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Document 52010DC0400

BERICHT DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DEN RAT über Bulgariens Fortschritte im Rahmen des Kooperations- und Kontrollverfahrens

/* KOM/2010/0400 endg. */

52010DC0400

BERICHT DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DEN RAT über Bulgariens Fortschritte im Rahmen des Kooperations- und Kontrollverfahrens /* KOM/2010/0400 endg. */


[pic] | EUROPÄISCHE KOMMISSION |

Brüssel, den 20.7.2010

KOM(2010) 400 endgültig

BERICHT DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DEN RAT

über Bulgariens Fortschritte im Rahmen des Kooperations- und Kontrollverfahrens

{SEK(2010) 948}

BERICHT DER KOMMISSIONAN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT UND DEN RAT

über Bulgariens Fortschritte im Rahmen des Kooperations- und Kontrollverfahrens

1. Vorbemerkung

Mit dem Beitritt Bulgariens zur EU wurde ein Kooperations- und Kontrollverfahren[1] eingerichtet, um Bulgarien bei der Einrichtung eines unparteiischen, unabhängigen und effizienten Justiz- und Verwaltungssystems zu helfen, das gut gerüstet ist, um wirksam unter anderem gegen Korruption und organisierte Kriminalität vorgehen zu können. Dies erfordert gewisse grundlegende Veränderungen, die Zeit brauchen und eine breite Unterstützung in Politik und Gesellschaft voraussetzen. Diese Veränderungen stellen allerdings gleichzeitig eine unerlässliche Investition in die Zukunft Bulgariens dar, denn solide öffentliche Finanzen und eine tragfähige sozio-ökonomische Entwicklung sind ohne ein effizientes Verwaltungs- und Justizsystem nicht zu erreichen. Bulgarien muss in die Lage versetzt werden, seine Aufgaben als EU-Mitglied in Bereichen wie Justiz und Inneres voll zu erfüllen.

Dieser Bericht ist der vierte Jahresbericht seit Einführung des Kooperations- und Kontrollverfahrens[2]. Er gibt Aufschluss über den Stand des Reformprozesses und enthält Empfehlungen, welche Maßnahmen als nächstes zu ergreifen sind, um die notwendigen Reformen voranzubringen. Nach Auffassung der Kommission ist das Kooperations- und Kontrollverfahren für alle Beteiligten nützlich:

- für Bulgarien, da es objektive Beurteilungen und Empfehlungen enthält, wo Maßnahmen notwendig sind,

- für die übrigen Mitgliedstaaten, die die Fortschritte verfolgen und Bulgarien in geeigneter Weise unterstützen können.

In ihrem diesjährigen Bericht weist die Kommission auf eine starke Reformdynamik hin, die sich seit dem letzten Jahresbericht vom Juli 2009 in Bulgarien herausgebildet hat. Die neue Justizreformstrategie ist Ausdruck eines starken politischen Willens in Bulgarien, eine tiefgreifende und dauerhafte Reform des Justizwesens herbeizuführen. Bulgarien wird empfohlen, seine justizielle Praxis zu verbessern, um es der Justiz zu ermöglichen, vorausschauender zu handeln und ein stärkeres Verantwortungsbewusstsein zu entwickeln.

2. Stand des Reformprozesses in Bulgarien

Erfolgsbilanz

Seit Juli 2009 hat Bulgarien seine Strafverfahren in wichtigen Punkten reformiert. Zurzeit wird über eine strengere Regelung für die Einziehung von Vermögensgegenständen und einen besseren Schutz vor Interessenkonflikten beraten. Die Strafverfolgung wurde im Bereich Betrugskämpfung und organisierte Kriminalität strukturell verstärkt. Erstmals seit Einführung des Kooperations- und Kontrollverfahrens wird aktiv gegen die organisierte Kriminalität vorgegangen. Im Juni hat die Regierung eine ambitionierte, weitreichende Strategie gebilligt, die als Vorlage für eine umfassende langfristige Justizreform gedacht ist. Die vordringlichsten Reformen, mit denen im Wege einer Änderung des Gerichtsverfassungsgesetzes Leistungsfähigkeit und Rechenschaftspflicht der Justiz sowie die Kohärenz der Gerichtsverfahren verbessert werden sollen, werden derzeit in der Regierung beraten.

