Mitglieder, die Grundlage für einen erneuerten Konsens über die Erweiterung bildet“.
Die Bedingungen des Stabilisierungs- und Assoziierungsprozesses (Stabilisation and Association Process, SAP) für den westlichen Balkan wurden am 31. Mai 1999 vom Rat festgelegt. Dazu zählen die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien und die Teilnahme an der regionalen Zusammenarbeit. Diese Bedingungen wurden als grundlegendes Element in das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen aufgenommen.
Die vorliegende Stellungnahme wurde nach einer Methodik erarbeitet, die der vorangegangener Stellungnahmen der Kommission vergleichbar ist. Über einen Fragebogen und daran anknüpfende Fragen wurden insgesamt 3897 Fragen zu allen Politikbereichen der EU an Bosnien und Herzegowina gerichtet. Es dauerte 14 Monate, bis das Land die ersten 3242 Fragen beantwortet hatte; die Beantwortung der 655 anknüpfenden Fragen nahm weitere 8 Monate in Anspruch. Trotz des geschaffenen Koordinierungsmechanismus für EU-Angelegenheiten konnten sich die Behörden bei 22 Fragen (eine zu den politischen Kriterien, vier zur Regionalpolitik und 17 zur Bildungspolitik) nicht auf eine Antwort einigen.
Die Kommission organisierte zahlreiche Expertenmissionen nach Bosnien und Herzegowina, die sich vor allem mit den Bereichen befassten, für die die politischen Kriterien gelten. Darüber hinaus berücksichtigte die Kommission die Beiträge aus Konsultationen mit Interessenträgern wie Organisationen der Zivilgesellschaft, internationalen Organisationen und EU-Mitgliedstaaten. Diese Missionen ermöglichten es der Kommission, die Verwaltungskapazitäten der bosnisch-herzegowinischen Institutionen und die Art und Weise, wie Gesetze und andere Rechtsvorschriften umgesetzt werden, zu bewerten. Sie dienten auch dazu, die noch zu bewältigenden Herausforderungen und künftigen Handlungsschwerpunkte zu ermitteln. In dieser Stellungnahme und dem dazugehörigen Analysebericht hat die Kommission die derzeitige Lage analysiert und Empfehlungen dazu ausgesprochen, wie Probleme kurz- und längerfristig gelöst werden können.
Die eingehende Analyse, auf die sich diese Stellungnahme stützt, ist im Analysebericht - Begleitdokument zur Stellungnahme zum Antrag Bosniens und Herzegowinas auf Beitritt zur Europäischen Union enthalten. Der Analysebericht enthält eine erste Abschätzung der Auswirkungen des Beitritts Bosnien und Herzegowinas in einigen zentralen Politikbereichen. Die Kommission wird in späteren Phasen des Heranführungsprozesses detailliertere Folgenabschätzungen für die betreffenden Politikbereiche vorlegen. Darüber hinaus würde der Abschluss eines Beitrittsvertrags mit Bosnien und Herzegowina eine technische Anpassung der EU-Organe im Einklang mit dem Vertrag über die Europäische Union nach sich ziehen.
b) Beziehungen zwischen der EU und Bosnien und Herzegowina
Seit der Unterzeichnung des Allgemeinen Rahmenabkommens für den Frieden in Dayton/Paris im Jahr 1995 haben sich die Beziehungen zwischen der EU und Bosnien und Herzegowina engagierter und dynamischer entwickelt.
Bosnien und Herzegowina nimmt am Stabilisierungs- und Assoziierungsprozess teil und seine Bürgerinnen und Bürger genießen seit dem Jahr 2010 Visumfreiheit in den Schengen-Ländern. Das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen ist seit 2015 in Kraft. 2016 beantragte das Land den Beitritt zur EU.
Am 16. Juni 2008 wurde in Luxemburg das Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen zwischen Bosnien und Herzegowina und der EU zusammen mit einem Interimsabkommen unterzeichnet, das seit dem 1. Juli 2008 Handel und Handelsfragen regelt.
Im Dezember 2014 einigte sich der Rat auf ein neues Konzept für Bosnien und Herzegowina und forderte die Hohe Vertreterin der Union für Außen- und Sicherheitspolitik und Vizepräsidentin sowie den Kommissar für die Europäische Nachbarschaftspolitik und Erweiterungsverhandlungen auf, mit den politischen Entscheidungsträgern zusammenzuarbeiten, um deren unwiderrufliche Verpflichtung zu Reformen auf dem Weg zum EU-Beitritt zu erlangen. Auf die schriftliche Verpflichtung des Staatspräsidiums von Bosnien und Herzegowina, die Unterzeichnung des Abkommens durch die Vorsitzenden der 14 parlamentarischen Parteien und dessen Billigung durch die Parlamentarische Versammlung hin stimmte der Rat dem Inkrafttreten des SAA zu, das seit dem 1. Juni 2015 anwendbar ist. Mit Inkrafttreten des SAA begann für Bosnien und Herzegowina ein neues Kapital seiner Beziehungen zur EU und das Land bestätigte sein Engagement, den EU-Beitritt weiterzuverfolgen. Das SAA schafft bei einer breiten Palette politischer, handelspolitischer und wirtschaftlicher Fragen einen Rahmen für gegenseitige Verpflichtungen und die Rechtsgrundlage für einen förmlichen Politikdialog.
Die EU bietet dem Land Leitlinien für Reformprioritäten auf dem Weg zur Mitgliedschaft in der EU. Die Europäische Kommission führt mit Bosnien und Herzegowina seit 2009 im Rahmen des Interimsabkommens und seit 2015 im Rahmen des SAA einen Politikdialog. Der Politikdialog über Rechtsstaatlichkeit wird seit 2011 im Rahmen des strukturierten Dialogs zum Thema Justiz und seit 2016 im Rahmen des SAA-Unterausschusses für Justiz, Freiheit und Sicherheit geführt. Außerdem kommt seit 2017 eine Sondergruppe für die Reform der öffentlichen Verwaltung zusammen.
Bosnien und Herzegowina hat die geeigneten Verwaltungskapazitäten aufgebaut, um die Umsetzung der SAA-Bestimmungen gewährleisten zu können, insbesondere hinsichtlich des reibungslosen Funktionierens des Stabilitäts- und Assoziationsrates, des Stabilitäts- und Assoziationsausschusses und der sektoralen Unterausschüsse. Das Protokoll zur Anpassung des SAA an den Beitritt Kroatiens zur EU ist am 1. Oktober 2017 in Kraft getreten, nachdem es seit dem 1. Februar 2017 vorläufig angewandt wurde.
Um seinen rechtlichen Verpflichtungen aus dem Abkommen nachzukommen, muss Bosnien und Herzegowina allerdings sicherstellen, dass der Parlamentarische Stabilitäts- und Assoziationsausschuss funktioniert, und ein nationales Programm für die Übernahme des Besitzstands der EU aufstellen.
Die parlamentarische Dimension des SAA funktioniert nicht reibungslos. Der Parlamentarische Stabilitäts- und Assoziierungsausschuss wurde im November 2015 als Teil der SAA-Gremien eingesetzt, konnte jedoch keine Geschäftsordnung verabschieden, weil einige Delegierte aus Bosnien und Herzegowina auf die Aufnahme ethnisch begründeter Abstimmungsregeln bestanden, die nicht mit europäischen Standards vereinbar sind. Dennoch erörtert und erlässt das Europäische Parlament regelmäßig Entschließungen zur Lage und zu den Entwicklungen von Bosnien und Herzegowina auf seinem Weg zur EU.
