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Document 62014CJ0613

Urteil des Gerichtshofs (Dritte Kammer) vom 27. Oktober 2016.
James Elliott Construction Limited gegen Irish Asphalt Limited.
Vorabentscheidungsersuchen des Supreme Court (Irland).
Vorlage zur Vorabentscheidung – Art. 267 AEUV – Zuständigkeit des Gerichtshofs – Begriff ‚Bestimmung des Unionsrechts‘ – Richtlinie 89/106/EWG – Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über Bauprodukte – Vom Europäischen Komitee für Normung (CEN) gemäß einem Auftrag der Europäischen Kommission angenommene Norm – Veröffentlichung der Norm im Amtsblatt der Europäischen Union – Harmonisierte Norm EN 13242:2002 – Nationale Norm, die die harmonisierte Norm EN 13242:2002 umsetzt – Vertragsrechtliche Streitigkeit zwischen Privaten – Methode zur Feststellung der (Nicht-)Konformität eines Produkts mit einer nationalen Norm, die eine harmonisierte Norm umsetzt – Zeitpunkt der Feststellung der (Nicht‑)Konformität eines Produkts mit dieser Norm – Richtlinie 98/34/EG – Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften – Anwendungsbereich.
Rechtssache C-613/14.

Court reports – general

ECLI identifier: ECLI:EU:C:2016:821

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Dritte Kammer)

27. Oktober 2016 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung — Art. 267 AEUV — Zuständigkeit des Gerichtshofs — Begriff ‚Bestimmung des Unionsrechts‘ — Richtlinie 89/106/EWG — Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über Bauprodukte — Vom Europäischen Komitee für Normung (CEN) gemäß einem Auftrag der Europäischen Kommission angenommene Norm — Veröffentlichung der Norm im Amtsblatt der Europäischen Union — Harmonisierte Norm EN 13242:2002 — Nationale Norm, die die harmonisierte Norm EN 13242:2002 umsetzt — Vertragsrechtliche Streitigkeit zwischen Privaten — Methode zur Feststellung der (Nicht-)Konformität eines Produkts mit einer nationalen Norm, die eine harmonisierte Norm umsetzt — Zeitpunkt der Feststellung der (Nicht-)Konformität eines Produkts mit dieser Norm — Richtlinie 98/34/EG — Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften — Anwendungsbereich“

In der Rechtssache C‑613/14

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Supreme Court (Oberster Gerichtshof, Irland) mit Entscheidung vom 19. Dezember 2014, beim Gerichtshof eingegangen am 30. Dezember 2014, in dem Verfahren

James Elliott Construction Limited

gegen

Irish Asphalt Limited

erlässt

DER GERICHTSHOF (Dritte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten L. Bay Larsen sowie der Richter M. Vilaras, J. Malenovský, M. Safjan und D. Šváby (Berichterstatter)

Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,

Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 19. November 2015,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der James Elliott Construction Limited, vertreten durch E. Barrington, SC, C. Donnelly, BL, und B. Shipsey, SC, beauftragt von D. O’Donovan, Solicitor,

der Irish Asphalt Limited, vertreten durch T. Hogan, SC, D. Conlan Smyth, Barrister, und N. Buckley, BL, beauftragt von N. Mulherin, Solicitor,

Irlands, vertreten durch A. Joyce, L. Williams und J. Quaney als Bevollmächtigte im Beistand von B. Kennedy, SC, und G. Gilmore, Barrister,

der Europäischen Kommission, vertreten durch A. C. Becker, G. Braga da Cruz und G. Zavvos als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 28. Januar 2016

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 267 AEUV, Art. 4 der Richtlinie 89/106/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über Bauprodukte (ABl. 1989, L 40, S. 12) in der durch die Richtlinie 93/68/EWG des Rates vom 22. Juli 1993 (ABl. 1993, L 220, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 89/106), der Art. 1 und 8 der Richtlinie 98/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Juni 1998 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften und der Vorschriften für die Dienste der Informationsgesellschaft (ABl. 1998, L 204, S. 37) in der zuletzt durch die Richtlinie 2006/96/EG des Rates vom 20. November 2006 (ABl. 2006, L 363, S. 81) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 98/34) sowie der harmonisierten Norm EN 13242:2002 mit dem Titel „Gesteinskörnungen für ungebundene und hydraulisch gebundene Gemische für den Ingenieur- und Straßenbau“ (im Folgenden: harmonisierte Norm EN 13242:2002).

2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits über die Lieferung von Steinzuschlagsmaterial von der Irish Asphalt Limited an die James Elliott Construction Limited.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Richtlinie 89/106

3

Die Erwägungsgründe 1, 4, 6, 7, 11 und 12 der Richtlinie 89/106 lauten:

„Es obliegt den Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass auf ihrem Gebiet die Bauwerke des Hoch- und des Tiefbaus derart entworfen und ausgeführt werden, dass die Sicherheit der Menschen, der Haustiere und der Güter nicht gefährdet und andere wesentliche Anforderungen im Interesse des Allgemeinwohls beachtet werden.

Das vom Europäischen Rat im Juni 1985 gebilligte Weißbuch über die Vollendung des Binnenmarktes sieht in Paragraph 71 vor, diese allgemeine Politik branchenspezifisch zu akzentuieren und insbesondere auch im Bausektor durchzuführen. Die Beseitigung der technischen Hemmnisse auf diesem Sektor, sofern sie nicht durch die gegenseitige Anerkennung der Gleichwertigkeit zwischen allen Mitgliedstaaten abgebaut werden können, soll in Übereinstimmung mit der neuen Konzeption gemäß der Entschließung des Rates vom 7. Mai 1985 [ABl. 1985, C 136, S. 1] erfolgen, die die Festlegung wesentlicher Anforderungen an die Sicherheit oder an andere Belange im Interesse des Allgemeinwohls verlangt; das in den Mitgliedstaaten bereits bestehende und begründete Schutzniveau darf dabei nicht verringert werden.

Als Grundlage für die Erarbeitung harmonisierter Normen oder sonstiger technischer Spezifikationen auf Gemeinschaftsebene und für die Konzipierung und Erteilung europäischer technischer Zulassungen werden Grundlagendokumente erstellt, die diese Anforderungen auf der technischen Ebene konkretisieren.

Diese wesentlichen Anforderungen bilden die Grundlage für die Erstellung harmonisierter Normen für Bauprodukte auf europäischer Ebene. Um den größten Nutzen für einen einheitlichen Binnenmarkt zu verwirklichen, möglichst vielen Herstellern den Zugang zu diesem Markt zu eröffnen, eine größtmögliche Markttransparenz zu gewährleisten und die Voraussetzungen für ein harmonisiertes Gesamtregelwerk im Bauwesen zu schaffen, sollen so weit und so schnell wie möglich harmonisierte Normen geschaffen werden. Diese Normen werden von privaten Stellen ausgearbeitet und müssen ihren Charakter als unverbindliche Formulierungen beibehalten. Zu diesem Zweck werden das Europäische Komitee für Normung (CEN) und das Europäische Komitee für elektrische Normung (CENELEC) als die Stellen anerkannt, die für die Festlegung der harmonisierten Normen gemäß den am 13. November 1984 unterzeichneten allgemeinen Leitlinien für die Zusammenarbeit zwischen der Kommission und diesen beiden Stellen zuständig sind. Im Sinne der vorliegenden Richtlinie ist eine harmonisierte Norm eine technische Spezifikation (Europäische Norm oder Harmonisierungsdokument), die von einer der beiden oder von beiden vorgenannten Stellen im Auftrag der Kommission gemäß der Richtlinie 83/189/EWG des Rates vom 28. März 1983 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften [ABl. 1983, L 109, S. 8] festgelegt wurde.

Von der Brauchbarkeit eines Produktes ist auszugehen, wenn es mit einer harmonisierten Norm, mit einer europäischen technischen Zulassung oder einer auf Gemeinschaftsebene anerkannten nicht harmonisierten technischen Spezifikation übereinstimmt. Daneben kann in dem Fall, dass Produkte eine geringe Bedeutung im Hinblick auf die wesentlichen Anforderungen haben und von bestehenden technischen Spezifikationen abweichen, der Nachweis der Brauchbarkeit über eine Bescheinigung einer anerkannten Stelle geführt werden.