Der starke Reformdruck, der von der Regierung ausgeht, zeigt im Justizsystem einige Resultate. Korruptionsvorwürfe, die im April gegen Justizangehörige erhoben wurden, wurden strenger disziplinar- und strafrechtlich geahndet als in der Vergangenheit. Die Zahl der Anklagen in Fällen organisierter Kriminalität hat zugenommen. In einem Fall, bei dem es um EU-Finanzbetrug in großem Stil ging, wurden im April und Juni schwere Strafen verhängt, allerdings noch nicht vollstreckt.

Gleichzeitig geht aus der Analyse der Kommission allerdings hervor, dass sowohl auf Ebene der Strafverfolgung als auch auf Ebene der Gerichte in der Praxis nach wie vor erhebliche Defizite bestehen. Bei den Gerichtsverfahren in Bulgarien fehlt es an Initiative und Kompetenz. Bei komplexen Untersuchungen zeigt sich, dass es an Vorgaben und Zielgerichtetheit mangelt. Die Verfahren sind zu stark formalisiert, dauern zu lange und scheitern oft vor Gericht.

Unzulänglichkeiten sind nach wie vor auch bei der Korruptionsprävention und dem Schutz vor Interessenkonflikten festzustellen. Mit der konkreten Umsetzung der neuen im November 2009 angenommenen nationalen Antikorruptionsstrategie wurde noch nicht begonnen. Die Vorschriften über Interessenkonflikte werden noch nicht effektiv genug umgesetzt. Bei der Umsetzung der Verfahrensregeln für öffentliche Aufträge sind Unzulänglichkeiten weit verbreitet. Um Korruption und Interessenkonflikten besser vorzubeugen, sollte Bulgarien die geplante Einsetzung einer unabhängigen Sonderkommission für den Schutz vor Interessenkonflikten weiter vorantreiben, die Umsetzung des Aktionsplans für die nationale Antikorruptionsstrategie beschleunigen und die gesetzlichen Bestimmungen über die Einziehung von Vermögensgegenständen verschärfen.

Justizreform

Mit den Ende Mai verabschiedeten Änderungen der Strafprozessordnung ist Bulgarien den langjährigen Empfehlungen der Experten und der Justiz zur Verbesserung der Verfahren durch Reduzierung der beträchtlichen prozessualen Beschränkungen nachgekommen. Nach der geänderten Strafprozessordnung dürfen Polizisten – mit einigen Ausnahmen – jetzt vor Gericht als Zeugen vernommen werden, und die Identität der Zeugen wird geschützt. Das Gericht kann einen Ersatzverteidiger bestellen, um Versuche von Angeklagten zu unterbinden, das Verfahren ohne triftigen Grund zu verzögern. Die Verwendung von Zeugenaussagen vor Gericht, die im Zuge der Ermittlungen zusammengetragen wurden, wurde erleichtert. Ebenso sind Informationen des OLAF jetzt als Beweis zugelassen. Diese Änderungen, mit denen einigen der häufigsten Verfahrenshindernissen in Bulgarien begegnet wird, können als wichtiger Fortschritt gewertet werden.

Bulgarien muss allerdings in eine Verbesserung der justiziellen Praxis investieren, wenn sich die größere Flexibilität des Strafverfahrens in die erhoffte höhere Zahl von Anklageerhebungen, kürzeren Verfahren und abschreckenden Sanktionen niederschlagen soll.