Bosnien und Herzegowina nimmt am wirtschaftlichen Dialog mit der Kommission und den EU-Mitgliedstaaten teil. Das Land legt der Kommission jedes Jahr ein mittelfristiges Wirtschaftsreformprogramm (WRP) vor, das Pläne zur Stärkung der finanzpolitischen Stabilität und zur Beseitigung struktureller Wachstumshindernisse enthält. Auf der Grundlage des WRP kommt Bosnien und Herzegowina jährlich mit der Kommission, den EU-Mitgliedstaaten und den übrigen Erweiterungsländern zum wirtschafts- und finanzpolitischen Dialog zusammen. Dieser Dialog über die wirtschaftspolitische Steuerung soll das Land auf seine künftige Teilnahme an der wirtschaftspolitischen Koordinierung der EU, einschließlich des Europäischen Semesters, vorbereiten.
Im Zeitraum 2015 bis 2018 hat Bosnien und Herzegowina eine ambitionierte Reformagenda auf den Weg gebracht, die das Wirtschaftswachstum ankurbeln und Arbeitsplätze schaffen soll. Auch wenn noch immer erhebliche Herausforderungen bewältigt werden müssen, haben die Reformen zur Verbesserung der Wirtschaftsindikatoren und der makroökonomische Lage, z. B. zu einem ausgewogenen öffentlichen Haushalt und stetigem Wirtschaftswachstum, beigetragen. Auf allen Regierungs- und Verwaltungsebenen des Landes müssen neue sozioökonomische Reformmaßnahmen vereinbart und umgesetzt werden, die vollständig mit dem WRP und den gemeinsam vereinbarten politischen Leitlinien im Einklang stehen.
Nach einem Beschluss des Rates können die Bürgerinnen und Bürger von Bosnien und Herzegowina seit November 2010 innerhalb des Schengen-Raums visumfrei reisen. Bei seinem Beschluss stützte sich der Rat auf die erheblichen Fortschritte in den Bereichen Justiz, Sicherheit und Freiheit und bei der Erfüllung der 174 Sonderauflagen, die im Fahrplan für die Visaliberalisierung festgelegt waren, wie die Einführung biometrischer Reisepässe. Die Kommission überwacht die Umsetzung und erstattet regelmäßig Bericht darüber. Die Kommission verabschiedete im Dezember 2018 ihren zweiten Bericht im Rahmen des Visa-Aussetzungsmechanismus. Insgesamt erfüllt Bosnien und Herzegowina weiterhin alle Vorgaben für die Visaliberalisierung.
Bosnien und Herzegowina hat im September 2006 den Vertrag zur Gründung der Energiegemeinschaft, im Juli 2007 das Übereinkommen über die Schaffung eines gemeinsamen europäischen Luftverkehrsraums und im April 2018 den Vertrag über die Verkehrsgemeinschaft ratifiziert.
Das SAA und das seit 2008 angewandte Interimsabkommen haben die schrittweise Liberalisierung des Handels und den gegenseitigen zollfreien Zugang für die meisten Waren ermöglicht. Seit dem Jahr 2000 kommt Bosnien und Herzegowina außerdem in den Genuss autonomer Handelsmaßnahmen. Bosnien und Herzegowina ist seit 2007 Vertragspartei des Mitteleuropäischen Freihandelsabkommens (Central European Free Trade Agreement, CEFTA). Die Verhandlungen über seinen Beitritt zur Welthandelsorganisation befinden sich in der Endphase. Die EU ist der wichtigste Handelspartner Bosnien und Herzegowinas, gefolgt von CEFTA-Ländern. Das Land weist eine enge Handelsverflechtung mit der EU auf. Im Jahr 2017 stammten 61 % der Einfuhren des Landes (Wert: 5,6 Mrd. EUR) aus der EU (12 % aus CEFTA-Ländern). 71 % der Ausfuhren des Landes gingen in die EU (15 % in CEFTA-Länder). Das Handelsdefizit des Landes gegenüber der EU belief sich im Jahr 2017 auf 1,7 Mrd. EUR.
Die EU setzt in Bosnien und Herzegowina im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik und der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik erhebliche Mittel ein. Im Zeitraum 2002 bis 2011 ernannte der Rat den internationalen Hohen Repräsentanten zum EU-Sonderbeauftragten in Bosnien und Herzegowina. Seit 2011 trägt die verstärkte Präsenz, die das gemeinsame Büro des EU-Sonderbeauftragten und der EU-Delegation in Bosnien und Herzegowina gewährleisten, wesentlich dazu bei, den Bürgerinnen und Bürgern des Landes die Prioritäten der EU zu vermitteln und die Ziele der EU-Agenda in Schlüsselbereichen umzusetzen. Im Dezember 2004 hat die EU die Militärverbände der Europäischen Union in Bosnien und Herzegowina (EUFOR) für die Militärmission Althea in das Land entsandt, der ein Exekutivmandat erteilt wurde, um im Land für ein sicheres und stabiles Umfeld zu sorgen. Eine Rahmenvereinbarung über die Beteiligung von Bosnien und Herzegowina an Krisenbewältigungsoperationen der EU besteht seit September 2015.
Die EU leistet Bosnien und Herzegowina erhebliche finanzielle Unterstützung, die es dem Land im Laufe der Jahre ermöglich hat, sich von den Kriegszerstörungen zu erholen und sich wieder zu einer aufholenden Volkswirtschaft zu entwickeln. Im Zeitraum 1996 bis 2000 wurden Bosnien und Herzegowina im Rahmen der Programme Phare und OBNOVA EU-Finanzmittel gewährt. Von 2000 bis 2007 sah die CARDS-Verordnung auf die Prioritäten des Stabilisierungs- und Assoziierungsprozesses zugeschnittene finanzielle Unterstützung vor. Seit dem Jahr 2007 wird Bosnien und Herzegowina hauptsächlich im Rahmen des Heranführungsinstruments (Instrument for pre-accession assistance, IPA) von der EU unterstützt. Im Zeitraum 2007 bis 2018 erhielt Bosnien und Herzegowina 1,5 Mrd. EUR von der EU, davon geschätzte 433 Mio. EUR aus Regionalprogrammen. Seit 2000 hat die Europäische Investitionsbank Darlehen in Höhe von 2,4 Mrd. EUR für Projekte in Bosnien und Herzegowina vergeben. Die EU-Delegation für Bosnien und Herzegowina ist dafür zuständig, die finanzielle Unterstützung der EU in direkter Mittelverwaltung abzuwickeln und die Koordinierung der Unterstützung mit den EU-Mitgliedstaaten zu gewährleisten. Die Umsetzung der Programme IPA I und IPA II läuft. Das indikative Strategiepapier für Bosnien und Herzegowina für den Zeitraum 2014 bis 2017 wurde 2018 überarbeitet, um weitere Sektoren einzubeziehen und es bis 2020 zu verlängern. Für die Bereiche Umwelt, Energie, Verkehr und ländliche Entwicklung wurden spezielle Strategien aufgestellt, die eine IPA-Unterstützung dieser Bereiche möglich machen. Die Verabschiedung landesweiter Strategien, wie beispielsweise zur öffentlichen Finanzverwaltung und zum Thema Beschäftigung, stellt für Bosnien und Herzegowina weiterhin eine Grundvoraussetzung dar, um die IPA-Mittel im Zeitraum 2018 bis 2020 in vollem Umfang in Anspruch nehmen zu können.
Bosnien und Herzegowina hat seine Teilnahme an EU-Programmen schrittweise ausgeweitet, die zum Teil aus IPA-Mitteln kofinanziert wurde. Derzeit beteiligt sich Bosnien und Herzegowina an den Programmen COSME, Kreatives Europa, Zoll 2020, Europa für Bürgerinnen und Bürger, Erasmus+, Fiscalis 2020 und Horizont 2020 sowie am Dritten Aktionsprogramm der Union im Bereich der Gesundheit. Darüber hinaus nimmt Bosnien und Herzegowina am Programm INTERREG teil.