Produkte, die in diesem Sinne brauchbar sind, sind unmittelbar durch die CE-Kennzeichnung erkenntlich. Sie können im gesamten Gebiet der Gemeinschaft frei verkehren und für den vorgesehenen Zweck frei verwendet werden.“

4

Art. 2 Abs. 1 dieser Richtlinie bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten treffen alle erforderlichen Maßnahmen, damit die Produkte gemäß Artikel 1, die zur Verwendung in Bauwerken bestimmt sind, nur in Verkehr gebracht werden können, wenn sie brauchbar sind, d. h. solche Merkmale aufweisen, dass das Bauwerk, für das sie durch Einbau, Zusammenfügung, Anbringung oder Installierung verwendet werden sollen, bei ordnungsgemäßer Planung und Bauausführung die wesentlichen Anforderungen nach Artikel 3 erfüllen kann, wenn und wo für bestimmte Bauwerke Regelungen gelten, die entsprechende Anforderungen enthalten.“

5

Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie lautet:

„Die wesentlichen auf Bauwerke anwendbaren Anforderungen, die die technischen Merkmale eines Produkts beeinflussen können, sind in Form von einzelnen Vorgaben in Anhang 1 aufgeführt.

Von diesen Anforderungen können eine, mehrere oder alle berücksichtigt werden; sie sind während einer angemessenen Lebensdauer zu erfüllen.“

6

Art. 4 Abs. 1 und 2 der Richtlinie sieht vor:

„(1)   Normen und technische Zulassungen werden im Sinne dieser Richtlinie ‚technische Spezifikationen‘ genannt.

Im Sinne dieser Richtlinie sind unter harmonisierten Normen die technischen Spezifikationen zu verstehen, die vom CEN oder vom CENELEC oder von beiden gemeinsam im Auftrag der Kommission gemäß der Richtlinie 83/189 … nach Stellungnahme des in Artikel 19 vorgesehenen Ausschusses und aufgrund der am 13. November 1984 unterzeichneten allgemeinen Leitlinien für die Zusammenarbeit zwischen der Kommission und diesen beiden Stellen genehmigt wurden.

(2)   Die Mitgliedstaaten gehen von der Brauchbarkeit der [Bauprodukte] aus, die so beschaffen sind, dass die Bauwerke, für die sie verwendet werden, bei ordnungsgemäßer Planung und Bauausführung den wesentlichen Anforderungen nach Artikel 3 entsprechen, wenn diese Produkte die CE-Kennzeichnung tragen, aus der hervorgeht, dass sie sämtlichen Bestimmungen dieser Richtlinie einschließlich der Verfahren für die Konformitätsbewertung gemäß Kapitel V und dem in Kapitel III festgelegten Verfahren entsprechen. Die CE-Kennzeichnung besagt,

a)

dass sie mit den entsprechenden nationalen Normen übereinstimmen, in die die harmonisierten Normen umgesetzt worden sind und deren Fundstellen im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlicht worden sind. Die Mitgliedstaaten veröffentlichen die Fundstellen dieser einzelstaatlichen Normen;

b)

dass sie mit einer europäischen technischen Zulassung übereinstimmen, die nach dem Verfahren des Kapitels III ausgestellt wurde; oder

c)

dass sie den nationalen technischen Spezifikationen gemäß Absatz 3 entsprechen, soweit keine harmonisierten Spezifikationen vorliegen; ein Verzeichnis dieser nationalen Spezifikationen ist nach dem Verfahren des Artikels 5 Absatz 2 zu erstellen.“

7

Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 89/106 bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten dürfen den freien Verkehr, das Inverkehrbringen und die Verwendung von Produkten, die dieser Richtlinie entsprechen, auf ihrem Gebiet nicht behindern.

Die Mitgliedstaaten tragen dafür Sorge, dass die zweckentsprechende Verwendung dieser Produkte nicht durch Vorschriften oder Bedingungen behindert wird, die von öffentlichen oder privaten Stellen festgelegt werden, die als öffentliches Unternehmen oder als öffentliche Einrichtung aufgrund einer Monopolstellung handeln.“

8

Art. 7 der Richtlinie sieht vor:

„(1)   Um die Qualität der harmonisierten Normen für [Bauprodukte] sicherzustellen, sind die Normen von den europäischen Normenorganisationen auf der Grundlage von Mandaten zu erstellen, die die Kommission ihnen … erteilt.

(2)   Die zu erstellenden Dokumente berücksichtigen die Grundlagendokumente und sind soweit wie möglich in Form von Leistungsanforderungen an die [Bauprodukte] abzufassen.

(3)   Nach Erstellung der Normen durch die europäischen Normenorganisationen veröffentlicht die Kommission die Normen durch Angabe der Fundstellen in der Ausgabe C des Amtsblattes der Europäischen Gemeinschaften.“

9

Die Richtlinie 89/106 wurde gemäß Art. 65 der Verordnung (EU) Nr. 305/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2011 zur Festlegung harmonisierter Bedingungen für die Vermarktung von Bauprodukten und zur Aufhebung der Richtlinie 89/106 (ABl. 2011, L 88, S. 5) aufgehoben. Die Ausgangsrechtssache fällt jedoch nicht in den zeitlichen Anwendungsbereich dieser Verordnung.

Richtlinie 98/34

10

Art. 1 Nrn. 3, 4 und 11 der Richtlinie 98/34, die die Richtlinie 83/189 ersetzt hat, bestimmt:

„Für diese Richtlinie gelten folgende Begriffsbestimmungen:

3.

‚technische Spezifikation‘ Spezifikation, die in einem Schriftstück enthalten ist, das Merkmale für ein Erzeugnis vorschreibt, wie Qualitätsstufen, Gebrauchstauglichkeit, Sicherheit oder Abmessungen, einschließlich der Vorschriften über Verkaufsbezeichnung, Terminologie, Symbole, Prüfungen und Prüfverfahren, Verpackung, Kennzeichnung und Beschriftung des Erzeugnisses sowie über Konformitätsbewertungsverfahren.

4.

‚sonstige Vorschrift‘ eine Vorschrift für ein Erzeugnis, die keine technische Spezifikation ist und insbesondere zum Schutz der Verbraucher oder der Umwelt erlassen wird und den Lebenszyklus des Erzeugnisses nach dem Inverkehrbringen betrifft, wie Vorschriften für Gebrauch, Wiederverwertung, Wiederverwendung oder Beseitigung, sofern diese Vorschriften die Zusammensetzung oder die Art des Erzeugnisses oder seine Vermarktung wesentlich beeinflussen können;

11.

‚Technische Vorschrift‘: [t]echnische Spezifikationen oder sonstige Vorschriften oder Vorschriften betreffend Dienste, einschließlich der einschlägigen Verwaltungsvorschriften, deren Beachtung rechtlich oder de facto für das Inverkehrbringen, die Erbringung des Dienstes, die Niederlassung eines Erbringers von Diensten oder die Verwendung in einem Mitgliedstaat oder in einem großen Teil dieses Staates verbindlich ist, sowie – vorbehaltlich der in Artikel 10 genannten Bestimmungen – die Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, mit denen Herstellung, Einfuhr, Inverkehrbringen oder Verwendung eines Erzeugnisses oder Erbringung oder Nutzung eines Dienstes oder die Niederlassung als Erbringer von Diensten verboten werden.