Zwar sind Richter und Staatsanwälte nach dem Gesetz verpflichtet, einem Straftatverdacht nachzugehen, sobald sie Kenntnis davon erlangt haben, doch kommen sie dieser Pflicht nur selten in effizienter Weise nach. Wie die Kommission festgestellt hat, zögern die Strafverfolgungsbehörden, auf der Grundlage eindeutiger Hinweise gezielte Ermittlungen einzuleiten, sondern stellen komplexe, langwierige Untersuchungen an. Unangekündigte Hausdurchsuchungen beispielsweise, die gängige Praxis der Staatsanwaltschaft bei Hinweisen auf schweren Betrug sein sollten, finden nur selten statt. Zu diesem Mangel an Eigeninitiative der Staatsanwaltschaft kommt eine Gerichtspraxis hinzu, die, wenn es um die Zulässigkeit eines Beweises geht, der Einhaltung formaler, restriktiver Kriterien häufig mehr Gewicht einzuräumen scheint als der Qualität des Beweises selbst.

Die Rechenschaftspflicht im Justizwesen lässt nach wie vor zu wünschen übrig. Seit Juli 2009 ist gegen die bulgarische Justiz in mehreren Fällen der Vorwurf der Korruption, Einflussnahme und Misswirtschaft erhoben worden, was ihr Ansehen in der Öffentlichkeit beschädigt hat. In ihrem Zwischenbericht vom März 2010 hatte die Kommission auf eine umfassende disziplinar- und strafrechtliche Untersuchung dieser Vorwürfe gedrängt. Die Korruptionsvorwürfe im zweiten Halbjahr 2009 im Zusammenhang mit der Besetzung hoher Ämter in der Justiz führten zur Entlassung dreier Richter und zur Verhängung von Disziplinarstrafen in 15 weiteren Fällen. Zwei Mitglieder des Obersten Justizrates traten zurück, behielten aber ihr Richteramt. Die gegen eines von ihnen eingeleiteten Disziplinarverfahren sind noch nicht abgeschlossen. Der neueste Fall im April dieses Jahres, der den Verkauf wertvoller Immobilien unter Marktwert an Familienmitglieder hoher Justizbeamter betraf, veranlasste den Obersten Justizrat und die Staatsanwaltschaft zur Einleitung disziplinar- und strafrechtlicher Untersuchungen gegen alle beteiligten Richter und Staatsanwälte. Das Ergebnis dieser Untersuchungen ist noch nicht bekannt. Um das Ansehen der Justiz zu schützen, muss Bulgarien die Rechenschaftspflicht der Justiz durch eine konsequente Anwendung aller zur Ahndung von Korruption verfügbarer rechtlicher und disziplinarischer Mittel stärken.

Zur Verbesserung der justiziellen Praxis sind umfassende Reformen nötig. Diese Reformen setzen bei den Lehrplänen für das Jurastudium und die Juristenausbildung sowie beim Beurteilungssystem an, um Anreize für antizipatives Verhalten zu schaffen, und bei den Auswahl- und Ernennungsverfahren. Bulgariens neue Strategie für die Justizreform stellt auf die Entwicklung der Humanressourcen in der Justiz ab und zielt auf die Beseitigung zahlreicher Schwachstellen. Änderungen des Gerichtsverfassungsgesetzes, die hier eine Reihe wichtiger Verbesserungen mit sich bringen würden, werden derzeit in der Regierung beraten.

Diese Änderungen dürften auch zu einer beträchtlichen Stärkung der Rolle und Aufgaben des Obersten Justizrates führen. Danach soll der Oberste Justizrat ermächtigt werden, die Arbeitsbelastung der Gerichte einer jährlichen Überprüfung zu unterziehen und auf der Grundlage der erhobenen Daten eine Umverteilung des Personals sowie die Einrichtung neuer oder die Schließung bestehender Gerichte zu veranlassen. Durch Einführung einer offenen Stimmabgabe, einer Begründungspflicht für Entscheidungen und Zusammenführung aller disziplinarischen Befugnisse im Obersten Justizrat sollen die Transparenz von Ernennungen und die Rechenschaftspflicht verbessert werden. Außerdem soll den Ratsmitgliedern die Teilnahme an der Abstimmung in Situationen, in denen sie sich in einem Interessenkonflikt befinden könnten, ausdrücklich untersagt werden.