B.Beitrittskriterien
1. Politische Kriterien
Grundlage dieser Bewertung sind zum einen die Kopenhagener Kriterien hinsichtlich der institutionellen Stabilität als Garantie für demokratische und rechtsstaatliche Ordnung, die Wahrung der Menschenrechte und die Achtung und den Schutz von Minderheiten und zum anderen die Bedingungen des Stabilisierungs- und Assoziierungsprozesses.
Der Krieg, der Bosnien und Herzegowina von 1992 bis 1995 verwüstete, hinterließ eine Spur verheerender Zerstörungen und schweren menschlichen Leids, von denen das Land sich erholen musste. Inzwischen hat das Land seine Institutionen und wirtschaftliche Infrastruktur wiederaufgebaut und sich auf den Weg zum EU-Beitritt gemacht. Bosnien und Herzegowina hat sich dem Ziel des Beitritts zur Europäischen Union verpflichtet, wie das Staatspräsidium in zahlreichen Beschlüssen wiederholt hat, und hat seinen legislativen Bemühungen zunehmend auf Reformen mit Blick auf den EU-Beitritt ausgerichtet.
Laut seiner Verfassung, die einen integralen Bestandteil (Anhang IV) des 1995 geschlossenen Allgemeinen Rahmenabkommens für den Frieden von Dayton/Paris bildet, ist Bosnien und Herzegowina eine parlamentarische Demokratie, in der die Exekutivbefugnisse vom Staatspräsidium und dem Ministerrat und die Legislativbefugnisse von der Parlamentarischen Versammlung wahrgenommen werden. Die Verfassung garantiert die wesentlichen Grundsätze eines demokratischen Staats, einschließlich Rechtsstaatlichkeit, freier Wahlen und des Schutzes der Menschenrechte.
In der Verfassung ist die innere Struktur des Landes als ein Staat festgelegt, der aus zwei Entitäten, der Föderation Bosnien und Herzegowina (die sich ihrerseits aus 10 Kantonen zusammensetzt) und der Republika Srpska, sowie dem Brčko-Distrikt besteht. In der Präambel der Verfassung werden Bosniaken, Kroaten und Serben (zusammen mit anderen) als konstituierende Völker und Bürgerinnen und Bürger von Bosnien und Herzegowina genannt, die über die Verfassung entscheiden. Das Land sieht sich mit einer Reihe struktureller Probleme konfrontiert, die sich aus seiner komplexen institutionellen Struktur in Verbindung mit ethnisch begründeten Verfahren ergeben, die die Funktionsfähigkeit beeinträchtigen.
Die Zuständigkeiten des Gesamtstaats sind in der Verfassung aufgeführt, die den Entitäten alle übrigen Vollmachten zuweist. Die Zuständigkeiten des Gesamtstaats umfassen außerdem Vollmachten, die dem Staat auf der Grundlage von Übertragungsvereinbarungen, implizierten Befugnissen und Anhängen zu Friedensabkommen schrittweise übertragen oder von diesem übernommen wurden. Diese sind in der Verfassung vorgesehen und wurden vom Verfassungsgericht bestätigt. Häufige Streitigkeiten über die Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen dem Staat und den Entitäten beeinträchtigen die wirksame Ausübung der Staatsgewalt und somit die Angleichung der Rechtsvorschriften an den Besitzstand der EU und dessen Umsetzung in zahlreichen Kapiteln. Um solche systematischen Auseinandersetzungen zu vermeiden und die wirksame Umsetzung des Besitzstandes der EU sicherzustellen, muss Bosnien und Herzegowina Rechtssicherheit hinsichtlich der Zuständigkeitsverteilung innerhalb der verschiedenen Regierungs- und Verwaltungsebenen garantieren. Es gibt kein Verfahren, um auf gesamtstaatlicher Ebene zu verhindern, dass andere Regierungs- und Verwaltungsebenen Verstöße gegen das EU-Recht begehen, für die Bosnien und Herzegowina insgesamt verantwortlich wäre, und um Abhilfe dafür zu schaffen.
Die Verfassung enthält Bestimmungen auf Grundlage der ethnischen Zugehörigkeit und des Wohnorts, die nicht mit der Europäischen Menschenrechtskonvention vereinbar sind. Diese betreffen die Verfahren zur Ernennung, Zusammensetzung und Beschlussfassung des Staatsoberhaupts und der Exekutiv- und Legislativorgane, da bestimmte Wahlrechte Bürgerinnen und Bürgern vorbehalten sind, die den „konstituierenden Völkern“ (Bosniaken, Kroaten und Serben) angehören. Einschneidende schrittweise Reformen sind daher erforderlich, um sicherzustellen, dass alle Bürgerinnen und Bürger im Einklang mit der Rechtssache Sejdić-Finci des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) ihre politischen Rechte wirksam ausüben können.
Die Zusammensetzung und Beschlussfassung mehrerer Verwaltungsstellen beruhen auf ethnischen Kriterien, was die Umsetzung des Besitzstands der EU gefährden könnte. Auch ethnisch begründete Vetorechte könnten die Arbeit des Parlaments und der gesetzgebenden Versammlungen der Entitäten beeinträchtigen.
Die Auslegung der Verfassung ist Aufgabe des Verfassungsgerichts, der letzten Instanz bei Zuständigkeitskonflikten zwischen verschiedenen Regierungsebenen. Drei der neun Richter sind internationale Richter. Mehrere seiner Entscheidungen werden nach wie vor nicht durchgesetzt. Die Professionalität und Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts müssen gestärkt werden, indem als Erstes die Eignungskriterien und die Verfahren zur Ernennung von Richtern verbessert werden. Die Frage der internationalen Richter am Verfassungsgericht muss geklärt werden. Das Verfassungsgericht muss in der Lage sein, bei der Klärung von Zuständigkeitskonflikten proaktiv und unabhängig zu entscheiden. Seine Legitimität muss von allen Behörden anerkannt werden, damit die dauerhafte Einhaltung seiner Entscheidungen gewährleistet ist.
Gemäß Anhang X des Friedensabkommens von Dayton ist das Büro des Hohen Repräsentanten (Office of the international High Representative, OHR) die letzte Instanz für die Auslegung der zivilen Aspekte der Umsetzung des Friedensabkommens. Das OHR wurde seither mit weitreichenden Vollmachten zum Erlass von Rechtsvorschriften und zur Entlassung von Amtsträgern – den sogenannten „Bonner Befugnissen“ (Bonn Powers) - ausgestattet, von denen zuletzt im Jahr 2011 Gebrauch gemacht wurde. Eine solch weitgehende internationale Aufsicht ist mit der Souveränität von Bosnien und Herzegowina und somit auch mit der EU-Mitgliedschaft grundsätzlich nicht vereinbar. Seit 2008 läuft ein Verfahren zur Schließung des OHR, dessen Ausgang von einer Reihe von Bedingungen abhängt.
Das Parlament und andere gesetzgebende Versammlungen verabschieden Gesetze und nehmen die demokratische Kontrolle und Aufsicht über die Exekutive wahr. Das Recht, sich für die Kammer der Völker zur Wahl zu stellen, wird auf Grundlage der ethnischen Zugehörigkeit und des Wohnorts beschränkt, was gegen europäische Standards verstößt. Auch die Vetos aufgrund eines „vitalen nationalen Interesses“ und die Abstimmung nach Entitäten stehen dem wirksamen Funktionieren der Parlamente im Wege und drohen die Rechtsetzungsverfahren in die Länge zu ziehen. Das Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und die Europäische Kommission für Demokratie durch Recht (Venedig-Kommission) des Europarats haben Empfehlungen ausgesprochen, wie das Wahlsystems verbessert und sichergestellt werden kann, dass Wahlen im Einklang mit europäischen Standards durchgeführt werden. Dazu gehört auch die Transparenz der Parteienfinanzierung. Was Kommunalwahlen anbelangt, so konnten die Einwohner von Mostar seit 2008 keinen Stadtrat wählen, da der entsprechende Rechtsrahmen fehlt.