Technische De-facto-Vorschriften sind insbesondere:

die Rechts- oder Verwaltungsvorschriften eines Mitgliedstaats, in denen entweder auf technische Spezifikationen oder sonstige Vorschriften oder auf Vorschriften betreffend Dienste oder auf Berufskodizes oder Verhaltenskodizes, die ihrerseits einen Verweis auf technische Spezifikationen oder sonstige Vorschriften oder auf Vorschriften betreffend Dienste enthalten, verwiesen wird und deren Einhaltung eine Konformität mit den durch die genannten Rechts- oder Verwaltungsvorschriften festgelegten Bestimmungen vermuten lässt;

die freiwilligen Vereinbarungen, bei denen der Staat Vertragspartei ist und die im öffentlichen Interesse die Einhaltung von technischen Spezifikationen oder sonstigen Vorschriften oder von Vorschriften betreffend Dienste mit Ausnahme der Vergabevorschriften im öffentlichen Beschaffungswesen bezwecken;

die technischen Spezifikationen oder sonstigen Vorschriften oder die Vorschriften betreffend Dienste, die mit steuerlichen oder finanziellen Maßnahmen verbunden sind, die auf den Verbrauch der Erzeugnisse oder die Inanspruchnahme der Dienste Einfluss haben, indem sie die Einhaltung dieser technischen Spezifikationen oder sonstigen Vorschriften oder Vorschriften betreffend Dienste fördern; dies gilt nicht für technische Spezifikationen oder sonstige Vorschriften oder Vorschriften betreffend Dienste, die die nationalen Systeme der sozialen Sicherheit betreffen.“

11

Art. 8 Abs. 1 und 3 dieser Richtlinie sieht vor:

„(1)   Vorbehaltlich des Artikels 10 übermitteln die Mitgliedstaaten der Kommission unverzüglich jeden Entwurf einer technischen Vorschrift, sofern es sich nicht um eine vollständige Übertragung einer internationalen oder europäischen Norm handelt; in diesem Fall reicht die Mitteilung aus, um welche Norm es sich handelt. Sie unterrichten die Kommission gleichzeitig in einer Mitteilung über die Gründe, die die Festlegung einer derartigen technischen Vorschrift erforderlich machen, es sei denn, die Gründe gehen bereits aus dem Entwurf hervor.

Die Mitgliedstaaten machen eine weitere Mitteilung in der vorgenannten Art und Weise, wenn sie an dem Entwurf einer technischen Vorschrift wesentliche Änderungen vornehmen, die den Anwendungsbereich ändern, den ursprünglichen Zeitpunkt für die Anwendung vorverlegen, Spezifikationen oder Vorschriften hinzufügen oder verschärfen.

(3)   Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission unverzüglich den endgültigen Wortlaut einer technischen Vorschrift mit.“

Norm EN 13242:2002

12

Die Norm EN 13242:2002 wurde aufgrund eines gemäß der Richtlinie 89/106 erteilten Auftrags der Kommission vom 6. Juli 1998 (M 125 – Auftrag an CEN/CENELEC über harmonisierte Normen für Zuschlagstoffe für bestimmte Verwendungszwecke, im Folgenden: Auftrag M 125) vom Technischen Komitee CEN/TC 154 „Gesteinskörnungen“ ausgearbeitet und vom CEN am 23. September 2002 angenommen.

– Auftrag M 125

13

In den einleitenden Bemerkungen des Auftrags M 125 heißt es:

„… Da durch die Richtlinie unter anderem Handelshemmnisse im Baubereich beseitigt werden sollen, soweit diese nicht durch gegenseitige Anerkennung zwischen den Mitgliedstaaten beseitigt werden können, erscheint es angebracht, dass sich Normungsaufträge zumindest während einer ersten Phase des Auftragsprogramms auch auf Bauprodukte erstrecken, für die wahrscheinlich Handelshemmnisse bestehen.

Dieser Auftrag soll Bestimmungen für die Ausarbeitung und die Qualität von harmonisierten europäischen Normen festlegen, um einerseits die ‚Angleichung‘ der einzelstaatlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften (im Folgenden als ‚Regelungen‘ bezeichnet) zu ermöglichen und zum anderen die Möglichkeit zu bieten, bei Produkten, die diesen Regelungen entsprechen, ihre Eignung für den vorgesehenen Verwendungszweck gemäß der Definition in der Richtlinie zu vermuten.“

14

In Kapitel II („Auftragsausführung“) heißt es:

„1.

CEN/CENELEC hat der Kommission spätestens drei Monate nach Genehmigung durch den Ausschuss [83/189] ein detailliertes Arbeitsprogramm vorzulegen.

5.

Vorschläge zur Aufnahme von Produkten, vorgesehenen Verwendungszwecken sowie Materialien und Formen, die nicht Teil des Auftrags sind, aber vom TC für bedeutend erachtet werden, sollten zwecks weiterer Auswertung durch die Dienststellen der Kommission getrennt vom Arbeitsprogramm vorgelegt werden. Normen, die für Produkte aufgestellt wurden, die nicht unter diesen Auftrag fallen, erlangen nicht den Status harmonisierter Normen. Neben den Bestimmungen von Artikel 4 Absatz 1 der … Richtlinie [98/34] ist zu berücksichtigen, dass für alle Produkte, die unter den Auftrag fallen, ein System der Konformitätsbescheinigung gemäß der betreffenden Entscheidung der Kommission besteht; bei Produkten, die nicht unter den Auftrag fallen, besteht ein solches System nicht.

6.

Vorschläge zur Aufnahme von Merkmalen und Dauerhaftigkeitsaspekten, die nicht Teil des Auftrags sind, aber vom TC für bedeutend erachtet werden, sollten zwecks weiterer Auswertung durch die Dienststellen der Kommission in einem gesonderten Kapitel des Arbeitsprogramms unterbreitet werden.

8.

CEN bzw. die TCs müssen eine technische Antwort für die Festlegung der Merkmale des Auftrags unter Berücksichtigung der nachstehend angegebenen Bedingungen geben; vorgeschlagene Prüfverfahren müssen sich direkt auf das jeweils geforderte Merkmal beziehen und dürfen nicht auf die Festlegung von Verfahren für Merkmale, die nicht im Auftrag gefordert werden, Bezug nehmen. Anforderungen an die Dauerhaftigkeit sollten im Rahmen des derzeitigen Stands der Technik aufgestellt werden.

9.

Verweise auf Prüf-/Rechenverfahren müssen mit der angestrebten Harmonisierung übereinstimmen. Im Allgemeinen sollte bei einem bestimmten Produkt oder einer Produktfamilie nur auf ein Verfahren für die Festlegung jedes Merkmals Bezug genommen werden.

Soll jedoch bei einem Produkt oder einer Produktfamilie aus berechtigten Gründen zur Festlegung ein und desselben Merkmals auf mehr als ein Verfahren Bezug genommen werden, ist dies zu begründen. In diesem Fall sollten alle Verfahren, auf die Bezug genommen wird, durch die Konjunktion ‚oder‘ verbunden und eine Anwendungsangabe gemacht werden.

In allen anderen Fällen können zwei oder mehr Prüf-/Rechenverfahren zur Festlegung eines Merkmals nur angenommen werden, wenn zwischen ihnen eine Korrelation besteht oder aufgestellt werden kann. Die betreffende harmonisierte Produktnorm muss dann eines der Verfahren als Bezugsverfahren auswählen.

Prüf- und/oder Rechenverfahren müssen möglichst horizontalen Charakter haben und für die größtmögliche Bandbreite von Produkten gelten.

12.

Die im Rahmen des Auftrags durchzuführenden Aufgaben können bei Bedarf geändert oder ergänzt werden. Die Annahme des Arbeitsprogramms durch die Dienststellen der Kommission ist nicht gleichbedeutend mit der Annahme aller als grundlegende Normen aufgeführten WIs. Die TCs müssen die direkte Verbindung zwischen den WIs und der Notwendigkeit der Harmonisierung der im Auftrag angegebenen Produkte, vorgesehenen Verwendungszwecke und Merkmale nachweisen. Die Annahme schließt auch nicht die Möglichkeit der Aufnahme weiterer WIs durch CEN aus, um die Bedingungen des Auftrags vollständig zu erfüllen.

15.

CEN/CENELEC unterrichtet die Kommission unverzüglich von allen Problemen, die sich im Zusammenhang mit der Auftragsausführung ergeben, und legt jährlich einen Bericht über den Stand der Auftragsarbeiten vor.

16.

Dieser Bericht hat eine Beschreibung der durchgeführten Arbeiten und Angaben über alle entstandenen Schwierigkeiten politischer oder technischer Art zu enthalten, insbesondere über solche, welche die Behörden eines Mitgliedstaates veranlassen könnten, Einwände zu erheben oder sich auf Artikel 5 Absatz 1 der Richtlinie [98/34] zu berufen.