Seit Juli 2009 wurden im Rahmen der vom Obersten Justizrat durchgeführten Inspektionen immer wieder Unzulänglichkeiten in der gerichtlichen Praxis aufgedeckt, die den Gerichtspräsidenten in Gestalt von Empfehlungen zur Kenntnis gebracht und anschließend bei Inspektionsbesuchen weiterverfolgt werden. Die dem Obersten Justizrat angeschlossene Justizaufsicht hat den Berichten zufolge regelmäßige Inspektionen im gesamten bulgarischen Justizwesen durchgeführt mit Ausnahme des Appellationsgerichts in Sofia. Der Rat verfügt jetzt zusammen mit den Informationen, die er bei den von ihm selbst durchgeführten Überprüfungen erlangt hat, über eine gute Informationsbasis, die Aufschluss über strukturelle Schwächen und Unzulänglichkeiten in Bezug auf Disziplin und Praxis gibt. Der Oberste Justizrat sollte nach der anstehenden Reform des Gerichtsverfassungsgesetzes seine stärkere Rolle nutzen, um Initiativen im Hinblick auf eine effizientere Justiz, kohärentere Gerichtspraxis und größere Verantwortung der Justiz auf den Weg zu bringen. Die Kommission wird in ihrem nächsten Bericht auf die in dieser Hinsicht erzielten Fortschritte eingehen.

Kampf gegen organisierte Kriminalität

Auf Empfehlung der Kommission richtete Bulgarien ständige gemischte Ermittlungskommissionen ein, die unter der Leitung der Staatsanwaltschaft gegen Straftaten der organisierten Kriminalität ermitteln. Diesen Kommissionen gehören Polizeibeamte, Ermittlungsrichter und Mitarbeiter der staatlichen Agentur für nationale Sicherheit an. Sie befassen sich mit einer kleinen Zahl auf hoher Ebene angesiedelter Fälle, die ihnen vom Generalstaatsanwalt, Innenminister und Direktor der Sicherheitsagentur einvernehmlich übertragen werden. Die Ausweitung dieser viel versprechenden Organisationsstruktur auf alle Fälle organisierter Kriminalität sollte ebenso ins Auge gefasst werden wie die Einbeziehung von Mitgliedern der Kommission für die Einziehung von Erlösen aus Straftaten (CEPACA) in einem frühen Stadium der Ermittlungen.

Bulgarien intensivierte seine Bestrebungen und führte eine Reihe von Razzien gegen kriminelle Vereinigungen durch, aber es wurde nur in wenigen Fällen über ein gerichtliches Nachspiel berichtet.

Seit Juli 2009 kann Bulgarien auf eine steigende Zahl von Anklageerhebungen in Fällen organisierter Kriminalität verweisen. Bei wichtigen Strafprozessen sind jedoch nur wenig Fortschritte zu verzeichnen, d. h. Verurteilungen wegen organisierter Kriminalität kommen in den weitaus meisten Fällen dank Prozessabsprachen und im beschleunigten Verfahren nach Geständnis des Angeklagten zustande. Die so verhängte Strafe liegt häufig unter dem gesetzlichen Mindestmaß. Bulgariens Justiz muss zeigen, dass sie auch in der Lage ist, im Falle schwerer Straftaten abschreckende Strafen zu verhängen.

Die Daten für 2009 zeigen zwar eine anhaltend positive Bilanz der CEPACA in Bezug auf die Beschlagnahme und Einziehung von Erlösen aus Straftaten, doch ist die Zahl der gerichtlichen Einziehungsentscheidungen immer noch sehr niedrig. Nach Mai 2009 sind zwei abschließende Entscheidungen ergangen, in zwei Fällen wurden die Anträge abgelehnt, während 206 Anträge noch anhängig sind. Da das Einfrieren und Einziehen von Erlösen aus Straftaten im Kampf gegen die organisierte Kriminalität eine wirksame Sanktion mit erheblichem Abschreckungseffekt ist, sollte Bulgarien von diesem Instrument stärker Gebrauch machen.