In den gesetzgebenden Versammlungen auf Ebene des Staats und der Entitäten besteht die Tendenz, Rechtsvorschriften im Zusammenhang mit dem Besitzstand der EU durch Dringlichkeitsverfahren zu verabschieden, was der Qualität der Rechtsangleichung abträglich ist. Oft wurde keine umfassende Folgenschabschätzung der vorgeschlagenen Gesetze vorgenommen. Die Kontrolle der Exekutiven durch die Gesetzgeber, einschließlich der Überwachung der Umsetzung von Rechtsvorschriften, muss verstärkt werden. Sowohl die Zusammenarbeit zwischen gesetzgebenden Versammlungen als auch deren Kapazitäten zur Bewertung von Gesetzen mit Blick auf den Besitzstand der EU sind unzulänglich und sollten ebenfalls, erforderlichenfalls durch landesweite Ressourcenbündelung, deutlich verbessert werden.
In Bosnien und Herzegowina unterliegt die Exekutivgewalt einem komplexen Regelwerk, das weitgehend funktioniert. Die institutionelle Komplexität des Landes führt zu erheblichen Problemen bei der Koordinierung und Harmonisierung der politischen Zielsetzungen, insbesondere in Bezug auf die Angleichung an den Besitzstand der EU und die Umsetzung von daraus abgeleiteten Rechtsvorschriften. Landesweit gibt es 14 Exekutivorgane mit Kompetenzen für die Umsetzung des EU-Besitzstands. Deswegen sind entweder erhebliche Anstrengungen und der beträchtliche Ausbau der Kapazitäten des Landes auf allen Ebenen oder eine Bündelung der Ressourcen und Kapazitäten erforderlich, damit Bosnien und Herzegowina den mit einer EU-Mitgliedschaft verbundenen Verpflichtungen nachkommen kann. Dies gilt vor allem für die Kantonsebene, wo nur unzureichende Kapazitäten zur Erfüllung der Verpflichtungen aus der EU-Mitgliedschaft vorhanden sind. Die Regierungen haben einige Schritte unternommen, um die Koordinierung in Fragen der EU-Integration sicherzustellen und beispielsweise einen Koordinierungsmechanismus für EU-Angelegenheiten geschaffen, der allerdings noch nicht voll einsatzbereit ist. Die Kapazitäten der Regierungen für die politische Planung und Koordinierung sind auf sämtlichen Regierungs- und Verwaltungsebenen nach wie vor unzureichend.
Für die Angleichung der Rechtsvorschriften an die Grundsätze der Reform der öffentlichen Verwaltung und deren tatsächliche Umsetzung sind erhebliche Anstrengungen erforderlich. Die Behörden auf allen Ebenen müssen die Koordinierungsstruktur für die Reform der öffentlichen Verwaltung politisch unterstützen und angemessene Finanzmittel zur Förderung dieser Reform bereitstellen. Um für einen professionellen öffentlichen Dienst zu sorgen, sollten die Rechtsvorschriften darauf ausgerichtet sein, dass Einstellung, Beförderung und Entlassung auf Leistungskriterien beruhen. Ihre praktische Umsetzung sollte nicht durch politische Zwänge beeinflusst werden. Der Rechtsrahmen und die Methodik für die Gestaltung zentraler und sektoraler politischer Maßnahmen, für die Überwachung und für die Haushaltsplanung auf allen Ebenen sind nicht harmonisiert; dies ist aber erforderlich, um einen wirksamen landesweiten Ansatz bei der Politikgestaltung zu gewährleisten. Die Rechtsvorschriften und Verfahren sind nicht harmonisiert und die Systeme für elektronische Unterschriften sind landesweit noch nicht interoperabel; für eine wirksame Erbringung von Dienstleistungen ist dies unerlässlich.
Im Justizwesen wurden im Laufe der Zeit wichtige Reformen realisiert, namentlich mit der Einrichtung des Gerichtshofs von Bosnien und Herzegowina und einer zentralen Selbstregulierungsinstanz der Justiz, dem Hohen Rat für Justiz und Staatsanwaltschaft. Die Justiz ist in vier rechtliche Systeme gegliedert, von denen jedes seine eigene Gerichtsbarkeit und seine eigenen internen institutionellen Strukturen besitzt. Der Verfassungs- und Rechtsrahmen ist unvollständig und garantiert nicht hinreichend die Unabhängigkeit, Autonomie, Rechenschaftspflicht und Effizienz der Justiz. Um die Garantien für die Unabhängigkeit der Justiz und die Autonomie der Staatsanwaltschaft unter anderem gegenüber allen Formen von Politisierung und Druck zu stärken, sollten der Hohe Rat für Justiz und Staatsanwaltschaft und das Gerichtssystem auf staatlicher Ebene ausdrücklich Verfassungsstatus erhalten.
Das Gesetz über den Hohen Rat für Justiz und Staatsanwaltschaft sollte geändert werden, um die Ernennungs-, Bewertungs- und Disziplinarverfahren für Mitglieder des Justizwesens besser zu regeln und geeignete Rechtsmittel gegen endgültige Entscheidungen des Hohen Rats zur Verfügung zu stellen. Zur Vermeidung von Zuständigkeitskonflikten und zur Sicherstellung der erforderlichen Rechtssicherheit bei Strafsachen sollte ein Gesetz über die Gerichtshöfe von Bosnien und Herzegowina verabschiedet werden.
Bosnien und Herzegowina verfügt nicht über einen Obersten Gerichtshof auf Staatsebene. Die Kohärenz der Rechtsprechung in allen Rechtsordnungen des Landes wird durch freiwillige Harmonisierungsgremien gefördert, die zwischen den höchsten gerichtlichen Instanzen tätig sind. Letztendlich muss Bosnien und Herzegowina ein Justizorgan schaffen, das die einheitliche Rechtsauslegung und die Harmonisierung der Rechtsprechung sicherstellt und gleichzeitig den Grundsatz der Unabhängigkeit aller Richter uneingeschränkt gewährleistet.
Der Kampf gegen Korruption und das organisierte Verbrechen wird durch den Mangel landesweit harmonisierter Rechtsvorschriften und die geringe institutionelle Zusammenarbeit und Koordination behindert. Korruption ist weit verbreitet, und auf allen Regierungs- und Verwaltungsebenen gibt es Hinweise auf eine politische Vereinnahmung, die sich unmittelbar auf den Alltag der Menschen auswirkt, insbesondere in den Bereichen Gesundheit, Bildung, Beschäftigung und öffentliche Beschaffung. Der politische, institutionelle und rechtliche Rahmen zur Korruptionsvermeidung ist fragmentiert und weist erhebliche Lücken auf. Die Strafverfolgungsbehörden sind fragmentiert und anfällig für ungebührliche politische Einflussnahme. Die Staatsanwälte sind nicht proaktiv genug. Finanzermittlungen und die Beschlagnahme von Vermögenswerten sind weitgehend unwirksam. Der Kampf gegen die Geldwäsche muss vorangetrieben werden. Rechtsgültige Verurteilungen in Korruptionsfällen auf hoher Ebene sind sehr selten und die Strafen nicht abschreckend genug. Die Strategien und Maßnahmen zur Verhinderung von gewaltbereitem Extremismus und zur Terrorismusbekämpfung müssen gestärkt werden. Migrationsbezogene Maßnahmen werden in den zuständigen Einrichtungen über alle Regierungs- und Verwaltungsebenen hinweg schlecht koordiniert. Menschen, die internationalen Schutz suchen, haben in der Praxis keinen Zugang zu Asylverfahren.
