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Document 62017CN0600

Rechtssache C-600/17: Vorabentscheidungsersuchen des Giudice di pace di Roma (Italien), eingereicht am 16. Oktober 2017 — Pina Cipollone/Ministero della Giustizia

OJ C 437, 18.12.2017, p. 22–23 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

18.12.2017   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 437/22


Vorabentscheidungsersuchen des Giudice di pace di Roma (Italien), eingereicht am 16. Oktober 2017 — Pina Cipollone/Ministero della Giustizia

(Rechtssache C-600/17)

(2017/C 437/27)

Verfahrenssprache: Italienisch

Vorlegendes Gericht

Giudice di pace di Roma

Parteien des Ausgangsverfahrens

Klägerin: Pina Cipollone

Beklagter: Ministero della Giustizia

Vorlagefragen

1.

Fällt die Diensttätigkeit der antragstellenden Friedensrichterin unter den Begriff „befristet beschäftigter Arbeitnehmer“ nach Art. 1 Abs. 3 und Art. 7 der Richtlinie 2003/88 (1) in Verbindung mit Paragraf 2 der mit der Richtlinie 1999/70 (2) durchgeführten Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge und Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union?

2.

Bei Bejahung der Frage 1: Können ordentliche oder Berufsrichter für die Zwecke der Anwendung von Paragraf 4 der mit der Richtlinie 1999/70 durchgeführten Rahmenvereinbarung als dem befristet beschäftigten Arbeitnehmer „Friedensrichter“ vergleichbarere Dauerbeschäftigte angesehen werden?

3.

Bei Bejahung der Frage 2: Stellen die Unterschiede des Verfahrens zur Festanstellung ordentlicher Richter gegenüber den gesetzlich vorgesehenen Ausleseverfahren, die bei der befristeten Anstellung von Friedensrichtern zur Anwendung kommen, einen sachlichen Grund im Sinne von Paragraf 4 Abs. 1 und/oder 4 der mit der Richtlinie 1999/70/EG durchgeführten Rahmenvereinbarung dar, um die fehlende Anwendung — durch das „diritto vivente“ („lebendiges Recht“ — die Ansicht, die sich in der Rechtsprechung und Lehre in Bezug auf das Verständnis einer bestimmten Vorschrift herausgebildet hat) der Corte die Cassazione [Kassationsgerichtshof], Großer Senat, im Urteil Nr. 13721/2017 und des Consiglio di Stato [Staatsrat] in der Stellungnahme Nr. 464/2017 vom 8. April 2017 — der für vergleichbare dauerbeschäftigte ordentliche Richter geltenden Arbeitsbedingungen auf Friedensrichter, wie die antragstellende befristet beschäftigte Arbeitnehmerin, und die fehlende Anwendung von Vermeidungs- und Sanktionierungsmaßnahmen im Sinne von Paragraf 5 der mit der Richtlinie 1999/70/EG durchgeführten Rahmenvereinbarung gegen die missbräuchliche Anwendung von befristeten Verträgen und der innerstaatlichen Umsetzungsvorschrift zu rechtfertigen? Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass es in der italienischen Rechtsordnung an Vorschriften — auch mit Verfassungsrang — fehlt, die die Diskriminierung bei den Arbeitsbedingungen sowie das absolute Verbot einer Umwandlung in ein Dauerverhältnis bei den Dienstverhältnissen der Friedensrichter legitimieren könnte, dies auch im Licht der vorherigen innerstaatlichen Vorschrift (Gesetz Nr. 217/1974), die bereits die Angleichung der Arbeitsbedingungen und die Umwandlung der Arbeitsverhältnisse von ehrenamtlichen Richtern (konkret der vice pretori onorari [ehrenamtliche stellvertretende Bezirksrichter]) in unbefristete vorgesehen hatte.

4.

Steht es jedenfalls in einem Fall wie dem vorliegenden Art. 47 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und dem unionsrechtlichen Begriff des unabhängigen und unparteiischen Richters entgegen, dass ein Friedensrichter, der ein abstraktes Interesse an der Entscheidung des Rechtsstreits zugunsten der Antragstellerin hat, deren ausschließliche Arbeitstätigkeit in der Wahrnehmung derselben Rechtsprechungsaufgaben besteht, aufgrund der Weigerung des letztinstanzlichen Gerichts, der Corte di Cassazione [Kassationsgerichtshof], Großer Senat, den Schutz der gemeinschaftsrechtlich geforderten und gewährleisteten Rechte sicherzustellen, an die Stelle des in Italien für die Entscheidung von Arbeitsrechtsstreitigkeiten im Allgemeinen bzw. von Rechtsstreitigkeiten ordentlicher Richter zuständigen Gerichts treten kann, wodurch das eigentlich zuständige Gericht (das Tribunale del lavoro [Arbeitsgericht] oder das Tribunale amministrativo regionale [Regionalverwaltungsgericht]) verpflichtet ist, auf Antrag seine eigene Zuständigkeit bzw. Gerichtsbarkeit zu verneinen, obwohl dieses Recht — die im Antrag begehrte Urlaubsvergütung — seine Grundlage im Unionsrecht findet, das die Rechtsordnung des italienischen Staates bindet und ihr in der Anwendung vorgeht? Für den Fall, dass der Gerichtshof einen Verstoß gegen Art. 47 der Charta feststellt, wird ferner um Angabe der innerstaatlichen Maßnahmen ersucht, die zu ergreifen sind, um zu verhindern, dass der Verstoß gegen das Primärrecht der Union im vorliegenden Fall auch zu einer absoluten Verweigerung des Schutzes der unionsrechtlich geschützten Grundrechte im innerstaatlichen Recht führt.


(1)  Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. 2003, L 299, S. 9).

(2)  Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zu der EGB-UNICE-CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge (ABl. 1999, L 175, S. 43).


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