Bekämpfung von Korruption

Bulgarien hat seine Bemühungen zur Bekämpfung der Korruption in hohen Ämtern verstärkt. Seit Juli 2009 wurde gegen zwei Parlamentsabgeordnete, drei ehemalige Minister, drei ehemalige stellvertretende Minister und erstmals auch gegen einen amtierenden Minister Anklage erhoben. Des Weiteren wurden eine Reihe hochrangiger Beamte und Bürgermeister wegen Korruption angeklagt. Bulgarien hat die Kapazitäten der gemischten Kommission zur Bekämpfung von EU-Finanzbetrug aufgestockt. Ein leitender Beamter wurde wegen Korruption im Zusammenhang mit EU-Geldern zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Strafurteile ergingen auch in zwei prominenten Fällen wegen EU-Finanzbetrug und Geldwäsche. Gegen den Hauptangeklagten wurden Haftstrafen von 10 bzw. 12 Jahren verhängt, aber das Gericht hat keinen Haftbeschluss erlassen.

Die gerichtliche Praxis weist hier der Analyse der Kommission zufolge einige Schwachpunkte auf, die korrigiert werden müssen. Bei Untersuchungen wegen EU-Finanzbetrugs muss die Staatsanwaltschaft eine umfassende, aktive Ermittlungsstrategie verfolgen. Im Rahmen dieser Strategie sollte systematisch nach Verbindungen zwischen ähnlichen Fällen, Anhaltspunkten für organisierte (Finanz-) Kriminalität und Verbindungen zu Betrugsfällen in Verwaltungsbehörden gesucht werden. Um energischer gehen die Korruption auf höchster Ebene vorzugehen, sollte Bulgarien zudem einen wirksameren Zeugenschutz nach dem Modell anderer Mitgliedstaaten in Erwägung ziehen.

Aus den Daten, die Bulgarien für das erste Jahr der Anwendung des Ende 2008 verabschiedeten Gesetzes zur Vermeidung von Interessenkonflikten vorgelegt hat, geht hervor, dass ein Interessenkonflikt immer noch nur in wenigen Fällen festgestellt oder geahndet wurde. Gering war die Zahl der bei der Staatsanwaltschaft eingegangenen Korruptionshinweise. Allerdings wurden Inspektionen in der Zentralverwaltung häufiger, und führten in einigen Fällen zu Disziplinarmaßnahmen oder Verweisungen an die Staatsanwaltschaft[3]. Bulgarien sollte das Gesetz zur Vermeidung von Interessenkonflikten baldmöglichst verschärfen und eine unabhängige zentrale Kommission mit seiner Durchführung betrauen.

Bulgarien hat im November 2009 eine nationale Antikorruptionsstrategie mit einem entsprechenden Aktionsplan beschlossen. Der Aktionsplan sieht weitreichende Präventivmaßnahmen mit ausländischer Hilfe im ganzen öffentlichen Sektor vor. Mit der Umsetzung dieses Aktionsplans wurde jedoch noch nicht begonnen. Bulgarien ist den Empfehlungen der Kommission zur Stärkung der Kontrollinstanzen bislang nicht nachgekommen und kann keine Ergebnisse in Bezug auf die Stärkung der regionalen Antikorruptionsräte melden.

Die Umsetzung des Vergaberechts lässt beträchtliche Mängel erkennen. Bulgarien hat Überprüfungen durch die zuständigen Behörden veranlasst, die in 60 % aller überprüften Ausschreibungen Unregelmäßigkeiten ergeben haben. Bei großen Infrastrukturvorhaben, die von den Behörden einer Ex-Ante-Kontrolle unterzogen werden müssen, erreicht der Anteil fast 100 %.