Bosnien und Herzegowina muss insbesondere Rechtsvorschriften über Interessenkonflikte und den Schutz von Hinweisgebern erlassen und umsetzen, die wirksame Arbeitsweise und Koordinierung der Korruptionsbekämpfungsstellen sicherstellen, die Rechtsvorschriften angleichen und die Kapazitäten im Bereich der öffentlichen Auftragsvergabe stärken, eine wirksame Zusammenarbeit zwischen Strafverfolgungsbehörden und Staatsanwaltschaften sicherstellen, Fortschritte bei der Erzielung einer Erfolgsbilanz proaktiver Ermittlungen, bestätigter Anklagen, Anklageerhebungen und rechtskräftiger Verurteilungen gegen organisierte Kriminalität und Korruption, auch auf hoher Ebene, erzielen, öffentliche Unternehmen entpolitisieren und neu strukturieren und die Transparenz der Privatisierungsprozesse gewährleisten.
Die Rechtsvorschriften und Institutionen zu den Grundrechten sind weitgehend vorhanden; sie sollten vollständig umgesetzt und erheblich verbessert werden. Dazu gehören die Harmonisierung der Rechtsvorschriften innerhalb des Landes und deren Angleichung an europäische Standards, die Stärkung der Kapazitäten und die Bereitstellung angemessener Ressourcen für die wirksame Durchsetzung der Grundrechte. In den Bereichen Menschenrechte und Nichtdiskriminierung gibt es keine landesweiten Strategien. Die Gleichheit aller Bürgerinnen und Bürger ist nicht gewährleistet. Die Rechtsvorschriften über Nichtdiskriminierung und Gleichstellung der Geschlechter sind zwar vorhanden, werden aber nicht hinreichend durchgesetzt, auch nicht in Bezug auf geschlechtsbezogene Gewalt. Die Verfassung der Entität Republika Srpska enthält unter Verstoß gegen europäisches Recht eine Bestimmung zur Todesstrafe, und das Land hat keinen nationalen Mechanismus zur Verhinderung von Folter eingerichtet. Gewalt, Drohungen und politischer Druck gegenüber Journalisten geben Anlass zur Sorge; Journalisten werden weder ausreichend vor Drohungen und Angriffen geschützt, noch ziehen letztere in hinreichendem Maße Ermittlungen und Gerichtsverfahren nach sich. Öffentliche Rundfunkanstalten stehen unter starkem politischem Einfluss; ihre finanzielle Tragfähigkeit ist prekär. Es wurde noch kein durchgehend günstiges Umfeld für die Zivilgesellschaft geschaffen, und auch bei der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit bestehen Defizite. Die Behörden müssen noch eine regelmäßige Kooperation und Konsultation mit Organisationen der Zivilgesellschaft entwickeln. Der Schutz und die Inklusion schutzbedürftiger Gruppen sind noch nicht angemessen. Dies gilt besonders für Menschen mit Behinderungen, LGBTI-Personen, Mitglieder der Roma-Gemeinschaft, Häftlinge, Migranten und Asylbewerber. Eine inklusive, hochwertige Bildung für alle ist auch erforderlich, um der Praxis der „zwei Schulen unter einem Dach“ ein Ende zu bereiten und die einschlägigen Gerichtsurteile umzusetzen.
Das politische Umfeld ist der Aussöhnung und der Überwindung von Altlasten noch nicht förderlich. Die Fakten zu den Kriegsereignissen werden häufig von hochrangigen politischen Führungskräften bestritten, die die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit internationaler Gerichte in Zweifel ziehen. Alle Akteure in Bosnien und Herzegowina müssen ihre uneingeschränkte Zusammenarbeit mit den internationalen Gerichten unter Beweis stellen, indem sie deren Entscheidungen anerkennen und achten. Geschichtsfälschung und Leugnung des Völkermords widersprechen den grundlegendsten europäischen Werten.
Bei der Aufarbeitung von Kriegsverbrachen besteht nach wie vor ein Rückstau anhängiger Verfahren; zudem muss eine überarbeitete nationale Strategie für Kriegsverbrechen angenommen werden. Bosnien und Herzegowina muss das System für die Entschädigung ziviler Kriegsopfer erheblich verbessern. Etwa 8000 Personen gelten noch immer als vermisst, und das Land muss die volle Verantwortung dafür übernehmen, deren Schicksal zu ermitteln. Bosnien und Herzegowina muss dauerhaften Wohnraum und Integrationsmaßnahmen für rund 100 000 Flüchtlinge und Binnenvertriebene aus dem Konflikt in den 1990er Jahren anbieten, um den Rückkehrprozess zu Ende zu führen und Anhang VII des Friedensabkommens von Dayton abzuschließen. Bosnien und Herzegowina beteiligt sich an dem Regionalen Wohnungsprogramm mit dem Ziel, dauerhaften Wohnraum für rund 74 000 Flüchtlinge und Vertriebene zu schaffen.
Bosnien und Herzegowina steht im Großen und Ganzen mit dem Stabilisierung- und Assoziierungsprozess im Einklang, indem es insbesondere aktiv an Initiativen der regionalen Zusammenarbeit teilnimmt und allgemein bestrebt ist, gutnachbarliche Beziehungen zu pflegen. Die bilateralen Beziehungen zu anderen Erweiterungsländern sind insgesamt gut. Gleichzeitig verweigert Bosnien und Herzegowina nach wie vor dem Kosovo* die Anerkennung und hält weiterhin eine strikte Visaregelung aufrecht, indem es Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern des Kosovo, die eine Einladung einer in Bosnien und Herzegowina akkreditierten ausländischen diplomatischen Mission oder internationalen Organisation erhalten haben oder ein Visum aus humanitären Gründen beantragen, lediglich einzelne kurzfristige Visa ausstellt. Eine Änderung zur Normalisierung des Visumverfahrens für alle Bürger des Kosovo steht noch aus. Darüber hinaus gilt weiterhin ein bilaterales Immunitätsabkommen mit den Vereinigten Staaten, das US-Bürger vor der Strafverfolgung durch den Internationalen Strafgerichtshof schützt. Damit verstößt Bosnien und Herzegowina gegen gemeinsame Standpunkte der EU in Bezug auf die Integrität des Römischen Statuts bzw. gegen das entsprechende Grundprinzip der EU für bilaterale Immunitätsabkommen. Das Land muss seine Haltung der Position der EU anpassen.
2. Wirtschaftliche Kriterien
Grundlage dieser Bewertung sind die Kopenhagener Kriterien in Bezug auf eine funktionierende Marktwirtschaft und die Fähigkeit, dem Wettbewerbsdruck und den Marktkräften innerhalb der Union standzuhalten. Bosnien und Herzegowina befindet sich beim Aufbau einer funktionierenden Marktwirtschaft und bei der Entwicklung der für den Binnenmarkt erforderlichen Wettbewerbsfähigkeit noch in einem frühen Stadium.