17.

Dem Bericht sind die letzten Entwürfe aller im Rahmen des Auftrags erarbeiteten Normen beizufügen sowie ein aktualisierter Bericht über alle weitervergebenen Arbeiten.

19.

Die Annahme dieses Auftrags durch CEN/CENELEC kann erst nach Bestätigung des Arbeitsprogramms durch die Dienststellen der Kommission erfolgen.

21.

CEN/CENELEC legt den Dienststellen der Kommission spätestens nach dem zwischen CEN/CENELEC und der Kommission vereinbarten und in Abschnitt II.2.d angegebenen Zeitplan die Schluss-Entwürfe der harmonisierten Europäischen Normen und der betreffenden grundlegenden Normen zur Bestätigung ihrer auftragsgerechten Ausführung vor.“

15

In Kapitel III („Harmonisierte Normen“) des Auftrags heißt es:

„1.

Harmonisierte Normen sind so auszuarbeiten, dass die in den Anhängen 1 und 2 aufgeführten Produkte die wesentlichen Anforderungen erfüllen können. Da durch die Richtlinie unter anderem Handelshemmnisse beseitigt werden sollen, sind die entsprechenden Normen unter Berücksichtigung der Grundlagendokumente soweit wie möglich in Form von Leistungsanforderungen an die Produkte (Artikel 7 Absatz 2 der Richtlinie) abzufassen.

2.

Die harmonisierte Norm muss aufweisen:

die Verfahren (Rechen-, Prüf- und sonstige Verfahren) oder einen Hinweis auf eine Norm, in der die Verfahren zur Bestimmung dieser Merkmale aufgeführt sind;

…“

16

Die Anhänge 1 bis 3 des Auftrags M 125 enthalten nähere Angaben zum Anwendungsbereich des Auftrags, zu seinen technischen Vorgaben sowie zu seinen Anforderungen in Bezug auf die Konformitätsbescheinigung.

– Harmonisierte Norm EN 13242:2002

17

Nach Abschnitt 1 Abs. 2 der harmonisierten Norm EN 13242:2002 „enthält [diese] Festlegungen für die Bewertung der Konformität von Produkten nach dieser [harmonisierten] Norm“.

18

Ihr Abschnitt 6 („Chemische Anforderungen“) sieht vor:

„6.1 Allgemeines

Welche der in diesem Abschnitt festgelegten Eigenschaften im Einzelnen zu prüfen und anzugeben sind, hängt von der Herkunft der Gesteinskörnung und dem jeweiligen Verwendungszweck ab. Falls gefordert, sind die zur Bestimmung der entsprechenden chemischen Eigenschaften in Abschnitt 6 festgelegten Prüfungen durchzuführen.

6.3. Gesamtschwefelgehalt

Falls gefordert, muss der nach [Abschnitt 11 der vom CEN ohne Auftrag der Kommission und außerhalb des Verfahrens gemäß Art. 7 der Richtlinie angenommenen] EN 1744-1:1998 bestimmte Gesamtschwefelgehalt in Übereinstimmung mit der entsprechenden Kategorie von Tabelle 13 [(‚Kategorien für die Höchstwerte des Gesamtschwefelgehaltes‘)] angegeben werden

Image

…“

19

In „Anhang ZA (informativ) – Abschnitte in dieser Europäischen Norm, die grundlegende Anforderungen oder andere Vorgaben von EU-Richtlinien betreffen“ dieser harmonisierten Norm heißt es u. a., dass „[d]ie in diesem Anhang aufgeführten Abschnitte [der] Europäischen Norm [EN 13242:2002] die Anforderungen des Mandats [erfüllen], das auf der Grundlage der [Richtlinie 89/106] erteilt wurde“, und dass „[d]ie Übereinstimmung mit diesen Abschnitten … zur Vermutung [berechtigt], dass die von diesem Anhang abgedeckten Gesteinskörnungen für ungebundene und hydraulisch gebundene Gemische für die vorgesehenen Verwendungszwecke geeignet ist“.

20

Die Fundstellen der harmonisierten Norm EN 13242:2002 wurden im Amtsblatt der Europäischen Union vom 27. März 2003 veröffentlicht (ABl. 2003, C 75, S. 8).

Irisches Recht

Gesetz über den Verkauf von Waren und die Erbringung von Dienstleistungen

21

Durch Section 10 des Sale of Goods and Supply of Services Act 1980 (Gesetz über den Verkauf von Waren und die Erbringung von Dienstleistungen von 1980, im Folgenden: Gesetz von 1980) wurde folgende neue Section 14 in den Sale of Goods Act 1893 (Gesetz über den Verkauf von Waren von 1893) eingeführt:

„(1)   Unbeschadet der Bestimmungen dieses Gesetzes und sonstiger entsprechender Rechts- und Verwaltungsvorschriften gelten für Waren, die im Rahmen eines Kaufvertrags geliefert werden, keine impliziten Bedingungen oder Garantien im Hinblick auf ihre Beschaffenheit oder ihre Eignung für einen bestimmten Zweck.

(2)   Verkauft der Verkäufer Waren im Rahmen seiner Geschäftstätigkeit, so gilt die implizite Bedingung, dass die nach dem Vertrag zu liefernden Waren von handelsüblicher Beschaffenheit sind, es sei denn,

a)

der Käufer wurde bereits vor Vertragsschluss konkret auf bestehende Mängel hingewiesen oder

b)

der Käufer prüft die Waren bereits vor Vertragsschluss, und es handelt sich um Mängel, die bei dieser Prüfung hätten entdeckt werden müssen.

(3)   Waren sind von handelsüblicher Beschaffenheit, wenn sie sich für den Zweck oder die Zwecke eignen, für die Waren dieser Art üblicherweise erworben werden, und so haltbar sind, wie unter Berücksichtigung der ihnen beigefügten Beschreibung, des Preises (sofern von Bedeutung) und der sonstigen relevanten Umstände vernünftigerweise erwartet werden kann; in diesem Gesetz ist der Begriff der Waren von nicht handelsüblicher Beschaffenheit entsprechend auszulegen.

(4)   Verkauft der Verkäufer Waren im Rahmen seiner Geschäftstätigkeit und lässt ihn der Käufer ausdrücklich oder implizit wissen, für welchen konkreten Zweck er die Waren erwirbt, so gilt die implizite Bedingung, dass die gemäß dem Vertrag zu liefernden Waren für diesen Zweck hinreichend geeignet sein müssen, unabhängig davon, ob diese Waren üblicherweise für diesen Zweck verwendet werden, es sei denn, aus den Umständen ergibt sich, dass der Käufer sich nicht auf die Kenntnisse oder das Urteil des Verkäufers verlassen hat oder es aus seiner Sicht unvernünftig gewesen wäre, sich darauf zu verlassen.

…“

Norm I.S. EN 13242:2002

22

Die Norm EN 13242:2002 wurde durch die National Standard Authority of Ireland (irische Normungsbehörde) mit der Norm I.S. EN 13242:2002 in Irland umgesetzt.

Sachverhalt des Ausgangsrechtsstreits und Vorlagefragen

23

Im Rahmen des Baus des Jugendzentrums Ballymun in Dublin (Irland) durch James Elliott Construction sahen die vorgegebenen Spezifikationen u. a. vor, dass die inneren Böden des Gebäudes auf 225 Millimeter „sogfältig verdichtetem Hartgesteinschotter Clause 804 gemäß der Spezifikation des DOE [Department of Enterprise]“ gelegt werden sollten. Irish Asphalt lieferte zu diesem Zweck als „Hartgestein Clause 804“ bezeichnetes Material an James Elliott Construction.

24

Nach Fertigstellung der Arbeiten entstanden Risse in den Wänden und Böden, die das Gebäude unbenutzbar machten. James Elliott Construction übernahm die Haftung hierfür und führte Mängelbeseitigungen im Umfang von 1,5 Mio. Euro durch.

25

Am 13. Juni 2008 erhob James Elliott Construction eine Schadensersatzklage gegen Irish Asphalt mit der Begründung, dass die fraglichen Mängel darauf zurückzuführen seien, dass in dem von Irish Asphalt gelieferten Zuschlagstoff Clause 804 Pyrit enthalten gewesen sei.