Die Verwaltungs- und Justizbehörden sind nicht in der Lage, Interessenkonflikte im öffentlichen Auftragswesen wirksam zu unterbinden. Dies ist durch eine Reihe struktureller und verfahrensrechtlicher Schwachstellen bedingt. Die Verwaltungsbehörden verfügen nicht über ausreichende Kapazitäten, um Hilfestellung bei Vergabeverfahren zu leisten und Überprüfungen vorzunehmen. Die Kapazitäten der Kontrollagentur für öffentliche Finanzen wurden erheblich reduziert, so dass die Agentur 2009 nur 12 % aller öffentlichen Ausschreibungen nachträglich kontrollieren konnte. Hinzu kommt, dass den im Nachhinein durchgeführten Verwaltungskontrollen keine ordentliche Risikobewertung zugrunde liegt. Die Einführung des geplanten Systems von Vorabkontrollen sollte dazu beitragen, die Unzulänglichkeiten im Verfahren bei großen Strukturvorhaben zu beheben. Der Vergabebehörde mangelt es jedoch an Kapazitäten, um die Rechtmäßigkeit von Ausschreibungen durch Ex-Ante-Kontrollen zu überprüfen und sich anschließend zu vergewissern, ob ihren Empfehlungen gefolgt wurde.

Die verschiedenen Verwaltungsbehörden, die damit betraut sind, einzelne Aspekte des Vergaberechts umzusetzen, Orientierungshilfen zu geben, Gesetzentwürfe auszuarbeiten, Beschwerden nachzugehen und öffentliche Ausschreibungen zu kontrollieren, arbeiten nicht systematisch im Sinne einer einheitlichen Anwendung des Vergabegesetzes zusammen. Die Sanktionen, die die Verwaltungsbehörden verhängen können, sind bei Interessenkonflikten oder Korruption nicht abschreckend genug. Auch ist mit den internen Verfahren eine Aufdeckung von Interessenkonflikten, die den Strafverfolgungsbehörden gemeldet werden könnten, nicht möglich. Unregelmäßigkeiten sollten systematisch disziplinarisch oder strafrechtlich verfolgt werden.

3. FAZIT

In Bulgarien ist seit Juli 2009 eine starke Reformdynamik festzustellen. Es sind Verbesserungen im Strafverfahren vorgenommen worden und es wurde häufiger Anklage in Fällen organisierter Kriminalität und Korruption in hohen Ämtern erhoben, doch es werden noch zu wenige Verfahren vor Gericht zum Abschluss gebracht. Die berufliche Praxis der Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte ist verbesserungsbedürftig. Hier ist Hilfe von außen nötig. Die Justiz muss häufiger die Initiative ergreifen und ein stärkeres Verantwortungsbewusstsein zum Ausdruck bringen. Öffentliche Gelder müssen besser vor Betrug und Interessenkonflikten geschützt werden.

Bulgariens neue Justizreformstrategie, die von der Regierung am 23. Juni gebilligt wurde, ist Ausdruck der politischen Entschlossenheit, eine grundlegende Reform des Justizwesens zu erreichen. Die Strategie zeigt auf, welche Unzulänglichkeiten Bulgarien momentan als nationale Priorität in einer gemeinsamen Anstrengung von Politik, Justiz und Gesellschaft angehen muss.

Sie kann nur mit einem stetigen Engagement Bulgariens, der Kommission und anderer Mitgliedstaaten Erfolg haben.

Bulgarien ist mit der Kommission eine neue Partnerschaft eingegangen und hat die Qualität seiner Fortschrittsberichte im Rahmen des Kooperations- und Kontrollverfahrens verbessert. Die Kommission wird Bulgarien wie bisher bei seinen weiteren Fortschritten im Rahmen des Kooperations- und Kontrollverfahrens unterstützen und im Sommer 2011 die nächste Bewertung vorlegen.

4. Empfehlungen

Ausgehend von ihrer Würdigung der Fortschritte Bulgariens bei der Erfüllung der Vorgaben im Rahmen des Kooperations- und Kontrollverfahrens fordert die Kommission Bulgarien auf, umgehend Maßnahmen in folgenden Bereichen zu ergreifen:

Empfehlungen in Bezug auf die Justizreform:

Die Kommission erinnert an ihre noch nicht befolgten Empfehlungen vom Juli 2009, insbesondere die Pflicht für alle Gerichte, ihre Entscheidungen online zu veröffentlichen, und fordert Bulgarien auf, umgehend folgende Maßnahmen zu ergreifen:

1. Umsetzung der neuen Justizstrategie, um eine grundlegende Reform des Justizwesens zu erreichen. Verabschiedung und Durchführung der Reformen des Gerichtsverfassungsgesetzes, die eine Verbesserung der Ausbildung, der Beurteilungs- und Ernennungsverfahren im Justizwesen sowie eine Stärkung der Rechenschaftspflicht und Effizienz des Obersten Justizrats zum Ziel haben. Stärkung der Rechenschaftspflicht im Justizwesen durch strenge Anwendung aller gesetzlichen und disziplinarrechtlichen Sanktionen gegen Korruption und unerlaubte Einflussnahme.