Die wirtschaftspolitische Steuerung wird durch die starke Politisierung und mangelnde Zusammenarbeit zwischen den wichtigsten Akteuren behindert. Dies führt häufig zu politischen Blockaden und langen Verzögerungen bei der Beschlussfassung. Diesbezüglich sollte die dem Finanzrat übertragene Rolle der Koordinierung auf hoher Ebene gestärkt werden. Darüber hinaus wird der Erhaltung des Status quo bei der wirtschaftspolitischen Steuerung Priorität eingeräumt, was die Planung und Durchführung der überfälligen Strukturreformen weiter bremst. Infolgedessen spielt der Staat nach wie vor eine unverhältnismäßige Rolle, da er erhebliche Ressourcen in Anspruch nimmt, um gut bezahlte Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst, ineffiziente öffentliche Unternehmen und ein ineffizientes Sozialversicherungssystem zu finanzieren. Die häufigen politischen Blockaden und die dadurch bedingte geringe Berechenbarkeit für Investoren wirken sich negativ auf das Unternehmensumfeld aus. Dieses wird darüber hinaus durch die schwach ausgeprägte Rechtsstaatlichkeit, hohen bürokratischen Aufwand, Korruption und langwierige, komplizierte Verwaltungsverfahren beeinträchtigt, die zum Teil auf die starke Fragmentierung des Inlandsmarktes zurückzuführen sind. Infolge eines schlechten Unternehmensumfelds und der Schwächen des Bildungssystems des Landes ist die strukturelle Arbeitslosigkeit besonders bei jungen Menschen und besonders gefährdeten Bevölkerungsgruppen besorgniserregend hoch. Die Schattenwirtschaft nimmt zudem nach wie vor erheblichen Raum ein, was für unlauteren Wettbewerb und eine höhere Steuerbelastung sorgt, als sonst erforderlich wäre.
Das Gesamtniveau der allgemeinen und beruflichen Bildung und die Ausgaben für Forschung und Entwicklung sind niedrig. Die Qualität des Sachkapitals des Landes leidet unter chronischen Investitionsdefiziten und ineffizienten Durchführungsmaßnahmen. Die Verkehrs- und Energieinfrastruktur ist unzureichend ausgebaut. Die strukturelle Anpassung verläuft schleppend, was zum Teil die Schwierigkeiten und komplexen Verfahren der Gründung und Aufrechterhaltung neuer Unternehmen in einer stark fragmentierten und politisierten Wirtschaft widerspiegelt, auch wenn die regionale Handelsstruktur des Landes in jüngster Zeit diversifiziert wurde.
Die „Reformagenda“, die sozioökonomische Maßnahmen sowie die Reform der öffentlichen Verwaltung und der Rechtsstaatlichkeit vorsieht und seit dem Jahr 2015 von Bosnien und Herzegowina auf allen Ebenen realisiert wird, ermöglichte es unter anderem, einen flexibleren Arbeitsmarkt zu schaffen und die Vorschriften im Finanzsektor besser an internationale Standards anzugleichen. Aufgrund des stärkeren Wirtschaftswachstums und einer effizienteren Steuererhebung sind die öffentlichen Finanzen des Landes weitgehend ausgeglichen; dies wäre somit eine günstige Gelegenheit, in die lange vernachlässigte Infrastruktur des Landes zu investieren oder die hohe Besteuerung von Arbeit zu senken, um die Schaffung neuer Arbeitsplätze zu fördern. Das Wirtschaftswachstum seit dem Jahr 2015 beträgt 3 % und könnte mit einer Wirtschaftsförderungspolitik in den nächsten Jahren 4 % erreichen. Dennoch bleibt das Wirtschaftswachstum des Landes hinter seinem Potenzial zurück, und die positiven Auswirkungen der makroökonomischen Verbesserungen müssen erst noch bei der Mehrheit der Bevölkerung ankommen. Die Abwanderung junger Menschen und von Personen im erwerbsfähigen Alter ist eines der dringendsten Probleme.
Die im Rahmen der Umsetzung des Wirtschaftsreformprogramms vereinbarten politischen Leitlinien sollen die finanzpolitische Stabilität stärken und strukturelle Wachstumshindernisse beseitigen. Allerdings ist das von Bosnien und Herzegowina aufgestellte Programm vor allem aufgrund der unzureichenden Zusammenarbeit zwischen den wichtigsten Ministerien und Gremien auf verschiedenen Ebenen des Landes von geringer Qualität, und die gemeinsam verabschiedeten politischen Leitlinien, die ein zentraler Bestandteil des Prozesses sind, werden kaum umgesetzt. Nach dem Auslaufen der „Reformagenda“ für den Zeitraum 2015 bis 2018 müssen auf allen Regierungs- und Verwaltungsebenen des Landes neue sozioökonomische Reformmaßnahmen vereinbart und umgesetzt werden, die vollständig mit den politischen Leitlinien in den gemeinsamen Schlussfolgerungen des wirtschafts- und finanzpolitischen Dialogs auf Basis des Wirtschaftsreformprogramms Bosnien und Herzegowinas im Einklang stehen.
3. Fähigkeit zur Erfüllung der aus der EU-Mitgliedschaft erwachsenden Verpflichtungen
Die Fähigkeit Bosnien und Herzegowinas, die aus einer Mitgliedschaft erwachsenden Verpflichtungen zu übernehmen, wurde anhand folgender Indikatoren bewertet:
— den im Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen festgelegten Verpflichtungen;
— dem Stand der Fortschritte bei der Übernahme, Umsetzung und Durchsetzung des EU-Besitzstands.
Insgesamt kann Bosnien und Herzegowina auf eine erste Erfolgsbilanz in Bezug auf seine Verpflichtungen aus dem Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen zurückblicken. Gleichzeitig ist das Land einer Reihe von Verpflichtungen aus dem Abkommen nicht nachgekommen und muss diese nun prioritär in Angriff nehmen. Dazu gehört das ordnungsgemäße Funktionieren des Parlamentarischen Stabilitäts- und Assoziierungsausschusses.
Bosnien und Herzegowina hat noch kein nationales Programm für die Übernahme des EU-Besitzstands erstellt. Das Programm stellt eine gesetzliche Verpflichtung im Rahmen des SAA dar und ist für die landesweite Straffung des Prozesses der Angleichung an das EU-Recht wesentlich. Das Land verfügt über geringe Verwaltungskapazitäten, und es fehlt an wirksamen Koordinierungsstrukturen für die Verwaltung der 14 Regierungen des Landes. Infolgedessen wird Bosnien und Herzegowina vor erhebliche Herausforderungen bei der Um- und Durchsetzung der Rechtsvorschriften gestellt, die sich aus den Zielen der EU-Integration ergeben. Es bedarf erheblicher und anhaltender Anstrengungen, damit das Land seinen Verpflichtungen aus der EU-Mitgliedschaft nachkommen kann.
Einige mit der Umsetzung des EU-Besitzstands betraute Verwaltungsstellen, darunter der Wettbewerbsrat und der Rat für staatliche Beihilfen, arbeiten auf der Grundlage ethnisch begründeter Beschlussfassungsverfahren, in denen mindestens je ein Vertreter jedes konstituierenden Volks einen Beschluss unterstützen muss, damit dieser gültig ist. Dies ist weder mit dem SAA noch mit den Verpflichtungen aus der EU-Mitgliedschaft vereinbar.