26

In seinem Urteil vom 25. Mai 2011 gelangte der High Court (Hoher Gerichtshof, Irland) zu dem Schluss, dass die Schäden im Beton auf das Vorhandensein von Pyrit in den von Irish Asphalt an James Elliott Construction gelieferten Zuschlagstoffen zurückzuführen seien. Insoweit stellte er fest, dass Untersuchungen von Proben des Zuschlagstoffs aus dem Gebäude gezeigt hätten, dass dieser insbesondere in Bezug auf seinen Schwefelgehalt nicht der irischen Norm I.S. EN 13242:2002 entspreche, durch die die europäische Norm EN 13242:2002 umgesetzt worden sei.

27

Der High Court (Hoher Gerichtshof) entschied daher, dass Irish Asphalt ihre vertraglichen Verpflichtungen verletzt habe, denen zufolge sie gemäß Section 14(2) des Gesetzes über den Verkauf von Waren „zur Verwendung geeigneten“ Zuschlagstoff „von handelsüblicher Beschaffenheit“ hätte liefern müssen.

28

Irish Asphalt legte gegen dieses Urteil Rechtsmittel beim Supreme Court (Oberster Gerichtshof, Irland) ein.

29

Am 2. Dezember 2014 erging ein Urteil des Supreme Court (Oberster Gerichtshof), mit dem allein über die unter das nationale Recht fallenden Fragen entschieden und das eingelegte Rechtsmittel vorbehaltlich der in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fallenden Fragen zurückgewiesen wurde.

30

Das vorlegende Gericht stellt sich insoweit erstens die Frage nach der Rechtsnatur der harmonisierten europäischen Normen für Bauprodukte sowie deren Relevanz in den Vertragsbeziehungen zwischen zwei privaten Vertragsparteien, wenn in einem Warenlieferungsvertrag auf eine in Umsetzung einer harmonisierten Norm angenommene nationale Norm verwiesen wird, zweitens die Frage nach der Auslegung der europäischen Norm EN 13242:2002 hinsichtlich ihrer Tragweite und ihres Inhalts, insbesondere was die durch die Beachtung dieser Norm begründeten Vermutungen und die Regeln zu deren Widerlegung betrifft, und drittens die Frage nach dem Zusammenhang zwischen den die Existenz bestimmter stillschweigender Vertragsklauseln implizierenden Bestimmungen des nationalen Rechts und der den Mitgliedstaaten nach der Richtlinie 98/34 auferlegten Mitteilungspflicht.

31

Unter diesen Umständen hat der Supreme Court (Oberster Gerichtshof) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

a)

Ist in einem Fall, in dem eine Partei nach dem Wortlaut eines privatrechtlichen Vertrags verpflichtet ist, ein Produkt zu liefern, das im Einklang mit einer nationalen Norm hergestellt wurde, die ihrerseits in Umsetzung einer europäischen Norm angenommen wurde, die aufgrund eines Auftrags der Europäischen Kommission nach der Richtlinie 89/106 ausgearbeitet wurde, die Auslegung dieser Norm eine Frage, zu der der Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 AEUV um Vorabentscheidung ersucht werden kann?

b)

Falls Frage 1 a bejaht wird: Schreibt die Norm EN 13242:2002 vor, dass ihre Einhaltung oder Nichteinhaltung nur durch Prüfungen im Einklang mit den vom CEN angenommenen (nicht in Auftrag gegebenen) Normen, auf die in der Norm EN 13242:2002 Bezug genommen wird, und nur durch Prüfungen zum Zeitpunkt der Herstellung und/oder der Lieferung des Produkts nachgewiesen werden kann, oder kann die Nichteinhaltung der Norm (und dementsprechend die Vertragsverletzung) auch durch Prüfungen nachgewiesen werden, die später durchgeführt werden, falls die Ergebnisse dieser Prüfungen logisch schlüssig belegen, dass die Norm nicht eingehalten wurde?

2.

Ist ein nationales Gericht, das mit einer privatrechtlichen Klage wegen Vertragsverletzung in Bezug auf ein Produkt befasst ist, das entsprechend einer im Auftrag der Kommission nach der Richtlinie 89/106 ausgearbeiteten europäischen Norm hergestellt worden ist, verpflichtet, nationale Rechtsvorschriften, die Bedingungen betreffend die Handelsüblichkeit und die Zwecktauglichkeit oder Qualität enthalten, nicht anzuwenden, weil entweder der Wortlaut der Rechtsvorschriften oder ihre Anwendung Normen oder technische Spezifikationen oder Vorschriften schaffen würden, die nicht gemäß den Bestimmungen der Richtlinie 98/34 notifiziert worden sind?

3.

Ist ein nationales Gericht, das mit einer Klage wegen Verletzung eines privatrechtlichen Vertrags befasst ist, die sich aus der Nichterfüllung einer (kraft Gesetzes in einem Vertrag zwischen den Parteien geltenden und von ihnen nicht geänderten oder ausgeschlossenen) Bedingung im Hinblick auf die Handelsüblichkeit oder die Brauchbarkeit eines im Einklang mit der Norm EN 13242:2002 hergestellten Produkts ergeben soll, verpflichtet, von der Vermutung auszugehen, dass das Produkt von handelsüblicher Beschaffenheit und brauchbar ist, und, falls ja, kann diese Vermutung nur durch den Nachweis der Nichteinhaltung der Norm EN 13242:2002 mittels Prüfungen widerlegt werden, die im Einklang mit den Prüfverfahren, auf die in der Norm EN 13242:2002 verwiesen wird, und zum Zeitpunkt der Lieferung des Produkts durchgeführt worden sind?

4.

Für den Fall, dass die Fragen 1 a und 3 zu bejahen sind: Ist von oder nach der Norm EN 13242:2002 ein maximaler Schwefelgehalt für Zuschlagstoffe vorgeschrieben, so dass die Einhaltung dieses Grenzwerts Voraussetzung u. a. dafür wäre, dass die Vermutung der Handelsüblichkeit oder der Brauchbarkeit besteht?

5.

Für den Fall, dass die Fragen 1 a und 3 zu bejahen sind: Setzt die Berufung auf die durch den Anhang ZA zur Norm EN 13242:2002 bzw. durch Art. 4 der Richtlinie 89/106 begründete Vermutung den Nachweis voraus, dass das Produkt mit der CE-Kennzeichnung versehen war?

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten Frage, Buchst. a, betreffend die Zuständigkeit des Gerichtshofs

32

Mit seiner ersten Frage, Buchst. a, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 267 AEUV dahin auszulegen ist, dass der Gerichtshof in einem Fall, in dem ein nationales Gericht mit einem Rechtsstreit über einen privatrechtlichen Vertrag befasst ist, nach dem eine Partei verpflichtet ist, ein Produkt zu liefern, das mit einer nationalen Norm in Einklang steht, durch die eine harmonisierte Norm im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 89/106 umgesetzt wurde, deren Fundstellen von der Kommission in der Ausgabe C des Amtsblatts der Europäischen Union veröffentlicht wurden, zuständig ist, diese Norm im Wege der Vorabentscheidung auszulegen.

33

Vorab ist zum einen festzustellen, dass nach der Vorlageentscheidung die im Ausgangsverfahren in Rede stehende technische Norm I.S. EN 13242:2002 die Umsetzung der harmonisierten Norm EN 13242:2002 durch die irische Normierungsbehörde in irisches Recht darstellt. Die Deutung der erstgenannten Norm hängt daher unmittelbar von der Auslegung der zweitgenannten ab.