2. Verbesserung der justiziellen Praxis in den Staatsanwaltschaften und Gerichten durch eine detaillierte Mängelanalyse in Zusammenarbeit mit ausländischen Experten. Erstellung von Handbüchern für bewährte Verfahren, von Schulungsprogrammen und Einführung von Coaching-Systemen für spezielle Fälle sowie einer systematischen Aufsicht in Gerichten und Staatsanwaltschaften. Förderung der fachlichen Weiterbildung und Spezialisierung der Polizeibeamten, Staatsanwälte und Richter, um sie zu befähigen, komplexe Fälle, insbesondere in den Bereichen Wirtschafts- und Finanzkriminalität und organisierte Kriminalität, mit mehr Sachverstand und Effizienz zu verfolgen.

3. Fortsetzung der Arbeit an einem neuen Strafgesetzbuch im Rahmen des von der Regierung am 23. Juni 2010 angenommenen Konzepts für eine neue Politik der Kriminalitätsbekämpfung, das zur Effizienz der Justiz beiträgt, z. B. durch die Abschaffung veralteter Straftatbestände und die Entkriminalisierung von Bagatelldelikten. Weitere Kontrolle der Anwendung der neuen Verfahrensvorschriften und Erwägung weiterer Verbesserungen. Fortführung der Arbeiten zur Einrichtung einer Aufsichtsagentur im medizinischen Bereich, damit die vom Gericht angeforderten ärztlichen Bescheinigungen schneller und in besserer Qualität ausgestellt werden.

Empfehlungen in Bezug auf die Bekämpfung der organisierten Kriminalität

Die Kommission erinnert an ihre noch nicht befolgten Empfehlungen vom Juli 2009, insbesondere in Bezug auf die Spezialisierung innerhalb der Justiz, und fordert Bulgarien auf, umgehend folgende Maßnahmen zu ergreifen:

4. Stärkung der Kapazitäten der gemischten Kommissionen zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität, Ausweitung ihrer Kompetenzen auf alle mit der organisierten Kriminalität zusammenhängenden Fälle und Einbeziehung der CEPACA, damit in der Ermittlungsphase Vermögenswerte entsprechend den operationellen Anforderungen eingefroren und eingezogen werden können.

5. Fortsetzung der Polizeireform, um nach dem Vorbild anderer Mitgliedstaaten eine leistungsfähige Kriminalpolizei zu schaffen.

6. Vermehrte Einziehung von Vermögenswerten nach Maßgabe des Zivilrechts, d. h. auch ohne strafrechtliche Verurteilung, und auf der Grundlage von Empfehlungen der Venedig-Kommission des Europarats, um die Anwendung der Gesetze bei gleichzeitiger Achtung der Grundrechte und Grundfreiheiten zu gewährleisten. Überlegung, der Kommission für die Einziehung von Erlösen aus Straftaten (CEPACA) ein Initiativrecht einzuräumen, mit dem sie Verfahren zur Sicherstellung und Einziehung von Vermögenswerten einleiten, Vorschriften für die Einziehung von Vermögenswerten zu Beginn der Ermittlungsphase in Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft einführen und den Kreis der einbezogenen Personen ausweiten kann, um die Kriminalitätsbekämpfung durch Vermögenseinziehung zu verbessern.