Besondere Aufmerksamkeit und erhebliche Anstrengungen sind in den Bereichen erforderlich, in denen sich Bosnien und Herzegowina in einem frühen Stadium der Vorbereitungen befindet:
-freier Warenverkehr
-Niederlassungsrecht und freier Dienstleistungsverkehr
-Informationsgesellschaft und Medien
-Landwirtschaft und Entwicklung des ländlichen Raums
-Fischerei
-Verkehrspolitik
-Energie
-Wirtschafts- und Währungspolitik
-Statistik
-Sozialpolitik und Beschäftigung
-Unternehmens- und Industriepolitik
-Regionalpolitik und Koordinierung der strukturpolitischen Instrumente;
-Bildung und Kultur
-Verbraucher- und Gesundheitsschutz
-Finanzkontrolle
Erhebliche Anstrengungen sind außerdem in den Bereichen erforderlich, in denen die Vorbereitungen in Bosnien und Herzegowina einen gewissen Stand erreicht haben:
-Freizügigkeit für Arbeitnehmer
-öffentliches Auftragswesen
-Gesellschaftsrecht
-Wettbewerbspolitik
-Finanzdienstleistungen
-Lebensmittelsicherheit, Tier- und Pflanzenschutzpolitik
-Steuern
-Transeuropäische Netze
-Justiz und Grundrechte
-Justiz, Freiheit und Sicherheit
-Wissenschaft und Forschung
-Umwelt und Klimawandel
-Zollunion
-Außenbeziehungen
-Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik
-Finanz- und Haushaltsbestimmungen
Bosnien und Herzegowina sollte seine Anstrengungen in den Bereichen fortsetzen, in denen die Vorbereitungen einen etwa mittleren Stand erreicht haben:
-freier Kapitalverkehr
-Rechte des geistigen Eigentums
Hinsichtlich der Fähigkeit Bosnien und Herzegowinas, den Verpflichtungen aus der EU-Mitgliedschaft nachzukommen, haben die Vorbereitungen in keinem Politikbereich einen guten Stand erreicht oder sind weit fortgeschritten.
Insgesamt müssen der rechtliche und institutionelle Rahmen und die Verwaltungs- und Umsetzungskapazität in allen Politikbereichen erheblich angepasst werden, um die Rechtsvorschriften an den EU-Besitzstand anzunähern und wirksam umzusetzen.
C.Schlussfolgerungen und Empfehlungen
Bosnien und Herzegowina erfüllt derzeit noch nicht in hinreichendem Maße die vom Europäischen Rat 1993 in Kopenhagen aufgestellten Kriterien hinsichtlich der institutionellen Stabilität als Garantie für demokratische und rechtsstaatliche Ordnung, die Wahrung der Menschenrechte und die Achtung und den Schutz von Minderheiten. Um diese Kriterien hinreichend zu erfüllen, muss das Land erhebliche Anstrengungen unternehmen und seine Institutionen stärken, sodass die demokratische und rechtsstaatliche Ordnung, die Wahrung der Menschenrechte sowie die Achtung und der Schutz von Minderheiten garantiert sind. Bosnien und Herzegowina muss seinen konstitutionellen Rahmen mit europäischen Standards in Einklang bringen und die Funktionsfähigkeit seiner Institutionen sicherstellen, damit es EU-Verpflichtungen übernehmen kann. Ein dezentral strukturierter Staat ist durchaus mit der EU-Mitgliedschaft vereinbar, doch muss Bosnien und Herzegowina seine Institutionen reformieren, um wirksam an der EU-Beschlussfassung teilnehmen und den EU-Besitzstand vollständig um- und durchsetzen zu können.
Bosnien und Herzegowina muss sein Wahlsystem und die Arbeitsweise der Justiz verbessern. Darüber hinaus sollte das Land die Prävention und Bekämpfung von Korruption und organisierter Kriminalität, einschließlich Geldwäsche und Terrorismus, stärken und ein wirksames Funktionieren der Systeme für Grenzmanagement, Migration und Asyl gewährleisten. Es muss den Schutz der Grundrechte aller Bürgerinnen und Bürger verstärken, unter anderem durch die Gewährleistung eines günstigen Umfelds für die Zivilgesellschaft und für Aussöhnung sowie des Schutzes und der Inklusion schutzbedürftiger Gruppen. Außerdem muss das Land wesentliche Schritte der Reform der öffentlichen Verwaltung abschließen.
Was die wirtschaftlichen Kriterien betrifft, so hat Bosnien und Herzegowina ein gewisses Maß an makroökonomischer Stabilität erreicht. Um jedoch zu einer funktionierenden Marktwirtschaft zu werden – eines der Kriterien des Europäischen Gipfels von 1993 in Kopenhagen – muss Bosnien und Herzegowina besonders daran arbeiten, seine Beschlussfassungsverfahren zu beschleunigen und das Unternehmensumfeld sowie die Effizienz und Transparenz des öffentlichen Sektors, insbesondere der öffentlichen Unternehmen, zu verbessern. Das Land sollte die Faktoren beseitigen, die das ordnungsgemäße Funktionieren der Marktmechanismen verhindern, wie eine schwach ausgeprägte Rechtsstaatlichkeit, hoher bürokratischer Aufwand, Korruption, langwierige, komplizierte Verwaltungsverfahren und eine starke Fragmentierung des Inlandsmarkts. Um mittelfristig dem Wettbewerbsdruck und den Marktkräften innerhalb der Union standhalten zu können, muss Bosnien und Herzegowina besonderes Augenmerk auf die geringe Qualität der Bildung und deren unzureichende Ausrichtung auf den Bedarf des Arbeitsmarktes, die Qualität seines Sachkapitals (z. B. unzureichender Ausbau der Verkehrs- und Energieinfrastruktur) und die schleppende Anpassung der Wirtschaftsstruktur des Landes richten.
Bosnien und Herzegowina muss seine Bilanz bei der Wahrnehmung seiner Verpflichtungen im Rahmen des Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens verbessern, insbesondere im Hinblick auf die parlamentarische Dimension des Abkommens und durch die Annahme eines nationalen Plans für die Übernahme des EU-Besitzstands.
Bosnien und Herzegowina befindet sich hinsichtlich des Stands seiner Vorbereitungen für die Wahrnehmung der mit einer EU-Mitgliedschaft verbundenen Verpflichtungen insgesamt in einem frühen Stadium und muss den Prozess erheblich beschleunigen, um sich an den EU-Besitzstand anzupassen und die entsprechenden Rechtsvorschriften um- und durchzusetzen, Besondere Aufmerksamkeit sollte auf die Bereiche freier Warenverkehr, Niederlassungsrecht und freier Dienstleistungsverkehr, Informationsgesellschaft und Medien, Landwirtschaft und Entwicklung des ländlichen Raums, Fischerei, Verkehrspolitik, Energie, Wirtschafts- und Währungspolitik, Statistik, Sozialpolitik und Beschäftigung, Unternehmens- und Industriepolitik, Regionalpolitik und Koordinierung der strukturpolitischen Instrumente, Bildung und Kultur, Verbraucher- und Gesundheitsschutz sowie Finanzkontrolle gerichtet werden.
Der Beitritt Bosnien und Herzegowinas würde sich nur gering auf die Politik der Europäischen Union insgesamt auswirken und die Fähigkeit der Union, ihre eigene Entwicklung fortzusetzen und zu vertiefen, nicht beeinträchtigen. Die festgestellten Funktionsdefizite innerhalb Bosnien und Herzegowinas, die insbesondere mit dem internen Beschlussfassungsprozess, aber auch damit zusammenhängen, dass bei mehreren Zuständigkeitsbereichen Unsicherheiten bzw. Überschneidungen zwischen den verschiedenen Regierungs- und Verwaltungsebenen des Landes bestehen, könnten allerdings den Beschlussfassungsprozess auf EU-Ebene beeinträchtigen, insbesondere in Angelegenheiten, in denen die EU-Mitgliedstaaten einstimmig beschließen müssen. Bosnien und Herzegowina sollte daher einen Prozess einleiten, mit dem es die Funktionsdefizite beseitigt, um den Anforderungen einer EU-Mitgliedschaft zu genügen und die damit verbundenen Verpflichtungen wahrnehmen zu können.