34

Zum anderen ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof nach der Rechtsprechung für die Auslegung von Handlungen zuständig ist, die, obwohl sie nicht von Einrichtungen vorgenommen wurden, die als „Organe, Einrichtungen oder sonstige Stellen der Union“ eingestuft werden können, den Charakter von Maßnahmen zur Durchführung oder Anwendung eines Rechtsakts der Union hatten (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 20. September 1990, Sevince, C‑192/89, EU:C:1990:322, Rn. 10, und vom 21. Januar 1993, Deutsche Shell, C‑188/91, EU:C:1993:24, Rn. 17); diese Lösung ist durch den Gegenstand selbst von Art. 267 AEUV gerechtfertigt, der die einheitliche Anwendung aller zur Unionsrechtsordnung gehörenden Bestimmungen innerhalb der Union sichern und damit verhindern soll, dass diese Bestimmungen je nach der Auslegung, die ihnen in den verschiedenen Mitgliedstaaten gegeben wird, unterschiedliche Rechtswirkungen entfalten (Urteil vom 20. September 1990, Sevince, C‑192/89, EU:C:1990:322, Rn. 11).

35

Darüber hinaus hat der Gerichtshof ebenfalls klargestellt, dass der nicht bindende Charakter einer unionsrechtlichen Handlung einer Entscheidung des Gerichtshofs über die Auslegung dieser Handlung im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens nach Art. 267 AEUV nicht entgegensteht (Urteil vom 21. Januar 1993, Deutsche Shell, C‑188/91, EU:C:1993:24, Rn. 18).

36

Was konkret eine harmonisierte Norm wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende betrifft, ist festzustellen, dass Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 89/106 die harmonisierten Normen als technische Spezifikationen definiert, die vom CEN oder vom CENELEC oder von beiden gemeinsam im Auftrag der Kommission gemäß der Richtlinie 83/189 genehmigt wurden. Wie sich aus dem sechsten und dem siebten Erwägungsgrund dieser Richtlinie ergibt, stellen sie die Konkretisierung der in Anhang I der Richtlinie festgelegten wesentlichen Anforderungen auf technischer Ebene dar.

37

Nach Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 89/106 werden die Fundstellen der von den europäischen Normenorganisationen erstellten Normen anschließend von der Kommission in der Ausgabe C des Amtsblatts der Europäischen Union veröffentlicht.

38

Gemäß Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 89/106 in Verbindung mit deren elftem Erwägungsgrund hat diese Veröffentlichung zur Folge, dass zugunsten der Erzeugnisse, die von dieser Richtlinie erfasst werden und die technischen Anforderungen erfüllen, die in den harmonisierten Normen für diese Erzeugnisse festgelegt sind, vermutet wird, dass sie mit den wesentlichen Anforderungen dieser Richtlinie übereinstimmen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Oktober 2010, Latchways und Eurosafe Solutions, C‑185/08, EU:C:2010:619, Rn. 31), so dass die CE-Kennzeichnung auf ihnen angebracht werden kann.

39

Diese Vermutung der Konformität mit den wesentlichen Anforderungen der Richtlinie 89/106 sowie die CE-Kennzeichnung ermöglichen es dem betreffenden Produkt nach Art. 6 Abs. 1 und im Licht des zwölften Erwägungsgrundes dieser Richtlinie, im Gebiet aller Mitgliedstaaten der Union frei zu verkehren, in Verkehr gebracht und verwendet zu werden.

40

Nach alledem ist eine harmonisierte Norm wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die auf der Grundlage der Richtlinie 89/106 angenommen wurde und deren Fundstellen im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht wurden, Teil des Unionsrechts, da durch Bezugnahme auf die Bestimmungen einer solchen Norm festgestellt wird, ob die in Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 89/106 aufgestellte Vermutung auf ein bestimmtes Produkt anwendbar ist.

41

Entspricht nämlich ein Produkt den von einer solchen Norm festgelegten technischen Anforderungen, kann vermutet werden, dass dieses Produkt den wesentlichen Anforderungen der Richtlinie 89/106 entspricht. Folglich sind der freie Verkehr, das Inverkehrbringen und die Verwendung dieses Produkts im Gebiet aller Mitgliedstaaten der Union zulässig, so dass die Mitgliedstaaten gemäß Art. 6 Abs. 1 dieser Richtlinie insbesondere keine zusätzlichen Anforderungen für den wirksamen Marktzugang und die Verwendung dieser Produkte in ihrem Gebiet stellen dürfen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. Oktober 2014, Kommission/Deutschland, C‑100/13, EU:C:2014:2293, Rn. 55, 56 und 63).

42

Auch dass die Konformität eines Bauprodukts mit den wesentlichen Anforderungen der Richtlinie 89/106 gegebenenfalls mit anderen Mitteln dargetan werden kann als durch den Nachweis der Konformität mit harmonisierten Normen, kann die mit einer harmonisierten Norm verbundenen Rechtswirkungen nicht in Frage stellen.

43

Im Übrigen ist festzustellen, dass mit der Ausarbeitung einer solchen harmonisierten Norm zwar eine privatrechtliche Einrichtung betraut wird, dass diese Norm aber gleichwohl eine notwendige und durch die in dieser Richtlinie definierten wesentlichen Anforderungen streng geregelte Durchführungsmaßnahme darstellt, die auf Initiative und unter der Leitung und Aufsicht der Kommission erstellt wird und die Rechtswirkungen nur entfaltet, wenn die Kommission deren Fundstellen zuvor in der Ausgabe C des Amtsblatts der Europäischen Union veröffentlicht.

44

Im vorliegenden Fall wurde die Norm EN 13242:2002 im Rahmen des Auftrags M 125 ausgearbeitet, den die Kommission CEN auf der Grundlage von Art. 7 der Richtlinie 89/106 erteilt hat und der in Kapitel II Abschnitt 8 vorsieht, dass die Europäischen Komitees für Normung eine technische Antwort für die Festlegung der Merkmale des Auftrags unter Berücksichtigung der darin angegebenen Bedingungen geben müssen. Zu diesem Zweck hat die Kommission in den Anhängen 1 und 2 dieses Auftrags genau dessen Anwendungsbereich bezeichnet und einen Rahmen technischer Vorgaben nach Familien und Unterfamilien von Erzeugnissen aufgestellt, für die sie die Aufnahme von Leistungs- und Dauerhaftigkeitsmerkmalen vorschreibt. In Anhang 3 des Auftrags verlangt die Kommission vom CEN ferner, in der auszuarbeitenden harmonisierten Norm bestimmte Systeme der Konformitätsbescheinigung anzugeben.

45

Aus den Abschnitten 1 und 9 des Kapitels II des Auftrags M 125 geht auch hervor, dass erstens die Normungseinrichtung vor der Annahme des Auftrags innerhalb einer von der Kommission bestimmten Frist ein von dieser zu genehmigendes Arbeitsprogramm vorzulegen hatte. Zweitens waren nach den Abschnitten 5 und 6 dieses Kapitels Vorschläge zur Aufnahme von Aspekten, die nicht Teil dieses Auftrags waren, der Kommission zur Prüfung vorzulegen. Drittens mussten gemäß den Abschnitten 15 bis 17 und 21 dieses Kapitels die Arbeiten der Normungseinrichtungen Gegenstand einer detaillierten Begleitung durch die Kommission sein, verbunden mit einer Verpflichtung zu regelmäßiger Berichterstattung ihr gegenüber sowie mit einer Konformitätskontrolle der Schlussentwürfe der harmonisierten Normen durch dieses Organ vor der Veröffentlichung ihrer Fundstellen in der Ausgabe C des Amtsblatts der Europäischen Union.

46

Außerdem trägt die Kommission, wie durch das Urteil vom 16. Oktober 2014, Kommission/Deutschland (C‑100/13, EU:C:2014:2293), illustriert wird, mittels der Vertragsverletzungsklage gemäß Art. 258 AEUV für die volle Wirksamkeit der harmonisierten Normen Sorge. So hat der Gerichtshof in diesem Urteil festgestellt, dass der betreffende Mitgliedstaat dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Art. 4 Abs. 2 und Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 89/106 verstoßen hatte, dass er zusätzliche Anforderungen für den wirksamen Marktzugang und die Verwendung von Bauprodukten in Deutschland gestellt hatte, die von mehreren harmonisierten Normen erfasst wurden.

47

Somit ist auf die erste Frage, Buchst. a, zu antworten, dass Art. 267 Abs. 1 AEUV dahin auszulegen ist, dass der Gerichtshof zuständig ist, eine harmonisierte Norm im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 89/106, deren Fundstellen von der Kommission in der Ausgabe C des Amtsblatts der Europäischen Union veröffentlicht wurden, im Wege der Vorabentscheidung auszulegen.