Empfehlungen in Bezug auf die Korruptionsbekämpfung

Die Kommission erinnert an ihre noch nicht befolgten Empfehlungen vom Juli 2009, insbesondere an die Unterstützung der von Amts wegen von Verwaltungsbehörden eingeleiteten Ermittlungen wegen Verdachts auf Korruption und Interessenkonflikt, die weitere Stärkung der Kontrollinstanzen und regionalen Antikorruptionsräte und den Schutz von Informanten, und fordert Bulgarien auf, umgehend folgende Maßnahmen zu ergreifen:

7. Verbesserung der justiziellen Praxis in Fällen von Betrug und Korruption auf hoher Ebene nach dem Vorbild anderer Mitgliedstaaten. Anwendung einer umfassenden, aktiven Ermittlungsstrategie, bei der systematisch nach Verbindungen zwischen ähnlichen Fällen, Anhaltspunkten für organisierte Kriminalität und Verbindungen zu Verwaltungsbehörden gesucht werden. Um energischer gegen Korruption in hohen Ämtern vorzugehen, sollte Bulgarien die rechtlichen Möglichkeiten eines Freiheitsentzugs in schweren Fällen konsequenter ausschöpfen und den Zeugenschutz nach dem Vorbild anderer Mitgliedstaaten verbessern.

8. Stärkung des Gesetzes zur Vermeidung von Interessenkonflikten, insbesondere durch Einrichtung einer Stelle, die Interessenkonflikte aktiv aufdecken und ahnden soll. Beschleunigung der Umsetzung des Aktionsplans zur Durchführung der nationalen Antikorruptionsstrategie.

9. Kontinuierliche Risikoanalyse bei der Anwendung des Vergaberechts und entsprechende antizipative, ergebnisorientierte Ausrichtung der Präventiv- und Kontrollmaßnahmen. Stärkung der Kapazitäten der zuständigen Verwaltungsbehörden zur Durchführung von Ex-ante- und Ex-post-Kontrollen sowie der Kapazitäten der Infostelle, an die sich Vergabebehörden mit ihren Fragen wenden können. Alle Sanktionen einschließlich Disziplinarmaßnahmen, die wegen Verstößen gegen das Vergaberecht gegen Einzelpersonen verhängt werden, müssen vollständig vollstreckt werden, um ihre abschreckende Wirkung zu erhöhen.

10. Die Zusammenarbeit zwischen den Vergabebehörden muss dahingehend gefördert werden, dass Ausschreibungen zusammengelegt werden, um Größenvorteile zu erzielen und Fachkenntnisse zu bündeln. Das Personal der zuständigen Behörden muss besser geschult werden, um Interessenkonflikte sowie Unregelmäßigkeiten größeren Umfangs in der öffentlichen Auftragsvergabe zu erkennen und zu verhindern. Entwicklung und Anwendung bewährter Verfahren im Hinblick auf eine systematische Zusammenarbeit der zuständigen Verwaltungsbehörden mit den Justizbehörden.

[1] Entscheidung 2006/929/EG der Kommission vom 13. Dezember 2006 zur Einrichtung eines Verfahrens für die Zusammenarbeit und die Überprüfung der Fortschritte Bulgariens bei der Erfüllung bestimmter Vorgaben in den Bereichen Justizreform und Bekämpfung der Korruption und des organisierten Verbrechens (ABl. L 354 vom 14.12.2006, S. 58).

[2] Der Bericht stützt sich auf regelmäßige Informationen der bulgarischen Behörden und insbesondere ihre Antworten auf die ausführlichen Fragebögen der Kommission. Die Kommission hat ferner Sachverständige zu Rate gezogen und sich zusätzlich noch verschiedener anderer Quellen bedient. Das Begleitdokument enthält eine detaillierte Beurteilung der Fortschritte bei den einzelnen Vorgaben, die die Kommission in ihrer Entscheidung über das Kooperations- und Kontrollverfahren festgelegt hat.

[3] Bulgarien berichtet, dass in der Zentralverwaltung im Zeitraum August 2009 – Mai 2010 185 Hinweise auf der Grundlage des Gesetzes zur Prävention und Offenlegung von Interessenkonflikten registriert und 198 Inspektionen vorgenommen wurden. In 33 Fällen wurden Disziplinarmaßnahmen verhängt, und gegen 7 Personen wurde Strafantrag gestellt.

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