Nach Auffassung der Kommission sollten die Verhandlungen über den Beitritt zur Europäischen Union mit Bosnien und Herzegowina eröffnet werden, sobald das Land die Beitrittskriterien und insbesondere die in Kopenhagen festgelegten politischen Kriterien hinsichtlich der institutionellen Stabilität als Garantie vor allem der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit in dem erforderlichen Maß erfüllt hat. Bosnien und Herzegowina muss seinen legislativen und institutionellen Rahmen grundlegend verbessern, damit es die folgenden Schlüsselprioritäten erfüllen kann:
Demokratie /Funktionalität
1.Gewährleistung der Durchführung von Wahlen im Einklang mit europäischen Standards durch die Umsetzung der Empfehlungen des Büros für demokratische Institutionen und Menschenrechte der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und der Venedig-Kommission, um die Transparenz der Parteienfinanzierung und die Durchführung von Kommunalwahlen in Mostar sicherzustellen.
2.Gewährleistung einer Erfolgsbilanz beim Einsatz des Koordinierungsmechanismus für EU-Angelegenheiten auf allen Ebenen, auch durch die Ausarbeitung und Annahme eines nationalen Programms für die Übernahme des EU-Besitzstands.
3.Gewährleistung des ordnungsgemäßen Funktionierens des Parlamentarischen Stabilitäts- und Assoziierungsausschusses.
4.Grundlegende Verbesserung des institutionellen Rahmens, auch auf Verfassungsebene, um
a)Rechtssicherheit in Bezug auf die Aufteilung der Zuständigkeiten auf die verschiedenen Regierungsebenen zu gewährleisten;
b)eine Substitutionsklausel aufzunehmen, die es dem Staat zum Zeitpunkt des Beitritts ermöglicht, vorübergehend Befugnisse anderer Regierungsebenen auszuüben, um Verstöße gegen das EU-Recht zu verhindern und zu beheben;
c)die Unabhängigkeit der Justiz, einschließlich ihrer Selbstverwaltung, zu gewährleisten;
d)die Reform des Verfassungsgerichts anzugehen, wobei auch die Frage der internationalen Richter und der Durchsetzung ihrer Entscheidungen geklärt werden muss;
e)Rechtssicherheit zu gewährleisten, unter anderem durch die Einrichtung einer Rechtsinstanz, die mit der einheitlichen Auslegung des Rechts in ganz Bosnien und Herzegowina betraut ist;
f)die Gleichbehandlung und Nichtdiskriminierung der Bürger zu gewährleisten, insbesondere im Einklang mit der Rechtssache Sejdić-Finci des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR);
g)zu gewährleisten, dass sich alle mit der Umsetzung des Besitzstands betrauten Verwaltungsstellen im Einklang mit dem Besitzstand nur auf Professionalität stützen und Vetorechte bei ihrer Beschlussfassung auszuschließen.
5.Ergreifung konkreter Schritte, um ein Umfeld zu fördern, das der Aussöhnung förderlich ist, um die Nachwirkungen des Krieges zu überwinden.
Rechtsstaatlichkeit
6.Verbesserung der Arbeitsweise der Justiz im Einklang mit den europäischen Standards durch die Annahme neuer Rechtsvorschriften für den Hohen Rat für Justiz und Staatsanwaltschaft sowie der Gerichte von Bosnien und Herzegowina.
7.Stärkung der Prävention und der Bekämpfung von Korruption und organisierter Kriminalität, einschließlich Geldwäsche und Terrorismus, insbesondere durch
a)die Annahme und Umsetzung von Rechtsvorschriften über Interessenkonflikte und den Schutz von Hinweisgebern;
b)die Gewährleistung einer wirksamen Arbeitsweise und Koordinierung der für die Korruptionsbekämpfung zuständigen Stellen;
c)die Angleichung der Rechtsvorschriften und Stärkung der Kapazitäten für das öffentliche Auftragswesen;
d)die Gewährleistung einer wirksamen Zusammenarbeit zwischen den Strafverfolgungsbehörden und mit der Staatsanwaltschaft;
e)den Nachweis von Fortschritten bei der Erzielung einer Erfolgsbilanz proaktiver Ermittlungen, bestätigter Anklagen, Anklageerhebungen und rechtskräftiger Verurteilungen gegen organisierte Kriminalität und Korruption, auch auf hoher Ebene;
f)die Entpolitisierung und Umstrukturierung öffentlicher Unternehmen und Gewährleistung der Transparenz bei Privatisierungsprozessen.
8.Gewährleistung einer wirksamen Koordinierung der Kapazitäten für Grenzmanagement und Migrationssteuerung auf allen Ebenen sowie eines funktionierenden Asylsystems.
Grundrechte
9.Stärkung des Schutzes der Rechte aller Bürger, insbesondere durch die Gewährleistung der Umsetzung der Rechtsvorschriften über Nichtdiskriminierung und die Gleichstellung der Geschlechter.
10.Gewährleistung des Rechts auf Leben und Verbot der Folter, insbesondere durch a) die Abschaffung der Bestimmung zur Todesstrafe in der Verfassung der Entität Republika Srpska und b) einen nationalen Mechanismus zur Verhinderung von Folter und Misshandlung.
11.Schaffung günstiger Rahmenbedingungen für die Zivilgesellschaft, insbesondere durch die Einhaltung der europäischen Standards für die Vereinigungs- und Versammlungsfreiheit.
12.Gewährleistung der freien Meinungsäußerung und der Freiheit der Medien sowie des Schutzes von Journalisten, insbesondere durch die Sicherstellung a) angemessener Ermittlungen und Gerichtsverfahren in Fällen von Drohungen und Gewalt gegen Journalisten und Medienschaffende sowie b) der finanziellen Tragfähigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.
13.Verbesserung des Schutzes und der Inklusion schutzbedürftiger Gruppen, insbesondere von Menschen mit Behinderungen, Kindern, LGBTI-Personen, Angehörigen der Roma-Gemeinschaft, Häftlingen, Migranten und Asylsuchenden sowie Vertriebenen und Flüchtlingen im Einklang mit dem Ziel, Anhang VII des Friedensabkommens von Dayton abzuschließen.
Reform der öffentlichen Verwaltung
14.Abschluss wesentlicher Schritte zur Reform der öffentlichen Verwaltung, um ihre allgemeine Funktionsweise durch Gewährleistung eines professionellen und entpolitisierten öffentlichen Dienstes und eines koordinierten landesweiten Konzepts für die Politikgestaltung zu verbessern.
Die Kommission fordert Bosnien und Herzegowina auf, auf allen Regierungs- und Verwaltungsebenen sozioökonomische Reformmaßnahmen zu vereinbaren und umzusetzen, die mit den WRP-Leitlinien im Einklang stehen.
Darüber hinaus ruft die Kommission Bosnien und Herzegowina auf, die regionale Zusammenarbeit fortzusetzen und die bilateralen Beziehungen zu den Nachbarländern unter anderem durch den Abschluss von Grenzabkommen und das Streben nach einer dauerhaften Aussöhnung im Westbalkan zu stärken.
Die Kommission empfiehlt dem Rat, diese Stellungnahme und die Folgemaßnahmen zu diesen Schlüsselprioritäten nach der Regierungsbildung in Bosnien und Herzegowina zu erörtern.
Die Kommission wird die Fortschritte Bosnien und Herzegowinas im institutionellen Rahmen des Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommens überwachen und das Land weiterhin im Rahmen des Instruments für Heranführungshilfe finanziell unterstützen.
Als Teil des Erweiterungspakets 2020 wird die Kommission einen Bericht über Bosnien und Herzegowina vorlegen, in dem sie die Umsetzung der vorstehend genannten Schlüsselprioritäten mit Blick auf die nächsten Schritte des Landes zum EU-Beitritt überprüfen wird.