Zur ersten Frage, Buchst. b

48

Angesichts der Antwort auf die erste Frage, Buchst. a, ist die erste Frage, Buchst. b, zu beantworten, mit der das vorlegende Gericht wissen möchte, ob die harmonisierte Norm EN 13242:2002 dahin auszulegen ist, dass sie es im Rahmen eines Rechtsstreits über einen privatrechtlichen Vertrag, der eine Partei dazu verpflichtet, ein Produkt zu liefern, das mit einer nationalen Norm in Einklang steht, die eine harmonisierte Norm im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 89/106 umsetzt, deren Fundstellen in der Ausgabe C des Amtsblatts der Europäischen Union veröffentlicht wurden, erlaubt, die Nichteinhaltung der technischen Spezifikationen dieser harmonisierten Norm mit anderen als in der Norm ausdrücklich vorgesehenen Prüfmethoden nachzuweisen, und ob diese Methoden jederzeit während des Zeitraums der wirtschaftlichen Lebensfähigkeit des Produkts angewandt werden können.

49

Vorab ist festzustellen, dass gemäß Abschnitt 1 Abs. 2 der harmonisierten Norm EN 13242:2002, wonach diese „Festlegungen für die Bewertung der Konformität von Produkten nach dieser Europäischen Norm [enthält]“, Abschnitt 6 („Chemische Anforderungen“) dieser harmonisierten Norm in Punkt 6.3 vorsieht, dass der Gesamtschwefelgehalt der Gesteinskörnungen, der in Übereinstimmung mit der entsprechenden Kategorie von Tabelle 13 („Kategorien für die Höchstwerte des Gesamtschwefelgehaltes“) dieser harmonisierten Norm angegeben werden muss, nach der europäischen Norm EN 1744-1:1998 bestimmt wird.

50

Die Richtlinie 89/106 zielt, wie aus ihrem vierten Erwägungsgrund hervorgeht, jedoch darauf ab, Handelshemmnisse zu beseitigen, indem die Voraussetzungen dafür geschaffen werden, dass Bauprodukte innerhalb der Union frei vermarktet werden können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Oktober 2012, Elenca, C‑385/10, EU:C:2012:634, Rn. 15).

51

Folglich soll die Richtlinie 89/106, deren Zweck auf die Beseitigung von Handelshemmnissen begrenzt ist, nicht die Bedingungen und die Modalitäten der konkreten Nutzung von Bauprodukten bei ihrem Einbau in Bauwerke des Hoch- oder Tiefbaus harmonisieren, sondern die Modalitäten des Marktzugangs dieser Produkte.

52

Weder die Richtlinie 89/106 noch die harmonisierte Norm EN 13242:2002 und insbesondere nicht deren Punkt 6.3, der die Modalitäten der Bestimmung des Schwefelgehalts der von ihr erfassten Gesteinskörnungen festlegt, harmonisieren also die nationalen Regelungen, die für den Nachweis im Rahmen einer vertragsrechtlichen Streitigkeit wie der des Ausgangsverfahrens gelten, gleichviel, ob es sich um die Art und Weise der Feststellung der Konformität eines Bauprodukts mit den vertraglichen Spezifikationen handelt oder um den Zeitpunkt, zu dem die Konformität des Bauprodukts nachgewiesen sein muss.

53

Demnach ist auf die erste Frage, Buchst. b, zu antworten, dass die harmonisierte Norm EN 13242:2002 dahin auszulegen ist, dass sie für den nationalen Richter, der mit einem Rechtsstreit über die Erfüllung eines privatrechtlichen Vertrags befasst ist, der eine Partei zur Lieferung eines Bauprodukts verpflichtet, das mit einer nationalen Norm in Einklang steht, die diese harmonisierte Norm umsetzt, weder hinsichtlich der Art und Weise der Feststellung der Konformität eines solchen Bauprodukts mit den vertraglichen Spezifikationen noch hinsichtlich des Zeitpunkts, zu dem die Konformität des Bauprodukts nachgewiesen sein muss, bindend ist.

Zur dritten Frage

54

Mit seiner dritten Frage, die sodann zu prüfen ist, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 89/106 im Licht ihres zwölften Erwägungsgrundes dahin auszulegen ist, dass die Vermutung der Brauchbarkeit eines im Einklang mit einer harmonisierten Norm hergestellten Produkts für den nationalen Richter bei der Feststellung der Handelsüblichkeit oder Brauchbarkeit dieses Produkts bindend ist, wenn allgemeine nationale Rechtsvorschriften über den Verkauf von Waren wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden verlangen, dass ein Bauprodukt diese Merkmale aufweist. Für den Fall, dass dies zu bejahen ist, fragt das vorlegende Gericht den Gerichtshof nach den Regeln für die Widerlegung dieser Vermutung.

55

Wie aus Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 89/106 hervorgeht, besteht deren Zweck darin, sicherzustellen, dass die Bauprodukte, die zur Verwendung in Bauwerken bestimmt sind, nur in Verkehr gebracht werden können, wenn sie brauchbar sind, d. h solche Merkmale aufweisen, dass das Bauwerk, für das sie durch Einbau, Zusammenfügung, Anbringung oder Installierung verwendet werden sollen, bei ordnungsgemäßer Planung und Bauausführung die wesentlichen Anforderungen nach Art. 3 dieser Richtlinie erfüllen kann, wenn und wo für bestimmte Bauwerke Regelungen gelten, die entsprechende Anforderungen enthalten.

56

Zu diesem Zweck hat der Unionsgesetzgeber, wie bereits in Rn. 39 des vorliegenden Urteils ausgeführt worden ist, einen Mechanismus der Vermutung der Brauchbarkeit vorgesehen, der einem Produkt, das den in Art. 3 der Richtlinie 89/106 erwähnten und in einer harmonisierten Norm konkretisierten wesentlichen Anforderungen entspricht, gemäß Art. 6 Abs. 1 und im Licht des zwölften Erwägungsgrundes dieser Richtlinie ermöglicht, im Gebiet aller Mitgliedstaaten frei zu verkehren, in Verkehr gebracht und verwendet zu werden.

57

Hieraus folgt, dass diese Vermutung der Konformität allein darauf abzielt, einem Bauprodukt, das den von einer harmonisierten Norm aufgestellten Voraussetzungen entspricht, den freien Verkehr in der Union zu ermöglichen.

58

Somit kann aus denselben Gründen, wie sie in Rn. 51 des vorliegenden Urteils angeführt worden sind, die Richtlinie 89/106 nicht dahin ausgelegt werden, dass sie die nationalen – möglicherweise impliziten –, auf Verträge über den Kauf von Bauprodukten anwendbaren Rechtsvorschriften harmonisiert.

59

Folglich kann die Vermutung der Brauchbarkeit nach Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 89/106 im Licht ihres zwölften Erwägungsgrundes im Rahmen einer vertragsrechtlichen Streitigkeit für die Beurteilung der Frage, ob eine der Vertragsparteien eine Anforderung vertraglicher Art des nationalen Rechts erfüllt hat, nicht bindend sein.

60

Angesichts der Antwort auf den ersten Teil der dritten Frage erübrigt sich die Beantwortung ihres zweiten Teils.

61

Nach alledem ist auf die dritte Frage zu antworten, dass Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 89/106 im Licht ihres zwölften Erwägungsgrundes dahin auszulegen ist, dass die Vermutung der Brauchbarkeit eines im Einklang mit einer harmonisierten Norm hergestellten Bauprodukts für den nationalen Richter bei der Feststellung der Handelsüblichkeit oder Brauchbarkeit dieses Produkts nicht bindend ist, wenn allgemeine nationale Rechtsvorschriften über den Verkauf von Waren wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden verlangen, dass ein Bauprodukt diese Merkmale aufweist.

Zur vierten und zur fünften Frage

62

Da das vorlegende Gericht die vierte und die fünfte Frage nur für den Fall gestellt hat, dass die erste Frage, Buchst. a, und die dritte Frage beide bejaht würden, erübrigt sich eine Antwort auf diese Fragen.

Zur zweiten Frage

63

Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 1 Nr. 11 der Richtlinie 98/34 dahin auszulegen ist, dass im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen zwei Privaten wegen vertraglicher Rechte und Pflichten ein nationales Gericht verpflichtet ist, eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren relevante, die – sofern der Wille der Parteien dem nicht entgegensteht – implizite vertragliche Bedingungen betreffend die Handelsüblichkeit und die Brauchbarkeit oder die Qualität der verkauften Produkte enthält, nicht anzuwenden, weil diese Regelung eine „technische Vorschrift“ im Sinne von Art. 1 Nr. 11 dieser Richtlinie darstellt, die der Mitgliedstaat nicht gemäß deren Art. 8 Abs. 1 der Kommission mitgeteilt hat.

64

Vorab ist darauf hinzuweisen, dass, wie das vorlegende Gericht zu Recht ausgeführt hat, nach ständiger Rechtsprechung die Unanwendbarkeit einer innerstaatlichen technischen Vorschrift, die nicht gemäß Art. 8 der Richtlinie 98/34 mitgeteilt worden ist, in einem Rechtsstreit zwischen Privaten geltend gemacht werden kann (vgl. Urteile vom 30. April 1996, CIA Security International, C‑194/94, EU:C:1996:172, Rn. 54, und vom 26. September 2000, Unilever, C‑443/98, EU:C:2000:496, Rn. 40 bis 43, 48 und 49).

65

Zunächst ist allerdings zu prüfen, ob die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung tatsächlich eine „technische Vorschrift“ im Sinne von Art. 1 Nr. 11 dieser Richtlinie darstellt.

66

Aus dieser Bestimmung ergibt sich, dass der Begriff „technische Vorschrift“ drei Kategorien umfasst, nämlich erstens die „technische Spezifikation“ im Sinne von Art. 1 Nr. 3 der Richtlinie 98/34, zweitens die „sonstige Vorschrift“ im Sinne von Art. 1 Nr. 4 dieser Richtlinie und drittens das Verbot von Herstellung, Einfuhr, Inverkehrbringen oder Verwendung eines Erzeugnisses nach Art. 1 Nr. 11 dieser Richtlinie (Urteil vom 10. Juli 2014, Ivansson u. a., C‑307/13, EU:C:2014:2058, Rn. 16 und die dort angeführte Rechtsprechung).

67

Im vorliegenden Fall zeigt sich erstens, dass Bestimmungen wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, sei es aus sich heraus, sei es in ihrer Auslegung durch die irischen Gerichte, nicht unter den Begriff „technische Spezifikation“ im Sinne von Art. 1 Nr. 3 der Richtlinie 98/34 fallen. Dieser Begriff erfasst nämlich nur nationale Maßnahmen, die sich auf das Erzeugnis oder seine Verpackung als solche beziehen und daher eines der vorgeschriebenen Merkmale für ein Erzeugnis festlegen (Urteil vom 10. Juli 2014, Ivansson u. a., C‑307/13, EU:C:2014:2058, Rn. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung). Dies trifft aber auf eine Vorschrift, die, außer bei entgegenstehendem Willen der Parteien, allgemein beim Verkauf jedes Produkts gilt, offensichtlich nicht zu.

68

Zweitens können solche Bestimmungen aus demselben Grund nicht als „sonstige Vorschriften“ im Sinne von Art. 1 Nr. 4 der Richtlinie 98/34 eingestuft werden.

69

Insoweit hat der Gerichtshof klargestellt, dass die betreffenden nationalen Bestimmungen nur dann als „sonstige Vorschriften“ im Sinne dieser Bestimmung eingestuft werden können, wenn sie Vorschriften darstellen, die die Zusammensetzung, die Art oder die Vermarktung des betreffenden Erzeugnisses wesentlich beeinflussen können, und dass Bestimmungen, die einen allgemeinen Charakter aufweisen, keine solchen Vorschriften darstellen können und daher auch nicht als „sonstige Vorschriften“ eingestuft werden können (vgl. Urteil vom 10. Juli 2014, Ivansson u. a., C‑307/13, EU:C:2014:2058, Rn. 26 und 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).

70

Drittens fällt die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Regelung auch nicht in die Kategorie der technischen Vorschriften gemäß Art. 1 Abs. 11 der Richtlinie 98/34, da sie nur implizite vertragliche Bedingungen enthält und keinerlei Verbot im Sinne dieser Richtlinie, sei es, ein Erzeugnis herzustellen, einzuführen, in Verkehr zu bringen oder zu verwenden, sei es, einen Dienst zu erbringen oder zu nutzen oder sich als Erbringer von Diensten niederzulassen.

71

Folglich ist die Richtlinie 98/34 nicht auf implizite vertragliche Bedingungen anwendbar, wie sie von der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Regelung vorgesehen sind.

72

Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Art. 1 Nr. 11 der Richtlinie 89/34 dahin auszulegen ist, dass nationale Bestimmungen wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die – außer bei entgegenstehendem Willen der Parteien – implizite vertragliche Bedingungen betreffend die Handelsüblichkeit und die Brauchbarkeit oder die Qualität der verkauften Produkte enthalten, keine „technischen Vorschriften“ im Sinne dieser Bestimmung sind, deren Entwürfe Gegenstand einer vorherigen Mitteilung gemäß Art. 8 Abs. 1 Unterabs. 1 dieser Richtlinie sein müssen.

Kosten

73

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Dritte Kammer) für Recht erkannt:

 

1.

Art. 267 Abs. 1 AEUV ist dahin auszulegen, dass der Gerichtshof der Europäischen Union zuständig ist, eine harmonisierte Norm im Sinne von Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 89/106/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über Bauprodukte in der durch die Richtlinie 93/68/EWG des Rates vom 22. Juli 1993 geänderten Fassung, deren Fundstellen von der Europäischen Kommission in der Ausgabe C des Amtsblatts der Europäischen Union veröffentlicht wurden, im Wege der Vorabentscheidung auszulegen.

 

2.

Die harmonisierte Norm EN 13242:2002 („Gesteinskörnungen für ungebundene und hydraulisch gebundene Gemische für den Ingenieur- und Straßenbau“) ist dahin auszulegen, dass sie für den nationalen Richter, der mit einem Rechtsstreit über die Erfüllung eines privatrechtlichen Vertrags befasst ist, der eine Partei zur Lieferung eines Bauprodukts verpflichtet, das mit einer nationalen Norm in Einklang steht, die diese harmonisierte Norm umsetzt, weder hinsichtlich der Art und Weise der Feststellung der Konformität eines solchen Bauprodukts mit den vertraglichen Spezifikationen noch hinsichtlich des Zeitpunkts, zu dem die Konformität des Bauprodukts nachgewiesen sein muss, bindend ist.

 

3.

Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 89/106 in der durch die Richtlinie 93/68 geänderten Fassung ist im Licht des zwölften Erwägungsgrundes dieser Richtlinie dahin auszulegen, dass die Vermutung der Brauchbarkeit eines im Einklang mit einer harmonisierten Norm hergestellten Produkts für den nationalen Richter bei der Feststellung der Handelsüblichkeit oder Brauchbarkeit dieses Produkts nicht bindend ist, wenn allgemeine nationale Rechtsvorschriften über den Verkauf von Waren wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden verlangen, dass ein Bauprodukt diese Merkmale aufweist.

 

4.

Art. 1 Nr. 11 der Richtlinie 98/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Juni 1998 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften und der Vorschriften für die Dienste der Informationsgesellschaft in der zuletzt durch die Richtlinie 2006/96/EG des Rates vom 20. November 2006 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass nationale Bestimmungen wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die – außer bei entgegenstehendem Willen der Parteien – implizite vertragliche Bedingungen betreffend die Handelsüblichkeit und die Brauchbarkeit oder die Qualität der verkauften Produkte enthalten, keine technischen Vorschriften im Sinne dieser Bestimmung sind, deren Entwürfe Gegenstand einer vorherigen Mitteilung gemäß Art. 8 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 98/34 in der durch die Richtlinie 2006/96 geänderten Fassung sein müssen.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Englisch.

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